Filmdienst 02 2015 issuu

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da s n e U e Us - Ki no

film dienst Das Magazin für Kino und Filmkultur

02 2015

welche neuen hollywood-filme kommen 2015 in unsere kinos? eine vorschau auf aktuelle filme von Clint eastwood, tim burton & Co.

s U s a n s o n Ta g sie war eine brillante essayistin und schriftstellerin, kosmopolitin und menschenrechtlerin. eine ikone fürs denken zwischen allen fronten. auch im kino.

C iT Yg U i d e Li s sa B o n portugals hauptstadt lädt zu einem etwas wehmütigen kino-streifzug ein. der aber ist immer noch reich an cineastischen entdeckungen.

www.filmdienst.de

E M M A s T o n e

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22. Januar 2015 € 5,50 68. Jahrgang

in „birdman“ besteht die junge schauspielerin emma stone mühelos neben „schwergewichten“ wie edward norton und michael keaton. 14.01.15 15:32


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ALLE STARTTERMINE 3 Türken und ein Baby 29.1. anderswo 29.1. Baymax - Riesiges Robowabohu 22.1. Die Böhms – architektur einer Familie 29.1. Bonne nuit Papa 29.1. Fräulein Julie 22.1. Honig im Kopf 25.12. Die Hüter der Tundra 22.1. John Wick 29.1. Die letzten Gigolos 29.1. Los Ángeles 29.1. Missverstanden 22.1. Ouija – Spiel nicht mit dem Teufel 22.1. Red army 29.1. Remedy 22.1. SPLITTER afghanistan 22.1. The Imitation Game 22.1. Wir sind jung. Wir sind stark. 22.1.

16 cityguide lissabon

10 things to come: hollyWood-highlights

27 e-mail aus hollyWood KInOTIPP der katholischen Filmkritik

36 Birdman 29.1. Theater als Lebensbühne: Eine Farce

fernseh-tipps 56

Die „Berlinale“ (5.-15.2.) ist Deutschlands wichtigstes Filmfestival. Wer nicht dafür nach Berlin reisen kann, findet im Fernsehen etwas Trost: durch die Festivalberichterstattung verschiedener Sender sowie diverse Filmausstrahlungen, die ältere Festivaljahrgänge in Erinnerung rufen oder „Ehrenbär“-Preisträger Wim Wenders ehren.

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66 abcinema: b Wie brille

55 dvd-perlen: oh! What a lovely War

Fotos: TITEL: Twentieth Century Fox. S. 4/5: Twentieth Century Fox/Josef Nagel/StudioCanal/Sony/FD-Archiv/Paramount/Real Fiction/Renate von Mangoldt.

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inhalt kino

akteure

filmkunst

20 klangrÄume: „die böhms“

24 emma stone

28 susan sontag

10 THINGS TO COME

Mit Blick auf die „Oscars“ starten in den USA traditionell viele ambitionierte Filme am Ende des Jahres und kommen dann im Frühjahr in unsere Kinos. 2014 stachen vor allem unabhängige Produktionen hervor. Eine kritische Vorschau auf die wichtigsten US-Filme der nächsten Zeit. Von Franz Everschor

16 CITYGUIDE LISSABON

Portugals Hauptstadt zeugt an vielen Stellen von vergangenen glanzvollen Kino-Tagen. Doch bei aller Wehmut: Lissabon hat Filmfreunden noch immer viel zu bieten. Eine „CityGuide“-Exkursion.

23 IN MEMORIAM

Wir trauern um die italienische Filmdiva Virna Lisi, den DEFA-Drehbuchautor Claus Küchenmeister und die deutsche Schauspielerin Luise Rainer, die in den 1930erJahren zwei „Oscars“ gewann.

24 EMMA STONE

27 E-MAIL AUS HOLLYWOOD

Die Nordkorea-Satire „The Interview“ sorgte schon vor dem Start für diplomatische Verwicklungen und eine Debatte über Meinungsfreiheit. Dabei ist die grobe Komödie die ganze Aufregung gar nicht wert. Von Franz Everschor

Die junge Darstellerin mit der heiseren Stimme wird wegen ihrer selbstbewussten Auftritte schon mit Lauren Bacall verglichen. Aktuell behauptet sie sich in „Birdman“ erneut souverän neben ihren männlichen Spielpartnern. Ein Porträt.

28 SUSAN SONTAG

Von Julia Teichmann

Von Ralph Eue

Von Josef Nagel

20 KLANGRÄUME: „DIE BÖHMS“

Der Dokumentarfilm über die ArchitektenFamilie ist auch ein Tonkunstwerk. Jeder Raum hat eine eigene musikalische oder akustische Untermalung erhalten. Eine analytische Klangreise. Von Matthias Hornschuh

Die gefeierte Essayistin und Aktivistin war auch eine passionierte Cineastin, die das Kino kritisch begleitete und selber Filme drehte. Eine Annäherung an eine lebenslange Verwicklung mit der siebten Kunst.

32 WINSOR MCCAY

Der US-amerikanische Illustrator war Anfang des 20. Jahrhunderts ein bedeutender Comic- und Film-Pionier. Souverän nutzte er die Kinetik der Bilder. Eine Hommage. Von Christian Meyer

34 MAGISCHE MOMENTE

Frederick Wisemans „La Danse“ über das Ballett der Pariser Nationaloper ist ein Dokumentarfilm von hypnotischer Schönheit. Von Rainer Gansera

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RUBRIKEn EDITORIAL INHALT MAGAZIN DVD/BLU-RAY DVD-PERLEN TV-TIPPS ABCINEMA VORSCHAU / IMPRESSUM

Sport als brisante politische Angelegenheit zeigt der Dokumentarfilm „Red Army“ über die einstige sowjetische Eishockey-Nationalmannnschaft

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the look Die Schauspielerin Emma Stone

„Birdman“

ryan gosling hat sie einmal mit lauren Bacall verglichen, und das hat nicht nur mit ihrer rauchigen stimme zu tun, sondern auch mit der Aura von selbstbewusstsein und Cleverness, die emma stone ausstrahlt. in woody Allens „magic in the moonlight“ holte sie Colin Firth mit „magischen“ Fähigkeiten von seinem rationalen Podest; in ihrem neuen Film „Birdman“ bietet sie souverän michael Keaton und edward norton Paroli. ein Porträt. Von Julia Teichmann

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„Magic in the Moonlight“

Die Stimme klingt nach wenigstens 20 Jahren Kette rauchen und Whisky trinken –„husky“ heißt das auf Englisch. Und auch der Blick passt dazu: direkt und unverwandt, ironisch, viel zu selbstbewusst, um je als kulleräugig missverstanden zu werden. Die Augen niederzuschlagen, bleibt dann dem jeweiligen Gegenüber vorbehalten. Emma Stone, 26, ist eigentlich naturblond, aber irgendwie scheint ihr das sexy-saubere Image der Haarfarbe unheimlich zu sein. Nach ihrer platinblonden Gwen Stacy im ersten und zweiten Teil von „The Amazing Spider-Man“ (2012 und 2014) kehrte sie schnell wieder zurück zum karrierestiftenden Rot. Als Frau Anfang 20 zu Beginn einer Hollywood-Karriere in einem Zombiefilm mitzuspielen, ist nur dann eine gute Idee, wenn man es fertig bringt, nicht als schreiendes Opfer zu enden – man sollte doch wenigstens eine Knarre im Anschlag haben. Emma Stone hat alles richtig gemacht. In „Zombieland“ (2009) kämpft sie sich an der Seite ihrer kleinen Schwester (Abigail Breslin aus „Little Miss Sunshine“) durch ein wüstes Land; wie wehrhaft und selbstbewusst sie ist, bekommen nicht nur die Zombies

schmerzhaft zu spüren, sondern auch die männlichen Protagonisten Jesse Eisenberg und Woody Harrelson: Ihr Sarkasmus ist ebenso scharf wie ihre Waffe. Sie bewundere Schauspielerinnen wie Diane Keaton, die ihre Karriere nicht nur auf Sex-Appeal aufgebaut hätten, erzählte Emma Stone in einem Interview in der Vanity Fair. Stone vermeidet es in der Auswahl ihrer Filmprojekte sehr geschickt, sich als „Objekt der Begierde“ casten zu lassen. Die derart gefürchtete Objekthaftigkeit wird in praktisch all ihren Rollen verhandelt. Bereits die Nebenrolle, mit der sie 19-jährig ihren Durchbruch hatte, ist recht selbstbewusst angelegt: Emma Stone spielt die eigenwillige Freundin von einer der beiden Hauptfiguren in Greg Mottolas „Superbad“. Zuvor war sie durch einige Serienrollen getingelt und sich gar nicht mehr so sicher, ob die Sache mit Hollywood wirklich aufgehen würde. 15-jährig hatte sie ihre Eltern mit einer Powerpoint-Präsentation davon überzeugt, dass Los Angeles und die Schauspielerei der richtige Ort für sie seien. 1988 wurde sie in Scottsdale, Arizona geboren, ihre Großeltern väterlicherseits waren Einwanderer

aus Schweden, ihre Mutter stammt von der Ostküste. Schon daheim in Scottsdale wurde sie zeitweilig zu Hause unterrichtet und sammelte Erfahrungen am Theater; 2004 schließlich zog sie mit ihrer Mutter nach L.A. Emma Stone ist kein typischer Kinderstar, sie wurde nicht vor Kameras gezerrt. Ihre Mutter und sie hielten sich fern von den Oakwood Apartments, in denen die minderjährigen Hollywood-Aspiranten mit ihren Eltern wohnen. Eigentlich heißt sie Emily: Als sie sich bei der Screen Actors Guild anmelden wollte, gab es aber bereits eine Emily Stone. 2009 brauchte sie L.A. dann nicht mehr und zog nach New York, wo sie immer noch lebt – inzwischen gemeinsam mit „Spider-Man“ Andrew Garfield. Ihre erste Hauptrolle spielte sie in einem High-School-Film, der nicht zuletzt wegen ihr so außergewöhnlich gut war: Frei nach Nathaniel Hawthornes „Der scharlachrote Buchstabe“ – eine Pflichtlektüre an amerikanischen Schulen – zeigt der Regisseur Will Gluck in „Einfach zu haben“ (2010), wie sich Gerüchte verselbstständigen können. Emma Stone spielt Olive, aus deren Perspektive die Geschichte in Rückblicken „The Amazing Spider-Man“

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akteure emma stone

emma stone auf dvd

erzählt ist. Eine vermeintlich harmlose Lüge ihrerseits stempelt Olive zur Schulschlampe – und bevor ihr das Ganze doch noch über den Kopf wächst, muss diese feststellen, dass ein ruinierter Ruf mit einigen Freiheiten belohnt wird. Nebenbei werden hier die Rituale, Bigotterien, Geschlechterrollen und -prägungen an High-Schools betrachtet und kritisiert. Dass „Einfach zu haben“ zum feministisch-komischen Plädoyer für eine moderne, unverkrampfte Weiblichkeit und auch Sexualität wird, ist Emma Stone zu verdanken. Im Bürgerrechte-Drama „The Help“ (2011) von Tate Taylor nach dem Roman „Gute Geister“ von Kathryn Stockett spielt sie dann, wenn man so will, wieder eine Freiheitskämpferin: Als selbstbewusste Journalistin Skeeter setzt sie sich in den Südstaaten der frühen 1960er-Jahre für die Rechte schwarzer Dienstmädchen ein. Bevor sie Schauspielerin werden wollte, war ihr erklärter Berufswunsch Journalistin: Emma Stone schrieb einen Newsletter für ihre Mitschülerinnen und lancierte einen Blog auf ihrer selbstgebauten Homepage – da war sie ungefähr zehn Jahre alt. Ihr Schauspielkollege Ryan Gosling, mit dem

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zombiel and

In Ruben Fleischers Endzeit-Komödie glänzt Emma Stone als kämpferischeÜberlebende, die wild entschlossen ist, ihrer kleinen Schwester selbst mitten in der Zombieapokalypse ein Stück Kindheit zu retten. Männer haben es schwer, von diesem starken Frauenduo akzeptiert zu werden - doch Jesse Eisenberg tut sein Bestes. Anbieter: Sony.

sie eine aufregend romantische Episode in „Crazy, Stupid, Love“ hat – da belehrt sie den notorischen Playboy scharfzüngig, humorvoll und natürlich selbstbewusst sexy eines Besseren – vergleicht sie mit Lauren Bacall. Diverse Medien haben das aufgegriffen (oder umgekehrt), tatsächlich drängt sich die Parallele auf: Die heisere Stimme, der cool-selbstbestimmte Sexappeal, der sarkastische Blick – der bei der Bacall als „The Look“ berüchtigt war – und die entsprechende Haltung. Emma Stone wird für eine „Ghostbusters“Reprise mit weiblichen Geisterjägern gehandelt – kein Wunder, in „Zombieland“ gibt es ein sehr witziges Filmzitat. In der Szene schleichen sie, Harrelson und Bill Murray, der in einer kleinen Nebenrolle sich selbst spielt, mit Geisterstaubsaugern um den Kronleuchter des Hollywoodanwesens, in dem sich der ehemalige „Ghostbusters“Star vor den Zombies tarnt, indem er sich selbst als Zombie schminkt. Sie spielt in Woody Allens nächstem Projekt die weibliche Hauptrolle (bereits in seinem „Magic in the Moonlight“ war sie Teil des Ensembles): Joaquin Phoenix ist ein Philosophieprofessor, der sich in seine Studentin verliebt

the amazing spiderman + the amazing spider-man 2

Als Gwen Stacy, Herzensdame von SpiderMan, verkörpert Stone eine intelligente, geradlinige Weiblichkeit, die den jungenhaften Übermut, den ihr Partner Andrew Garfield an den Tag legt, gut ausbalanciert. Um so eine Frau zu verdienen, reicht es nicht, ein paar Bösewichter zu vertrimmen, man muss auch innerlich reifen. Anbieter: Sony.

die Croods

(Stone). Im Mai 2015 soll Cameron Crowes nächster Film, eine romantische Komödie, in amerikanische Kinos kommen: an der Seite von Bradley Cooper gibt sie da eine Air Force-Pilotin. Den ersten Schritt hinaus aus den Teenager-Schuhen hat sie nun schon in Alejandro González Iñárritus origineller tragikomischer Kunst- und-Leben-Satire „Birdman – Oder die unverhoffte Macht der Ahnungslosigkeit“ getan: Hier spielt sie furios das kaputte Hollywood-Kind, das sie mitnichten ist – aber wenn schon blond, dann schmutzig. Noch bis Mitte Februar ist sie außerdem in ihrem hoch gelobten Broadway-Debüt zu sehen: Sie gibt die Sally Bowles in Sam Mendes’ und Rob Marshalls Neuinszenierung von „Cabaret“. Mit diversen Auszeichnungen gesegnet, die meist ihr komödiantisches Talent ehrten, wurde sie für „Birdman“ für einen „Golden Globe“ als beste Nebendarstellerin nominiert – das ruft natürlich „Oscar“Geflüster auf den Plan. Bei Emma Stone ist es freilich vollkommen egal, was dabei heraus kommt: Der „Oscar“ kommt früher oder später sowieso. Emma Stone macht alles richtig. •

In dem vergnüglichen Animationsabenteuer von Kirk De Micco und Chris Sanders leiht Emma Stone im Original ihre Stimme der rebellischen Eep, einer jungen Steinzeit-Amazone, die sich durch Dinos, sich verschiebende Kontinantalplatten und einen über-beschützenden Vater nicht ihre Neugier und ihren Lebenshunger nehmen lässt. Anbieter: Fox/Dreamworks.

Fotos: 20th Century Fox, Walt Disney, Sony, Warner, Fox/Dreamworks.

„Crazy, Stupid, Love“

magiC in the moonlight

In Woody Allen Komödie hält Colin Firth Emma Stones Figur in jeder Hinsicht für unterlegen: altersmäßig, sozial, intellektuell. Doch das Mädchen aus der US-Unterschicht, das als Medium in der europäischen High Society Karriere macht, lehrt den alten Pessimisten, an das Unmögliche zu glauben. Anbieter: Warner.

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e-mail aus hollyWood filmkunst

Von Franz Everschor

angst vor kim Jong-un

Fotos: Sony

Weder „The Hobbit“ noch „Exodus“, weder Tim Burton noch Meryl Streep befanden sich zum Jahreswechsel bei den amerikanischen Kinogängern im Zentrum der aufmerksamkeit. Das war einem Film vorbehalten, den bis dahin kaum jemand gesehen hatte, den aber jeder sehen wollte, obwohl kaum ein gutes Wort über ihn zu hören war. Die grobe, ganz auf junges Publikum zugeschnittene Seth-Rogen-Komödie „The Interview“ war schon seit Mitte Dezember 2014 das Tagesgespräch. Man wusste von ihr, dass sie den nordkoreanischen Diktator Kim Jong-un verunglimpfte; man hatte erfahren, dass sich die großen Kinoketten der USA weigerten, den Film zu spielen – aus Angst vor Terroranschlägen; und man war über das Motiv dieser Verängstigung unterrichtet: Eine bis heute nicht mit letzter Gewissheit identifizierte Horde von Hackern hatte sich die Produktionsfirma Sony als Opfer einer schwerwiegenden Cyber-Attacke ausgesucht und sich dabei ausdrücklich auf „The Interview“ bezogen. Sony zog den Film vom Markt zurück, revidierte dann seine Entscheidung und brachte ihn am Weihnachtstag in über 300 Arthouses heraus, wo dieses primitive Erzeugnis nun wirklich nicht hingehört. Sogar Präsident Obama hatte sich eingeschaltet und der Sache nationale politische Bedeutung verliehen, indem er Nord-

Franz Everschor berichtet für FILMDIENST seit 1990 aus Hollywood.

korea als Urheber der Attacke identifizierte. Der Verleih, der sich und das Publikum vor weiterem Schaden hatte bewahren wollen, wurde plötzlich als Bösewicht Nummer zwei bezichtigt, der das Recht der freien Meinungsäußerung mit Füßen trat. Nun, da der Zorn über die von der US-Regierung behauptete Beteiligung Nordkoreas an dem Hacker-Anschlag zwar noch nicht verraucht ist, die Wogen der Entrüstung und der blanken Neugier sich aber zu glätten beginnen, drängen sich drei Fragen in den Vordergrund: Wo blieb die sonst so gern zitierte Solidarität der amerikanischen Filmstudios? Warum wird freie Meinungsäußerung wieder einmal am schwächsten Objekt diskutiert? Und die wichtigste Frage von allen: Ist die Welt gegen Cyber-Vandalismus überhaupt ausreichend geschützt? Wenn Hacker bei Google, Target und Sony immensen Schaden anrichten können, dann liegt die Befürchtung nicht allzu fern, dass sie auch der Infrastruktur einer ganzen Nation beträchtlich schaden könnten. Präsident Obama hat – ganz im Gegensatz zu seinem einstigen Rivalen John McCain – nur beschwichtigend auf solche Argumente reagiert und stattdessen im Fall „The Interview“ eine weitere Runde von Sanktionen gegen Nordkorea ausgerufen, die längst niemanden mehr beeindrucken. Eine handfeste Strategie

gegen den Cyber-Vandalismus ist nicht erkennbar. Zu dumm, dass sich die USRegierung hinter der geringen Bedeutung des Films verstecken und die ganze Angelegenheit entsprechend herunterspielen konnte, als die Öffentlichkeit nach Aufklärung verlangte. Kurz nach Weihnachten stand Obama auch nicht mehr hinter Sony. Um wieviel weniger verwunderte es da, dass nicht einmal die anderen Hollywood-Studios den Schneid aufbrachten, ihren Kollegen an die Seite zu treten. Dass George Clooney mit seinem Aufruf zur Solidarität als einsamer Rufer in der Wüste stehen blieb, wirft ein bezeichnendes Licht auf die letztlich nur um das eigene Wohl besorgten Hollywood-Studios. Das amerikanische Publikum, das den täglich neuen Nachrichten über die Krise hilflos beiwohnte, macht sich inzwischen sein eigenes Bild. Endlich kann es den Stein des Anstoßes selbst in Augenschein nehmen: In einer Online-Umfrage der Fachzeitschrift „Variety“ halten sieben von zehn Amerikanern den Film für „kulturell insensibel“, ein Drittel fand ihn „beschämend“. Der eigentliche Skandal hinter der unbedacht ausgelösten Krise ist die Tatsache, dass eine so garstige Komödie wie „The Interview“ zur Verteidigung des Rechts auf freie Meinungsäußerung herhalten muss. (Deutscher Filmstart 5.2.; Kritik in FD 3/2015) •

„Dass eine Komödie wie ‚The Interview‘ zur Verteidigung des Rechts auf freie Meinungsäußerung herhalten muss, ist der eigentliche Skandal.“

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Bilder

Ein kleiner Junge namens nemo war vor gut 100 Jahren nicht irgendein Comic-Held: Er war vielmehr einer der größten traumreisenden des 20. Jahrhunderts. den unruhigen Schläfer zog es wöchentlich in einem ganzseitigen Comicstrip von seinem Bett aus nach Slumberland, wo er den wundersamsten gestalten begegnete und in psychedelischen Szenerien fantastische abenteuer erlebte. Sein Erfinder, der grafiker, karikaturist und Comic-künstler Winsor McCay (1869-1934), gilt als Schlüsselfigur der uS-amerikanischen unterhaltungsindustrie zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Souverän nutzte er in seinen Erzählungen die kinetik der Bilder – ein imaginativer „kino-im-kopf-träumer“. Von Christian Meyer

B u c h h i n w e i s „Winsor McCays Little nemo“. Gesamtausgabe. Von Alexander Braun. TAschen Verlag, Köln/Berlin 2014. hardcover, Zwei Bände, 34,4 x 44,0 cm, 708 seiten. 150,00 euR. Der opulente Bildband versammelt erstmals alle Folgen des Zeitungscomics aus den Jahren von 1905 bis 1927, farbenprächtig und in Originalgröße. Zudem stellt er ihnen einen ausführlichen, 150-seitigen Begleittext von Alexander Braun zur seite. Dieser ist nicht nur reich bebildert, sondern stellt Mccays werk in einen größeren Kontext, der von zeitgenössischer Kunst über Massenmedien bis zu Politik reicht und auch die Rezeptionsgeschichte nachvollzieht.

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Fotos: TASCHEN Verlag, Köln

Winsor mccay filmkunst

Was für verrückte abenteuer dieser kleine Junge vor 100 Jahren doch erlebte: Er reiste in ferne Länder, landete auf dem Mond, traf eine Prinzessin und zahlreiche Fabelwesen – doch das alles nur im Traum. „Little Nemo in Slumberland“ von Winsor McCay gilt als einer der ganz großen Klassiker der Comic-Geschichte. Als Ende des 19. Jahrhunderts die Bildergeschichten die Tageszeitungen eroberten, um deren Verkauf anzukurbeln, standen bei den Lesern vor allem brachiale SlapstickAbenteuer hoch im Kurs. Winsor McCay schlug in seinen Arbeiten poetischere Töne an und ging auch in der visuellen Gestaltung mit realistischen Zeichnungen neue Wege. Der 1871 geborene McCay verdingte sich zunächst als Plakatmaler, wurde dann Illustrator und schließlich Art-Director bei Tageszeitungen. Der Verleger des „New York Herald“ bat ihn 1903, einen Comic für seine Zeitung zu entwickeln. Länger als ein Jahr konnte sich der Neuling ausprobieren, um dann zwischen 1904 und 1905 mit gleich fünf Serien zu reüssieren. Sein größter Erfolg war die Reihe „Little Nemo in Slumberland“, die am 18. Oktober 1905 debütierte und bis 1911 wöchentlich unter diesem Namen erschien, nach McCays Wechsel zum „New York American“ bis 1914 aus rechtlichen Gründen als „In the Land of Wonderful Dreams“ veröffentlicht wurde und schließlich von 1924 bis 1926 einen Relaunch unter dem alten Titel erlebte. Die Reise des schlafenden Jungen Nemo ins Schlummerland übertraf alles Bisherige sowohl grafisch als auch erzählerisch und

wurde als fortlaufende Geschichte ganzseitig und in aufwändigen Farbzeichnungen umgesetzt. Nicht nur Maurice Sendaks Kinderbuchklassiker „Wo die wilden Kerle leben“ wäre ohne „Little Nemo“ gar nicht denkbar. McCays elegante Erzähltechnik, die grundlegende Stilmittel des grafischen Erzählens verfeinerte oder erst entwickelte, der abwechslungsreiche Seitenaufbau, die Dynamik der Bilder mit ihren waghalsigen Perspektiven und die überschäumende Bilderpracht, ästhetisch vom Jugendstil beeinflusst, freudsche Traumdeutung erahnend und dem Surrealismus vorgreifend, verbinden sich zu einem Werk, das noch heute mit seiner Innovationskraft begeistert. Aber dem Workaholic McCay reichte das nicht, und der Weg zum Film scheint in seinen Comics vorgezeichnet. Wenn sich Winsor McCay in „Little Nemo“ schon sehr früh des Splitpanels bedient, wirkt die Bewegung beinahe schon filmisch. McCay, der sich gerne als Erfinder des Zeichentrickfilms sah, begann, eigenhändig 4.000 Farbzeichnungen für seinen ersten Film anzufertigen. Im Jahr 1911 war sein Kurzfilm „Little Nemo“ zwar nicht der erste Zeichentrickfilm der Geschichte, aber einer der technisch versiertesten. 1914 erschien sein größter Film-erfolg „Gertie the Trained Dinosaur“, bei dessen Vaudeville-Aufführungen McCay als „Dompteur“ des gezeichneten Dinosauriers auf der Bühne mit der Filmfigur interagierte und eine Art „Expanded Cinema“ praktizierte. Beide Filme gibt es auch in einer Art Making-of-Variante, die

als Rahmenhandlung die Produktion des Animationsfilms als Realfilm zeigt. McCays sozialkritische Utopie „The Flying House“ (1921) über ein wegen Mietrückstand zum Flugobjekt umgebautes Haus erscheint heute wie eine Blaupause für Pixars „Oben“ und erinnert auch an die Filme von Hayao Miyazaki. Technisch war der flüssig animierte Film seiner Zeit weit voraus. Mit dem dokumentarischen Zeichentrickfilm „The Sinking of the Lusitania“ nahm McCay 1918 auch eine ganz aktuelle Tendenz des Dokumentarfilms vorweg. McCay war seine Filmarbeit schließlich wichtiger als seine Comics, für die er heute vor allem gefeiert wird. Doch auch vom Film wandte er sich nach zehn Jahren wieder ab: „Der Zeichentrickfilm sollte eine Kunstform sein, so habe ich ihn ersonnen. Aber ihr Burschen habt eine Ware daraus gemacht, eine üble Sache.“ Wem genau dieser Vorwurf des 1934 verstorbenen Winsor McCay galt, ist nicht überliefert. •

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kritiken neue filme

Eine kurze Pause an der frischen Luft zwischen zwei auftritten endet für Schauspieler Riggan Thompson unversehens in einem hochnotpeinlichen Spießrutenlauf. Der Hintereingang des Broadway-Theaters, in dem der ehemalige Filmstar sein Debüt als Theaterregisseur und Bühnendarsteller gibt, lässt sich leider nicht von außen öffnen. Und dann klemmt auch noch ein Zipfel seines Bademantels in der Tür fest. Riggan muss in wenigen Minuten wieder auf der Bühne stehen. Was tun? Kurz entschlossen streift er den Bademantel ab und sprintet in Unterhosen Richtung Haupteingang. Leider führt der Weg aus der dunklen Gasse hinter dem Theater auf den hell erleuchteten, von Menschen wimmelnden Times Square. Da Riggan früher als Superhelden-Darsteller äußerst populär war, wird er natürlich schnell erkannt, und flugs werden Kameras und Handys gezückt, um den „Walk of Shame“ des Mimen festzuhalten und via soziale Netzwerke zum Medienereignis zu machen. Die kleine Szene ist einer der ironischen Höhepunkte von Alejandro González Iñárritus schwarzhumoriger Farce. Riggan, der verzweifelt versucht, durch die Profilierung als ernsthafter Theaterkünstler seinen Karriereknick nach dem Ausstieg aus dem „Birdman“-Filmfranchise wettzumachen, giert nach Aufmerksamkeit und Anerkennung. Allerdings schwebt ihm eher eine positive Rezension seiner Adaption einer RaymondCarver-Geschichte in der New York Times vor, nicht der Internet-Hype, den sein peinlicher Unterhosen-Auftritt auslöst Facebook & Co. sind die Domäne seiner rebellischen Tochter, die ihrerseits die traditionellen Medien für irrelevant erklärt. Das aber ist nicht der einzige Frust, den Riggan im

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birdman Furioser Theater-„Kriegsfilm“ um Ego-Kämpfe am Broadway

Zuge seines Theaterprojekts wegstecken muss. Die Zeit vor und während der Premiere ist ein einziges Katastrophenszenario, nicht zuletzt wegen Riggans Spannungen mit Familienmitgliedern, Kollegen und Journalisten. Besonders zu schaffen macht ihm sein arroganter CoStar Mike, der ständig versucht, sich in den Vordergrund zu spielen. Außerdem bekommt Riggan in kleinen, ins Surreale spielenden Einschüben auch noch Gegenwind von seinem eigenen Superhelden-Alter Ego Birdman, das für Riggans neue Karriereentscheidungen nur Verachtung übrig hat. Seriöse, traditionsreiche Kunst versus massentaugliche Franchise-Filme, Printmedien versus Internet, hart erarbeiteter Ruhm versus Celebrity-Hype, Egotrip versus Teamarbeit: Iñárritus

„Birdman“ ist ein Kultur-Kriegsfilm. Und er ist so inszeniert, dass sich dieser Krieg ganz handgreiflich anfühlt; nicht bloß in der Szene, in der Michael Keaton als Riggan seinen Mitakteur und Konkurrenten Edward Norton mit einer zusammengerollten Zeitung prügelt. Die bewegliche Kamera, die wie in einer einzigen Plansequenz durch die klaustrophobischen Räume und Flure des Theaters und der umliegenden Straßen wandert, geht auf fast übergriffige Weise auf Tuchfühlung mit den Protagonisten, heftet sich aufdringlich an ihre Fersen. Selbst die anderen Figuren, vor allem die Theaterleute, mit denen Riggan zusammenarbeitet, scheinen im Umgang miteinander offensichtlich kein Gespür für so etwas wie „personal space“ zu kennen und rücken

sich rücksichtslos-aggressiv permanent auf die Pelle. Dazu hämmert immer wieder harter Percussion-Jazz auf das Geschehen ein. Neben seiner bestechend-suggestiven Inszenierung zeichnen „Birdman“ ein exzellentes Dialog-Drehbuch und brillante Darsteller aus - allen voran Michael Keaton, dessen Star-Persona als „Ex-Batman“ der Film kongenial nutzt. Auch ohne offensichtliche Schnitte gelingt Iñárritu dabei einmal mehr eine fesselnde, diesmal außerdem noch urkomische Montage verschiedener miteinander verschränkter Schicksale und Figurenperspektiven. So bissig die Satire auf übergroße Egos und Eitelkeiten im Showbiz-Milieu dabei mitunter auch ausfällt, verliert die Inszenierung doch nie den menschlichen Kern der Figuren

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neue filme kritiken

und ihrer Geschichten aus den Augen: Anders als in David Cronenbergs Hollywood-Farce „Maps to the Stars“ verströmen die Protagonisten bei aller Überdrehtheit hier nichts Monströses: den Abgrund des Scheiterns, des Alterns, der Einsamkeit, über dem der ehemalige „Birdman“ Riggan wie ein Ikarus schwebt, fürchten nicht nur die Showbiz-Leute. Felicitas Kleiner

bewertung der filmkommission

ein ehemaliger superhelden-darsteller will als theaterregisseur am broadway eine neue karriere starten, doch kurz vor der premiere einer raymond-carver-adaption scheinen sich kollegen, kritiker, seine rebellische tochter sowie sein eigenes „superhero“-alter ego gegen ihn verschworen zu haben. das virtuos inszenierte drama entfacht einen schwarzhumorigen „kultur“-krieg zwischen alten und neuen medien, kunst und entertainment, hoch- und popkultur, bei dem sich die kamera ohne sichtbare schnitte an die fersen der figuren heftet. die glänzend besetzte showbiz-satire brennt ein feuerwerk an scharfzüngigen dialogen ab, wobei stets existenzielle konflikte um die angst vor dem scheitern, dem altwerden oder der marginalisierung aufscheinen. – sehenswert ab 16.

usa 2014 regie: alejandro gonzález iñárritu buch: alejandro gonzález iñárritu, nicolás giacobone, alexander dinelaris kamera: emmanuel lubezki musik: antonio sanchez schnitt: douglas crise, stephen mirrione darsteller: michael keaton (riggan), Zach galifianakis (Jack), edward norton (mike), andrea riseborough (laura), emma stone (sam), naomi Watts, amy ryan länge: 120 min. | kinostart: 29.1.2015 verleih: fox | fsk: ab 12; f fd-kritik: 42 860

fräulein Julie Drama nach Strindberg

abstiegsangst und aufstiegsbegehren werden nie wieder so deutlich sichtbar wie in den hochsymbolischen Träumen der adligen Julie und ihres Hausangestellten John. Sie träumt, dass sie auf einer hohen Säule sitzt und herunter möchte, aber nicht kann. Er träumt, dass er auf einen hohen Baum klettern will, in dessen Ästen sich ein Nest mit goldenen Eiern befindet. Sie hat Angst, herunterzufallen, er fürchtet, nicht nach oben zu gelangen. Julie und John erzählen sich ihre Träume in einer der wenigen „entspannten“ Szenen des Films. Das gefährliche Spiel aus Verführung, Anziehung und Abstoßung, aus Begehren nach und Hass auf die Klassenzugehörigkeit des anderen wie auch auf die eigene, ist für einen Augenblick lang stillgestellt. Doch solche von gegenseitigem Verständnis und Nähe geprägte Momente entpuppen sich allerdings als umso tückischere: gerade die vermeintlichen „Schwächen“, der Kontrollverlust und die Selbstauflösung, bringen den Abgrenzungsmotor erst richtig auf Hochtouren. Keine Bewegung ist ohne ihr Gegenteil denkbar - symptomatisch verdichtet in der seltsam magnetischen Choreografie der beiden Figuren: ständig rennt eine von beiden weg, wird zurückgezogen, läuft der anderen nach,

reißt sich weg, stürmt nach vorne. „Fräulein Julie“, 1888 von August Strindberg für die Bühne geschrieben, zählt zu den meistaufgeführten Theaterstücken des schwedischen Dramatikers. Es wurde bereits mehrfach verfilmt; am bekanntesten ist wohl die Adaption von Alf Sjöberg aus dem Jahr 1951. Liv Ullmann verlagert den Schauplatz ins Irland des Jahres 1890, Strindbergs Text wird hier und da etwas gestrafft, im Wesentlichen aber bleibt der Film der Vorlage treu. Warum Ullmanns Wahl ausgerechnet auf diesen Stoff gefallen ist, bleibt rätselhaft. Der Klassenkampf zwischen Gräfin und Diener wirkt aus der Zeit gefallen. Zu Strindbergs Angst vor dem anderen Geschlecht bekanntlich polemisierte er gegen moderne Emanzipationsideen, nannte starke Frauen „Halbweiber“ und „entartet“ geht sie zwar entschieden auf Distanz, doch eine Revision hat sie mit ihrer Version nicht im Sinn. Ullmann inszeniert Julie als feingliedrige, nervöse und hitzige Frau mit stark neurotischen Zügen, mehr „woman under the influence“ als Grenzüberschreiterin aus freiem Willen. Filmisch verortet sich Ullmann ganz in klassischer Tradition. Zwar versucht sie dem Text das Bühnenhafte auszutreiben, ver-

lagert das Geschehen sogar mehrfach in den Garten und in schummrige Übergänge zwischen Herrenhaus und Bedienstetenräumen. Doch die Auflösung – die Großaufnahme als Intensitätsverstärker, Schnitt/ Gegenschnitt bei Dialogen – bleibt konventionell und schematisch. Wie Jessica Chastain immer mehr Form und Fassung verliert, ist allerdings fast schon ein „Special Effect“: aufgewühlte Frisur, rot geränderte Augen, in denen das Wasser steht, ein bläulicher Schimmer auf der weißen, fast pergamenthaften Haut - eine Frau kurz vor der Selbstauflösung. Mitunter wirkt Chastains schauspielerischer Einsatz aber auch ein wenig deplatziert. Es fehlt schlichtweg der passende Rahmen für all das Beben und Weinen und Schluchzen und Schreien. Esther Buss bewertung der filmkommission

eine gelangweilte junge gräfin will im irland des Jahres 1890 ihrem alltag entkommen und liefert sich in einer mittsommernacht mit einem bediensteten ein gefährliches spiel um macht und verführung, geschlechter- und klassenkampf, was für sie verheerende folgen nach sich zieht. die verfilmung von august strindbergs gleichnamigem theaterstück ist eine klassische adaption ohne interpretatorische neuansätze und bleibt filmsprachlich konventionell und schematisch. Zwar beeindruckt die emotionale tour de force der hauptdarstellerin, insgesamt aber lässt der film eine neue perspektive auf den stoff vermissen. – ab 14.

norwegen/großbritannien 2014 regie, buch: liv ullmann darsteller: Jessica chastain (fräulein Julie), colin farrell (John), samantha morton (kathleen), nora mcmenamy länge: 130 min. | kinostart: 22.1.2015 verleih: alamode | fsk: ab 12; f fd-kritik: 42 861

Filmdienst 02 | 2015

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