FILMDIENST 10/2013

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FILM DIENST Das Magazin für Kino und Filmkultur DE

€ 4,50 | www.filmdienst.de 66. Jahrgang | 9. Mai 2013

MUSEUM

Eine Augenweide EIN ORT FÜRS CHARISMA DES KINOS: DAS EYE-FILMMUSEUM IN AMSTERDAM

10|2013

Deutscher Filmpreis Mit „Oh Boy“ siegt das junge Kino TIPPS

Neue CDs: Jazz übers Kino

Jetzt Kommt es DiCK

SERIE: MAGISCHE MOMENTE

„Die Kinder des Olymp“ Marcel Carnés FilmkunstKlassiker

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Seiten Fernsehbeilage

• Außerhalb von Komödien haben dicke Darsteller im Kino wenig Karriere-Chancen • Stereotypen haben sich gewandelt, aber nicht aufgelöst

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filmDienst 10 | 2013

alle Filme im tV vom 11.5. bis 24.5. Das extraheft 52 Seiten Extra-Heft: Kritiken 80.000 Film-

Alle Filme im TV

lmdien u n t e r w w w. f i

st.de

DIE_FREMDE 16.5. ARD

I AM LEGEND 12.5. ProSieben

BRÜCKEN AM FLUSS 20.5. ARD

Ständige Beilage

BRIGHT STAR 12.5. arte

FILM

IM TV

CHERIE – EINE KOMÖDIE DER EITELKEITEN 14.5. WDR

11.5.–25.5.2013

THE DARK KNIGHT 17.5. ProSieben

DAS HAUS DER LADY ALQUIST 12.5. 3sat OCEANS’13 11.5. SF2

von Christoph Hochhäusler Unter Dir die Stadt von Ridley Scott Black Hwak Down Freund von Leo Kashin Kadisch für einen

[12.5. ARd ] [15.5.

sAt1 ]

[22.5. ARte ]

Bright Star | Bio Pic/Drama 12.5. arte I Am Legend Dystopischer Science-Fiction 12.5. ProSieben The Dark Knight Actionfilm 17.5. ProSieben

alla Churikova bringt in „emilie“ gänse zum singen S. 24

nicht nur in „the artist“ beweist John goodman schauspielerFormat jenseits des gardemaßes.

Kino 10

ZU BREIT FÜR DIE LEINWAND?

Akteure 18

Übergewichtige Darsteller scheinen in Hollywood-Filmen nur dann Chancen auf eine Star-Karriere zu haben, wenn sie ins Klischee der dicken Ulknudel passen. Abseits des Mainstreams sieht es etwas anders aus. Etwa bei Ulrich Seidls „Paradies: Liebe“. Eine Kino-Körperfett-Analyse. Von Stefan Volk + Sechs Porträts „dicker“ Darsteller

Im Rahmen der Kunstbiennale von Dubai hatte unser Autor Jens Hinrichsen Gelegenheit, sich mit der thailändischen Autorenfilm-Ikone Apichatpong Weerasethakul zu unterhalten. Ein Gespräch über Geister, Kino und Science Fiction.

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Die „fesche Lola“ ist nicht bei allen der „Liebling der Saison“. Der Deutsche Filmpreis sorgt immer wieder für Debatten: Renommierter Kulturpreis oder verwässerte Branchen-Trophäe? Ein Kommentar zur 63. Verleihung.. Von Horst Peter Koll

Nachrufe auf die Kinokünstler Jess Franco, Bigas Luna und Les Blank

DEUTSCHER FILMPREIS 2013

„KINO HAT FÜR MICH MIT GEISTERN ZU TUN“

IN MEMORIAM

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HITCHCOCKS ERBEN KOMMEN AUS SÜDKOREA! Dass sich Hollywood verstärkt für Filmtalente aus Südkorea interessiert, hat seinen Grund: Dort sorgen versierte Regisseure für eine Blüte des harten Suspense-Kinos. Von Jörg Gerle + DVD/BD-Tipps

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POESIE UND HUMOR zeichnen die Arbeiten der Regisseurin Alla Churikova aus, die zauberhaft animierte Kurzfilme (nicht nur) für Kinder erschafft. Ein Porträt. Von Horst Peter Koll + Weitere Kinderfilm-Neuigkeiten

Neue Filme auf DVD/Blu-ray 4

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Wenn er nur seine „Avengers“-Kollegen dabei hätte! Im Soloauftritt „Iron Man 3“ geht es Tony Stark beinahe ans Leben.

Film-Kunst 26

Neue Filme

KINO WIRD MUSIK Zwei außergewöhnliche Jazz-CDs huldigen dem Film. Von Ulrich Kriest

28 Titel: EuroVideo. S. 4/5: EuroVideo/Alla Churikova; Universum/UFA/Concorde/Paramount/Fox/Neue Visionen

EIN „EYE“ FÜRS KINO Das Filmmuseum Amsterdam hat sich nicht nur der Kino-Schaulust verschrieben; es ist selbst auch eine architektonische Augenweide. Von Niels Daniel Peiler

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FILME DENKEN, DENKEND FILMEN Frieda Grafe war eine der großen deutchen Filmpublizistinnen. Ihre Arbeit wird mit einer Buch- und Filmreihe gerade neu entdeckt. Von Claus Löser

+ ALLE STARTTERMINE

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MAGISCHE MOMENTE Das Kino verbeugt sich vor dem Theater und schafft einen Klassiker: Marcel Carnés „Kinder des Olymp“. Von Rainer Gansera

Kritiken und Anregungen?

Iron Man 3 [1.5.] Love Alien [16.5.] MansFeld [16.5.] No place on Earth [9.5.] Off the Beaten Track [9.5.] Out in the Dark [9.5.] Schimpansen [9.5.] Selam [18.4.]

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s. STAR TERK: INTO DARKNESS [stARt 9.5.]

Smashed [9.5.] Starlet [9.5.] Star Trek: Into Darkness [9.5. ] Stoker [9.5.] Kinotipp der katholischen Filmkritik

S. 40 PARADIES: HOFFNUNG

[16.5.]

Drama von Ulrich Seidl

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Ikone des französischen Kunstkinos: „Kinder des Olymp“.

BB King: The Life of Riley [9.5.]

In Cannes flaniert Mitte Mai die Arthouse-Elite über den roten Teppich. Das Kinopublikum daheim kann sich derweil mit dem Start in die Franchise-Saison behelfen. Und mit Filmperlen wie „Stoker“ und „Paradies: Hoffnung“.

The End of Time [9.5.]

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s. STOKER [stARt 9.5.]

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s. PARADIES: HOFFNUNG [stARt 16.5.]

Tilt [9.5.] Das weiterleben der Ruth Klüger [9.5.] voices of Transition [2.5.] woodstock in Timbuktu [16.5.]

Hollywood-Korrespondent Franz Everschor über TV-Serien, die berüchtigten Kino-Mördern huldigen

norman Bates und hannibal lecter sind wieder da!

RUBRIKEN Editorial Inhalt Magazin E-Mail aus Hollywood Im Kino mit ... Vorschau Impressum

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e i d r ü f t i e r b u Z n man stens, wen h c ö H ? n e rheld Dicke Supe hen darf! c örperbild über sie la ist einem K o in -K m a e ern fast Das Mainstr en Darstell k ic d s a d t, r Komöverpflichte asein in de -D n e h c is N nur ein aufweniaubt – bis rl e e k c e n ich die en, wie Ulr m h a n s u A ge r Film „para Seidls neue ung“. Eine dies: Hoffn fnahme. Bestandsau

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Dicke im Film

Kino

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Kino

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edes Mal, wenn ich fette Leute sehe, essen sie. Die sollen mir nur keine Scheiße erzählen von wegen Stoffwechselprobleme. Es liegt am Essen. Sie sind fett, weil sie das Falsche essen. Zuviel und ohne Unterbrechung.“ Als Eva (Tilda Swinton) das beim gemeinsamen Minigolfausflug zu ihrem Sohn sagt, ahnt sie noch nicht, dass es schon bald auf sie zurückfallen wird. Du bist für dein Leben selbst verantwortlich, lautet die Botschaft ihrer Worte in dieser Szene aus „We Need to Talk About Kevin“. Gilt das dann auch für Kevin (Ezra Miller), wenn er in der Highschool Amok läuft? Sind es also nicht die Gene, die aus Kevin einen Massenmörder geformt haben? Sind es seine Entscheidungen, ist es ihre Erziehung? Die Übergewichtigen vom Minigolfplatz müssen für diese zentralen Fragen des Films bloß als Vergleichsgrößen herhalten. Sie selbst bleiben namenlos im Bildhintergrund. Um sie geht es nicht. Nur um das, was sie symbolisieren. Das ist nichts Neues. Dicke sind es längst gewohnt, sich auf der Leinwand so wiederzufinden.

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Für Filme lässt sich die Frage, warum jemand dick ist, recht einfach beantworten: weil der Regisseur das so wollte. Körper fungieren im Kino in der Regel als Ausdrucksmittel; Wörter aus Fleisch und Blut, soziokulturell und psychologisch kodierte Chiffren. Ihr Übergewicht visualisiert Charaktereigenschaften; nicht selten Schwächen. Dicke sind im populären Kino (und Fernsehen) entweder lustig, Witzfiguren wie Oliver Hardy, John Candy, Bud Spencer (und Ottfried Fischer), oder fies wie Gert Fröbe als Kindermörder („Es geschah am helllichten Tag“) und Bond-Schurke („Goldfinger“). Gelegentlich sind sie auch beides; wie Emil Jannings als Gymnasialprofessor Rath in „Der blaue Engel“: Dass der überkorrekte, kauzige Lehrer am Ende lüstern und eifersüchtig der „feschen Lola“ verfällt, ist typisch für die filmische Darstellung von Dicken. Nicht nur beim Essen sind sie maßlos. Im besten Fall eignen sie sich zum gemütlich-genießerischen Balu-Bär, dem mit seinem runden Bauch gern auch mütterliche Attribute zugeschrieben werden. Im schlechtesten Fall wird aus ihnen ein Jabba the Hutt („Star Wars“): ein triebgesteuerter, sadistischer Fettwanst. Aus dem engen Käfig aus Sym-

bolen, in den (dicke) Körper im Film gesperrt werden, kommen noch nicht einmal die fantastischen Körper animierter Kunstwesen heraus.

1. Besonders eng ist es für Frauen Für Frauen, die im Weltkino die Rolle des „schönen Geschlechts“ einfach nicht loswerden, ist der körperliche Spielraum besonders schmal. Während sich beleibtere Schauspieler wie Jannings, Fröbe oder Axel Prahl auch an anspruchsvolleren Charakterrollen beweisen durften, und die Karriere für Stars wie Marlon Brando oder Gérard Depardieu mit ein paar Pfund mehr auf den Rippen erfolgreich weiterlief, sucht man solche Vorbilder für Schauspielerinnen fast vergeblich. Jenseits der Klischees – der herzensguten schwarzen Südstaaten-Mami, der Ulknudel, der resoluten Alten oder der fiesen Fetten – ist für übergewichtige Darstellerinnen auf der Leinwand kaum Platz. Als die Britin Keira Knightley rank und schlank nach Hollywood kam, stöhnte sie: „Ich bin hier doppelt so dick wie die anderen Schauspielerinnen.“ Fülligere, rundlichere oder auch nur normalgewichtige Nachwuchsdarstellerinnen haben in Hollywood kaum eine Chance. Selbst


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Für Frauen ist der körperliche spielraum besonders schmal. die wenigen Rollen in ihren Gewichtsklassen werden von Schauspielerinnen besetzt, die erst einmal mühsam 15 Kilo zulegen müssen, um auszusehen wie andere nach einer Abmagerungskur – siehe „Bridget Jones“. Die unrealistischen Vorbilder, die dieses rigide Schönheitsideal vermittelt, gehen Hand in Hand mit Vorurteilen gegenüber denjenigen, die es nicht erfüllen.

alle waren auch schon in den Buchvorlagen fies und fett. Trotzdem hätten die Filmemacher das nicht gedankenlos übernehmen müssen. Noch ärgerlicher ist es, dass in der Adaption von Paul Maars „Lippels Traum“ die Rolle eines brutalen dicken Schulhofrabauken extra hinzuerfunden wird. Bedenklich ist außerdem, dass selbst die wenigen dicken Helden, die es in der Kinderliteratur gibt, in der Verfilmung oft von dünnen Darstellern verkörpert werden. So machte Wolfgang Petersen aus dem dicken Bastian in „Die unendlichen Geschichte“ einen schlanken Bastian. Und Justus Jonas, der geniale pummelige erste Detektiv der „Drei ???“, wird

2. schon kindern werden klischees eingebläut Besonders problematisch ist das im kommerziellen Kinder- und Familienkino. Wenn dicke Jungen auf die Rolle des Fieslings oder Klassenclowns festgelegt werden und dicke Mädchen so gut wie gar nicht in Erscheinung treten, fehlt es übergewichtigen Kindern an positiven Identifikationsfiguren. An schlechten Beispielen herrscht dagegen zumindest für stämmige Jungs kein Mangel. Bei „Laura‘s Stern“ gibt es den gemeinen Harry, bei den „Wilden Kerlen“ den „dicken Michi“, bei „Harry Potter“ den verwöhnten, feigen Dudley. Sie Oliver Hardy (r.) als rundes Gegenstück zum „halben Hemd“ Stan Laurel

in den Filmen von Florian Baxmeyer zwar gelegentlich wegen seiner angeblichen Leibesfülle aufgezogen, ist aber augenscheinlich ein ganz normalgewichtiger Junge. Wie müssen sich die wirklich dicken Kinder im Zuschauerraum dabei vorkommen? Vielleicht so verunsichert wie die kleine Olive aus „Little Miss Sunshine“, als ihr dämmert, dass sie für eine Kinder-schönheitskönigin womöglich ein bisschen zuviel Babyspeck mit sich herumschleppt. Mit ihrer liebenswerten Kritik an hierarchischen Körperbildern bilden die Regisseure Jonathan Dayton und Valerie Faris im Filmgeschäft eine Ausnahme


3. alternativen jenseits des Mainstream Ganz allein stehen sie damit aber nicht. Auf den ersten Blick scheinen auch die Farrelly-Brüder in der Hollywoodkomödie „Schwer verliebt“ den kalifornischen Körperkult zu konterkarieren. Immerhin liebt ihr Held seine Rosemary auch noch, als er aus der Hypnose erwacht und sich die Gwyneth-Paltrow-Elfe als 3-Zentner-Weib entpuppt. Allerdings ist der von Jack Black verkörperte Held selbst ein kleines Dickerchen. Die „Hässlichen“ bleiben gewissermaßen unter sich. Und daran, dass Dicke in den Augen der Regisseure hässlich sind, lässt der derbe Humor des Films keinen

Zweifel. Außerhalb Hollywoods stehen die Chancen auf subversive Körperbilder naturgemäß besser. Percy Adlons „Out of Rosenheim“ oder Michael Schorrs „Schultze gets the blues“ greifen die Klischees von den schrulligen Dicken zwar auf. Sie reduzieren ihre Charaktere aber nicht darauf. Vielmehr erheben sie Marianne Sägebrecht bzw. Horst Krause zu Hauptfiguren, fotografieren sie mit Respekt und ohne sie zu diffamieren.

soziale stereotypen haben sich gewandelt, aber nicht aufgelöst.

4. körperbilder sind gesellschaftlich konnotiert Soziale Stereotypen, die mit Übergewicht verbunden werden, haben sich im

Odyssee eines Arbeiterhelden: Gerard Depardieu in „Mammut“

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HeinZ erHardt

W.c. fieLds

JoHn goodMan

Die Wirtschaftswunder-Ikone mit Gunther Philipp in „Ach Egon“

Kratzbürste Fields in „My Little Chickadee“; sein toughes Gegenüber ist Mae West

In „The Artist“ mimt John Goodman ein Regie-Schwergewicht der „Goldenen Ära“

Mit seiner pummeligen Physis war der Komiker mit der dicken Hornbrille sozusagen die Verkörperung der Wirtschaftswunderjahre der BRD: Wenn er im Kino oder auf der Bühne den harmlosen Spießbürger und Pantoffelhelden gab, konnte die Nation, die sich aus den Trümmern der Nachkriegsjahre aufgerappelt hatte, getrost lachen. Und lachte, wenn Erhardt zur Hochform auflief, doch immer auch über sich selbst, denn Erhardts Houmor beruhte darauf, seinen Zeitgenossen den satirischen Spiegel vorzuhalten. Sein zentrales Ausdrucksmittel war die Sprache: Mit ihr veranstaltete er Spielereien, deren Akrobatik der größtmögliche Kontrast zu seiner tapsigen Körperkomik war. Mit Filmen wie „Witwer mit fünf Töchtern“, „Immer die Radfahrer“, „Natürlich die Autofahrer“, „Der Haustyrann“ und „Ach Egon“ festigte er seinen Star-Ruhm auch als Kino-Ikone; seine Meisterstücke waren freilich seine Gedichte. Selbst wenn viele der Filme, in denen er mitwirkte, über das Prädikat „harmlose Blödelei“ nicht hinauskommen, profitierten sie von Erhardts linkisch-liebeswertem Charme und hintergründigem Witz.

Mit dem Klischee vom dicken Komiker als liebenswerter Gute-Laune-Knuddelbär hat W.C. Fields nur die kräftige Statur gemein. Ansonsten gilt: Dieser Bär hat Zähne. Und Haare darauf. Wie die anderen großen Stars der frühen US-Komödie begann Fields seine Karriere im Vaudeville; seinen Ruhm als Filmkomiker erlangte er vor allem in den frühen Tonfilmkomödien der 1930er-Jahre, die er zunächst für Paramount, später für Universal drehte (und z.T. auch selbst Drehbücher dazu beisteuerte). In seiner Leinwandpersona kondensierte sich in schwarzhumoriger Weise sozusagen der ganze Pessimismus der Zeit nach der Weltwirtschaftkrise. Der Mann mit der fleischigen Nase und dem runden Bäuchlein verkörperte meist genervte Bürger oder kleine Betrüger, die der alltägliche Kampf ums Geldverdienen und mit einer Terror-Brigade namens „Familie“ zu grummeligen Misanthropen und Trunkenbolden gemacht hat; im Kampf um ein Restchen Glück schrecken sie vor nichts zurück. Ein unwiderstehlicher Ausbund schlechter Eigenschaften, dessen Werk in Deutschland unbedingt neu entdeckt werden sollte.

Zu seinen erfolgreichsten Parts zählen der gutmütige Ehemann der komischen Kratzbürste „Roseanne“ in der gleichnamigen TV-Serie und seine ähnlich gelagerte Rolle als Oberhaupt der „Familie Feuerstein“. Dass sein schauspielerisches Spektrum Facetten aufweist, die weit über das dort umspielte Bild des sympathischsonnigen Dickerchens hinausgehen oder es sogar konterkarieren, verdankt Goodman nicht zuletzt den Gebrüdern Coen, für die er seit „Arizona Junior“ (1986) immer wieder vor der Kamera stand und schräge Charaktere zwischen Jovialität und Wahnsinn zum Leben erweckte - in „The Big Lebowski“ sorgt seine Figur sogar noch in absentia für einen der besten Lacher, wenn nach ihrem Tod die Freunde die Asche des Verblichenen ausstreuen wollen und der Wind dabei aus der falschen Richtung kommt. Dass Goodman auch jenseits komischer Rollen zu beeindrucken versteht, hat er schon in den 1980er-Jahren im Krimi-Klassiker „The Big Easy“ bewiesen und in seiner folgenden Karriere nicht allzu oft, aber doch immer wieder gezeigt. Derzeit dreht er mit George Clooney in Berlin „The Monument‘s Men“.

Filmdienst 10| 2013

Fotos: Jeweilige Filmverleihe/Heimkino-Anbieter

S TA R S I N Ü B E R G R Ö S S E


Fotos: Jeweilige Filmverleihe/Heimkino-Anbieter

Kino

Dicke im Film Lauf der Zeit zwar gewandelt, aber nicht aufgelöst. Eine Figur wie der von Mario Adorf gespielte, korpulente und schmierige Baulöwe Schuckert in Rainer Werner Fassbinders „Lola“ (1981) ist im modernen Kino schwer vorstellbar. Der Typus des fetten Bonzen, des Zigarre rauchenden, dickwanstigen Kapitalisten, wie ihn z.B. Gert Fröbe als Generaldirektor Preysing in „Menschen im Hotel“ (1959) verkörperte, ist Kino- und Kulturgeschichte. Stattdessen hat sich das Image des dicken Losers verhärtet. Dem begegnet man z.B. in Lee Daniels’ „Precious“. Die übergewichtige Titelheldin wächst in kaum erträglichen familiären Verhältnissen auf, der Vater verge-

waltigt sie, die Mutter ist depressiv. Allerdings bewahren Darstellerin Gabourey Sidibe und Regisseur Daniels „Precious“ vorm Absturz ins Klischee, indem sie sie als eine bewundernswert starke Persönlichkeit zeichnen. Gegen die diskriminierenden Klischees und Körperideale der westlichen Konsumgesellschaft inszeniert auch der österreichische Filmemacher Ulrich Seidl an. In „Paradies: Liebe“ versucht eine füllige Fünfzigjährige, dem Schlankheitsdiktat zu entfliehen, indem sie sich im Keniaurlaub die Illusion von Liebe erkauft. Seidl setzt den Körper Margarethe Tiesels ebenso ungeschönt wie unverblümt in Szene, ohne sie dabei bloßzustellen. In „Paradies: Hoff-

nung“, dem Abschlussfilm der „Paradies“Trilogie, schickt er seine 13-jährige Protagonistin zwar in ein Diätcamp. Dass Melanie mollig ist, spielt in dem Comingof-Age-Drama dennoch nur eine Nebenrolle. Seidl inszeniert das Mädchen als vielschichtigen Menschen, er reduziert es nie auf seine Maße. „Du bist voll hübsch“, findet Melanies Freundin, und als Melanie damit hadert, zu dick zu sein, tut sie das mit einem entschiedenen „so ein Blödsinn“ ab. Mit so einem Blödsinn aber, das zeigt Seidls Film auch, muss man sich als übergewichtiger Teenager unentwegt herumschlagen. Nicht nur in einem Bootcamp für Beleibte, sondern auch im Kino.

S E C H S P O R T R ÄT S KatHy Bates

roBBie coLtrane

MeLissa MccartHy

Von Bates‘ lebenslustiger Figur kann Jack Nicholson in „About Schmidt“ einiges lernen

Als Fernseh-Polizeipsychologe „Fitz“ gelangte Coltrane auch hierzulande zu Star-Ruhm

Hollywoods derzeitige Comedy-Queen, trickund temporeich in „Voll abgezockt“

Eine ihrer ikonischsten Rollen jagt einem die Gänsehaut über den Rücken: Kathy Bates war die irre Krankenschwester in der Stephen-King-Verfilmung „Misery“, die aus Liebe zu einer Romanfigur deren Schöpfer, einen Schriftsteller, durch die Hölle gehen ließ. Eigentlich eine üble Rolle: das Klischee einer dicken, frustrierten, sich in eine Fantasiewelt flüchtenden Matrone. Bates machte daraus trotzdem ein Kinoerlebnis. Was der Schauspielerin an Mainstream-kompatibler Schönheit fehlt, macht sie nicht nur hier an energetischer Präsenz wett - und lässt sich auf kein Genre festlegen: Komödiantische Tonarten beherrscht ebenso wie das große Drama; sie war die frustrierte Hausfrau in „Grüne Tomaten“, die burschikose neureiche Amerikanerin mit dem Herz auf dem rechten Fleck in „Titanic“ und die liebestolle Geschiedene in „About Schmidt“. Im Grunde hat Kathy Bates in ihrer Karriere die ganze Klaviatur weiblicher Dickenklischees rauf und runter gespielt. Weil sie mit ihrer starken persönlichen Ausstrahlung aber stets über die Rolle hinauswuchs, fällt das im Nachhinein kaum noch auf..

Den jüngerern Kinozuschauern wird der britische Mime vor allem als voluminöser Hagrid aus der „Harry Potter“-Reihe vertraut sein: Eine typische Dicken-Rolle, in der Coltrane als sympathischer Halbriese für komische Akzente sorgt, wobei sich hinter der enormen ruppigen Fassade ein weiches Herz und ein kindliches Gemüt verbergen. Dass Coltrane auch ganz anders kann, hat er in den 1990er-Jahren in der legendären Krimiserie „Cracker“ („Für alle Fälle Fitz“) bewiesen: Darin spielt er einen faszinierend vielschichtigen Polizeipsychologen, der den brillanten Geist eines Sherlock Holmes mit dem abgebrühten, leicht asozialen Gestus einer Noir-Helden verbindet und bei allem analytischen Verstand selbst einen Hang zu exzessiven Ausschweifungen - Alkohol, Glücksspiel, Ehebruch - aufweist. Hauptrollen von diesem Format hat ihm das Kino, sei es nun das britische Arthhouse-Kino (zuletzt z.B. in „Große Erwartungen“) oder das US-Kino leider kaum zu bieten. Da bleiben neben interessanten Nebenrollen doch nur wieder die komischen Lachnummern à la „Nonnen auf der Flucht“ (1990).

Sie ist derzeit das Schauspieler-Pendant zu Sängerin Beth Ditto: Die Alibi-Dicke, über die im Zuge ihrer ersten Kinohauptrolle in „Voll abgezockt“ sogar Glamour-Blätter wie die „Gala“ berichten und stolz vermelden, dass man es mit Talent auch dann schaffen kann, wenn man nicht gängigen Schönheitsidealen entspricht. Talent hat Melissa McCarthy tatsächlich, vor allem ein Mundwerk, das ihren Leibesumfang an Größe locker in den Schatten stellt. In „Brautalarm“ wie auch in „Voll abgezockt“ besticht nicht zuletzt, mit welcher Nonchalance die Figuren auftreten und wie entwaffend selbstbewusst-ehrlich sie sich geben - selbst wenn es sich wie in „Voll abgezockt“ um eine notorische Schwindlerin handelt. Während die Körper-Komik dieser Filme eher ins Peinliche tendiert, schlägt sich McCarthy auf dem Feld des trockenen Wortwitzes hervorragend. Ob ihr allerdings jenseits des Stereotyps der beleibten Ulknudel Raum gegeben wird, sich darstellerisch zu entfalten, wird sich zeigen. Ihre nächsten Parts, ob in „Hangover 3“ oder Paul Feigs Cop-Komödie „Taffe Mädels“, bleiben jedenfalls dem Image verpflichtet.

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8 0 . 0 0 0 F i l m - K r i t i k e n u n t e r w w w. f i l m d i e n s t . d e Stoker

Mystery-Horror

[start 9.5.]

FILM DIENST

Paradies: Hoffnung Drama

ALLE NEUEN FILME

Iron Man 3 Actionfilm

[start 1.5.]

[start 16.5.]

SO WERTET FILMDIENST hanDWerK

Die Qualität von Regie, Schnitt, Kamera, Musik.

Inhalt

Thema und Gehalt der erzählten Geschichte.

Darsteller

Die Leistungen der Schauspieler.

Je Kategorie vergibt die Redaktion von FILMDIENST max. 5 Punkte

Tilt

Coming-of-Age-Film

[start 9.5.]

Love Alien von Wolfram Huke [stARt 16.5.] Woodstock in Timbuktu von Désirée von Trotha [stARt 16.5.] Das Weiterleben der Ruth Klüger von Renata Schmidtkunz

S. 38 S. 42 [stARt 9.5.]

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neue filme

im Kino

STAR TREK: INTO DARKNESS [9.5.]

Vulkanier weinen nicht

Im neuen „Star Trek“-Film erwartet Mr. Spock & Co. eine Reise ins Ungewisse Mit Gefühlen tut sich Mr. Spock schwer. Das gilt für das „Bauchgefühl“, das seinen Captain James T. Kirk öfters zu unlogischen Entscheidungen motiviert, aber auch für seine eigenen emotionalen Regungen, die Spock trotz seines Glaubens an die kühle Vernunft mitunter heimsuchen. Wenn einem dann auch noch der WARP-Antrieb kaputt geht, während man sich auf feindlichem Gelände befindet, und man nicht weiß, wer Gegner und wer Verbündeter ist, wenn man zu Weltraumschrott zerschossen zu werden und seinen besten Freund zu verlieren droht, dann ist das auch für einen Halbvulkanier schlicht zum Heulen. Diejenigen, für die das alles klingonisch klingt, werden an „Star Trek: Into Darkness“ nur den halben Spaß haben:

Grundkenntnisse in Gene Roddenberrys Science-Fiction-Universum sind nötig, um J.J. Abrams liebevolle Neuinterpretation würdigen zu können. Deren Herzstück bleibt die spannungsreiche „Bromance“ zwischen Kirk und Spock, die in Abrams zweitem Ausflug ins „Star Trek“-Universum wieder mit- und gegeneinander um den richtigen Kurs für die „Enterprise“ ringen. Nachdem ein dubioser Ex-Agent namens John Harrison fast die ganze Führungsspitze der Sternenflotte eliminiert hat, lässt sich Kirk für die Racheaktion anwerben: Er soll mit der „Enterprise“ und neuartigen Torpedos den Planeten Kronos ansteuern, auf den sich Harrison geflüchtet hat. Das Problem: Ein offizieller Angriff wäre eine Provokation für die Klingonen, zu deren

Reich der Planet gehört; also ist die Enterprise in geheimer Mission unterwegs. Auf Kronos kommt es tatsächlich zum Showdown BEWERTUNG DER FILMKOMMISSION Fortführung des „Star Trek“-Relaunches von J.J. Abrams. Die Crew um Captain Kirk soll einen dubioser Ex-Agenten der Sternenflotte stellen, der ein Attentat verübte. Doch hinter diesem Verbrechen stehen weitreichendere Verwicklungen, in denen die „Enterprise“ aufgerieben zu werden droht. Der Film hält die Balance zwischen schauträchtigem Spektakel und Figurenzentriertem Drama, balanciert Heroismus mit Humor aus und bewahrt den optimistischen Ton der Fernsehserie. – Ab 14.

ver mit Harrison; doch der verläuft anders als geplant – und zwingt die „Enterprise“ auf eine Odyssee, bei der sie zwischen zwei mächtigen Gegnern aufgerieben zu werden droht. J.J. Abrams hat nicht nur mit IMAX-Kameras gearbeitet,

USA 2013 Regie: J.J. Abrams Buch: Roberto Orci, Alex Kurtzman, Damon Lindelof, nach der Fernsehserie von Gene Roddenberry Kamera: Dan Mindel Musik: Michael Giacchino Schnitt: Maryann Brandon, Mary Jo Markey Darsteller: Chris Pine (James T. HANDWERK

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INHALT

sondern den neuen „Star Trek“-Film obendrein in 3D gedreht. Das Resultat sind schwindelerregend schöne Bilder fremder Planeten, futuristischer Metropolen und gigantischer Schiffe in den Weiten des Alls. Diese Bilder bekommen Raum zum Atmen, ohne dass die Action zu kurz kommt oder die Figuren aus dem Blick verloren werden. Auffällig viele Nahaufnahmen lassen die Gesichter der Protagonisten das vermitteln, was die Story antreibt und erdet: die inneren Konflikte. Wie Drehbuch und Regie obendrein allen Crew-Mitgliedern schöne Auftritte verschaffen, ohne die Story zerfasern zu lassen, ist ein Kunststück für sich. Der Reise „in die Dunkelheit“ zum Trotz wird dabei der utopische Ton der Fernsehserie bewahrt: Den Glauben ans entwicklungsfähige Gute im Menschen (und Alien) kann auch der charismatischste Schurke nicht klein kriegen. Sein Heil sucht der Film nicht in den Extremen, sondern in der Balance: inhaltlich zwischen Kirk und Spock, zwischen Idealismus und Vernunft, stilistisch zwischen Spektakel und Intimität, zwischen Heroismus und Humor. Felicitas Kleiner

Kirk), Zachary Quinto (Spock), Benedict Cumberbatch (John Harrison / Khan), Zoe Saldana (Nyota Uhura), Alice Eve (Dr. Carol Marcus), Simon Pegg (Scotty), Karl Urban (Bones) Länge: 129 Min. Verleih: Paramount Kinostart: 9.5.2013 FD-Kritik: 41 694 DARSTELLER

Ausführliche Kritiken zu jedem Film Online unter www.filmdienst.de


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