Filmdienst 10 2017

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Bertrand Bonello

FILM DIenst Das Magazin für Kino und Filmkultur

10 2017

Mit seinem neuen Film „Nocturama“ gelingt dem Regisseur ein beklemmendes Pariser Stimmungsbild.

Volker Schlöndorff

Filmen bedeutet für den Regisseur, „ein Stück Leben durch die Kamera einzufangen“. Im Interview spricht er über die Arbeit an seinem neuen Werk „Rückkehr nach Montauk“.

out of Galiläa

Nicht nur Bibelfilme interessieren sich für die Christus-Figur. Diese wird immer wieder auch in anderen Genres zitiert.

War Joseph Beuys Populist? Regisseur Andres Veiel interessiert in seinem neuen Dokumentarfilm die politische Seite der Künstler-Ikone. www.filmdienst.de 11. Mai 2017 € 5,50 | 70. Jahrgang


iNhalt Die neuen Kinofilme Neu im KiNo

37 jahrhunDErtfrauEn

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bErlin rEbEl high school

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shin goDzilla

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1917 - DEr wahrE oktobEr

36 Das EnDE ist Erst DEr anfang

KiNotipp

der katholischen Filmkritik

Eine menschenfreundliche SozialTragikomödie von Bouli Lanners

ferNseh-tipps 56 Mit „This Is Us“ startet ProSieben eine preisgekrönte US-Familienserie um eine weiße Familie, die ein schwarzes Baby adoptiert. Das Erste zeigt den starbesetzten Fernsehfilm „Gift“ über die medikamenten-mafia.

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Fotos: TITEL: Piffl. S. 4/5: NFP, Splendid, Neue Visionen, Filmokratie, Piffl, Festival „Il Cinema Ritrovato“ Bologna, Wild Bunch, Sony

+ ALLE STARTTERmINE 50 1917 – Der wahre Oktober 11.5. 43 6 Jahre, 7 Monate und 16 Tage. Die Morde des NSU 18.5. 49 Berlin Rebel High School 11.5. 41 Beuys 18.5. 45 Borderland Blues 18.5. 45 Chips 20.4. 51 Conni & Co 2 20.4. 47 Denk ich an Deutschland in der Nacht 11.5. 44 Embrace 11.5. 36 Das Ende ist erst der Anfang 11.5. 51 Expedition Happiness 4.5. 45 Fahr ma obi am Wasser 11.5. 40 Fünf Sterne 11.5. 37 Jahrhundertfrauen 18.5. 46 Keeper 11.5. 51 Kolonya Cumhuriyeti 20.4. 42 National Bird 18.5. 39 Nocturama 18.5. 51 Queen of Katwe 20.4. 38 Rückkehr nach Montauk 11.5. 44 Shin Godzilla 4.5. 51 Sing it loud 18.5. 48 Ein Tag wie kein anderer 11.5. 51 The Bye Bye Man 20.4. 45 Überflieger – Kleine Vögel, großes Geklapper 11.5. 45 Unforgettable – Tödliche Liebe 27.4. 44 You’ll Never Walk Alone 18.5. 45 Zwischen den Stühlen 18.5.


10 | 2017 DIE ARTIKEL iNhalt

Der Künstler als Kunst: andres Veiel nutzt in seiner Doku archivmaterial, das joseph beuys in aktion zeigt

RUBRIKEN EDITORIAL 3 INHALT 4 mAGAZIN 6 DVD-KLASSIK 34 DVD/BLU-RAY 50 TV-TIPPS 56 FILmKLISCHEES 66 VORSCHAU / ImPRESSUm 67

KiNo

aKteure

filmKuNst

10 DiE zukunft DEs kinos

22 VolkEr schlÖnDorff

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10 MODERNE ZEITEN

22 VOLKER SCHLÖNDORFF

In seiner Essay-Reihe beleuchtet Patrick Holzapfel die Zukunft des Kinos mit Blick auf die Vergangenheit. Im zweiten Teil geht es ihm um eine verloren gegangene „Ideologie“ des Kinos.

In „Rückkehr nach montauk“ wendet sich der Regisseur von „Homo Faber“ noch einmal max Frisch zu. Ein Gespräch mit ihm über die Dreharbeiten in New York und die Filmarbeit als ständiger Neubeginn.

Von Patrick Holzapfel

Von Margret Köhler

16 NOCTURAMA

Bertrand Bonello erzählt immer wieder von menschen in selbstgewählter oder aufgezwungener Gefangenschaft. In „Nocturama“ verbarrikadiert sich eine Gruppe junger Terroristen in einem Kaufhaus. Eine beklemmende Parabel. Von Ulrich Kriest

20 ANIMIERTE ÜBERFLIEGER

Deutsche Animationsfilme führen ein Schattendasein. Toby Genkel und Reza memari, die macher von „Überflieger – Kleine Vögel, großes Geklapper“, lassen sich davon nicht abschrecken. Ein Interview.

24 ANDRES VEIEL

Joseph Beuys’ künstlerische Einlassungen auf Finanzsystem und Geldfluss sind aktueller denn je. Dies war für Veiel die Initialzündnung für seinen Dokumentarfilm über den Künstler. Ein Gespräch. Von Jens Hinrichsen

26 IN MEMORIAM

Starke Frauen und die musik waren rote Fäden im Schaffen von Regisseur Jonathan Demme. Außerdem: Erinnerungen an Gösta Ekman, Lola Albright, Gustavo Rojo, Clifton James.

jEsus-figurEn

27 E-MAIL AUS HOLLYWOOD

Gerüchte um Fusionspläne zwischen Hollywood-Studios und Internet-Riesen halten die Filmbranche in Atem. Von Franz Everschor

28 JESUS-FIGUREN

Nicht nur in veritablen Jesusfilmen erfreut sich der messias bleibender Aktualität. Jüngstes Beispiel: In Bouli Lanners’ „Das Ende ist erst der Anfang“ taucht er in der französischen Provinz auf. Von Martin Ostermann

32 LARISSA SANSOUR

Die palästinensische Künstlerin setzt sich mit der politischen Situation ihres Landes auseinander – mit mitteln des Genrekinos. Die Kurzfilmtage Oberhausen widmen ihr einen Schwerpunkt. Von Claus Löser

Von Thomas Klein & Rainer Dick

Von Holger Twele

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AKTEURE VOLKER SCHLÖNDORFF

Interview mit Volker Schlöndorff zu „Rückkehr nach Montauk“

Leben mit Fehlern

Am Anfang hält Stellan Skarsgård als Schriftsteller Max Zorn einen Monolog über das, was im Leben zählt. Er redet vom Bedauern über das, was wir getan haben, und vom Bedauern über das, was wir nicht getan haben… Schlöndorff: Dieser Text ist nicht von Max Frisch, sondern von Drehbuchautor Colm Tóibín und war eigentlich für einen Roman gedacht, an dem er zur selben Zeit arbeitete. Ich fand den Text so toll, dass wir ihn in den Film genommen haben. Trotz des Arguments, dass dies doch gar nicht ginge auf der Leinwand: ein Mann, der fast zehn Minuten vor der Kamera spricht. Aber es handelt sich um einen Schriftsteller, und da muss man zeigen, wie er mit Worten umgeht. Colm und ich haben sehr autobiografische Elemente in das Drehbuch fließen lassen. Wie Frisch frage auch ich mich: Habe ich einem anderen Menschen wehgetan, ihn schlecht behandelt? Sie kennen dieses Gefühl der Reue, die Frage „Was wäre wenn“? Schlöndorff: Im Berufsleben trifft man dauernd Fehlentscheidungen. Aber bei

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der Verbindung zu einem anderen Menschen gehen einem diese besonders nahe. Das fängt schon bei den Eltern an mit der Frage: Warum habe ich mit meinem Vater nie über ein bestimmtes Thema gesprochen? Und ganz konkret frage ich mich: Warum habe ich mich eigentlich von Margarethe von Trotta getrennt? Wir verstehen uns heute wunderbar, aber damals war es unmöglich, auch nur in einem Raum zusammen zu sein. Zwei Jahre lang. Warum? Man kann nie sagen, es war ein Fehler. Ich glaube, man tut in jedem Moment nur das, was man tun kann. Vielleicht kann man gar nicht anders. Deshalb sage ich mir auch, höre doch mal auf, mir dir zu rechten, gehe doch nicht so hart mit dir ins Gericht. Bei gefährlichen Liebschaften heißt es immer: „It’s beyond my control“. Allerdings sind es da hauptsächlich Hormonkontrollen. Aber auch sonst gibt es im Leben oft eine Situation „beyond my control“. Sind Sie sentimental? Schlöndorff: Jedenfalls heule ich im Kino wie ein Schlosshund.

Im Film heißt es einmal, Europa würde zusammenbrechen. Keine sehr optimistische Aussage. Schlöndorff: Wir haben ein Problem der Institutionen und der politischen Strukturen, aber Europa blüht und ist als kulturelle Realität unglaublich, den Bürgern geht es gut. Die jungen Leute reisen quer durch die Länder, studieren überall mit großer Selbstverständlichkeit. Da klappern die uralten Bürokratien noch hinterher. Ich halte den Brexit für idiotisch, kann aber die Menschen verstehen, die nicht mehr von irgendwelchen Bürokraten bevormundet werden wollen. Sie machen seit mehr als 50 Jahren Filme. Glauben Sie noch an die Kraft der Veränderung durch Kunst? Schlöndorff: Ich bin nach wie vor ein politischer Mensch, auch wenn ich meinen Standpunkt geändert habe, vom RAFSympathisanten zum Merkel-Unterstützer. Es wäre dumm, wenn man sich nicht ändern würde. Ich habe nur ein begrenztes Vertrauen, dass man durch Kunst oder politisches Engagement, Demonstrationen oder


Mehr als 25 Jahre nach seiner Verfilmung von „Homo Faber“ (1990) nähert sich Volker Schlöndorff erneut Max Frisch an: „Rückkehr nach Montauk“ (Kritik in dieser Ausgabe) ist eine Hommage an seinen Freund Frisch und fragt, losgelöst von dessen Betrachtung einer verlorenen Liebe, nach der Möglichkeit einer zweiten Chance. „Rückkehr nach Montauk“ ist wohl Schlöndorffs persönlichster Film. Im Interview spricht er über schmerzhafte Erinnerungen, Fehlentscheidungen und politisches Engagement. Das Gespräch führte Margret Köhler.

Fotos: Wild Bunch

Aufrufe wirklich etwas verändern kann. Die letzte Erfahrung war, als wir als Grüppchen vor die russische Botschaft gezogen sind, um gegen die Bombardierung von Aleppo zu protestieren. Viel zu spät und viel zu wenig. Aber wir sagten uns: Da muss man doch was tun. Diesen Impetus gibt es immer noch, Engagement gehört nach wie vor dazu. Ich bin keineswegs resigniert, stelle nur fest, dass sich die meisten Ziele, für die man sich engagiert hat, in eine andere Richtung entwickelt haben. Aber immerhin haben wir 1980 mit dem Film „Der Kandidat“ vielleicht die Wahl von Franz Josef Strauß zum Kanzler verhindert. Inwieweit hat sich die Arbeit geändert? Schlöndorff: Da hat sich eigentlich überhaupt nichts geändert. In dem Moment, wo man am Drehort ist, gibt es eine Kamera und zwei, drei Leute um die Kamera herum, zwei, drei Leute davor. Ich kann mir vorstellen, dass es schon in der Stummfilmzeit so ähnlich gewesen ist, wenn man sich die Fotos aus dem frühen Studio Babelsberg anschaut, da wurden die Kameras noch mit

der Hand betrieben. Filmarbeit bedeutet, ein Stück Leben durch die Kamera einzufangen. Nur die technischen Mittel sind andere. In New York drehten Sie fast im Guerilla-Stil auf der Straße… Schlöndorff: Wir verfügten nicht über den Apparat und das Budget für Drehgenehmigungen, die Absperrung von Straßen oder das Engagement von Komparsen. In New York braucht man auch keine Komparsen als Spaziergänger oder Straßenpassanten, an jeder Kreuzung laufen sowieso genug Leute herum, unter die man sich unauffällig mischen kann. Wenn man ohne Stativ und Beleuchtung arbeitet, kümmert sich niemand um ein kleines Filmteam. Die New Yorker sind da einiges gewöhnt. Und die Digitaltechnik erleichtert heute vieles. Ich finde es immer wieder fantastisch, zu drehen, ohne mir wie früher darüber den Kopf zu zerbrechen, wie viel Kosten durch jeden Meter Film entstehen. Heute macht man eben noch einen Take. Und es wird mit jedem Take lockerer. So war es auch mit Nina Hoss und ihrem langen Monolog. Man

kann die Kamera laufen lassen, ohne groß zu diskutieren. Ein bisschen wie bei Leichtathleten, die immer wieder trainieren. Sie arbeiten viel mit Tageslicht sowie mit den Gesichtern der Schauspieler. Schlöndorff: Unser Leitbild war Sven Nykvist, bekannt für seine „unsichtbare“ Lichtsetzung in den Ingmar-Bergman-Filmen. Bei seinen Bildern denkt man, das Licht kommt aus den Schauspielern selbst. Und an den Stränden von Montauk herrschte ein ganz spezielles Licht. Mit Edgar Reitz und Alexander Kluge gehören Sie zu den drei dienstältesten deutschen Regisseuren. Fühlen Sie sich als „Elder Statesman“ oder gar als „Relikt“? Schlöndorff: Weder noch. Ich habe ein Gefühl wie bei einem Auto, irgendwann stellt man den Zähler wieder auf null bei den Kilometern, und dann fahre ich wieder los. Das sind für mich immer wieder Neuanfänge mit Unterbrechungen. Deshalb stelle ich mir die Frage gar nicht. Arbeiten empfinde ich als etwas ganz Selbstverständliches. •

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j e s u s -T r a n s f i g u r aT i o n e n i n n e u e r e n s p i e l f i l m e n Die biblische Geschichte von Jesus von Nazareth ist 2000 Jahre alt. Dennoch wird das Kino nicht müde, sich an dieser Figur abzuarbeiten. Neben „echten“ Jesus-Filmen wie zuletzt „40 Tage in der Wüste“ taucht Jesus auch in Filmen auf, die mit dem biblischen Kontext nur wenig zu tun haben, aktuell in Bouli Lanners’ „Das Ende ist erst der Anfang“. Ein Streifzug durch Filme und Figurationen, die hinter den Jesus-Stereotypen mit aktuellen Themen und grundsätzlichen Fragen konfrontieren. Von Martin Ostermann

„Bist du der Plötzlich steht er da, ein einfach gekleideter Mann mit Vollbart, mitten auf dem Weg. Willy und Esther, die sich auf der Flucht befinden, sind verängstigt. Willy zückt sogar seine Pistole. Der Fremde aber erweist sich als freundlich und zuvorkommend, hilft beim Feuermachen und sagt auf Nachfrage, dass er Jesus heiße. Schon platzt es aus Willy heraus: „Bist du der echte Jesus?“ Doch der Fremde fragt zurück: „Und wie heißt ihr?“ Diese Szene aus dem Film „Das Ende ist erst der Anfang“ (Kritik in dieser Ausgabe) des Belgiers Bouli Lanners und die lange Zeit im Raum stehende Frage, ob man denn nun dem „echten“ Jesus begegnet sei, eignet sich gut als Beispiel dafür, wie die Jesus-Figur in gegenwärtigen Spielfilmen erscheint: Sie tritt eher unvermittelt und unvermutet auf, agiert als Person, die etwas zurückspiegelt und das Geschehen auf ganz eigene Art und Weise beeinflusst. Bei Lanners greift das auch auf die beiden Männer über, die Willy und Esther verfolgen: Cochise und Gilou sollen ihrem Auftraggeber nicht nur die Pistole, sondern vor allem auch das (gestohlene) Mobiltelefon zurückbringen. Sie stoßen auf unerwartete Schwierigkeiten, haben aber auch mit eigenen Gemütszuständen zu kämpfen. Gilou trifft dabei ebenfalls auf den Mann, der sich Jesus nennt. Auch hier findet eine Art Begleitung auf dem Weg durch Krankheit und Schwäche statt. Die Fragen nach dem, was als Nächstes kommt, und die Solidarität in Momenten der Schwäche machen die Jesus-Figur für den im Krankenhaus liegenden Gilou wertvoll. Erneut ist Jesus (scheinbar) plötzlich im selben Zimmer wie Gilou und verschwindet so schnell, wie er gekommen ist, wieder aus dessen Leben. Gilou aber, der sich vorher wenig für andere interessierte, macht durch die Begegnung eine Veränderung durch.

Jesus als Mit-Leidender Wie in „Das Ende ist erst der Anfang“ taucht die Jesus-Figur außerhalb des Bibelfilms im Kino oft dann auf, wenn Menschen an den

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Rand gedrängt werden, wenn sie der Hilfe bedürfen oder ihr Leben durch Leiderfahrungen gekennzeichnet ist. Eine ikonografische Szene ist die Begegnung des „Bad Lieutenant“ (dargestellt von Harvey Keitel) in Abel Ferraras gleichnamigem Film aus dem Jahr 1992. Der korrupte, drogensüchtige Cop, der die Vergewaltigung einer Ordensschwester aufklären will, gerät durch die Bereitschaft der Nonne, den Tätern zu verzeihen, an den Rand des Zusammenbruchs. Auf dem Boden einer Kirche kniend, sieht er den gemarterten Christus mit Dornenkrone vor sich stehen. Hilflos umklammert der sich krümmende Polizist weinend die Füße der Leidensgestalt. Als er aufblickt, schaut er einer älteren Frau ins Gesicht, die ihn auf die Spur der beiden Vergewaltiger führt. So wird die Szene in „Bad Lieutenant“ zum Symbol des absoluten Tiefpunkts der Hauptfigur, die nach der Christus-Begegnung aber fähig ist, ein letztes Mal „das Richtige“ zu tun. Der schweigende, leidende Christus wird zum letzten Halt; von ihm scheint zugleich die Kraft auszugehen, die Welt doch noch ein wenig besser zu machen.

Passionsgeschichten der anderen Art Oft bedarf es für eine solche Dramaturgie gar nicht des expliziten Zitats, das auf den (biblischen) Jesus verweist. Stattdessen nehmen die Figuren entscheidende Charakter- und Wesenszüge von Jesus auf und handeln, wie er es getan hätte. Dies kann im populären Film ebenso der Fall sein wie im ArthouseKino: Der Junge Trevor in „Das Glücksprinzip“ (2000) schafft es durch eine Art des „Weitergebens“, ein Schneeballsystem aus guten Taten zu initiieren. Allerdings erfährt er in seiner direkten Umgebung Ablehnung und lässt schließlich sogar sein Leben, weil er einem Schwächeren zu Hilfe kommt. Eine Passionsgeschichte anderer Art erlebt die naiv-gläubige und die Menschen liebende junge Bess in Lars von Triers „Breaking the Waves“ (1996). Auch ihr Handeln zum Wohl der anderen und das


echte Jesus?“

nicht gerade das heilige Land, dafür aber umso erlösungsbedürftiger ist die französische Provinz in »das ende ist erst der Anfang«. Aber auch dort gibt es einen Jesus, der den Leidenden beisteht. Filmdienst 10 | 2017

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der erlöser von der Leinwand Das populäre Kino setzt in der Jesus-Transfiguration den Fokus weniger auf die Leidens- als auf die Erlösungsgeschichte. Ein Grund dafür ist sicher das Erzählmuster der Heldenreise, das nach der entscheidenden Prüfung, also dem „Gang durch den Tod“, eine „Auferstehung“ und ein Leben in einer veränderten Wirklichkeit zum Ziel hat. Sei es Luke Skywalker (in „Star Wars“, Episoden IVVI), der in der weit, weit entfernten Galaxis das Gleichgewicht der Kräfte wiederherstellt, sei es Frodo Beutlin (in „Der Herr der Ringe“), der die Welt davor bewahrt, in der Dunkelheit zu versinken, sei es Harry Potter, der „Junge, der überlebte“, um zu verhindern, dass „Der-dessen-Name-nicht-genannt-werden-darf“ als Verkörperung des Bösen von allem Lebendigen Besitz ergreift, oder sei es der Hacker Neo (in „Matrix“), der die teuflische Ausgeburt der Maschinenwelt mit der Freiheit des menschlichen Geistes konfrontiert. Sie alle müssen (teils wortwörtlich) durch den Tod hindurchgehen, um das Leben und das Gute neu aufzurichten. Dabei sind es auch im populären Kino nicht immer nur männliche Figuren, die sich für diese Art der metaphorischen Übertragung anbieten. Eine Figur wie Katniss Everdeen aus „Die Tribute von Panem“ steht auf den Schultern von Lieutenant Ripley, die in vier „Alien“-Filmen gegen das Böse schlechthin antrat. Katniss Everdeen und Ellen Ripley eint, dass sie beide keine ganz einfachen Charaktere sind und ihnen ihre

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jeweilige „Bestimmung“ erst im Lauf der Zeit zufällt. Schließlich ist es der Kampf gegen böse Mächte und der Einsatz für das Leben der anderen, die sie zu konsequenten Kämpferinnen und Anführerinnen werden lässt, die sich zuletzt aber nach Ruhe und Frieden sehen – und somit eine ganz eigene Erlösungssehnsucht in sich tragen.

erlösungsbedürftige erlöser All diese Heldinnen und Helden sind letztlich erlösungsbedürftige Erlöser, an denen das Leiden nicht ohne Folgen vorübergegangen ist und deren Taten nicht die Endgültigkeit einer christlichen Erlösungsvorstellung in Anspruch nehmen können. Bei allen diesen Beispielen handelt es sich um Jesus-Transfigurationen in vertrauten Bahnen (im Sinne von Leiden, Tod und Auferstehung), die aber deutliche Grenzen in der Reichweite der Übertragung auf den biblischen Jesus erkennen lassen. Diese Grenzen sind in der eigenen Erlösungsbedürftigkeit zu sehen, aber auch in einer zuweilen moralischen Ambivalenz der Personen und in der Fehlbarkeit, die sie als Menschen auf dem Weg mit sich führen. Nur wenige Filme versinnbildlichen im zentralen Protagonisten eine durchgängig zu erkennende Jesus-Transfiguration. In dem belgischen Jugenddrama „Ben X“ (2007) ist die Hauptfigur zunächst ein Mensch mit Handicaps, der insbesondere am Asperger-Syndrom leidet. Dies hindert ihn daran, mit seinen Mitschülern in Kontakt zu treten und Beziehungen aufzubauen. Gleichzeitig sind seine Sinne aber besonders geschärft; er nimmt seine Umwelt überdeutlich wahr. Seine Leidensgeschichte ist zugleich die Geschichte der Erweckung: Nach dem Tod seines „alten Ich“ öffnet sich sein Leben für eine neue Wirklichkeit, für ein Leben in Beziehung, ohne dass Ben ein völlig anderer Mensch werden würde. Den Menschen, die ihn ablehnen (aber auch denen, die ihn lieben), hält er durch seine unverstellte Art den Spiegel vor. Wie Ben selbst sagt, habe er vergessen zu lernen, wie man lügt und betrügt. Indem er durch das Schicksal seiner eigenen Person auf die Folgen von Unmenschlichkeit, Betrug und Egoismus aufmerksam macht, stellt er für andere eine Befreiung, eine Erlösung dar. Aber auch dieser „Erlöser von der Leinwand“ bedarf der Begleitung und Befreiung durch andere: Ohne seine „Heilerin“, seinen „guten Geist“, kann er die Welt der Ablehnung, der brutalen Hackordnung und des Scheins nicht durchbrechen.

Wer lacht, wird selig – oder: Wunder gibt es immer wieder Eine Sonderrolle nehmen Jesus-Figurationen im Rahmen von Satire und Komödie ein. Ein Beispiel mit Kultpotenzial ist „Das Leben des Brian“ (1979): Brians Lebensgeschichte – angefangen von der Geburt im (Nachbar-)Stall über das öffentliche Wirken als Prediger und Wundertäter bis zur finalen Kreuzigung – verläuft parallel zum Leben des Jesus von Nazareth. Brian selbst ist keine Spiegelung der Jesus-Figur, doch die Inszenierung nimmt die populären Darstellungsweisen zahlreicher Jesus-Filme auf die Schippe und verteilt Seitenhiebe auf Frauen- und Studentenbewegung, religiösen Fanatismus oder sexuelle Revolution. Ein wenig anders läuft es in der weit weniger bekannten Satire „Der Gefallen, die Uhr und der

Fotos: NFP, Warner Home

Schicksal von Ablehnung, Leiden und unverschuldetem Tod lässt sie als Jesus-Transfiguration erscheinen. Lars von Trier variiert diesen Erzählansatz über drei Filme hinweg, in deren Zentrum jeweils eine an Jesus erinnernde Frauenfigur steht. So kann auch „Dancer in the Dark“ (2000) als „Versuchsanordnung dieser neuen Passionsgeschichte“ (Ulrich Kriest in FD 20/2000) gelesen werden. Diese Art der metaphorischen Gestaltung wird in der Geschichte von Grace (!) in „Dogville“ (2003) schließlich auf die Spitze getrieben. In der von Trier’schen Trilogie wird dem Leiden immer noch eine Art von Sinn zugeschrieben. Es gibt aber auch Filme mit Beispielen für nahezu unerträgliches Leiden, das unter Sinnlosigkeitsverdacht gerät, etwa in „Tore tanzt“ (2013) von Katrin Gebbe. Die Doppeldeutigkeit des Vornamens Tore, der als der naive Narr erscheint, kann ebenso kritisch gelesen werden wie dessen Leidensgeschichte, in der sich der junge Mann als Stellvertreter für einen bereits begonnenen (sexuellen) Missbrauch anbietet. Die JesusTransfiguration des Leidenden und unschuldig Getöteten wird für den Betrachter zur verstörenden Erfahrung, die eine Mischung aus Faszination und Abscheu hervorruft. Zuletzt sah man den Leidenden (Christus) in zwei sehr unterschiedlichen Filmen: „Kreuzweg“ (2014) und „Am Sonntag bist du tot“ (2014). Ersterer greift mit den Mitteln der kirchlichen KreuzwegSpiritualität das Problem des religiösen bzw. katholischen Fundamentalismus/Fanatismus auf. Der zweite hingegen knüpft an die Missbrauchsskandale in der katholischen Kirche an und erzählt die Passionsgeschichte eines (guten) Priesters, weitet sich aber zugleich zur universalen Schuld-und-Sühne-Erzählung, welche durch den Originaltitel „Calvary“ direkt auf die Passion Jesu verweist. Beide Filme enden aber mit dem scheinbar sinnlosen Tod der Hauptfigur, theologisch gesprochen in der Erfahrung des Karfreitags, was auch die jeweilige kritische Stoßrichtung unterstützt.


jesus-figuren fiLMkunst

fantasy-Pietà: hobbit frodo leidet beim schweren Gang auf den schicksalsberg wie einst Jesus beim Weg nach Golgatha

Vom himmel hoch… Jesus im Science-Fiction-Film Mit der naturwissenschaftlichen Erforschung des Weltraums und der Raumfahrt sollte der Himmel als Projektionsfläche des Göttlichen entzaubert sein. Doch Science-Fiction-Filme erzählen immer wieder vom genauen Gegenteil: Die Erlösungshoffnungen, die der Mensch mit dem Blick gen Himmel verbindet, mögen zwar ihre Gestalt verändert haben, erweisen sich jedoch als unverwüstlich. Entsprechend reisen immer wieder messianische Erlöserfiguren aus weit, weit entfernten Galaxien auf die Erde, um sich unter die Menschen zu mischen und ihnen Aussichten auf eine Erlösung (oder ab und an auch die Drohung eines Weltgerichts) zu bringen. Ein ikonisches Beispiel dafür ist der

sehr große Fisch“ (1991) von Ben Lewin. Dort verschwimmen die Fiktion von Heiligen- bzw. Jesusfotografie und die Realität eines mehr oder minder begabten Darstellers. Die Satire spielt letztlich mit der Leichtgläubigkeit und Naivität vieler Menschen, die bewusst Schein und Sein vermengen, um das Gewünschte Wirklichkeit werden zu lassen. Zuletzt sah man Jesus im Film als kleine Statue auf dem Wohnzimmerschrank – daheim bei Gott in Brüssel in „Das brandneue Testament“ (2015). Die meiste Zeit ruht eine dekorative Jesus-Statuette auf der Anrichte. Doch für wenige Momente wird Jesus lebendig und erteilt seiner jüngeren Schwester wertvolle Ratschläge. Diese Schwester mit Namen Ea sammelt auf Erden nicht nur sechs weitere Jünger zum Zwölferkreis hinzu, sondern kann auch über das Wasser gehen. Sie stiftet neuen Lebensmut und bewegt ihre Mutter dazu, das Ende der Welt abzuwenden. Gerade dieser satirische Blick ist oft lohnend, weil er kritisch nach den Koordinaten des jeweiligen Jesus-Bildes fragt: Handelt es sich um einen Wundertäter, der zur Erfüllung menschlicher Wünsche dient? Ist Jesu Passion und Auferstehung eine Freikarte, das Leben gefällig einzurichten und darauf zu hoffen, dass alles gut wird? Jesus-Transfigurationen im Film werfen einen Blick hinter Stereotype und Formeln. Sie brechen zentrale Bedeutungen der Geschichte des Jesus von Nazareth – sein Wirken unter den Menschen, sein Leiden und Sterben sowie seine Auferstehung als Leben in einer neuen, göttlichen Wirklichkeit – auf die menschliche Gegenwart herunter und buchstabieren sie neu durch. Die Figur des Jesus von Nazareth gerät damit in Bewegung, wird Gegenstand aktueller Erfahrungen und kann überraschen, sodass man zu Recht fragt: „Bist du der echte Jesus?“ •

Außerirdische Klaatu aus dem gegen den Kalten Krieg mahnenden Klassiker „Der Tag, an dem die Erde stillstand“ (1951). In der Neuverfilmung (2008) verkörperte ihn bezeichnenderweise der durch die „Matrix“-Trilogie als moderner Jesus erprobte Keanu Reeves. Steven Spielbergs „E.T.“ hat mit seinem knubbeligen Körper und seinen langen, dünnen Gliedmaßen zwar optisch nichts mit Jesus-Darstellungen gemein, doch seine Geschichte lehnt sich im Leidensweg, im vorläufigen Tod und der abschließenden „Himmelfahrt“ an biblische Vorbilder an. Marvels Kino-Universum wiederum verleiht sogar dem „heidnischen“ Gott Thor (im ersten „Thor“-Film) einen christlichen Anstrich, indem es den auf der Erde gestrandeten Göttersohn jesusmäßig erst durch Selbsthingabe und Beinahe-Tod zum würdigen Anwärter auf den Thron von

Asgard reifen lässt. Komplexere Variationen christlicher Motive präsentiert Ridley Scott: In „Blade Runner“ versieht der Regisseur den Anführer der rebellierenden Replikanten (Rutger Hauer) mit christlichen Insignien (weiße Taube, Wundmale), wenn er den „Maschinenmenschensohn“ des technokratischen „Übervaters“ Tyrell am Ende das Martyrium erleiden und sterben lässt. In „Prometheus“ ist es die Gläubige (Noomi Rapace), die zu leiden hat: Voller Hoffnung darauf, ihren „Schöpfern“ zu begegnen, bricht sie mit einer Expedition ins Weltall auf – und wird in ihrer Heilssehnsucht bitter enttäuscht. In horresket Verkehrung der Jungfrauengeburt schneidet sie sich jene „göttliche“ Leibesfrucht (das Alien) selbst aus dem Uterus, die mächtige Außerirdische einst geschaffen haben, um wie ein Strafgericht über die Menschen zu kommen. • fkl

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kRitikEn neue Filme Graue Wolken bedecken den Himmel, die Sonne strahlt nur matt aus der Ferne, dumpf grollt der Donner. Unheil liegt in der Luft, über einem Landstreifen, der aussieht, als hätte die Apokalypse schon stattgefunden: Kahle Felder, verwüstete Fabrikruinen, menschenleere Straßen. Das einsame Paar, das auf einer vor Jahrzehnten aufgelassenen Bahnstrecke entlangwandert, fürchtet den Weltuntergang. Die verängstigten Streuner Willy und Esther, verwahrlost und offenbar auch leicht zurückgeblieben, wandeln auf den Spuren von Esthers Tochter. Das Lebensnotwendige stehlen sie sich zusammen. Bei einer dieser Gelegenheiten hat Willy eine Pistole und ein Handy mitgehen lassen, was nun eine sehr konkrete Gefahr heraufbeschwört. Denn der Besitzer will vor allem das Telefon zurückhaben und schickt den Dieben zwei seiner Männer hinterher. Die in Unehren ergrauten Rocker Cochise und Gilou können dem Auftrag zwar wenig abgewinnen, doch ein Peilsender im Handy verspricht raschen Erfolg. So begeben sie sich auf die Straße, ohne zu ahnen, wohin sie diese undankbare Aufgabe führen wird. Von diesem Ausgangspunkt aus hebt Bouli Lanners’ „Das Ende ist erst der Anfang“ zu einer erstaunlichen filmischen Reise an. Die vierte Regiearbeit des belgischen Schauspielers beginnt ähnlich wie sein Film „Eldorado“ (2008) mit einem archetypischen Road-MovieSzenario, dessen dramaturgische Stationen mit den arglosen Verfolgten, den unwilligen Verfolgern und der vor beiden Parteien liegenden Strecke vorgegeben scheinen. Mit markanten Folkgitarren-Klängen als musikalischer Untermalung und seinen gealterten Kopfgeldjägern, von denen einer nach einem legendären Apachen-Häuptling benannt ist, nimmt sich Lanners

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Das Ende ist erst der Anfang So großherzig wie grandios: eine Tragikomödie von Bouli Lanners zudem erneut Motive des Westerns vor, denen er durch formale Konsequenz einen surrealen Touch verleiht. So geraten Cochise und Gilou unvermutet in eine Ecke der französischen Provinz, in der wie im Wilden Westen die Zivilisation nie richtig angekommen ist. Der Tonfall gegenüber Fremden ist rau, die Waffen der lokalen Desperados sitzen locker und der nächste Anfall von Lynchstimmung ist nie weit entfernt. Die kräftig gebauten Altrocker mögen glimpflich davonkommen, doch schwächliche Herumtreiber wie Willy und Esther können in dieser Gegend auf keine Gnade hoffen. Besser gesagt: könnten, denn Lanners lässt die Figuren Beistand von unerwarteter Seite finden. Jesus höchstpersönlich taucht immer wieder auf, um sich des Streunerpaares anzunehmen und ihm mit Essen, Ratschlägen und Trost beizustehen. Auch Gilou, der nach einer Herzattacke für kurze Zeit in einer Klinik liegt, hat eine Begegnung mit ihm, die dem ziemlich auf

sich und seinen Hund konzentrierten Mann neue Perspektiven eröffnet. Fernab der verklärt-kitschigen Inszenierung einschlägiger „frommer“ Filme ist der von dem hageren französischen Charakterdarsteller Philippe Rebbot gespielte Jesus bei Lanners ein Einzelgänger, der sich ohne erkennbaren Gottesbeistand, Wunderkräfte oder Jüngerschar behaupten muss, trotzdem aber unverdrossen seinen Weg verfolgt. Seine unvermittelten Auftritte sind pointiert, mitunter auch voll schwarzen Humors, dabei aber durchweg sehr ernsthaft in Szene gesetzt. Die Notwendigkeit, am Schicksal anderer Menschen durch Gedanken, Worte und Taten Anteil zu nehmen, steht für den Film außer Frage. Jenseits der Jesus-Szenen etabliert Lanners dies auch in anderen Sequenzen, in denen das schroffe Auftreten der Hauptfiguren auf berührende Weise aufgebrochen wird. So entdeckt der wortkarge Cochise durch eine einsame Frau seine weiche Seite, und Gilou wird durch

einen greisen, aber höchst hilfsbereiten Hotelier auf neue Bahnen gelenkt. In diesen Momenten entwickelt der Film eine immense Zartheit, die sich aufs Wunderbarste mit dem herben Lederjacken-Charme der Road-Trip-Szenen ergänzt. Obwohl Landschaft und Ambiente durchweg authentisch sind – gedreht wurde in der Region La Beauce südlich von Paris, deren Winterklima tatsächlich sehr menschenfeindlich ist –, strebt der Film keinen Realismus an. Mit seinen stilsicheren Anleihen bei unterschiedlichsten Genres und seinen wechselnden Tonfällen ist „Das Ende ist erst der Anfang“ ein lupenreiner Vertreter des postmodernen Zitatenkinos, allerdings trotz mancher Gewaltsequenz gänzlich ohne die Herzlosigkeit, die etwa den Coens oder David Fincher oft vorgeworfen wird. In den lakonischen Dialogen und der liebevollen Figurenzeichnung zeigt sich Lanners eher dem Geist eines Aki Kaurismäki oder Jim Jarmusch verwandt, schlägt darüber hinaus mit überwälti-


neue FiLme kritikEn gender Leichtigkeit aber auch den Bogen zu den absurden Theaterstücken eines Samuel Beckett, zu John Fords elegischen (Ersatz-)Familien oder den Gewissensdramen eines Ingmar Bergman. So disparat diese Elemente scheinbar auch sind, greifen sie doch mit einer virtuosen Folgerichtigkeit ineinander, die ebenso verblüfft wie begeistert. In seinem Einfallsreichtum und seiner zutiefst empfundenen Menschlichkeit ist „Das Ende ist erst der Anfang“ ohne jede falsche Note: Formvollendet, großherzig und weise. Grandios. Marius Nobach

BEwErtUng DEr FiLMkOMMiSSiOn

Zwei gealterte Rocker sollen für ihren Boss ein Handy wiederbeschaffen, das ein junges StreunerPaar mitgehen ließ. Dabei treffen sie in einer unwirtlichen Gegend auf feindselige Provinzler, werden aber durch unerwartete Begegnungen auch auf neue Bahnen gelenkt. Das verfolgte Paar erhält derweil unverhoffte Hilfe, als ihm Jesus erscheint. eine brillant inszenierte, von warmherzig gezeichneten Figuren lebende Tragikomödie, die souverän Road movie und Western zitiert und mühelos den Bogen zwischen schwarzem Humor und existenziellem Drama schlägt. Zugleich plädiert der Film unaufdringlich für die notwendigkeit gegenseitiger Anteilnahme. – Sehenswert ab 16.

LES PrEMiErS, LES DErniErS Scope. Belgien/Frankreich 2015 regie: Bouli Lanners Darsteller: Albert Dupontel (Cochise), Bouli Lanners (Gilou), Suzanne Clément (Clara), michael Lonsdale (Jean-Berchmans), David murgia, Aurore Broutin Länge: 97 min. | kinostart: 11.5.2017 Verleih: nFP | FSk: ab 12; f FD-kritik: 44 668

Jahrhundertfrauen ein meisterwerk In seinem Film „Beginners“ (2010) versuchte Regisseur Mike Mills, sich mit seinem Vaterbild auseinanderzusetzen. Diesmal ist es die Mutter, die er in Dorothea, der Hauptfigur von „Jahrhundertfrauen“, verlebendigt. Dorothea lebt in einem alten viktorianischen Haus, einem wunderschönen, aber vernachlässigten Gebäude, an dem unaufhörlich gehämmert und renoviert wird. Noch bevor die Story richtig begonnen hat, ahnt man, dass dieses Haus nicht nur Herberge, sondern auch Symbol für den Seelenzustand seiner Bewohner ist: Dorothea, ein Kind der Depressionszeit, Kettenraucherin und späte Mutter, unmerklich hineingewachsen in eine Zeit, in der Kinder Fragen stellen, die zu ihrer eigenen Jugendzeit keiner über die Lippen gebracht hätte; Sohn Jamie, noch mittendrin im Erkundungsdrang eines Teenagers, neugierig auf die Welt draußen, in die ihn zwei Mitbewohnerinnen des großen Hauses manchmal entführen; die rebellische Julie, die nachts über das Baugerüst in Jamies Zimmer klettert, mit ihm kuschelt, aber den ersehnten Sex verweigert; und die etwas ältere Abbie, eine an Krebs erkrankte Fotografin, die Jamie mit Feminismus und Punk-Musik bekanntmacht. Dann ist da noch William, der mit der Renovierung des Hauses ebenso wenig fertig wird wie mit dem Vorsatz, sein Leben in geordnete Bahnen zu lenken.

„Jahrhundertfrauen“ ist mehr ein Zustandsbild als eine abgeschlossene Geschichte, was schon der Stil des Films klarmacht. Obwohl die Handlung in dem von Hippies und ausgeflippten Frührentnern bevölkerten Küstenstädtchen Santa Barbara während der 1970erJahre spielt, springt Mills hemmungslos durch die amerikanische Geschichte und lässt sich über die mannigfachen Beweggründe aus, die Menschen wie Dorothea, Jamie, Julie, Abbie und William hervorgebracht haben. Er tut das mit viel Sinn für Humor und immer wieder einem kurzen Innehalten, das dem Zuschauer Gelegenheit gibt, seine eigenen Gedanken einzubringen. Die Figuren seiner Story werden bis zum Ende kaum älter, gewinnen aber von Szene zu Szene an Profil. Vor allem Dorothea nimmt Gestalt an: Aus der zu Anfang etwas ungekämmten, unorientiert wirkenden Frau, die ihren Sohn spät geboren hat und von der man nicht weiß, ob sie ihr partnerloses Leben gewählt oder erlitten hat, wird eine Mutter, die ihre Rolle, wohl nicht ohne gelegentliches Zögern, angenommen hat und mit erfüllender Selbstbewusstheit lebt. Annette Bening, diese abseits allen Starkults in Hollywood seit Jahrzehnten verehrte Schauspielerin, macht aus Dorothea eine der schönsten Frauengestalten des zeitgenössischen Filmschaffens. Es ist vor

allem ihrer Darstellung zu verdanken, dass es dem Film gelingt, sich ganz allmählich zu einer bewegenden Annäherung an das Enigma des Mutterseins zu verdichten – und das, ohne seinen lockeren und amüsanten Tonfall zu verlieren. Franz Everschor BEwErtUng DEr FiLMkOMMiSSiOn

eine alternde, alleinerziehende mutter im kalifornischen Küstenstädtchen Santa Barbara fühlt sich von den Anforderungen der Pubertät ihres spät geborenen, 15-jährigen Sohns überfordert und bittet die beiden mitbewohnerinnen ihres viktorianischen Anwesens um Hilfe. eine humorvolle und bewegende, ebenso eigenwillig wie meisterhaft inszenierte Annäherung an das enigma des mutterseins. Getragen von der vorzüglichen Hauptdarstellerin, aber auch von profiliert interpretierten nebenrollen fesselt die Beschreibung der mutter-SohnBeziehung vor dem Hintergrund einer sich verändernden Gesellschaft. – Sehenswert ab 16.

20tH CEntUrY wOMEn. Scope. uSA 2016 regie: mike mills Darsteller: Annette Bening (Dorothea Fields), Greta Gerwig (Abbie), elle Fanning (Julie), Billy Crudup (William), Lucas Jade Zumann, Alison elliott Länge: 119 min. | kinostart: 18.5.2017 Verleih: Splendid | FSk: ab 0; f FD-kritik: 44 669

Filmdienst 10 | 2017

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kritikEn dvd/Blu-ray/Internet

Ein verkappter Drogendealer, ein geistig unterforderter Geldeintreiber und ein völlig durchgeknallter Loser. Das sind Troy, seines Zeichens Kopf der Truppe, Diesel, der starke Arm des Teams, und Mad Dog, der große Unbekannte. Sie kennen sich aus dem Knast, haben sich alle schon einmal gegenseitig aus dem Schlamassel geholfen und kommen ohne einander offensichtlich nicht aus. Gerade wieder frisch in Freiheit, gilt es, irgendwie über den Tag zu kommen und das Leben mit Huren und Drogen einigermaßen würdevoll zu gestalten. Doch Troy will mehr. Zum Glück hat er einen guten Draht zum lokalen Mafiaboss, der dem Team schon mal mit 5.000 Dollar-Jobs über die Runden hilft. Doch Troy will noch mehr. Da kommt es zupass, dass ein Mitglied der „Familie“ noch eine Rechnung mit einem Konkurrenten offen hat. Es geht um vier Millionen Dollar, die er nicht zahlen will. Willigt Troy ein, das Baby des Säumigen als Druckmittel zu entführen, winken dem Trio 750.000 Dollar. Keine Frage, dass sie sich auf diese Chance einlassen. Doch der vermeintlich problemlose Job gerät außer Kontrolle, als Mad Dog während der Entführung ausgerechnet jenen über den Haufen schießt, der die vier Millionen Dollar überweisen soll.

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Filmdienst 10 | 2017

Dog Eat Dog Kriminalität als Sucht: Paul Schraders Krimi mit Nicolas Cage und Willem Dafoe Paul Schrader versucht sich an einem Stück tragikomischem Gangsterkino über gebeutelte Seelen. Das haben andere vor ihm auch schon gemacht, Quentin Tarantino in Hollywood oder Takashi Miike in Japan. Tarantino hat damit den „schmutzigen“ Genrefilm ein Stück weit gut aussehen lassen und für den Mainstream tauglich gemacht, Miike hat gezeigt, dass im Kino der Brutalitäten eine absurde Komik stecken kann. Irgendwo dazwischen bewegt sich nun der Altmeister, der einst die Drehbücher zu „Yakuza“ und „Taxi Driver“ verfasste und damit das intellektuelle Genrekino revolutionierte. Bei Schrader trifft „Kopfkino“ auf gefällige Coolness und Absurdität, und so erklärt sich auch der furiose Einstieg, während dem Mad Dog in einer Art Drogen-Euphorie (noch vor dem Vorspann des Films) nahezu beiläufig seine Ex-Geliebte und deren Tochter massakriert. Schrader inszeniert diese Verkettung von „dumm gelaufenen Momenten“ fast schon im Stil eines Nicolas

Winding Refn in hyperscharfem, monochrom altrosa viragiertem Bild als audiovisuellen Overkill. Ganz so abgefahren wie der Prolog bleibt die cineastische Achterbahnfahrt dann aber nicht. Der visuelle Künstler Schrader, der dem CinemaScope wieder einige abenteuerliche Bildeinfälle abringt, verlegt sich im Mittelteil weniger auf Action und Brutalität als auf minutenlange Dialogpassagen, die mitunter zu absurd komischen Pointen führen. Dabei ist „Dog Eat Dog“ nicht nur weitgehend temporeiches, visuell verspieltes „Aktionskino“, der Film bietet auch überraschendes Schauspielerkino. Schrader gelingt es, dem auf Grund seiner inflationären (Direct to Video-)Präsenz fast schon ausgebrannten Nicolas Cage mit der Rolle des alternden, beinahe bemitleidenswerten Kriminellen ein Stück weit Würde zurückzugeben. Auch Willem Dafoe bleibt als Psychopath unter der Schwelle des wilden Chargierens. Eine wirkliche Überraschung ist in-

des Christopher Matthew Cook als die intellektuelle Version eines glatzköpfigen, bulligen Türstehers, der auch aus einem Guy-Ritchie-Film entsprungen sein könnte. Der bislang eher wenig bekannte US-Amerikaner steht neben den beiden AltStars seinen Mann als Feingeist in der Haut eines Preisboxers. Auch wenn Originalität und Tempo zum Ende hin ein wenig nachlassen und manche Dialogschraube überdreht wird, präsentiert sich hier doch ein fast in Vergessenheit geratener Regisseur endlich wieder auf der Höhe der Zeit. Jörg Gerle

dOG eat dOG uSa 2016 regie: Paul Schrader darsteller: Willem dafoe, nicolas Cage, Christopher Matthew Cook länge: 90 Min. FSK: ab 18 anbieter: KSM Fd-Kritik: 44 696


KRITIKEN fernseH-Tipps

SO

SAMSTAG 13. MAI

14.00-15.30 KiKA Felix R: Roberta Durrant Temperamentvoller Kinderfilm Südafrika 2013 Sehenswert ab 8

11.45-12.25 Abgedreht! – Magazin Vanessa Paradis/„Lolita“/ Brooke Shields

arte

20.15-21.30 Disney Channel Dumbo, der fliegende Elefant R: Ben Sharpsteen Liebevoller Zeichentrickklassiker USA 1941 Sehenswert ab 6

16.25-18.20 TELE 5 Der große Blonde mit dem schwarzen Schuh R: Yves Robert Vergnügliche Agentenparodie Fr. 1972 Sehenswert ab 14

20.15-22.40 Servus TV Match Point R: Woody Allen Elegantes High-Society-Drama GB/USA 2005 Sehenswert ab 16

20.15-22.25 arte Mommy R: Xavier Dolan Intensives Mutter-Sohn-Drama Kanada 2014 Sehenswert ab 16

22.40-00.15 Servus TV Der Zeitreisende – Journey of Love R: Colin Trevorrow Außenseiter trainieren für Zeitreise USA 2012 Ab 12 00.15-01.50 Servus TV Who Killed Marilyn? R: Gérald Hustache-Mathieu Subtiler Thriller Frankreich 2011 Sehenswert ab 16 00.25-01.50 BR FERNSEHEN Ayla R: Su Turhan Deutschtürken im Zwiespalt Deutschland 2009 Ab 14 01.45-03.43 Velvet Goldmine R: Todd Haynes Nostalgischer Blick auf die Glam-Rock-Ära Großbritannien 1998

Das Erste

Ab 16

02.15-03.50 arte Die Entführung des Michel Houellebecq R: Guillaume Nicloux Ungewöhnliches Porträt des Autors Frankreich 2014 Ab 16

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SONNTAG 14. MAI

Filmdienst 10 | 2017

13. Mai, 20.15-21.30

Disney Channel

Dumbo, der fliegende Elefant Den Begriff „Mobbing“ gab es noch nicht, als Walt Disney 1941 seinem Figurenarsenal den kleinen Zirkuselefanten Dumbo hinzufügte – aber genau das ist es, wovon der Film handelt. Und er zeigt, dass gerade das, was andere als Schwäche oder Lächerlichkeit empfinden, zur individuellen Stärke werden kann: Wenn Dumbo seine gewaltigen Ohren, wegen derer er von allen gehänselt und zum Außenseiter gestempelt wird, zu praktischen Flügeln umfunktioniert, dann ist das im wahrsten Wortsinn „erhebende“ Kinounterhaltung bzw. eine „Sternstunde an Leichtigkeit und zeichnerischer Erfindungsgabe“, wie es in der FILMDIENST-Kritik hieß. Regisseur Tim Burton, der an einer Realfilm-Neuadaption des Stoffes tüftelt, dürfte in der Story gute Ansätze für Aktualisierungen finden, wird sich aber gleichwohl schwer ins Zeug legen müssen, um sich mit dem Charme des Originals zu messen. 13. Mai, 02.15-03.50

arte

Die Entführung des Michel Houellebecq An dem französischen Schriftsteller Michel Houellebecq scheiden sich die Geister. Während ihn die einen als hochkarätigen Romancier feiern, halten ihn andere für einen überschätzten Misanthropen. In dem „Mockumentary“ von Guillaume Nicloux werden beiden Sichtweisen auf die Spitze getrieben. Der Film nutzt eine Meldung aus dem Herbst 2011 über das mysteriöse Verschwinden des Autors, der für einige Tage von der Bildfläche verschwand, für eine vergnügliche Auseinandersetzung mit Houellebecqs öffentlichem Image sowie seinen provokativen Ansichten. Gauner kidnappen den Autor am helllichten Tag in seiner Wohnung, stecken ihn in eine Kiste und hoffen auf Lösegeld, von dem nie klar wird, wer es eigentlich bezahlen soll. „Halbdokumentarisch“ sei der Film, sagt sein Regisseur, und geizt darin nicht mit Houellebecq-Klischees, von der unstillbaren Nikotinsucht über den Rotwein bis zum Lesestoff und der Dorfprostituierten; die eher tumben Entführer spielen derweil mit ihrem Kampfhund oder trainieren ihre Muskeln. Dazu gibt es feinste Houellebecq-Prosa. Eine schillernde Parodie über einen Intellektuellen, der sich hinter dem Zerrbild, das die Medien von ihm zeichnen, perfekt zu tarnen versteht.

20.15-22.30 Disney Channel Frühstück bei Tiffany R: Blake Edwards Bittersüße Liebesgeschichte USA 1961 Ab 16 20.15-22.55 RTL The Return of the First Avenger R: Anthony & Joe Russo Hydra übernimmt S.H.I.E.L.D. USA 2014 Ab 12 20.15-23.00 Sag niemals nie R: Irvin Kershner Connery vs. Brandauer USA 1983

RTL 2

Ab 14

20.15-22.05 TELE 5 Erik, der Wikinger R: Terry Jones Treffsichere Nordmänner-Komödie Großbritannien 1988 Ab 14

Fotos S. 56-65: Jeweilige Sender.

SA


MO 14. Mai, 20.15-22.55

RTL

The Return of the First Avenger Mit „Guardians of the Galaxy Vol. 2“ läuft seit Ende April der jüngste Ableger des „Marvel Cinematic Universe“ in den Kinos. Der Film zeugt vom schrägen Humor des Regisseurs James Gunn, der schon den ersten „Guardians“-Film inszenierte und auch für den dritten Teil an Bord sein soll. Ähnliches Vertrauen scheint Marvel in das Regie-Duo Anthony und Joe Russo zu haben, das mit „The Return of the First Avenger“ seinen Einstand im „MCU“ gab, dann „Captain America: Civil War“ drehte und auch für zwei weitere „Avengers“-Filme das Oberkommando bekommen soll. Der Stil der Russos ist weniger spielerisch und augenzwinkernd als der von Gunn; ihre beiden „Captain America“-Filme lehnen sich eher ans Politthriller-Genre an und weisen stärkere Rückkopplungen zur Realität auf: Totale Überwachung oder Freiheit und Rechte der Einzelnen – das sind die Themen, an denen sie sich abarbeiten. In „The Return of the First Avenger“ manifestiert sich das in einem Clash zwischen Captain America und der Sicherheitsbehörde S.H.I.E.L.D. Mit dabei als Reminiszenz an die Politthriller der 1970er-Jahre: Robert Redford.

ERSTAUSSTRAHLUNG: 14. Mai, 20.15-22.25

arte

Mommy 2014 teilte sich der damals 25-jährige Xavier Dolan beim Festival in Cannes den Preis der Jury mit dem 73-jährigen Jean-Luc Godard. Eine schöne Kopplung, kann der kanadische Jungspund dem französischen Altmeister doch in Sachen Eigenwilligkeit und Innovation durchaus das Wasser reichen. In „Mommy“, für den Dolan den Preis gewann, hebelt er konventionelle Sehgewohnheiten aus, indem er fast den kompletten Film im quadratischen Leinwandformat belässt. Mit diesem Kniff unterstreicht Dolan die beengten Verhältnisse, in denen sich eine extreme Mutter-Kind-Beziehung abspielt: Der Jugendliche Steve ist affektiv gestört und aggressiv, seine prollige Mutter Die hat der Problemsituation nur bedingungslose Liebe entgegenzusetzen. Der Kontakt zu einer Nachbarin, die um den Verlust ihres eigenen Sohns trauert, verkompliziert die Situation zusätzlich. Das intensive, berührende Drama wartet mit kraftvollen Bild-Ton-Kompositionen und wie stets bei Dolan auch mit kongenialen Musikeinsätzen auf. Zur Entstehung des Films und den gesellschaftlichen Hintergründen äußert sich der Regisseur im Anschluss selbst in einer Ausgabe der Reihe „Es war einmal…“ (22.25-23.20), in der auch seine StammSchauspielerinnen Anne Dorval und Suzanne Clément zu Wort kommen.

MONTAG 15. MAI

20.15-22.10 arte Vater und Sohn R: Hirokazu Kore-eda Drama über erschütterte Familienbande Japan 2013 Sehenswert ab 16 20.15-21.50 One Arbitrage – Der Preis der Macht R: Nicholas Jarecki Effektvolles Spiel mit Doppelmoral USA 2012 Sehenswert ab 14 22.10-00.05 arte Weißer Gott R: Kornél Mundruczó Ausgesetzter Hund verbündet sich mit Artgenossen Ungarn/Dt. 2014 Sehenswert ab 16 22.15-00.00 Devil’s Knot R: Atom Egoyan Fesselnder Gerichtsthriller USA 2013

ZDF

Ab 16

00.00-02.00 WDR Fernsehen Eden R: Mia Hansen-Løve DJ erlebt Aufstieg der House-Musik mit Frankreich 2014 Ab 16 00.15-01.35 ZDF Im nächsten Leben R: Marco Mittelstaedt Familiendrama aus der Wendezeit Deutschland 2008 Ab 14

ERSTAUSSTRAHLUNG: 15./22. Mai

ERSTAUSSTRAHLUNG: 15. Mai, 22.10-00.05

arte

Weißer Gott Hagen heißt der Hund der 13-jährigen Lili, der in der märchenhaften Parabel des ungarischen Regisseurs Kornél Mundruczó ein grauenvolles Schicksal durchleidet, das unschwer als Kritik an den rechtskonservativen Umbrüchen unter der Orbán-Regierung identifizierbar ist. Das „Manko“ des Hundes ist seine fehlende Reinrassigkeit; als „Bastard“ wird er auf der Straße ausgesetzt, von Hundefängern aufgegriffen und zum Kampfhund abgerichtet, bis er gegen seine Peiniger rebelliert und sich mit anderen Schicksalsgenossen zu einer wütenden Hundearmee verbündet. Der dystopische Entwurf über die Rache der geschundenen Kreatur vereint Elemente des Horrorfilms und des Melodramas zu einem Gleichnis, das sich vehement gegen jede Form von Rassismus richtet und auch als grundsätzliche Allegorie auf das gestörte Verhältnis von Mensch und Natur lesen lässt. arte

Oscar Micheaux Oscar Micheaux (1884-1951) ist als Schriftsteller, Drehbuchautor, Regisseur und Produzent nicht nur ein früher Repräsentant des Autorenkinos, sondern einer der wenigen Schwarzen, die bereits in der Frühphase der Filmgeschichte dem afroamerikanischen Kino eine prominente Plattform gaben. Eines der ältesten noch erhaltenen Beispiele ist sein 1919 realisiertes Melodram „Within our Gates“ (15.5., 00.05-01.20) über eine Waise, die versucht, in den von Rassismus beseelten Südstaaten bedürftige farbige Kinder zu retten. In „Body and Soul“ (22.5, 00.15-01.45) gelingt ihm 1925 eine bittere Tragödie über einen dem Glücksspiel und Alkohol verfallenen schwarzen Pfarrer, die aufgrund der brisanten Thematik in Konflikt mit der Zensur kam. Arte zeigt die beiden beachtlichen Filme in restaurierten Fassungen (auch wenn von „Body and Soul“ die integrale als verloren gilt).

Filmdienst 10 | 2017

57


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