oMnIBUsFILMe
FILM DIENST Das Magazin für Kino und Filmkultur
14 2016
www.filmdienst.de
Maren Ade schuf mit „Toni Erdmann“ ein außerordentliches Meisterwerk. Über die Regisseurin und ihre nur schwer einzuordnenden Filme.
7. Juli 2016 € 5,50 69. Jahrgang
Von R.W. Fassbinder bis Sönke Wortmann: Über ein erstaunlich beharrliches filmisches Phänomen. nordkorea
Wie filmt man Nordkorea? Über die fließenden Übergänge von Lüge und Wahrheit. aUsserIdIsche
Aliens starten einen neuen Angriff. Eine kleine Artenkunde der Außerirdischen im Kino.
inhalt DIE NEUEN KINOFILME
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ARgENTINA
neu im kino ALLE STArTTErMINE
50 Argentina 7.7. 40 Atomic Falafel 14.7. 44 Bella e perduta – Eine Reise durch Italien 14.7. 43 Deutschland. Dein Selbstporträt 14.7. 48 Ferien 7.7. 38 Ice Age – Kollision voraus! 30.6. 39 Independence Day: Wiederkehr 14.7. 41 Liebe Halal 7.7. 46 Meine Brüder und Schwestern im Norden 14.7. 51 Meine griechischen Ferien 14.7. 51 Memoria Viva Lebendige Erinnerung 14.7. 49 Mit besten Absichten 14.7. 51 Mullewapp – Eine schöne Schweinerei 14.7. 51 Smaragdgrün 7.7. 51 Streetdance: New York 14.7. 45 Tangerine L.A. 7.7. 36 Toni Erdmann 14.7. 47 Unterwegs mit Jacqueline 14.7. 42 Verräter wie wir 7.7.
kinotipp
43 DEuTschlAND. DEIN sElbsTpORTRäT
der katholischen Filmkritik
36 TONI ERDMANN Souverän zwischen Komik, Tragik und surrealen Momenten wandelnde Dramödie um einen Vater-Tochter-Konflikt.
fernseh-tipps 56 „Summer of Scandals“, hat arte seinen thematischen Schwerpunkt für die nächsten beiden Monate überschrieben; dazu könnte auch rainer Werner Fassbinders todtrauriges Drama „Händler der vier Jahreszeiten“ zählen. KiKa zeigt den spannenden Abenteuerfilm „Kidnap - Bos aufregendste Ferien“.
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INDEpENDENcE DAy: WIEDERkEhR
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bEllA E pERDuTA – EINE REIsE DuRch ITAlIEN
Fotos: TITEL: NFP/NFP, Concorde, Warner Bros., Twentieth Century Fox, Grandfilm, Farbfilm, FD-Archiv
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AlIEN-kuNDE
10 Omnibus-Filme
Auge nblicklich e rle be n kompilatorische Episodenfilme wie „24h Berlin - Ein Tag im Leben“ oder „Deutschland. Dein Selbstporträt“ eine renaissance. Im filmhistorsichen Vergleich fällt allerdings auf, dass ihre künstlerische Substanz wie auch ihre gesellschaftliche relevanz unter der multiperspektivischen Machart stark leiden.
akteure
filmkunst
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MAREN ADE
22 „Greatest lOVe OF all... “
Mit „Toni Erdmann“ hat die 39-jährige regisserin das diesjährige Cannes-Festival gerockt. Dabei ist der zwischen Drama, Komödie und surrealer Farce changierende Film gar nicht so leicht zu fassen. Genauso, wie sich Ades filigrane Inszenierungskunst ebenfalls jeder simplen Klassifizierung entzieht. Eine Annährung.
Von Claus Löser
Von Esther Buss
16 Wesen FrOm Outer space
26 in memOriam
Seit George Méliès’ „Die reise zum Mond“ hat die Frage nach den Außerirdischen die Fantasie des Kinos beschäftigt. Die Creature-Designer haben sich dabei einiges einfallen lassen. Eine kleine Artenkunde extraterrestrischer Wesen. Von Peter Strotmann
20 Filme aus Venezuela
Im Kino des südamerikanischen Landes spiegelt sich ein zerrissenes Land. Die umfassende gesellschaftliche Krise findet auch auf der Leinwand statt. Von Wolfgang Hamdorf
Nachrufe auf Anton Yelchin, Paul Cox, Sieghardt rupp, Burt Kwouk.
bIlDER Aus NORDkOREA
27 Die cHinesen KOmmen
Die Hollywood-Studio geraten mit ihren Blockbustern immer mehr in Abhängigkeit vom chinesischen Kinomarkt. reiche Industrielle aus China steigen in den USA aber auch persönlich ins Filmbusiness ein. Von Franz Everschor
28 lÜGen unD WaHrHeit
Unter dem neuen Machthaber Kim Jong-un öffnet sich Nordkorea westlichen Filmemachern. Doch das regime zensiert streng alle Bilder. Das stellt für Dokumentaristen eine echte Herausforderung dar. Von Julia Teichmann
30 aus einem FremDen lanD
Die in Südkorea geborene regisseurin Sung-Hyung Cho im Interview über ihren Dokumentarfilm „Meine Brüder und Schwestern im Norden“. Von Heidi Strobel
32 Der clOWn als JOKer
In den letzten Jahrzehnten hat sich die Figur des Clowns entschieden verändert. Aus dem grotesken Possenschneider ist eine abgründige Filmfigur geworden, die von der Krise des Individuums zeugt. Von Thomas Brandlmeier
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RUBRIKEN EDITorIAL INHALT MAGAzIN DVD-KLASSIK DVD/BLU-rAY TV-TIPPS P.S. VorSCHAU / IMPrESSUM
Was ist nur mit der Lieblingsfigur der Kinder passiert? Aus dem trolligen Hanswurst, wie ihn Federico Fellini noch in »I Clowns« (1970) porträtierte, hat sich ein böser Zyniker herausgeschält, dessen fiese Grimasse als »Joker« das Groteske ins Grausame stürzt. Der Clown als Spiegel des modernen Individuums tanzt auf seinem eigenen Grab.
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Aliens - eine kleine Artenkunde der Ausserirdischen im kino
Drei Augen, acht Mägen, ein Pick-up Independence Day 2016. Roland Emmerichs Außerirdische starten einen neuen Angriff auf die Erde und ihre Bewohner, 20 Jahre nach der ersten Invasion. Die Biodiversität der Alien-Welt wird damit um einiges reicher werden. Dieses Mal sollen die Angreifer sogar die Schwerkraft ausschalten können. Kein Vergleich zu den ersten extraterrestrischen Lebensformen, die im Film gesichtet wurden. Diese waren humanoider – und harmloser. Von Peter Strotmann
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aliens KIno
1. Von Parasiten und Seleniten Humanoide Bei den Seleniten in „Die Reise zum Mond“ (1902) von Georges Méliès braucht es nicht mehr als einen kräftigen Schlag, damit sie sich in einer Staubwolke auflösen. Dabei zeigen sie selbst nur Aggression, als es um die Pilze geht, die von den menschlichen Besuchern zerstört bzw. konsumiert werden (und einen Rausch auslösen). Im Übrigen sind die Seleniten in ihrer Gestalt selbst durchaus menschenähnlich – abgesehen von einem hundeähnlichen Kopf und dem an Kaninchen gemahnenden Hoppeln, in das sie zeitweise verfallen. An die Lebensbedingungen auf dem Mond zeigen sie sich gut angepasst, der Mangel an Atmosphäre macht ihnen sichtlich nichts aus. Über die Art der Fortpflanzung erfahren wir nichts. Jedenfalls scheint sie stattzufinden: Am Hofe des Herrschers leben auch Weibchen (Selenitinnen?) Auch über die sexuellen Verhaltensweisen von Klaatu, dem humanoiden außerirdischen Besucher in „Der Tag, an dem die Erde stillstand“ (1951), wird nichts bekannt – obwohl er sich mit einer Erdenbewohnerin anfreundet. Aber seine Liebesbotschaft ist platonisch universell, und sein unbedingter Pazifismus legt ein ungleich größeres Gehirnvolumen als bei seinen menschlichen Gegenspielern nahe. „Das Ding aus einer anderen Welt“, im gleichen Jahr entdeckt, ist, wie die NeutrumNomenklatur nahe legt, geschlechtslos. Dabei lässt der Körperbau durchaus auf einen männlichen Vertreter seiner Gattung schließen, wie auch die Konstitution: „It“ ist gegen Hitze wie schwere Munition völlig unempfindlich und zeigt Auflösungserscheinungen erst unter großer elektrischer Spannung. Mit seinem unartikulierten, primaten-ähnlichen Gebrüll kommt es wie eine Spezies von niedriger Intelligenz daher. In einer späteren Spiel-Art („Das Ding aus einer anderen Welt“, 1982, John Carpenter) erweist sich das Ding als überaus anpassungsfähige Lebensform, die in der Lage ist, fremde Zellen zu assimilieren und die Gestalt anderer Lebewesen anzunehmen – so auch die des Menschen. Die Aliens in „Sie leben!“ (1988) haben diese Fähigkeit perfektioniert. Nur durch eine spezielle Sonnenbrille gesehen, zeigen sie
ihr wahres, skelettöses Wesen hinter der menschlichen Hülle, die sie parasitengleich in Besitz genommen haben. (Eine ähnliche parasitäre Existenz war zehn Jahre vorher aufgetreten: Die „Körperfresser“, eigentlich Mikroorganismen, fertigen Duplikate menschlicher Körper an, während die Originale zu Staub verfallen.) Und die Anpassungsfähigkeit geht bis zur sexuellen Reproduktion. Die Andromedaner – ihre Herkunft wird eindeutig geklärt – betreiben ihre Ausbeutung auf allen Ebenen. Auch bei einem der bekanntesten Humanoiden unter den Außerirdischen besteht an der Herkunft kein Zweifel: Commander Spock (erstmals gesichtet 1966, in der Fernsehserie „Star Trek“) hat eine menschliche Mutter und einen Vulkanier als Vater. Womit auch gleich etwaige Fragen nach der Fortpflanzungsfähigkeit beantwortet wären. Allerdings paart sich der Vulkanier nur alle sieben Jahre. (Dafür hat er eine Lebenserwartung von 200 Jahren.) Für Sil („Species“, 1995) dagegen ist die Fortpflanzung, der Erhalt der Spezies der einzige Handlungsantrieb. Und nur dafür nimmt es menschliche Gestalt an – nämlich die eines höchst attraktiven Weibchens. Auch hier wieder Assimilierung auf höchstem Niveau. Über das Hirnvolumen von Humanoiden wie auch anderen Aliens kann man in den meisten Fällen nur spekulieren. Die Marsianer in „Mars Attacks!“ (1996) machen diesbezüglich eine Ausnahme, bei ihnen ist das überproportionale Denkorgan frei sichtbar. Leider schlägt sich das Volumen nicht in der Sprachkompetenz nieder; zu mehr als abgehackten „Ak!“-Lauten scheinen sie nicht fähig. Die meisten humanoiden Außerirdischen sind, trotz
„Ja, fast alle, die bei der Post arbeiten, sind Aliens.“ ihrer Menschen- oder menschenähnlichen Gestalt, in ihrem Alter nicht bestimmbar. Der Alien in „Ich bin Nummer vier“ (2011) jedoch ist eindeutig adoleszent und hat genau deswegen auf der Erde Zuflucht gesucht: Mit ihm und weiteren Gleichaltrigen soll der Bestand seiner Art gesichert werden. Schon 1982 hat es mit „E.T.“ ein extraterrestrisches Wesen zu den Menschen verschlagen, das zumindest emotional noch jünger ist. Drei Jahrzehnte später scheint mit Paul („Paul – Ein Alien auf der Flucht“) sein älterer Bruder zurückzukehren, größer – vor allem weil er untere Extremitäten hat –, sozial interaktiv und in der sprachlichen Kommunikation mit der Spezies Mensch jetzt überaus versiert: „Wann bist du das letzte Mal flachgelegt worden?“ Damit ist die Assimilierung an eine fremde Art mehr als nur physisch abgeschlossen.
2.„null Problemo!“ Pelztierähnliche Aber das Menschliche tritt uns nicht nur in menschenähnlicher Gestalt entgegen. 1986 kommt ein Bewohner des Planeten Melmac auf die Erde, der den Menschen ein paar Jahre lang den Spiegel vorhält. Gordon Shumway, genannt ALF und einer der Letzten seiner Art, verfügt nicht nur über mehr Mägen als der durchschnittliche Erdbewohner, sondern auch über eine höhere Intelligenz – rational wie emotional. Das hat er mit Chewbacca gemein, dem groß gewachsenen Begleiter von Han Solo („Star Wars“, ab 1977). Der Vertreter der Spezies Wookie vermag mit einem sparsamen Repertoire an Brüll- und Grunzlauten mehr Gefühle auszudrücken als der Pilot und Schmuggler.
3. Die Milbe hinter der Maske Insekten-, Reptilienund Wurmähnliche Insektoide Aliens treten vornehmlich in großer Zahl, fast in staatlichen Gebilden auf, wie die namenlose Mischform aus Krabbe, Spinne und Küchenschabe, die im Untergrund von „Cloverfield“ (2008) über ihre Opfer herfällt und tödlich infiziert. Auch die „Starship Troopers“ bekommen es 1997 mit einer sehr aggressiven arachniden Lebensform zu tun, genau genommen
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„Men in Black 2“
gleich mit mehreren: Das extraterrestrische Spinnenvolk zergliedert sich nämlich in Subspezies, die jeweils verschiedene Funktionen erfüllen, bis hinauf zu einer Art Alpha-Arachnoiden, die ihren Gegnern das Gehirn aussaugt. Pflanzenfresser bilden unter den insektenähnlichen Aliens eher die Ausnahme. Immerhin: Die Prawns oder Poleepkwa in „District 9“ (2009) sind zwar Carnivoren, haben es aber, trotz ihrer imposanten Körpergröße und ihres Furcht einflößenden Aussehens, nicht auf den Menschen abgesehen. Im Gegenteil, sie werden von diesen unter selbst für Insekten unwürdigen Bedingungen gehalten. Im Übrigen hegen die Poleepkwa eine erstaunliche Vorliebe für nasses Katzenfutter und gehören zu den eierlegenden Insektenähnlichen. Vereinzelte Insektoide sehen nicht auf Anhieb so aus. Erst wenn ein Yautja („Predator“, 1987) die Maske abnimmt, die ihm anscheinend als Atemhilfe dient – er braucht mehr Sauerstoff und Stickstoff als ein Mensch –, kommt dahinter ein milbenartiger Kopf zum Vorschein. Zu den artspezifischen Merkmalen des Yautja gehört die Wärmesicht. Ob Thurman („Nix wie weg – vom Planeten Erde“, 2013) über besondere visuelle Fähigkeiten verfügt, weiß man nicht. Allerdings hat die nicht näher bestimmbare Echsenart drei Augen, zusätzlich zu ihren vier Armen. Thurman ist sicherlich das harmloseste unter den vielen reptiloiden Aliens, so wie auch manche wurmähnliche Außerirdische wenig bedrohlich wirken, beispielsweise die mardergroßen Vermes in der Küche der „Men in Black“-Einsatzzentrale mit ihrer eigentümlichen Vorliebe für frisch gebrühten Kaffee. Kein Vergleich beispielsweise mit den Raketenwürmern (oder Graboids) in „Tremors“ (1990), die bis zu zehn Meter lang werden können und mehr von einer Riesenschlange haben. Also eigentlich wieder Reptilien sind. Hier gerät die Artenbestimmung ins Trudeln, und spätestens beim „Alien“-Alien (seit 1979) mit seinen vielen Mutationen stößt sie endgültig an ihre Grenzen: Hat der Facehugger noch etwas Spinnen- oder Krabbenartiges, so ist der Chestburster, der parasitär im menschlichen Körper heranreift, bereits reptiloid und das spätere Alien en miniature. Die ausgewachsene Alien-Königin wiederum wacht über ein ganzes Nest von Eiern; hier liegt also Reproduktion ex ovo vor. Alles in allem
aliens KIno eine extraterrestrische Lebensform, die in ihrer Evolution weiter fortgeschritten war als alles bis dato Bekannte.
Fotos: Archiv FD/Columbia TriStar/UIP/20th Century Fox/Deutsche Kinemathek
4.Gallert und Melonen Sonderformen Nur Jerry („Sphere – Die Macht aus dem All“, 1998) erscheint noch avancierter: eine Intelligenz, die sich mit dem Menschen über den Computer eines ins Meer gestürzten Raumschiffes verständigt und ansonsten immateriell ist. Allerdings kann sie Körper nach Belieben manifestieren. Damit ist Jerry keiner herkömmlichen Alien-Art zuzuordnen. Wie primitiv mutet dagegen der Gallert-Klumpen an, der in „The Blob“ (1988) wie Urschleim über die Menschen herfällt. Er ernährt sich von seinen Opfern (nur die Köpfe sind anscheinend unverdaulich) und legt dabei ein erstaunliches Wachstum an den Tag. Der Einzeller unter den Außerirdischen. Ein kugelförmiges Alien war allerdings schon 14 Jahre früher zu entdecken, an Bord des Raumschiffs „Dark Star“: Das gesichts- und geschlechtslose Etwas mutet wie eine harmlos quiekende Wassermelone an, zeigt aber anarchisch-infantile, anscheinend doch von einem Denkorgan gelenkte Energien. Die Herkunft des luftgefüllten Kugelgeschöpfs bleibt unklar, anders als bei der Alien-Rasse, die seit einigen Jahren die Kinos heimsucht: Die Transformers stammen samt und sonders vom Planeten Cybertron und sind – der Name sagt es schon – mechanische Roboterwesen, die ihre Körper in andere Formen mutieren lassen können. Dies führt zu einer sehr männeraffinen Mimikry: Sie bevölkern die Erde als Automobil-, Flugzeug-, Helikopter- und andere Ähnliche. Ein weiter Weg von den Seleniten eines Georges Méliès. •
„Ok, er ist ein Mann aus dem Weltraum, versteht ihr, und wir bringen ihn zu seinem Raumschiff.“ „Kann er nicht einfach hochgebeamt werden?“ „Das hier ist die Realität, Greg.“ „E.T. – Der Außerdische“
Außerirdische nehmen auch in der aktuellen Ausstellung „Things To Come“. Science.Fiction.Film“ im Museum für Film und Fernsehen in Berlin (bis 23.4.2017) einen besonderen Stellenwert ein: S. 16: Drac aus „Enemy Mine“ (USA 1985) von Wolfgang Petersen. Maskenbild Alien: Chris Walas. Kostümbild: Monika Bauert. Foto: Marian Stefanowski. Quelle: Deutsche Kinemathek - Sammlung Monika Bauert.
S. 17: Alien aus „Aliens“ (USA 1986) von James Cameron. Figur: Stan Winston. Originalentwurf HR Giger. Foto: Marian Stefanowski. Quelle Deutsche Kinemathek Sammlung Rolf Giesen. S. 19: Alien aus „Independence Day“ (USA 1996) von Roland Emmerich. Production Design: Oliver Scholl, Patrick Tatopoulos. Schenkung von R. Emmerich. Foto: Marian Stefanowski. Quelle: Deutsche Kinemathek - Sammlung Dreidimensionale Objekte. www.deutsche-kinemathek.de
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kritiken neUe filme
S i eg f r
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kracauer S
Der Autor Sven von Reden hat das Siegfried-Kracauer-Stipendium gewonnen. Der FilmDienST unterstützt die initiative zur Stärkung der Filmkritik durch Abdruck der dabei entstehenden Texte.
tip
end ium
toni erdmann Maren Ade folgt einem Vater und seiner Tochter auf unwegsamem Gelände. Ein meisterlicher Film über Rollen, die zur zweiten Haut geworden sind Kein Film wird im luftleeren Raum beurteilt. Immer spielen Erwartungen und Kontexte eine wichtige Rolle. Das gilt für „Toni Erdmann“ in besonderem Maße. Weil es sieben Jahre gedauert hat, bis Maren Ade den Nachfolger ihres Silberner-Bär-Gewinners „Alle anderen“ (2009) präsentiert hat, weil „Toni Erdmann“ der erste deutsche Film im Wettbewerb von Cannes seit acht Jahren war, weil er überdies von einer Filmemacherin stammt, was beim wichtigsten Festival der Welt ebenfalls ungewöhnlich ist. Umso schöner, dass der Film unter all der Repräsentationslast nicht zusammengebrochen ist: „Toni Erdmann“ mag in Cannes zwar keinen Preis gewonnen haben, aber dafür Herzen. Er wurde sowohl vom Publikum als auch den Kritikern begeistert aufgenommen, zwei Zuschauergruppen, die bekanntlich nicht immer übereinstimmen. Dass „Toni Erdmann“ trotz seiner 142 Minuten Länge auch Potential als Publikumsrenner hat, hebt ihn zusätzlich heraus. Die Möglichkeit zum Crossover-Hit liegt gewissermaßen in der DNA des Films begründet.
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Verbinden seine Figurenkonstellation und die Grundzüge des Plots doch zwei populäre Narrative: Da ist zum einen die universelle Geschichte der Aussöhnung in einer Familie – hier zwischen Vater und Tochter –, und zum anderen das Aufeinandertreffen eines männlichen „Losers“ und einer weiblichen Figur, die auf verbissene Weise am gesellschaftlichen Status orientiert ist – eine beliebte Situation aus den Produktionen von Judd Apatow und anderer US-Komödien der letzten Jahre. Das Genie von Maren Ade liegt darin, wie sie diese Zutaten abwandelt und auf
unvorhersehbare Weise in ihren eigenen Kosmos überführt. Aus den jungen Loser-Typen der US-Filme macht sie den Alt-68er-Musiklehrer Winfried, der gerade seinen letzten Schüler verloren hat und seine Umgebung mit ständigen Streichen und Scherzen nervt. Seine Tochter Ines ist eine ehrgeizige Unternehmensberaterin, die wenig Verständnis für den entspannten Lebensstil ihres Vaters aufbringt. Als Winfried seine Tochter in Bukarest besucht, wo sie gerade arbeitet, ist er von ihrem freudlosen, einzig um die Arbeit kreisenden Leben entsetzt. Auftritt: Toni Erdmann, Winfrieds Alter Ego. Mit zotteliger Perücke, schäbigem Anzug und falschen Zähnen versucht er als angeblicher „Lebenscoach“ Ines aus der Reserve zu locken. Es ist klar, dass es zu irgendeiner Art von Annäherung von Vater und Tochter kommen wird, doch die Inszenierung vermeidet Aussöhnungskitsch oder eine abgeschlossene Erzählung. Stattdessen nimmt der Plot immer wieder überraschende Wendungen. Die 39-jährige Regisseurin erzählt von einem umgekehrten Generationenkonflikt: Hier sind es nicht die Jungen, die gegen die verknöchert-verspießerten Alten aufbegehren, sondern es ist die „goldene“ bundesdeutsche Nachkriegsgeneration, die den im globalisierten Verdrängungswettkampf gestählten Kindern rät, sich mal locker zu machen. Diese Art der Umkehrung hat es in den letzten Jahren auch in der amerikanischen Komödie öfters gegeben, zuletzt etwa in „Ricki“ (2015) mit Meryl Streep. Während dort die Alten aber gewöhnlich nur lernen müssen, weniger selbstbezogen zu sein, und die Jungen, mehr Toleranz zu üben, ist das Verhältnis der Generationen bei Maren Ade verwickelter. Hinter „Toni Erdmann“ steht auch die Frage, inwie-
neue Filme KritiKen fern Ines und ihr Vater nicht zwei Seiten derselben Medaille sind. Inwiefern die Karrierefrau zugleich die Werte verkörpert und pervertiert, die ihr von ihrem Vater vermittelt wurden: Selbstbestimmtheit, Selbstbewusstsein und Kreativität. Überspitzt formuliert lässt sich fragen: Hat Ines aus Winfrieds Freiheit des Lebensentwurfs die Freiheit des Kapitals gemacht, die ihr jetzt hilft, sich im ex-kommunistischen Südosteuropa durchzusetzen? Dass sich im Windschatten des Neoliberalismus eine egalitäre Meritokratie etablieren könnte, mag dabei zwar Ines Hoffnung sein, doch der Film zeigt deutlich, wie ältere Hierarchien in der Realität weiter wirkmächtig sind: etwa wenn sie von einem Auftraggeber dazu verdonnert wird, mit seiner jungen, hübschen Frau shoppen zu gehen. Oder wenn Ines merkt, dass sie ernster genommen wird, weil ihr Vater dabei ist, so seltsam der sich auch aufführen mag. Ines hat völlig verinnerlicht, dass sie sich wie die Männer um sie herum verhalten muss, um vorwärtszukommen: „Ich bin keine Feministin, sonst würde ich Typen wie dich nicht tolerieren“, erklärt sie ihrem Chef ohne Anflug von Ironie. „Toni Erdmann“ erzählt also nicht nur eine Vater-Tochter-Geschichte, sondern es geht auch um den (post)modernen Kapitalismus, das Verhältnis von Zentrum und Peripherie in Europa und um Sexismus in der Arbeitswelt. Die thematische Spannbreite wirkt dabei niemals forciert, ebenso wie die schwierigen Tonwechsel zwischen Komik, Tragik und surrealen Momenten immer gelingen. Das liegt nicht zuletzt daran, dass Maren Ade ihren dritten Spielfilm sicher in den beiden Hauptfiguren verankert, für die sie zwei herausragende Darsteller gefunden hat. Sandra Hüller gibt Ines eine Fassade stählerner Entschlossenheit, hinter der aber jeden Moment der Nervenzusammenbruch droht. Peter Simonischek meistert die noch schwerere Aufgabe, zu spielen, wie seine Figur (amateurhaft) jemand anderen spielt. Für das Gelingen des Films sind aber nicht nur das Skript und die beiden Darsteller entscheidend, sondern auch die völlig auf sie ausgerichtete Form. Sie hält „Toni Erdmann“ zusammen. Schon mit der ersten betont unspektakulären Einstellung auf
eine deutsche Durchschnittshaustür und Wertstoff-Tonnen machen Ade und ihr Kameramann Patrick Orth klar, dass die Bildebene hier nicht auf sich selbst aufmerksam machen soll, sondern ganz den Figuren und der Geschichte dient. Orths Handkamera reagiert flexibel auf die Schauspieler, wird aber niemals selber als „Effekt“ eingesetzt, der beispielsweise besondere Authentizität suggerieren soll. Vielleicht ist das der einzige Kritikpunkt: Dass „Toni Erdmann“ der typisch deutschen Formfeindlichkeit nicht entkommt, sondern sich im Rahmen des von den Förderanstalten so bevorzugten, auf Drehbuch, Handwerk und Schauspiel fixierten „mittleren“ Realismus bewegt. Um auf die Erwartungshaltung und die Repräsentationslast zurückzukommen: „Toni Erdmann“ rettet das deutsche Kino nicht. Er ist einfach ein sehr guter Film einer sehr talentierten Filmemacherin. Sven von reden
Bewertung Der FiLmKommiSSion
ein alternder musiklehrer taucht unangemeldet bei seiner Tochter in Bukarest auf, wo diese für eine unternehmensberatung an Rationalisierungskonzepten für die Ölindustrie arbeitet. entsetzt von ihrem freudlosen manager-Dasein, will er sie in der Gestalt eines kauzigen Alter egos aus der Reserve locken. eine souverän zwischen Komik, Tragik und surrealen momenten wandelnde Dramödie um einen Generationenkonflikt, bei dem sich beide Seiten umkreisen, befehden und doch annähern. Vorzüglich inszeniert und getragen von zwei überragenden Darstellern, entwirft der Film mit großer innerer Wahrhaftigkeit ein vielschichtiges VaterTochter-Verhältnis mit zeitkritischen Anklängen. untergründig kreist er dabei stets auch um die Frage, wie man leben will. – Sehenswert ab 16.
Deutschland 2016 regie: maren Ade Darsteller: Peter Schimonischek (Winfried/Toni), Sandra Hüller (ines), michael Wittenborn (Henneberg), Thomas loibl (Gerald), Trystan Pütter (Tim), Hadewych minis (Tatjana), lucy Russell (Steph), ingrid Bisu, Vlad ivanov, Victoria Cocias Länge: 162 min. | Kinostart: 14.7.2016 Verleih: nFP | FD-Kritik: 44 012
Eine Kooperation von MFG Filmförderung Baden-Württemberg Verband der deutschen Filmkritik FILMDIENST
kritiken auf dvd/Blu-ray
Jordskott – Die rache des Waldes
Fotos S. 52-55: Jeweilige Anbieter
Verstörend-spannende Serie auf den Spuren von David Lynch
Das Kino ist voll von Geistergeschichten, paranormalen Aktivitäten und wackeligen Kamerabildern derer, die ihre Begegnungen mit dem Unerklärlichen semi-dokumentarisch festhalten wollen. Ausgerechnet aus Schweden, dem Land, das sich seit zwei Jahrzehnten mit düsteren Krimis hervorgetan hat, kommt nun ein Mehrteiler, der an Originalität und Atmosphäre im Kanon des Unheimlichen seinesgleichen sucht. Schon allein der Name lässt frösteln: „Jordskott“. Kalt, kantig, ohne erläuternden deutschen Untertitel. Seine Bedeutung könnte man am ehesten mit dem botanischen Begriff „Rhizom“ umschreiben, jenen Trieben also, mit denen manche Pflanzen den Boden durchstoßen, um sich zu verbreiten. Das macht durchaus Sinn, denn die bislang zehnteilige Serie spielt in den schwedischen Wäldern. Diese sind hier nicht nur „Statisten“ für pittoreske Panorama-Shots; die Pflanzen greifen in „Jordskott“ vielmehr auf eigentümliche Art ins Geschehen ein. Fast könnte man an eine Variation von Don Siegels „Die Invasion der Körperfresser“ (fd 5915) denken, jenem Science-FictionFilmklassiker, in dem sich Pflanzen der Menschen bemächtigen. Solche Assoziationen drängen sich manchen der verstörend schön inszenierten Szenen durchaus auf. So
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begegnet man schon zu Beginn einem bleiren unerquicklichen Fällen herumgeschlagen chen Mädchen, das im Wald aufgefunden hat. Doch nun ist sie zurück und erlebt die wird. Im Krankenhaus, wo es zu neuen Kräf- Stadt mit ihren undurchsichtigen Bewohnern ten kommen soll, findet eine Schwester die noch verstörender als zuvor. Es geschehen Somnambule nachts am Fenster stehend, unerklärliche Dinge. Neue Kinder verschwinmit der Hand eigentümlich im Blumentopf den, andere tauchenwieder auf. Fragmente der Zimmerpflanze verharrend. mit bizarreren Schriftzeichen führen Eva Die Handlung spielt in und um das verschlaThörnblad auf absonderliche Fährten. Und fene Nest Silverhöjd. Ein Dorf immer spielt der Wald eine inmitten von Wäldern, am Leben tragende Rolle. Der Wald, der die erhalten von der holzverarbeitenMenschen fest im Griff zu haben den Industrie. Die Firma Thörnscheint. blad Cellulosa und ihr Patriarch „Jordskott“ atmet den Geist sind die Lebensader der Gegend. von David Lynch. Verstörend Doch nun ist der Herrscher tot. ist das und wahrlich unheimUnter mysteriösen Umständen lich. Der schwedische Regisums Leben gekommen, die wie seur Henrik Björn beweist so vieles aufgeklärt werden ähnlich wie Lynch Mut zum JOrdSKOTT. Schweden/ sollen. Deshalb kehrt auch die realen Unerklärlichen. Mut zum finnland 2015 Polizeiinspektorin und Tochter Absurden. Und Mut zu einer regie: Henrik Björn, des Toten, Eva Thörnblad, in ihr Mischung aus Alltäglichem Heimatdorf zurück, das sie sieben anders Engström und Erschreckendem. In einer Darsteller: Moa Gammel, Jahre zuvor eigentlich für immer Mischung aus Krimi, Familienverlassen hat, nachdem ihre eige- Göran ragnerstam, drama und Märchen kriecht der richard forsgren, ne Tochter nahe eines pittoresken lia Boysen Horror hier in jede Ritze. Selten Sees spurlos verschwand. Sieben hat man so viel Atmosphäre, so länge: 588 Min. lange Jahre, in denen sie nie über irritierend-schöne, in gewisfsk: ab 16 den Verlust hinweg gekommen sem Sinne „kranke“ Bilder und anbieter: Polyband ist und sich eher schlecht als ernsthaft-absurdes Unbehagen recht in der Hauptstadt mit ande- fD-kritik: 44 031 im Fernsehen gesehen. Jörg Gerle
KrITIKEN fernseh-tipps
SA
10.45-12.10 einsfestival Jaffa – Im Namen der Orange R: Eyal Sivan Facettenreiches Bild palästinensischisraelischer Geschichte Israel 2009 Ab 14
14.00-16.05 KiKA Ronja, die Räubertochter R: Tage Danielsson Fantasievolles Abenteuer-Märchen Schweden 1984 Sehenswert ab 8 14.45-16.35 einsfestival Looking for Eric R: Ken Loach Fußballer hilft Mann in Krise Großbritannien 2009 Sehenswert ab 14
SAMSTAG 9. Juli 21.50-23.25 SUPER RTL Chicken Run – Hennen rennen R: Peter Lord Lagerfilm-Parodie mit Knetfiguren Großbritannien 2000 Sehenswert ab 12 22.05-23.35 arte Rio 50 Grad Celsius R: Julien Temple Subjektiver Blick auf Brasiliens Kultur Deutschland 2014 Ab 14 23.25-01.15 Das Erste Die Lincoln Verschwörung R: Robert Redford Detailgenaues Historiendrama USA 2010 Sehenswert ab 14
20.15-23.20 SAT.1 Independence Day R: Roland Emmerich Patriotischer Science-Fiction-Film USA 1995 Ab 16
23.25-00.10 SUPER RTL Wallace & Gromit: Auf Leben und Brot R: Nick Park Herr und Hund backen Großbritannien 2008 Sehenswert ab 8
20.15-22.35 Servus TV Die Legende von Bagger Vance R: Robert Redford Caddie hilft haltlosem Golf-Profi USA 2000 Ab 16
00.45-02.15 Servus TV Finstere Gassen R: John Boulting Stimmige Graham-Greene-Adaption USA 1947 Ab 16
9. Juli, 20.15-23.20
SAT.1
Independence Day Es gehörte eine nassforsche Unverfrorenheit dazu, 1996 das Weiße Haus samt Hauptstadt in die Luft zu jagen. Doch so unvorstellbar das außerirdische Bedrohungspotenzial in Roland Emmerichs Science-Fiction-Fabel auch in Szene gesetzt ist, so zuverlässig fängt die Dramaturgie alle galoppierenden Ängste schnell wieder ein, wenn ein unerschrockener US-Pilot (Will Smith), ein trunksüchtiger VietnamVeteran (Randy Quaid) und der Präsident (Bill Pullman) höchstpersönlich in den Kampfjet steigen, um den Invasoren die Stirn zu bieten. Der Patriotismus tropft dieser furiosen Mischung aus „Krieg der Welten“, „Krieg der Sterne“ und „Unheimliche Begegnung der dritten Art“ zwar aus allen „Top Gun“-Schanieren, doch im Rückblick von zwei Jahrzehnten wirkt der aus vielen Quellen kompilierte Film trotz seines Zerstörungsgewitters erheiternd naiv. Die lange geplante Fortsetzung „Independence Day 2: Wiederkehr“ soll in diesem Sommer in die Kinos kommen.
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9. Juli, 21.50-00.10
SUPER RTL
Aardman Derzeit lässt eine Sonderausstellung im Deutschen Filmmuseum in Frankfurt/ Main (bis 30.10.) die Kunst der britischen Animationsfilmschmiede Aardman aus erster Hand erleben (vgl. FD 13/2016). Die Knetfiguren des Studios aus Bristol sind unbestritten Kult und haben in der britischen Gesellschaft weithin Spuren hinterlassen – etwa auf Weihnachtsbriefmarken oder mit der Einrichtung des „Wrong Trousers Day“, einer jährlichen Wohltätigkeitsveranstaltung. SUPER RTL widmet dem Studio am 9.7. ein schönes Doppelprogramm, das mit Aardmans erstem Langfilm „Chicken Run – Hennen rennen“ (21.50-23.25) beginnt. Darin verblüffen noch immer nicht allein die Animationskunst und die wunderbaren Gags, sondern auch die filmhistorische Akribie, mit der sich der Film zur Parodie von Lagerausbruchsfilmen wie „Die große Flucht“ aufschwingt. Anschließend folgt das bislang letzte „Wallace & Gromit“-Abenteuer „Auf Leben und Brot“ (23.25-00.10), in dem das Erfinderteam aus Herrchen und Hund sich als Bäcker versucht.
9. Juli, 20.15-21.45
3sat
Rammstein in Amerika Seit David Lynchs mysteriösem „Lost Highway“ zählt auch die (Ost-)Berliner Metal-Band „Rammstein“ zu den Songlieferanten des Kinos, die mit ihren düster-martialischen Stücken perfekt in brachiale Postpunk-Welten zu passen scheinen. Die Dokumentation „Rammstein in Amerika“ von Hannes Rossacher zeichnet die ungewöhnliche Karriere der provokativen Berliner Rockmusiker nach, die mit ihrem dunklen Sound, einer lange Zeit als proto-faschistisch verdächtigten Ästhetik und vieldeutigen Texten beständig für Aufregung sorgen. Obwohl die Formation erst 1994 offiziell zusammenfand, reicht ihre Vorgeschichte bis in die Zeit vor der Wende zurück. Dann aber ging es weltweit fast senkrecht nach oben, vor allem auch in Amerika. Nach der Jahrtausendwende kühlte die transatlantische Euphorie allerdings merklich ab, doch 2010 war das „Rammstein“-Konzert im Madison Square Garden binnen Stunden ausverkauft. Der Film zeichnet die wechselvolle Geschichte der Band mit viel Archivmaterial und Interviews von Managern und Fans (u.a. Moby, Iggy Pop, Kiefer Sutherland) nach, verfolgt aber auch das obskure Phänomen der „Neuen Deutsche Härte“-Musik.
fernseh-tipps KrITIKEN
SO
14.00-15.25 KiKA Wir Kinder aus Bullerbü R: Lasse Hallström Nostalgische Lindgren-Adaption Schweden 1986 Sehenswert ab 6 20.15-22.30 Angeklagt R: Jonathan Kaplan Drama mit Jodie Foster USA 1988
10. Juli, 20.15-21.40
SONNTAG 10. Juli
SIXX
Ab 16
Händler der vier Jahreszeiten
10. Juli
20.15-22.25 ProSieben Die etwas anderen Cops R: Adam McKay Lustige Action-Buddy-Film-Persiflage USA 2010 Ab 14
Fotos S. 56 – 65: Jeweilige Sender.
00.00-01.30 NDR fernsehen Ein enger Kreis R: Laurent Tuel Sorgfältig austarierter Gangsterfilm Frankreich 2009 Ab 16 00.50-02.38 Das Erste Der ganz große Traum R: Sebastian Grobler Englischlehrer bringt Fußball nach Preußen Deutschland 2010 Sehenswert ab 10
3sat
Naturgewalten Bei Stichwort „Naturgewalten“ denkt man in hiesigen Breiten derzeit vor allem an Starkregen und reißende Wasserfluten, was aber nur teilweise auf den Thementag von 3sat passt, da es dort in den Dokumentationen und Features auch um Trockenheit, Dürre und Hungersnöte geht. Die vier Spielfilme aber passen zum nassen Element, insbesondere Wolfgang Petersens „Der Sturm“ (2000) mit George Clooney, Mark Wahlberg und Diane Lane, der den Untergang eines Fischtrawlers vor Neufundland nacherzählt. Neben der puren Überwältigung der tobenden Wasserfluten und ihrer erdrückenden Gewalt nimmt sich die Inszenierung auffällig viel Zeit für die Charakterisierung der Personen und ihrer Motive, was die Konfrontation mit den Elementen in einen recht menschlichen Kontext einbettet. 06.35-08.05 09.00-11.00 20.15-22.10 22.10-01.10
20.15-21.40 zdf.kultur Händler der vier Jahreszeiten R: Rainer Werner Fassbinder Brillante Tragikomödie Deutschland 1971 Sehenswert ab 16
zdf.kultur
SOS Gletscherpilot Der Atem des Himmels Der Sturm Der Untergang der Pamir (2 Teile)
10. Juli, 20.15-22.25
Rainer Werner Fassbinders brillante Tragikomödie „Händler der vier Jahreszeiten“ (1972) resultierte aus seiner intensiven Beschäftigung mit den Melodramen von Douglas Sirk. RWF erzählt darin von Hans Epp (Hans Hirschmüller), der als Obsthändler mit seinem Holzkarren durch die Hinterhöfe zieht. In seinem Leben ist schon vieles schiefgelaufen. Den Ansprüchen seiner Mutter konnte er nie genügen, seine große Liebe (Ingrid Caven) durfte ihn aus Standesgründen nicht heiraten. Er trinkt und prügelt seine Frau (Irm Hermann), die ohne Liebe neben ihm lebt und Kind und Haushalt versorgt. Als er nach einem ersten Herzinfarkt einen Kameraden aus der Fremdenlegion (Klaus Löwitsch) anstellt, beginnt das Geschäft zu florieren. Doch Hans wird immer depressiver. Er kommt mit dem kalten Egoismus der Welt nicht zurecht. Auch seine Schwester (Hanna Schygulla), die ihm als einziger Mensch mit Liebe begegnet, kann den Druck nicht mindern. In seiner Stammkneipe säuft er sich zu Tode. Schon die zeitgenössische Kritik überschüttete das „vollendete Melodram“ (Filmkritik) mit Lobeshymnen. „Der beste deutsche Film seit dem Krieg“ (SZ) besticht auch im Rückblick durch seine rigorose Reduktion auf die Figuren und ihre Beziehungen, die parabelhaft in einen geradezu zeitlosen Raum ohne Perspektive oder Ausweg gestellt werden.
ProSieben
Die etwas anderen Cops Mit seiner Satire „The Big Short“ über die Anfänge der US-Immobilienkrise landete Adam McKay Ende 2015 einen Überraschungserfolg, der ihm unter zahlreichen Preisen den „Oscar“ für das beste adaptierte Drehbuch einbrachte. Völlig aus heiterem Himmel kam dieser Triumph jedoch nicht: Der Absolvent der Satireschule Second City, ehemalige Chef-Autor von „Saturday Night Live“ und Initiator der Comedy-Website „Funny or Die“ hatte schon mit seinen vorherigen Filmen sein Potenzial angedeutet, auch wenn sie vielfach als unbeschwerte Gagfeuerwerke missverstanden wurden. So auch „Die etwas anderen Cops“, in dem Will Ferrell und Mark Wahlberg als Polizisten, die bislang Frondienste am Schreibtisch leisteten, nach dem Ableben zweier Super-Cops ihre große Chance erhalten. Die ungeheuer unterhaltsame Persiflage auf Action-Buddy-Movies lebt von den Wortgefechten der beiden ungleichen Hauptfiguren sowie einem Feuerwerk absurder Einfälle und spießt dabei genüsslich die Heldenbilder des Genres auf.
10. Juli, 20.15-22.30
SIXX
Angeklagt Im Hinterzimmer einer Bar ist die junge Sarah Tobias (Jodie Foster) von mehreren Männern vergewaltigt worden. Obwohl die Täter schnell überführt sind, werden sie nur wegen Körperverletzung verurteilt. Erst in einem zweiten Verfahren tritt das Sexualstrafdelikt ins Zentrum. Das von Jonathan Kaplan inszenierte Gerichtsdrama vereint effektvolles Unterhaltungskino mit einem ernsthaften Anliegen, indem es jegliche Form von sexuellem Missbrauch als Verstoß gegen das Selbstbestimmungsrecht wertet.
Filmdienst 14 | 2016
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