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Filmkunst

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FILM DIeNSt Das Magazin für Kino und Filmkultur

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Kann man neben einer Comic-Verfilmung wie „Marvel’s the Avengers“ mal eben auch Shakespeares „Viel Lärm um nichts“ adaptieren? Im Kosmos von regisseur Joss Whedon ist alles möglich!

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WHEDONSWELT

FILME GEHEN IN SERIE Kinofilme liefern derzeit immer wieder den Stoff für Fernsehserien. Mit überraschend gutem ergebnis.

WALTER HILL VLADO KRISTL

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17. Juli 2014 € 4,50 67. Jahrgang

Der eigenwillige Filmkünstler blieb zeitlebens ein Außenseiter. Doch es lohnt sich, sein Werk neu zu entdecken.

... ist ein routinier des ruppigen Genre-Kinos. Sein Werk inspiriert eine jüngere regie-Generation.

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Akteure

Kino 10

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Erfolgreiche Kinofilm-Konzepte werden wiederbelebt, um aus ihnen Fernsehserien zu machen. Das ist kein neues Phänomen. Erstaunlich ist aber, welche Qualität aktuelle Serien dabei an den Tag legen – wie die TV-Variationen der Kultfilme „Fargo“ und „From Dusk Till Dawn“. Von Olaf Brill

Harte Genrefilme wie „Driver“ und „Nur 48 Stunden“ sind sein Metier: Vor allem von den 1970er- bis in die 1990er-Jahre schuf Walter Hill Werke, die zu Klassikern wurden. Ihr besonderer Stil wird heute verstärkt von jungen Regisseuren wieder aufgegriffen. Von Ulrich Kriest

FILMStoFFe IN tV-SerIeN

Alle Filme im tV vom 19.7. bis 1.8. das extraheft 48 Seiten Extra-Heft: Alle Film e im TV 80.000 Film-Kritike n u n t e r w w w. f i l m d ienst.de

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JoSS WHeDoN Der vielseitige Filmemacher wird dank seiner Fernsehserien, aber auch seines Films „Marvel’s The Avengers“ wie ein Pop-Star gefeiert. Was ihn nicht davon abhält, sich auch an Shakespeare heranzuwagen: „Viel Lärm um nichts“ startet aktuell in den Kinos. Eine Hommage auf einen bemerkenswerten Geschichtenerzähler. Von Michael Ranze

WILLKOMMEN BEI DEN RILEYS 26.7. einsfestival

Ständige Beilage

FIlM

GOOD NIGHT AND GOOD LUCK 28.7. WDR Fernsehen

IM tV 19.7.–1.8.2014

THE LOOK – CHARLOTTE RAMPLING 29.7. zdf.kultur

leaving las Vegas von Mike Figgis Familiengrab von Alfred Hitchcock ... und jeder sucht sein Kätzchen von Cédric Klapisch

WALter HILL

TIM BURTON’S CORPSE BRIDE

19.7. TELE 5.

Walter hills neo-Western „Geronimo“

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IN MeMorIAM Als Halunke in diversen Western brachte es „Method Actor“ Eli Wallach zwar nicht zum Star-Ruhm eines Clint Eastwood. Doch das markante Gesicht des mit 98 Jahren verstorbenen Mimen wird unvergesslich bleiben. Weitere kurze Würdigungen von Verstorbenen, u.a. von Jacques Herlin. Von Thomas Klein und Rainer Heinz

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DER GOTT DES GEMETZELS

21.7. Das Erste.

[23.7. DAS ERSTE]

HArALD BerGMANN

[24.7. 3SAT] [31.7. ARTE]

Mit seinen Arbeiten über Hölderlin hat sich der deutsche Filmemacher als kongenialer Gestalter von Filmen erwiesen, die sich stilistisch erfolgreich dem literarischen Kosmos eines Autors annähern. Davon profitiert auch sein neuer Kinofilm: „Der Schmetterlingsjäger“. Von Heidi Strobel

Der Gott des Gemetzels 21.7. Das Erste Willkommen bei den Rileys 26.7. einsfestival Good Night and Good Luck 28.7. WDR Fernsehen

Hollwoods bestes sprungbrett ... ist laut hollywood-korrespondent franz everschor das Science-fiction-Genre: mit viel fantasie und interessanten gesellschaftskritischen Ansätzen profilieren sich die Spielbergs von morgen (S.27).

Neue Filme auf DVD/Blu-ray 4

Fotos: TITEL: Edel:Motion. S. 4/5: Paramount/Walt Disney/absolutMEDIEN/Columbia TriStar Home Ent./Universum/Fox/DropOut/Arthaus

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Neue Filme

Film-Kunst

+ ALLe StArtterMINe

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VLADo KrIStL Erfolg war ihm suspekt, und so war es nur konsequent, dass er zeitlebens ein Außenseiter blieb: Der Filmkünstler Vlado Kristl warf in seinen experimentellen Werken einen subversiven Blick auf Menschen und Machtstrukturen. Von Claus Löser

43 Drachenzähmen leicht gemacht 2 [24. 7.]

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kinotipp

SoMMerFeSte FÜrS KINo Zwei Nachlesen: vom Festival des deutschen Films in Ludwigshafen und vom Internationalen Filmfest München. Von Marius Nobach und Wolfgang Hamdorf

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VoLKer-KoePP-eDItIoN Menschen, Landschaften und ihr historisches Verwachsensein stehen im Zentrum von Volker Koepps Schaffen. In der „DEFA-Edition Schätze“ präsentiert der FILMDIENST zwei neue DVDEditionen mit Koepps Arbeiten.

in den nächsten zwei wochen kommen Animationsfilme, wie sie unterschiedlicher kaum sein könnten, in die kinos. neben dem lärmigen spektakel „drachenzähmen leicht gemacht 2“ glänzen zwei asiatische Filme: das pessimistische drama „the king of Pigs“ sowie das historische epos „wie der wind sich hebt“ von Altmeister Hayao miyazaki.

der katholischen Filmkritik

36 Feuerwerk am helllichten Tage [24.7.] China-Film noir von Diao Yinan

47 Der große Kanton [17. 7.] 47 Hugo Koblet [17.7.] 47 Mindscape [3.7.] 41

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s. DrACHeNZÄHMeN LeICHt GeMACHt 2

Monsieur Claude und seine Töchter [24.7.]

45 Otto ist ein Nashorn [26.6.] 42 Der Schmetterlingsjäger [17.7.] 47 Tammy [3. 7.] 44 The King of Pigs [17.7.] 46 The Raid 2 [24. 7.] 39 Transformers: Ära des Untergangs [17.7.] 37 Viel Lärm um nichts [24. 7.] 46 Wacken 3D [24.7.]

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s. tHe KING oF PIGS

38 Wie der Wind sich hebt [17. 7.] 40 Wir sind die Neuen [17.7.]

rom per Vespa: Plakatmotiv zu „liebes tagebuch...“

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ruBrIKeN Editorial Inhalt Magazin E-Mail aus Hollywood Magische Momente DVD-Perlen Vorschau Impressum

MAGISCHe MoMeNte Dieses Mal: Rom im Ferienmonat August liefert die Kulisse für Nanni Morettis komisch-verzweifelte Selbstbefragung in „Liebes Tagebuch …“. Von Rainer Gansera

Kritiken und Anregungen?

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s. WIe Der WIND SICH HeBt

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Kontaktieren Sie uns über info@film-dienst.de oder besuchen Sie uns auf Facebook (www.facebook.com/filmdienst).

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s t h c i N i st h c i l g ö m ! ! N ! u

Neben Peter Jackson und J.J. Abrams ist Joss Whedon derzeit der inoffizielle Hohepriester der Nerd-Kultur. „Whedonverse“ nennen Fans liebevoll den fiktiven Kosmos, den der „Avengers“-Regisseur im Kino und im Fernsehen, aber auch fürs Internet sowie für Comics erschaffen hat. Mutige Vampir-Jägerinnen, abgehalfterte Weltraum-Outlaws und Superhelden mit Ego-Problemen spielen darin humorvoll mit dem Mythen-Arsenal der Popkultur, wobei Beziehungsreibereien und Gruppendynamiken für menschliche Erdung sorgen. In seinem neuen Film zelebriert Whedon allerdings nicht seine Leidenschaft für Comics und Genrefilm: „Viel Lärm um nichts“ (Kritik in dieser Ausgabe) feiert vielmehr William Shakespeare. Von Michael Ranze

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Joss Whedon

Foto: S. 16-17: Walt Disney./Edel:Motion. S. 19-20: Walt Disney/Universum/Universal/Twentieth Century Fox/Edel:Motion

shakespeares „Viel lärm um nichts“ im „whedon-Familienkreis“ …

Weltraum und Shakespeare, Fernsehen und Kino, Comic und Musical – im Universum des Joss Whedon sind dies keine Widersprüche, nichts ist unmöglich. Denn: Whedon ist ein Erzähler, dem die Geschichte über alles geht, egal in welchem Medium, egal in welcher Form. Und: Er ist ein Popstar unter den Regisseuren, ein Schutzheiliger treuer Nerds, die ihn bei Filmpremieren mit Standing Ovations beklatschen, bei anschließenden Q&As Löcher in den Bauch fragen, auf Science-Fiction-Conventions und ComiCons Autogramme abjagen oder auch massiv auf die Barrikaden gehen, wenn eine Serie – gemeint ist „Firefly“ – vorzeitig abgesetzt wird. Dabei ist Joss Whedon ein Tausendsassa, der alles kann, vom Drehbuch bis zur Produktion, der alles macht, von der Serie bis zum Blockbuster, der keine Scheuklappen hat, weder vor dem Fernsehen noch vor dem Internet, der keine Angst hat, auch mal zu scheitern. Mein Einstieg in das Whedonverse (so der Name einer Website, die sich mit allem, was Joss Whedon jemals getan hat, beschäftigt) war ein kleiner Fehlstart: der Kinofilm „Serenity“ (2005). Die verworrene Story und der uneinheitliche Stil sorgten auch bei Kollegen für Ratlosigkeit, für die es allerdings einen Grund gibt: „Serenity“ knüpft da an, wo „Firefly“, die vorzeitig abgesetzte Fox-TV-Serie, nach 14 Folgen aufhörte. Viele Zusammenhänge, z.B. die politischen Gegebenheiten in diesem Sci-Fi-Universum, die unterschiedlichen Charaktere, die die Crew des Schmuggler-Raumkreuzers Serenity bilden, sowie ihre Beziehungen erschließen sich ohne Kenntnis der Serie nur langsam. Doch ist diese nachgeholt, fühlt man sich rasch heimisch in diesem unterhaltsam-anspielungsreichen Mix aus Western und „Krieg der Sterne“. Whedon sprengt die Konventionen des Science-Fiction-Films; dem Traum von der Eroberung unendlicher Weiten hält er die zivilisationskritischen Tendenzen des Spätwesterns entgegen. Selten hat man ein so schmutziges, abgetakeltes Raumschiff gesehen. Und die Frauenfiguren, von der taffen Kriegerin Zoe über die burschikose Monteurin Kaylee bis zur geheimnisvollen Liebesdienerin Inara, scheinen aus einem Howard-Hawks-Western zu stammen: schön,

kino

… als elegantes spiel zwischen original, screwball und „whedonverse“

selbstbewusst, wehrbereit. Sie sind den Männern ebenbürtig, und aus dieser Begegnung auf Augenhöhe bezieht der Film einen gewichtigen Teil seines lakonischen Humors. „Firefly“ kommt nicht von ungefähr: Whedon, eben erst 50 Jahre alt geworden, ist ein versierter Autor und Geschichtenerfinder mit langjähriger Serienerfahrung. Für die Sitcom „Roseanne“ war er als Script Editor tätig, er schrieb als CoAutor das Drehbuch zu John Lasseters „Toy Story“ (1995) und zeichnet für das Skript von Jean-Pierre Jeunets „Alien – Die Wiedergeburt“ (1997) verantwortlich. Eine hartnäckige Fangemeinde erarbeitete er sich mit der Vampirjägergeschichte „Buffy – Im Bann der Dämonen“, die ab März 1997 im US-Sender The WB, ab Oktober 1998 in Deutschland auf ProSieben lief. Die Idee geht aber noch weiter zurück: Bereits 1991 hatte Whedon das Drehbuch für den Kinofilm „Buffy The Vampire Slayer“ geschrieben, der dann von Fran Rubel Kuzui („Tokio Pop“) inszeniert wurde. Wie „Firefly“ ist die Serie ein stimmiger Genre-Mix, diesmal aus Horror- und Highschool-Geschichte: Der Höllenschlund, der direkt unter der Schule des idyllischen Städtchens Sunnydale liegt, sorgt dafür, dass der Ort das bevorzugte Revier dämonischer Kreaturen jedweder Couleur ist; und ausgerechnet ein blondes Teenager-Mädchen entpuppt sich als diejenige, die dafür auserwählt ist, deren Treiben mit schlagkräftigem Nahkampf-Einsatz Einhalt zu gebieten. Eigentlich wäre Buffy allerdings lieber ein normales Schulmädchen wie alle anderen; ihr heimliches Doppelleben als Jägerin macht sie und ihre Freunde, die ihr hilfreich zur Seite stehen, zu Außenseitern und stürzt sie ein ums andere Mal in Konflikte zwischen der übernatürlichen Aufgabe und ihren menschlichen Sehnsüchten. Schon hier zeigt sich Whedons Interesse für starke Frauenfiguren, kompetent, was ihren Beruf (oder ihre Berufung) angeht, gewitzt und schlagfertig, was ihren Umgang mit Männern betrifft. „Buffy“ wurde so zum Kult; Sarah Michelle Gellar zum Star. Außerdem lebt die Serie von etwas, das Whedons Arbeiten bis hin zu den „Avengers“ und seiner Shakespeare-Adaption „Viel Lärm um nichts“ vergnüglich macht: Whedon findet immer wieder eine überzeu-

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Frauenpower: summer glau in „Firefly“

Joss whedon liebt gruppendynamik: die Helden der „Avengers“...

eliza dushku in „dollhouse“

gende Balance dabei, seine Sujets genau so ernst zu nehmen, wie es nötig ist, um die Zuschauer mit den Figuren mitfiebern und mitleiden zu lassen, und sie doch auch mit so viel augenzwinkerndem Humor und Dialogwitz im Geiste des Screwballs zu würzen, dass ihnen nie der spielerische Charakter abhanden kommt. Gleichzeitig offenbart sich Whedon als wundervoller Ensemble-Regisseur, der es liebt, sich nicht nur auf eine Hauptfigur zu konzentrieren, sondern der Gruppen in den Blick nimmt und es bestens versteht, zusammen mit seinen Schauspielern spannungsvoll deren emotionale Dynamiken, Sympathien und Antipathien, Loyalitäten und innere Abgrenzungen auszuloten.

... und die Crew des raumschiffs „serenity“ überzeugen durch teamarbeit.

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„Firefly“ und „Serenity“, aber auch „Buffy“, sind ein schöner Beweis, wie mühe- und sorglos Whedon unterschiedliche, sogar gegensätzliche populäre Mythen zu verknüpfen weiß. Ihm ist kein Gedanke zu abwegig, keine Idee zu verrückt. Hauptsache, sie funktioniert und fügt sich in seinen Erzählkosmos. So scheint es nur folgerichtig, dass er mit „Marvel’s The Avengers“ gleich vier Superhelden aus dem Hause Marvel, jeder von ihnen bereits mit eigener Kinoidentität versehen, zusammenführt: Iron Man, Captain America, Thor und Hulk. Dabei lässt er den Figuren ihre Eigenheiten und Charakterfehler, so dass der Zuschauer sich schon bald fragt, ob sie jemals ein Team bilden werden. Whedon frönt auch hier wieder seiner Schwäche für selbstbewusste Frauen, Scarlett Johansson als Black Widow und Cobie Smulders als Agent Hill, Nick Furys rechte Hand, bieten mit ihrer Mischung aus Attraktivität und Dominanz den Männern Paroli, und das macht sie auch für ein weibliches Publikum zu Identifikationsfiguren. „Marvel’s The Avengers“ hat außerdem gezeigt, dass Whedon auch „großes“ Kino kann. Der abschließende, in Manhattan spielende Showdown mit all seinen Special Effects ist perfekt und aufregend inszeniert: Die Art und Weise, wie Kamera und Montage den verschiedenen Avengers beim Kampf gegen feindliche Aliens durch die Häuserschluchten folgen, entwickelt sich ein bisschen wie ein atemberaubender Staffellauf am Boden und in der Luft; die Tiefe des Raums, die 3D bietet, wird dabei bestens ausgenutzt, und die Aktionen der unterschiedlichen Figuren wer-

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Joss Whedon

kino

scarlett Johansson in „Avengers“

Amy Acker in „Viel lärm um nichts“

den wie in einer einzigen flüssigen, rasanten Bewegung choreografiert. Fast hat man den Eindruck, als habe Whedon, einem jungen Steven Spielberg oder George Lucas gleich, es gar nicht abwarten können, endlich einmal aus dem Vollen zu schöpfen und die gutgeölte Infrastruktur, vor allem aber das Budget eines großen Studios zu nutzen. Wie ein großer Bub, der Professionalität, Leidenschaft und Verrücktheit zu einer unschlagbaren Einheit verknüpft: Bei Whedon wirkt das Blockbuster-Kino nicht kühl und berechnend, sondern wie eine Herzensangelegenheit. Das Interesse für Marvel und seine Superhelden bei Whedon kommt nicht von ungefähr. Whedon liebt Comics. Er schuf, quasi als Erweiterung seines Oeuvres, in Buchform die Miniserie „Fray“, die das Buffy-Universum weiterspinnt. 2005 erschien bei „Dark Horse Comics“ ein Dreiteiler namens „Serenity“, der den gleichnamigen Kinofilm mit der Serie „Firefly“ verknüpft. Die Realverfilmung der Comicserie „Wonder Woman” scheiterte wegen kreativer Differenzen zwischen Whedon und den Produzenten. Comics sind für Whedon eine gleichberechtigte Kunstform, die seine Kinound Fernsehbilder in einem anderen Medium weiterdenkt. Zwischendurch, 2008, leistete sich Whedon das wundervolle Musical „Dr. Horrible’s Sing-Along Blog“. Eigentlich gedacht als frei zugänglicher Internetauftritt, um neue Vertriebswege auszuprobieren, wurde die Webserie zu einer unerwarteten Sensation. Entstanden in nur sechs Tagen für 200.000 Dollar, eingeteilt in drei 12- bis 15-minütige Segmente, erzählt der Film die Geschichte von Dr. Horrible, einem Möchtegern-Schurken, der davon träumt, der Evil League of Evil, einer Organisation von Superbösewichtern, beizutreten. Dabei ist er viel zu schüchtern, um die schöne Penny aus dem Waschsalon anzusprechen. Und auch Captain Hammer (Nathan Fillion aus „Firefly“) macht ihm das Leben schwer. Zusammen mit seinen Brüdern Zack und Jed schrieb Joss Whedon ein Drehbuch voll absurder Situationen, ironischer Gags und unterhaltsamer Songs. Der Humor entsteht dabei einmal mehr durchs liebevoll-ironische Spiel mit Genreelementen - und durch die Tatsache,

ob raumschiffe reparieren wie in „Firefly“...

... Vampire pfählen wie „Buffy“...

... oder cool den „Avengers“ beistehen: whedonFrauen können alles!

dass es gar nicht so einfach ist, böse zu sein. Und das ist doch ein tröstender Gedanke. Manchmal reicht es Whedon auch, im Hintergrund die Fäden zu ziehen und Gleichgesinnte zu fördern. In „The Cabin in the Woods“ (2011), mitgeschrieben und produziert von Whedon, unterläuft Regisseur Drew Goddard auf ruppige, aber höchst unterhaltsame Weise die Konventionen des Slasher-Horrors und zieht mit einer Parallelhandlung um zwei hemdsärmelige Wissenschaftler in einem sterilen Hightechlabor einen doppelten Boden ein, der es in sich hat. Dabei spicken die Macher ihren Film mit zahlreichen Zitaten aus der Horrorfilm-Geschichte, von „Tanz der Teufel“ über „Scream“ und „Freitag, der 13.“ bis zu den Zombie-Filmen von George A. Romero, und stellen sie in einen neuen, mitunter sogar medienkritischen Zusammenhang, der wiederum Erinnerungen an Wolfgang Menges „Millionenspiel“ und Arnold Schwarzeneggers „Running Man“ weckt. Auch hier wieder das befreite, lustvolle Spiel mit Kinomythen, denen einfach ein neuer Platz zugewiesen wird. Und nun also: Shakespeare. „Viel Lärm um nichts“ drehte Whedon in Schwarz-weiß, mit den originalen Shakespeare-Dialogen, deren Humor wunderbar in das „Whedonverse“ passt. Fast hat man den Eindruck, als hätte Whedon alte Bekannte (wie zum Beispiel Nathan Fillion und Sean Maher) zum Wochenend-Dreh geladen und einen Ferienfilm inszeniert. Der Anstrengung von „Marvel’s The Avengers“ lässt er, diametral entgegengesetzt, den leichtfüßigen Anspruch des größten Dramatikers der Literaturgeschichte folgen. Nur, um für „Avengers 2“ schon in den Startlöchern zu stehen. Dieser Mann ist offen für alles. Hauptsache, die Geschichte stimmt. • internet: www.whedonverse.net

Buchtipps: Joss whedon: the Complete Companion: the tV series, the movies, the Comic Books and more: the essential guide to the whedonverse, London 2012. Amy Pacale: Joss whedon: geek king of the universe - A Biography, London 2014, erscheint am 24. Juli. Darüber hinaus sind mehrere Comics von Joss Whedon im spezialisierten Buchhandel erhältlich.

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Feuerwerk am helllichten Tage Ein sorgsam verschnürtes weißes Paket lugt aus der schwarzen Kohlenfuhre, die der Laster durch den Norden Chinas transportiert. Erst als es mit auf ein Förderband gehievt wird, bemerken die Arbeiter den grausigen Inhalt: eine abgetrennte menschliche Hand. Dass in einem Umkreis von mehr als hundert Kilometern weitere Leichenteile auftauchen, lässt selbst die abgebrühten Polizisten ihren Gleichmut verlieren, doch abgesehen von der unbegreiflichen Brutalität scheint der Fall Routine: Bald gibt es Hinweise auf das mutmaßliche Opfer, einen einfachen, unauffälligen Arbeiter und offenbar glücklich verheiratet mit der Angestellten einer kleinen Wäscherei. So unerklärlich die Tat ist, so schnell haben der ermittelnde Polizeibeamte Zhang und sein Partner zwei Verdächtige ausgemacht und aufgespürt. Ihnen scheint bei diesem Fall ein Abschluss nach Maß zu gelingen, doch dann geht die Festnahme fürchterlich schief. Zhang, der von Schuldgefühlen geplagt wird, bleibt nur, den Dienst zu quittieren. Was der chinesische Regisseur Diao Yinan in seinem dritten Spielfilm „Feuerwerk am helllichten

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Tage“, mit dem er in diesem Jahr den „Goldenen Bären“ der „Berlinale“ gewann, auf diese Weise auf den Weg bringt, ist der berauschende Auftakt zu einem lupenreinen Film noir in den trostlosen Kohlerevier-Regionen im Norden der Volksrepublik. Nach einem Zeitsprung aus dem Jahr 1999, einer Zeit des chinesischen Wirtschaftsbooms, geht es im Winter 2004 weiter, wo die Aufbruchsstimmung im Land ebenso zerrüttet ist wie der ehemalige Polizist. Aus dem schlanken, jugendlich wirkenden Ermittler ist in den wenigen Jahren ein Wrack geworden: 20 Kilo schwerer, ungepflegt und in jeder Beziehung heruntergekommen – eine eindrucksvolle Transformation des ebenfalls in Berlin geehrten Schauspielers Liao Fan –, arbeitet Zhang nun als Sicherheitskraft in einer Mine, wo er wegen seiner ständigen Trunkenheit das Gespött der gesamten Arbeiterschaft ist. Halt findet der Einzelgänger nur im Kontakt mit seinem früheren Partner, der ihm mitteilt, dass der für abgeschlossen gehaltene Fall eine merkwürdige Fortsetzung gefunden hat. Zwei weitere Männer sind seitdem ermordet und zerstückelt worden, und beide standen in enger Bezie-

hung zur Witwe des ersten Opfers. Zhang beginnt sie zu verfolgen, was ihn tatsächlich bald auf die Spur abgründiger Geheimnisse hinter der Mordserie bringt. Wozu auch gehört, dass die anfänglich unscheinbar und verschreckt wirkende Frau immer mehr die Attribute einer klassischen femme fatale bekommt, deren Aufmachung zudem mit ihren Haaren, die eine Gesichtshälfte fast ganz verdecken, eine frappante Ähnlichkeit zum 40er-Jahre-Star Veronica Lake aufweist. Mit solch direkten Anspielungen auf Hollywood-Vorbilder geht Diao insgesamt allerdings eher sparsam um. Ihm kommt es vielmehr auf eine Übertragung der Erkennungsmerkmale amerikanischer Noirs auf heutige chinesische Verhältnisse an, was ihm mit einer mitunter atemberaubenden stilistischen Meisterschaft gelingt, neben der handelsübliche „Tatort“- und Schwedenkrimi-Konfektionsware noch um ein Vielfaches dürftiger als ohnehin schon erscheint. Die chinesische Gesellschaft, die ähnlich desillusioniert wirkt wie die der USA nach dem Zweiten Weltkrieg, ist eine natürliche Umgebung für die verbitterten und lakonischen Figuren

des Films. Und für die düsteren Schwarz-weiß-Stimmungsbilder der Originale hat Kameramann Dong Jinsong ein kongeniales Substitut gefunden: Kalte, gelbe und rote Neontöne in den häufigen Nachtszenen und der Kontrast von schwarzer Kohle und weißem Schnee prägen die kunstvolle Farbgestaltung. Stimmungsvoll unterstreicht sie den spannenden Kriminalplot, der in seiner Verwickeltheit locker mit Klassikern wie „Tote schlafen fest“ mithalten kann und in dem die Szenen extremer Gewalt schlagartige Eruptionen aus einer Atmosphäre der allgegenwärtigen Angst, Unsicherheit und Anspannung darstellen. Anders als Jia Zhangkes im letzten Jahr in Cannes gefeiertes Drama „A Touch of Sin“ übt „Feuerwerk am helllichten Tage“ nicht offen Kritik an den Verhältnissen in China, doch unterschwellig spielen die Auswirkungen der kapitalistischen Gesellschaftsumkrempelung eine nicht zu übersehende Rolle. Eine allgemeine Verrohung prägt die Bewohner der tristen, namenlosen Industriestadt, in der anscheinend jeder nur an sich selbst denkt: Sehr früh sieht man das in einer Szene, in der Zhang

Fotos S. 36-47: Jeweilige Filmverleihe.

Der Gewinner des „Goldenen Bären“ 2014 projiziert meisterlich Stilmittel des Film noir ins heutige China.

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im Kino nachts betrunken am Straßenrand liegt und ihm ein vorbeifahrender Mann nicht etwa aufhilft, sondern ihm das Motorrad klaut; Zhang muss sich fortan mit dem Schrottvehikel des Diebs behelfen. Doch Diao gönnt den Figuren trotz aller Tristesse immer wieder auch kleine Glücksoasen: Die Gondel eines Riesenrads mit Blick auf die nächtliche Stadt, oder eine Eisbahn, wo die Stadtbewohner Runde um Runde drehen, während Strauss-Walzer erklingen – wunderbar poetische Ausbrüche aus einer buchstäblich menschlichen Tragödie. Marius Nobach

Bewertung der Filmkommission

In einem brutalen Mordfall in den Kohlerevier-Regionen in Nordchina scheinen die Ermittler schnell auf die Täter zu stoßen, doch die Festnahme gerät zum blutigen Fiasko. Daraufhin quittiert der verantwortliche Polizist den Dienst, bis der Fall einige Jahre später eine Fortsetzung findet. Mit bewundernswerter Stilsicherheit gelingt es dem kunstvoll inszenierten und fotografierten Thriller, die Charakteristika amerikanischer Noirs kongenial auf aktuelle chinesische Verhältnisse zu übertragen. Über die spannende Handlung hinaus entfaltet sich das gesellschaftliche Panorama einer Atmosphäre allgegenwärtiger Angst, in der dennoch Raum für poetische Ausbrüche bleibt. – Sehenswert ab 16.

BAI RI YAN HUO VR China/Hongkong 2014 regie, Buch: Diao Yinan

Fotos S. 36-47: Jeweilige Filmverleihe.

kamera: Dong Jinsong musik: Wen Zi schnitt: Yang Hongyu darsteller: Liao Fan (Zhang Zili), Gwei Lun Mei (Wu Zhizhen), Wang Xuebing (Liang Zhijun), Wang Jingchun (Rong Rong), Yu Ailei (Captain Wang), Ni Jingyang (Su Lijuan) länge: 106 Min. | Verleih: Weltkino kinostart: 24.7.2014 | Fd-kritik: 42 473

neue Filme

Viel Lärm um nichts

Joss Whedons eleganter „Familienausflug“ in den Shakespeare-Kosmos Viel zeitgemäße Sprengkraft hat die Geschichte nicht mehr, die Shakespeares Komödie „Viel Lärm um nichts“ erzählt: Da ist ein Mädchen, dessen Bilderbuch-Heirat daran zu scheitern droht, dass Intriganten Zweifel an seiner Jungfräulichkeit wecken, und da sind ein Mann und eine Frau, die sich lautstark gegen die Ehe in Stellung bringen, bis sie von ihren Freunden mit List und Tücke verkuppelt werden. Kein Stoff, der nach einer Neuinterpretation schreit – wäre da nicht die Strahlkraft von Shakespeares Sprache, die vor geschliffenen Dialogduellen nur so funkelt und aus den Liebesirrungen einen der vergnüglichsten Geschlechterkämpfe macht, die je auf der Bühne ausgetragen wurden. Auch deshalb, weil Frauen und Männer sich darin verbal auf Augenhöhe begegnen und sich an Witz nichts schuldig bleiben. Joss Whedon tut denn auch gut daran, den Originaltext und seine Belebung durch die Darsteller ins Zentrum zu stellen und mittels eleganter Schwarz-Weiß-Ästhetik und einer leicht ironischen Musikuntermalung die kolportagehaften Aspekte des Stücks leicht zu unterspielen. Dabei gelingt eine Balance zwischen Stilisierung und einer Natürlichkeit im Ausdruck der Schauspieler, die einen schnell vergessen lässt, dass die elisabethanischen Verse in dem gegenwärtigen Setting eigentlich ein Anachronismus sind: Stilmixe dienen hier nicht der Irritation, sondern dem lustvollen Umspielen der Themen. So erinnern z.B. die SchwarzWeiß-Bilder, die auf dramatische Hell-Dunkel-Kontraste verzichten und ein heiter-helles Ambiente präsentieren, an den High-Key-Stil der klassischen Screwballkomödien und lassen ein bisschen „Die Nacht vor der Hochzeit“-Flair durch den Film wehen. Bei Fans des Regisseurs

sorgt der Cast für lustige assoziative Querverstrebungen, denn die Darsteller stammen großteils aus verschiedenen Ecken des „Whedonverse“. Der Film entstand sozusagen als „Familienausflug“ zwischen dem Dreh und der Postproduktion von „Marvel’s The Avengers“; Whedon zelebrierte ihn mit seinen Mitstreitern an nur 12 Tagen im eigenen Domizil in Santa Monica. Die Spielfreude, mit der alle bei der Sache waren, merkt man dem Film an. Dezente interpretatorische Akzente (Whedon zeigt als Exposition eine stumme Szene, die deutlich macht, dass der „Krieg“ zwischen Benedikt und Beatrice auf einer verunglückten amourösen Vorgeschichte fußt) sorgen für interessante Twists, und immer wieder fallen schöne szenische Ideen auf. Etwa die Sequenz, in der Claudio nach einer durchfeierten Nacht mit Schnorchel und Martiniglas im See dümpelt und von den Intriganten wie von gierigen Haien angegangen wird, oder eine Party-Sequenz, in der ein Song auf den Punkt bringt, um was es hier eigentlich geht: darum, sich von den Tragödienstoffen des Liebeslebens nicht den Schneid und die Nonchalance abkaufen zu lassen. Felicitas Kleiner

Bewertung der Filmkommission

Adaption von Shakespeares Komödie um den „Liebeskrieg“ zwischen einem Mann und einer Frau, die sich scharfzüngig gegen die Ehe stark machen, sowie um eine Intrige, die eine junge Liebe zu zerstören droht. Mit eleganter, an klassische Screwball-Komödien erinnernder Schwarz-Weiß-Ästhetik und einer leicht ironischen Musikuntermalung unterspielt der Film geschickt die kolportagehaft melodramatischen Elemente der Komödie und bringt dafür umso liebevoller mit schönen szenischen Idden und mit Hilfe bestens aufgelegte Darsteller die Strahlkraft der Dialoge zum Funkeln. – Sehenswert ab 12.

MUCH ADO ABOUT NOTHING Schwarz-Weiß. USA 2012 regie, Buch: Joss Whedon kamera: Jay Hunter musik: Joss Whedon schnitt: Daniel S. Kaminsky, Joss Whedon darsteller: Amy Acker (Beatrice), Alexis Denisof (Benedikt), Clark Gregg (Leonato), Reed Diamond (Don Pedro), Fran Kranz (Claudio), Jillian Morgese (Hero), Nathan Fillion (Holzapfel), Sean Maher (Don Juan) länge: 109 Min. | Verleih: Edel Motion kinostart: 24.7.2014 | Fd-kritik: 42 474

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