Filmdienst 16 2017

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fIlM DIenst Das Magazin für Kino und Filmkultur

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www. f i l M d i e n St. d e 3. auguSt 2017 € 5,50 70. Jahrgang

„planet der affen“ M i t „ S u r v i va l“ w i r d d i e K i n o f i l M - r e i h e w e i t e r e r z ä h lt: a l S f i n St e r e r B l i c K i n d i e aBgründe der MenSchlichen Seele

robby Müller ü B e r d i e Ku n St vo l l e l i c h tg e Sta lt u n g d e S Ka M e r a M a n n S vo n w i M w e n d e r S

S ta n l e y t u c c i d e r S c h au S p i e l e r u n d r e g i S S e u r ü B e r Seinen neuen filM „final portrait“

ZuKunft deS KinoS B e Sta n d S au f n a h M e K i n o, t e i l i v: ü B e r d i e c i n e p h i l i e e i n St u n d h e u t e


iNhalt DIE NEUEN KINOFILME Neu im KiNo ALLE STARTTERmInE

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Alibi.com 3.8. Dalida 10.8. Dunkirk 27.7. Das Gesetz der Familie 3.8. Die göttliche Ordnung 3.8. Die Hannas 10.8. Final Portrait 3.8. Five 20.7. Grießnockerlaffäre 3.8. Heartbeats 10.8. Helle Nächte 10.8. Kedi – Von Katzen und Menschen 10.8. Lucky Loser – Ein Sommer in der Bredouille 10.8. Max – Agent auf vier Pfoten 27.7. Ostwind – Aufbruch nach Ora 27.7. Planet der Affen: Survival 3.8. Return of the Atom 10.8. Der Stern von Indien 10.8. The Chinese Lives of Uli Sigg 3.8. Der Wein und der Wind 10.8.

51 49 40 51 50 51 46

50 Der Stern von InDIen

46 Der WeIn UnD Der WInD

42 DIe göttlIche orDnUng

KiNotipp

der katholischen Filmkritik

Der Spielfilm von Petra Volpe erzählt von der Einführung des Frauenwahlrechts in der Schweiz Anfang der 1970er-Jahre.

44 DUnKIrK 36 FInal PortraIt

ferNseh-tipps Das Erste zeigt am 15.8. das märchenhafte Drama „Für immer Adaline“, 3sat präsentiert am 17.8. Alex von Wamerdams seltsamunheimlichen „Borgman“. Außerdem feiert RTL 2 am 17.8. 30 Jahre „Dirty Dancing“.

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Fotos: TITEL: Twentieth Century Fox. S. 4: Tobis, StudioCanal, Warner, Prokino. S. 5: Twentieth century Fox, Alamode, Thomas Ruff/VG Bild-Kunst

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16 | 2017 DIE ARTIKEL iNhalt Bilder einer ausstellung: Im Museum für Film und Fernsehen ist die Kameraarbeit von Robby Müller zu bestaunen, u.a. für Jim Jarmuschs »Dead Man« (Foto: Marian Stefanowski)

KiNo

aKteure

filmKuNst

16 Planet Der aFFen

22 Petra volPe

32 DIe Becher-SchUle

10 ROBBY MÜLLER

20 STANLEY TUCCI

Seine Kollaboratio nen mit Filmemachern wie Wim Wenders und Jim Jarmusch waren Glücksfälle fürs Kino. Das museum für Film und Fernsehen in Berlin widmet dem „master of Light“ aktuell eine Ausstellung.

In seiner Regiearbeit „Final Portrait“ widmet sich der vor allem als Schauspieler bekannte Star dem Künstler Alberto Giacometti. Im Interview erzählt er, was ihn an dessen Schaffen und Persönlichkeit begeistert.

Von Wilfried Reichart

Von Margret Köhler

16 PLANET DER AFFEN

22 PETRA VOLPE

Das SciFi-Franchise, das auf einem 1963 erschienenen gleichnamigen Roman beruht, wird nächstes Jahr 50 Jahre alt. Anlässlich des Kinostarts von „Planet der Affen: Survival“ lassen wir die Zeitgeist-Strömungen der Reihe Revue passieren. Von Lucas Barwenczik

RUBRIKEN EDITORIAL 3 InHALT 4 mAGAZIn 6 DVD-KLASSIK 34 DVD/BLU-RAY 50 TV-TIPPS 56 FILmKLISCHEES 66 VORSCHAU / ImPRESSUm 67

Die Schweizer Filmemacherin erzählt in „Die göttliche Ordnung“ vom Kampf ums Frauenwahlrecht in der Eidgenossenschaft. Ein Gespräch über Geschichte, Gegenwart und Zivilcourage. Von Marius Nobach

24 CHRISTIAN WEISENBORN

In „Die guten Feinde“ spürt der Filmemacher der Geschichte der nS-Widerstandsgruppe der „Roten Kapelle“ nach. Für Weisenborn ist es auch eine Familiengeschichte.

27 E-MAIL AUS HOLLYWOOD Citizen Trump: Der US-Präsident und sein fimisches Selbstbild. Von Franz Everschor

28 DIE ZUKUNFT DES KINOS

Im vierten Teil der Essay-Reihe schaut Patrick Holzapfel auf die Blütezeit der Cinephilie im Zuge der „nouvelle Vague“ und sucht im netz nach neuen Formen der Kinoliebe. Von Patrick Holzapfel

32 DIE BECHER-SCHULE

Die Schönheit des Alltäglichen: Eine Fotoausstellung aus dem Umfeld der Altmeister Hilla und Bernd Becher feiert eine neue Sicht auf das Unscheinbare. Von Daniel Kothenschulte

Von Silke Kettelhake

26 IN MEMORIAM

Erinnerungen an George Romero, martin Landau, Paolo Villagio und Elsa martinelli Von Ulrich Kriest & Rainer Dick

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Primat des Pessimismus Der mensch entkommt sich nicht

Über Die „Planet Der affen“-reihe

»God damn you to hell!« Artwork zum ersten »Planet der Affen«-Film aus dem Jahr 1967

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PlAnet der AFFen kino

Vor nahezu 50 Jahren begann mit »Planet der Affen« die Kinoserie um eine dystopische Zukunft, in der intelligente Affen dem Menschen die Vorherrschaft auf der Erde streitig machen. Seitdem entstanden zahlreiche Fortsetzungen und wurden zu »Zeitgeist-Seismografen«, die weit weniger Interesse an Zukunftsträumen als an gegenwärtiger Gesellschaftskritik hatten. Seit 2011 ist der Stoff, der einst vom Klima des Kalten Kriegs geprägt wurde, als Reboot-Reihe wieder im Kino zu erleben. Wobei der düstere Blick auf das Wesen des Menschen derselbe geblieben ist. Von Lucas Barwenczik

Der Mensch entkommt sich nicht. Egal, wie weit er reist, am Ende seiner Expedition durch Raum und Zeit blickt er doch wieder in seine eigene Fratze. Schock und Verzweiflung prägen eine der ikonischsten Szenen der Filmgeschichte: Astronaut George Taylor, gespielt von Charlton Heston, fällt vor der halb im Sand vergrabenen Freiheitsstatue auf die Knie und verflucht, von den Wellen des Atlantiks umspült, die gesamte Menschheit, die sich selbst zugrunde gerichtet hat: „You Maniacs! You blew it up! Ah, damn you! God damn you all to hell!“ Denn eigentlich gibt es keinen „Planet der Affen“. Was er für eine ferne, fremde Welt gehalten hat, entpuppt sich als der Planet der Menschen, die gute, alte Erde. Oder zumindest als das, was von ihr noch übrig ist.

Von Pessimisten und Propheten Die nunmehr fast 50 Jahre alte Kinoreihe „Planet der Affen“ war nie an fernen Galaxien oder großen Zeitreisen interessiert, sondern immer nur an wechselnden Masken für das Hier und Jetzt. Das Weltbild der Serie, die auf dem gleichnamigen ScienceFiction-Roman des französischen Autors Pierre Boulle aus dem Jahr 1963 basiert, ist dabei durch und durch negativ. Es sind Filme mit Appell-Charakter, satirische verkleidete Warnrufe. „Du bist solch ein Pessimist!“, heißt es einmal in „Die Schlacht um den Planet der Affen“ (1973), gefolgt von der Erwiderung: „Oder ein Prophet…“ Die meisten der neun bislang erschienenen Filme enden auf einer düsteren oder sogar apokalyptischen Note. Innergesellschaftliche Spannungen schlagen früher oder später in Gewalt um, Nuklearwaffen und Seuchen beenden das Anthropozän mit einem Ausrufezeichen. Der Mensch, der in den Filmen präsentiert wird, ist schlecht und von Natur aus gewalttätig, Ausnahmen gibt es nur wenige. Der Affe ist sein Abbild, dem er im ewigen darwinistischen Verdrängungskampf gegenübersteht. Mit jedem weiteren Film vollzieht sich derselbe Rollentausch: Der Sklavenhalter wird Sklave, der Täter zum Opfer, der Zivilisierte zum Wilden – und umgekehrt. Geschichte wiederholt sich.

Wer spricht, der herrscht Es ist ein täuschend einfaches Gedankenexperiment: Was, wenn Menschen an der Stelle der Affen und Affen an Stelle der Menschen wären? Jeder Film findet neue Antworten auf diese Frage, und natürlich auch neue Fragen, die sich an diese erste anschließen. Wenn im Kino Rollen getauscht werden, dann normalerweise, um Empathie zu generieren: Die bekannte Redewendung „Fish out of Water“ hebt Kontraste hervor, im Angesicht des Anderen erkennen beide Seiten ihr wahres Wesen, schlussendlich auch die Gemeinsamkeiten. Die „Planet der Affen“-Filme sind gebaut wie elaborierte Witze, die mit Umkehrungen arbeiten und Erwartungen unterlaufen. Daher enden sie auch mit schwarzhumorigen Pointen, die vorherige Erfolge oder ein angedeutetes Happy End zunichtemachen. Stets ist es eine Negation der als Science-Fiction maskierten Gegenwart – und es ist kein Zufall, dass dem Wort „Nein“ in mehreren der Filme eine fast religiöse Bedeutung zugemessen wird. In „Eroberung vom Planet der Affen“ (1972) und „Planet der Affen: Prevolution“ (2011) ist es die zentrale Formel des Widerstands, die Revolutionen einleitet. In „Die Schlacht um den Planet der Affen“ wird die Verneinung den Menschen sogar gesetzlich verboten, als würde das Wort der Idee vorausgehen. Es gilt, was Essayist Ralph Waldo Emerson formulierte: Sprache ist Macht. Ob Affen oder Menschen – wer spricht, der herrscht. (Es ist kein Zufall, dass die menschlichen Frauen der ersten Teile immerzu schweigen.) Die Momente, in denen sich die vermeintlich Primitiven zum ersten Mal Ausdruck verschaffen, werden in jedem Teil besonders betont. Und: Nichts macht die „Apes“ wütender, als wenn sie „Monkey“ genannt werden, was einer rassistischen Bemerkung gleichkommt. Die Reihe ist auch ein großes postmodernes Sprachspiel, in dem Sinnzusammenhänge wild durcheinandergewirbelt werden. Immer wieder zitieren die Filme einander, Sätze wie „Nimm deine stinkenden Pfoten von mir, du dreckiger Affe!“ werden ein ums andere Mal neu variiert und an die herrschenden Verhältnisse angepasst.

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kino PlAnet der AFFen

ein poröser fels von Zeitgeist

Verwandten und popularisierte diverse evolutionspsychologische Theorien; die Gegenkultur erkannte darin eine Legitimation animalistischer Triebhaftigkeit und erfreute sich am Bruch mit religiösen Dogmen.

revolutionen der 68er-bewegung Die freiliebend-polygame Hippie-Bewegung, die im „Summer of Love“ des Vorjahres ihren Höhepunkt fand, wird filmisch aufgegriffen. Etwa wenn OrangUtan Dr. Zaius Astronaut Taylor erstaunt mitteilt, dass er nicht wusste, dass Menschen überhaupt monogam leben können. Woraufhin Taylor erwidert: „Auf diesem Planeten ist es einfach.“ Im zweiten Teil, „Rückkehr zum Planet der Affen“, wird eine Schimpansen-Demonstration gegen den Krieg gewaltsam von einer Gruppe Gorillas aufgelöst – der Film erschien im selben Monat, in dem auch das KentState-Massaker stattfand. Der Kalte Krieg, der wohl schon das düstere Ende des Vorgängers prägte, manifestiert sich hier

Fotos: 20th Century Fox

Es gilt, passenderweise, der Primat der Politik. Natürlich schwingen auch Themen wie Umwelt- und Tierschutz mit, doch die Dichotomie zwischen den beiden Spezies wird von den verschiedenen Autoren vor allem als Metapher für Hautfarbe und Klasse verstanden. Am deutlichsten wird dabei Tim Burton, der in „Planet der Affen“ (2001) einen Sklavenhändler sogar auf die „Separate but equal“-Regelung der Rassentrennung in den US-Südstaaten verweisen lässt. Die verschiedenen Affen-Arten sind in einer Art Kastensystem geordnet, sie entsprechen bestimmten Gesellschaftsgruppen: Die Orang-Utans sind Priester und Herrscher, die Gorillas Polizei und Militär, die Schimpansen Wissenschaftler und einfache Bürger. Abgesehen von diesen thematischen und politischen Leitmotiven, besteht das „Planet der Affen“-Franchise ohne festen Kern und kohärente Ästhetik. Fast jeder Teil ist einem anderen Genre zuzuordnen, von Western-

Elementen in den ersten beiden Filmen („Planet der Affen“, 1967, „Rückkehr zum Planet der Affen“, 1969) über die Gesellschaftskomödie von „Flucht vom Planet der Affen“ (1971) bis zu den aktuellen ActionBlockbuster-Filmen. Dazu passend, stammt nahezu jede Fortsetzung von einem neuen Regisseur, und selbst Filmemacher mit klarer visueller Handschrift wie Tim Burton verloren ihre Identität an die PrimatenGeschichten. Filme spiegeln immer bis zu einem gewissen Grad ihre Entstehungszeit, doch die an Äsop oder Jonathan Swift erinnernde Grundmetapher der Affen-Filme ist so vieldeutig und flexibel, dass die Reihe wie ein poröser Fels von Zeitgeist durchschwemmt wird. Die Filme sind oft politische Rorschach-Tests, weil Affen/Menschen immer die anderen sind. Vor allem aber sind sie Zeitspiegel, die Summe von Schlagzeilen und Stimmungen. Der erste Teil wurde bei seinem Kinostart 1968 in eine Zeit der Umbrüche und des Wandels projiziert, kurz nach der Tet-Offensive des Vietnam-Kriegs und kurz vor den Morden an Martin Luther King und Robert Kennedy. Die Welt las „Der nackte Affe“ von Desmond Morris. Das Sachbuch rückte den Menschen nah an seine behaarten

»Planet der Affen« (1967): roddy Mcdowall als Cornelius

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»Planet der Affen« (2001): tim roth als thade


PlAnet der AFFen kino in Form der letzten überlebenden Menschen, die eine Atombombe im wahren Sinne des Wortes wie einen Gott verehren. Die Außenseitergeschichte „Flucht vom Planet der Affen“ hat dann ein geradezu typisches „New Hollywood“Ende: Die Staatsgewalt schlägt zu wie in „Bonnie und Clyde“ oder „Easy Rider“. In alle Filme sind die revolutionären Bestrebungen der 68er-Bewegung eingeschrieben, in „Eroberung vom Planet der Affen“ treten sie besonders in den Vordergrund: Lange schildert der Film die Leiden der unterdrückten Primaten, doch ihr Aufbegehren unter der Führung von Schimpanse Caesar schlägt sofort in genau jene Gewalt um, die ihnen vorher angetan wurde. Der finale titelgebende Kampf in „Schlacht um den Planet der Affen“ stellt den letzten müden Atemzug der ursprünglichen Pentalogie dar und bildet – zusammen mit Tim Burtons nostalgisch-verbrämtem Abenteuerfilm „Planet der Affen“ aus dem Jahr 2001 – den Tiefpunkt der Reihe. Beide sind Produkte einer im Übergang befindlichen Kinolandschaft, verzerrte Echos des Originals. Selbst die Fortsetzungen- und Neuauflagen-Fabrik Hollywood ließ nach diesen Fehlschlägen die Finger vom Franchise.

abgründe der menschlichen seele Ein Jahrzehnt später erscheinen mit „Planet der Affen: Prevolution“ (2011) und seinen Nachfolgern „Planet der Affen: Evolution“ (2014) und nun aktuell „Planet der Affen: Survival“ (2017) klar erkennbar Filme der CRISPR/Cas-Ära. Die zuvor nur latente Skepsis der Reihe gegenüber der Genforschung bricht nun an die Oberfläche. Erstmals ist es nicht die Evolution, die Affen intelligent macht, sondern eine unkontrollierte Forschung, die als Nebenwirkung gleich große Teile der Weltbevölkerung dahinrafft. Die Filme von 1968 bis 1973 finden ebenso wie seit 2011 produzierten Teile vor allem in ihrer Kritik an der Idee eines neuen, besseren Menschen zusammen – eine Vision, die die linke Protestkultur der 1960er- Jahre und den modernen Trans-Humanismus teilen. Die „Planet der Affen“-Reihe betrieb immer schon einen außergewöhnlichen Aufwand, um Menschen ein neues Wesen zu geben: Erst waren es die für ihre Zeit revolutionären Make-up-Effekte von

Maskenbildner-Legende John Chambers, heute sind es die aufwändigen Performance-Capture-Verfahren von Andy Serkis‘ „Imaginarium Studios“. Doch in letzter Konsequenz werden diese Unterschiede von den jeweiligen Geschichten wieder eingerissen und nivelliert, man könnte sie ebenso gut mit unterschiedlichen Ethnien erzählen. Jede Zukunft, in der der Mensch von seinen schlechten Eigenschaften befreit ist, wird gesprengt, verseucht und tief unter der Erde begraben. In der Sprache versucht der Mensch, die schlimmsten Verbrechen von sich zu weisen. Er deklariert Kriegsverbrechen und Genozide als „unmenschlich“. Die „Planet der Affen“-Filme schildern seit nunmehr einem halben Jahrhundert das Gegenteil: Sie sehen gerade in den finstersten Abgründen der Seele das Menschliche, das allzu Menschliche. Das mag man zynisch nennen, denn schlussendlich bleibt einem dadurch nur übrig, es George Taylor gleichzutun, auf die Knie zu fallen und die Menschheit zu verfluchen. Doch solch absolute Aussagen kann man immer auch als Herausforderung verstehen, als Hoffnung, von den Menschen jenseits der Leinwand widerlegt zu werden. Und so liegt doch ein Wert in der Erkenntnis: Der Mensch entkommt sich nicht. •

Die filme der „Planet der affen“-reihe „Planet der affen“. USA 1967. regie: Franklin S. Schaffner. Mit Charlton Heston, roddy Mcdowall, Kim Hunter. „rückkehr zum Planet der affen“. USA 1969. regie: ted Post. Mit Charltion Heston, James Franciscus. Kim Hunter. „flucht vom Planet der affen“. USA 1971. regie: don taylor. Mit roddy Mcdowall, Kim Hunter, Bradford dillman. „eroberung vom Planet der affen“. USA 1972. regie: J. lee thompson. Mit roddy Mcdowall, don Murray, ricardo Montalban. „Die schlacht um den Planet der affen“. USA 1973. regie: J. lee thompson. Mit roddy Mcdowall, Claude Akins, natalie trundy. *** „Planet der affen“. USA 2001. regie: tim Burton. Mit Mark Wahlberg, tim roth, Helena Bonham Carter. *** „Planet der affen: Prevolution“. USA 2011. regie: rupert Wyatt. Mit James Franco, John lithgow, Andy Serkis. „Planet der affen: revolution“. USA 2014. regie: Matt reeves. Mit Andy Serkis, Jason Clarke, Keri russell. „Planet der affen: survival“. USA 2017. regie: Matt reeves. Mit Andy Serkis, Woody Harrelson, Steve Zahn.

»Planet der Affen: Survival« (2017) : eine neue dimension an empathiefähiger Gestaltungskunst

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Akteure Stanley tucci

Der Schauspieler und Regisseur Stanley Tucci über Alberto Giacometti und seinen Film „Final Portrait“

Fotos: Prokino/„Berlinale“ 2017

Von einem anderen Planeten

Alberto Giacometti (1901-1966) zählt zu den wichtigsten Bildhauern des 20. Jahrhunderts. Skeptiker aber sehen ihn trotz seiner anfänglichen Experimentierkunst mit abstrakten Formen eher als Traditionalisten. Eine solche Diskrepanz interessiert Stanley Tucci nicht. In seinem Spielfilm „Final Portrait“ (Kritik in dieser Ausgabe) geht 20

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es ihm um den schöpferischen Prozess in der Spätphase des Malens und Gestaltens. Tucchi fokussiert sich auf die Sitzungen Giacomettis mit dem US-amerikanischen Schriftsteller James Lord in Paris 1964. Es geht ihm um die Suche nach Perfektion als Antriebsfeder. Das Gespräch führte Margret Köhler.


Stanley tucci Akteure Woher kommt ihr interesse an alberto Giacometti? Tucci: Ich liebe ihn, habe aber keine Erklärung dafür. Und ich liebe auch die Biografie „A Giacometti Portrait“ von James Lord, die perfekt den kreativen Prozess beschreibt. Schon als junger Mann habe ich das Buch gelesen und bekam es nicht aus dem Kopf, kam immer wieder auf die Frage zurück, in welchem Verhältnis der Künstler zu seinem Werk und zur Gesellschaft steht. Je mehr ich über Giacometti las, desto mehr faszinierte mich das Wesen seiner Arbeit und seiner Person: ein unglaublich starker Mann, zugleich verletzlich und wahrhaftig. Deshalb wollte ich auch keines dieser üblichen Biopics drehen, die sich im Bestreben, ein ganzes Leben abzubilden, in Nebensächlichkeiten verlieren. Ich habe versucht, bestimmte Ereignisse auf einen Zeitraum von zwei Wochen zu kondensieren. Der größte Teil der Handlung spielt im Studio, damit der Zuschauer die Figur in ihrer Umgebung und in all ihren Facetten kennenlernt.

Sundance Institute bläue ich den Studenten ein, sie sollen Risiken eingehen und nicht sofort nach Erfolg schielen. Der hemmt die Risikofreude, hindert die Lust am Ausprobieren. Wer glaubt, erfolgreich zu sein, verliert an Kreativität und Wagemut. Was ist denn ihre definition von erfolg? Tucci: Ich habe keine. Erfolg kann zufällig sein und ist nicht immer rational erklärbar, manchmal spielt der Zeitgeist eine Rolle, oder man ist am richtigen Platz zur richtigen Zeit oder kreiert einen Mythos, täuscht etwas vor. In kurzen Momenten spüre ich Erfolg, vielleicht auch Stolz auf das Geschaffene. Das ist aber nicht von Dauer, daran ändern auch die vielen Preise nichts. Oft beschleicht mich das Gefühl, nichts getan zu haben in meinem Leben, noch etwas leisten zu müssen. Ich frage mich ständig: Ist das richtig, was ich mache? Könnte es nicht noch besser sein? Kaum bin ich zufrieden, packen mich Zweifel, ein ständiger Teufelskreis. Kunst und Leid gehören zusammen, Kunst ist Sisyphos-Arbeit.

Wie würden Sie Giacometti beschreiben?

muss man nicht auch mal loslassen können?

Tucci: Er war vom Willen nach einer spezifischen Ausdrucksform getrieben, egal welches Material er benutzte, ob Ton oder Gips, Farbe oder Stift. Er war zwar italienischer Schweizer, aber in seinem Verhalten durch und durch italienisch. Manchmal wirkt er wie von einem anderen Planeten. Das drückt sich auch in der komplizierten Beziehung zwischen ihm und seinem Modell aus: Er hält Lord zeitlich hin, macht das aber mit so viel Charme und Witz, dass der Kunstliebhaber bleibt. So entwickelt sich ein ganz besonderes Verhältnis, und ich hoffe, ich bin beiden gerecht geworden.

Tucci: Das Leiden ist immer präsent. Wer meint, alles locker liefern zu können, lügt und schafft wahrscheinlich Langweiliges. Giacometti war alles andere als langweilig. Er verfügte über eine große Portion Humor, was sich im Film niederschlägt. Natürlich gibt es viel Unheil auf der Welt, wir leben in einer schrecklichen Ära. Da kann man sich durchaus Gedanken machen, warum man überhaupt Zeit mit der Herstellung eines Gemäldes oder Films vergeuden soll. Aber ich glaube an die Kunst, sie ist kein fakultatives Attribut, sondern integraler Bestand unserer Gesellschaft.

Was fasziniert Sie so am kreativen Prozess?

Gibt es eine Verbindung zwischen malen, Skulptur und Filmemachen?

Tucci: Alles! Die ständigen Selbstzweifel, die Einsicht, dass man kein Kunstwerk jemals beenden kann, die Einsicht, dass Scheitern wichtiger ist als Erfolg. Scheitern ist ein wichtiger Teil des kreativen Prozesses und unser aller Leben. Bei Giacometti begeistert mich dieser immer neue Blick auf das Objekt, die Beobachtung, die jede Änderung registriert. Die Genauigkeit und Besonderheit, die seine Kunst universell machen. Warum ist Scheitern so wichtig? Tucci: Man lernt, die gleichen Fehler nicht zu wiederholen. Bei meinem Unterricht im

Tucci: Trotz aller Unterschiedlichkeit verbindet sie die Suche nach der Wahrheit. Beim Film gibt es drei Wahrheiten: beim Schreiben, beim Drehen und im Schnitt. Man kann nicht mehr zurück, das frustriert manchmal. Wenn es eine andere Möglichkeit gäbe, würde ich sie mit Kusshand nehmen. Ich bin oft unzufrieden mit dem Resultat, möchte bei der Premiere aufspringen und weglaufen. Begeisterte Sie Giacometti neben der Kunst auch durch seinen unkonventionellen lebensstil?

Tucci: Ich führe ein Mittelschichtsleben und bin auch so aufgewachsen, habe ein zweijähriges Kind. Natürlich fände ich es angenehm, im häuslichen Atelier nachts arbeiten zu können. Aber Verzicht auf Luxus, noch nicht einmal Heißwasser, und Besuche bei Prostituierten, das wäre nicht meine Vorstellung vom Leben. Unkonventionell ist für mich seine Hingabe zur Arbeit, sein bewundernswertes Verhältnis zum Zeitmanagement. Während der Vorbereitung haben Sie auch mit James lord geredet... Tucci: Die Idee, einen Film über Giacometti zu drehen, verfestigte sich nach und nach. Vor 13 Jahren habe ich mich getraut, Lord einen Brief zu schreiben. Erst reagierte er zurückhaltend, aber bei unserem Gespräch gab er mir Tipps und rückte auch mit Anekdoten heraus. Vieles davon floss in die Dialoge ein. Nach dem Erwerb der Rechte dauerte es zwei Jahre bis zur Fertigstellung des Drehbuchs, weitere zehn Jahre für Finanzierung und Vorbereitung. Zum Glück kam Geoffrey Rush vor drei Jahren ins Boot, das erleichterte das Prozedere. Sie sind selbst auch Schauspieler. Wie arbeiten Sie mit ihren Kollegen? Tucci: Mal lasse ich ihnen jegliche Freiheit, dann präzisiere ich, wie ich mir die Szene vorstelle und beharre darauf. Aber ich setze auf kollegiale Zusammenarbeit. Mit Druck kommt man nicht weiter. Ein Schauspieler muss gut vorbereitet sein und das Ganze im Blick haben, nicht nur seine Rolle. •

Stanley tucci Schauspieler, Regisseur, Drehbuchautor und Produzent, geb. 11.1.1960 in Peekskill, new york. Seit 1985 („Die ehre der Prizzis“) Darsteller in zahlreichen Kino- und Fernsehfilmen sowie in Serien, aktuell in „Feud“ (2017) als Jack Warner. Rollen u.a. in „Billy Bathgate“, „Road to Perdition“, „in meinem Himmel“ („Oscar“-nominierung), „Der große crash – Margin call“ und „inside Wikileaks – Die fünfte Gewalt“. 2001 spielte er in „Die Wannseekonferenz“ den SS-Führer adolf eichmann. ab 2012 war er als agitatorisch-populistischer Fernseh-Moderator caesar Flickerman in der trilogie „Die tribute vom Panem“ zu sehen. aktuelle Kinorollen in „transformers: the last night“ (2017), „Die Schöne und das Biest“ (2017). erste eigene Regie: „Big night“ (1996). Seitdem inszenierte er die Filme „the impostors“, „Joe Goulds Geheimnis“, „Blind Date“ und, aktuell, „Final Portrait“.

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Die Cutlers leben in ihrer eigenen Welt. Inmitten der sanft hügeligen Postkartenlandschaft der wohlhabenden Grafschaft Gloucestershire haben sie sich mit ihren Wohnwagen niedergelassen: Männer, Frauen, Kinder, dazu ein paar Hühner und Hunde, die sich um das Lagerfeuer scharen. Und um Colby Cutler (Brendan Gleeson): eine Naturgewalt im blauen Trainingsanzug, mit klobigem Goldring am Finger und einem verlebten Gesicht. Ab und zu schickt er seinen Sohn Chad (Michael Fassbender) und die anderen Männer auf Raubzüge und Einbrüche. Dabei gehen sie so gewieft vor, dass ihnen die Polizei nichts anhaben kann – ganz zur Freude von Colby, der sich für unantastbar hält und auf alles außerhalb seiner eingeschworenen Gemeinschaft pfeift. Er ist das Gesetz, und es ist das einzige, was gilt. Die Erde soll eine Kugel sein? Für Colby ist die Welt flach. Also ist sie es auch. Er sieht sich als Freigeist, ist im Herzen aber jemand, der an Traditionen festhält. Denn das Blut ist bei den Cutlers besonders dick, und deshalb gilt auch das Prinzip „Vom Vater zum Sohn zum Enkel“. Doch der Sohn will nicht mehr. Eine

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Das gesetz der Familie Vater-Sohn-Konflikt mit Heist-Movie-Anleihen Revolte im Erwachsenenalter gegen den Vater, fast eine verspätete Pubertät. Chad will für seine Kinder ein anderes, sesshaftes Leben, in dem sie eine Schule besuchen und etwas lernen können. Etwas, was ihm sein eigener Vater verwehrt hat. Chad kann zwar Auto fahren wie kein Zweiter, aber kaum ein Wort lesen und schreiben. Der britische Filmemacher Adam Smith hat zuvor MusicClips für die Band „The Chemical Brothers“ gedreht, die nun die Filmmusik beisteuern. Mit seinem Erstlingswerk verfolgt er keinen sozialkritischen Ansatz: Die Lebensbedingungen der irischen Travellers, die außerhalb einer hoch technisierten Gesellschaft leben, interessieren ihn nicht. Vielmehr erzählt er einen klassischen Vater-Sohn-Konflikt über drei Generationen hinweg und stellt existenzielle Fragen: Wie entkommt man einer Familie, die Segen und Fluch zugleich ist? Wie einem Vater, der alles für einen tun würde, aber im

Gegenzug auch alles verlangt? Wahrlich nichts Neues, und doch entwickelt der Film einen eigenen Sog, den er vor allem seinen Schauspielern verdankt. Brendan Gleeson verleiht Colby raumgreifende Wuchtigkeit und ist ein universeller Vater, sogar in religiöser Hinsicht, was der Originaltitel „Trespass Against Us“ durch einen Verweis auf das „Vater Unser“ andeutet: „And forgive us our tresspasses, as we forgive them that trespass against us.“ Aber kann Colby vergeben? Kann er den ziehen lassen, der fort will? „Du sollst nicht jammern“, predigt Colby einmal, doch genau das tut sein Sohn in seinen Augen. Wie in seinen Anfängen, etwa in Steve McQueens „Hunger“ (2008) oder in Andrea Arnolds „Fish Tank“ (2009) überzeugt Michael Fassbender als vielschichtiger Charakterdarsteller zerrissener Menschen auch hier als ein Mann, der nicht gegen seinen übermächtigen Vater ankommt. Das Duell der beiden Figuren bricht das Famili-

endrama mit Anleihen ans HeistMovie-Genre sowie mit rasanten Verfolgungsfahrten auf und kreiert mitunter sogar überdreht komische Momente. Unangepasstheit ist durchaus auch sympathisch. Die konsequent gelebte Anarchie der Cutlers geht dabei immer den direkten Weg: Warum unbemerkt in ein Anwesen einbrechen, wenn man einfach ins Haus hineinfahren kann? Das ist Körperkino und die filmische Umsetzung jener Gesetzlosigkeit, die die Cutlers hochhalten. Wobei sie nicht merken, dass sie ihre vermeintliche Freiheit in ein enges Korsett aus konservativen Werten geschnürt haben. Kirsten Taylor BeweRTuNg DeR FILmKOmmISSION

Ein Clan irischer Travellers lebt in einer Wohnwagensiedlung in der noblen englischen Grafschaft Gloucestershire. Unangefochten bestimmt der gerissene Patriarch das Wohl eines jeden Mitglieds, bis sich sein erwachsener Sohn gegen ihn und seine kriminellen Machenschaften stellt, weil er für seine eigenen Kinder Schulbildung und bürgerliche Normalität ersehnt. Furioses, vorzüglich gespieltes Vater-Sohn-Drama über drei Generationen hinweg. Unterhaltsam inszeniert mit rasanten Verfolgungsjagden und überdreht komischen Momenten, stellt der Film zugleich auch existenzielle Fragen nach Fluch und Segen familiärer Bindung, Freiheit und Loyalität. – Sehenswert ab 16.

TReSPASS AgAINST uS Scope. Großbritannien 2016 Regie: Adam Smith Darsteller: Michael Fassbender (Chad Cutler), Brendan Gleeson (Colby), Lyndsey Marshal (Kelly), Georgie Smith (Tyson), Rory Kinnear, Killian Scott, Sean Harris Länge: 99 Min. | Kinostart: 3.8.2017 Verleih: Koch Films | FSK: ab 16; f FD-Kritik: 44 841


kritiken neue Filme Dies ist keine bolzengroße Heldenmär, sondern eine charmant-bescheidene „Hausfrauengeschichte“, darüber hinaus eine kleine Lektion in Sache Schweizer Geschichte und direkter Demokratie. Gleichwohl wurde „Die göttliche Ordnung“ einer der erfolgreichsten Schweizer Filme der jüngsten Zeit – womöglich wegen seiner „Wahrhaftigkeit“. Obwohl die Filmemacherin Petra Volpe die Geschichte frei erfunden hat, beruht der Film auf historischen Ereignissen. Selbst der pointierte Titel soll nicht einem Gedankenblitz entsprungen, sondern das Ergebnis ausführlicher Recherchen sein. Im Film stammt das saloppe Votum aus dem Mund einer Frauenstimmrechts-Gegnerin: In der „göttlichen Ordnung“, die in der Schweiz herrschte, bevor am 7. Februar 1971 per Volksabstimmung die Vorlage zur Einführung des Frauenstimmrechts angenommen wurde, war der Mann von Rechts wegen das Oberhaupt der Familie, Frau und Kinder waren ihm unterstellt. Die Schweiz war damit im internationalen Vergleich eines der späteren Länder, die das Frauenstimmrecht einführten. Für die Gleichberechtigung und Gleichstellung der Frauen kämpft man in Helvetien auch heute noch, etwa bei den Löhnen. Einen winzigen Aspekt darf man bei dieser Diskussion aber nicht außer Acht lassen, was im Film ein Spur zu sehr nebenbei erwähnt wird: Anders als in nahezu allen anderen Staaten war es in der Schweiz nicht ein Parlament, das dieses Stimmrecht beschloss; vielmehr war es die Mehrzahl der stimmberechtigten, d.h. der volljährigen, männlichen Bevölkerung mit Schweizer Pass, die zustimmte und damit auf Jahrhunderte alte Privilegien verzichtete. Darauf kann man durchaus ein wenig stolz sein.

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Filmdienst 16 | 2017

Die göttliche Ordnung Über das Frauenwahlrechts in der Schweiz Im Zentrum steht die 36-jährige Nora Ruckstuhl, die Marie Leuenberger vorzüglich mit der bescheidenen Courage und der unerschrocken-charmanten Verschmitztheit einer einfachen Frau interpretiert. Nora ist glücklich mit Hans verheiratet. Das Paar lebt in einem Dorf im Appenzellischen, auf dem Land, wie man in der Schweiz sagt, es hat zwei Söhne im Primarschulalter, Luki und Max. Mit im Haushalt lebt Hans’ Vater: ein Patriarch alter Schule, besserwisserisch, nörgelnd, für sein Alter aber geistig und körperlich fit; er liest heimlich Sex-Heftchen und rührt im Haushalt nie einen Finger. Seine Schwiegertochter behandelt er wie eine bessere Dienstmagd; beim Essen in der Großfamilie, zu der auch Hans’ Bruder, der den familieneigenen Hof übernommen hat, dessen Frau und Tochter gehören, will er stets den Ton anzugeben. Die Welt, sagt Nora, die auch als Erzäh-

lerin figuriert, habe damals, im Jahr 1968 mit Woodstock, Black Power und Frauenemanzipation, in Feuer gestanden, doch im Dorf sei davon nichts zu spüren gewesen. Wenige Wochen vor der Abstimmung gerät Nora im Nachbarsdorf zufällig an einen Stand von Befürworterinnen des Frauenstimmrechts und wird mit einschlägiger Literatur eingedeckt: Abstimmungsunterlagen, das Schweizer Eherecht, Betty Friedans „Weiblichkeitswahn“. Später entdeckt sie in einer Zeitschrift ein Stelleninserat jenes Reisebüros, bei dem sie vor ihrer Hochzeit eine Lehre absolvierte. Jetzt, da ihre beiden Kinder zur Schule gehen, möchte sie wieder arbeiten. Doch Hans erwidert, dass das nicht in Frage komme, was würden denn die Leute im Dorf sagen? So ergibt sich das Eine aus dem Anderen. Sie habe sich doch bisher noch nie für Politik interessiert, bekommt Nora öfters zu hören, und antwortet

dann trotzig: „Jetzt aber schon!“ So beginnt sich Nora zu emanzipieren. In der alten Vroni und der zugewanderten Graziella findet sie Verbündete, mit denen sie, während Hans vorübergehend Militärdienst leisten muss, zu einer Frauendemo nach Zürich reist. Tags darauf findet im Gemeindesaal eine Abstimmungsversammlung statt. Der Film erzählt, wie sich im Dorf die Diskussion anbahnt, sich Lager bilden, die Stimmung aufgeheizt wird, immer mehr Frauen sich auf die Seite der Befürworterinnen schlagen und schließlich in den Streik treten. Sollen die Männer doch schauen, wie sie mit Haushalt und Kindern zurechtkommen. Irgendwann fliegen nicht nur die Fetzen, sondern auch Steine. Dabei ist Frauenrecht doch Menschenrecht. Petra Volpe hat dem Volk auf den Mund und in die Seele geschaut und verdichtet stimmig und stimmungsvoll Zeit und Geist. Exemplarisch reichert sie Noras Geschichte mit den Schicksalen ihrer Freundinnen und Bekannten an: ihrer unglücklich verheirateten Schwägerin, deren heftig


neUe fiLMe kritiken Ein Vater und sein Sohn reisen nach Norwegen, um den Großvater zu beerdigen. Als sie in dessen Haus ankommen, entspinnt sich ein kurzer Dialog, der ihr angespanntes Verhältnis verdeutlicht. So will der 14-jährige Luis wissen, warum sein Großvater allein in Norwegen lebte, und Vater Michael ringt sich ab: „Der war schon immer so, der war am liebsten alleine.“ Für Luis erklärt dies nichts, denn an einer Beziehung sind schließlich zwei Menschen beteiligt. So bohrt er weiter, fragt, weshalb der Vater den Großvater nie besucht habe, wobei er zugleich hofft, die Ursachen der jahrelangen Funkstille zu enträtseln, die auch zwischen ihm und seinem Vater seit der Trennung der Eltern herrschte. „Wir waren uns nicht sehr nahe“, lautet Michaels lapidare Begründung, was Luis zwangsläufig auf ihre eigene Bindung bezieht, da der Vater auch über sich selbst spricht. Die Antwort verletzt ihn: Wenn sich Michael wie der Großvater selbst genug ist, dann wird sein plötzliches Auftauchen gewiss nicht von Vaterliebe beseelt sein. Thomas Arslan gestaltet eine beklemmende Vater-Sohn-Geschichte als existenzialistisches Road Movie. Es erzählt vom widerborstigen Eigenbrötler Michael (Georg Friedrich), der in eine Krise gerät, weil er jäh selbst erfährt, dass er nicht jedes Geschehen steuern kann, und was es bedeutet, verlassen zu werden. Der Kontakt zu seinem Vater ist vor langer Zeit abgerissen; er weiß nichts über ihn, und nun ist er tot. Als Michaels Lebensgefährtin ihm eröffnet, dass sie für ein Jahr als Korrespondentin ins Ausland geht, überdenkt er sein Leben und beschließt: Die Beziehung zu seinem eigenen Sohn darf nicht enden wie die zu seinem eigenen Vater. So reisen beide gemeinsam nach Norwegen,

in Stille erstirbt. Arslan setzt seine Symbolik sparsam ein. Einmal stehen die beiden reglos vor einer brennenden Hütte, beobachten den Fraß der Flammen, genauso, wie sie tatenlos zusehen, wie ihre Bereitschaft zum gegenseitigen Kontakt mehr und mehr von destruktiven Gefühlen aufgezehrt wird. Erst als Michael schmerzlich am eigenen Leib erlebt, wie sich der Sohn gefühlt haben mag, als er einst die Familie verließ, wendet sich ihr Verhältnis für einen Moment zum richtigen Maß. Arslan findet ein berührendes Bild dafür: In Verkehrung des Aeneas-Mythos schultert der Vater fürsorglich seinen Sohn.

Helle Nächte Vater-Sohn-Drama als stilles Road Movie

Heidi Strobel BeweRTuNg DeR FILmKOmmISSION

doch statt die Reise zu nutzen, um sich mit Luis (Tristan Göbel) neu zu verbinden, versucht Michael, seine Schuldgefühle loszuwerden und die verpasste Zeit nachzuholen. Während er seinen Sohn in PfadfinderManier „bevatert“, realisiert er nicht, dass Luis auf dem Weg ist, erwachsen zu werden. In dieser Zeit teilt sich die Welt in Jung und Alt, die Eltern werden mit scharfem Blick geprüft, und das Verhalten des Vaters stellt sich als peinlich und selbstmitleidig dar. In Luis schwelen Groll, Wut und Hass; auf keinen Fall will er wie ein Kind bevormundet werden. Lieber mischte er sich unter Gleichaltrige. Arslan inszeniert dies prägnant, kontrastreich und mit aussagekräftigen Ellipsen. So sitzen Vater und Sohn auf den Vordersitzen im Auto, in der Enge des Zelts oder in einer Hütte; Großaufnahmen und Naheinstellungen fangen ihre Seelenlage ein, die ersehnte und doch zugleich bedrängende Nähe. Draußen hingegen lockt in Totalen die Unendlich-

keit der Landschaft mit sattem Grün und dem wechselnden Licht einer nicht untergehenden nördlichen Sonne. Immer wieder flieht der Blick der Kamera nach draußen, auf die sich vor ihnen schlängelnde Straße; man kann die subjektiven Einstellungen unschwer als Spiegel der Gefühlswelt des Vaters deuten. Unterlegt wird die mit einem tranceartigen, sphärischen Klang, einem schweren, dunklen, verharrenden Ton. Mulmig mag sich der Vater vorkommen, wie hinter Milchglas gesteckt oder in Watte gepackt, seiner Idee überdrüssig, was eindrücklich eine lange Fahrt durch immer dicker wallenden Nebel vor Augen führt. Zweimal begegnen Vater und Sohn junge Leute. Verführerisch erscheint vor allem eine ausgelassene Gruppe, die sich zu ihnen an einen Strand gesellt. Man hört Technomusik, schwatzt, scherzt und lacht, spielt Fußball bis in die frühen Morgenstunden, während das Gespräch von Vater und Sohn zäh dahintropft oder

Ein ebenso widerborstiger wie verschlossener Eigenbrötler gerät in eine Krise, als er verlassen wird und erkennen muss, dass er nicht jedes Geschehen steuern kann. Um sich seinem 14-jährigen Sohn, der bei der Ex-Frau aufwächst, anzunähern, reist er mit ihm zur Beerdigung seines eigenen Vaters nach Norwegen. Eine beklemmende Vater-Sohn-Geschichte, mittels prägnanter, kontrastreicher und aussagekräftiger Ellipsen als existenzialistisches Road Movie gestaltet. Hinter der zurückhaltend eingesetzten Symbolik offenbaren sich subtil die Gefühlswelten der beiden großartig gespielten Protagonisten, deren Bereitschaft zum gegenseitigen Kontakt mehr und mehr von destruktiven Gefühlen aufgezehrt wird. – Sehenswert ab 16.

Deutschland 2017 Regie: Thomas Arslan Darsteller: Georg Friedrich (Michael), Tristan Göbel (Luis), Marie Leuenberger (Leyla), Hanna Karlberg (Cecilia) Länge: 86 Min. | Kinostart: 10.8.2017 Verleih: Piffl | FSK: ab 0; f FD-Kritik: 44 850

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