Filmdienst 17 2016

Page 1

FILM DIENST Das Magazin für Kino und Filmkultur

17 2016

www.filmdienst.de

HINnA C T H C se z K T M A e d i e n p rä i n o ,

MAaRweitet seinenMicht nur im Kitalen sich Chin n dig s w i rd e r g l o b a l e u m a D . s au ein ß ra r n a u f f i s c h e n G ro i c h t . i sonde er z a b im p chen E b e n e n . E i n Zw i s ele abspi

HICrK« hat C S R N JU n Terro lt.

KARKrIieg gegen -dKerieg entwicke en m Der » D ro h n ü r t i n i h re l e « m u z sp h ie p k c sic S i h ieg & ach. ursc r J K n » i r ilm Ka nz n entarf ellige D o ku m st l i c h e n I n t n d e r Kü

LLAseÍuNrin rückt ienn O B R is lt ICÍA e Reg e n u ra

anisch o« ein l vo l l Die sp lm »El Oliv um. Gefüh n r i F de nt i h r e m a u m i n s Ze h t s i e n a c h l u n g . b ze uc O l i ve n v i e l W i t z s l e n E n t w u r l t e i r m u und r ku l t n eine S p u re

K C Ü R U Z K C I L B EUGIER N IN 18. August 2016 € 5,50 69. Jahrgang

u te l scha e t i T as sem e r d i e u r ü c k a u f d r -J a h r e . t n U : e z « rä n g t c a r n o r ü h e n 1 9 6 0 v i e l fa c h d o r L e l v a f d r fe st i v diese - und e bt u n ng. » G e l i j ä h r i g e F i l m d e r 1 9 5 0 e r e t ra c h t u n g l rha tu s b e o t e u n i i n e d u K N das ine che Kino deuts s f ü r e rg e ss e n e n s s e a l d n n A bu te r d ve n sw e r te n u n Lohne ll verurteil hne vo r s c


FILMDIENST 17 | 2016 DIE NEUEN KINOFILME NEU IM KINO +

ALLE STARTTERMINE

41

1001 Nacht: Volume 3: Der Entzückte 25.8. Alles was kommt 18.8. Antonio, ihm schmeckt’s nicht 18.8. Captain Fantastic 18.8. Chasing Niagara 25.8. Conni & Co. 18.8. El Olivo – Der Olivenbaum 25.8. Elliot, der Drache 25.8. Die fast perfekte Welt der Pauline 25.8. Krieg & Spiele 18.8. Looping 25.8. Lowlife Love 18.8. Rampage – President Down 4.8. Suicide Squad 18.8. TE3N 4.8. Teenage Mutant Ninja Turtles: Out of the Shadows 11.8. The Mechanic 2: Resurrection 25.8. The Shallows 25.8. Die Unfassbaren 2 25.8.

51 50 47

KINOTIPP

42 ELLIOT DER DRACHE

der katholischen Filmkritik

43 DIE FAST PERFEKTE WELT DER PAULINE

36 ALLES WAS KOMMT Isabelle Huppert glänzt als PhilosophieLehrerin, die nach einer Trennung ihr Leben neu ausrichtet.

FERNSEH-TIPPS 56 Jede Menge interessanter Erstausstrahlungen warten aufs Fernsehpublikum: arte lädt dazu ein, »Der Unverstandene« (1967) von Luigi Comencini zu entdecken (22.8.), fühlt im Politthriller »Die vierte Gewalt« (26.8.) dem Ethos der Presse auf den Zahn und huldigt in der Doku »The Devil’s Horn« dem Saxofon (28.8.). Das ZDF lässt in der Miniserie »The Night Manager« Tom Hiddleston undercover ermitteln (ab 29.8.), ProSieben lässt in »The Conjuring« die Geister los (21.8.).

4

Filmdienst 17 | 2016

46 SUICIDE SQUAD 47 DIE UNFASSBAREN 2

Fotos: TITEL: ARD FOTO/SWR Fernsehen. S. 4/5: Disney, Warner, Concorde, Neue Visionen, Weltkino, Filmfestival Locarno, Piffl, Soundtrack_Cologne

36 37 38 51 48 39 42 43 44 40 45 51 46 49 41


17 | 2016 DIE ARTIKEL INHALT KINO

AKTEURE

FILMKUNST

10 PAPAS KINO REVISITED

24 ICÍAR BOLLAÍN

32 CLIFF MARTINEZ 27 E-MAIL AUS HOLLYWOOD

10 DEUTSCHES KINO 1949–1963

20 CEM YILMAZ

Der türkische Komiker feierte in den 1990erund 2000er-Jahren Erfolge als Kabarettist und Kinostar. Mittlerweile ist es damit vorbei: Wie der konservative »Backlash« in der Türkei das Lachen verändert hat.

Steven Spielbergs Roald-Dahl-Verfilmung »BFG« hat sich an den US-Kinokassen gegen die Flut der Sommer-Event-Movies nicht durchsetzen können. Analyse eines unverdienten Scheiterns.

Von Fritz Göttler

Von Emine Yildirim

Von Franz Everschor

Die diesjährige Retrospektive in Locarno würdigte eine Epoche des deutschen Kinos, die lange als »Papas« oder »Opas« Kino zu den Akten gelegt worden war. Eine Revision ist überfällig.

+ Wie das DEFA-Kino der DDR die BRD imaginierte Von Stephan Ahrens

18 »ALLES WAS KOMMT«

»Alles was kommt«, der neue Film von Mia Hansen-Løve (Kritik in dieser Ausgabe), erinnert an einen Kinoklassiker von Alain Tanner: an »Jonas, der im Jahr 2000 25 Jahre alt sein wird«, gedreht 1976. Beide Filme kreisen um linke Lebensentwürfe in den »Post-68er«-Jahrzehnten. Von Ulrich Kriest

22 KARIN JURSCHICK

Die Dokumentaristin berichtet im Interview über die Arbeit an ihrem neuen Film »Krieg & Spiele«. In dem Film geht es darum, wie Drohnen die Kriegsführung verändert haben. Von Josef Lederle

24 ICÍAR BOLLAÍN

Die spanische Regisseurin entwirft in »El Olivo« eine Parabel auf den wirtschaftlichen und mentalen Zustand Spaniens. Im Interview erläutert sie die Figuren und Motive des Films und die Realitäten dahinter. Von Marius Nobach

26 IN MEMORIAM

28 MARKTMACHT CHINA

Hollywood liebäugelt mit Fernost. Leider führen die Annäherungsversuche der Traumfabrik aber ästhetisch bislang nur zu einem globalisierten Einerlei, nicht zu kulturellem Austausch. Von Rolf Giesen

32 DER SCORE ALS ZEITGEIST

Filmkomponist Cliff Martinez wird bei der »SoundTrack_Cologne 13« für sein Lebenswerk ausgezeichnet. Hommage auf einen Sound-Künstler, ohne den die Filme von Steven Soderbergh und Nicolas Winding Refn nicht wären, was sie sind. Von Jörg Gerle

Wir erinnern an den serbischen Star Velimir »Bata« Živojinović sowie an einige weitere verstorbene Filmschaffende. Von Bernd Buder & Rainer Dick

3 4 6 34 52 56 66 67

RUBRIKEN EDITORIAL INHALT MAGAZIN DVD-KLASSIK DVD/BLU-RAY TV-TIPPS P.S. KOLUMNE VORSCHAU / IMPRESSUM

Filmdienst 17 | 2016

5


KINO DAS FRÜHE BRD-KINO

SPÄTE LIEBE ERINNERUNGEN, ENTDECKUNGEN, ÜBERRASCHUNGEN: DER DEUTSCHE KINOFILM DER 1950ERUND FRÜHEN 1960ER-JAHRE »Der Verlorene« (1951) von und mit Peter Lorre

10

Filmdienst 17 | 2016


DAS FRÜHE BRD-KINO KINO

Schon immer war eigentlich klar: Die Konfrontation zwischen »Opas Kino« der Nachkriegsjahre und dem Jungen Deutschen Film nach dem Oberhausener Manifest 1962 war eine kulturpolitische Konstruktion, ein gewollter Bruch, eine Mauer, über die kaum jemand springen konnte oder wollte. Auch wenn damit das Kind mit dem Bade ausgeschüttet wurde. Das Festival in Locarno machte dies zum Thema seiner Retro: »Geliebt und verdrängt« – das Kino der jungen Bundesrepublik Deutschland von 1949 bis 1963. Von Fritz Göttler

Die indische Scheiße, hat Fritz Lang von seinen Filmen »Der Tiger von Eschnapur« und »Das indische Grabmal« gesagt, die er in den 1950er-Jahren nach seiner Rückkehr aus Hollywood für die CCC drehte. So war es in dem Interview in den »Cahiers du cinéma« zu lesen, »La nuit viennoise«, Nummer 165, August 1965. Lang war unglücklich, dass man ihm für seine späten Filme nur Eschnapur und Mabuse zutraute, wollte lieber von Udet und Canaris, von den jungen Halbstarken erzählen. Das ganze Dilemma der zurückgekehrten deutschen Emigranten steckt in dieser Bemerkung, »la merde indienne«, das meinte: Verbitterung, Verachtung, Resignation, Selbstmitleid, aber auch sarkastische Nonchalance angesichts eines Landes, eines Publikums, einer Filmindustrie. Das deutsche Kino der 1950er-Jahre, von den jungen Filmemachern der 1960erJahre abgetan als »Papas« und »Opas Kino«, hat so viele pejorative Adjektive auf sich versammelt wie kein anderes. Es gilt als pompös und verlogen, kitschig und knallbunt, armselig und hölzern, banal und langweilig, reaktionär und primitiv, dumm-dreist und klamottig. Und doch hat

Debra Paget in »Der Tiger von Eschnapur« (1958/59). Ganz gewiss scheute Fritz Lang nicht den Schaueffekt, zelebrierte genüsslich die erotischen Bewegungen der schönen Tempeltänzerin Seetha, die er aber zugleich perfekt komponierte: Bildkonzept statt Bilder.

es seine Ein- und Nachwirkungen hinterlassen, bis heute. Der gute alte Klamottengeist rumort noch, natürlich ironisch reflektiert, in Maren Ades »Toni Erdmann«, und der hat in Cannes, so las man im Mai 2016, schenkelklopfende Heiterkeitsstürme bei den Cineasten provoziert. »Das Abscheuliche an Papas Kino«, schrieb Theodor W. Adorno 1966 in seinem vertrackten Text »Filmtransparente. Notizen zu Papas und Bubis Kino«, »ist das Infantile, die industriell in Betrieb gesetzte Regression.« Der von ihm gestanzte Begriff der Kulturindustrie sollte für sehr lange Zeit die Lust am Kino vermiesen. Auch über Schlöndorffs »Der junge Törless« nörgelte er, sogar über Antonioni. Von Adorno, der lange den kritischen Diskurs in Deutschland bestimmte, zu Walter Benjamin: Das war die radikale Bewegung der deutschen Filmkritik in den späten 1960er- und 1970er-Jahren. Weg von der soziologischen Entlarvung, hin zum Spiel mit und zur Arbeit an den Formen. Ein neuer Begriff vom, ein neuer Blick aufs Kino, der auch die Distanz zum deutschen Kino der Nachkriegszeit reduzierte. Die Bewegung ist immer noch nicht abgeschlossen, vielleicht hat sie sich inzwischen aber auch schon wieder umgekehrt. Die Retrospektive zum deutschen Nachkriegskino beim diesjährigen Festival in Locarno – sie kommt nicht ganz überraschend, die italienischen und französischen Cineasten waren immer schon am deutschen Kino durch die Jahrzehnte interessiert.

DER EINZIGE RÜCKKEHRERFILM: PETER LORRES »DER VERLORENE« Die Indien-Filme von Fritz Lang greifen weit zurück in die deutsche Filmgeschichte. Anfang der 1920er-Jahre hatte er mit Thea von Harbou die Geschichte vom deutschen Architekten in einem indischen Königreich als Zweiteiler geschrieben, die Inszenierung hatte dann Produzent Joe May lieber selbst besorgt. Die deutsche bürgerliche Filmkritik war damals konsterniert von Langs eigenen Indien-Filmen, in Frankreich dagegen schafften sie es spielend auf die Top-Ten-Jahreslisten. Dort liebte man den amerikanischen Lang mehr als den Lang aus Babelsberg. In Deutschland war das eher umgekehrt. Die

Filmdienst 17 | 2016

11


KINO DAS FRÜHE BRD-KINO Rückkehrer aus Hollywood – Lang, Robert Siodmak, William Dieterle, Gerd Oswald, Frank Wisbar – wussten ziemlich genau um den Zustand des deutschen Kinos, den des Kinos nach dem Krieg überhaupt. Sie hatten den Anfang vom Niedergang des Studiosystems erlebt. Roger Corman und AIP machten in den USA, was in Europa die Nouvelle Vague versuchte. In Deutschland wollte man 1962 dann einen richtigen Bruch, die Machtergreifung der Jungen, schrieb Frieda Grafe. Die Diskrepanz in der Rezeption der Indien-Filme hat auch Joe Hembus in seinem Buch »Der deutsche Film kann gar nicht besser sein« (1961) nicht erklären können. Es ist ein großartiges Buch, subtil, von kraftvoller Eleganz, beschwingt vom Geist der jungen Welle, und am besten ist es in den Momenten, wenn es zu kurz greift. Die Großen des Kinos sind alt geworden und kraftlos, konstatiert Hembus – die Dialektik der Spätwerke ist ihm fremd, die ein Spiel mit den Formen provoziert und Filme hervorbringt, die ganz jugendlich auf Andeutungen und Suggestionen bauen. Zarah Leander hat, befreit von den schweren staatstragenden Implikationen ihrer Rollen für die Nazis, in den Nachkriegsfilmen eine tolle, fast ironische Reflexion ihrer Ikonenhaftigkeit vorgelegt. Sie singt das »Ave Maria« (1953). Die Misere des deutschen Kinos in den 1950er-Jahren hat man gern mit dem Versagen der alten Remigranten erklärt. Fritz Lang hat über seinen Produzenten Artur Brauner geschimpft, dabei waren beide in ihren Vorstellungen davon, was das Kino in der Wiederaufbauzeit brauchte, gar nicht weit auseinander. Auch Peter Lorre hat den Riss gespürt, der die Kinogeschichte durchzieht, als er seinen Film »Der Verlorene« (1951) drehte. Der erste, vielleicht der einzige richtige Rückkehrer-Film hat 20 verlorene Jahre in sich aufgenommen, von Langs »M«, in dem Lorre den Kindermörder spielte, bis zu den ersten Jahren der Nachkriegszeit, als er einen Wissenschaftler und Frauenmörder verkörperte. »Kaum ein Film hat den Faschismus so genau vorgezeichnet wie ‚M‘«, heißt es in Harun Farockis PeterLorre-Filmporträt, »keiner hat ihn so genau nachgezeichnet wie ‚Der Verlorene‘.« Lorres Gesicht, das in diversen Film noirs der 1940er-Jahre müder und müder wurde, zeichnet nun eine erschreckende Leere.

12

Filmdienst 17 | 2016

JOE HEMBUS SCHRIEB EMPHATISCH VOM SCHÖPFERISCHEN Auch in seinen Indien-Filmen betrieb Fritz Lang sein in Jahrzehnten eingeübtes Spiel mit Zeichen und Symbolen: Wie einst in »Metropolis« (1925/26) das Wasser aus den berstenden Betonböden »blutete«, so rinnt das Blut in »Der Tiger von Eschnapur" nun aus einem Korb.

Brüche, Verdrängungen, Tabus. Das neue farbige, heimatselige, melodramatische Kino ist wie eine erschrockene Reaktion auf alles, was »Der Verlorene« verkörpert. Es war über die Jahrzehnte nicht einfach, über diese Reaktion zu reden, dieses Kino des Übergangs und der Interferenzen. Das Alte und das Neue auseinanderzudividieren, das Reaktionäre und das Progressive, einen Begriff zu finden, der das alles zu ordnen hilft. Hembus schrieb emphatisch vom Schöpferischen: schöpferische Freiheit, schöpferische Filme, schöpferischer Nachwuchs, ein Versuch, den Begriff des »auteur« aus dem Französischen herüberzubringen. In Frankreich aber war der »auteur« Teil der großen Bewegung eines neuen Denkens, des Strukturalismus, der das Synthetische in der Kunst propagierte, in den Texten von Barthes, Lévi-Strauss und Lacan. Aus den Mythen wurden die »Mythologies« – so hieß das revolutionäre Werk von Roland Barthes (1957), das bei uns als »Mythen des Alltags« herauskam. In Deutschland blieb es erst noch bei den Mythen, aber die Leere, die diese inzwischen umgab, haben vor allem die Remigranten gespürt. Sie wurden mit jenen konfrontiert, die die Filme der NaziZeit gestaltet hatten, Technikern, Drehbuchschreibern, Regisseuren. Veit Harlan und Gustav Ucicky, die wegen ihrer Filme in der Nazi-Zeit nach dem Ende zunächst Probleme mit der Arbeitserlaubnis hatten – die Kontinuität ihrer Filme kann nicht nur durch das Attribut »reaktionär« abgetan werden. Ucicky, dem das FaschistenMelo »Heimkehr« nachhing, drehte gleich danach mit Paula Wessely und Attila Hörbiger »Späte Liebe« (1943), einen subversiven erotischen Film. Im Gegenzug hatte es die innere Emigration von Helmut Käutner, Kurt Hoffmann, Harald Braun gegeben, die sich den Standards der NaziProduktion widersetzten und dafür einen Manierismus entwickelten, den man nach dem Krieg bald als lästig empfand. Das Kino stand damals immer auch in Konkurrenz zum US-amerikanischen Film, dem man viele Jahre entwöhnt worden war. »Zuverlässig«, schrieb Werner Dütsch in seinen schönen Erinnerungen an seine


FilmkunST CliFF MaRtiNEZ

Der SounD-Tracker EKStat iSChE ZEitgEiSt- KoMMENtaRE: DER KoM p o N i St C l i F F M a Rt i N E Z

Von Jörg Gerle

32

Filmdienst 17 | 2016

Sex, lügen und Video Kafka Die Kehrseite der Medaille the limey traffic – Macht des Kartells Solaris Wonderland Sehnsüchtig Kick Stiletto Der Mandant, Drive arbitrage Mea Culpa, only god Forgives the Neon Demon 1989 1991 1995 1998 2000 2002 2003 2004 2005 2008 2011 2012 2013 2016

Seine elektronischen, allenfalls von rhythmischem Schlagwerk akzentuierten Klangteppiche stellen eine ganz besondere Spielart der Filmmusik dar. Mit ihnen verleiht Cliff Martinez den ungewöhnlichen Filmen von Steven Soderbergh oder Nicolas Winding Refn ihren unverwechselbaren Sound. Eine Begegnung mit dem Klangtüftler und Schlagzeuger, der 1954 in der Bronx, New York, geboren wurde.

FilmmuSik von cliFF marTinez (auSwahl)

CD-Cover-Design für »The Neon Demon« von Nicolas Winding Refn


CliFF MaRtiNEZ FilmkunST »Ich denke«, so erläutert Cliff Martinez, »meine Musik wird gerne mit all dem assoziiert, was mit der dunklen Seite des Menschen zu tun hat: Leute schlagen sich zusammen, erschießen sich, nehmen Drogen, werden in die Luft gesprengt, klauen Alkohol aus Tante-Emma-Läden und solche Sachen. Ich habe das zwar nie so geplant, aber jetzt, wo ich mich damit arrangiert habe, finde ich den Gedanken gut, dass ich mich in diese Richtung perfektioniert habe.« Solche »dunklen Seiten« mag man aus Erfolgsreihen wie »Bourne Identität«, »Mission: Impossible« oder »G.I. Joe« kennen, doch bei Cliff Martinez hören sich die musikalischen Ansätze grundlegend anders an. Der inzwischen 62-jährige Filmkomponist kommt zwar als einstiger Schlagzeuger eher vom harten Pop und saß kurzzeitig einmal in der rhythmischen Schaltzentrale der Funk-Rock-Band Red Hot Chili Peppers, doch das ist inzwischen Jahrzehnte her – weit vor seiner ersten Filmmusik zu Steven Soderberghs »Sex, Lügen und Video« (1989). Dem Rhythmus ist Martinez dennoch weiterhin verpflichtet, nur geschieht dies inzwischen weit subtiler. Brachialmusik, die es beispielsweise mit dem Action-Gewitter von Top-Agenten aufnehmen soll, ist nicht seine Sache: Das überlässt er dann doch lieber Hans Zimmer und seinem »Remote Control«-Team.

Nicolas Winding Refn einen veritablen Chart-Erfolg bescheren würde, mag trotz der geschickten Soundtrack-Melange aus Pop und Score zu den Rätseln der (Musik-)Geschichte zählen; denn eigentlich ist die Musik zu »Drive« (2011) die konsequente Weiterführung des 1980erJahre-Elektro-Scores mit wehmütig-melancholischem Einschlag. Martinez: »Neben ›Solaris‹ geizen ›Drive‹ und besonders auch ›Only God Forgives‹ ziemlich mit Dialogen. Ich sehe das in erster Linie als Herausforderung. Wenn keiner redet, schaltet der Zuschauer ganz automatisch den Schalter um und achtet genau auf die Bilder und die Musik. Ich empfinde es als großen Vertrauensbeweis, wenn mich Regisseure in die Stille komponieren lassen.«

FulminanTe arbeiT miT nicolaS winDing reFn

Mit Nicolas Winding Refn verbindet ihn seit »Drive« eine ganz besondere Seelenverwandtschaft. Cliff Martinez hat genau das richtige Empfinden für jenen schrägen, dabei nicht unbedingt melodiefreien Klang, der sich weitab vom Hollywood-Klang-Mainstream bewegt und ein gewisses Gefühl von »behaglichem Unbehagen« weckt, wie dies ganz besonders den Filmen des Dänen Winding Refn innewohnt. In »Only God Forgives« (2013) gibt Martinez den Meister der Andeutung: Keines der musikalischen Themen ist voll ausgearbeitet, vieles Sein musikalisches Kennzeichen ist eher der synthebleibt betont fragmentarisch. Was sich perfekt mit tische Electronica-Klangteppich, dies in Verbindung Winding Refns statischen und sehr grafischen mit dem dezidierten Einsatz von klassischen perTableaus aus dem Horrorkabinett ergänzt. kussiven Instrumenten. Martinez: »Ich bin nicht Einmal mehr wurde auch Winding Refns der erste, an den Menschen denken, wenn sie aktueller Film »The Neon Demon« (2016) eher jemanden für klassischen Orchesterklang kontrovers aufgenommen – mit der Musik suchen. Zudem kommt vielen mein Backhat Martinez nach »Solaris« aber zweifellos ground als Drummer ganz gelegen, wenn ein weiteres Meisterwerk abgeliefert. es darum geht, irgendetwas mit einem Zusammen mit den treibenden ClubStock zu traktieren.« Von der SchubNummern von Winding Refns Neffen lade »Avantgarde« will der New Julian Winding gelang ihm ein Yorker dennoch nichts wissen: ebenso kühler wie ekstatischer »Wenn ich ›Avantgarde‹ höre, Kommentar zum morbiden denke ich eher an John Cage Zeitgeist, ein kalter, dabei doch oder LaMonte Young. Das eingängiger Abgesang auf sind kompromisslose Kompo- Elle Fanning als Jesse, 16-jährige Unschuld aus der Provinz in Los Angeles die Melodie in der Filmmusik, nisten mit einer Vision, die nicht für die heute ansonsten eher für den geneigten Zuhörer Kompromisse machen. Ich kann mir diese französische Komponisten wie Alexandre Desplat zuständig sind. Art von Luxus nicht leisten. Mein Job ist es, Musik zu komponieren, »Also zumindest ich habe bislang noch keinen besonderen Bedarf für mit der der Zuschauer gleich beim ersten Hören eine wie auch immer Melodien in meiner Musik gespürt«, meint Martinez. »Der Computer geartete Verbindung eingehen kann.« hat einen immensen Einfluss darauf, wie wir alle Musik machen. Ich Die Filmmusik zu einem weiteren Film von Steven Soderbergh denke sogar, dass das Herumbasteln am Sound die Hauptaufgabe katapultierte ihn dauerhaft in die A-Kategorie von Hollywoods vieler Komponisten meiner Generation ist. Aus meiner Sicht scheint Filmkomponisten: Mit »Solaris« (2002), dem trotz seines Hauptdares eine Präferenz für genau solche Musik auf Seiten der jungen Filmstellers George Clooney eher moderat bekannten Remake des gleich- macher zu geben. Meiner Ansicht nach ist der traditionelle Einsatz namigen Science-Fiction-Films von Andrej Tarkowski (1972), schuf der Melodie im Film längst im Aussterben begriffen.« o er bleibende, überirdische Musik, die die SciFi-Elegie über die langen cliFF marTinez in köln dialoglosen Passagen bestimmt. Nie klangen anorganisch metallene Steel Drums ätherischer als in der unendlich scheinenden Woge, in Cliff Martinez wird im Rahmen der diesjährigen »Soundtrack_Cologne 13« die Martinez »Solaris« hüllt. (24.-28. august) für sein lebenswerk ausgezeichnet. am 27.8. findet dazu Das ihm dann knapp zehn Jahre später die Musik zu einem verein Werkstattgespräch mit dem Komponisten statt. kopften Neo-Noir-Thriller des noch schrägeren dänischen Regisseurs infos: www.soundtrackcologne.de

Fotos: Gaumont/Wild Bunch

wehmüTig-melancholiSche elekTro-Sco r e S

Filmdienst 17 | 2016

33


kritiken neue Filme

Offen und beweglich: Isabelle Huppert als Philosophie-Lehrerin am Lebens-Wendepunkt

Das signifikanteste Bild für das Ende einer 25-jährigen Ehe ist das der Lücken im Bücherregal: Nathalie, PhilosophieLehrerin an einem Pariser Lycée, ist außer sich, als sie nach dem Auszug ihres Mannes Heinz die zerpflückte Bibliothek erblickt – während ihre Reaktion auf seine Ankündigung, sie zu verlassen, vergleichsweise gefasst ausfällt. Auch Heinz, der Philosophie an der Universität unterrichtet, jammert einmal über einen vergessenen Schopenhauer-Band wie über einen abwesenden Freund: »Er fehlt mir so.« Dass in Mia Hansen-Løves Film Bücher von Rousseau, Günther Anders und Žižek bis zum linksradikalen Essay »Der kommende Aufstand« einen so geräumigen und selbstverständlichen Platz einnehmen – sie werden besprochen, ausgetauscht, verschenkt –, sagt viel über das intellektuelle Milieu der Figuren, aber auch über die Erzählhaltung der Regisseurin. Hansen-Løve hierarchisiert nicht zwischen dramatischen und alltäglichen Ereignissen, zwischen dem Zentrum und der Peripherie der Geschichte, den

36

Filmdienst 17 | 2016

Figuren und den Dingen. Trennung, Tod, eine Schulstunde, eine Debatte über politische Radikalität, das Zusammenleben mit einer Katze und immer wieder Bücher: Alles steht gleichberechtigt nebeneinander, wird mit der gleichen Aufmerksamkeit bedacht. Wie schon in ihren Filmen »Der Vater meiner Kinder« (2009), »Un amour de jeunesse« (2011) und »Eden« (2014) geht es auch in »Alles was kommt« um die Spuren der Zeit, um Abschiede wie auch ums Weitermachen. Nathalie sieht sich nach Erfahrungen mit Trennung und Tod einer neuen Freiheit gegenüber. Zuerst geht der Mann, dann stirbt die Mutter, eine überspannte, besitzergreifende Frau, die Nathalie jahrelang mit ihrer Hilfsbedürftigkeit erpresst hat. Verluste gibt es auch in Nathalies Arbeitsleben: Die Edition philosophischer Grundlagentexte, die sie herausgibt, soll ein populäreres Aussehen bekommen, was im Ergebnis sehr nach »HariboWerbung« aussieht. Auch Freiexemplare gibt es keine mehr. Dahin, wo Lücken waren, treten jedoch andere Dinge, andere

Menschen, Begegnungen. Zu ihrem ehemaligen Schüler Fabien, der sich einer Anarchisten-Gruppe auf dem Land angeschlossen hat, intensiviert sich das Verhältnis, von der Mutter erbt Nathalie (die Katzenhaar-Allergikerin) eine Katze namens Pandora, sie bekommt eine Enkeltochter. Auch der neue Film ist autobiografisch motiviert: HansenLøves Eltern arbeiteten als Philosophie-Lehrer, sie selbst hat deutsche Philosophie studiert. Entsprechend präsent sind die deutsche Philosophie und Sprache – von Schopenhauer, Enzensberger und dem Schubert-Lied »Auf dem Wasser zu singen« (nach dem Gedicht des Lyrikers Graf Friedrich Leopold zu Stolberg-Stolberg) über ein linkes Verlagskollektiv aus Berlin bis zum mit hinreißendem Akzent ausgesprochenen »(H)einz«. Intellektualität hat hier nichts Trockenes, Sprödes, Weltabgewandtes, ist, ganz im Gegenteil, lebendig, kommunikativ, sensuell, den Menschen und dem Leben nah. Überhaupt ist »Alles was kommt« ein Film voller Bewegung, nicht hastig, aber

Bewertung der FilmkommiSSion

Als eine Philosophie-lehrerin nach 25 Jahre ehe überraschend von ihrem mann verlassen wird und wenig später ihre mutter stirbt, sieht sie sich einer neuen Freiheit gegenüber. Das mit großer leichtigkeit, ebenso mit viel Gelassenheit und Klarheit erzählte Porträt einer nicht mehr jungen bürgerlich-intellektuellen Frau, die ihr leben nicht als mangel und Kompromiss, sondern als erfüllte, sich stets in Bewegung befindende Gegenwart versteht und es dementsprechend gestaltet. Vorzüglich gespielt, kreist der Film hellsichtig um Spuren der Zeit, ebenso um Abschiede wie auch ums Weitermachen. – Sehenswert ab 16.

l’aVenir. Frankreich 2016 regie: mia Hansen-løve darsteller: isabelle Huppert (nathalie), André marcon (Heinz), Roman Kolinka (Fabien), edith Scob (Yvette), Sarah le Picard (Chloé), Solal Forte (Johann) länge: 98 min. | kinostart: 18.8.2016 Verleih: Weltkino | FSk: ab 0; f Fd-kritik: 44 089

Fotos S. 36–51: Jeweilige Filmverleihe

alles was kommt

doch zügig erzählt. Isabelle Huppert hat ständig etwas zu tun, man sieht sie beim Gehen und Reden, beim Gehen und Telefonieren, beim Lehren, in der Metro, vertieft in ein Buch – es gibt kein Verharren, kein Aufhalten in der Introspektion, das Leben ist immer gefüllt. So aufmerksam wie gelassen blickt der Film auf die Verluste im Leben anstatt sie zu beweinen. »Alles was kommt« erzählt das Leben dieser nicht mehr jungen bürgerlich-intellektuellen Frau gerade nicht als Mangel und Kompromiss. Nicht als Davor eines Aufbruchs und auch nicht als Danach einer erfüllten Existenz, sondern als reine Gegenwart: um ihre Vergänglichkeit bewusst, aber offen und immer schön im Flow. Esther Buss


neue Filme kritiken

antonio, ihm schmeckt’s nicht!

Alle Fortsetzung ist schwer: Banale Culture-Clash-Komödie Mit »Maria, ihm schmeckt’s nicht« nach dem gleichnamigen Roman von Jan Weiler kam 2009 eine Komödie in die Kinos, die sich ebenso witzig wie hintergründig mit dem Verhältnis zwischen Deutschen und Italienern beschäftigte. Ganz offensichtlich hatte Weiler, der auf eigene Erfahrungen mit der Verwandtschaft seiner italienischen Frau zurückgreifen konnte, einen wunden Punkt bei den Deutschen getroffen. Die deutsche Italien-Sehnsucht, die schon auf Goethe und seine »Italienische Reise« zurückgeht, ist immer auch Ausdruck einer Unzufriedenheit; da ist stets so eine Ahnung, dass die Italiener mehr vom Leben haben könnten, gern wäre man ähnlich gesellig, lebensfreudig und temperamentvoll wie sie. Da gibt es nur ein Problem: Wer mit deutschem Naturell, wie immer man dies definiert, auf die Welt kommt, der findet die Aufgeregtheit der Südeuropäer mitunter enervierend. Von diesem Gefälle und den kulturellen Unterschieden handelten das Buch und, etwas verdichteter, der Film. Ungeniert ließ Regisseurin Neele Leana Vollmar ein Italien-Klischee auf

das andere folgen, von der lauten Großfamilie über chaotische Organisation bis zum Fehlen jeglicher Privatsphäre. Nie aber gab sie diese Klischees der Lächerlichkeit preis: Sie fing sie liebevoll auf und trieb sie mit treffsicheren Alltagsbeobachtungen auf die Spitze. In der Fortsetzung von Sven Unterwaldt (»Siegfried«, »7 Zwerge«, »Otto’s Eleven«) ist das anders. Sara, wieder dargestellt von Mina Tander, ist schwanger. Ein Kinderzimmer muss her, und so räumt ihr Mann Jan (erneut Christian Ulmen) widerwillig und lustlos sein geliebtes Arbeitszimmer, das ihm bislang als Rückzugsort vor der lauten Italianità seiner Umgebung diente. Endlich soll auch die lange aufgeschobene Hochzeitsreise nachgeholt werden: Eine Woche New York, allein zu zweit! Allerdings haben die Flitterwöchner die Rechnung ohne Schwiegerpapa Antonio gemacht, der nicht nur beim Sicherheitscheck am Flughafen für Chaos sorgt, sondern auch nach aberwitzigen Verwicklungen mit Jan in der Honeymoon-Suite einer Luxusherberge im Big Apple landet.

Mehr muss man über den Inhalt nicht wissen, weil man ohnehin ahnt, was als Nächstes passieren wird. Durch den Umzug nach New York und die Übernachtung im Vier-Sterne-Hotel ist der Film seiner deutsch-italienischen Wurzeln beraubt und wirkt seltsam überladen. Der zusätzliche Culture Clash mit den USA funktioniert nicht, weil es auch hier wieder eingewanderte Italiener sind, die den Gestrandeten (Pass weg, Kreditkarte weg – was halt auf Reisen so schiefgehen kann) helfen. Mehr als Postkartenbilder Manhattans, die Christian Ulmen am belebten Times Square zeigen, hat der Film nicht zu bieten. Weil Jan und Antonio gemeinsam in der Honeymoon-Suite übernachten, gelten sie rasch als schwules Paar – Anlass genug für homophobe Kalauer. Saras Entfremdung vom Vater wird mit Lügen begründet, die sie sich als Kind anhören musste, die Erkenntnis, dass man sich ein wenig Zufriedenheit gönnen muss, ist für anderthalb Stunden Kinoqual doch arg banal. Bedauerlich auch, dass nicht mehr Lino Banfi, sondern Alessandro Bressanello den Schwiegervater spielt. Nur wuchtig, laut und

nervig ist als Karikatur italienischen Temperaments einfach zu wenig. Michael Ranze Bewertung der FilmkommiSSion

eine schwangere junge Frau mit italienischen Wurzeln und ihr deutscher ehemann wollen ihre bislang versäumten Flitterwochen in new York nachholen. Da der Schwiegervater seine Tochter nicht unbeaufsichtigt lassen will, kommt es während der Reise schon bald zu Verwicklungen in einem luxushotel in manhattan. enttäuschende Komödie als Fortsetzung von »maria, ihm schmeckt’s nicht« (2009), die den Culture Clash zwischen Deutschland und italien vernachlässigt und sich mit albernen, mitunter homophoben Kalauern, unglaubwürdigen motivationen und banalen erkenntnissen zufriedengibt. – Ab 14.

Deutschland 2016 regie: Sven unterwaldt darsteller: Christian ulmen (Jan), mina Tander (Sara), Alessandro Bressanello (Antonio), maren Kroymann (ursula), Peter Prager (eberhard) länge: 95 min. | kinostart: 18.8.2016 Verleih: Fox | FSk: ab 0; f Fd-kritik: 44 090

Filmdienst 17 | 2016

37


Neue FILMe AUF DvD / BlU–RAy

Mr. Collins’ zweiter Frühling Al Pacino als alternder Rock-Star

52

Filmdienst 17 | 2016

geht und von seinen in die Jahre gekommenen Fans nach wie vor angehimmelt wird. Danny singt immernoch dieselben Songs wie vor ein paar Jahrzehnten, weil die Fans nichts anderes von ihm hören wollen. Er hat eine Frau, die nicht einmal halb so alt ist wie er, und er garniert sein Privatleben mit denselben abgestandenen Witzen wie zu seiner Glanzzeit. Al Pacinos Darstellung dieses Unsympathen lässt durchschimmern, dass dieser sich selbst reichlich auf die Nerven geht. Was einen von Anfang an ahnen lässt, dass eine Charakterwandlung unmittelbar bevorstehen muss. Die bewirkt der besagte Brief. Plötzlich erinnert sich der abgetakelte Held, dass er einen längst erwachsenen Sohn hat, den er nicht einmal kennt. Wie es in Filmen dieser Art so passiert, hat der Sohn (Bobby Cannavale), der von Danny nichts wissen will, eine liebevolle Frau (Jennifer Garner), ein überaktives Kind und bedrohlich fortgeschrittenen Blutkrebs. Eine Rolle bei Dannys Läuterung spielt auch noch die Geschäftsführerin eines aufdringlich ins Bild gesetzten Hilton-Hotels (Annette Bening), die so ziemlich alles zu verkörpern scheint, was Danny in seinem oberflächlichen Leben bisher entgangen ist.

Dan Fogelmans Senioren-Komödie lebt auf so entwaffnend selbstverständliche Weise von lauter kommerziellen Versatzstücken, dass man als Zuschauer geneigt ist, dem Autor zu vergeben und sich ausschließlich an den Darstellern festzuhalten. Die machen in der Tat viele der voraussehbaren Soap-Opera-Klischees genießbar und das Flickwerk aus Sentimentalität und allzu vorsichtig dosierter Karikatur erstaunlich unterhaltsam. Fogelman, der schon mit seinem Skript zu »Crazy, Stupid, Love« ähnliches versuchte, muss sich nur vorsehen, dass er nicht der Versuchung erliegt, seine parodistischen Fähigkeiten in lauter anbiedernden Kompromissen zu ersticken. – Ab 12. Franz Everschor DANNY COLLINS USA 2015 Regie: Dan Fogelman Darsteller: Al Pacino, Annette Bening, Jennifer Garner, Bobby Cannavale, Christopher Plummer Länge: 106 Min. FSK: ab 12 Anbieter: Koch FD-Kritik: 44 106

Fotos: Jeweilige Anbieter

Zu einer Zeit, in der Filmautoren sich auf »wahre Geschichten« geradezu stürzen, schöpft man bereits Hoffnung, wenn der Vorspann von »Mr. Collins’ zweiter Frühling« damit seinen Spaß treibt: »The following is based on a kind of true story a little bit«, heißt es in der Originalfassung. Das »kleine bisschen Wahrheit«, das da so neckisch angesprochen wird, ist ein ermunternder Brief, den John Lennon 1971 an den damals noch kaum bekannten Folk-Sänger Steve Tilston geschickt hat. Das Besondere daran ist, dass der Brief erst 40 Jahre später bei seinem Adressaten eintraf. Dem Autor Dan Fogelman, der durch sein Drehbuch zu dem PixarFilm »Cars« in Hollywood Fuß fasste, reichte diese postalische Glanzleistung aus, um sich von ihr zu seiner ersten Regiearbeit inspirieren zu lassen. Er erdachte eine Story, die Jung und Alt zum Lachen und zum Weinen bringen soll, die Parodie und Soap Opera zugleich ist. Und in der last but not least Al Pacino noch einmal so richtig Al Pacino sein darf. Zu viel des Ehrgeizes, wie sich herausstellt, aber nicht unsympathisch. Pacino mimt einen gealterten Rock-Star, Danny Collins, der immer noch auf Tournee


KRITIKEN FERNSEH-TIPPS

SA

SAMSTAG 20. AUGUST

Ab 12

22.00 – 00.10 RTL The World’s End R: Edgar Wright Amüsante Parodie aufs Sci-Fi- und »Bodysnatcher«-Genre GB 2013 Ab 14

20.15 – 21.55 arte Hai-Alarm im Surferparadies R: Rémy Tézier Doku über rätselhafte Haiangriffe Frankreich 2014 Sehenswert ab 12

22.05 – 00.25 Servus TV Take Shelter – Ein Sturm zieht auf R: Jeff Nichols Bauarbeiter sieht Apokalypse voraus USA 2011 Sehenswert ab 14

20.15 – 21.45 einsfestival Monsoon Baby R: Andreas Kleinert Ehepaar sucht Wunschbaby in Indien Deutschland 2014 Sehenswert ab 16

22.25 – 00.30 SAT.1 Rezept zum Verlieben R: Scott Hicks US-Remake von »Bella Martha« USA 2007 Ab 12

20.15 – 23.20 ProSieben 2012 R: Roland Emmerich Endzeit-Effektspektakel mit John Cusack USA/Kanada 2009 Ab 14

23.25 – 01.40 BR FERNSEHEN Nirgendwo in Afrika R: Caroline Link Jüdische Familie emigriert 1938 nach Afrika Deutschland 2001 Ab 14

20.15 – 22.00 RTL R.I.P.D. – Rest In Peace Department R: Robert Schwentke Actionreiche Mischung aus Fantasyund Buddy-Film USA 2013 Ab 14

00.00 – 01.50 mdr Die Lincoln Verschwörung R: Robert Redford Rechtsstaat-Appell im Historiengewand USA 2010 Sehenswert ab 14

14.00 – 15.20 Rosas Traum R: Manne Lindwall Mädchen gerät durch Flunkereien in Nöte Schweden 2006

KiKA

20.15 – 22.25 SAT.1 Ratatouille R: Brad Bird Animationsspaß um Ratte mit Koch-Leidenschaft USA 2007 Sehenswert ab 6 21.55 – 23.25 Rammstein in Amerika R: Hannes Rossacher Erhellende Doku über die »Tanzmetall«-Band Deutschland 2015

arte

Ab 16

00.25 – 01.50 Servus TV Sightseers R: Ben Wheatley Makabre Serienkiller-Komödie Großbritannien 2012 Ab 16 01.40 – 03.25 BR FERNSEHEN Red Dust – Die Wahrheit führt in die Freiheit R: Tom Hooper Engagiertes Post-Apartheiddrama GB/Südafrika 2004 Ab 16

20. August, 00.00 – 01.50

mdr

Die Lincoln Verschwörung

Am 18.8. hat Robert Redford seinen 80. Geburtstag gefeiert und ist auf mehreren Sendern gefeiert worden; der mdr legt nun eine seiner jüngeren Regiearbeiten nach, mit der er sich einmal mehr als kritischer und kluger Beobachter Amerikas erweist. »Die Lincoln Verschwörung« greift ein historisches Thema auf, zielt damit aber auch auf gegenwärtige Problematiken. Nach der Ermordung von Präsident Lincoln 1865 in Washington wird den Attentätern schnell der Prozess gemacht, um die Ruhe nach dem Bürgerkrieg nicht zu gefährden. Ein junger Anwalt (James McAvoy) übernimmt die Verteidigung einer als Mitverschwörerin angeklagten Frau (Robin Wright) und entwickelt sich zum Verfechter rechtsstaatlicher Prinzipien. Als Parallele zu den Militärgerichtsverfahren in Guantánamo angelegt, geht es dem Film vor allem um eine argumentative Verteidigung der Verfassungsrechte; dank der stimmigen Kameraarbeit und hervorragenden Darsteller entwickelt sich dabei auch eine große emotionale Dichte.

FREE-TV-PREMIERE 20. August, 22.00 – 00.10

RTL

The World’s End

Simon Pegg und Nick Frost, der dünne Fatalist und der dicke Chaot, sind inzwischen zu Kultfiguren des gepflegten britischen Buddy-Kinos avanciert. »Shaun of the Dead« und »Hot Fuzz« haben ihren Ruf begründet, was nicht zuletzt auch an Regisseur Edgar Wright liegen dürfte, der den beiden Komikern immer wieder genügend Raum lässt, um ihre besondere Art von Anarchohumor zelebrieren zu können. In »The World’s End« findet das Trio erneut zur Hochform, wenn es darum geht, eine von Aliens unterwanderte Kleinstadt zu retten, die doch für die beiden Protagonisten eigentlich nur Schauplatz einer feuchtfröhlichen Sauftour sein sollte. Natürlich wird in dieser Sci-Fi-Parodie ganz nebenbei auch noch die Welt gerettet – vielleicht!

20. August, 20.15 – 22.25

SAT.1

Liebe geht durch den Magen... Anerkennung auch! Das erfährt die kleine Ratte Remy, die ungeahnte Ambitionen im Bereich der gehobenen Kochkunst entwickelt. Eine Ratte?! Brad Birds meisterhafter Animationsfilm von 2007 schafft es nicht nur, einem des Menschen zweitliebstes Ekeltier (nach Spinnen) ans Herz wachsen zu lassen, er führt auch eindrücklich (vor allem jüngeren Menschen) vor Augen, dass es auf die inneren Werte eines jeden Lebewesens ankommt. Und so hilft der kleine Racker auch ganz nebenbei einem Küchengehilfen, ganz groß rauszukommen – die Liebe inklusive! Apropos Liebe und Magen: Im Anschluss ab 22.25 Uhr zeigt SAT.1 noch das »Bella Martha«Remake »Rezept zum Verlieben« von Scott Hicks.

56

Filmdienst 17 | 2016

Fotos S. 56 – 65: Jeweilige Sender.

Ratatouille


FERNSEH-TIPPS KRITIKEN

SO 15.05 – 16.30 Das Erste Ödipussi R: Loriot Feinsinnige Muttersöhnchen-Komödie BRD 1987 Sehenswert ab 12 20.15 – 23.00 3sat Aviator R: Martin Scorsese Virtuoses Biopic über Howard Hughes USA 2004 Ab 16

21. August, 20.15 – 23.00

3sat

Aviator

Martin Scorsese und Leonardo DiCaprio sind so etwas wie das Dreamteam des gehobenen Unterhaltungsfilms. In fünf Filmen von der Gewalt-Historie »Gangs of New York« (2002) bis hin zur Finanzsatire »The Wolf of Wall Street« (2013) hat der Regisseur immer wieder neue unbekannte Seiten aus DiCaprio herausgekitzelt, der inzwischen unbestreitbar zu einem der besten Charaktermimen Hollywoods avancierte. In »Aviator« spielt er mit exaltiertem Understatement den Filmproduzenten und Flugzeugindustriellen Howard Hughes (1905–1976), der als Paradebeispiel für eine US-amerikanische Erfolgsgeschichte gilt. Fünf Oscars bekam der opulente Dreistünder 2005 zu Recht; DeCaprio ging seinerzeit leer aus. Augenblicklich dreht er mit Scorsese »Der Teufel von Chicago«. Dort spielt er einen Serienkiller; wieder eine ganz neue Facette. 21. August, 20.15 – 22.15

arte

Zwei Hollywood-Dokus

Hollywood als Traumfabrik erfindet nicht nur jede Menge Geschichten; die berühmteste Produktionsstätte der Filmgeschichte taugt auch bestens als Gegenstand diverser Insider-Stories und fesselnder Kuriosa. So weiß zum Beispiel Jérôme Korkikian in seinem (Fernseh-)Dokumentarfilm »Hollywood Confidential« (20.15 Uhr) spannend über die Selbstzensur der Unterhaltungsindustrie zu berichten: Um die guten Sitten im Kino zu waren, galt ab den 1930erJahren der sogenannte »Hays Code« als das Maß aller Dinge für ein sauberes Familienkino. Dass es lange brauchte, bis sich Hollywoods Kino davon befreien konnte, davon handelt der brillant recherchierte Film. Dass eine Karriere wie die eines Dennis Hopper in solch einem Klima gar nicht erst hätte gedeihen können, erkennt der Zuschauer spätestens nach Betrachtung des unterhaltsamen Dokumentarfilmportraits »Dennis Hopper: Uneasy Rider« (21.15 Uhr), das den Rebell als legitimen Erben von James Dean sieht. Etliche Filmstars von einst und heute ergründen in Interviews seinen Mythos. Ab 14. 20.15–21.15: Hollywood Confidential – Die Schattenseite des Paradieses 21.15–22.15: Dennis Hooper: Uneasy Rider »Bonnie und Clyde« erschien 1967, als der »Hays Code« abgeschafft wurde.

20.15 – 22.30 ProSieben Ender’s Game R: Gavin Hood SciFi-Dystopie um Kinderkrieger USA 2013 Ab 16 20.15 – 21.45 SWR Fernsehen Die Nordsee von oben R: Silke Schranz, Christian Wüstenberg Hommage an den Streifen von Borkum bis Sylt Deutschland 2011 Ab 6 22.00 – 00.15 7MAXX Flucht von Alcatraz R: Don Siegel Clint Eastwood vs. Knast-System USA 1979 Ab 16 22.15 – 00.50 arte Eyes Wide Shut R: Stanley Kubrick Verheirateter Arzt gerät in Abgründe USA/Großbritannien 1999

SONNTAG 21. AUGUST 22.30 – 00.40 ProSieben The Conjuring – Die Heimsuchung Atmosphärischer Haunted-HouseHorror R: James Wan USA 2013 Ab 16 00.05 – 01.35 Das Erste Männer, die auf Ziegen starren R: Grant Heslov Aberwitzige Antikriegsfarce USA/GB 2009 Sehenswert ab 14 01.00 – 02.25 hr fernsehen Chandani – Die Tochter des Elefantenführers R: Arne Birkenstock 17-Jährige will Elefantenführerin werden Deutschland 2009 Ab 10 01.35 – 03.03 Das Erste Die letzten Tage der Emma Blank R: Alex van Warmerdam Sarkastische Gesellschaftssatire Niederlande 2009 Ab 14 03.00 – 04.15 arte »Weißes Blut« – Aus den Ruinen in die Sonne R: Regine Dura Eine Apartheid-Geschichte Deutschland 2011 Sehenswert ab 14

FREE-TV-PREMIERE 21. August, 22.30 – 00.40

ProSieben

The Conjuring – Die Heimsuchung

Haunted House-Filme gibt es wie Sand am Meer. Um dem Genre noch etwas abzugewinnen, muss man sich schon etwas Mühe geben. James Wans "The Conjuring" tut das, nicht zuletzt mit glaubwürdigen Figuren, mit denen man sich bereitwillig mitfürchtet, wenn das Übernatürliche sein unheimliches Haupt erhebt. Ed (Patrick Wilson) und Lorraine Warren (Vera Farmiga) haben eine besondere Affinität zu solch unheimlichen Erscheinungen aus der Zwischenwelt; gemeinsam erforschen sie das Paranormale. Als eine Großfamilie in den 1970er-Jahren in ein Haus zieht, in dem Übernatürliches vor sich geht, sucht sie bald Hilfe bei den Warrens. Doch das Böse, was sie in dem Anwesen vorfindet, droht auch ihnen über den Hals zu wachsen. Brillant besetzt, variiert der Horrorfilm das alte Geisterhaus-Thema mit großer Ernsthaftigkeit und mit atmosphärischer Bildsprache. Dabei setzt er mehr auf sorgfältig aufgebaute Spannungsbögen als auf Schockeffekte.

Filmdienst 17 | 2016

57


Turn static files into dynamic content formats.

Create a flipbook
Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.