FILM DIENST Das Magazin für Kino und Filmkultur
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iNhalt DIE NEUEN KINOFILME Neu im kiNo +
ALLE STARTTERMInE
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Absolutely Fabulous - Der Film 8.9. Barbershop - The Next Cut 11.8. Belladonna of Sadness 1.9. Ben Hur 1.9. Don’t breathe 8.9. Dragonball Z: Resurrection F 8.9. Dügün - Hochzeit auf Türkisch 8.9. Fado 1.9. König Laurin 1.9. Der Landarzt von Chaussy 8.9. Mahana – Eine Maori-Saga 1.9. Mein ziemlich kleiner Freund 1.9. Mike and Dave need Wedding Dates 1.9. Molly Monster - Der Film 8.9. Nellys Abenteuer 8.9. Nerve 8.9. Die Stadt als Beute 8.9. The Farmer and I 8.9. Timebreakers – Auf der Suche nach dem geheimnisvollen Heidekristall 1.9. Von Trauben und Menschen 1.9. Zero Days 1.9.
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von trauben und menschen
der katholischen Filmkritik
der landarzt von chaussy
Eine lebensnahe, von humanem Geist getragene Hommage an den aussterbenden Beruf des Landarztes
ferNseh-tipps 56 „Wölfe“, der zweite „Polizeiruf 110“ von Christian Petzold, erweist sich als düstere Abkehr vom Krimi-Einerlei. Das ZDF startet derweil ein neues Krimiformat um die Ermittlerin Lotte Jäger (Silke Bodenbender). Die Sender feiern die Geburtstage von Robert Redford (80), Tommy Lee Jones (70) und von der dffb (50).
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fado
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Fotos: TITEL: Concorde. S. 4/5: Alamode, missingfilms, Rapid Eye Movies, Zorro, Film Kino Text, Festival del film Locarno, BR/Claussen+Putz Filmproduktion GmbH Christian Schulz, FD-Archiv
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18 | 2016 DIE ARTIKEL iNhalt kiNo
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festival locarno
10 europa als utopie
akteure
filmkuNst
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christian petzold
24 christian petzold
religion im brd-Kino
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Die europäische Idee kämpft um ihre Zukunft. Eine Schlüsselrolle könnten dabei Filme einnehmen, die an die Gemeinsamkeiten der Völker erinnern, ohne deren Unterschiede zu leugnen. Ein Blick auf das Kino als Verfechter der Utopie Europa.
Der Autorenfilmer hat zum zweiten Mal eine „Polizeiruf 110“-Folge inszeniert. „Wölfe“ überrascht mit Anleihen beim Horrorfilm und stellt den Mittelteil einer geplanten Trilogie dar. Ein Gespräch über Eigenarten und Vorzüge der Fernseharbeit.
In den Kinos der USA werden anspruchsvolle Studiofilme immer seltener. Das erste Halbjahr 2016 ging ganz ohne Überraschungen vorbei. Doch wenn sich die Studios im Durchschnitt einrichten, könnte ihr Ruf weiteren Schaden nehmen.
Von Holger Twele
Von Rainer Gansera
Von Franz Everschor
26 in MeMoriaM
28 religion als Motiv iM frühen brd-kino
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Mélanie Bernier, Anaïs Demoustier, Izïa Higelin und Marine Vacth machen sich in Frankreich gerade einen namen als Darstellerinnen, die Belgierin Virginie Efira ist bereits ein Star. Eine Hommage an die französische Schauspielerinnen-Kultur. Von Margret Köhler
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Bei der 69. Ausgabe des Festivals konnte sich vor allem das osteuropäische Kino mit herausragenden neuen Filmen profilieren. Über Entdeckungen im Wettbewerb und in den nebensektionen. Von Irene Genhart und Michael Ranze
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RuBRIKEN EDITORIAL InHALT MAGAZIn DVD-KLASSIK DVD/BLU-RAy TV-TIPPS P.S. VORSCHAU / IMPRESSUM
nachrufe u.a. auf den DEFA-Animationsfilmer Kurt Weiler, den Hollywood-Regisseur Arthur Hiller und den R2D2-Darsteller Kenny Baker.
In den Jahren nach den Krieg suchte die junge Bundesrepublik Deutschland nach Orientierung und fand sie vielfach in der Religion. Auch im Kino jener Zeit waren religiöse Stoffe ein wichtiges Thema. Eine Bestandsaufnahme. Von Olaf Möller
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neue Filmbücher widmen sich u.a. dem amerikanischen B-Western, den Eigenheiten des Animationsfilms und der Selbstjustiz im Hollywood-Kino. Von Thomas Brandlmeier, Rainer Dick, Felicitas Kleiner und Jörg Masilius
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kino Utopie eUropa
Der „Brexit“ hat die EU erschüttert; vielerorts ist der Nationalismus auf dem Vormarsch. Europa muss sich dagegen behaupten, nicht nur wirtschaftlich, sondern auch kulturell. Das europäische Kino spielt dabei eine bedeutende Rolle: Geschichten von der Gemeinsamkeit der Völker, ohne deren Besonderheiten und spezielle Mentalitäten zu leugnen. Eine große Herausforderung. Von Holger Twele Da reist ein eingefleischter Patriot aus den USA quer durch Europa, auf der Suche nach „Dingen, die Amerika braucht“: nach etwas, das seinem Heimatland bei seinen drängenden sozialen Problemen als Vorbild dienen könnte. Fündig wird er überall in Europa, auch in Deutschland. Bessere Lebens- und Arbeitsbedingungen findet er bei der Urlaubsregelung in Italien, dem Schulessen in Frankreich, dem Bildungssystem in Finnland, dem Umgang mit der Vergangenheit in Deutschland, der Gleichstellung der Frauen in Island, der Bestrafung von Bankmanagern, die für die Wirtschaftskrise mit verantwortlich zeichneten. Michael Moore, der dokumentarische Entertainer, schuf daraus einen Film mit dem provokanten Titel „Where To Invade Next“, der im Februar 2016 in die hiesigen Kinos kam. Doch kaum jemand in Deutschland wollte diesen Film sehen, der ein ausgesprochen positives Bild von Europa zeichnet. Vielleicht gerade weil er ein positives Bild zeichnet? Stattdessen wird in der öffentlichen Diskussion gebetsmühlenartig beklagt, dass die Griechen immer noch nicht ihre Milliardenschulden beglichen hätten, die Briten den Euro-Raum verlassen, die Grenzen nicht genügend gesichert
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seien, Politiker, insbesondere in Osteuropa, ihre eigenen Querköpfe hätten – und dass Europa insgesamt eher ein Auslaufmodell, zumindest stark gefährdet sei. Vielleicht kam Moores Film an der Kinokasse ja auch deswegen so schlecht an, weil Moores spezielle Art der Ironie im gesamtgesellschaftlichen Klima anonymer Bedrohungen falsch verstanden wurde; womöglich wurden seine sinnstiftenden Beispiele auch als Schönfärbereien abgetan, die auf derselben Linie von Slogans wie „Yes, we can!“ oder „Wir schaffen das!“ liegen. Festhalten lässt sich indes, dass sich die Außensicht von Europa deutlich von der eigenen Innenperspektive abhebt.
Der europäische kinofilm als Chance Auch wenn es selbst ein Klischee ist: Man darf nicht vergessen, dass die Politik und insbesondere die Medien ihren gehörigen Anteil an dieser Entwicklung haben. Statt die Gemeinsamkeiten zwischen den Völkern und das gemeinsame Ziel eines geeinten, friedlichen Europas hervorzuheben, ohne dabei jene wichtigen Unterschiede unter den Tisch fallen zu lassen, die in der jüngeren Geschichte und den spezifischen
Mentalitäten der europäischen Völker begründet liegen, wird lieber eine allgemeine Krisenstimmung heraufbeschworen. Selbst der Sport als traditionell völkerverbindendes Element, der große kulturelle Unterschiede auszugleichen imstande ist, hat an Bedeutung verloren, nachdem beim Fußball, im Radsport oder in der Leichtathletik von Korruption, Begünstigungen und Doping-Vorwürfen die Rede ist. Was bleibt, ist die Kultur, und mit ihr der europäische Kinofilm, der das Image von Europa befördert. Er weckt gegenseitiges Verständnis, schlägt Brücken zwischen Ost und West, fördert Empathie und Toleranz, weckt die Neugier auf unsere europäischen Nachbarn und deren Lebensbedingungen. Immerhin ist der europäische Film ein wichtiger Kultur- und Wirtschaftsfaktor: 2015 waren es etwa 911 Mio. Kinobesuche, 6,3 Milliarden Euro Gesamtumsatz und mehr als 1.100 Spielfilmproduktionen.
kooperationen, klischees und Vorurteile Zeiten der Krise oder des Umbruchs führten schon immer dazu, sich neue Kooperationspartner zu suchen. Das war auch nach der Wende 1989 der Fall, als es verstärkt
Utopie eUropa kino »Mister Universo« (italien/Österreich), unten: »Slava« (Bulgarien/Griechenland)
zu gemeinsamen Filmprojekten zwischen West- und Osteuropa kam. Inzwischen hat der gewaltige Umbruch des Kinomarkts zu zahlreichen Kooperationen geführt, dies aus vorwiegend wirtschaftlichen Gründen. Eine besondere Bedeutung kommt dabei den internationalen Filmfestivals zu, unabhängig davon, ob ihnen ein Filmmarkt angeschlossen ist. Die Besucher erhalten mit einem breiten aktuellen Festival-Angebot die Chance, einen differenzierteren Blick auf europäische Filmländer zu erhalten, Fachleute können gemeinsame Projekte besprechen und entwickeln. In Berlin oder Cottbus sind das eher Filmprojekte zwischen West- und Osteuropa, in Locarno etwa sind es Co-Produktionen zwischen Frankreich, Deutschland, Italien und der Schweiz. Der früher oft befürchtete und kritisierte „Eurobrei“ oder „Europudding“ ist zum Glück weitgehend überwunden, selbst wenn die einzelnen Partner nicht immer gleichberechtigt sind. Weiterhin müssen sie unterschiedliche kulturelle Identitäten berücksichtigen, so etwa beim Verständnis von Humor. Der spielt im Kinofilm eine immer wichtigere Rolle, zumal wenn man ein großes Publikum erreichen möchte. Können die Franzosen beispielsweise mit hierzu-
lande erfolgreichen deutschen Komödien oft nur wenig anfangen, unterscheidet sich auch der lakonisch-skurrile Humor finnischer Filme von dem, worüber ein Italiener im Kino lacht. Und doch ist das Lachen über Klischees und menschliche Schwachstellen wichtige Voraussetzung für ein gegenseitiges Verstehen. Es steht diametral zu einer Vorgehensweise, bei der Schwächen nur beim anderen gefunden werden, seien es einzelne Personen, ganze Regierungen oder gar „Brüssel“ selbst. Dany Boon hatte es vor einigen Jahren mit seinem Publikumserfolg „Willkommen bei den Sch’tis“ vorgemacht und gezeigt, dass es kulturelle Unterschiede bereits im eigenen Land gibt. Gennaro Nunziante schließt mit seiner ebenso respektlosen wie liebenswerten Culture-Clash-Komödie „Der Vollpfosten“ (dt. Start: 22.9.) daran an, die in Italien bereits überaus erfolgreich war. Die Hauptfigur, Checco Zalone, hat als italienischer Beamter eine unbefristete Festanstellung in der Landesverwaltung für Jagd und Fischerei, die ihm ein unbeschwertes Leben ermöglicht. Nach einer Verwaltungsreform möchte man ihn mit einer Abfindung loswerden, doch Zalone wehrt sich gegen die Kündigung so gut er kann und nimmt dafür sogar eine Strafversetzung nach Grönland
in Kauf. Die Begegnung mit einer Frau aus dem skandinavischen Kulturkreis wird für ihn zur großen Herausforderung, durch die er lernt, sein Leben und sein Land mit anderen Augen zu sehen. Nicht immer reichen die besten Absichten, um einem Land mit seinen kulturellen und sozialen Besonderheiten gerecht zu werden. So ist es im Prinzip zu begrüßen, dass ein deutscher Kinderfilm auch mal im Ausland spielt, etwa in Rumänien: In „Nellys Abenteuer“ von Dominik Wessely wird die 13-jährige Hauptfigur auf ihrem Urlaub in Rumänien von zwielichtigen Geschäftsleuten entführt, die ihren Vater, einen Ingenieur für Windkraftanlagen, erpressen wollen. Mag es noch angehen, die Windkraft als Exportschlager gegen die Wasserkraft auszuspielen, nachdem vor allem in Bayern die Bürger bereits massiv gegen solche Anlagen vorgehen, ist es schade, dass der Film alte Klischees über Roma als Diebe mit einem Goldzahn im Mund bemüht, um die Geschichte voranzutreiben. Wie man es besser machen kann, mit einer faszinierenden Hauptfigur, die nur zwei Jahre älter als Nelly ist, sowie beeindruckenden Landschaftaufnahmen, zeigt „Anishoara“, die Abschlussarbeit von Ana-Felicia Scutelnicu an der dffb. Der Film
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Europäische Filmakademie
Links: »alles was kommt« (Frankreich/Deutschland); rechts: »anishoara« (Moldawien/Deutschland)
Die Europäische Filmakademie (European Film Academy EFA) wurde 1988 gegründet. Sitz des Sekretariats ist Berlin. erster präsident war der schwedische regisseur ingmar Bergman, auf den 1996 Wim Wenders folgte. Die akademie verleiht jährlich den europäischen Filmpreis, der die aufmerksamkeit auf europäische Filme lenken und europäische Kinos stärken soll. Seit 1988 findet die preisverleihung in jedem zweiten Jahr in Berlin statt, dazwischen in einer jeweils anderen Beispiel dafür, sind wir doch europäischen Stadt. Die 29. „european Film awards“ werden am darauf trainiert, Partei für die 10.12.2016 in Wroclaw (Breslau, polen) vergeben. Seit 2012 „richtige“ Seite zu ergreifen. initiiert die europäische Filmakademie zudem die Verleihung Filme aber führen uns vor Augen, des „Young audience award“, bei dem europaweit dass sich die Realität nicht einfach Kinderjurys den Preisträgerfilm auswählen. in Gut und Böse aufteilen lässt, auch wenn Demagogen einem das weismachen wollen. Die kroatisch-slowenisch-serbische CoProduktion „Mittagssonne“ von Dalibor Matanić, Preisträgerfilm von Cannes und spielt in einem abgelegenen Dorf in Moldawien und erzählt von der ersten Liebe eines Cottbus 2015, erzählt in drei völlig verschiedenen Geschichten aus den Jahren 1991, Mädchens und dem langsamen Abschied 2001 und 2011, in denen aber stets dieselvon der Kindheit. Behutsam und ohne Eile ben Hauptdarsteller spielen, wie schwierig nähert sich die Kamera den Figuren, lässt es ist, Kriegstraumata aufzuarbeiten und ihnen Raum, sich zu entfalten, beobachtet nach langen Jahren der Entfremdung neue sie und ihren Alltag mit neugierigem Blick, statt vorschnell zu werten und einzuordnen. menschliche Beziehungen aufzubauen. Aus einer völlig anderen Perspektive erzählt „Enklave“ von Goran Radovanović von der Die „andere“ Wahrheit Zeit nach dem Krieg. Hier ist es ein zehnKein touristischer oder folkloristischer Blick jähriger Junge, der in einer von christlichen im Spiel- und Dokumentarfilm bringt uns Serben bewohnten Enklave inmitten des Europa näher, sondern ein wahrhaftiger albanischen Kosovo lebt und nur zur Schule und authentischer. Ein solcher Blick darf gehen kann, weil er täglich in einem KFORauch die negativen Seiten nicht aussparen Panzerwagen hingebracht wird. Nur wer und soll vermitteln, wie die Menschen vor beide Seiten der immer noch verfeindeten Ort mit Krisen und Konflikten umgehen, wie Volksgruppen kennt und akzeptiert, kann sie auf ihre Umwelt reagieren. Der Vielfalt nach gemeinsamen Lösungen suchen. der europäischen Kulturen lässt sich dann am besten gerecht werden, wenn sie durch Der Blick zurück und nach vorn die Vielfalt an Meinungen und PerspektiDer Idee und dem Image eines geeinten ven ergänzt wird. Die bis heute spürbaren Europa zuträglich sind Filme, die ganz Folgen des Bosnien-Kriegs sind ein gutes
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unmittelbar spüren lassen, was Europa bedeutet – etwa in Bezug auf gemeinsame Werte, die Freizügigkeit des Reisens, das historische Bewusstsein oder einfach „nur“ das Gefühl von Zugehörigkeit und Identität. Zwei aktuellen Filmen gelingt das auf grundverschiedene und zugleich überzeugende Weise. Die spanischdeutsche Co-Produktion „El Olivo – Der Olivenbaum“ von Icíar Bollaín ist mehr als nur ein die Generationen verbindendes Feel-Good-Movie mit letztlich überraschendem Ausgang. Weil ihr geliebter Großvater aus Ostspanien nach dem Verkauf eines 2.000 Jahre alten Olivenbaums an einen deutschen Großkonzern jeden Kontakt mit der Außenwelt meidet, fasst seine Enkelin Alma den Entschluss, nach Deutschland zu reisen und den Baum zurückzubringen. Die Kühnheit ihres Plans, für den sie bald Mitstreiter findet, korrespondiert mit der Unmöglichkeit des Unternehmens. Was den Film in Bezug auf Europa jedoch auszeichnet, sind der unerschütterliche Glaube an ein wichtiges Ziel und die Erkenntnis, dass sich in Jahrhunderten entstandene Kulturund Naturgüter eines kurzfristigen Vorteils wegen nicht einfach ausverkaufen lassen. Auf den ersten Blick nichts Europäisches an sich hat die österreichisch-italienische Semidokumentation „Mister Universo“ von Tizza Covi und Rainer Frimmel, die geschickt zwischen den Gattungen oszilliert. Beim diesjährigen Filmfestival in
„European Art Cinema Day“ Der „European Art Cinema Day“ wird am 9. oktober den europäischen Film feiern: Mehr als 1.000 Filmkunsttheater von Ungarn über Großbritannien bis nach italien, Frankreich und Deutschland zeigen an diesem tag europäische Filmklassiker, previews und Kinderfilme. in zahlreichen europäischen Metropolen präsentieren regisseure und Schauspieler persönlich ihre Filme, per Live-Stream werden Stars auf die Leinwände lokaler Kinos geholt. initiiert hat den „european art Cinema Day“ der internationale Verband der arthaus-Kinos CiCae, die Schirmherrschaft haben Kulturstaatsministerin Monika Grütters und die französische Kulturministerin audrey azoulay übernommen, die patenschaft wiederum übernahm die regisseurin Maren ade. Detlef rossmann, CiCae-präsident, betont, dass an diesem einen tag die enorme Vielfalt und Kraft des gesamten europäischen Films gezeigt würde: „Kino ist so viel mehr als Hollywood. erst mit den vielen hochklassigen europäischen Filmen werden unsere Kinoprogramme bunter!“ im internet: www.artcinemaday.org
Utopie eUropa kino
am 16.8.2016 wurden 15 Dokumentarfilme für den diesjährigen europäischen Filmpreis nominiert: 21 X noWY JoRk. polen. regie: piotr Stasik A FAMiLY AFFAiR. Niederlande/ Belgien. regie: tom Fassaert
Schätze europäischer Filmkultur
Fotos: Jeweilige Verleihe
bessere Zukunft gab, wurde ihm, nicht ohne eigenes Verschulden, gestohlen. Binnen fünf Tagen reist er durch Seit 2015 existiert die von der Europäischen Filmakademie (EFA) durchgeItalien zu seinen Zirführte initiative „Schätze der europäischen Filmkultur“, eine Zusammenstellung kusverwandten, die er von orten in Europa mit symbolischer Strahlkraft für den europäischen Film. Die von schon jahrelang nicht den eFa-Mitgliedern Naum Kleiman sowie erika und Ulrich Gregor angeregte initiative vermehr gesehen hat, sammelt orte von historischem Wert, den es auch für kommende Generationen zu erhalten auf der Suche nach und zu schützen gilt. Bislang wurden das eisenstein-Zentrum in Moskau, das institut Lumière jenem dunkelhäutiin Lyon, das Bergman-Center auf Fårö, die Welt des tonino Guerra in pennabilli, die potemkingen Kraftmenschen, sche treppe in odessa, das Wiener riesenrad und das Sergei-parajanov-Museum in Yerevan der eine Eisenstange in die eFa-Filmkultur-Liste aufgenommen. aktuell nahm die akademie das Kollegiatstift Sant mit bloßen Händen Vicenç in Cardona in Liste auf, das orson Welles im oktober 1964 als Filmkulisse für seinen Film biegen konnte und „Falstaff – Glocken um Mitternacht“ nutzte. Während einer Zeremonie in Kooperation mit ihm diesen Talisman der Catalan Film academy, Cardona town Council, der Catalan Cultural Heritage agency geschenkt hatte, als er und der Filmoteca de Catalunya wird am 22. oktober vor ort das emblem „Schätze der Kind war. Sollte dieser europäischen Filmkultur“ enthüllt. Die Liste soll über die Jahre weiter wachsen und Mensch noch leben, auf öffentlich zugängliche Filmschauplätze aufmerksam machen. muss er ihm einen neuen Talisman machen und ihm im internet: www.europeanfilmacademy.org/ damit auch neue Hoffnung Treasures-of-European-Film-Culture.490.0.html geben. Doch ausgerechnet im Mikrokosmos dieser Großfamilie, deren Mitglieder übers ganze Land verstreut in Wohnwagen leben, die schon bessere Locarno (vgl. Artikel S. 20) erhielt der Film Zeiten gesehen haben und doch weiter für die meisten Auszeichnungen, von insgeihre Lebensträume kämpfen, spiegelt sich samt fünf Jurys, darunter die Hauptpreise die Idee von Europa: eines Europas, in dem der FIPRESCI und von Europa Cinemas alle ungeachtet ihrer Nationalität und ihrer Label. Da gerät ein junger Mann, der in der Herkunft die gleichen Rechte haben, in wenig bekannten Welt eines vor sich hin dem Konflikte demokratisch gelöst werden, dümpelnden Zirkusbetriebs die Raubtiere jeder sich frei bewegen kann und zugleich versorgt, in eine Sinnkrise. Eines seiner auf den anderen Rücksicht nehmen muss. Tiere ist gestorben, ein weiteres krank, und Die Familie als Keimzelle des Staates beziesein Talisman, der ihm Hoffnung auf eine hungsweise eines „Europa-Universums“. •
A GERMAn LiFE – Ein DEUTSCHES LEBEn. Österreich. regie: Christian Krönes, olaf S. Müller, roland Schrotthofer & Florian Weigensamer DEn UnGE ZLATAn (Zlatan: ihr redet – ich spiele). Schweden/Niederlande/ italien. regie: Fredrik & Magnus Gertten DÉJÀ VU. Dänemark. regie: Jon Bang Carlsen EURoPE, SHE LoVES. Switzerland / Germany. regie: Jan Gassmann FUoCoAMMARE (Seefeuer). italien/ Frankreich. regie: Gianfranco rosi HERR Von BoHLEn. Deutschland. regie: andré Schäfer BELLA E PERDUTA (Bella e perduta – eine reise durch italien). italien. regie: pietro Marcello MALLoRY. tschechien. regie: Helena třeštíková MR. GAGA (Mr. Gaga). israel/Schweden/Deutschland/Niederlande. regie: tomer Heymann SoBYTiE (the event). Niederlande/ Belgien. regie: Sergei Loznitsa THE LAnD oF THE EnLiGHTEnED. Belgien/irland/Niederlande/ Deutschland. regie: pieter-Jan De pue THE LonGEST RUn (o pio MaKriS DroMoS). Griechenland. regie: Marianna economou BREF MAnUEL DE LiBERATion. Frankreich. regie: alexander Kuznetsov
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kritiken neue Filme
Zero days Doku-Thriller über Cyber-War-Szenarios Seitdem Alex Gibney 2008 für seine Recherche „Taxi zur Hölle“ mit einem „Oscar“ für den besten Dokumentarfilm ausgezeichnet wurde, hat der Amerikaner seine Produktivität in erstaunliche Höhen getrieben. Er produziert Dokumentationen am Fließband. Neben materialreichen Musikdokus zu James Brown, Fela Kuti, Frank Sinatra oder Janis Joplin und betont „unbequemen“ Porträts über Steve Jobs und Lance Armstrong widmet er sich aus der Perspektive dessen, der unbeirrt für demokratische Werte eintritt, vorzugsweise umstrittenen Polit-Themen wie Wikileaks, Scientology, Missbrauch in katholischen Einrichtungen oder Wirtschaftskriminalität. Zur letzteren Gruppe von Filmen zählt auch „Zero Days“, eine umfassende, wenngleich auch etwas unkonzentrierte Recherche in Sachen „Cyber-War“, die trotzdem ganz traditionell und spekulativ wie ein herkömmlicher Agententhriller mit der Ermordung eines iranischen Atomwissenschaftlers in den Straßen von Teheran beginnt. Doch dieses Puzzleteilchen erlangt erst spät im Film Bedeutung. Eigentlicher Ausgangspunkt ist ein komplexes MalwareProgramm namens „Stuxnet“, das 2010 entdeckt wurde und dessen Qualität darauf hindeutete, dass es von einem Staat
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in Auftrag gegeben wurde. Das Ziel von Stuxnet, das sich nur aktiviert, wenn eine bestimmte Anzahl von Parametern vorhanden sind, war offensichtlich die iranische Atomanlage in Natanz, was darauf hinzudeuten scheint, dass es sich hierbei um eine Zusammenarbeit der USA und Israels handelte. Bis heute hat sich allerdings niemand offiziell als Quelle von Stuxnet bekannt. Gibney hat einschlägige Zeitzeugen wie einen ehemaligen CIA-Direktor vor die Kamera geholt, die jedoch stets lächelnd zu Protokoll geben, dass sie nichts wissen. Oder wenn sie etwas wüssten, nichts dazu sagen könnten, weil der gesamte Komplex der höchsten Geheimhaltungsstufe unterliegt. Gewiss dürfe man fragen; doch auf Antworten sollte man nicht hoffen. Diese Bedeutung heischende Rhetorik älterer Herren ist nicht ohne Humor und provoziert nicht zuletzt den Filmemacher, der sich eines fiktiven Hilfsmittels bedient, um überhaupt etwas erzählen zu können. Gibney „bastelt“ sich einen virtuellen Whistleblower, der sich aus einer Vielzahl ungenannt bleibender Quellen zusammensetzt, und kann so einige Zusammenhänge herstellen, die sonst wohl nicht zu haben gewesen wären. Längst hat sich der Cyber-War als Pfeiler der Kriegsführung im 21. Jahrhundert etabliert. Statt
um Überwachung und Sammlung von Daten geht es um die Erkundung von Möglichkeiten, die Infrastruktur eines potenziellen Gegners entscheidend zu zerstören. Stuxnet war insofern nur ein Prototyp, der als Teil eines viel umfassenderen Programms namens „Olympic Games“ konzipiert wurde und nur durch die Ungeduld des Mossad „enttarnt“ werden konnte. „Zero Days“ changiert thematisch zwischen der rekonstruierbaren Geschichte von Stuxnet und dem eher theoretischen Ausmalen dessen, was unter Cyber-War-Szenarien seit 2010 firmiert. Um die Abfolge der Talking Heads aufzulockern, aber den Zuschauer nicht mit der Komplexität der technologischen Prozesse zu überfordern, setzt Gibley den Cyberspace in „Matrix“-Manier mit Special Effects in Szene und baut auf eine unheilvoll dräuende Klanglandschaft; außerdem flicht er den einen oder anderen, eigentlich überflüssigen Exkurs zur Geschichte des iranischen Atomprogramms ein, dessen Spuren nach Pakistan führen, um seinen „Doku-Thriller“ auf die gehörige Länge zu strecken. Denn letztlich geht es dem Film um wenig mehr als um die Forderung nach mehr Transparenz im Umgang mit dem Themenkomplex „Cyber-War“, der bislang immer unter höchster Geheimhaltungsstufe firmierte.
Es ist ein Zirkel: Wenn die mit dem Thema befassten Experten nichts dazu sagen dürfen, weil der Komplex als „over-classified“ gilt, dann existiert für eine demokratische Gesellschaft keine Möglichkeit, die Thematik aus der Dunkelzone des Unkontrollierten ins Forum öffentlichen Räsonnements zu befördern. Auf der anderen Seite scheint Gibneys Beharren auf dem demokratischen Prozedere und dessen Ethik der Realität wie schon im Falle von „We Steal Secrets“ (2013) hinterherzuhinken. Was dem „Transparenz“ und „Öffentlichkeit“ fordernden Film auch klargeworden sein dürfte, als er selbst auf die wenig transparente Idee eines virtuellen Whistleblowers setzte, um die Thematik zu stemmen. Ulrich Kriest
Bewertung der FilmkommiSSion
Doku-Thriller über die sogenannte Cyber-Kriegsführung, wie sie im Jahr 2010 mit dem malware-Programm „Stuxnet“ bekannt wurde, das die iranische Atomanlage in natanz sabotierte. Der Film nutzt die Kunstfigur eines „virtuellen“ Whistleblowers, der sich aus einer Vielzahl ungenannter Quellen zusammensetzt, um über die rekonstruierbare Geschichte des StuxnetProgramms hinaus die Konturen der Cyber-War-Szenarien anzudeuten. Die umfassende, mitunter aber auch recht mäandernde Recherche stützt sich inszenatorisch in „matrixmanier“ auf Special effects und eine unheilvoll dräuende Klanglandschaft, um ihre Forderung nach mehr demokratischer Transparenz auf dem streng geheimen Gebiet zu unterstreichen. – Ab 14.
ZeRO DAYS. uSA 2016 regie: Alex Gibney länge: 116 min. | kinostart: 1.9.2016 Verleih: DCm | FSk: ab 12; f Fd-kritik: 44 113
neUe filme kritikeN zu Hause sterben zu dürfen und wie das im Rahmen einer ländlichen Gemeinde zu organisieren sei. Dass dies alles nicht exemplarisch wirkt, ist neben der anrührenden Erzählweise der sensiblen Figurenzeichnung und den aufmerksam inszenierten Schauspielern zu verdanken. Die Filmmusik ist ungewöhnlich, aber sehr passend, sie wird sparsam eingesetzt und wirkt besonders in den emotionalen Momenten umso intensiver. Die Inszenierung wahrt durchgängig eine Leichtigkeit und webt immer wieder amüsante Momente in die Handlung. „Der Landarzt von Chaussy“ ist eine Hommage an einen aussterbenden Beruf. Julia Teichmann
Bewertung der FilmkommiSSion
der landarzt von Chaussy François Cluzet in einer Hommage an einen aussterbenden Berufsstand „Tumor im linken Schläfenlappen. Inoperabel.“ Jean-Pierre Werner ist Arzt. Er weiß, was diese Diagnose bedeutet. In seinem Fall ist der Tumor begrenzt, doch auch das bedeutet: Chemotherapie, vielleicht Bestrahlung, Nebenwirkungen. Er muss beruflich kürzertreten. François Cluzet spielt sehr überzeugend einen Mediziner, der sich zwischen Lakonie und Zugewandtheit seit Jahrzehnten um seine Patienten kümmert. Nun müsse er selbst Unterstützung suchen, wie ihm der behandelnde Arzt und Freund im Krankenhaus rät. Macht er aber nicht, weil er immer sein eigener Herr war. Die nordfranzösische Region Île-de-France um Chaussy, die herbe Landschaft und die mitunter ebenso herben Menschen sind sein Revier; auch Jean-Pierre entstammt dieser Welt. Weil sein Freund
mit diesem Starrsinn rechnet, schickt er ihm eine Ärztin, die eines Tages ohne Ankündigung in der Praxis steht. Die selbstbewusste Nathalie ist bereits Ende 40, hat aber gerade erst ihr Studium beendet und davor als Krankenschwester gearbeitet. Jean-Pierre lässt sie anfangs ordentlich auflaufen: Er nimmt sie mit zu einem Patienten, von dem er ahnt, dass dieser die neue Ärztin nicht hereinlassen wird. Bei der nächsten Station, einem Bauernhof, wird sie von einer Horde schnatternder Gänse verfolgt. All das findet Nathalie nicht so lustig. Regisseur Thomas Lilti hat selbst Medizin studiert und als Arzt praktiziert, vertretungsweise auch als Landarzt. Praktisch jede Filmszene atmet dieses Wissen um Handgriffe und Haltung. Obwohl Lilti bis auf wenige Ausnahmen nur mit
professionellen Schauspielern drehte, wirkt das Geschehen, insbesondere die Behandlung der Patienten in der Praxis oder auf Hausbesuchen lebensnah, bisweilen fast naturalistisch oder dokumentarisch und überdies in der Region verwurzelt. Solche Szenen ergänzen die Geschichte um Nathalie und Jean-Pierre, die langsam den Horizont des jeweils anderen verstehen lernen. So erfährt Nathalie, dass man Patienten besser ausreden lässt. Ein Arzt unterbreche seine Patienten alle 22 Sekunden; oft sei die Diagnose schon in den manchmal langatmigen Ausführungen enthalten. In den eingewobenen Fakten, den Behandlungsszenen und einigen lokalpolitischen Exkursen übt Lilti viel Kritik, auch im Kleinen. Bei einem Patienten geht es etwa darum, in Würde
Als bei einem landarzt ein Tumor entdeckt wird, weigert sich dieser starrsinnig, beruflich kürzerzutreten. Auch eine zur unterstützung eingestellte Ärztin lehnt er zunächst ab und macht ihr das leben schwer, bis sich die unerfahrene Frau im umgang mit den alltäglichen Herausforderungen als kompetente medizinerin erweist. lebensnahes, oft dokumentarisch anmutendes Drama, das dem aussterbenden Beruf des landarztes Reverenz erweist. Getragen von sensiblen Figuren und guten Schauspielern, thematisiert der Film unaufdringlich die mängel des französischen Gesundheitssystems. – Sehenswert ab 14.
mÉDeCin De CAmPAGne. Frankreich 2016 regie: Thomas lilti darsteller: François Cluzet (Jean-Pierre Werner), marianne Denicourt (nathalie Delezia), Christophe Odent (norès), Patrick Descamps (Francis), Guy Faucher (Sorlin), margaux Fabre, Julien lucas, Yohann Goetzmann länge: 102 min. | kinostart: 8.9.2016 Verleih: Alamode | FSk: ab 0; f Fd-kritik: 44 114
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kritiken auf dvd/Blu-ray
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Das bringt ihm das Lob der überregionalen liberalen Presse ein. Für Wasicskos Chancen auf eine Wiederwahl als Bürgermeister und eine politische Karriere in Yonkers ist sein Preisgekrönte HBO-Serie über Engagement freilich fatal. Er habe „mit nur 28 Jahren durch seine Rassismus und eine kommunalAmtsführung und seine unerschütterliche politische Krise in den USA Unterstützung für das Recht von Minderheiten und die Armen politischen Mut der 1980er-Jahre demonstriert in einer leidenschaftlichen Debatte, die die Stadt spaltete“ – so hieß es 1991 in der Begründung zur Nominierung Wasicskos für den John F. Kennedy Profile vielmehr inszeniert Paul Haggis die Serie als in Courage Award (die in der Serie auch nüchterne, elliptisch aufgerollte Chronoloerwähnt wird). Als noblen Helden porträgie eines Stücks Kommunalpolitik, das in tiert „Show Me a Hero“ Nick Wasicsko aber den USA weit über die Stadtgrenzen hinaus nicht; vielmehr spielt ihn Oscar Isaac, der für Aufsehen sorgte. für seine Glanzleitung mit einem „Golden Was für Mary ein Zeichen von RückgratGlobe“ geehrt wurde, als gerade in ihren losigkeit ist, ist für Nick Wasicsko ein Fehlbarkeiten eindringliche und glaubHineinwachsen in seine Verantwürdige Figur, der es eigentlich wortlichkeit als Stadtoberhaupt: mehr um die eigene Karriere als Nachdem sich der junge Stadtrat um einen idealistischen Kreuzvon der Stimmungsmache zug geht, die aber trotzdem die gegen die Sozialwohnungen Charakterstärke aufbringt, in populistisch ins Amt hieven ließ, einer explosiven Situation das merkt er als Bürgermeister bald, für die Stadt einzig Vernünftige dass sich damit keine Politik zum durchzuboxen. Die Serie bettet Wohl der Stadt machen lässt. ihn ein in ein breit aufgestellDas Urteil von Richter Sands ist tes Ensemble, das von der nicht mehr anfechtbar, und die Polit-Elite bis hin zur schwarGeldstrafen, die fällig wären, zen Teenage-Mom das ganze SHOW ME a HErO sollte sich Yonkers weiter gegen uSa 2015 Panorama derer umspannt, die dessen Umsetzung wehren, von dem Konflikt in Yonkers regie: Paul Haggis könnten die Stadt in Kürze in betroffen waren. Simons Skript den Ruin treiben. Also schwenkt Showrunner: david Simon und Haggis’ Inszenierung Darsteller: Oscar Isaac, Nick um und setzt alles daran, liefern damit eine differenzierCatherine Keener, Winona um die Bauprojekte im Stadtrat te, fesselnde Studie politischer ryder, alfred Molina, Carla so zügig wie möglich auf den Prozesse im Mikrokosmos Quevedo Weg zu bringen. Und wird damit einer Stadt – die zugleich dank Länge: 345 Min. zum unfreiwilligen „Märtyrer“ bravouröser Charakterstudien FSk: ab 12 der Desegregation, der vom einen mitreißenden emotionalen Anbieter: Warner gutbürgerlichen Mob ange„Drive“ entwickelt. – SehensFD-kritik: 44 130 spuckt und wüst bedroht wird. wert ab 16. Felicitas Kleiner
Show Me a Hero
Fotos S. 52-55: Jeweilige Anbieter
Mary Dorman (catherine keener) ist, neudeutsch gesagt, eine „Wutbürgerin“, und sie macht ihrem ärger bei den öffentlichen Stadtratssitzungen in Yonkers, new York, lautstark luft. Als weiße MittelklasseHausfrau fühlt sie sich betrogen von „denen da oben“. Vor allem von Nick Wasicsko (Oscar Isaac), dem neuen Bürgermeister, der es 1987 mit 28 Jahren geschafft hat, den langjährigen Amtsinhaber Angelo Martinelli abzulösen. In seinem Wahlkampf hatte Nick versprochen, gegen das zu kämpfen, wogegen auch Mary aufbegehrt: gegen die gerichtlich verordneten sozialen Wohnungsbauprojekte, durch die mitten in den „weißen“ Vierteln Häuser für Schwarze und Latinos entstehen sollen, um gut zwanzig Jahre, nachdem die Rassentrennung in den USA offiziell beendet ist, auch Schluss zu machen mit der realexistierenden räumlichen Segregation in Yonkers. Für Mary ein Albtraum, denn sie befürchtet wie viele andere brave Bürger, dass damit die GhettoProbleme – Drogen, Gewalt, Verwahrlosung – direkt in ihren gepflegten Vorgarten ziehen. Nick allerdings enttäuscht die in ihn gesetzte Erwartung, gegen das Urteil von Richter Sands zu Felde zu ziehen, das die Stadt zur Durchführung der Bauprojekte verpflichtet. „Show Me a Hero“ spielt in den späten 1980er- und frühen 1990er-Jahren – ein „peroid piece“, das trotz entsprechender Kostüme und viel Bruce Springsteen im Soundtrack beängstigend aktuell wirkt. Wobei man nicht nur an die gegenwärtigen gewalttätigen Konflikte um den immer noch nicht überwundenen Rassismus in den USA denken muss; Mary Dorman kann man sich auch als AfD-Wählerin vorstellen (die sich allerdings im Lauf der Serie von der wachsenden Aggressivität ihrer Mitstreiter immer mehr abgestoßen fühlt und ihr Engagement für eine harmonische Nachbarschaft in konstruktivere Bahnen lenkt). Den Stoff für diese zeitlos wirkende Studie über die Angst vor „Überfremdung“ und darüber, wie mit oder gegen diese Angst Politik gemacht werden kann, lieferte Autor David Simon die Realität: Die HBO-Miniserie, mit der Simon ähnliche Qualitäten beweist wie mit seiner Krimiserie „The Wire“, beruht auf Lisa Belkins gleichnamigem Sachbuch. Der Titel spielt an auf F. Scott Fitzgeralds Diktum „Show me a hero and I will write you a tragedy“. Letzteres vermeiden allerdings sowohl das Skript als auch die Regie;
kRiTikEn fernseh-tipps
SO
SAMSTAG 3.September
07.30-08.55 mdr The Liverpool Goalie R: Arild Andresen Einfallsreiche Außenseiterkomödie Norwegen 2010 Sehenswert ab 10
14.00-15.35 Kikis kleiner Lieferservice R: Takashi Shimizu Poppiges Fantasy-Abenteuer Japan/VR China 2014
3. September, 14.00-15.35
20.15-22.15 SAT.1 Men in Black 3 R: Barry Sonnenfeld Charmante Alien-Agenten-Komödie USA 2012 Ab 12 21.50-00.10 Servus TV Hotel Ruanda R: Terry George Hotelmanager beweist Zivilcourage Südafrika/GB 2004 Sehenswert ab 14 22.00-00.30 TELE 5 The Host R: Bong Joon-ho Hintergründiger Monsterfilm Südkorea 2006 Ab 16 22.15-00.05 Disney Channel Clueless – Was sonst! R: Amy Heckerling Temporeiche Teeniekomödie USA 1995 Ab 14 22.15-00.10 einsfestival Das fünfte Element R: Luc Besson Knallbuntes Science-Fiction-Spektakel Frankreich 1997 Ab 14
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13.15-14.45 BR FERNSEHEN Balduin, der Geldschrankknacker R: Jean Girault Herzhaft komischer de-Funès-Film Frankreich/Italien 1963 Ab 12
KiKA
Ab 8
SoNNTAG 4.September
KiKA
Kikis kleiner Lieferservice Der japanische Trickfilmmeister Hayao Miyazaki hat in seinen Anime-Filmen viele starke Mädchen-Figuren geschaffen, von der abenteuerlustigen „Nausicaä“ (1984) bis zur kriegerischen „Prinzessin Mononoke“ (1997). Eine der sympathischsten darunter ist die kleine Hexe Kiki, die im zarten Alter von nur 13 Jahren für ein Jahr ihre Familie verlassen muss, um zu lernen, auf eigenen Beinen zu stehen. Die Real-Neuverfilmung von Miyazakis Klassiker von 1989 besorgte 2014 der für seine Horrorfilme bekannte Takashi Shimizu - und kann neben dem original durchaus bestehen. Zwar erzählt Miyazaki weit subtiler davon, wie Kiki in einer bisher Hexen-losen Kleinstadt am Meer in einer Bäckerei nicht nur Unterkunft, sondern auch freundliche Mitmenschen findet und mit ihrem Hexenbesen bald nicht nur zur erfolgreichen Lieferservice-Fachkraft, sondern auch zum Stadtgespräch avanciert. Gleichwohl ist Shimizu ein gerade auch für jüngere Kinder geeignetes, poppiges Fantasy-Abenteuer gelungen. 3. September, 21.50-00.10
Servus TV
Hotel Ruanda Was sind schon 1200 Menschen im Angesicht von Millionen Toten? Die Welt hat weitestgehend weggeschaut, als im Frühjahr 1994 im afrikanischen Ruanda ein schrecklicher Völkermord passierte. Doch wenigstens ein Angestellter (Don Cheadle) eines von den belgischen Besitzern im Stich gelassenen Viersterne-Hotels zeigte Courage und Verhandlungsgeschick, um 200 Tutsi vor den Macheten der Hutu-Bevölkerungsmehrheit zu retten. Der Spielfilm zu dieser wahren Begebenheit führt eindrücklich vor Augen, wie ignorant Politik auch heutzutage noch sein kann. Als hätte man aus dem Wahnsinn der Weltkriege nichts gelernt. Dreifach für den „oscar“ nominiert ist der Film ein Paradebeispiel für ein politisch engagiertes Drama.
16.55-18.30 3sat Dan - Mitten im Leben R: Peter Hedges Persiflage auf die intakte Familie USA 2007 Ab 14 20.15-22.10 arte Der elektrische Reiter R: Sydney Pollack Vielschichtiger Post-Western USA 1978 Sehenswert ab 14 22.10-23.55 arte Bill McKay – Der Kandidat R: Michael Ritchie Idealist kandidiert für US-Senat USA 1972 Sehenswert ab 16 00.20-01.58 Das Erste Sturm R: Hans-Christian Schmid Kriegsverbrecherprozess droht zu platzen Dt./Dänemark 2009 Sehenswert ab 16 00.45-02.35 Outrage R: Takeshi Kitano Düstere Yakuza-Geschichte Japan 2010
3sat
01.00-02.20 hr fernsehen Mein Weg nach Olympia R: Niko von Glasow Vorbereitungen auf die Paralympics 2012 Deutschland 2013 Ab 12
23.55-01.55 rbb Fernsehen Mackenna’s Gold R: J. Lee Thompson Marshal soll Banditen zu Goldlager führen USA 1967 Ab 16
02.00-04.00 Das Erste Die Frau, die singt – Incendies R: Denis Villeneuve Zwillinge auf den Spuren der Mutter Kanada/Frankreich 2009 Ab 16
00.20-02.15 NDR fernsehen King of Devil’s Island R: Marius Holst Jungen rebellieren in Insel-Gefängnis Norwegen/Frankreich 2010 Ab 16
02.35-04.05 3sat Bronson R: Nicolas Winding Refn Visuelles Feuerwerk voller Gewalt Großbritannien 2008
FILMDIENST 18 | 2016
Fotos S. 56 – 65: Jeweilige Sender.
SA
fernseh-tipps kRiTikEn
4. September, 02.00-04.00
Das Erste
Die Frau, die singt – Incendies
4. September, 20.15-22.10
arte
Der elektrische Reiter Dem Western-Genre schenkte Robert Redford schon am Beginn seiner Karriere 1968 mit „Butch Cassidy and the Sundance Kid“ einen wunderbaren Klassiker, der tragikomisch durchzogen ist von jener SpätwesternMelancholie, die in der „Zivilisierung“ des „Wilden Westen“ immer auch einen Verlust an Freiheitsmöglichkeiten sieht. Um die Sehnsucht nach einem verlorenen ursprünglichen Amerika geht es auch zehn Jahre später unter der Regie von Sydney Pollack in „Der elektrische Reiter“. Redford spielt darin einen fünffachen Rodeo-Weltmeister, der sich an einen Konzern verkauft hat und nun Reklame für Frühstücksflocken macht. Auf Veranstaltungen reitet er werbewirksam in einem mit Glühlampen versehenen Cowboy-Dress herum, in Supermärkten posiert er mit Kindern auf einem Schaukelpferd. Zum Konflikt kommt es, als der Konzern ein berühmtes Rennpferd zum Firmensymbol macht und den Hengst für eine Show in Las Vegas mit Drogen betäubt. Der „elektrische Reiter“ stiehlt das 12-Millionen-Dollar-Pferd, um es draußen bei den Wildpferden freizulassen. Arte zeigt den Film im Rahmen einer Robert-Redford-Reihe, mit der der Sender den 80. Geburtstag des Schauspielers und Regisseurs am 18.8. feiert. Direkt im Anschluss läuft um 22.10 der 1972 entstandene Film „Bill McKay – Der Kandidat“, in dem Redford als Polit-Idealist für den Senat kandidiert.
Aktuell ist Denis Villeneuve im Wettbewerb von Venedig mit seinem Science-Fiction-Drama „Arrival“ vertreten, und wenn der Kanadier sich treu geblieben ist, wird es in diesem Film bei der Begegnung von Menschen und Außerirdischen weder um einen „Krieg der Welten“ noch um freundliche Annäherungen à la „E.T.“ gehen. Stattdessen ist damit zu rechnen, dass Villeneuve einmal mehr Schicksalsfragen stellen wird, wie sie auch die bisherigen Werke des Kanadiers geprägt haben. Zu später Stunde kann man das auch in seinem Film „Die Frau, die singt – Incendies“ von 2009 erleben, in dem er einen politisch konkreten Stoff zur Tragödie um Schuld und Verstrickungen gestaltet. Auslöser ist der Auftrag einer gerade verstorbenen Exil-Libanesin an ihre beiden Kinder: Sie sollen Briefe an ihren für tot gehaltenen Vater sowie an einen bisher unbekannten Bruder übermitteln. Die Reise in den Nahen osten eröffnet den beiden das Ausmaß des Traumas, das ihre Mutter durch den Libanesischen Bürgerkrieg, Gewalt und Folter erlitten hat.
ERSTAUSSTRAHLUNG: 4. September, 23.55-02.00
arte
Finding Fela Dokumentarist Alex Gibney, dessen neuer Film „Zero Days“ derzeit im Kino läuft, beschäftigt sich in „Finding Fela“ mit einer „Ikone des Underground“, der im Nigeria der 1970er-Jahre mit Musik und politischen Texten gegen die Diktatur aufbegehrte. Im Europa noch kaum bekannt, wird dem 1997 an Aids gestorbenen Aktivisten, dem 2008 ein Broadwaymusical gewidmet wurde, ein eindrucksvolles Denkmal gesetzt, in dem seine mitreißenden musikalischen Arrangements ebenso präsentiert werden wie Interviews mit Zeitzeugen und Wegbegleitern.
MO
MoNTAG 5.September
20.15-21.00 3sat Tabernas – Die vergessene Wüste R: Joaquin Gutierrez Acha Bildgewaltige Naturdokumentation Spanien 2012 Ab 10 20.15-21.55 Der siebte Geschworene R: Georges Lautner Wahrer Mörder kämpft für Angeklagten Frankreich 1961
arte
20.15-22.25 kabeleins Mission: Impossible R: Brian De Palma Tom Cruise als Geheimagent Ethan Hunt USA 1996 Ab 16 (+ 22.25-00.45: Mission: Impossible 2; R: John Woo) 21.00-21.45 3sat Daniel Brühl - Mein Barcelona R: Günter Schilhan Emotionaler Spaziergang durch eine Stadt Deutschland 2016 ab 12 21.55-23.40 arte Im Schatten des Zweifels R: Alfred Hitchcock Mörder taucht in Kleinstadt unter USA 1943 Sehenswert ab 14 22.25-23.55 Romy Schneider Eine Frau in drei Noten R: Frederick Baker Facettenreiches Portrait Österreich 2008 23.55-02.10 Alexis Sorbas R: Michael Cacoyannis Vitaler Mazedonier lehrt jungen Briten Lebenslust Griechenland/USA 1964
3sat
Ab 14 mdr
Ab 16
00.50-02.20 hr fernsehen Ein enger Kreis R: Laurent Tuel Wohldosierter Gangsterfilm Frankreich 2009 Ab 16
5. September, 23.55-02.10
mdr
Alexis Sorbas Mit ihrer strengen, würdevollen Schönheit war Irene Papas in den 1950er- bis 1970er-Jahren die ideale Interpretin griechischer Tragödienfiguren, die sie neben der Bühne von „Elektra“ (1961) bis Klytämnestra in „Iphigenie“ (1977) auch auf der Leinwand verkörperte. Regisseur war dabei stets Michael Cacoyannis, der Irene Papas auch in seinem englischsprachigen Debüt „Alexis Sorbas“ besetzte: Der Klassiker, der heute passend zu Irene Papas’ 90. Geburtstag am 3.9. läuft, verhalf ihr zu einer weiteren Frauenfigur von Format. Als junge Witwe widersetzt sie sich darin allen Avancen, sich direkt wieder zu verheiraten, während ihr die Aufmerksamkeit des zurückhaltenden Schriftstellers Basil (Alan Bates) durchaus zusagt. Indem sie sich auf ihn einlässt, ruft sie allerdings den gewalttätigen Zorn der Bewohner ihres Dorfs herauf, vor dem sie auch Basil und sein Freund Sorbas (Anthony Quinn) nicht beschützen können. Free-TV-Premiere: 5. September, 21.00-21.45
3sat
Daniel Brühl Mein Barcelona „Ein Film über Barcelona soll es werden, ein persönlicher Film“: Regisseur Günter Schilhan lässt den deutschen Schauspieler viel erzählen. Von seiner Kindheit in der Metropole, in der er 1978 geboren ist, von seinen „geheimen“ orten und weswegen er sich immer wieder neu in die Hauptstadt Kataloniens verliebt. Die Doku ist ein auch filmisch interessant gestalteter 45-minütiger Spaziergang, in dem man sowohl die Stadt als auch Daniel Brühl von einer angenehm unprätenziösen Seite kennenlernt.
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