Filmdienst 21 2015

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fIlM DIenST Das Magazin für Kino und Filmkultur

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FILMBÜCHER

eine Passage durch die aktuelle filmliteratur aus Anlass der frankfurter Buchmesse.

KINO OHNE MUSIK?

Was, wenn alle Musik aus unserer Welt verschwunden wäre? Wo es doch gerade im Kino gilt, sie immer wieder aufs neue zu feiern.

JONAS NAY

An dem brillanten jungen Schauspieler kommt niemand vorbei. ein Porträt unserer Reihe »Spielwütig«.

CRIMSON PEAK Der neue film von Guillermo del Toro ist eine Hommage an den »Gothic Horror« à la Daphne du Maurier. er ist Anlass für ein Porträt des schillernden mexikanischen Regisseurs. 21 4 194963 605504

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15. oktober 2015 € 5,50 68. Jahrgang

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der katholischen Filmkritik

39 mediterranea Das semi­dokumentarische Drama erzählt eindringlich vom Dasein von Flüchtlingen.

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ALLE STARTTERMINE

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a perfect day 22.10. american ultra 15.10. black mass 15.10. crimson peak 15.10. cut snake 15.10. er ist wieder da 8.10. Familienfest 15.10. hockney 15.10. homesick 15.10. hotel transsilvanien 2 15.10. imagine Waking up tomorrow and all music has disappeared 22.10. kara bela 24.9. kleine Ziege, sturer bock 15.10. love island 15.10. malala - ihr recht auf bildung 22.10. mediterranea 15.10. nicht schon wieder rudi! 15.10. pan 8.10. picknick mit bären 15.10. rettet raffi! 22.10. scultura - hand. Werk. kunst. 22.10. singh is bliing 2.10. the tribe 15.10. the Walk 22.10. unser letzter sommer 22.10.

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fernseh-tipps 56 martin scorsese wird auf arte mit einer Filmreihe gewürdigt, außerdem erinnert der Sender an Robin Williams und zeigt neues französisches Kino. Der mdr strahlt derweil zur DOK Leipzig heraus­ ragende Dokumentarfilme aus.

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10 guillermo del toro & crimson peak

55 dvd perlen 28 film & literatur

34 magische momente

Fotos: TITEL: Legendary Pictures. S. 4/5: DCM, Universal, Delta Music & Entertainment. FD­Archiv, Real Fiction, absolut MEDIEN, Festival San Sebastián

neu im kino

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inhalt kino

akteure

filmkunst

16 musik im kino

20 Jacques rivettes »out 1«

33 san sebastián

10 guillermo del toro

20 rivettes »out 1«

Von rüdiger suchsland

Von Wilfried reichart

16 musik im kino

23 fernando león de aranoa

Die Filme des Mexikaners sind abgründige Märchen und düstere Sehnsuchtsfantasien. Den archaischen Kampf Gut gegen Böse setzt er mit überwältigendem visuellen Einfallsreichtum in Szene. Eine Annähe­ rung an den Meister des Fantasy­Films.

Derzeit beschwört »Imagine Waking Up Tomorrow and All Music Has Disappeared« das Szenario einer musiklosen Welt herauf. Und macht damit erfahrbar, wie kostbar Musik ist – auch fürs Kino. Ein essayistischer Parcours durch innovative Klänge im aktuellen Film. Von Matthias Hornschuh

Das 13­stündige Werk hob 1971 radikal die Erzählregeln des Kinos aus den Angeln. In Frankreich wurde es nun aufwändig digital restauriert. Eine Erinnerungsreise zu Mit­ wirkenden des Films, fast 45 Jahre nach den Dreharbeiten.

Anlässlich seines neuen Films »A Perfect Day« spricht der spanische Regisseur über die beklemmenden Kriegsschauplätze unserer Welt und die befreiende Kraft des Humors als Mittel der Distanzierung. Von Wolfgang Hamdorf

24 Jonas nay

27 e-mail aus hollywood

Das US­Kino interessiert sich derzeit so sehr für die dunklen Flecken in der Gesell­ schaft wie lange nicht mehr. Mit realis­ tischen Geschichten setzt Hollywood einen Kontrapunkt zur Welle an Fantasy­Filmen. Von Franz everschor

28 filmliteratur

Wer sich in Deutschland um cineastische Publikationen bemüht, dem steht Beharr­ lichkeit und Wagemut gut zu Gesicht. Eine Passage durch den immer noch lebendig raschelnden Blätterwald der Filmliteratur. Von Hans Helmut Prinzler

33 san sebastián

Der schauspielerische Autodidakt taucht in seinen Rollen tief in die deutsche Ge­ schichte ein und besticht mit Intuition und Vieldeutigkeit. Ein »Spielwütig«­Porträt.

Auf dem baskischen Filmfestival dienten großartige Berg­ und Waldlandschaften als Metaphern der Befindlichkeiten – in einem internationalen Wettbewerb, der selbst Höhen und Tiefen vermissen ließ.

Von Alexandra Wach

Von Wolfgang Hamdorf

26 in memoriam

34 magische momente

Nachrufe u.a. auf den britischen Regis­ seur John Guillermin, der sich von Katas­ trophenfilmen bis Krimiverfilmungen als verlässlicher Handwerker profilierte.

Ohnmacht und Unterdrückung bestim­ men »Das Leben der Frau Oharu«, die der Japaner Kenji Mizoguchi 1952 verschie­ denste »Frauenrollen« zwischen Ausbeu­ tung und Erniedrigung durchlaufen ließ. Von rainer Gansera

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rubriken EDITORIAL INHALT MAGAzIN DVD/BLU­RAy DVD­PERLEN TV­TIPPS ABCINEMA VORSCHAU / IMPRESSUM

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kino guillermo del toro

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der Unvollendete

guillermo del toro kino

regisseUr gUillermo del toro, der zaUber seiner abgründigen Filme – Und die grosse KUnst des scheiterns

seit »Pans labyrinth« Und den beiden »hellboy«-comicadaPtionen ist der mexiKanische Filmemacher Und aUtor ein internationaler star in sachen Fantasy- Und horrorKino. seine WerKe sind düstere märchen, in denen der alte KamPF des gUten gegen das böse interPretiert Wird als der KamPF der UnschUldigen Und der aUssenseiter gegen aUtoritäre machtmenschen. das Fremdartige Und übernatürliche ist in ihnen immer angst- Und sehnsUchtsFantasie zUgleich, Umgesetzt mit einer visUellen Fantasie, die ihresgleichen sUcht. das gilt aUch Für seine aKtUelle hommage an den »gothic horror« in »crimson PeaK«. von rüdiger sUchsland

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kino guillermo del toro

märchen für erwachsene sind alle seine Filme. voller Zauber, aber über dem abgrund, voller sehnsucht, aber erfüllt von schmerzen und trauer. Seine Filme sind überaus gefühlvoll, sie sind nie ganz zu Ende gedacht, und genau in diesen kleinen Leerstellen, die sie sich selbst zugestehen, liegt nicht nur ihr Charme, sondern auch die Faszination, die sie auf ihre zuschauer ausüben. Der mexikanische Regisseur Guillermo del Toro (geb. 1964) erzählt vom Fremden, vom Bizarren, vom Fantastischen, und er tut das auf eine seltsame Weise: Er legt eine Verwundbarkeit und Offenheit an den Tag, die immer spüren lässt, dass es nicht nur die seiner Figuren ist, sondern die des Regis­ seurs selbst. Guillermo del Toro ist erfüllt von einer Sehnsucht, die in dem Sinn kind­ lich ist, dass sie unschuldig und ungerichtet ist, dass sie da ist, nicht weil der Regisseur es will, sondern weil er nicht anders kann. Dieser Eindruck des Verwundbaren, Offenen, Sehnsüchtigen unterscheidet einen Del­ Toro­Film von anderen, vor allem auch von den durchschnittlichen Genrefilmen.

del toros moralische Figuren setZen sich unter einsatZ ihres lebens Für das gute ein Denn Genre sind diese Märchen für Erwachsene alle: Horror, Fantasy, Science­ Fiction, Superhelden­Film. Aber darin stets auch Autorenfilme, denn sie besitzen eine Kontinuität und eine Handschrift, die mindestens auf den zweiten Blick klar erkennbar ist. Die Lehrjahre als Masken­ bildner und Set­Designer sieht man den anspruchsvollen Bildwelten von del Toros Filmen jederzeit an. Es gibt eine erkenn­ bare Lust an Plastizität und Details der Ausstattung. Del Toros Bilder sind oft in ein charakteristisches gelbliches Licht getaucht, das selten morbid oder fahl wirkt, dem Geschehen eher einen gol­ denen, verklärenden und auch altmodisch­ nostalgischen Schimmer verleiht. zugleich

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wirkt die streng katholische Erziehung nach. Möglicherweise darf man del Toro in dieser Hinsicht mit Luis Buñuel ver­ gleichen, der sich mehr als einmal als »katholischen Atheisten« bezeichnet hat. Del Toros Helden sind moralische Figuren, die sich explizit und unter Einsatz ihres Lebens für das Gute einsetzen. So gibt es große Ähnlichkeiten zwischen dem Super­ held Hellboy, den Waisen in »The Devil’s Backbone« und dem Mädchen in »Pans Labyrinth«: Sie sind einsam und verlassen, aber in ihrem Handeln kompromisslos und entschlossen. Sie sind »rein«. Sie könnten sich opfern. Potenzielle Märtyrer­ Existenzen. Verbunden sind solche Motive mit einem starken Interesse für Transzen­ denz und Spiritualität – allerdings in alle Richtungen: Das Übernatürliche ist es, das del Toro anzieht. Sein Werk han­ delt von Geistern aus dem Jenseits, von sonderbaren, machtvollen Kräften und vom Unheimlichen. Weltanschaulich ist del Toro in seinen Filmen ein Anarchist: Seine Schurken sind autoritäre Charaktere und Möchtegern­»Führer«, Industriebosse, Militärs oder gleich direkt Francisten und Nazis als Gegenspieler des »Hellboy«. Im mexikanischen Kino ist del Toro eher eine Ausnahme. zwar arbeitete er immer wieder im Dunstkreis der drei bekanntesten mexikanischen Autorenfilmer der letzten zwei Jahrzehnte, der etwa gleichal­trigen Regisseure Alfonso Cuarón (»Gravity«, 2013), Alejandro González Iñárritu (»Birdman«, 2014) und Guillermo Arriaga (»Auf brennender Erde«, 2008), zu denen man auch noch Carlos Reygadas (»Stellet Licht«, 2007) rechnen kann. Aber del Toro beschritt doch deutlich seinen eigenen Weg, stilistisch ebenso wie in der Wahl seiner Themen abseits des Autorenkinos. Noch früher als Cuarón und Iñárritu begann er, in den USA zu arbeiten. Vielleicht hat es damit zu tun, dass del Toro als einziger der Genannten nicht aus Mexico­City stammt? Er wuchs im nordwestlichen Guadalajara auf, an dessen lokaler Filmschule er studierte. zudem legte er sich weniger deutlich auf das Regiefach fest. Er gründete früh das Guadalajara International Film Fes­ tival und zwei eigene Produktionsfirmen, »Necropia« und »Tequila Gang«. Mit ihnen und seit 2010 dann mit seiner neuen Firma »Mirada Studios« tritt er immer wieder als Produzent in Erscheinung, auch als groß­

zügiger Finanzier, der Werke ermöglicht, die ohne sein zutun und die Hilfe seines Namens nicht gedreht werden könnten.

»crimson peak« ist ein düsteres melodram auF den spuren von »rebecca« Will man del Toros bisheriges Schaffen ordnen, gibt es mehrere Möglichkeiten: Man könnte zum Beispiel das Werk des Regisseurs von dem des Produzenten unterscheiden. Aber das führt nicht weit, denn dann stehen acht Filmen als Regis­ seur 16 Filme als Produzent gegenüber, darunter der spanische Blockbuster­Film »Das Waisenhaus« und der Animations­ film »Kung Fu Panda 2«. zudem müsste man hinzufügen, dass del Toro, der schon mehrfach betont hat, dass ihm Literatur noch wichtiger als das Kino sei, seit 2009 ebenfalls vier Romane veröffentlicht hat: die »Strain­Trilogie« (»Die Saat«, »Das Blut«, »Die Nacht«), die inzwischen auch zu einer Fernsehserie wurde, sowie der soeben erschienene Roman »Trollhunters«. Eine Weile versuchte man, zwischen per­ sönlichen Projekten und angeblichen Auf­ tragsarbeiten zu unterscheiden. Doch dem widersprach der Regisseur heftig. Man müsse seine Filme ja nicht alle mögen, doch sie stünden ihm alle gleich nahe. Vielleicht ist die inhaltlich sinnvollste Diffe­ renz die zwischen den spanischsprachigen und den englischsprachigen Filmen del Toros. Seine persönlicheren Filme, so hat es den Anschein, hat der Mexikaner auf Spanisch gedreht, mehrfach sogar in Spa­ nien: Nach etwa zehn Kurzfilmen (»Doña Lupe« und »Geometria« sind zugänglich) und der Regie von fünf Episoden der mexikanischen »Kult«­Fernsehserie »La Hora Marcada« debütierte er 1993 mit dem Fantasy­Drama »Cronos« (»La invención de Cronos«). Nach diesem erfolgreichen Debüt bekam er die Möglichkeit, einen Hollywood­Horrorfilm zu drehen: »Mimic – Angriff der Killerinsekten« ist in seiner Unverfrorenheit wie in seinen offenkun­

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guillermo del toro kino

Fotos: Universal, Universum, Hot Key Books, Sony, Kinowelt, Warner, Twentieth Century Fox.

digen Schwächen und seinem Billig­Charme ein veritables B­Movie. Auf die beiden in den Nachwehen des Spanischen Bürgerkriegs angesiedelten Filme »The Devil’s Backbone« und »Pans Labyrinth« sollte ein dritter Film zur spanischen Geschichte folgen; »3993« wurde aber nie gedreht. Es folgten ein zweiter »Hellboy«, der unbefriedigende Ausflug nach Mittelerde (als Co­Autor der »Hobbit«­Trilogie), dann »Pacific Rim« (2013), ein von Spezialeffekten dominierter Science­Fiction­Film. Die Geschichte kreist um riesige futuristische Kampfmaschinen, die gegen Außerirdische kämpfen, sowie um Mensch­Maschine­Verschmelzungen, zugleich wird eine Erlösungsfantasie erzählt – »Pacific Rim« ist trotz alledem das am wenigstens märchenhafte Werk des Regisseurs. Jetzt kommt »Crimson Peak« ins Kino. Dies sei sein düsterster Film in englischer Sprache, äußerte sich der Regisseur in Interviews. Ein schwarzes Melodram, für das Guillermo del Toro, der bereits als Kind Alfred Hitchcock zu seinem Lieblingsre­ gisseur wählte und mit 23 Jahren ein Buch über ihn schrieb, Daphne du Mauriers von Hitchcock verfilmtes Buch »Rebecca« als zentralen Einfluss nennt. Ebenso beruft er sich auf spätromantische britische Literatur wie »Sturmhöhe« von Emily Brontë und »Jane Eyre« von Charlotte Brontë.

den Film, Zu dem del toro Fähig ist, hat er noch nicht gedreht Den acht Spielfilmen, die del Toro seit 1993 als Regisseur fertiggestellt hat, stehen nicht weniger als 15 fertige Drehbücher gegen­ über, aus denen kein Spielfilm wurde. Die Gründe dafür sind vielfältig. Beim »Hobbit«­ Projekt sorgte die sich wegen diverser Finanzierungsprobleme und Rechtsstreitig­ keiten immer weiter in die Länge ziehende Produktionszeit dafür, dass del Toro dem Projekt schließlich den Rücken zukehren musste, um sich anderen Verpflichtungen zuzuwenden – obwohl er zuvor nicht nur als Drehbuch­Co­Autor aller drei Teile viel zeit

in das Werk investiert hatte, sondern auch bereits am Production Design gefeilt hatte. Aber es gibt auch gescheiterte Vampir­ und Pinocchio­Stoffe. Vielleicht liegt es auch an der Kompromisslosigkeit eines Regisseurs, der sehr genaue Vorstellungen von dem hat, was er anpackt, dass Produzenten kalte Füße bekommen? Oder ist hier nicht doch eher einer am Werk, der eine Tendenz hat, sich zwischen seinen vielen Interessen zu »verzetteln«? Man hat den Eindruck, dass der nunmehr 50­jährige del Toro bis heute noch nicht wirklich dort angekommen ist, wo er hin möchte, dass er noch nicht den Film gemacht hat, zu dem er fähig ist. Del Toro würde auch dieser Feststellung wider­ sprechen. Mehrfach hat er formuliert, ein Filmemacher drehe in seiner Karriere immer nur einen einzigen Film, und jede seiner Arbeiten sei ein gleich legitimes Teilstück davon. »Pans Labyrinth« bleibt auch nach zehn Jahren noch der Film, der del Toro die meiste Anerkennung als Autorenfilmer einbrachte, und die meisten internationalen Ehrungen. Schließlich nahm er damit am Wettbewerb der Filmfestspiele von Cannes teil, gewann drei »Oscars«, unter anderem für die Beste Kamera, und war als Bester Drehbuchautor nominiert. Die Konzentration auf dieses Meisterwerk ist bei aller Aner­ kennung seiner Qualitäten aber doch allzu ungerecht, denn »The Devil’s Backbone« und zuvor schon »Cronos« sind ebenfalls höchst ausdrucksstarke und zugleich originelle filmische Entwürfe. Viele hätten jedenfalls seit 2006 gern mehrere solcher Filme gesehen – Filme, die wie »Pans Labyrinth« ein ganz eigenes Universum auf die Kino­ leinwand zaubern. Möglicherweise wäre dies »At the Mountains of Madness« geworden, die Verfilmung der gleichnamigen Novelle von H.P. Lovecraft, an der del Toro mehrere Jahre arbeitete, bevor das Projekt vom Studio gestoppt wurde. Es gibt Pläne für einen »Frankenstein«­Film und für einen Film mit dem Titel »Saturn and the End of Days« – all diese Projekte scheinen für del Toro zurück auf die Fährten von »Pans Labyrinth« zu führen: »Gothic Horror«­Fabeln, die dem Schrecken nicht einfach nur Poesie untermischen, sondern in denen Poesie essenzieller Bestandteil ist. Märchenhafte Geschichten, in denen Gegen­ welten Abgrund und tröstendes Refugium

zugleich sind. Und die gekleidet sind in ungesehene, neue, unverbrauchte Bilder, die in ihrer Fantastik den zuschauer nicht mehr loslassen, sondern zu einem Bestandteil seines Bilderkosmos werden. Möglicher­ weise findet dieses einfallsreiche große Kind, diese Spielernatur des Gegenwartskinos in einem von diesen Projekten seine persön­ liche Erfüllung. Überraschen und faszinieren dürften sie uns in jedem Fall.

the strain »good times never seemed so good« singt neil diamond. während »sweet caroline« im radio läuft, wachen die untoten auf und verschlingen den arzt, der sie gerade obduzieren möchte - einer der höhepunkte des auftakts von »the strain«, der ersten tvserie, die guillermo del toro als produzent und autor entwickelte, nach seinem eigenen romanzyklus. im grunde ist del toro ein klassizist. das zeigt sich hier mit seltener deutlichkeit, denn zwar geht es um das irgendwie immer noch modische thema vampirismus – der ansatz ist aber altmodisch: vampire als schreckensgestalten, als menschenfeindliche kreaturen, mit denen ein gedeihliches Zusammenleben keinesfalls möglich ist. kein hauch von »true blood« oder »twilight« also, eher »nosferatu«. die pilotfolge – die einzige, in der del toro auch regie führte - gibt den takt vor: ein linienflugzeug landet im new yorker airport. epidemiologie-experten finden vier überlebende, über 200 menschen sind tot – doch das ist nur der anfang zunächst unerklärlicher vorgänge. denn bald wachen die toten wieder auf. die vampire ähneln rieseninsekten mit saugrüsseln, zugleich pflanzt sich der vampirismus mittels kleiner, feiner, weißer, hungriger würmchen fort - als wär's ein film von cronenberg. im grunde ist »the strain« eine geschickte mischung aus vampir- und Zombie-schocker und bio-horror, grundiert mit unübersehbarer geschichtspolitik. denn im Zentrum des bösen stehen sinistre weltherrschaftspläne untoter nazis, und die haben – kaum überraschend – etwas mit amerikanischer außenpolitik zu tun. die helden dagegen sind Juden, latinos und armenier. die erste staffel der serie erscheint am 31.12. bei twentieth century fox als dvd und bd.

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filmkunst film & literatur

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Imm er z a h l r n o c h e rs ch eic Film he Büch einen hie em er rz länd acher, s über Film ulande cha er e Film oder übe uspieler , gesc , h i c h t r d a s we F i l m ­ g e st i e t e Fe . Vo alt s p r u e t e n B i l d m l i e b ev l d d e r chs ba ol A n a l vo l l e n w n d b i s z u l ys e iss ra b e ze i s t a l l e s e n s c h a f n ­ tlic ug ve Zeite t, dass F rtreten hen un ilm n n a c h d e r d i g i t l i t e ra t u r d ale au w u n d i e vo r e i n n I n f o r m c h i n re l ati h D i s k u ev a n t e r T ö c h s t l e b o n e n eil d rs es fil endiger Doc h es ist. misc w hen segm ie ist die se en ve r ö t s t r u k t u s k l e i n e M f fe rie a h a b e n t l i c h e n r t , we l c r k t ­ he wa n Anlä sich spez s, welch Verlage e Au ssl ial t o re n mess ich der d isiert? iesjä e in hri F ra O k to ber) nkfurt/M gen Buc h­ bie ai über die h ten wir e n (14.­18. ies in mit e iner ige Film en Überb le lit li E r ke n n t n i c h t n a c h e ra t u r – c k is: vo und Enth Es gehör llziehbar en schö usiasm en vie l nen u F s Verle wie sch dazu, de ilmliebe g e rs n w klagl ierigen ebenso B os au Von szuü eruf des Hans Helm ben. ut Pr in zler

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film & literatur filmkunst

i. gefährdet, aber beharrlich

In Deutschland erscheinen in jedem Jahr rund 200 Filmbücher: Biografien, Bildbände, Anthologien, Dissertationen. Das ist eine erstaunlich hohe zahl, immer noch, wobei in ihr die Publikationen zum Fernsehen und zur Medienwissenschaft nicht enthalten sind. Filmbücher haben freilich meist eine kleine Auflage, man findet sie in den Bestseller­ Listen nur, wenn ein großer Star eine Auto­ biografie verfasst hat. zur Vielfalt unserer Filmliteratur tragen viele Verlage bei, es gibt mehr als 30 spezielle Filmbuchreihen, allerdings ist ihre Existenz von Förderungen abhängig, die nicht automatisch gewährt werden.

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ii. sieben filmbuchverlage Vor 20 oder 30 Jahren war das Interesse an Filmbüchern größer, sie hatten im Durchschnitt höhere Auflagen, aber schon damals machte sich die Konkurrenz der Video­Kassette bemerkbar, die später dann von DVD und Blu­ ray abgelöst wurde. Das Verlegerpaar Katrin Fischer und Dieter Bertz, das 1996 in Berlin einen Filmbuchverlag gründete, beschreibt die Tendenz: »Filmbücher waren früher Erinne­ rungs­ und Vertiefungsmedium, aber auch Sammlerobjekt. Diese Rollen haben DVD und Blu­ray übernommen. Hinzu kommt, dass sich Diskussionen über Filme ins Internet verla­ gert haben. Filmbücher, wenn sie sorgfältig gemacht und inhaltlich anspruchsvoll sind, können eigentlich nur noch in Kooperation mit Institutionen und mit zuschüssen produziert werden.« Ähnlich, aber bildhafter formuliert es die Verlegerin Annette Schüren, seit 20 Jahren Geschäftsführerin ihres Verlags in Marburg: »Das Buch ist die gute alte Tante, die auch immer zu den Festen kommt, auf denen die freie Verfügbarkeit des Weltwissens – online und umsonst – gefeiert wird. Aber ich denke, die alte Tante ist noch munter, wenn die jungen Neffen und Nichten erschöpft von der Dauerparty der informativen Reizüberflutung den Überblick verloren haben.« Andererseits: »Es ist ja kein Geheimnis, dass die Auflagen sinken.« (zitiert aus Mail­Antworten an den Autor). Sieben Verlage haben in unserem Land den Film zu ihrem Schwerpunkt gemacht. Schüren nimmt dabei eine führende Rolle ein. Dort erscheinen neun Filmbuch­Reihen – u.a. die »Marburger Schriften zur Medienforschung« mit bisher 59 Bänden, die Reihe »Film und Theologie«, die »zürcher Filmstudien« sowie das einzig noch verbliebene Jahrbuch in der Reihe »Lexikon der internationalen Films«. Jährlich erscheinen zudem mindestens 20 neue Filmbücher, darunter viele Dissertationen. Edition text + kritik in München, gegründet 1975, publiziert zurzeit sechs Filmbuchreihen, darunter die CineGraph­Bücher, die Reihe »Film + Schrift« und die »Film­Konzepte«, die manche auch als zeitschrift wahrnehmen. Der Verlag schafft in der Regel 15 Neuerschei­ nungen pro Jahr. Ob das auch in zukunft so bleibt, ist allerdings offen, nachdem der Lektor Clemens Heucke das Haus verlassen hat. Bei Bertz + Fischer werden fünf Filmbuch­Reihen betreut. Dazu gehören das »Bremer Sympo­ sium zum Film«, »Deep Focus«, der Film­ und

Drehbuch­Almanach »Scenario«, der 2016 zum zehnten Mal erscheinen wird, und die Schriftenreihe der DEFA­Stiftung. Beispielhaft sind die Publikationen in der Bildqualität. Jähr­ lich bringen Bertz + Fischer mindestens zwölf Filmbücher auf den Weg. Sehr praxisorientiert ist der Universitätsverlag Konstanz (uvk), der sich vor allem an die Filmschaffenden wendet und Anleitungen zum Drehbuchschreiben, zur Filmfinanzierung oder zum Casting publiziert. zwei kleine Verlage in Berlin widmen sich der Literatur zu Film und Theater: der Alexander Verlag (geleitet von Alexander Wewerka) und Vorwerk 8 (Leitung: Reinald Gußmann). Hier sind immer wieder interessante Entdeckungen zu machen, zuletzt mit der Neuauflage der Autobiografie von Max Ophüls (»Spiel im Dasein«, Alexander) und den Texten von Birgit Hein (»Film als Idee«, Vorwerk 8). Eine Neugründung ist der Mühlbeyer Filmbuch­ verlag in Frankenthal, der vor einem Jahr ins Rennen gegangen ist und bisher sechs Bücher publiziert hat, darunter ein zweibändiges Werk über »Die Kunst der Filmkomödie« von Franz Stadler und Manfred Hobsch. Man wünscht dem Filmenthusiasten Harald Mühlbeyer einen langen Atem.

s, ssay et e t e i gb n e ftun -sti sarbeit a F r de chung e d he d Fors nrei rifte onen un h c s die entati um k o d Filmdienst 21 | 2015

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kritiken neue filme

the tribe

Ein ukrainisches Internat für Gehörlose als gesellschaftliches Gleichnis die ersten bilder dieses Films verheißen eine klassische konstellation: Ein junger Mann mit Koffer kommt an einen ihm unbekannten Ort. Wir als zuschauer werden ihn bei den sich nun anschließenden Erleb­ nissen begleiten und an seiner statt einen Erkenntnisprozess durchlaufen, so die Erwartung. Doch schon die unmittelbar nachfolgenden Szenen lassen erahnen, dass wir es hier mit einem höchst ungewöhnlichen, ja auf seine Weise einmaligen Werk zu tun haben werden. »The Tribe« (OT: »Plemja« = Der Stamm) von Myroslav Slabosh­ pytskiy ist beängstigend, hin­ terhältig und grausam, aber auch zärtlich, elegisch und unglaublich präzise in Szene gesetzt. Der Film wartet gleich mit mehreren »Alleinstellungs­ merkmalen« auf. Es handelt sich um das erste Langfilmde­ büt aus der Ukraine, das es nach Cannes (2014) schaffte. In

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seinen 130 Minuten wird nicht ein einziges Wort gesprochen. Was die Charaktere verbal ver­ handeln, findet in ukrainischer Gebärdensprache statt, Unterti­ tel gibt es keine. Die wich­ tigsten Hauptrollen sind von Laien besetzt worden, die tat­ sächlich auch gehörlos sind und noch nie in einem Film gespielt haben. Die mehr als zwei Stunden Erzählzeit beste­ hen gerade einmal aus 25 Ein­ stellungen zwischen zwei und sieben Minuten Dauer. In dieser Spanne werden alle Erwar­ tungshaltungen einer Helden­ geschichte aus ihren Angeln gehoben und auf den Kopf gestellt. Oder ist es vielleicht umgekehrt: werden hier in die Gegenwart reichende, histo­ rische Weichzeichnungen scho­ nungslos entblättert? Wie früher zu sozialistischen zeiten beginnt noch immer am 1. September, dem »Weltfrie­ denstag«, in den meisten Fol­

gestaaten der UdSSR das Schuljahr, so auch in der ukrai­ nischen Hauptstadt Kiew. Auf dem Hof treten traditionell alle Schüler in ihren adretten Uni­ formen, die Mädchen mit Schleifchen im Haar, zum Fah­ nenappell an. Die Erstklässler werden symbolisch in die Lern­ gemeinschaft aufgenommen. Mitten in diese zeremonie platzt Sergej, der junge Mann mit dem Koffer aus der Anfangsszene. Auch für ihn beginnt ein neues Schuljahr in neuer Umgebung. Er ist im wahrsten Sinne des Wortes ein unbeschriebenes Blatt. Als ihn seine neuen Kameraden hinter dem Schulgebäude zum Ent­ kleiden nötigen, um seinen Kör­ per nach Tätowierungen abzu­ suchen, finden sie dort nicht ein einziges dieser Male. Täto­ wierungen sind die zollstempel des russischen, sowjetischen und postsowjetischen Lagersy­ stems. An ihnen lassen sich die

bisherigen Aufenthalte, Strafen und Triumphe ablesen – wie wir spätestens seit David Cronen­ bergs »Tödliche Versprechen – Eastern Promises« wissen. Dass der Neuankömmling nichts der­ gleichen aufzuweisen hat, ist merkwürdig. Er ist anders als die anderen. Sehr schnell wird klar, dass wir es bei diesem Internat auch nicht mit einem Hort gegenseitiger Rücksicht­ nahme oder gar Solidarität zu tun haben. zunächst scheint es sich um die üblichen Hackord­ nungen und Initiationen zu handeln, unter denen ein Novize nun mal am stärksten zu leiden hat. Die gibt es hier auch. Doch die Machtstrukturen existieren nicht als Selbst­ zweck. Sie dienen einem effek­ tiven Ausbeutungssystem, des­ sen Ausmaße sich Schicht für Schicht bloßlegen. zuerst geht es um kleine Geldbeträge, Demütigungen, um Diebstahl, schließlich um Überfälle, Prosti­

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Fotos S. 36­51: Jeweilige Filmverleihe

tution und Menschenhandel. Sergej bleibt nichts anderes übrig, als mitzumachen. Seine Weste bleibt nicht weiß. Doch als er sich in Anna verliebt, gerät er in irreversi­ ble Konflikte mit dem ihn umgebenden System. Emotionen sind hier nicht vorgese­ hen. zuletzt lehnt er sich gegen die alles erdrückende Willkür mit einem vernichten­ den Rundumschlag auf. Er verlässt das Internat, verschwindet, wie er gekommen war, im Nichts. Mit am Realismus geschulten Kriterien kommt man »The Tribe« nicht bei. Manche Handlungsdetails gehen aus sachlicher Perspektive nicht auf. So ist kaum nachvoll­ ziehbar, warum die wenigen im Film auftre­ tenden sprechenden Personen nie ein Wort, nicht einmal einen Laut, von sich geben. Nicht einmal, wenn sie zusammen­ geschlagen werden. Die Regler der menschlichen Sprache sind in diesem Film einfach alle auf Null zurückgeschoben. Sämtliche Figuren bewegen sich in einem sprachlosen Raum. Naturalismus erscheint als Trick. »The Tribe« ist ein Märchen, wenn auch ein bitterböses. Wie in vielen rus­ sischen Volkssagen und ­märchen kommt hier ein naiver Held in eine ihm elementar unverständliche Welt. Er muss Stück für Stück die Spielregeln begreifen, muss Schläge einstecken und Lehrgeld zahlen. Aber bald reift er, bewährt sich, durchläuft Prüfungen. Und hier endet dann auch die Analogie zu den klassischen Legenden. zwar besteht Sergej sogar den letzten und härtesten aller Kämpfe, doch erschöpft sich diese Tatsache im Überleben selbst. Es gibt zum Lohn keine Prinzessin, kein Königreich, nicht einmal ein zauberpferd, mit dem sich schneller fliehen ließe. Alle Märchen sind ausgeträumt. Um seinen Höllenkreis nachvollziehbar aufzubauen, nimmt sich Slaboshpytskiy viel zeit. Die langen Plansequenzen führen durch die Korridore und Treppenflure des Internats mit seinen Ölsockeln und schä­ bigen Räumen. Die gleitenden Kamera­ fahrten verschaffen der Architektur des Gebäudes physische Präsenz. In allen Ecken und Winkeln stapeln sich die Arte­ fakte aus sowjetischer zeit. Bevor Sergej von seinen Kameraden fast totgeschlagen wird, passiert er ein zimmer voller alter Schulbücher und Verwaltungsakten. Hier ist nichts vorbei, die Vergangenheit wuchert überall weiter. Die alten Götter amalgamieren mit denen der neuen zeit.

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Und das ist die eigentlich tragische Dimension der postsowjetischen Transfor­ mation, die uns dieser Film lehrt: an die Stelle der pathetischen Proklamation gro­ ßer Menschheitsideale sind übergangslos die banalen Ideale des Marktes getreten. Jeder glaubt, alles und jeden mit Geld kaufen zu können. Eine darüber hinausrei­ chende Kommunikation scheint es nicht mehr zu geben. Es ist in diesem Kontext nur folgerichtig, dass sich im Film der Hausmeister der Gehörlosenschule als eigentlicher, geheimer König des Internats erweist. Er ist die Personifikation der Gegenwart: nach dem Wegfall der ideolo­ gischen Autoritäten hat sein subalterner und kühler Pragmatismus die Herrschaft übernommen. Bei ihm laufen alle Fäden der kriminellen Aktivitäten zusammen. Er schickt die jungen Schüler in die züge, um dort über den Mitleidsbonus chinesischen Kitsch an Reisende zu verschachern. Er schickt auch die Mädchen auf den Trucker­ Strich am Rande der Stadt und möchte sie an Bordelle in Italien verkaufen. Das kann Sergej gerade noch, auf nicht minder brutale Weise, verhindern. Claus Löser bewertung der filmkommission

ein junger mann kommt in ein internat für gehörlose im ukrainischen kiew. sehr bald muss er feststellen, dass hier eine unerbittliche hierarchie herrscht. als er sich in eine mitschülerin verliebt, gerät er in konflikt mit dem ihn umgebenden system und lehnt sich schließlich mit einem vernichtenden rundumschlag auf. beängstigend, hinterhältig und grausam, aber auch zärtlich, elegisch und unglaublich präzise in szene gesetzt, vermittelt der gänzlich auf gesprochene worte verzichtende film seltene einblicke in eine allumfassende »ordnung« von tyrannei und ausbeutung, die als gleichnis sowohl für die sowjetische als auch postsowjetische Zeit steht. – sehenswert.

plemya. scope. ukraine/niederlande 2015 regie: myroslav slaboshpytskiy darsteller: grigoriy fesenko (sergej), yana novikova (anna), rosa babiy (svetka), alexander dsiadevich (gera) länge: 132 min. | kinostart: 15.10.2015 verleih: rapid eye movies | fsk: ab 16; f fd-kritik: 43 413

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kritiken fernseh-tipps

sa

samstag 17. oktober

07.30 – 08.50 mdr gritta von rattenzuhausbeiuns r: Jürgen brauer fantasievoller kinderfilm ddr 1985 ab 8 13.30 – 15.15 wdr fernsehen ob ihr wollt oder nicht! r: ben verbong Junge krebskranke kehrt in schoß der familie zurück deutschland/niederlande 2008 ab 14 15.00 – 16.45 kika pünktchen und anton r: caroline link sympathische kästner-verfilmung deutschland 1998 sehenswert ab 8 15.15 – 16.50 wdr fernsehen für immer dein r: michael mcgowan alter mann vs. baubehörde kanada 2012 ab 16 16.25 – 18.00 die nacht vor der premiere r: georg Jacoby lustspiel mit marika rökk deutschland 1959

3sat

ab 12

16.55 – 18.28 servus tv absolute giganten r: sebastian schipper drei freunde erleben aufregende nacht deutschland 1999 ab 14 20.15 – 22.25 3sat tod eines handlungsreisenden r: volker schlöndorff demontage eines tragischen optimisten usa/deutschland 1985 ab 14

20.15 – 21.55 br fernsehen der schatz im silbersee r: harald reinl atmosphärische karl-mayverfilmung brd/Jugoslawien 1962 ab 14 20.15 – 22.30 sat.1 jack and the giants r: bryan singer spannender fantasy-film mit riesen usa 2013 ab 14 20.15 – 22.05 servus tv marvins töchter r: Jerry Zaks kammerspielartiges schwesterndrama usa 1996 sehenswert ab 16 21.45 – 23.35 einsfestival drei r: tom tykwer tragikomisches dreiecksdrama deutschland 2010 ab 16 22.25 – 23.25 arthur miller r: henrike sandner porträt des schriftstellers deutschland 2011

3sat

17. oktober, 23.35 –02.25

gérard depardieu & pierre richard

beide hatten bereits höchst erfolgreiche solokarrieren im französischen kino, als der komödienspezialist francis veber sie 1981 erstmals zusammenbrachte: den flachsblonden, felsartigen gérard depardieu und den lockenköpfigen, quirligen pierre richard. alle drei filme von veber, in denen sie seite an seite auftraten, wurden in den 1980ern zu kassenschlagern. dabei waren die originale gar nicht so überdreht, wie die deutschen titel behaupten: aus »la chèvre« (die Ziege) wurde kreativ »der hornochse und sein Zugpferd«, hinter den »irren spaßvögeln« (1983) verbergen sich zwei »gevattern« und die »irren typen auf der flucht« (1986) sind im französischen einfach »flüchtige«. rbb fernsehen zeigt die beiden letzteren werke heute als double feature. in »Zwei irre spaßvögel« (23.35–01.00) machen sich depardieu und richard auf die suche nach einem ausgerissenen Jugendlichen, weil dessen mutter – beider ex-freundin – ihnen jeweils eingeredet hat, der wahre vater des Jungen zu sein. in »Zwei irre typen auf der flucht« (01.00–02.25) gerät depardieu als frisch entlassener ganove in einen bankraub und wird von dem heillos überforderten räuber (richard) als geisel genommen. da die polizei die situation völlig missversteht, bleibt ihnen nur die gemeinsame flucht, wobei es auch noch das kind des amateurräubers mitzuschleppen gilt. beide filme sind zwar gemäß den vorlieben des französischen kinos sehr klamaukhaltig, finden aber zugleich auch raum für ruhigere momente. 18. oktober, 00.15 –03.30

ab 14

23.35 – 01.00 rbb fernsehen zwei irre spaßvögel r: francis veber vaterschaftskandidaten suchen nach »sohn« frankreich 1983 ab 16 23.40 – 01.28 das erste mogadischu r: roland suso richter rekonstruktion der »landshut«entführung deutschland 2008 ab 14

rbb fernsehen

hr fernsehen

eine nacht für … die hessische filmförderung

das hessische fernsehen lobt die hessische filmförderung und zeigt arbeiten, die mit deren mitteln entstanden sind, darunter die beiden außergewöhnlichen kinofilme aus dem umfeld der »berliner schule«, ulrich köhlers »schlafkrankheit« (00.15 – 01.45) sowie pia marais’ »im alter von ellen« (01.55 – 03.30). um die beiden langen filme herum sind fünf nicht weniger interessante kurzfilme gruppiert: »schifffahren« (01.45 – 01.50) von frank sachse über einen alten schiffskapitän, »an adventurous afternoon« (01.50 – 01.55) von kirsten und ines geisser, die einen abenteuerlichen animationsfilm konzipiert haben. »emptylands« (03.30 – 03.45) von benjamin brix, felix m. ott und steffen martin spielt experimentell mit der möglichkeit, sich selbst zu entkommen, »des blinden bruders« (03.45 – 03.50) von Julian vavrovsky mit den schwierigkeiten im verhältnis zweier ungleicher brüder. »emil« (03.50 – 03.55) von martin schmid schließlich erzählt von einem kampf auf leben und tod.

17. oktober, 20.15 –23.25

3sat

der schriftsteller und drehbuchautor arthur miller (1915 – 2005) ist eine amerikanische ikone; mit seinen enorm erfolgreichen dramen wollte miller die welt verändern. in dem von volker schlöndorff mit dustin hoffman in der hauptrolle verfilmten stück »tod eines handlungsreisenden« (20.15 – 22.25) konterkarierte er den (amerikanischen) glauben, dass es jeder nach oben schaffen könne, wenn er es nur hart genug versuche. das theaterstück erregte 1949 enormes aufsehen und macht miller mit einem schlag berühmt. seiner kurzen ehe mit marilyn monroe war indes kein glück beschert; später fand miller in der österreichischen fotografin inge morath eine treue lebensgefährtin. die dokumentation »arthur miller – das ehrgeizige herz« (22.25 – 23.25) zeichnet leben und werk millers nach, wobei auch weggefährten wie hoffman, schlöndorff oder seine schwester Joan copeland zu wort kommen.

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Fotos S. 56 – 65: Jeweilige Sender.

100. geburtstag arthur miller

Filmdienst 21 | 2015

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fernseh-tipps kritiken

so

sonntag 18. oktober

10.15 – 12.30 3sat der schmetterlingsjäger r: harald bergmann kunstvolles essay über nabokov und seine romane deutschland 2012 ab 16 13.45 – 15.15 einsfestival abseitsfalle r: stefan hering Junge frau wird für kündigungsgespräche angeworben deutschland 2012 20.15 – 22.30 goodfellas – drei jahrzehnte in der mafia r: martin scorsese authentischer mafiafilm aus insider-sicht usa 1990 18. – 26. oktober

schwerpunkt martin scorsese

arte

nach annähernd 50 jahren im filmgeschäft kann der kleingewachsene italoamerikaner mit der hornbrille mit recht als vielleicht größter lebender us-filmemacher gelten. mit seinen annähernd 50 filmen als regisseur hat er nahezu jedes genre bedient, von der gediegenen romanverfilmung über komödie und musical bis zu biopics oder musikdokumentationen. trotzdem hält sich hartnäckig die vorstellung, scorsese vor allem mit seinen gerade einmal fünf mafia-filmen zu verbinden, und so beginnt arte seine hommage an den regisseur am 18.10. folgerichtig auch mit »goodfellas« (20.15 – 22.30), scorseses milieugenauer studie über faszinationskraft wie brutalität der verbrecherorganisation. eine logische ergänzung dazu ist am tag darauf scorseses frühwerk »hexenkessel«, in dem harvey keitel und robert de niro sich als junge kleinganoven im new yorker viertel little italy den Zorn der großen gangster zuziehen. die übrigen filme der arte-reihe präsentieren hingegen scorseses andere seiten: einen sensiblen chronisten new yorks im frühen 20. Jahrhundert in »Zeit der unschuld«, einen versierten Jongleur mit filmzitaten in »new york, new york«, einen profunden aufzeichner von Zeitgeistphänomenen wie kriegstraumata und gewaltexzesse in »taxi driver« oder ruhmsucht und »celebrity stalking« in »king of comedy« - und nicht zuletzt den profunden kenner der us-filmgeschichte, als der er sich in seiner dreiteiligen »reise durch den amerikanischen film« beweist. alle termine der scorsese-reihe: 18.10., 20.15 – 22.30: goodfellas – drei jahrzehnte in der mafia 18.10., 22.30 – 23.45: eine reise durch den amerikanischen film (teil 1) 18.10., 23.45 – 01.05: eine reise durch den amerikanischen film (teil 2) 19.10., 20.15 – 22.25: zeit der unschuld 19.10., 22.25 – 00.15: hexenkessel 19.10., 00.15 – 01.30: eine reise durch den amerikanischen film (teil 3) 21.10., 20.15 – 22.50: new york, new york 26.10., 20.15 – 22.05: taxi driver 26.10., 22.05–23.50: king of comedy

arte

22.30 – 23.45 arte eine reise durch den amerikanischen film (teil 1) r: martin scorsese, martin henry wilson auftakt des us-filmgeschichteparcours usa 1995 22.30 – 00.00 3sat der iran job r: till schauder us-basketball-profi trainiert iranisches team d/usa/iran 2012 sehenswert ab 14 18. oktober, 22.30 –00.02

22.35 – 01.40 prosieben departed – unter feinden r: martin scorsese polizei infiltriert gangster und umgekehrt usa 2006 23.45 – 01.05 arte eine reise durch den amerikanischen film (teil 2) r: martin scorsese, martin henry wilson mittelstück des us-filmgeschichteparcours usa 1995 00.15 – 01.45 hr fernsehen schlafkrankheit r: ulrich köhler entwicklungshelfer verfällt afrika (s. text s. 56) d/f 2011 sehenswert ab 16 01.55 – 03.30 hr fernsehen im alter von ellen r: pia marais frau treibt nach betrug durch partner durchs leben deutschland 2010 sehenswert ab 16

»in alter von ellen«

3sat

der iran job

2008 verpflichtete sich der us-amerikanische basketball-profi kevin sheppard, die iranische mannschaft von a.s. shiraz zu trainieren. mit ihm reiste auch der dokumentarist till schauder nach teheran, um sheppards erfahrungen mit der kamera festzuhalten, halblegal, ohne offizielle genehmigung der iranischen behörden. an der seite des unkomplizierten sportlers registriert schauder überrascht die warmherzigen reaktionen von fans wie mitspielern, die sich an lobeshymnen auf die freiheit in amerika geradezu überbieten. durch die begegnung mit einer physiotherapeutin lernt schauder eine gruppe befreundeter frauen kennen, »aufgeklärt, gebildet, modern – und verbannt hinter den verhassten schleier« (alexandra wach), die ihre unzufriedenheit direkt in die kamera sprechen. mit feinem gespür für die gesellschaftlichen schieflagen fängt der film so vorstufen jenes aufruhrs ein, der nach der manipulierten präsidentschaftswahl von 2009 in der »grünen revolution« seinen bislang vorläufigen höhepunkt fand.

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