Filmdienst 21 2014

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Pier Paolo Pasolini

FIlM DIenSt Das Magazin für Kino und Filmkultur

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Bald 40 Jahre nach seinem tod rückt der bedeutende italienische Künstler und Filmemacher wieder stärker ins Blickfeld.

schizoPhrenie Mentale Schreckgespenster: Das Kino nähert sich immer häufiger dem thema »Schizophrenie« an.

citYGuide Wien ob Kinos, Festivals oder das Österreichische Filmmusum: Über einen Mangel an Gelegenheit können Wien-Besucher nicht klagen.

www.filmdienst.de www.fi lmdienst.de

Der regisseur Johannes Holzhausen porträtiert eine faszinierende Kulturinstitution: das Kunsthistorische Museum in Wien. Sein bildstarker, mit Witz montierter Film wurde mit dem »Caligari«-Filmpreis ausgezeichnet. nun kommt er in die Kinos. 21 4 194963 604507

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das grosse museum

9. oktober 2014 € 4,50 67. Jahrgang

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filmdienst 21 | 2014 neu im kino Alle StArttermine

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20.000 days on earth 16.10. arteholic 16.10. Butter on the latch 16.10. dabbe 5 18.9. Following the ninth 2.10. Gefällt mir 9.10. ein Geschenk der Götter 9.10. Get on up 9.10. Gone Girl – das perfekte opfer 2.10. das große Museum 16.10.

16 cityguide Wien

32 literatur

KinotiPP der katholischen Filmkritik

40 hirngespinster 9.10. Schizophrenie-Drama von Christian Bach 41 45 46 42 50 47 46 47 46 48 49 51 50 47 44 50 50 44 50

Jack 9.10. lamento 9.10. Männerhort 2.10. Maze runner – die auserwählten im labyrinth 16.10. Mein Freund, der delfin 2 9.10. Pierrot lunaire 2.10. Prinz ribbit 9.10. tableau noir – eine zwergschule in den Bergen 16.10. the cut 16.10. the equalizer 9.10. the riot club 9.10. the salvation 9.10. thou Wast Mild & lovely 16.10. die Vampirschwestern 2 16.10. Was bin ich wert? 9.10. Wie in alten zeiten 16.10. Winterkartoffelknödel 16.10. Wish i Was here 9.10. die zeit vergeht wie ein brüllender löwe 9.10.

28 schizophrenie

23 personen

fernseh-tipps 55 dominik graf hat mit »die reichen leichen« ei­ nen bizarren starnbergkrimi gedreht, ein sehenswer­ ter »tatort« wartet mit 47 toten auf. und arte widmet sich den »red Western«, mit denen die ostblock­ staaten im amerikanischen nationalgenre wilderten.

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34 magische momente

35 kinokritiken

Fotos: titel: real Fiction. S. 4/5: movienet/(c) Andrea mühlwisch/Synema Verlag/mcOne/FD-Archiv/Concorde/Archivio Pier Paolo Pasolini, bibliotheca della cineteca del comune di Bologna Camino/CBS network

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inhalt kino

akteure

film-kunst

10 pasolini

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27 e­mail aus hollyWood

10 Pier Paolo PaSoliNi

20 JoNaTHaN GlaZer

der britische regisseur lotet in seinem neuesten spielfilm »under the skin« einmal mehr die grenzen des darstellbaren aus. das porträt eines mannes, der immer wieder in bereiche jenseits der mensch­ lichen ratio vorstößt und ein kino erschafft, das durch auge und hirn tief unter die haut geht.

die sommerpause ist abgeschafft: auch in der heißen Jahreszeit konkurrieren die us­fernsehsen­ der jetzt mit den filmstudios. mit erfolg. die besu­ cherzahlen im kino gehen in den sommermonaten zurück, während die Qualität der tv­serien bei den zuschauern früchte trägt.

Von Ulrich Kriest

Von Michael Kohler

Von Franz Everschor

+ neues von und über pier paolo pasolini in literatur, film und musik

23 PerSoNeN

28 SCHiZoPHreNie & KiNo

eine neue ausstellung in berlin widmet sich leben und Werk des vielseitigen italienischen regisseurs, der vor beinahe 40 Jahren starb. auch sonst kehrt pasolini an vielen stellen wieder ins öffentliche be­ wusstsein zurück. eine »ganzheitliche« Würdigung des künstlers steht jedoch noch aus.

Von Josef Lederle, Jens Hinrichsen und Ulrich Kriest

16 CiTYGUiDe WieN

Wien ist aus seinem dornröschenschlaf erwacht und wieder als filmkulisse für großproduktionen wieder attraktiv. auch sonst kommen cineasten in der österreichischen hauptstadt auf ihre kosten, sei es bei einer nostalgischen »dritte­mann­tour«, sei es durch die reiche kinokultur und die zahlreichen filmfestivals. ein weiterer städtetrip aus unserer reihe »fd­cityguide«. Von Andreas Ungerböck

der kostümbildner Werner bergemann kleidete die stars der aufwändigen defa­historienfilme ein; der litauer donatas banionis spielte goya und flog in tarkowskis »solaris« ins all. zwei nachrufe. Von Ralf Schenk

27 e-Mail aUS HollYWooD

verzerrte Wahrnehmungen durch eine erkrankung an schizophrenie haben filmemacher schon oft beschäftigt. eine annäherung an die umsetzung der mentalen schreckensgespenster in verstörende kinobilder. Von Kathrin Häger

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im dokumentarfilm »arteholic« führt der schauspieler als geschichtenerzähler durch die europäische museumsszene und beweist seine liebe zur kunst. ein gespräch über kunstbeses­ senheit, die traum­rolle des »picasso­killers«, schlingensief und hollywood.

32 liTeraTUr

Von Jens Hinrichsen

Von Daniela Gehrmann und Thomas Brandlmeier

für das einmaleins der liebe hat das kino zahlrei­ che ausprägungen gefunden. ein neues buch führt vor, wie es sich mit der filmischen präsentation von dreiecksbeziehungen verhält. außerdem: eine neue Würdigung des schauspielers peter lorre.

34 MaGiSCHe MoMeNTe

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rubriken editorial inhalt magazin dvd/blu­ray tv­tipps dvd­perlen vorschau / impressum

pedro almodóvar gab für »alles über meine mutter« die schrille exzentrik seines frühwerks auf und schuf ein bewegendes melodram in sanf­ tem licht und eine hymne an die frauen. Von Rainer Gansera

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akteure Jonathan glazer

der fremde Gerade mal drei Spielfilme hat der 1965 in london geborene Jonathan Glazer bislang gedreht – »Sexy Beast«, »Birth« und »under the Skin« – und Cineasten mit ihnen entweder begeistert oder aber vor den Kopf gestoßen. Glazer liebt die Grenzen des Darstellbaren. In seinen Geschichten stößt er immer wieder in Bereiche vor, in denen die menschliche Ratio auf der Strecke bleibt: Kino, das durch Auge und Hirn tief unter die Haut geht. Von Michael Kohler

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Jonathan glazer akteure

der dumme hund hat sich zu weit hinausgewagt. Jetzt kämpft er gegen die Strömung und zieht die menschen mit ins Unglück. Als erste stürzt die Frau ins kalte meer – und ist nach wenigen Zügen selbst ein Spielzeug der stürmischen Wellen. Als ihr der mann verzweifelt folgt, kommt auch in die beiden fernen Beobachter Bewegung: Der Urlauber im Schwimmanzug läuft die felsige Böschung hinab, springt ins meer, erreicht den mann und zieht ihn aus den Fluten. Am ende seiner Kräfte sinkt der retter in den Sand, während der mann zurück ins Wasser geht – und von der Bildfläche verschwindet. mittlerweile ist auch die junge Frau zum Strand herabgestiegen. Sie beugt sich über den erschöpften retter, wendet sich zu einem Haufen Steine, sucht einen passenden heraus und schlägt ihm damit auf den Kopf. Dann schleift sie ihn über den Strand, während im Hintergrund ein kleines Kind schreit. Aber die Frau kümmert es nicht. Sie scheint es nicht einmal wahrzunehmen. Diese Szene aus Jonathan Glazers »Under the Skin« trifft einen wie ein Schock. Und das, obwohl man zu diesem Zeitpunkt schon

Studium in london empfahl er sich mit Filmtrailern für die BBC für höhere Aufgaben, drehte atemberaubende Werbespots für Guinness, levi Strauss oder Volkswagen und stieg 1996 mit dem Video zu Jamiroquais »Virtual insanity« zum Star der musikclip-Szene auf. »Under the Skin« ist nach »Sexy Beast« (2000) und »Birth« (2004) sein dritter Spielfilm in 14 Jahren – neun Jahre hat er daran gearbeitet. einige davon brauchte er, um sich selbst und seine Hauptdarstellerin Scarlett Johansson davon zu überzeugen, dass »Under the Skin«, ein Alien-Film abseits aller Genrekonventionen, ein lohnendes Wagnis sei. Die Kritik konnte Glazer nicht davon überzeugen – bei der Premiere beim Festival in Venedig fiel der Film durch. Dabei ist »Under the Skin« ein erlebnis. es beginnt mit einer schwarzen leinwand, auf der sich ein weißer lichtpunkt zu einem strahlenden lichtkreis weitet und schließlich in eine menschliche iris übergeht. Dann folgt etwas, was man als Andockmanöver im All bezeichnen könnte, das aber wie manches andere bis zum ende unerklärt bleibt. nach diesem abstrakten Vorspiel, das ein wenig

Unerklärliche Gefühlswelten: Die Filme des britischen Regisseurs Jonathan Glazer

Fotos: Senator/Warner Bros.

gesehen hat, wie die Frau durch Schottland fährt und männer in ein seltsames Verderben lockt. man ahnt bereits, dass sie nicht von dieser Welt stammt, aber erst jetzt begreift man, wie fremd ihr alles ist. Sie hat gar nicht begriffen, dass sich vor ihren Augen eine tragödie zutrug, sie hat weder die Verzweiflung des mannes verstanden noch die Angst des verwaisten Kindes. Vielleicht hätte sie geholfen, wenn sie gewusst hätte, wie Hilferufe klingen. Stattdessen schleift sie einen leblosen Körper durch den Sand. ein Schock ist die Szene aber auch, weil Jonathan Glazer sie so beiläufig inszeniert: Am Anfang sieht man, wie die junge Frau auf den Schwimmer wartet und ihn anspricht. Die kleine Familie mit Hund ist nur in der Ferne zu sehen, und auch als das Geschehen dramatisch wird, bleibt die inszenierung distanziert. Die Kamera scheint den Standpunkt der Fremden zu spiegeln, sie zeigt nicht, was mit den menschen im Wasser geschieht. Das braucht sie auch gar nicht, weil der Zuschauer – anders als die Außerirdische – weiß, dass sie verloren sind. Glazer liebt es, die Grenzen des darstellbaren auszutesten Beinahe hätte man vergessen können, dass der britische regisseur ein meister solcher Szenen ist. Glazer gehört zur Generation der »regie-Wunderkinder«, die in den 1990er-Jahren vom Boom der Werbe- und musikindustrie profitierte. nach einem theaterdesign-

an Stanley Kubricks Finale von »2001 – eine Odyssee im Weltall« erinnert, schlüpft Scarlett Johansson in eine menschliche Hülle, fährt im weißen lieferwagen durch Schottland und versucht männer aufzugabeln. Am Anfang scheint sie noch zu üben, dann aber lockt sie den ersten erfolgreich in ein heruntergekommenes Haus. im inneren befindet sich ein schwarzer raum mit einer schwarzen, zähen Flüssigkeit als Boden, in der die männer Schritt für Schritt versinken, ohne dass sie es bemerken würden. Unter der Oberfläche leben sie Stunden oder tage weiter, bis ihnen in Sekundenschnelle das innere ausgesogen wird und nur noch eine leere Hülle übrig bleibt. Diese gespenstischen Aufnahmen gehören zu den Bravourstücken, die selbst die Kritiker von »Under the Skin« anerkennen. in ihnen zeigt sich alles, wofür Jonathan Glazer steht: die liebe zu aufwändig komponierten, nie ganz zu entschlüsselnden Bildern, die Verschmelzung von Bild und eindringlicher musik – hier ein gespenstischer Originalscore von mica levi –, die neigung zu altmodischer tricktechnik. Glazer liebt es, die Grenzen des Darstellbaren auszutesten und das Publikum zu verblüffen. Aber er glaubt auch daran, dass diese Verblüffung umso besser funktioniert, je authentischer sie wirkt. Deswegen hat er die Szenen mit den versunkenen männern unter Wasser gedreht, statt sie im Computer zu entwickeln, und deswegen hat er Scarlett Johansson mit versteckter Kamera dabei gefilmt, wie sie auf der Straße normale Passanten anspricht oder unerkannt durch ein einkaufszentrum spaziert.

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akteure Jonathan glazer Bilder einer Verwandlung, die nicht loslassen Auf dem Höhepunkt seiner Karriere als musikvideo- und Werberegisseur schickte Glazer einen anderen Filmstar zu Fuß durch einen viel befahrenen Autotunnel: in »rabbit in Your Headlights« (Unkle) spielt Denis lavant einen Obdachlosen, der wirres Zeug brabbelt und gar nicht zu merken scheint, wo er sich befindet. er sieht weder die lichter der Autos noch die verächtlichen Blicke der Fahrer, bis ihn der erste Wagen streift und zu Boden reißt. er rappelt sich auf, wird erneut angefahren, durch die luft geschleudert – und setzt seinen Weg fort. Am ende steht er mit nacktem Oberkörper mit dem rücken zum Verkehr, breitet die Arme aus und wartet auf den Aufprall. Doch dieses mal zerschellt der Wagen an ihm. Glazer zeigt dieses Geschehen ganz nah und lässt jeden Aufprall beinahe körperlich miterleben. Die soziale Kälte, die sich in der rücksichtslosigkeit der Fahrer zeigt, kriecht einem geradezu in die Kleider – bis ein Wunder den scheinbar unvermeidlichen Gang der Dinge unterbricht. in seinem Spielfilmdebüt »Sexy Beast« gibt es ein fernes echo dieses »göttlichen« eingriffs: ein riesiger Stein stürzt in das Schwimmbecken eines Safeknackers im ruhestand, zerstört den Pool und kündigt nahendes Unheil an. Am ende wird eine leiche im neu gegossenen Fundament verschwinden, und die frühere ruhe ist wiederhergestellt. in Glazers drei Spielfilmen bricht etwas Unerwartetes in das leben der Hauptfiguren ein – und alles ändert sich: in »Sexy Beast« wird

der Safeknacker von einem früheren Komplizen terrorisiert, in »Under the Skin« löst ein entstellter mann etwas in der Außerirdischen aus, das sie ihrem Alltag als lockvogel entfliehen lässt, und in »Birth« bekommt die Heldin Besuch von einem zehnjährigen Jungen, der behauptet, die Wiedergeburt ihres vor zehn Jahren gestorbenen ehemanns zu sein. Die Frau schiebt den Jungen unwillig fort, doch der kehrt wieder – wie eine unauslöschliche erinnerung. Schließlich stellt man ihn vor seinem Vater zur rede, und der gebietet seinem Sohn, die ungebetenen Besuche einzustellen. Als sich die Frau beim Gehen noch einmal umdreht, sieht sie, wie der Junge in Ohnmacht fällt. Und plötzlich glaubt sie ihm. Auch diese Szene ist in ihrer Beiläufigkeit meisterlich inszeniert. Glazer lässt den entscheidenden Augenblick zunächst verstreichen und gibt dem Publikum anschließend Gelegenheit, in einer lange gehaltenen Großaufnahme das Gesicht seiner Hauptdarstellerin nicole Kidman zu studieren: Während ihre Figur in der Oper sitzt und den Klängen von Wagners »Walküre« lauscht, ruht der Blick der Kamera allein auf ihr. Und man versteht, dass sie gegen jede Vernunft an die Wiederkehr des toten glauben will. Auch »Under the Skin« handelt von der Heimsuchung durch ein Gefühl, für dessen existenzielle tiefe es im Film keine rationale erklärung gibt. Doch dieses mal ist die Heldin eine Außerirdische in menschengestalt, die ihre fremde Hülle zu begreifen versucht und dadurch tatsächlich ein wenig menschlicher wird – und schutzloser. Schon deswegen lassen einen die Bilder dieser Verwandlung nicht mehr los. Ó

Jonathan Glazer auf DVD/BD

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»sexy Beast« GB 2000

»Birth« GB/USA 2004

mit ray Winstone, Ben Kingsley, ian mcShane, Amanda redman, James Fox

mit nicole Kidman, lauren Bacall, Danny Huston, Anne Heche, Cameron Bright

»under the skin – tödliche Verführung« GB/USA 2013 mit Scarlett Johansson, Pau Brannigan

FsK: ab 16

FsK: ab 12

FsK: ab 12

anbieter (dVd): Universal

anbieter (dVd): Warner Home

anbieter (dVd): Senator/Universum

Gangster-Grusical um einen Banditen, der sich in Spanien zur ruhe gesetzt hat und den ein sadistisch veranlagter Kumpel noch einmal zu einem Coup überreden will.

eine junge Frau stimmt zehn Jahre nach dem tod ihres geliebten ehemanns einer neuerlichen ehe mit dem Spross einer reichen new Yorker Upper-Class-Familie zu, nicht zuletzt wohl auch, um ihre seelische instabilität zu überwinden. Als ein zehnjähriger Junge auftaucht und beharrlich behauptet, er sei ihr verstorbener, sie immer noch liebender mann, gerät ihr fragiles Seelengerüst ins Wanken.

Kritik in dieser Ausgabe, S. 53

»under the skin« im Kino: neben der DVD-Veröffentlichung ist der Film dank einer initiative von Filmliebhabern auch in einigen Kinos auf der großen leinwand zu sehen. termine und Spielstätten im internet: undertheskin-film.de

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kritiken neue filme

gone girl – das perfekte opfer die »menschlichen abgründe« sind ein viel beschworenes thriller-Motiv. Wo genau aber klaffen sie eigentlich? Oft verorten Kriminalfilme sie hinter großbürgerlicher Fassade, in Spiegelbildern, die staubfreie Glastische und auf Hochglanz polierte edelstahlflächen zurückwerfen – dabei sind die mörder bei »Derrick« und bei Claude Chabrol einander gar nicht so unähnlich. Auch David Fincher erinnert in »Gone Girl« an solche »entlarvungsfantasien«, aber es steckt bei ihm viel mehr in der Geschichte. Der erfolglose Schriftsteller nick Dunne kehrt darin an seinem fünften Hochzeitstag aus der Bar zurück und steltl festt, dass seine Frau Amy offensichtlich entführt wurde. Das Drehbuch von Gillian Flynn (von der auch die romanvorlage stammt) konstruiert die Handlung als ein komplexes Geflecht aus rückblenden und erzählter Gegenwart. Früher existierte scheinbar das große Glück: Das Kennenlernen der beiden auf einer Party in new York gestaltete sich ebenso schlagfertig wie ironisch, die

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Verliebten erdenken Paar-Dialoge, die so originell und geschliffen sind, dass sie einem die Ohren zu zerschneiden drohen – und der Sex ist, wie Amy sagt, »zu gut, um wahr zu sein«. Das alles gilt freilich nur für die ersten Jahre ihrer Beziehung. meisterhaft verschiebt Fincher mit subtilen filmischen mitteln das betont gemütliche Heim der Dunnes ins Ungemütliche, ja Dubiose. Am Anfang setzen er und Kameramann Jeff Cronenweth nur sehr spärlich künstliches licht ein; über den räumen des großen Hauses scheint ein Schleier zu liegen, an den Fenstern leuchtet es grell, im innern zerfasern menschen und Objekte ins leicht Diffuse. Die Farbe wurde aus den Bildern gesaugt, ähnlich wie in Finchers »Verblendung« (2011) taucht rot so selten auf, dass es ein Signalmarker des Bösen sein muss – etwa ein winziger Fleck in der Küche. mittlerweile lebt das Paar in nicks Heimatkaff in missouri, weil seine mutter schwer erkrankte und bald darauf starb. Die rezession hat zugeschlagen, der Aktienfonds, den

Amys wohlhabende eltern für sie aufgelegt hatten, steckt nahezu vollständig im Haus und der Bar, die nick gemeinsam mit seiner Schwester margo betreibt. Weder nicks roman noch Amys Buchreihe, in der sie sich als Alter ego »Amazing Amy« für ein Kinderpublikum selbst optimierte, konnten die beiden langfristig zufrieden stellen. Amy vertraut ihrem tagebuch an, dass missouri für sie die Hölle sei. in der nur leicht zugespitzten Schilderung des Zerfalls einer Partnerschaft, in die der Alltag einbricht, liegt die große Stärke des Stoffs. Ökonomische Schwierigkeiten und enttäuschte erwartungen, vor allem die erkenntnis, gar nicht anders zu sein als all die unkreativen, stromlinienförmigen langeweiler, von denen man sich immer absetzen wollte, haben nicks und Amys ehe zerfressen. Die indizien im entführungsfall sprechen bald zunehmend deutlicher gegen nick. Wenn sich schrille Fernsehmoderatorinnen öffentlich auf seine Schuld festlegen, mag man

darin eine Kritik der Skandalisierungsmechanismen in der heutigen medienöffentlichkeit erkennen. Diese aber bleibt eher schal. Weit größer ist der reiz des Uneindeutigen in den erzählerischen Konstellationen: Das Drehbuch bleibt lange emotional auf Distanz zu den beiden Hauptfiguren, die in ihrem übertriebenen, mitunter hysterischen Glück ebenso wie in ihrer wachsenden Gleichgültigkeit füreinander auch dem Zuschauer fremd bleiben sollen. Später kippt diese Balance, und Fincher lässt den ästhetischen einsatz in dem maße eskalieren, wie sich die Handlung einer thriller-Kolportage nähert. Dann flutet tiefrotes Blut die leinwand, die Oberflächen werden glatter, die lichtsetzung wirkt enthüllend. Das hintergründige, süße Synthesizer-tröpfeln der musik, die wie Angelo Badalamentis Score zu »twin Peaks« das Unheil als metatextuelle Anspielung erahnen lassen soll, walzt sich in Schmalzteppichen oder materialisiert das Unheil in industriell-elektronischen Bass-Wummern. Fincher hat dies wie iro-

Fotos S. 36-51: Jeweilige Filmverleihe

Die Chronik einer überfrachteten Liebe. Ein Psychogramm von David Fincher

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neue filme kritiken nische Kleckse in den Film getupft, ein weiterer ist die Besetzung von Sitcom-Star neil Patrick Harris (»How i met Your mother«) als Amys schwerreichem, neurotischem exFreund. tanner Bolt, ein Anwalt, an den nick sich in seiner not wendet, lacht nur über die haarsträubende Geschichte, die dieser ihm auftischt. Womöglich funktioniert Finchers Film tatsächlich auch als meta-thriller; weit beeindruckender und intensiver aber ist er als die psychologisch spannungsreiche Chronik einer überfrachteten liebe, die von narzissmus und vom Absterben der Gefühle erzählt. Tim Slagman

bewertung der filmkommission

ein erfolgloser romanautor schlägt sich in der provinz von missouri als inhaber einer bar und als uni­dozent durch. als seine frau spurlos ver­ schwindet, gerät er unter tatver­ dacht. das vielschichtig und komplex gezeichnete psychogramm einer zer­ fallenden ehe verbindet sich mit klug eingesetzten erzählerischen mitteln zu einem thriller, in dem sich das rätselhafte und feindselige im routi­ nierten partnerschaftsalltag zur psy­ chologisch spannungsreichen chro­ nik einer überfrachteten liebe ver­ dichtet. – sehenswert ab 16.

scope. usa 2014 regie: david fincher buch: gillian flynn

ein geschenk der götter

Komödie: Arbeitslose proben »Antigone«

ein Blick auf die landschaft heiterer deutscher Kinofilme genügt, um deren Unzulänglichkeit für sozialkritische themen zu diagnostizieren. Schweiger, Schweighöfer & Co. finden mit ihren lustspielen aus dem Privatleben des hippen Jungbürgertums die Welt ganz in Ordnung. ihre Filme sind in Form und inhalt konservativ und laufen auf eine Bestätigung der Verhältnisse hinaus. Oliver Haffners »ein Geschenk der Götter« schlägt mit seiner tragikomischen Fabel aus dem milieu von langzeitarbeitslosen hingegen einen anderen ton an. Zentrale Figur ist die 36-jährige Schauspielerin Anna, die sich nach ihrer entlassung aus dem Stadttheater mit einer spontanen idee ihrer Arbeitsvermittlerin konfrontiert sieht: Anna könnte in der plötzlich frei gewordenen Zeit doch ein Stück mit anderen Arbeitslosen inszenieren. Die Wahl fällt auf »Antigone«, laut Haffner die Verkörperung des menschlichen Grundkonflikts schlechthin: »Unterwerfe ich mich trotz besseren Wissens dem gesellschaftlichen Konsens, oder vertrete ich gegen alle Widerstände öffentlich meine Haltung und benenne missstände und Ungerechtigkeiten – trotz drohender repressionen?« Diesem theoretischen Unterbau hält die praktische Ausführung

des Films aber nur bedingt stand. Die Vertreter der »macht«, der theaterintendant etwa, sind karikierend überzogen; und das Gruppenporträt der Arbeitsuchenden verlässt sich zu sehr auf Klischees. neben der arbeitslosen Künstlerin agieren so ein junger legastheniker, ein in Konkurs gegangener älterer Handwerksmeister, eine Friseuse im Dauerpraktikum oder eine vollschlanke, schon immer schlecht bezahlte Kinderpflegerin: ein ensemble, das nach dem musterkatalog dramaturgischer Funktionsmechanismen zusammengestellt wurde. Hinzu kommt der obligate macho mit migrantem Hintergrund, in diesem Fall ein Grieche. Gemeinsam geht die Gruppe durch Höhen und tiefen, und als Anna zwischendurch selbst am Boden liegt, wird sie vom vermeintlich schwächsten Glied ermuntert, weiterzumachen – voilà! Viele dieser Auf- und Ausbrüche werden allerdings mehr vom Drehbuch behauptet als psychologisch grundiert. Die Dialoge erklären vieles, was man lieber szenisch erlebt hätte; und auch eine gewisse Hilflosigkeit beim inszenieren der Gruppenbilder ist nicht zu übersehen. Die einladung der Amateurtruppe ins Stadttheater, wo sie dann glänzend besteht, wirkt wenig glaubhaft. »ein Geschenk der Götter« will

mut für den Alltag vermitteln. Der Schlussauftritt auf dem theater zeigt menschen, die ihr Selbstbewusstsein für einen moment wiedergefunden haben und zumindest temporär einen lange nicht mehr gekannten Glücksrausch erfahren. Zu den schönen entdeckungen des im Ganzen doch zu glatt geratenen Films gehört Katharina marie Schubert als Anna, die niedergeschlagenheit und Aufbruchswillen ihrer Figur durch ein temporeiches, differenziertes Spiel transparent macht. Ralf Schenk bewertung der filmkommission

eine arbeitslose schauspielerin soll im auftrag der Job­agentur mit anderen arbeitslosen ein theater­ stück aufführen. die Wahl fällt auf die griechische tragödie »antigone« als beispiel für ein selbstbestimmtes leben unter misslichen umständen. eine in der hauptrolle temporeich­ differenziert gespielte komödie. ihr sympathischer ansatz, sozialkritik mit einem Wohlfühlfaktor zu präsen­ tieren, wird aber durch klischeehafte figuren und mitunter recht papierne dialoge arg unterlaufen. – ab 12.

deutschland 2014 regie: oliver haffner länge: 102 min. | start: 9.10. fsk: ab 0; f fd­kritik: 42 616

kamera: Jeff cronenweth musik: trent reznor, atticus ross schnitt: kirk baxter darsteller: rosamund pike (amy dunne), ben affleck (nick dunne), missi pyle (ellen), carrie coon (margo), neil patrick harris (desi), scoot mcnairy (tommy) länge: 150 min. | start: 02.10.2014 verleih: fox | fsk: ab 16; f fd-kritik: 42 615

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kritiken fernseh­tipps

13.20–15.00 br fernsehen das spukschloß im spessart r: kurt hoffmann einfallsreiches grusical. brd 1960 sehenswert ab 14 15.00–16.50 kika das fliegende klassenzimmer r: tomy Wigand kästner­klassiker deutschland 2002 sehenswert ab 8 20.15–21.30 3sat vertrag mit meinem killer r: aki kaurismäki (s. text) finnl./schweiz 1990 sehenswert ab 16 20.15–22.25 servus tv take shelter – ein sturm zieht auf r: Jeff nichols (s. text & artikel s. 27) usa 2011 sehenswert ab 14 21.35–22.55 disney channel die abenteuer von ichabod und taddäus kröte r: Jack kinney, clyde geronimi, James algar fantasiereicher disney­trickfilm usa 1949 ab 6 22.25–00.20 servus tv rampart r: oren moverman düsteres kriminaldrama des israeli­ schen regietalents (siehe auch s. 58) usa 2011 ab 16 22.30–23.55 arte exit through the gift shop r: banksy raffinierte mockumentary usa/gb 2010 sehenswert ab 16 23.00–01.40 spider-man 2 r. sam raimi usa 2003

prosieben

sehenswert ab 12

00.15–02.25 Wdr fernsehen bevor es nacht wird r: Julian schnabel. die leiden eines homosexuellen künstlers in kuba usa 2000 sehenswert

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so

samstag 11. oktober 11. oktober, 21.35–22.30

arte

rocky vs. ivan – propagandaschlacht im ring

der name des amerikanischen schauspielers sylvester stallone ist seit der »rocky«-reihe untrennbar mit der rolle des boxers rocky balboa verbun­ den, des gutherzigen, aber auch etwas einfältigen underdogs aus philadelphia. Wenngleich die zahlreichen sequels um den melancholischen preisboxer mitunter auch ziemlich bescheiden ausfielen (so wurde »rocky iv« mit fünf goldenen himbeeren ausgezeichnet, darunter zwei für stallone als regisseur und hauptdarsteller), begeisterten sie dennoch ein massenpublikum. der dokumentarfilm »rocky vs. ivan« geht diesem phänomen nach und untersucht die bedeutung der amerikanischen heldenfigur vor dem hintergrund der 1980er­Jahre. so lässt sich beispiels­ weise der finale kampf in »rocky iv« zwischen balboa und der sowjetischen »kampfmaschine« ivan unschwer als emblem für den sieg des kapitalismus über den sozialismus lesen. 11.oktober, 20.15–21.30, 23.00–06.15

11. oktober, 20.15–22.25

servus tv

take shelter – ein sturm zieht auf

ein bauarbeiter (michael shannon) aus ohio wird von albträumen geplagt, die ihm die nahe apokalypse anzuzeigen scheinen. um seine familie vor der katastrophe zu bewahren, baut er den schutzbunker auf seinem grundstück aus. seine familie kann sich sein rätselhaftes verhalten so wenig erklären wie die nachbarn, doch im vergleich mit der angst, dass sich die träume bewahrheiten, nehmen sich curtis’ eheproblem und das unver­ ständnis der nachbarn als vernach­ lässigbare Übel aus. ein suggestiver katastrophenfilm, der seinen schrecken nicht als effektspektakel, vielmehr als atmosphärisch dichtes psychologisches drama entfaltet. sind curtis’ unter­ gangsfantasien tatsächlich prophetisch? oder verliert er den verstand? 3sat

finnische filmnacht auf 3sat

3sat nimmt finnland als dem diesjährigen gastland der buchmesse zum anlass für eine »finnische filmnacht« mit fünf sehenswerten filmen. den auftakt macht »vertrag mit meinem killer« (20.15) von aki kaurismäki, in dem Jean­pierre léaud einen lebensmüden spielt, der den nachstellungen seines von ihm selbst beauftrag­ ten killers entgehen muss, als er sich verliebt. kimmo koskela porträtiert in »soundbreaker« (23.00) den akkordeon­virtuosen kimmo pohjonen, aku louhimies führt in »die unbeugsame« (00.25) in die zeit des finnischen unabhängigkeitskampfes, zaida bergroth überrascht in »last cowboy standing« (02.15) mit einer skurrilen familiengeschichte und Jukka pekka valkeapään (04.15) schickt in »der besucher« auf eine stark stilisierte spurensuche durch finnische alptraum­Welten. ab 11. oktober, 20.15

prosieben

comichelden-woche

zahlreiche kinoadaptionen um populäre helden aus den comic­schmieden marvel, dark horse und dc schicken ihre figuren in den special­effects­bestückten kampf gegen diverse superschurken.

sa, 11.10.: batman begins (20.15–23.00); spider-man 2 (23.00–01.40) so, 12.10.: the amazing spider-man (20.15–23.05); spider-man 3 (23.05–01.55) fr, 17.10.: the dark knight (20.15–23.15); hellboy (23.15–01.50)

sonntag 12. oktober

20.15–22.00 arte vorhang auf! r: vincente minnelli musical mit fred astaire usa 1953 sehenswert ab 12 21.45–23.15 3sat alpsummer r: thomas horat porträt von vier Älpler­familien schweiz 2013 ab 14 22.20–00.30 tele 5 alles über meine mutter r: pedro almodóvar (s. auch s. 34) spanien/f 1999 sehenswert ab 14 23.45–01.15 ndr fernsehen die fliege r: david cronenberg erfinder mutiert zum insektenwesen usa 1985 00.30–02.35 tele 5 das auge r: claude miller thriller, melodram, schwarze komödie frankreich 1982 sehenswert ab 16 01.20–03.33 das erste ein mann, drei leben – mr. nobody r: Jaco van dormael bildgewaltiges gedankenspiel frankreich/belgien 2009 ab 16 01.20–03.00 servus tv the great white silence r: herbert g. ponting stummfilm über robert f. scott großbritannien 1924 ab 14 01.35–03.45 kabeleins eine klasse für sich r: penny marshall sportfilm mit geena davis/tom hanks usa 1992 ab 14 02.10–03.45 hr fernsehen tage, die bleiben r: pia strietmann gut gemachte begräbnisgroteske deutschland 2011 ab 14

Fotos S. 55–65: Jeweilige Sender.

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fernseh­tipps kritiken

12. oktober, 20.15–21.45

das erste

tatort – im schmerz geboren

»uns narren dieses schauspiels bleibt nur der trost des Jenseits«, hebt der erzähler theatralisch an, und schon springt die kamera auf den bahnhof von bad nauheim, um bei einem duell, das wie ein italo­Western gefilmt ist, die ersten drei von insgesamt 47 leichen zu präsentieren. arglose »tatort«­fans seien gewarnt: in diesem hr­»tatort« erscheinen standards wie die sticheleien zwischen lka­ ermittler felix murot (ulrich tukur) und seiner assistentin magda Wächter (barbara philipp) als fremdkörper in einer wild wuchernden zitate­fantasie. regisseur florian schwarz stapelt die referenzen an theater, oper, gemälde­klassiker und kino­thriller, als würde ein deutscher fernsehkrimi davon träumen, zitatenkino à la Quentin tarantino zu sein. das heißt ein kino, bei dem fantasmen der gran­ diosität und die faszination des bösen den ton angeben. das mag zuerst verwirrend sein, wird aber derart souverän und zudem selbst­ ironisch pointiert dargeboten, dass es größtes vergnügen bereitet. eine story gibt es auch: vor 30 Jahren auf der polizeischule waren felix murot und richard harloff (ulrich matthes) beste freunde, verliebt in dieselbe frau, in der manier von truffauts »Jules und Jim« in eine menage à trois verwickelt. dann trennten sich die Wege. murot wurde als lka­ermittler ein braver gesetzeshüter, harloff aber machte in bolivien als drogenkartell­boss karriere und kehrt nun zu einem rachefeldzug zurück: »ich will, dass murot töten muss, um zu überleben, wie ich töten musste!« es bestätigt sich das alte dramaturgie­gesetz, wonach das böse spannender ist als das gute, und ulrich matthes kann der abgründigen dämonie harloffs faszinie­ rende kontur verleihen. der »tatort« hat eine lange geschichte hinter sich. schon seit längerem häufen sich die referenz­spiele, anleihen bei krimiklassikern (hitch­ cock, edgar Wallace) und anderen kino­genres. der nachhaltige erfolg des münchner »tatorts« hat auch damit zu tun, dass sein ermittler­duo wie bei einer screwball­comedy funktioniert. »im schmerz geboren« dagegen begeistert, weil hier die referenzen einzigartig — und das heißt auch unwiederholbar — »over the top« getrieben werden. für den zitate­exzess wird sogar eine klinisch definierte begründung ge­ liefert. der erzähler dieser aberwitzig spektakulären geschichte leidet am so genannten stendhal­syndrom: »Wahnhafte bewusstseinsstö­ rung bei kultureller reizüberflutung«. rainer gansera

12. oktober, 01.20–03.00

the great white silence

servus tv

in den letzten Jahren ist ausgiebig des schicksals von robert falcon scott gedacht worden, der 1912 als erster mensch den südpol erreichen wollte. der stummfilm »the great White silence« wurde im rahmen des hundertjährigen Jubiläums vom british film institute res­ tauriert und ende 2011 wieder aufgeführt. regisseur herbert g. ponting (1870–1935) hatte die expedition als kameramann in die antarktis begleitet und ihre arbeit vor dem unglückseligen aufbruch zum südpol dokumentiert – es entstanden einzigartige aufnahmen des landes und von scott und seiner crew, die heute noch beeindrucken und bewegen.

mo

montag 13. oktober

13.35–15.50 arte die letzte flut r: peter Weir vision vom Weltuntergang australien 1977 sehenswert ab 16 20.15–21.50 arte weiße wölfe r: konrad petzold spannender ddr­Western mit gojko mitic ddr/Jugoslawien 1969 ab 12 20.15–23.30 kabeleins aliens – die rückkehr r: James cameron frauenpower vs. »muttermonster« usa 1986 21.50–23.30 arte limonaden-Joe r: oldrich lipsky unterhaltsame Westernparodie als musical tschechoslowakei 1964 ab 14 23.30–01.45 kabeleins alien 3 r: david fincher sci­fi­horror als gefängnisfilm usa 1991 23.30–02.15 arte e agora? lembra-me / what now? remind me r: Joaquim pinto autobiografische aids­dokumen­ tation portugal 2013 ab 16 03.35–05.25 rtl ii meisterschaft im seitensprung r: charles Walters humorvolle doris­day­komödie usa 1959 ab 14 04.20–06.05 kabeleins vidocq r: pitof düsterer fantasy­krimi mit gérard depardieu frankreich 2001 ab 16

13. oktober, 20.15–23.30

arte

schwerpunkt »red western«

kein anderes filmgenre leistete während des kalten kriegs den usa ideologisch so viel schützenhilfe wie der Western, insbesondere wenn die amerikanischen ureinwohner stellvertretend für jene andere »rote gefahr« niedergerungen wurden. Weithin vergessen ist heute, dass auch in den staaten des ostblocks der Western damals beim publikum sehr beliebt war, aber auch gezielt eingesetzt wurde, um kommunistische Werte zu vermitteln und ihre helden als vorkämpfer des realen sozialismus zu inszenieren. arte erinnert an diese »red Western« und zeigt drei prägnante bei­ spiele: konrad petzolds »Weiße Wölfe« (20.15–21.50) ist einer von zwölf defa­filmen mit dem jugoslawi­ schen indianer­darsteller gojko mitic. als häuptling, der den mord an seiner frau rächen will, gerät er um 1880 in die revierkämpfe der Weißen, die nur an ihrem reichtum interessiert sind – ein musterbeispiel für die antikapitalistische agitation der ostdeutschen indianerfilme,. anschließend (21.50–23.30) parodiert »limonaden­Joe« des trickfilmregisseurs oldrich lipsky im rahmen einer einfallsreichen musical­gro­ teske us­vorbilder und kapitalistische lebensweisen. am 20.10. (22.50–00.15) zeigt der sowjetwestern »Weiße sonne der Wüste« die erlebnisse eines rotarmisten nach dem bürgerkrieg, ist dabei aber im Wüstenschauplatz und in den kampfszenen eindeutig der Western­asthetik verpflichtet alle drei filme führen in der summe unterhaltsam vor, dass sich der »Wilde osten« durchaus achtbar im »amerikanischs­ ten« aller us­filmgenres geschlagen hat.

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