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25 10. Dezember 2015 € 5,50 68. Jahrgang

Die Sternenkrieg-Saga schuf ihren eigenen Kosmos, gespeist in hörspielen, Büchern, comics und Games.

Mit selten gewordenem Feingefühl und großer eleganz drehte haynes seinen neuen Film »carol«.

K l e i n e

Todd Haynes

www filmdienst de www.filmdienst.de

u n S e r e

»sTar Wars«

25 2015

Tom Hanks

Das Magazin für Kino und Filmkultur

Der Schauspieler-Star entwickelte sich vom Komödianten zum totalen Filmemacher.

DienSt

Der feinfühlige Blick für das Alltägliche und die kleinen Gesten zeichnet den neuen Film von hirokazu Kore-eda aus: »unsere kleine Schwester« berührt vor allem durch seine leisen töne.

FilM

S c h w e S t e r

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FilMdieNSt 25| 2015 KiNotiPP

der katholischen Filmkritik

36 Unsere kleine schwester Das lyrische, einfühlsam beobachtende Drama von Hirokazu Kore-eda erzählt von der Schönheit des Daseins.

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ALLE STARTTERMINE

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by the sea 10.12. carol 17.12. dämonen und Wunder – dheepan 10.12. dark places 10.12. dorf der verlorenen Jugend 10.12. der große tag – le grand jour 10.12. heidi 10.12. die highligen drei könige 26.11. hilfe, ich hab meine lehrerin geschrumpft 17.12. Im herzen der see 3.12. der Junge und die Welt 17.12. die kinder des fechters 17.12. der kleine prinz 10.12. knock knock 10.12. madame bovary 17.12. mistress america 10.12. der perlmuttknopf 10.12. sand dollars 10.12. Unsere kleine schwester 17.12.

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28 doku-porträts

34 magische momente

66 abcinema

FerNSeH-tiPPS 56 an Weihnachtsfilmen wie »Ist das leben nicht schön?« kommt man auch in diesem Jahr nicht vorbei. Darüber werden diverse Jubiläen nicht vergessen: So feiert das Fernsehen die 100. Geburtstage von Frank Sinatra und Curd Jürgens, und am kürzesten Tag des Jahres, dem 21.12., steht bei verschiedenen Sendern der Kurzfilm im Mittelpunkt.

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55 dvd-perlen

Fotos: TITEL: Pandora S. 4/5: Pandora, Piffl Medien, Kinowelt/Arthaus; Warner Bros., fd-Archiv, Universal, Festival der Filmhochschulen München

NeU iM KiNo

16 star wars: die serie (3)

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iNHalt KiNo

aKteUre

FilMKUNSt

10 tom hanks

22 »carol«

30 der name der rose

10 Tom hanks

In den 1980er-Jahren gab er in Komödien noch das »Kind im Mann«. Doch spätestens seit seinen »Oscars« ruht Verantwortung auf Tom Hanks’ Schultern: In den Fußstapfen von Henry Fonda und James Stewart ist er zur amerikanischen Ikone gereift. Ein Porträt. Von Fritz Göttler

16 sTar Wars: Transmedial

Was 1977 als Kinofilm anfing, ist inzwischen zur riesigen Erzähl-Galaxis angewachsen. Nicht nur dank weiterer Filme, sondern auch durch die transmediale Ausdehnung. Ob in Büchern, Games, Hörspielen oder Serien: Die Macht ist mit uns. Von thomas klein

20 neues polnisches kino

Die Kontroverse um die Aufführung eines Stücks von Elfriede Jelinek zeigt, dass das kulturpolitische Klima in Polen restriktiver wird. Dem steht eine aktuelle Blüte des Filmschaffens mit stilistischer Vielfalt und kritischem Biss entgegen. Von ralf schenk

22 Todd haynes

Mit dem Drama »Carol« nimmt der USRegisseur einmal mehr die Sexualmoral der 1950er-Jahre ins Visier. Dabei lässt er sich ebenso elegant wie hintersinnig auf die Ästhetik der Zeit ein. Von Daniel kothenschulte

25 paTricio Guzmán

27 e-mail aus hollyWood

Nach dem Schließen von Videotheken und Filmkunsttheatern beginnen nun auch die Kabelsender im Schatten der VoD-Anbieter zu frieren. Ein Exodus gen Internet. Von Franz everschor

28 porTräTFilme

Der chilenische Dokumentarfilmer sucht in Filmen wie aktuell »Der Perlmuttknopf« nach Spuren der Vergangenheit seines Landes. Und findet dafür poetische, aufschlussreiche Filmbilder. Ein Interview.

Dokumentarische Porträts, etwa über Gerhard Richter, Helmut Berger oder Amy Winehouse, florieren. Inwieweit drücken die Betrachter den Objekten ihre Stempel auf? Und wie weit lassen sich diese in die Karten schauen?

Von wolfgang hamdorf

Von Ulrich kriest

26 FesTivals

30 Thomas schühly

Bei der Duisburger Filmwoche (2.–8.11.) und dem Internationalen Festival der Filmhochschulen in München (15.–22.11.) galt es, Filmschätze zu entdecken. Von Josef lederle und margret köhler

Nicht erst mit »Abwärts« (1984) ging es für den deutschen Filmproduzenten beständig aufwärts. Nach der engen Zusammenarbeit mit R.W. Fassbinder realisierte er Filme wie »Der Name der Rose« (Foto oben) oder »Der Totmacher«. Ein Porträt. Von rolf Giesen

34 maGische momenTe

Ang Lees prächtiges Schwertkampf-Epos »Tiger & Dragon« präsentiert Duelle wie Ballett, in einer tänzerischen Bilderpoesie. Von rainer Gansera

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RUbRIken EDITORIAL INHALT MAGAZIN DVD/BLU-RAY DVD-PERLEN TV-TIPPS ABCINEMA VORSCHAU / IMPRESSUM

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KiNo tom hanks »terminal« war 2004 (nach »der soldat James ryan« und »catch me if you can«) die dritte zusammenarbeit von tom hanks und steven spielberg: eine unterhaltsame, von nahezu schwereloser spiellaune und inszenatorischer akrobatik getragene fabel, die spielbergs beständige themen der heimatlosigkeit und des verlorenseins in einer fremden, feindseligen welt fortführte.

der ToTale Filmemacher

ein versuch über den schauspieler Tom hanks 10

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tom hanks KiNo in Spielbergs aktuellem Film »Bridge of Spies - der Unterhändler« rückt tom hanks erneut ins zentrum: in einem darstellerisch wie technisch gleichermaßen virtuos gestalteten kalte-krieg-drama, das unverkennbar gedankliche parallelen zur us-amerikanischen befindlichkeit nach den 9/11-anschlägen aufweist.

steven spielberg ist Amerikaner und macht Filme für Amerikaner aus amerikanischer sicht. in »Bridge of spies – Der Unterhändler« fand er dafür mit tom hanks einmal mehr den angemessenen Protagonisten: spätestens seit James ryan verkörpert hanks an erster stelle Amerika. Und tut dies in einer natürlichen Verlässlichkeit wie einst henry Fonda oder James stewart, die amerikanischen Akteure par excellence. von Fritz Göttler

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KiNo tom hanks ein mann will nach amerika, Viktor navorski, eben ist er am John f. kennedy flugplatz in new York gelandet, aus krakozhia – eins jener typischen, von hollywood erfundenen mitteleuropäischen länder, nicht ganz auf dem neuesten Zivilisationsstand. Ein Bürgerkrieg ist ausgebrochen in Krakozhia, während des Fluges, und die alten Reisepässe sind nicht mehr gültig. Der Mann steckt fest, er kann nicht herein nach Amerika, aber auch nicht mehr zurück nach Hause. Tom Hanks ist Viktor Navorski, er hat die Figur nach seinem Schwiegervater gestaltet, der aus Bulgarien kam. »the terminal« heißt der Film, inszeniert 2004, von Steven Spielberg. Der Mann wird, so lange das mit dem Pass nicht geklärt ist, gezwungen, im Niemandsland zu bleiben, im Transitraum JFK Airport. Das dauert, und ihm bleibt nichts anderes, als daraus sein eigenes kleines Reich zu machen. Der Weltmacht Bürokratie setzt er die stille Kraft der Solidarität entgegen.

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fReI VOm kORsett eIneR eRfOlgsmasche Solidarität ist etwas, auf das Tom Hanks sich versteht – die große amerikanische Tugend, die größte Kraft in den Krisenmanagements des Landes. Viktor Navorski ist der einzige (Noch-)Nicht-Amerikaner, den er in seiner Karriere verkörpert hat. 2011, als die Krise tatsächlich amerikanische Existenzen bedroht, bringt er seinen Film »larry crowne« in die Kinos, über die Betrogenen und Ausgebeuteten der Wohlstandsgesellschaft, und als er eines Tages an einer Tankstelle in Pacific Palisades seinen Wagen betankt, spricht ein Paar ihn an. Sie lieben ihn, sagen sie zu ihm, waren aber nicht begeistert von Larry Crowne. Tom Hanks bittet um Entschuldigung, langt in die Hosentasche und zieht 25 Dollar heraus, die er ihnen überreicht, als Vergütung für die Kinotickets. Dies ist Tom Hanks, der totale Filmemacher. Der sich verantwortlich fühlt für sein ganzes Produkt – er hat Larry Crowne co-produziert, die Hauptrolle gespielt, das Drehbuch geschrieben,

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In 35 Jahren entwickelte sich Tom Hanks immer mehr zum »totalen Filmemacher«, vor allem vor der Kamera, zunehmend aber auch als Produzent und Regisseur. Impressionen aus 15 Spielfilmen mit Tom Hanks:

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»Forrest Gump« (1993) »Catch Me If You Can – Mein Leben auf der Flucht« (2002) »Der Soldat James Ryan« (1998) »Extrem laut & unglaublich nah« (2011) »Meine teuflischen Nachbarn« (1988) »Larry Crowne« (2011) »Illuminati« (2009) »That Thing You Do!« (1996) »Saving Mr. Banks« (2013) »Nothing in Common – Sie haben nichts gemein« (1986) »Road to Perdition« (2002) »Captain Phillips« (2013) »The Green Mile« (1999) »The Da Vinci Code« (2006) »Der Krieg des Charlie Wilson« (2007)

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tom hanks KiNo Regie geführt, und nun zahlt er den unglücklichen Fans das Eintrittsgeld zurück. »Larry Crowne« ist ein Film am Puls von Amerika, Jahr für Jahr gibt es nun mehr davon, verquer zur durchschnittlichen Hollywood-Produktion. Larry Crowne wird gefeuert und macht sich unverdrossen auf die Suche nach einem neuen Job, er geht in einen Abendkurs, um einen Abschluss nachzuholen, und fängt an, mit einem Motorroller herumzukurven. Ein Stehaufmännchen, und dann ist da noch seine Lehrerin, Julia Roberts. Zwei in die Jahre gekommene Stars, frei vom Korsett einer Erfolgsmasche, auf ihrer eigenen Neuen Welle.

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In kleinen Disney-Produktionen hat Tom Hanks angefangen, da war der alte Walt Disney schon lange tot. Eine kleine Bande junger Filmnarren tummelte sich nun dort, Ron Howard und Brian Grazer, die damals noch zu einer Art amerikanischer Nouvelle Vague zählten, und sie holten den jungen Tom Hanks für die Hauptrolle in »Splash«, wo er sich in eine Meerjungfrau verliebt. Er war ein schlaksiger Typ, mit frechem Grinsen und überdrehten Gesten, das Kind im Manne, das er dann sehr lange sehr gern verkörpern sollte, nachdrücklich in »Big«. Mit einem Verlangen, die Welt zu erobern, und einigen Schwierigkeiten, zu begreifen, dass sie sich dem manchmal widersetzt. In »Punchline« himmelt er Sally Field an, die, Ehefrau und Mutter, es gleichfalls auf die Nightclub-Bühne zieht, und als es aus ist mit den beiden, inszeniert er seinen Abgang in klassischer Manier, »Singin’ in the Rain«, als Imitation von Gene Kelly und dessen Selbstgefälligkeit und Selbstmitleid. shOOtOUt Im sYnchROnstUdIO Nach den »Oscars« hat Tom Hanks dann Verantwortung übernommen, in »Apollo 13« oder »Saving Private Ryan«. Es gibt erste Absonderung und Trennung vom Team, Führungsqualität und Autorität bilden sich heraus, und damit im Zusammenhang eine Aura der Einsamkeit. Tom Hanks verkörpert amerikanische Typen, Berufe, von denen amerikanische Jungs träumen: Astronauten, FBI-Beamte, Offiziere, Anwälte (noch im neuesten Film »Bridge of Spies«) – sogar ein Cowboy ist dabei: In der »Toy Story«-Trilogie leiht er dem hyperaktiven Woody seine Stimme. Hier hat er das Synthetische seines Jobs ganz unmittelbar erlebt, wie die Woody-Bilder, die die Pixar-Computergenies schufen, zusammenprallten mit den Woody-Sätzen, die Hanks produzierte, 20 und mehr verschiedene Variationen, und wie aus diesem Clash echte Kinomomente, eine Kinofigur entsteht. Schon Forrest Gump, der große amerikanische

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Fotos: UIP/Universal/Twentieth Century Fox/Kinowelt/Sony/Walt Disney/Warner Bros.

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aUf deR eRfOlgsWelle 1993 und 1994 hat Tom Hanks jeweils den »Oscar« als bester Schauspieler bekommen, sukzessiv für »Philadelphia« und für »Forrest Gump«, das hat außer ihm nur noch Spencer Tracy geschafft, in den 1930erJahren. Die Filme markieren einen Abschluss, die schauspielerische Jugend ist vorüber. Die Akteure dieser Generation sind noch mit Vorstellungen vom großen Kino auf die Sets gekommen – Ausschau haltend, sagt Tom Hanks, nach dem Regisseur auf einem Busby-Berkeley-Kran – und waren verblüfft, Operateure mit leichten Aeroflex unterwegs zu sehen. Ihr Spiel hat in den Filmen – Tom Hanks hat jede Menge gemacht in diesen Jahren – diese Verblüffung immer wieder reflektiert, die neue Freiheit, die auch eine produktive Ungewissheit war. Hanks macht romantische Komödien, »Splash« und »Big«, »The Burbs« und »Punchline«. Da ist er ein junger Kerl, der die Unabhängigkeit ausgerechnet im harten Geschäft der Stand-upComedians sucht, in den nächtlichen Wettbewerben in den New Yorker Nightclubs, im Kampf um die Kontrolle über das Publikum. In der Politik verliert derweil Amerika an internationaler Souveränität und an Integrationskraft im Innern.

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KiNo tom hanks Simplicissimus, ist eine wundervolle synthetische Figur: der zylinderförmige Kopf und der Haarschopf, der vorwitzig in die breite Stirn hineindrückt, dieses wahnwitzige unschuldige Lächeln und der singende Südstaaten-Drawl, dieser eigensinnige Blick, Verkörperung von Lethargie und Retardation. »Are you crazy or just plain stupid?«, wird er einmal gefragt. alle fÜR eInen In die Südstaaten-Kids hat Hollywood schon immer am liebsten den Mythos von der amerikanischen Naivität und Unschuld projiziert. Forrest Gump, der mit seinem exorbitant niedrigen IQ die amerikanische Geschichte bis in die revolutionären NachvietnamJahre passiert, überall auftaucht, neben John Lennon und John F. Kennedy, ohne wirklich dabei zu sein. Selig, die nicht wissen, was sie tun. »Stupidity as redemption« hat Jonathan Rosenbaum das genannt, eine ganz eigene amerikanische Lost Generation. Mit »Saving Private Ryan« beginnt dann ein Diskurs der Professionalität bei Tom Hanks, der sich bis zu »Captain Philips« hinziehen wird. Hier ist die Message, die dem Regisseur Steven Spielberg immer mehr im Kopf herumspukt, ganz in Handeln aufgelöst, hier ist der alte hawkssche Geist ins Kino zurückgekehrt. Als Captain John H. Miller muss Tom Hanks die Algebra des amerikanischen Mythos bis zum Ende durchrechnen – alle für einen, um jeden Preis muss der Soldat James Ryan gerettet werden im Endstadium des Zweiten Weltkriegs. Die gleichen Rechenkunststücke vollbringt er dann auch in »Bridge of Spies«, in der Figur eines Versicherungsanwalts, der mit den Ostfunktionären um die Herausgabe amerikanischer Gefangener verhandelt. Und die Menschen, um die es dabei geht, sind klassische MacGuffins. Tom Hanks und seine jungen Teammitglieder hatten bei »Saving Private Ryan« ein paar Wochen militärisches Training, dann zogen sie auf die Sets. Es gab keine Kameraschienen, erinnert sich Hanks, und keine Markierungen, auf die man beim Spielen achten musste. Nimm deine Kamera und folge Captain Miller, sagte Spielberg dem Kameraoperator Mitch Dubin, pass nur auf, hier und da stecken ein paar Gimmicks im Boden, für die Explosionseffekte. Die schöne Dialektik zwischen Spiel und Kontrolle, zwischen Handlungsfreiheit und Rücksicht. RespOnsabIlItÄten Seit James Ryan haben viele Figuren, die Tom Hanks verkörpert – auch die Komödien, die er hin und wieder macht – einen Zug ins Monolithische. Er verkörpert nun an erster Stelle Amerika. Wird er sich je der Herausforderung stellen, mehr zu sein als »the American actor?«, fragt David Thomson in seinem Biographical Dictionary, wird er sich wieder auf eine Figur und eine Geschichte einlassen? Dies Defizit ist nicht Tom Hanks’ Schuld oder der anderen Stars seiner Zeit, das Star-System funktioniert heute anders als in der großen Studiozeit. Die Stars werden nicht von den Studios getragen, sie arbeiten mehr in Eigenverantwortung. Tom Cruise reagiert darauf mit schlimm forciertem Draufgängertum, James Franco mit seinem unerschütterlichen Narzissmus. Bei Tom Hanks gibt es immer noch natürliche Lässigkeit, den Rollen gegenüber. Er macht das wie einst Henry Fonda oder James Stewart, die amerikanischen Akteure par excellence. Sie haben fürs Kino die

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tom Hanks in »ladykillers« (2003) von Joel und ethan Coen: die regie-brüder coen bewiesen ihr feines gespür, indem sie den hollywood-star gezielt gegen sein image besetzten: hanks verwandelt sich in einen exzentrischen meisterverbrecher mit spitzbärtchen und im altmodischen gewand eines gentleman aus dem 19. Jahrhundert, charmant und eloquent. nur sein irres lachen und die sinistre vorliebe für edgar allen poe lassen auf die dunklen machenschaften schließen, die den südstaatenprofessor g. h. dorr iii dazu veranlassen, sich bei der bibeltreuen mrs. munson einzuquartieren.

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tom hanks KiNo Kunst der Langsamkeit, der Bedächtigkeit entwickelt in den Dreißigern und dann neu etabliert in den Fünfzigern, als der Krieg die Gesellschaft erschüttert hatte und Kontinuität verlangt war von den Akteuren. Die »respawnsibility of being Jimmy Stewart«, hat Peter Bogdanovich diese Arbeit in einem schönen Text genannt, den breiten, nuscheligen Tonfall von Stewart imitierend. Wie bei Fonda und Stewart der Weltkrieg, hat bei Tom Hanks die Invasionspolitik von Bush die Konturen verschärft. Der Amerikaner begann, zur bedrohten Spezies zu werden, und auch der amerikanische Akteur.

Bereits in »Cast away – Verschollen« (2000) von robert Zemeckis faszinierte tom hanks als verwandlungskünstler: glaubhaft gestaltete er die wut, verzweiflung und den kampfeswille des charismatischen, zivilisationsverwöhnten managers chuck noland, der als einziger überlebender auf einer kleinen insel strandet. auf dem nur von kokospalmen und schlingpflanzen bewachsenen, mit einem schroffen höhlenfelsen bedachten eiland kämpft er um seine physische und psychische existenz, wobei ihn der überlebenskampf immer mehr von der zivilisation entfremdet.

alan bean fOReVeR Tom Hanks ist darüber zum totalen Filmemacher geworden, hat selbst Regie geführt und mit seiner Frau Rita Wilson Filme produziert, »Mamma Mia« und »My Big Fat Greek Wedding«. Er ist begeistert von der Raumfahrt und sammelt alte mechanische Schreibmaschinen, bastelt Apps und macht in Musikvideos mit. Hanks ist, wie alle großen Hollywoodianer, voll und ganz pragmatisch. Weshalb er, während Spielberg sich in den letzten Filmen gern seinem Publikum als Geschichtserklärer präsentiert, mit »Lincoln«, »War Horse« und nun »Bridge of Spies«, mit untergründiger Subversivität dagegenhält. Der »Terminal«-Mann Viktor Narkowski schlurft inspiriert von Jacques Tati und Chico Marx durch seinen Transitraum, und als Kongressabgeordneter Charlie Wilson hatte Tom Hanks einen fidelen Kongressabgeordneten gegeben, der auf dubiosen Schleichwegen Waffendeals tätigte für Afghanistan – damals im Krieg mit den russischen Invasoren. Charlie Wilson war ein texanischer Vollblutdemokrat, trinkfest und eine große Nummer in den Whirlpools. Und bei Julia Roberts. Wenn Tom Hanks als Versicherungsanwalt Donovan in »Bridge of Spies« dem russischen Spion Abel einen mehr als fairen Prozess und ein anständiges Urteil verschafft, dann nicht rein um die amerikanische Demokratie strahlen zu lassen, sondern auch aus Lust am Widerspruch. Er spielt einfach gern alle gegen alle aus, zur Irritation nicht nur der sowjetischen und ostdeutschen Funktionäre, sondern auch der eigenen Leute. Die Lust am Risiko, am Abenteuer Demokratie. In einer Kurzgeschichte im »New Yorker« hat Tom Hanks seinen idealen Helden skizziert: Alan Bean, der vierte Mann, der auf dem Mond wandelte, mit Apollo 12. Der Erzähler trifft ihn in einem mexikanischen Restaurant in Houston: »Er bezahlte beim Kassierer, anonym wie ein Orthopäde, dem die Haare ausgingen, und ich schrie auf: Holy cow! Your’re Al Bean! Er gab mir sein Autogramm und zeichnete einen winzigen Astronauten über seinem Namen.« ¶

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KritiKeN neue filme

Unsere kleine Schwester

Lyrische Meditationen über die Schönheit und das Glück des Daseins »große lust habe ich nicht auf die Veranstaltung«, sagt Yoshino beiläufig zu ihrer schwester chika. Sie sind mit dem Zug nach Yamagata unterwegs. Sie lachen, essen und versuchen sich zu erinnern, wie meistens, wenn sie zusammen sind, an ihren Vater, zu dessen Beerdigung sie fahren. 15 Jahre lang haben Yoshino, Chika und ihre ältere Schwester Sachi ihren Vater nicht gesehen und auch keinen Kontakt zu ihm gehabt. Vage wissen sie, dass er zuletzt mit seiner dritten Frau gelebt haben muss. Aber dass die drei jungen Frauen noch eine 14-jährige Halbschwester haben: das ist neu für sie. Freundlich werden sie von Suzu in Yamagata empfangen, und schnell wird deutlich, dass Suzu ihren Vater in den letzten Monaten gepflegt hat. Beim Abschied fragt Sachi spontan, ob Suzu nicht bei ihnen leben will, in dem großen alten Haus, in dem sie seit dem Umzug ihrer Mutter alleine leben. Und Suzu sagt ja. So finden sie in dem gewohnt ruhig erzählten Familien- und Frauenfilm von Hirokazu Kore-

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eda zusammen, die älteren Schwestern, die sich erst von ihrem Vater und später auch von ihrer Mutter im Stich gelassen fühlen, und die noch jugendliche Schwester, die ihren Vater liebte, aber wütend auf ihre Mutter ist. Schon in Kore-edas »Nobody Knows« (2004) ging es um abwesende Eltern. Doch während dieses erschütternde Drama um mehrere Kinder die existenziellen Folgen beschrieben, als sie von ihrer Mutter ohne Ankündigung allein in der Wohnung zurückgelassen werden und urplötzlich auf sich selbst gestellt sind, erzählt »Unsere kleine Schwester« erstaunlich versöhnlich von den Fehlern der Eltern und deren Auswirkungen auf die Kinder. Die Kindheit sei ihnen von den Erwachsenen genommen worden, heißt es einmal. Nun müssten sie sich diese wieder zurückholen. Trotzdem führt der Weg der Geschwister nicht zurück, sondern nach vorne. Das Mysterium des verantwortungslosen Vaters wird nach und nach entzaubert. Aus der

Sichtweise von Suzu erscheint dieser plötzlich nicht mehr nur als verantwortungsloser Lebemann – und für die älteren Geschwister wird Suzu zu einem Geschenk. »Umimachi Diary«, zu deutsch »Tagebuch einer kleinen Küstenstadt«, lautet der Titel der Manga-Vorlage von Akimi Yoshida, die sich insbesondere an junge Frauen richtet. Der mit langem Atem erzählte japanische Comic legt dabei viel Wert auf Figurenentwicklung und genaue Beobachtungen. Diese Erzählweise trifft auch auf Kore-eda zu. Unaufgeregt folgt er den Schwestern über mehrere Monate und beobachtet, wie sich ihre Beziehungen im Laufe der Jahreszeiten verändern. In den Mittelpunkt rücken dabei vor allem die älteste und die jüngste Schwester. Längst hat Sachi die Rolle des Familienoberhaupts in der WG übernommen und ist zur »Heimleiterin« geworden, wie Yoshino einmal augenzwinkernd anmerkt. Ungewollt ist sie in eine Mutterrolle geschlüpft und ähnelt ihrer eigenen Mutter oft mehr, als ihr lieb

ist. Zudem scheint sie auch selbst in die Fußstapfen ihres Vaters zu treten, weil sie ein Verhältnis mit einem verheirateten Mann hat. Suzu hingegen findet in den älteren Schwestern eine neue Familie und ein Zuhause, das ihr mehr Geborgenheit bietet, als sie bislang gewohnt war. Vor allem Sachi wird für sie zu einer wichtigen Bezugsperson. Und irgendwann darf sie sogar deren Sommerkimono tragen und ihre Größe am Türrahmen markieren, gleich neben Sachi, Yoshino und Chika. Anstatt großer dramatischer Wendepunkte konzentriert sich die Inszenierung ganz auf das scheinbar Nebensächliche, dessen Schönheit und Glück sichtbar wird: eine Fahrt mit dem Fahrrad durch eine Allee voller Kirschbäume, deren Blüten in betörend schönen Farben erstrahlen (und die im japanischen Kino doch gleichzeitig auch immer auf die Vergänglichkeit und den Tod verweisen), den Ausblick von einem hoch gelegenen Lieblingsort, ein Feuerwerk im Garten oder einen Spaziergang am Strand. Die reduzierten Zeichnungen des Mangas übersetzt Kore-edas Kameramann Mikiya Takimoto in stimmungsvolle Bilder. Die sanften, weichen und fließenden Kamerabewegungen verleihen dem Film eine lyrische Qualität, während das grobkörnige Filmmaterial für eine fast schon nostalgische Tönung sorgt. »Unsere kleine Schwester« kommt ohne die großen inneren Konflikte aus, die noch Koreedas Protagonisten in »Like Father, Like Son« (2013) bei der Auseinandersetzung mit Elternund Kinderrollen auszutragen hatten. Wie in »Still Walking« (2008) spielt auch hier das gemeinsame Essen eine bedeutende Rolle, vom Einkaufen über die Zubereitung bis zum gemeinsamen Verzehren. Beim Essen trifft man sich, zu Hause

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neue filme KritiKeN und in der Bar, bei der netten alten Köchin, die schon den Vater kannte. Beim Essen wird gelacht und geweint. Essen ruft Erinnerungen hervor und verbindet die Gegenwart mit der Vergangenheit, wenn der Geschmack des mit Fisch belegten Brots Erinnerungen an den Vater weckt und der Jahr für Jahr selbst hergestellte und sorgsam gehütete Pflaumenwein die an die Großmutter. Der feinfühlige Blick für das Alltägliche und die kleinen Gesten zeichnen den Film aus, der durch seine leisen Töne berührt, von einer tiefen Menschlichkeit getragen wird und in dem der Tod auch immer ganz nahe bei den Lebenden steht. stefan stiletto

im Herzen der See

Ron Howards Ozean-Abenteuer à la »Moby Dick« BeWertUNG der FilMKoMMiSSioN

auf der beerdigung ihres vaters, der 15 Jahre zuvor die familie verließ, lernen drei junge frauen ihre jüngere, ihnen bis dahin unbekannte halbschwester kennen und laden sie ein, mit ihnen im alten familienhaus zu wohnen. einfühlsam beobachtet der stille, bedächtig inszenierte familien- und frauenfilm das zusammenleben der geschwister, die nach und nach zueinander und zu sich selbst finden. dabei legt er großen wert auf die darstellung von alltagsritualen, in denen sich die schönheit und das glück des daseins manifestieren. eine lyrische, in ihrer stillen beiläufigkeit tief berührende meditation über den kreislauf des lebens. – sehenswert ab 14.

Fotos S. 36-49: Jeweilige Filmverleihe

unimachi diary. Japan 2015 regie: hirokazu kore-eda darsteller: haruka ayase (sachi koda), masami nagasawa (yoshino), kaho (chika), suzu hirose (suzu asano), ryô kase, kirin kiki länge: 127 min. | Kinostart: 17.12. 2015 Verleih: pandora | FSK: ab 0; f Fd-Kritik: 43 553

Wahrscheinlich hat jeder seinen eigenen kleinen »moby dick« im hintersten Winkel seines herzens. eine nemesis, etwas, was man einst gierig verfolgte, und das einen dann selbst zu verfolgen begann. Für Kapitän Ahab aus »Moby Dick« ist es dieser Weiße Wal, der ihm ein Bein abriss und der nun dafür bluten soll. Für seinen Steuermann Starbuck wird Ahabs Wahn zum roten Tuch. Und für ihren literarischen Schöpfer Herman Melville, so will es diese neue Variation des schon oft erzählten Stoffes, ist es die Niederschrift jener Geschichte, die den jungen Schriftsteller nicht mehr loslässt. Regisseur Ron Howard betreibt damit eine Loslösung. Die Erlebnisse des Walfangschiffs Essex, die Melville zu »Moby Dick« inspiriert haben sollen, trug vor einigen Jahren ein gleichnamiger Tatsachenroman zusammen, auf dem »Im Herzen der See« basiert. Allerdings beginnt die Geschichte mit einer Rahmenhandlung. Darin sucht Melville den gealterten Schiffsjungen Thomas Nickerson auf, der

ihn an seinen traumatischen Erfahrungen auf der Essex teilhaben lässt. Der Film etabliert zunächst Nickersons Perspektive, nimmt dann aber die des erfahrenen Walfängers Chase ein, der den wohlverdienten Kapitänsposten an den Sohn eines Anteilseigners abtreten muss. Mit fatalen Konsequenzen, wie sie schon der erste Sturm einläutet. Richtig dezimiert wird die Mannschaft allerdings erst, als sie sich mit der Herde eines riesigen Pottwals anlegt, dessen Rache menschliche Züge annimmt – bis das Tier seinen vernarbten Körper ein letztes Mal triumphierend aus den Wogen springen lässt, was die Wale hier gerne tun, wenn sie nicht gerade in Armlänge an den Schaluppen vorbeischrappen. Es ist schon verwunderlich, wie die Authentizität im gleichen Maße abnimmt, mit dem die Spezialeffekte in den digital hochgerüsteten Kinosälen für noch mehr Unmittelbarkeit sorgen sollen – diesmal sogar in »RealD 3D«. Die (pixel)genaue Abbildung eines übergroßen

Mythos trägt aber selten zu dessen Ruhm bei. »Im Herzen der See« macht da, trotz WilliamTurner-Horizonten und schwindelerregenden Takelage-Ausflügen, keine Ausnahme, wobei die »Gemachtheit« der Dialoge die der Effekte noch übertrifft. Ging es in »Moby Dick« noch um die Angst vor dem Unbeherrschbaren, um Hybris, Religion und Obsession, wird »Im Herzen der See« von schnöden unternehmerischen Fehlentscheidungen geprägt. Allein die Konfrontation mit dem eigenen Dämon, ob in Gestalt der Harpune oder der Schreibfeder, sorgt in diesem entmystifizierenden Hochseedrama für etwas Tiefgang. Es könnte durchaus sein, dass sich der CGI-aufgepumpte Blockbuster für Ron Howard zum kleinen »Moby Dick« entwickelt, der ihn noch lange verfolgt. kathrin häger BeWertUNG der FilMKoMMiSSioN

die dramatischen erlebnisse des walfängers essex, der 1820 auf hoher see von einem rachsüchtigen pottwal zum kentern gebracht wurde, was herman melville zu seinem romanklassiker »moby dick« inspirierte. die nunmehr auf dem entmystifizierenden tatsachenroman von nathaniel philbrick fußende verfilmung bricht melvilles geschichte um hybris, obsession und religion auf das sujet eines schiffbrüchigen herunter, wobei überbordende spezialeffekte und die hölzerne inszenierung dem stoff alle mythischen anklänge austreiben. – ab 14.

in the heart of the sea. usa 2015 regie: ron howard darsteller: chris hemsworth (owen chase), benjamin walker (george pollard Jr.), cillian murphy (matthew Joy), tom holland (thomas nickerson) länge: 122 min. | Kinostart: 3.12.2015 Verleih: warner | FSK: ab 12; f Fd-Kritik: 43 554

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KritiKeN dvd-serien

the Honourable Woman

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dame, König, as, Spion

Brillante mischung aus Politthriller und Familiensaga

Britischer serienklassiker nach John le carrés Kultroman

Was für ein beginn: 29 Jahre vor der in der Jetztzeit liegenden handlung sitzen die kinder nessa und ephra stein mit ihrem Vater am frühstückstisch in einem luxushotel. Martin Phipps’ elegisch drohende Musik erklingt, und als die Stimme einer Frau aus dem Off über das scheinbare Idyll resümiert: »Es ist ein Wunder, dass wir überhaupt noch jemandem vertrauen!«, da ist der schreckliche Mord geschehen. Jetzt, 29 Jahre nach dem Terrorakt, dem damals ihr Vater zum Opfer fiel, leiten die Geschwister höchst erfolgreich das Rüstungsimperium ihres Vaters – wenn auch sicherlich nicht in seinem Sinne: Nessa Stein, Sprachrohr und heimliche Entscheiderin, nutzt das Geld, um ihr Heimatland Israel mit den Palästinensern zu befrieden. Sie setzt auf Kultur, Bildung und den Zugang zu Informationen, fördert palästinensische Musiker, Universitäten und verlegt Glasfaser-Kommunikationskabel in der West Bank. Wer ist diese ehrenwerte und mächtige Frau Nessa Stein wirklich? Der Vorspann ist noch nicht ganz vorbei, da befindet man sich in einem fesselnden Strudel aus latenten Bedrohungssituationen und erkennt, dass in dieser Miniserie nichts unmöglich ist. »The Honourable Woman« ist ein Glücksfall. Die Saga der gar nicht so ehrenwerten Familie Stein weitet sich zu einer Geschichte um Spionage, Gewalt und Bigotterie epischen Ausmaßes. Im Mittelpunkt steht die Konzern-Chefin, die, einst selbst Geisel, nun durch eine weitere Entführung im Familienkreis in ihrem Friedensbegehren mürbe gemacht werden soll. Mit beteiligt im Kampfspiel um Macht und Einfluss im Nahen Osten sind nicht nur Guerillas und Terroristen, sondern auch der britische und amerikanische Geheimdienst, der konkurrierend seine Finger gnadenlos nach den Steins ausstreckt. In »The Honourable Woman« gibt es keine Gewissheiten. Am wenigsten in Bezug auf Nessa Stein, die zudem noch ein besonders delikates Geheimnis aus ihrem Privatleben verbirgt. Mit der Mini-Serie liefert die BBC einmal mehr Spannungsfernsehen, das formal hochpreisigen Kinofilmen die Stirn bietet. Atemberaubende Parallelmontagen wechseln mit präzise eingefangenen, intimen Charakterstudien einer Familie am Abgrund. Ein großartiger Musikeinsatz und eine Tonspur, die auch einmal den Mut zur Stille aufbringt, stellen den Darstellern eine zusätzliche emotionale Wirkungsebene zur Seite und ergänzen deren durchweg brillantes Spiel. »The Honourable Woman« ist ein siebeneinhalbstündiges Meisterwerk, in dem die mit dem »Golden Globe« ausgezeichnete Maggie Gyllenhaal nur ein Mosaiksteinchen zum Erfolg bildet. Auch Stephen Rea als charismatischer MI6-Gewaltiger Hugh Hayden-Hoyle setzt Glanzpunkte. Bislang ohne deutschen Free-TV-Termin, gehört die Serie zum Besten, was im Paranoia-»Kino« je produziert wurde. – Sehenswert ab 16. Jörg Gerle

das spionage-geschäft, wie es John le carré in seinen agenten-Romanen schildert und wie es auch die aus sieben episoden bestehende britische serien-Verfilmung von »dame, könig, as, spion« aus dem Jahr 1979 zeigt, hat wenig mit dem glamour eines James bond zu tun. Melancholie weht durch die Flure des »Circus«, der Geheimdienstzentrale am Londoner Cambridge Circus: eine Ahnung davon, dass die glanzvollen Zeiten des Empire längst vorbei sind. Die gegenwärtige politische Situation im Kalten Krieg gestaltet sich als Tretminenfeld an Loyalitäten und Aversionen, an Machtinteressen und Zugeständnissen; sie erfordert keine auftrumpfenden Helden, sondern Männer wie George Smiley, den ultimativen Anti-007 – jemanden, der ohne großes Tamtam und persönliche Eitelkeit mit Fingerspitzengefühl, Menschenkenntnis und Diskretion handelt. Und das mehr denn je angesichts des ebenso peinlichen wie brisanten Jobs, mit dem der bereits in Rente abgeschobene Smiley hier betraut wird. Es gilt, einen Verräter in den eigenen Reihen ausfindig zu machen, der von den Russen direkt in die Führungsetage des »Circus« eingeschleust wurde. Gary Oldman hat seine Sache als George Smiley in der Spielfilm-Neuverfilmung von »Dame, König, As, Spion« (2011) durchaus gut gemacht; trotzdem ist und bleibt für viele Fans Sir Alec Guinness, der die Rolle in der kultisch verehrten Miniserie verkörperte, der ultimative Smiley – kein Wunder, hatte Guinness doch den Segen und die Unterstützung von Autor John le Carré höchstpersönlich und findet in dem Agenten-Stoff eine wunderbare Bühne für seine Understatement-Darstellungskunst. Ein Wiedersehen mit diesem Parade-Auftritt ermöglicht die DVD-Edition von Pidax; sie präsentiert die Serie im englischen Original wie auch mit der alten deutschen TV-Synchronisation (wobei die Szenen, die in der deutschen Fernsehfassung weggeschnitten wurden, im englischen Original mit Untertiteln eingefügt wurden). – Ab 14. Felicitas kleiner

the honourable woman | großbritannien 2014 | regie: hugo blick | darsteller: maggie gyllenhaal, andrew buchan, stephen rea, lindsay duncan, lubna azabal

tinker tailor soldier spy | großbritannien 1979 | regie: John irvin darsteller: alec guinness, michael Jayston, anthony bate, george sewell

länge: 450 min. (8 teile) | FSK: ab 16 | anbieter: polyband | Fd-Kritik: 43 571

länge: 312 min. | FSK: ab 12 | anbieter: pidax | Fd-Kritik: 43 572

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KritiKeN fernseh-tipps

Sa

samstag 12. deZeMBer

12.15 – 14.00 Wdr Fernsehen die Zürcher Verlobung r: helmut käutner charmante filmbranchen-komödie brd 1957 ab 14

23.30 – 01.35 zdf_neo apocalypto r: mel gibson opfer-spektakel aus der maya-zeit usa 2006 ab 16

20.15 – 23.55 Sat.1 Herr der ringe: die zwei türme r: peter Jackson mittelteil der tolkien-trilogie usa/nz 2002 sehenswert ab 14

00.00 – 01.40 rbb Fernsehen der Westen leuchtet! r: niklaus schilling stasi-agent verfällt fast dem westen brd 1982 sehenswert

20.15 – 22.05 zdf_neo die Mumie r: stephen sommers neuverfilmung des horror-klassikers usa 1999 ab 14 22.00 – 00.50 Servus tV Johanna von orleans r: luc besson das leben von Jeanne d’arc als actionfilm f/usa 1999 sehenswert ab 16 23.10 – 00.50 hr fernsehen tatort – tote taube in der Beethovenstraße r: samuel fuller stilistisch eigenwillige »tatort«-folge brd 1972 23.25 – 01.25 ProSieben Fright Night r: craig gillespie gelungenes teenhorror-komödienremake usa/indien 2011 ab 16

01.35 – 03.20 zdf_neo High Heels r: pedro almodóvar knalliges pop-art-melodram spanien/frankreich 1991 ab 16 03.00 – 05.08 das erste red river r: howard hawks pflegesohn rebelliert gegen viehzüchter usa 1948 sehenswert ab 14 03.20 – 05.50 zdf_neo der duft der Frauen r: martin brest fesselnde charakterstudie mit al pacino usa 1992 sehenswert ab 16

hirsch heinrich

12. dezember, 07.50 – 09.00

mdr

alles trick

an die Gründung des deFa-trickfilmstudios vor 60 Jahren in dresden erinnert der mdr mit seiner »alles trick«-reihe, die diesmal mit winterlich-weihnachtlichen kurzfilmen behagliche geschichten ausfabuliert. in der zusammenstellung mit dabei ist auch ein echter defa-klassiker, »hirsch heinrich« (08.00 – 08.25) von günter räts nach einer geschichte von fred rodrian. darin bricht der titelgebende hirsch verärgert aus dem zoo aus, als die kinder vor lauter weihnachtsstress nicht mehr zu ihm kommen. als er jedoch entdeckt, dass seine kleinen besucher auch den waldtieren an weihnachten eine freude machen wollen, schämt er sich und trabt in sein gehege zurück, wo er schon sehnsüchtig erwartet wird. 07.50 – 07.55: 07.55 – 08.00: 08.00 – 08.25: 08.25 – 08.35: 08.35 – 09.00:

die schöne anna-lena Meine erste Hochzeit Krixi, das teufelchen Hirsch Heinrich ein Weihnachtsmärchen

12./14./17. dezember

rbb fernsehen/arte/mdr

armin Mueller-Stahl

am 17.12. feiert armin Mueller-Stahl seinen 85. Geburtstag. der 1930 in tilsit geborene spross einer künstlerfamilie wollte ursprünglich geiger werden, wurde von helene weigel dann aber fürs theater entdeckt, debütierte 1960 auf der leinwand und ist der einzige deutsche filmschauspieler, dem in beiden deutschen staaten und in hollywood große anerkennung zuteil wurde. drei fernsehsender ehren den grandseigneur der leisen töne. rbb zeigt am 12.12. »die farben des herbstes« (22.20–00.00) und »der westen leuchtet« (00.00–01.40), arte widmete ihm am 14.12. eine hommage mit »nackt unter wölfen« (20.15–22.15), »utz« (22.15–23.50) und dem defa-drama »die flucht« (23.50–01.25). der mdr gratuliert am 17.12. mit dem porträt »deutschland, deine künstler: armin mueller-stahl« (23.30–00.15) und einem gala-konzert zu ehren des Jubilars (00.15–02.20).

Weihnachtsfilme

der polarexpress

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13.12., 07.10 – 08.40, mdr 14.12., 20.15 – 22.10, sat.1 15.12., 20.15 – 22.15, sat.1 19.12., 10.00 – 11.05, rbb fernsehen 20.12., 22.20 – 00.20, servus tv 21.12., 20.15 – 22.40, kabeleins 23.12., 20.15 – 22.15, sat.1 23.12., 22.30 – 00.40, kabeleins 24.12., 06.55 – 08.25, sat.1 24.12., 08.25 – 10.05, sat.1 24.12., 13.40 – 15.25, sat.1 24.12., 15.55 – 17.25, 3sat 24.12., 18.00 – 19.55, sat.1 24.12., 21.55 – 23.40, 3sat 25.12., 22.25 – 00.30, rbb fernsehen 25.12., 04.25 – 06.10, prosieben

die Weihnachtsklempner (ddr 1986; r: helmut krätzig) Santa Claus 3 – eine frostige Bescherung (usa 2006; r: michael lembeck) der Weihnachtskrieg (deutschland 2013; r: oliver dommenget) Bernie und der Weihnachtsgeist (großbritannien 1991; r: paul weiland) das Wunder von New York (usa 2013; r: phil morrison) das Wunder von Manhattan (usa 1994; r: les mayfield) disneys eine Weihnachtsgeschichte (usa 2009; r: robert zemeckis) die Geister, die ich rief… (usa 1988; r: richard donner) oh je, du fröhliche (usa 2006; r: paul feig) allein zu Haus – der Weihnachtscoup (usa 2012; r: peter hewitt) arthur Weihnachtsmann (usa 2011; r: sarah smith, barry cook) Weihnachtsmann gesucht (deutschland 2002; r: uwe Janson) der Polarexpress (usa 2004; r: robert zemeckis) eine Weihnachtsgeschichte (großbritannien 1984; r: clive donner) ist das leben nicht schön? (usa 1947; r: frank capra) die Gebrüder Weihnachtsmann (usa 2007; r: david dobkin)

Fotos S. 56 – 65: Jeweilige Sender.

die Vorfreude auf Heiligabend lässt sich auch dieses Jahr mit einer reihe schöner Weihnachtsfilme steigern, die jeden geschmack bedienen: von der defa-komödie »die weihnachtsklempner« über den motion-capture-trickfilm »der polarexpress« bis hin zum klassiker »ist das leben nicht schön?« von frank capra.

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fernseh-tipps KritiKeN

So 05.40 – 07.10 mdr Snowy river r: george miller epischer, humaner abenteuerfilm australien 1982 sehenswert ab 12 05.45 – 07.15 rbb Fernsehen Winky will ein Pferd r: mischa kamp chinesisches mädchen wünscht sich pferd belgien/nl 2005 sehenswert ab 6 07.10 – 08.40 mdr die Weihnachtsklempner r: helmut krätzig warmherziger weihnachtsfilm ddr 1986 ab 14 12.45 – 14.00 mdr Wie heiratet man einen König? r: rainer simon eigenwilliges märchen und kluges lehrstück ddr 1969 ab 10 14.05 – 15.15 rbb Fernsehen das singende, klingende Bäumchen r: francesco stefani fantasievolles märchen ddr 1957 ab 6 15.20 – 15.30 rbb Fernsehen die drei Holzfäller r: leonid amalrik zeichentrick-märchenklassiker udssr 1959 sehenswert ab 6 22.20 – 00.05 Servus tV Hawking – die Suche nach dem anfang der Zeit r: philip martin biopic des genialen physikers großbritannien 2004 ab 16

Mo

sonntag 13. deZeMBer 23.00 – 00.55 rbb Fernsehen der Mann mit dem goldenen arm r: otto preminger düsteres porträt eines drogensüchtigen usa 1955 sehenswert ab 16 00.05 – 01.38 das erste Moon – die dunkle Seite des Mondes r: duncan Jones spannendes science-fictionkammerspiel großbritannien 2009 ab 14 00.05 – 01.30 Servus tV die Höhle der vergessenen träume r: werner herzog herzog auf höhlentour f/kanada 2010 sehenswert ab 14 01.40 – 03.05 das erste eine Familie wie jede andere r: richard levine drehbuchautor wird von allen übel mitgespielt usa 2010 ab 16 01.45 – 03.10 hr fernsehen Praunheim Memoires r: rosa von praunheim der regisseur blickt auf seine Jugend zurück deutschland 2014 ab 16 03.05 – 04.40 der Chef r: Jean-pierre melville kühles gangsterepos frankreich/italien 1972

das erste

ab 16

13./23. dezember arte/rbb fernsehen

Happy Birthday, Frank Sinatra

»the Voice« genannt zu werden ist für eine Sänger wohl das größte Kompliment, das ihm zuteil werden kann. der 1915 geborene frank sinatra, der in der goldenen ära des swing groß wurde, stieg aber nicht nur als musiker zur ikone auf, sondern war auch als schauspieler äußerst erfolgreich; als nebendarsteller in »verdammt für alle ewigkeit« (1953) gewann er sogar einen »oscar«. im nachgang zu seinem 100. geburtstag am 12.12. würdigen arte und rbb den star. arte zeigt am 13.12. den dokumentarfilm »frank sinatra – die stimme amerikas« (21.50 – 23.25) von annette baumeister, ein porträt, das leben und karriere des künstlers revue passieren lässt und seinem nimbus nachspürt. rbb und das bayerische fernsehen ehren sinatra mit »der mann mit dem goldenen arm« von otto preminger (23.00 – 00.55 bzw. 23.20 – 01.15). am 23.12. folgt bei arte george sidneys »pal Joey« (14.00 – 15.45), ein musical mit sinatra an der seite von rita hayworth und kim novak. um 20.15 uhr laufen dann die beiden teile des porträts »frank sinatra »all or nothing at all« von alex gibney: geprägt von der musikauswahl für sein berühmtes »abschiedskonzert" im Jahr 1971 in los angeles, präsentiert der film eine persönliche reise durch das leben des sängers. swr fernsehen/mdr/br fernsehen

ab 12. dezember

100. Geburtstag Curd Jürgens

der »normannische Schrank« (1915 – 1982) war einer der wenigen wirklichen Weltstars des (west-)deutschen Nachkriegskinos. vor romy schneider, mit der er in robert siodmaks »katja, die ungekrönte kaiserin« (13.12., 13.50–15.25, br) gemeinsam vor der kamera stand, war er der »einzige, der das provinzielle abschüttelte und etwas weltmännisches ausstrahlte« (peter buchka). ein narziss und playboy, der mit sonorer whisky-stimme und strahlend blauen augen sein und schein in perfekter harmonie zelebrierte und in mehr als 160 filmen vor der kamera stand. aus der reichen filmografie des draufgängerischen lebemannes haben die fernsehsender zum 100. geburtstag am 13. dezember einen bunten strauß gebunden, der vom späten tatort »rot – rot – tot« (1977) bis zu seinem internationalen durchbruch mit »des teufels general« (14.12, 23.40–01.35, mdr) reicht. 12.12., 21.50 – 23.20, swr fernsehen 12.12., 23.20 – 01.15, swr fernsehen 13.12., 13.50 – 15.25, br fernsehen 14.12., 23.40 – 01.35, mdr 16.12., 12.30 – 14.00, mdr

tatort: rot – rot – tot der Schinderhannes Katja, die ungekrönte Kaiserin des teufels General du mein stilles tal

montag 14. deZeMBer

20.15 – 22.15 arte Nackt unter Wölfen r: frank beyer kz-häftlinge müssen ein kind verbergen ddr 1963 sehenswert ab 14 20.15 – 22.40 kabeleins Speed r: Jan de bont actionthriller mit sandra bullock usa 1994 sehenswert ab 16 22.10 – 00.00 Servus tV Frozen river – auf dünnem eis r: courtney hunt alleinerziehende lässt sich auf schmuggel ein usa 2008 sehenswert ab 16 22.15 – 23.50 arte Utz r: george sluizer studie eines sammlers im sozialismus gb/irland/d 1991 sehenswert ab 16

14. dezember, 22.15 – 23.50

arte

Utz

Baron Kaspar Joachim von Utz (armin Mueller-Stahl) hat sein leben der Suche nach dem »weißen Gold« verschrieben. seine prager altbauwohnung ist bis oben ihn gefüllt mit meißner porzellanfiguren, die er nach seinem ableben dem sozialistischen regime »vermachen« soll, auf die aber auch ein new yorker kunsthändler ein auge geworfen hat. als der händler nach einem schlaganfall des sammlers profitgierig in prag »einfällt«, ist utz bereits tot und die sammlung verschwunden, ebenso wie dessen haushälterin marta. in brillanten bildern und kunstvoll eingesetzten rückblenden erzählt george sluizer in dieser romanadaption von der stellung der kunst innerhalb einer von ideologie und diktatur beherrschten zeit, wobei der exzentrisch ausgelebte individualismus des sammelwütigen am ende doch nur zu vereinsamung und einschränkungen führt.

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