FILMDIENST 8/2013

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Film dienst

PortrÄt

tom tykwer der regisseur fördert junges afrikanisches kino

Das Magazin für Kino und Filmkultur € 4,50 www.filmdienst.de 66. Jahrgang 11. april 2013

8|2013

wagner marsch!

das ende vom lied Der deutsche musikfilm während des ns-Regimes

die kino-karriere von richard wagner d neu auf dV

peter weir: das frühwerk

natur entdecken • naturdokumentationen boomen, doch liefern sie mehr als spektakuläre Bilder? •tradition und innovation: naturfilme zwischen erzählerischen mustern und neuen aufnahmetechniken

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seiten extra-heft alle filme im tv vom 13. bis 26. april


Filmdienst 8 | 2013 richard wagner hinterließ auch im kino spuren. Bekanntest Bekanntestes Beispiel: der „walkürenritt“ enritt“ in „apocalypse now“ (s. 18)

alle filme im tv vom 13.4. bis 26.4. das extraheft 40 Seiten Extra-Heft: 80.000 F

Alle Filme im TV

ilmdienst.d u n t e r w w w. f ilm-Kritiken

ICH UND DU UND ALLE, 18.4. zdf.kultur

e

IN GEFAHR UND HÖCHSTER DEN TOD NOT BRINGT DER MITTELWEG 14.4. zdf.kultur

DIE WIR KENNEN

WILLKOMMEN BEI DEN 13.4. BR

SCH‘TIS

Sonderbeilage

BEIM LEBEN MEINER SCHWESTER 17.4. SAT 1

FIlM

IM tV

CHE - REVOLUCIÓN 24.4. hr

13.4.–26.4.2013

BIS ZUM LETZTEN MANN 26.4. mdr

ADVENTURELAND 21.4. ProSieben

Kino 10

natur Pur? Naturdokumentationen haben in den letzten zehn Jahren verstärkt ihren Weg ins Kino gefunden. Auch dank neuer Aufnahmetechniken, die atemberaubende Bilder generieren. Doch wie ist es um die inhaltliche Qualität bestellt? Von Jörg Gerle + Ein Interview mit dem Naturdokumentarfilmer Jan Haft

[13.4. rBB] [19.4. 3sat] [23.4. tele5]

Das Fest | Drama 14.4. 3sat Die tödliche Maria Tom Tykwers Debütfilm 22.4. ZDF Salami Aleikum Culture-Clash-Komödie 26.4. zdf.kultur

Akteure 18

wagner marsch! Zur Leinwand-Karriere des Komponisten Richard Wagner Von Roland Mörchen

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RAMMBOCK 15.4. ZDF

Frau von Jean-Luc Godard eine Frau ist eine Dead von Martin Scorsese Bringing out the Harrison Ford Blade runner von

tom tykwer unterstützt afrikanische filmemacher bei ihren projekten (s. 22)

Filme vom anderen ende der welt Der australischen Regisseur Peter Weir hat großes Hollywoodkino wie „Master and Commander“ gemacht, aber nie seine Integrität als Filmkünstler verloren. Seine frühen Filme versammelt jetzt eine DVD-Edition. Von Franz Everschor

etwas notwendiges Regisseur Tom Tykwer fördert den afrikanischen Filmnachwuchs. Von Wolfgang Hamdorf

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liebe zum kino Die russische Filmpublizistin Lyubov Arkus und ihr Debütfilm Von Felicitas Kleiner

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buster keaton oder die liebe zur geometrie ...und weitere Filmbuch-Lesetipps

ob „die reise der pinguine“, „nomaden der lüfte“ oder „das grüne wunder“: naturdokumentationen erobern die kinoleinwände S. 10 Neue Filme auf DVD/Blu-ray 4

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S. 48


Film-Kunst 28

Titel: Corbis/Kurt Krieger. S. 4: X-Verleih/StudioCanal/BGM. S.5: Deutsches Filminsitut, Frankfurt a.M./nfp/FilmKinoText/W-Film

„ich halt‘s nicht mehr aus...“ Vor 80 Jahren hielt Joseph Goebbels seine erste Rede vor den deutschen Filmschaffenden. Damit begann die Instrumentalisierung der Filmindustrie für die Zwecke der Nazis. Mit gravierenden Folgen auch fürs populäre Genre des Musikfilms. Von Helmut G. Asper

Neue Filme + alle starttermine

38 47 43 40 46 36 47 40 40 42 47 39 41

Bastard [18.4. ] Der böse Onkel [11.4.] Broken City [18.4.] Eine Dame in Paris [18.4.] Georg Baselitz [11.4.] Ginger & Rosa [11.4.] Das hält kein Jahr...! [18.4.] I am a Woman now [18.4.] Kiss the Coach [11.4.] Die Nordsee – unser Meer [18.4.] Die Piroge [18.4.] Rendezvous in Belgrad [11.4.] kinotipp

s. 44 das leben ist nichts Für Feiglinge [18.4.] Tradikomödie von André Erkau

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magische momente Klassiker der Stummfilmkomödie: „Steamboat Bill Jr.“ mit Buster Keaton. Von Rainer Gansera

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s. bastard [start 18.4.]

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s. rendezvous in belgrad [start 11.4.]

Thor [11.4.] Tous au Larzac [aktuell im kino] Trommelbauch [11.4.] Der unglaubliche Burt Wonderstone

[aktuell im kino]

40 unterwegs mit Mum [18.4.] 47 Das Wochenende [11.4.] 47 You Drive me Crazy [18.4.]

Hollywood-Korrespondent Franz everschor über Alan Horn, den neuen Disney-studiochef

hat walt disney seinen Zauberer gefunden? Kritiken und Anregungen?

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s. das leben ist nichts Für Feiglinge [start 18.4.]

Mademoiselle Populaire [11.4.]

der katholischen Filmkritik

Propagandaminister Joseph Goebbels bei einer Vorführung von „Fridericus Rex“, 1936 (Deutsches Filminstitut, Frankfurt a.m.).

die verleihung des deutschen Filmpreises (am 26.4.) lenkt die aufmerksamkeit aufs deutsche Filmschaffen. auch im aktuellen kinoprogramm ist es mit „das leben ist nichts für Feiglinge“ und „bastard“ gut vertreten.

rubriken Editorial Inhalt Magazin E-Mail aus Hollywood Im Kino mit ... Vorschau Impressum

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Natur pur Der aktuelle Naturfilm hat eine lange Tradition, erobert mit modernen Aufnahmetechniken aber auch Neuland. Die spektakulären Bilder, die damit mÜglich geworden sind, machen freilich noch keinen guten Dokumentarfilm.

Von JĂśrg Gerle

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Naturwelten

kino

„Die fantastische Reise der Vögel“ (2011) : naturfilmer haben sich neuester technologien für eindrucksvolle naturbilder bedient.

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„Unsere Ozeane“ (2009) fängt das leben in den Ozeanen ein

das übel kommt nicht von der technik, sondern von denen, die sie missbrauchen. meeresbiologe Jacquesyves cousteau (1910-1997)

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Naturwelten

„Genesis“ (2004, o. und u.l.): ein Dokumentarfilm über die entstehung des Weltalls, der erde und des lebens...

... der anhand von digitaler technik ins Werden, existieren und Vergehen von materie und leben blickt. „Die Reise der Pinguine“ (2004) manipulierte das Dokumentarische durch Vermenschlichung der tiere Die nordsee von oben“ (2011, u.r.): spektakuläre Bilder fangen die deutsche natur- und Kulturlandschaft ein

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ine riesenhafte „Traube“ in einem von bläulichem Licht durchfluteten Ozean verdichtet sich annähernd zur Form eines Balls. Selbst aus der Höhe, aus der sie die Hubschrauberkamera aufnimmt, wirkt sie wie ein absonderliches Ungetüm aus einem anderen Universum. Aus der Nähe betrachtet, „zerspringt“ sie dann aber in schier unendlich viele Sardinen, die pausenlos in Bewegung sind und doch das ganze Gebilde, den riesigen Schwarm, kaum aus seiner Form bringen. Dafür sorgen dann die Marline, Delphine und Haie, die eigentlich nie gemeinsame Sache machen – außer wenn es um Nahrung im Überfluss und deren Erbeutung geht. Am Ende der ekstatisch, dabei erstaunlich organisiert geführten Hatz bleiben von der haushohen lebenden Sardinen-Kugel nur einige in die Tiefe gleitende glitzernde Schuppen. Jeder, der sich für Naturfilme interessiert, dürfte dieses brillant durch eine Vielzahl von Kameras in Szene gesetzte Spektakel schon einmal gesehen haben. Auch wenn er sich womöglich an den Film und seinen Titel selbst gar nicht erinnert: Hieß er „Deep Blue“ oder „Unser Blauer Planet“, „Im Reich der Tiefe“, „Die Könige der Ozeane“, „Wunderwelt Ozeane“ oder „Unsere Ozeane“? All diese Filme waren im Kino zu sehen, und die bei weitem noch nicht vollständige Titelliste solcher Dokumentationen zum Thema „Meer“, die alle in den letzten zehn Jahren entstanden, lässt erahnen, was sich alles getan hat, seit mit „Mikrokosmos“ (1995) eine neue Blüte des Naturfilms eingeleitet wurde. Nicht nur, dass inzwischen kaum ein Tag vergeht, ohne dass das Fernsehen 45- bis 60-minütigen Dokumentationen ausstrahlt und mit „nie gesehenen Bildern“ aufwartet; auch im aktuellen Kinopro-

kino

gramm entdeckt man regelmäßig Dokumentationen, die mit Superlativen aus dem Reich der wilden Tiere werben. Und wenn nicht der Tiere, dann der Flüsse, Meere und Landschaften. Lange ist es her, seit Bernard Grzimek mit viel Sachverstand, Herzblut und einem kleinen Löwen im Arm von der Serengeti erzählte, die nicht sterben durfte. Seitdem hat der Tierdokumentarfilm, besonders in den letzten Jahren, einen formalen Quantensprung erlebt. Im Zeitalter von Ultra-HD und zweistelligen Millionen-Produktionsbudgets sind Bilder von der Natur entstanden, von denen bis dahin kaum jemand zu träumen wagte. Es ist immer wieder atemberaubend zu sehen, welch filigrane Wunderwerke da durch Gestrüpp und Wasser huschen. Während sich das Produktionsteam von „Mikrokosmos“ noch mit dem heimischen Grüngürtel begnügte, führte „Deep Blue“ einmal um den Globus und nahm sich gleich mehrere Jahre Zeit, um im Makrokosmos Ozean die eingangs beschriebene Jagd oder auch

Bilder, von denen man nicht zu träumen wagte nur einzelne Lebewesen abzulichten, auf die nun wirklich kein normaler Mensch je stoßen würde. Informativ in der Tradition von Grzimek sind beide Filme nicht: Sie überzeugen einzig durch pure Schönheit. Vielleicht ist aber genau das in einer mit Informationen überfluteten Welt das eingängigste Argument für den Naturschutz. Die Natur, die uns einst von James Algar („Die Wüste lebt“, 1954) oder Bernhard Grzimek („Serengeti darf nicht sterben“, 1959) erklärt wurde, erscheint heute in den Filmen von Alastair Fothergill („Deep Blue“, „Unsere Erde“), Jacques Perrin/Jacques Cluzaud („Nomaden der Lüfte“, „Unsere Ozeane“) und anderen Dokumentarfilmern mal ästhetisch wie ein Kunstwerk, mal natürlich, mal grausam,

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kino

Naturwelten mal überwältigend, zumeist aber höchst fragil und gefährdet. Dabei wirken die aktuellen Filme in ihrer Naivität und Elaboriertheit allerdings oft „nur“ atemberaubend. Womit sie dem Unterhaltungs- und Bildungsmedium „Dokumentarfilm“ zu großem Erfolg verholfen haben; allerdings zu dem Preis, dass der Bildungs-Aspekt weitgehend in den Hintergrund getreten ist. Die Filmemacher sind zwar Wissenschaftler, haben sich aber ihre Art, Geschichten zu erzählen, gleichwohl ein Stück weit bei Walt Disney abgeschaut: Disney hatte als erster aus vorproduziertem Filmmaterial „Natur-

märchen“ mit Dramaturgie zusammengebastelt. Während man sich früher noch eher didaktisch mit den Bewohnern des Planeten Erde beschäftigte,

die natur diente oft als bloßer Märchenstoff verzichtet man heute lieber auf eine Narration und lässt vorrangig die detailreiche Brillanz der Aufnahmen, ebenso die emotionale Macht der dazu aufspielenden Musik wirken. Oder man überzeichnet die vermenschlichten Dramen ins Groteske: Etwa wenn Luc Jacquet in „Die Reise der Pinguine“ (2004) einem Kaiserpinguin-Pärchen

individuelle Stimmen aus dem Off andichtet, die von der Beschwerlichkeit ihres Lebens, aber auch vom Wunder der Liebe erzählen. Wenn nicht, wie aktuell im Film „Schimpansen“ von Alastair Fothergill und Mark Linfield, die eindrücklichen Bilder der Primaten durch eine ärgerliche menschliche Familienalltagsgeschichte banalisiert wird, halten sich die Autoren im andern Extrem mit Kommentaren und Erläuterungen auffällig zurück. Unter dem Label „Von oben“ wird die Erde abgelichtet, oder auch Deutschland, Bayern oder die Elbe, um die immer wieder beachtlich

„das unbekannte im Bekannten“ Jan Haft ist ein meister der Fotografie, der Wälder, Wiesen und moore neu entdeckt.

d

er 45-jährige Naturdokumentarfilmer Jan Haft ist Biologe, Regisseur und Kameramann in Personalunion. Gemeinsam mit seiner Produzentin und Ehefrau Melanie Haft, dem zweiten Kameramann Kay Ziesenhenne sowie einem Team aus Wissenschaftlern und Technikern realisiert er vor allem fürs Fernsehen Naturdokumentationen. 2012 entstand „Das grüne Wunder“, Hafts erste Kinoproduktion, die sich lose an seinen Fernsehzweiteiler „Mythos Wald“ (2008) anlehnt und die Geschichte vom heimischen Ökosystem weiter erzählt. „Das Unbekannte im Bekannten zeigen“, so lautet Hafts Motto. Das gelingt ihm dank der technischen Brillanz der Bilder, aber auch dank der

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in klugen Off-Kommentaren vermittelten Zusammenhänge. Jan Haft: „Wir drehten mit unkomprimierten, hochauflösendem HDCamSR, extremen Zeitlupen der neuesten Generation und Zeitraffern, die wir sowohl tagsüber als auch nachts einsetzen konnten.“ Dazu braucht es Highspeed-Kameras, die mit 1000 Bildern pro Sekunde etwas Alltäglichem oder Flüchtigem wie dem Flug eines Schmetterlings „eine ungeahnte Ästhetik und einen Zauber“ verleihen. „Man verbringt einen ganzen Tag auf der Wiese, um etwa den Apollofalter aufzunehmen, der dann im Film gerade eine halbe Minute zu sehen ist. Unsere Protagonisten haben eben nie das Drehbuch gelesen!“ „Schöne Bilder sind das Eine, interessante Naturphänomene das Andere. Wirklich interessant sind aber immer wieder die symbiotischen Wechselwirkungen“. Warum

Natur zu machen. Die Fiöffnet sich die Blüte der nanzierungsbudgets und Trollblume nie? Antwort: Honorare der SendeanWeil es eine Trollblumenfliestalten erhöhen sich nicht, ge gibt, die sich zwischen nur weil man für die Ritzen der ein neues Projekt gelben Kugelblüte eigens eine neue quetscht und sie Kameratechnik im Geheimen beentwickelt. Hinzu stäubt. Dies mit kommt, dass Naeiner endoskoturdokumentatipischen Spezialkaonen in der Regel mera einzufangen „Das grüne Wunder“ nicht gefördert und sichtbar zu von Jan Haft erschien werden, weil ihnen machen, ist eine neu auf DVD/Bluray der Kunstanspruch Aufgabe, an der (vgl. s. 49). fehle. Dennoch Haft noch arbeitet. haben wir voller Hoffnung Melanie Haft ergänzt: „Es für unser neues Kinoprojekt wird Filmemachern nicht Anträge auf Förderung einfach gemacht, angestellt.“ spruchsvolle Filme über die Jan Haft bei Dreharbeiten im Biotop „Wald“


Aus dem leben der Hirschkäfer: szene aus Jan Hafts „Das grüne Wunder“

scharfen, sich aber bemerkenswert ähnelnden Prachtbilder im Zweifel mit (zufälligen) Geschichten von Anrainern oder mit Fremdenverkehrssprüchen aufzupeppen. So schön der Naturfilm inzwischen geworden ist, so mangelt es doch allzu oft an Inhalten, die hinter die Oberflächen schauen, und erzählerischem Gehalt. Womit er ästhetisch wie dramaturgisch in eine Sackgasse gerät, aus der er nur schwer wieder herausfindet. Die Beliebigkeit der aktuellen Manie, sämtliche Aspekte der Natur mit hochauflösenden, der CIAForschung entstammenden „Cineflex“Kameras aus Helikoptern abzulichten, ist allzu oft ermüdend. Nur selten überzeugt sie so eindrücklich wie bei „Die Nordsee von oben“ (2011) von Silke Schranz und Christian Wüstenberg. Die Fertigkeit, Natur nicht nur schön aussehen zu lassen, sondern sie auch ebenso beiläufig wie erhellend zu vermitteln, ist selten, aber noch nicht ausgestorben. Einer ihrer Bewahrer kommt aus München und ist gerade dabei, das Genre – zumeist vom Boden aus – zu retten: Jan Haft. Haft ist ein Meister der Fotografie. Vor allem seine Makroaufnahmen, in extremer Zeitlupe und Zeitraffer, führen in eine kreuchende, fleuchende Welt, die ansonsten tatsächlich im Verborgenen bliebe. Für seinen Kinofilm „Das grüne Wunder – Unser Wald“ (2012) hat er über meh-

der wald im ständigen anpassungskampf rere Jahre recherchiert und gedreht, um ein Kaleidoskop des Biotops „Wald“ zu entwerfen, das in Deutschland insgesamt etwa die Fläche von Bayern und Baden Württemberg bedeckt. Seine atemberaubenden Aufnahmen, die er aus dem scheinbar Alltäglichen zaubert, genügen sich dabei nicht selbst. Immer begleitet ein unaufdringlicher Kommentar das Geschehen, der vermittelt, dass sich Tiere und Pflanzen im Wald in einem ständigen Anpassungskampf befinden und alle Vorgänge einen tieferen Sinn haben. Jan Haft macht sinnlich erfahrbar: Der Wald stirbt nicht, im Gegenteil, er blüht immer wieder neu auf.

naturfilmstationen Naturdokumentationen haben eine lange Tradition. Viele beziehen sich auf die Pioniere N. Paul Kenworthy Jr. sowie Alfred und Elma Milotte, die während monatelanger beschwerlicher Reisen mit Steppe, Dschungel und Wüste buchstäblich eins wurden. Hier einige Stationen.

die wÜste leBt (UsA 1954)

eadweard muyBridge

Der Foto-Pionier (1830-1904) schuf erste Studien des tierischen Bewegungsablaufs. Dabei ging es ihm freilich noch wenig um Natur.

koyaanisqatsi (UsA 1976-82 )

Walt Disneys Dokumentarfilm (R: James Algar) aus der Sierra Nevada/Arizona inszenierte die Natur als lehrreiche Unterhaltung.

Ein virtuoser, radikaler Abgesang an den Kulturmenschen. Die Antithese zum um Harmonie und Verständnis bemühten Naturfilm.

nanuk, der eskimo (UsA 1921)

mikrokosmos (FRAnKReicH 1995)

Robert Flathery suchte nach nie gesehenen Bildern in der Arktis. Ein „inszeniertes“ Natur-Drama vom alltäglichen Überlebenskampf.

Winzige Kreaturen in Zeitlupe und extremer Schärfe. Der Klassiker des „neuen“ Naturfilms stellt die Ästhetik über die Information.

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maDemoiselle populaire [11.4.]

tippsen-cha-cha Komödie um eine Emanzipationsgeschichte

Dass der SekretärinnenBeruf in den 1950er-Jahren zwar Frauen ein eigenes Einkommen verschaffte, der Büroalltag aber von der patriarchalen GeschlechterHierarchie bestimmt war, hat die US-Serie „Mad Men“ beschrieben. Dagegen setzt der in der französischen Provinz der 1950er angesiedelte Debutfilm von Régis Roinsard optimistisch eine Emanzipationserzählung um die Sekretärin Rose. Als zweite Hauptfigur fungiert ein geräuschintensives ObBewertung der filmkommission Eine Frau bewirbt sich im Frankreich der 1950er-Jahre als Sekretärin. Ihr neuer Chef erkennt in ihr ein Schnellschreib-Talent und trainiert sie. Charmanter Film, der das „Sekretärin und Chef verlieben sich“-Klischee aufgreift und Sportfilm-Muster parodiert. Da es dabei auch um Genderfragen und die Veränderung von Rollenbildern geht, besitzt der Film zudem einiges an erzählerischer Substanz. – Ab 14.

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jekt: die Schreibmaschine. Wenn Roinsard diesem Büro-Werkzeug die Bühne überlässt, findet „Mademoiselle Populaire“ zu seinen besten Momenten. Das Schreiben als Dialog mit der Maschine, vom Einsetzen des Papiers über das rhythmische Tasten-Hämmern bis hin zur schwungvollen Betätigung des Zeilenschalthebels wird sogar musikalisch gefeiert, mit dem Song „Le tcha-tscha de la secrétaire“. Mit etwas diffusen Vorstellungen von Modernität, Selbständigkeit und großer weiter Welt bewirbt sich das Landei Rose als Sekretärin in einem Versicherungsbüro. Rose ist zwar ein arger Tollpatsch, bekommt den Job aber trotzdem, da POPULAIRE. Scope. Frankreich 2012 regie, Buch: Régis Roinsand kamera: Guillaume Schiffman musik: Emmanuel D‘Orlando schnitt: Laura Gardtte, Sophie Reine Handwerk

Louis, der Chef, in der Schnelltipperin ein Talent erkennt. Genremäßig entwickelt sich „Mademoiselle Populaire“ von da an zum Sportfilm: Um sie zur Schnellschreib-Weltmeisterin zu machen, trainiert Louis seine Sekretärin bis zur Erschöpfung: Nicht nur muss Rose einen Roman nach dem anderen abtippen, Klavierstunden und Lauftraining gehören ebenso dazu – letzteres eine Anspielung auf „Rocky“. Der Witz liegt nicht nur in dieser Überhöhung von Schnelltippen zur sportlichen Disziplin, sondern auch in der Geschlechterrollen- Umkehrung: Während Louis Rose nicht nur coacht, sondern auch für sie kocht, wäscht und selbst im Hintergrund bleibt, avanciert die Sekretärin zur SchnellschreibMeisterin und zum gefeierten Covergirl – Roinsard rückt hier ganz nebenbei auch den Aufstieg der Konsum- und Medienkultur in darsteller: Déborah Francois (Rose), Romain Duris (Louis), Bérénice Bejo (Marie), Shaun Benson (Bob), Mélanie Bernier (Annie), Nicolas Bedos (Gilbert Japy), Miou-Miou InHalt

den Blick. Diese zeitspezifischen Referenzen und Louis‘ Minderwertigkeitskomplexe – eine Eigenschaft, die ein klassisch maskulines Rollenbild verfehlt – , verleihen dem Film zwar mehr Substanz, als das Thema erwarten lässt, ändern aber auch nichts an der schlichten Handlung, die auf das „Sekretärin verliebt sich in Chef“-Klischee hinaus läuft. Ansonsten ist „Mademoiselle Populaire“ ein perfekt durchgestylter Film mit einigem Charme, der glücklicherweise nicht im Zeitkolorit erstickt. Von den konservativen Sehnsüchten, die den Kino-Rekursen auf die 1950er-Jahre oft zu eigen sind, grenzt sich „Mademoiselle Populaire“ zwar entschieden ab, die historische Komplexität von „Mad Men“ liegt in diesem beschwingten Sekretärinnen-Cha-ChaCha jedoch ebenso weit entfernt. Esther Buss länge: 111 Min. fsk: o.A; f verleih: StudioCanal kinostart: 11.4.2014 fd-kritik: 41 647

darsteller

Ausführliche Kritiken zu jedem Film Online unter www.filmdienst.de


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