Fritz-Gerlich-Preis Beilage

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FRITZ-GERLICH-PREIS

Beilage zum 5. Fritz-Gerlich-Preis 2016 dienst zusammengestellt vom Kinomagazin FILMDIENST

Film

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GRUSSWORT FÜNF Jahre Fritz-Gerlich-Preis – initiiert und gestiftet von der Tellux-Beteiligungsgesellschaft Von Martin Choroba Geschäftsführer Tellux-Film

Am Anfang – 2011 – stand die Frage: „Wie kann eine erfolgreiche kirchliche Unternehmensgeschichte, an der so viele unterschiedliche Menschen engagiert mitgewirkt haben und mitwirken, anlässlich ihres 50-jährigen Jubiläums adäquat gewürdigt werden? Weist man auf die Auszeichnungen hin? Oder findet sich ein anderer Zugang dieses Jubiläum zu begehen?“ Wir meinen, sich selbst zu feiern, ist schön und gerechtfertigt, bietet aber keine wirkliche inhaltliche Nachhaltigkeit. Einen Preis an andere zu vergeben, die großartige ethische Leistungen im Bereich des Films, des Fernsehens und der neuen digitalen Verbreitungswege vollbracht haben, ist dagegen ein besserer Dienst an der Sache, der sich die Tellux stets verschrieben hat. Nämlich: die medialen Möglichkeiten als Geschenke Gottes anzusehen und mit ihnen die Verbundenheit der Menschen untereinander zu fördern. Nach einer Studie der Mediendienstleistungsgesellschaft (MDG) zum Thema religiöse Kommunikation orientieren sich immer mehr Menschen in ihrer ethischen Grundhaltung an Lebensentwürfen aus Filmen und dem Fernsehen. Es ist also ein differenzierter und verantwortlicher Umgang mit den Kommunikationsmitteln von Nöten. Dabei ist auch eine Rückbesinnung auf andere gelebte Lebensentwürfe und Überzeugungen, wie von Fritz Gerlich, bedeutsam. Als katholischer Publizist übernahm er in dunkler Zeit Verantwortung,

legte Zeugnis ab und wurde dafür ermordet. Mit seiner Zeitschrift „Der gerade Weg“ hat auch er sich an einem anderen Lebensentwurf orientiert: Paulus, dessen Weg erst, wie bei Gerlich selbst, alles andere als gerade verlief, der aber auserkoren war, einen Gottgegebenen Auftrag zu erfüllen und der schließlich dafür die medialen Mittel seiner Zeit zu nutzen wusste. Damit schließt sich ein Kreis, denn wenn wir nunmehr zum 5. Mal an Fritz Gerlich mit diesem Preis erinnern, dann ist dies gleichsam Verpflichtung und gelebte Programmarbeit, insbesondere in einer Situation, in der die Ängste und Verunsicherungen in Teilen der Bevölkerung neue Suchprozesse auf längst überwunden geglaubten Pfaden auslösen. Darauf polarisierend und undifferenziert zu reagieren, führt gewiss ebenso in eine Sackgasse, wie aus einer Verrohung der Gesellschaft politisches Kapital schlagen zu wollen. Es scheint, dass die Frage nach dem Woher und Wohin überlagert wird von der Frage: Wer gehört zu mir, zu wem gehöre ich und wie kann ich mich vor dem Anderen schützen? Deshalb ist Fritz Gerlich aktueller denn je, wenn es zu verhindern gilt, dass Intoleranz wieder toleriert wird. Stereotypen jener destruktiven und diffusen Angst, die am Ende nur zur eigenen Selbstzerstörung führen. Wir kennen dieses Phänomen, weltweit und immer wieder. Gerlich verpflichtet uns, an unsere humanistischen Werte zu erinnern.

Europa war immer multikulturell, sagt Papst Franziskus, und somit auch das christliche Abendland. In diesem Sinne feiern wir den Fritz-Gerlich-Preis und erfreuen uns an den Menschen, die mit ihren filmischen und medialen Arbeiten eine Menschen verbindende, friedvolle und demokratische Gesellschaft dramatisch, künstlerisch, informativ oder auch unterhaltend, humorvoll in uns hoch- und wachhalten. Sie ehren zu dürfen, ist unser Gewinn.

Martin Choroba

Impressum: Das Filmprogramm zur 5. Verleihung des Fritz-Gerlich-Preises im Rahmen des Filmfests München 2016 erscheint als Beilage des Filmmagazins FILMDIENST (www.filmdienst.de). Herausgeber: Katholische Filmkommission für Deutschland. Anschrift: dreipunktdrei mediengesellschaft mbH, Heinrich-Brüning-Straße 9, 53113 Bonn.

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FRITZ-GERLICH-PREIS EIN FILMPREIS IM SINNE VON FRITZ GERLICH Der Fritz-Gerlich-Preis zeichnet ein Werk des zeitgenössischen Spiel- und Dokumentarfilms aus. Jährlich wird er im Rahmen des „Filmfest München“ verliehen. Der von der TELLUX-Beteiligungsgesellschaft mbH in München gestiftete Preis ist mit 10.000 EUR dotiert und erinnert an den Münchener Publizisten Fritz Gerlich, geboren am 15. Februar 1883, ermordet am 30. Juni 1934 im KZ Dachau. Inhaltlich greift der jeweils ausgezeichnete Film in couragierter Weise ein Thema auf, das publizistischen Niederschlag erfahren hat. Dabei gilt es, dem Bemühen Fritz Gerlichs gerecht zu werden, Diktatur und Into-

leranz Einhalt zu gebieten, sich für die Menschenwürde entschlossen und unbeirrbar einzusetzen und damit gegen alle Formen des totalitären Machtmissbrauchs, der Verfolgung und der Erniedrigung zu wenden. Fritz Gerlich hat als katholischer Christ aus Gewissensgründen schon früh mit beispielhaftem Mut die menschenverachtende Ideologie der Nationalsozialisten angeprangert und wurde nach deren Machtergreifung als einer der ersten Angehörigen des intellektuell und religiös geprägten Widerstands im KZ Dachau ermordet. Er war Herausgeber der Zeitschrift „Der gerade Weg“.

Die Preisträger FÜNF JAHRE FRITZ-GERLICH-PREIS 2012

REVISION  Regie: Philip Scheffner 4

2013 DAS MÄDCHEN WADJDA  Regie: Haifaa Al-Mansour 6

Seit fünf Jahren laden die Tellux Beteiligungsgesellschaft mbH und die Erzdiözese München und Freising zur Verleihung des gemeinsam initiierten und entwickelten Fritz-Gerlich-Preises ein. Während des Filmfest München wird der einzige katholische Filmpreis in Deutschland (dotiert mit 10.000 Euro) im Hubertussaal des Schloss Nymphenburg verliehen. Traditionell überreicht ihn der Münchner Kardinal Reinhard Marx (o. mit David Oelhoffen, Preisträger 2015).

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2014 A THOUSAND TIMES GOODNIGHT  Regie: Erik Poppe 10 2015 DEN MENSCHEN SO FERN  Regie: David Oelhoffen 12 Fannys Reise 2016 Regie: Lola Doillon 14

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Fritz-Gerlich-Preis 2012

Revision Begrü ndu n g d er J u ry  Der

Dokumentarfilm „Revision“ beweist, dass filmische Interventionen Sinn machen, indem er in Zeugenaussagen und Interviews mit den Familien der Opfer den 20 Jahre zurückliegenden Tötungsfall aufrollt, bei dem zwei rumänische Immigranten der Sinti und Roma im deutsch-polnischen Grenzgebiet erschossen wurden. Regisseur Philipp Scheffner gibt allen Betroffenen, Zeugen und Sachkundigen die Möglichkeit, ihre Aussagen anzuhören und diese zu überdenken. So unterwirft er nicht nur den Fall selbst einer filmischen Revision, sondern auch das Medium Dokumentarfilm: Sein hoch reflektierter Umgang mit Bildern, Tönen und Zeugnissen gewinnt an beklemmender Dichte und kreiert kunstvoll ein Mosaik aus Landschaften, Erinnerungen, Akten und „deutschen Zuständen“, die bis in unsere aktuelle Situation hinein virulent erscheinen.

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Revision Deutschland 2012 Regie: Philipp Scheffner Buch: Merle Kröger, Philipp Scheffner Kamera: Bernd Meiners Schnitt: Philipp Scheffner Länge: 110 Min. FSK: ab 12; f. Kinostart: 13.9.2012.

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Gegen das Verschwinden Über die dokumentarische Arbeit von Philip Scheffner „Ich würde so anfangen“: Mit dieser um Orientierung ringenden Bewegung setzt der Bericht eines der Befragten in Philip Scheffners Dokumentarfilm „Revision“ ein. Es ist der Versuch, die Begrenzungen einer Geschichte abzustecken und sich selbst darin zu verorten – in der eigenen Geschichte. Scheffners dokumentarische Arbeiten verfügen über keine festen Konturen, sie geraten auf Abwege, mäandern in andere Bereiche, in andere Erzählungen hinein, brechen ab oder lassen etwas zurück, das nicht zu fassen ist und doch anwesend ist: Ungeklärtheiten, Leerstellen, phantomhafte Präsenzen. Doch zunächst hat natürlich jeder Film Scheffners einen ganz kon-

kreten Anfang. Meist ist es ein Bild, das keine Übersicht ermöglicht, sondern seinen Standpunkt „mittendrin“ ansetzt (ohne dass man freilich wüsste, in was nun eigentlich): der dumpf und beharrlich gegen die Scheibe und dem Betrachter entgegen knallende Vogel in „Der Tag des Spatzen“ (2010), das bildfüllende Maisfeld in „Revision“ (2012), die sich nur langsam aus dem Nebel herausschälende Aufnahme eines Flusslaufs in „The Halfmoon Files“ (2007), die perspektivisch zwar weiter gefasst, aber kaum weniger verstellt ist. Konsequent filmt Scheffner an den Konventionen des dokumentarischen Thesenfilms vorbei. So steht am

Beginn jedes Projekts kein klar umrissenes Feld, das es zu dokumentieren, zu bebildern und mit Fakten anzureichern gilt, sondern ein Fragment ohne thematische Absicherung: eine alte Schellack-Platte aus dem Lautarchiv der Humboldt-Universität, eine Zeitungsmeldung über einen angeblichen Jagdunfall auf einem Feld nahe der deutschpolnischen Grenze oder zusammenhanglose Schlagzeilen über die Tötung eines Spatzen im niederländischen Leeuwarden sowie eines deutschen Soldaten in Kabul. Von diesen „Fundstücken“ ausgehend, baut Scheffner Erzählungen auf, wobei jeder neue Materialfund – historische Bild- und Tondokumente, mündliche Aussagen, Akten, Schauplätze – weitere Materialien, Texte, Zusammenhänge und Sichtweisen generiert.

KRITIK

Ortsbegehung mit den Arbeitern, die Velcu und Calderar damals fanden, fördert Widersprüchliches zu Tage; insbesondere der Umstand, dass der Tatort noch vor dem Eintreffen der Polizei in Brand gesteckt wurde, findet keine Erklärung. Der Tod der beiden Männer, so zeichnet es sich Wendung um Wendung immer deutlicher ab, kann nicht ohne den Hintergrund der pogromartigen Hetze gegen Ausländer verstanden werden, die (nicht nur) im Osten Deutschlands in den 1990er-Jahren mörderische Dimensionen annahm; er hat auch mit den Abschottungstendenzen Europas zu tun, mit tiefverwurzelten Vorbehalten gegen Sinti und Roma und blinden Flecken der Strafverfolgungsbehörden. Mit hohem investigativem Ethos holte der Film nach, was die deutsche Justiz nicht zu leisten gewillt war. Etwa eine Ortsbegehung oder die Klärung der Frage, welche Lichtverhältnisse am Unglücktag herrschten und was die Jäger durch ihre Fernrohre vermutlich erkennen konnten. Scheffner macht

auch die Angehörigen der Toten in Rumänien ausfindig, die von den deutschen Behörden nie informiert wurden und deshalb weder etwas über die Ermittlungen noch über das Gerichtsverfahren wussten. Die filmische Gestalt dieser Kontaktaufnahme irritiert zunächst: Man sieht die Frauen und Kinder von Velcu und Calderar, wie sie ihren aus dem Off ertönenden Aussagen zuhören, wobei sie diese gelegentlich kommentieren oder bestätigen. Das sind intensive, auch anstrengende Momente, über die sich der Film in einen imaginären Gerichtssaal, verwandelt, vor dem das Schicksal und der Tod der beiden Männer neu verhandelt wird, diesmal unter anderen, gerechteren Vorzeichnen. Die Rekonstruktion der tragischen Ereignisse in Nadrensee revidiert aber nicht nur das Unrecht, das den beiden Männern, ihren Familien und Angehörigen widerfahren ist, sondern sensibilisiert über die politisch-gesellschaftlichen Umstände hinaus auch für eine geduldigere, engagiertere und offenere „Lektüre“ der Welt. Josef Lederle

Im Sommer 1992 starben zwei Männer an der deutsch-polnischen Grenze: In den frühen Morgenstunden des 29. Juni 1992 wurden die rumänischen Staatsbürger Grigore Velcu und Eudache Calderar auf einem Getreidefeld nahe der Ortschaft Nadrensee von zwei Jägern erschossen, die sie angeblich mit Wildschweinen verwechselten. Vier Jahre nach dem Zwischenfall kam es zu einem Prozess wegen fahrlässiger Tötung, der drei weitere Jahre später mit einem Freispruch der Angeklagten endete. Die Öffentlichkeit nahm von den Vorgängen kaum Notiz; lediglich ein Beitrag im Fernsehmagazin „Kennzeichen D“ fragte an, was wohl geschehen wäre, wenn nicht zwei Deutsche zwei Roma, sondern zwei Roma zwei Deutsche erschossen hätten. Zum Zeitpunkt von Scheffners Recherche im Herbst 2011 liegt das Geschehen bereits fast zwei Jahrzehnte zurück; am Tatort breiten sich riesige Maisfelder aus, dicht bestückt mit Windmühlen, deren Rotoren rhythmisch-flüchtige Schatten werfen. Eine

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Fritz-Gerlich-Preis 2013

Das Mädchen Wadjda Begrü ndu n g d er J u ry  Die

Jury lobt das Plädoyer des Films für eine sanfte Rebellion als wirkungsvoll und motivierend, sich als Zuschauer ein eigenes Urteil zu bilden. Der Film entfaltet ein facettenreiches Bild vom Leben der Frauen in SaudiArabien, deren Möglichkeiten, sich in der Öffentlichkeit zu bewegen und beruflich tätig zu sein, stark eingeschränkt sind, frei von Klischees. Die Hauptfigur Wadjda steht für einen Weg, der nicht den Konflikt, sondern den Ausgleich sucht, nach Möglichkeiten, Freiheitsstreben und Traditionsverbundenheit zu vereinbaren. „Das Mädchen Wadjda“ ist nicht nur ein Plädoyer für Mut und Toleranz, sondern auch erfüllt vom Glauben der Regisseurin an das Kino und an seine Notwendigkeit: die eigene Welt im Spiegel eines Films zu sehen.

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Das Mädchen Wadjda Deutschland/Saudi-Arabien 2012 Regie und Buch: Haifaa Al Mansour Kamera: Lutz Reitemeier Musik: Max Richter Schnitt: Andreas Wodraschke Darsteller: Reem Abdullah (Mutter), Waad Mohammed (Wadjda), Abdullrahman Al Gohani (Abdullah), Ahd (Hussa), Sultan Al Assaf (Vater) Länge: 97 Min. FSK: ab 0; f. Kinostart: 5.9.2013.

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KRITIK

Es ist nur ein Zettel mit ihrem Namen darauf. Trotzdem hat das Stück Papier für die zwölfjährige Wadjda Bedeutung. Auf einem Bild an der Wohnzimmerwand ihres Elternhauses in Riad ist ein Stammbaum ihrer Familie zu sehen. „Du stehst da nicht drauf, da sind nur die Männer“, sagt ihre Mutter. Wadjda entgegnet nichts. Aber sie schreibt sich mittels des Zettels einfach selbst in die Familiengeschichte hinein, indem sie ihn an den „Ast“ ihres Vaters pinnt. Wenig später hat jemand das Papier wieder abgerissen. Der Film der Regisseurin Haifaa Al Mansour über ein Mädchen, das sich nicht den Schneid abkaufen lässt, ist selbst so etwas wie ein weiblicher Zettel in einer Geschichte, in der Frauen bisher wenig zu melden hatten: ein Film von einer saudi- schen Frau, ganz fokussiert auf weibliche Figuren. „Wadjda“ ist zudem der erste Film, der komplett in Saudi-Arabien

gedreht wurde – als Co-Produktion mit einer deutschen Crew, aber mit einem rein saudischen Cast. Das war der Regisseurin wichtig, um ihren Film „authentisch zu erzählen, ihm die korrekte lokale Tonalität“ zu verleihen. Tatsächlich kombiniert „Wadjda“ sehr geschickt die Beobachtung der saudi-schen Lebenswelt mit Erzählmustern, die sich die an der University of Sydney ausgebildete Regisseurin bei westlichen Vorbildern abgeschaut hat. Wobei der Traum, den die von Waad Mohammed grandios gespielte Wadjda verfolgt, grün ist, einen Lenker und zwei Räder hat. Es handelt sich um ein Fahrrad, mit dem sie sich gerne ein Rennen mit ihrem Freund, dem Nachbarsjungen Abdullah, liefern würde. Der Haken: Fahrradfahren gehört sich nicht für saudische Mädchen, weswegen sich Wadjdas Mutter weigert, das Rad zu kaufen. Wadjda aber ignoriert das Verbot souverän und macht sich

daran, das Geld für das Rad selbst aufzutreiben. Als die gestrenge Rektorin ihrer Schule den kleinen Geschäften, die Wadjda auf dem Schulhof tätigt, einen Riegel vorschiebt, sieht sie nur einen Ausweg: Sie meldet sich für einen Koranwettbewerb an, da das Preisgeld locker für das Rad reichen würde. Die Innenansichten, die Al Mansour von ihrem Heimatland liefert, zeichnen eine zutiefst paradoxe Gesellschaft, bei der Tradition und moderne Lebensansprüche schon lange nicht mehr zusammenpassen: Die strengen Verhaltensregeln, die die wahabitische Richtung des Islam den Bewohnern (und vor allem den Bewohnerinnen) auferlegt, lässt der Film so „aufgesetzt“ und unzeitgemäß wirken wie die Abaya bzw. der Hijab, den die Frauen über ihre Jeans und andere moderne Kleider stülpen, sobald sie das Haus verlassen. Vor allem das Schicksal der Mutter liefert die realitätsnahe Folie, vor der die Willensstärke, Bewegungsdrang und Energie der Tochter umso imposanter wirken. Felicitas Kleiner

Fast wie fliegen Kinder und Fahrräder im Kino Die Filmemacherin Al Mansour hat mit dem Fahrrad ein Motiv gefunden, mit dessen Hilfe sich die Kritik an der saudischen Gesellschaft, auf die ihr Film abzielt, sehr gut formulieren lässt; gleichzeitig aber ist es so universell, dass es über kulturelle Grenzen hinweg Zuschauer anspricht. Unwillkürlich muss man an den DEFA-Film „Das Fahrrad“ (1981) von Evelyn Schmidt denken, in dem ebenfalls ein Fahrrad zum Stein des Anstoßes wird, an dem sich die Widerständigkeit einer Frau und ihrer kleinen Tochter manifestiert, die gegen von außen aufgezwungene Normen rebellieren – ein historisch und gesellschaftlich gänzlich anderer Kontext, aber eine ähnliche Konfliktlage. Freiheit ist im Medium Film kein abstrakter Begriff; sie wird stets in Bewegung übersetzt. Entsprechend bedeutsam sind die Hilfsmittel, die den Figuren physische Frei-

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heitsräume eröffnen, seien es nun Pferde wie im Western, die Motorräder und Autos im Road Movie oder die Raumschiffe im Science-Fiction-Film. Die euphorischste (Film-)Feier des Fahrradfahrens als kindlicher Befreiungsschlag hat wohl Steven Spielberg in „E.T. – The Extraterrestrial“ (1981) erschaffen: Das Bild des jungen Elliot, der mit dem Außerirdischen im Gepäckkorb über der schwarzen Silhouette eines Waldes vor einem märchenhaften Vollmond in den Himmel radelt, besitzt ikonische Qualität. Der Aspekt des Freistrampelns macht das Fahrrad zum sinnfälligen Requisit in Filmen, die klassische Muster des Sportfilms mit „Coming of Age“Geschichten verbinden. Auch lässt sich das Fahrrad nutzen, um von der Verletzlichkeit von Kindern zu erzählen. Kongenial demonstrieren das Jean-Pierre und Luc

Dardenne in „Der Junge mit dem Fahrrad“ (2011), indem sie das Rad zum „Motor“ einer Auseinandersetzung mit kindlichem Verlustschmerz machen. In den Szenen, in denen der Junge mit seinem Rad unterwegs ist, manifestiert sich einerseits die Vitalität des Kindes, das sich mit wütender Kraft dagegen auflehnt, an fremde Menschen abgeschoben zu werden, andererseits aber auch seine innere Verletzlichkeit. Felicitas Kleiner

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Fritz-Gerlich-Preis 2014

A Thousand Times Goodnight Die Jury verweist auf den „Irrsinn“ der Kriegsberichterstattung, der die Grenze zwischen moralisch-ethisch vertretbarer Dokumentation und Effekthascherei durch immer reißerischere Bilder nicht mehr kennt. Das von Erik Poppe inszenierte Drama überzeugt die Jury, weil es das Engagement für mehr Menschlichkeit mit publizistischen Mitteln und gleichzeitig das Dilemma beleuchtet, in das ein jeder gerät, der sich dem Kampf gegen das Unrecht verschreibt.

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A Thousand Times Goodnight Norwegen/Irland 2013 Regie: Erik Poppe Buch: Erik Poppe, Harald Rosenløw Eeg Kamera: John Christian Rosenlund Musik: Armand Amar Darsteller: Juliette Binoche (Rebecca), Nikolaj Coster-Waldau (Marcu), Maria Doyle Kennedy, Chloë Annett (Jessica) Länge: 117 Min. Der Film kam nicht in die deutschen Kinos.

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„La Binoche“ Annäherungen an die Schauspielerin Juliette Binoche

Als Michael Haneke für „Caché“ (2004) eine Hauptdarstellerin suchte und Juliette Binoche zu sich einlud, fand er sie viel zu schön für diesen Film. Er wollte einen realistischen Film machen und kein Star-Kino. Haneke filmte Juliette Binoche dann auch sehr oft von hinten, kaum Großaufnahmen, keine langen Einstellungen, als ob er Angst davor hätte, in den Verdacht zu geraten, sie als Star verkaufen zu wollen. Juliette Binoche verkörpert die Rolle der Ehefrau eines Feiglings, der verzweifelt versucht, unangenehme Erinnerungen an die Kindheit zu verdrängen; sie spielt konzentriert, mit sparsamer Mimik; sie setzt subtile Akzente der Betroffenheit mit ihrem Blick und dem Kräuseln ihrer Lippen und entwickelt so ganz undramatisch die allmähliche Verzweiflung, die diese Frau erfasst. Agiert so ein Star? Binoche: „Ich bin davon überzeugt, dass Schönheit zusammenhängt mit der Schönheit der Gedanken, der Überzeugungen. Ich habe herausgefunden, dass Schönheit mit Wahrheit zusammenhängt. Wenn man wahrhaftig ist, kann man jedes Gesicht haben – es wird immer schön sein. Weil es menschlich ist.“ Es muss für einen Regisseur eine Freude sein, mit Juliette

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Binoche zu arbeiten. Sie bringt sich ein, ohne sich in den Vordergrund zu drängen. Sie spielt ihren Part, der sich mit den Vorstellungen des Regisseurs verbindet. Wie sie das schafft? Sie sucht sich die Regisseure, mit denen sie arbeiten will. Léos Carax, Michael Haneke, Krzysztof Kieslowski, Amos Gitai, Abbas Kiarostami, Louis Malle, Anthony Minghella, Olivier Assayas. Mit wem dreht sie nicht? Mit Steven Spielberg zum Beispiel, der ihr drei Mal eine Rolle anbietet. Sie lehnt ab, weil er nicht an Frauen interessiert sei: „In seinen Filmen spielen Dinosaurier, Außerirdische oder Männer die großen Parts.“ Statt „Jurassic Park“ drehte sie mit Krzysztof Kieslowski „Drei Farben: Blau“ (1993), einen Film über die Zerbrechlichkeit des Lebens. Sie spielt eine Frau, die bei einem Autounfall ihren Mann und ihr Kind verliert. Der Film schildert ihren Weg zurück ins Leben. Anders als später Michael Haneke konzentriert sich Kieslowski ganz auf ihr Gesicht, und Juliette Binoche lässt ihre Blicke sprechen, die Bewegungen ihres Kopfes und ihrer Lippen machen oft die Wörter überflüssig. Das sind die Filme, in denen sich Juliette Binoche gefunden hat. Sie ist zu „La

Binoche“ geworden. Der Boulevardjournalismus belegt sie mit Etikettierungen wie „Spezialistin für verzweifelte Frauen“, „leidenswillige Problemfranzösin“, „sinnliche Heldin des modernen Problemfilms“ oder „hocherotische Problemfrau“. So was passiert, wenn man berühmt geworden ist, Preise gewinnt, auf Filmfestivals herumgereicht wird und Interviews geben muss. Doch in diesen Interviews zeigt sich Juliette Binoche als intelligente Frau, die denkt, bevor sie redet, die weiß, wer sie ist und was sie kann. Keine Star-Allüren. Es hätte auch anders kommen können. Der Schlüsselfilm ihrer Karriere heißt „Die Liebenden von Pont-Neuf“ (1991). In diesem Film von Léos Carax ist Juliette Binoche nicht zu schön. Sie ist 27 Jahre alt, hat schon einige Filme gedreht (u.a. mit Godard, Doillon, Téchiné, Kaufman), und sie lässt sich auf ein Abenteuer ein, das an ihre Substanz geht. „La Binoche“ wird zu einem Star, zur begehrten Protagonistin des Autorenfilms. Die ernsthaften Züge ihres Gesichts mit den hohen Wangenknochen, der ausdrucksstarke Mund und diese Augen, dunkelbraun wie Schokolade aus Guatemala, sind ihre Markenzeichen. Sie strahlt eine Ruhe, eine Konzentration, Ernsthaftigkeit aus. Das Extreme, das Mondäne liegen ihr nicht. Darum geht es auch in „Die Wolken von Sils Maria“, Olivier Assayas‘ Film mit, über, für Juliette Binoche. Sie spielt einen Star, der hofiert wird von den Repräsentanten der Kultur und der Gesellschaft. Sie lässt sich von einem Theaterregisseur überreden, in der Neuinszenierung eines Theaterstücks mitzuwirken, in dem sie vor 20 Jahren ihren Durchbruch feierte. In einem Chalet im Engadin probt sie mit ihrer Assistentin den Theatertext, setzt sich mit ihrer Rolle auseinander, vermischt im Dialog mit der Assistentin das Berufliche und das Private. Es geht um den Elan der Jugend und die Qualität der Erfahrung, um Verletzungen, um Identität. Und wie es weitergeht. Und da ist hin und wieder dieses plötzliche laute Binoche-Lachen, das wie eine Befreiung wirkt. So kann es weitergehen. Wilfried Reichart

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Fritz-Gerlich-Preis 2015

Den Menschen so fern Begrü ndu n g d er J u ry  Der

Film setzt ganz stark auf die visuelle Ausdruckskraft der Bilder, die grandios eingefangenen Landschaftspanoramen und die „sprechenden“ Gesichter der eindrucksvoll agierenden Darsteller Viggo Mortensen und Reda Kateb. Sparsame, aber inhaltlich präzise Dialoge verdichten die Situationen, in die die Figuren hineingeworfen und mit grundlegenden ethischen Fragen konfrontiert werden. Der Zuschauer ist aufgefordert, die Fragen auch auf aktuelle Konflikte zu beziehen. Das gelingt umso besser dank der gänzlich undidaktischen, klugen Inszenierung Oelhoffens, die DEN MENSCHEN SO FERN zu einem zeitlos modernen Film macht.

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LOIN DES HOMMES Frankreich 2014 Regie und Buch: David Oelhoffen Vorlage: „Der Gast“ (L’hôte), Kurzgeschichte von Albert Camus Kamera: Guillaume Deffontaines Musik: Nick Cave, Warren Ellis Schnitt: Juliette Welfling Darsteller: Viggo Mortensen (Daru), Reda Kateb (Mohamad), Angela Molina (Señorita Martinez), Djemel Barek (Slimane), Vincent Martin (Balducci), Nicolas Giraud (Lieutenant Le Tallec), Jean-Jérôme Esposito (Francis), Hatim Sadiki (Abdelkader), Yann Goven (René), Antoine Régent (Claude), Sonia Amori (Prostituierte) Länge: 102 Min. FSK: ab 12; f. Kinostart: 9.7.2015.

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KRITIK

Der erste Blick führt ins Leere. PanoramaSchwenks gleiten über die kahle Wüstenlandschaft Algeriens, eine grandiose, nicht allein scheinbar unberührte, sondern gleichsam von Menschen entleerte Kulisse. Bis die Kamera auf jenes Zeichen stößt, das auch schon im Western des klassischen Hollywood-Kinos verlässlich den Sieg der Zivilisation über die Wildnis markierte: ein Schulhaus. David Oelhoffen zeigt in seiner Exposition, wie die Kinder aus den Dörfern der Umgebung wie an jedem Tag an diesem zentralen Ort zusammenkommen. Daru, der Lehrer, erscheint als halbherziger Vertreter der Kolonialmacht. Zwar behandelt er auch die Geografie Frankreichs im Unterricht, legt aber deutlich mehr Gewicht auf

das Erlernen von Lesen und Schreiben oder ein gelegentliches Fußballspiel. Mit dem Rest der kolonialen Gesellschaft verkehrt Daru nur wenig, bis die Geschichte in Gestalt des algerischen Unabhängigkeitskriegs auch in sein Leben dringt: Ein Polizist bringt einen Algerier, der seinen Cousin getötet hat, ins Schulhaus und befiehlt dem Lehrer, diesen in die nächste Stadt zu schaffen. 1957, drei Jahre nach Beginn des Kriegs, schrieb Albert Camus die Erzählung „L’hôte“ über zwei Männer, die entgegen der Zeitumstände keine Feinde werden, sondern sich auf Augenhöhe begegnen. Oelhoffen hat das überschaubare Ausgangsmaterial klug auf mehreren Ebenen erweitert, was am eindrucksvollsten bei den Charaktereigenschaften der Hauptfiguren gelingt.

Die Annäherung von Daru und Mohamed vollzieht sich in der Abgrenzung zu den anderen Gruppierungen, die ihren Weg kreuzen: aufgebrachte Siedler, rachedürstende Männer aus Mohameds Dorf, wild entschlossene Rebellen, französische Soldaten, die mit ihren Gegnern kein Pardon kennen. Beide bleiben dabei ihren Prinzipien treu, wobei ihr immer wieder aufscheinender christlicher und muslimischer Hintergrund auf einem gemeinsamen humanistischen Level zusammentreffen. Oelhoffen entwickelt die Versöhnungsbotschaft des Films konsequent, aber nicht aufdringlich. In einem Szenario, in dem friedliebende Menschen keinen Platz mehr zum Leben finden, kann Optimismus nur verhalten sein. Marius Nobach

Am Ende zählt das Verständnis Gespräch mit David Oelhoffen über „Den Menschen so fern“ Wie kamen Sie dazu, die Kurzgeschichte von Albert Camus als Western zu realisieren? Oelhoffen: Es hat mich nicht unbedingt gedrängt, einen Film über den Algerienkrieg oder einen Western zu machen. Aber beim Lesen von „Der Gast“ kam mir sofort diese typische Western-Situation in den Sinn: die Eskortierung eines Gefangenen, ein ohne Autorität autoritär auftretender Polizist, zwei Männer in der Weite der Natur, auf sich selbst gestellt, das Entstehen einer Notgemeinschaft, die Kollision zwischen zwei Rechtssystemen, dem Stammesgesetz und dem europäischen Gesetz, eine Gewaltspirale... Warum ist die Dynamik zwischen zwei Fremden so wichtig? Oelhoffen: Die emotionale Herangehensweise und das Verständnis für das Fremde im Anderen ist Dreh- und Angelpunkt. Es sind ja nicht nur die zwei Protagonisten, die sich annähern, sondern auch ihre Kultur

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und ihre Moralvorstellungen. Am Ende zählt das Verständnis. Wie haben Sie die Hauptfiguren entwickelt? Oelhoffen: Bei Camus ist der Lehrer Daru eine Art Mönch, dessen moralisches Dilemma in der Ablehnung der Todesstrafe liegt. Im Film drückt sich dieses Dilemma in einer Form von Gewalt aus, der gefühlsmäßigen und der physischen. Ein Mann, der aufgrund seiner Kriegserfahrungen Gewalt ablehnt, sich ihr aber nicht entziehen kann. Dem französischen „pied-noir“ habe ich spanische Wurzeln gegeben. Beide sollten sich auf Augenhöhe begegnen, sie sind Außenseiter; der Algerier Mohamed, dem Camus weder einen Vornamen noch eine eigene Geschichte oder Familie zubilligt, ist ein aus der Gemeinschaft ausgestoßener Paria, Daru ist weder Algerier noch Franzose und ist allein deshalb suspekt.

Am Anfang unterrichtet Daru Geografie und erklärt die französischen Flüsse den algerischen Kindern… Oelhoffen: Diese an Absurdität kaum zu übertreffende Szene spiegelt die damalige Wirklichkeit, das Verhältnis zwischen Kolonialisierten und Kolonialherren. Frankreich sah sich als „Mutterland“, ohne die Bedürfnisse der Bevölkerung zu berücksichtigen. Wenn Daru in der Schlussszene auf Arabisch schreibt, dann ist das Zeichen einer intensiven persönlichen Entwicklung. Der Film spielt Anfang des Algerienkriegs 1954. Gibt es Bezüge zur Gegenwart? Oelhoffen: Es gibt überall auf der Welt Konfliktherde. Das Leid der Betroffenen hat sich nicht geändert, auch nicht die Desorientierung in der Politik. Mein Film ist eine Reflexion über die Grenzen, an die Idealismus und Humanismus permanent stoßen und an denen die Hoffnungen zerschellen. Gestern wie heute. Das Gespräch führte Margret Köhler.

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Fritz-Gerlich-Preis 2016

Fannys Reise Begrü ndu n g d er J u ry  „Fannys

Reise“ ist ein bewegendes historisches Drama, das emotional und spannend die Fluchtgeschichte einer Gruppe von jüdischen französischen Kindern im Jahr 1943 erzählt. Wenn die 13-jährige Fanny erzwungenermaßen die ganze Last der Verantwortung übernehmen muss, entwickelt der Film seine große emotionale Kraft und macht die Bedrohung nahezu physisch spürbar. Fanny übernimmt die Verantwortung für andere zu einem Zeitpunkt, an dem sie noch viel zu jung für eine so große Aufgabe ist; stetig und rasch aber wächst sie über sich hinaus – bis sie ihr eigenes Leben aufs Spiel setzt, um das noch im Niemandsland zurückgebliebene kleinste Kind der Gruppe zu retten. Glaubwürdig und empathisch spricht der Film damit zentrale Werte an: Mut, Solidarität, Überlebenswille, Über-sich-Hinauswachsen, den Einsatz für andere – Werte, die auch für die Kriterien des Fritz-Gerlich-Preises relevant sind.

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LE VOYAGE DE FANNY Frankreich 2016 Regie: Lola Doillon Buch: Lola Doillon, Anne Peyregne Kamera: Pierre CottereauMusik: Sylvain Favre-Bulle, Gisèle Gérard-Tolini Darsteller: Léonie Souchaud, Fantine Hasrduin, Juliane Lepoureau, Ryan Brodie, Anais Meiringer. 94 Min. Premiere: beim Filmfest München 2016.

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Auf der Flucht Arbeitshilfe des Filmfests München Wissenswertes: Nach der wahren Geschichte der Fanny Ben Ami, die man im Filmabspann sieht. Im Französischen als Fanny Ben-Amis Autobiografie unter Titel „Le journal de Fanny“ erschienen. Das Thema Judenverfolgung ist konsequent aus der Perspektive der Kinder erzählt und damit für ein junges Publikum zugänglich gemacht. Die ständige Lebensgefahr, in der sich die jüdischen Kinder auf ihrer Flucht befinden, vermittelt der Film sehr behutsam. Heitere, unbeschwerte Szenen (das Fußballspielen, das vom beschwerlichen Weg bergauf ablenkt, Vater-Mutter-KindSpiel in der Hütte, Wasserschlacht im Waldbach usw.) lockern die Grundstimmung regelmäßig auf. Thematisch vergleichbar mit „Das Tagebuch der Anne Frank“ (2016, Regie: Hans

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Steinbichler), „Das große Geheimnis“ (2014, Regie: Dennis Bots). Vergleiche mit „Die Lektion“ im Programm des Kinderfilmfests München: Namen haben Bedeutung, sie geben – oder nehmen – Identität. Fanny und die anderen jüdischen Kinder müssen andere Namen annehmen, um zu überleben. Zwei Szenen könnten sensiblere Kinder ängstigen: Im nächtlichen Wald sind schemenhaft gehängte Menschen zu erkennen, die Fanny und Victor als Deutsche oder Franzosen identifizieren müssen (um zu wissen, ob sie sich in Feindesland befinden). Während die Kinder von der französischen Polizei gefangen gehalten werden, provoziert einer der Jungen einen Polizisten, bis dieser die Pistole zieht. Der Junge setzt sich die Waffe an die Stirn. Selbstverständlich pas-

siert weiter nichts, der Polizist erschrickt über den Zorn des Jungen und geht. Kernthemen, Anregungen und Stichworte: Ethik/Religionsunterricht/ Deutschunterricht, Identität, Glaube, Herkunft. Warum ist Fanny so zornig und nennt Victor „Verräter“, als er das Vaterunser betet? „Sind wir wirklich Juden?“, fragt die kleine Georgette. „Dann hören wir doch auf damit, wenn das so schlecht ist. Dann können wir gehen.“ Mut und Angst, Zivilcourage und Mitgefühl, Zusammenhalt – und Verrat. Das komplette medienpädagogische Zusatzmaterial des Filmfests München lässt sich downloaden (PDF) unter: www.filmfest-muenchen.de/media/ 7678855/ filmsheet-fannys-journey.pdf

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(Textquelle: Lexikon des Internationalen Films)

Ausgewählte Produktionen

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TELLUX-Beteiligungsgesellschaft MBH MÜNCHEN

Stifter des jährlich im Rahmen des Filmfests München verliehenen Fritz-Gerlich-Preises ist die TELLUX-Beteiligungsgesellschaft mbH in München. Der Preis erinnert an den Münchener Publizisten Fritz Gerlich, geboren am 15. Februar 1883, ermordet am 30. Juni 1934 im KZ Dachau. Er ist mit 10.000 EUR dotiert.

ZUR GESCHICHTE der TELLUX

Die „Tellux Film GmbH“ wurde 1960 in Rottenburg am Neckar gegründet, 1965 wurde der Unternehmenssitz nach München verlegt. 1994 wurde sie in die Holding „Tellux Beteiligungsgesellschaft mbH“ umgewandelt, deren Mehrheitsgesellschafter katholische Bistümer sind. Aus der Tellux-Film ist die Tellux-Gruppe entstanden, die mit zahlreichen Unternehmen im Film- und Fernsehgeschäft tätig ist. Geschäftsführer ist Martin Choroba. Die Firmen der Tellux-Gruppe entwickeln und produzieren TVFilme und andere audiovisuelle Produkte für öffentlich-rechtliche und private Fernsehsender, Kinofilme, Filme für Wirtschaftsunternehmen, Behörden usw. Insgesamt beschäftigt die Tellux-Gruppe ca. 60 festangestellte Mitarbeiter. Das Hauptgeschäft der Tellux-Film GmbH München ist seit jeher die Film- und TV-Produktion, wobei sie sowohl die öffentlichrechtlichen Fernsehanstalten, als auch die privaten Programmveranstalter mit Spielfilmen, Serien und Dokumentationen beliefert und ist darüber hinaus auch gelegentlich auf dem Kinosektor tätig ist. Für gemeinsame Produktionen der katholischen und evangelischen Kirche wurden die ökumenischen Produktionsgesellschaften cross media und IT MEDIA gegründet.

PRODUKTIONEN

Produktionen der Tellux wurden mit zahlreichen Film- und Fernsehpreisen bedacht. Namhafte Kino- und Fernsehfilme sowie Serienproduktionen der vergangenen Jahre sind unter anderem „Theodor Heuss“, „In der Fremde“, „Der Aufstand“, „Das Autogramm“, „Das Spinnennetz“, „Irgendwie und Sowieso“, „Nonni und Manni“, „Löwengrube“, „Schwarz greift ein“, „Mario und der Zauberer“, „2000 Jahre Christentum“, „Flucht über den Himalaya – Tibets Kinder auf dem Weg ins Exil“, „Der neunte Tag“, „Baching“ sowie mehrere Folgen der Reihe „Tatort“.

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Joana und die Mächte der Finsternis Dt. 2010. Regie: Andrea Morgenthaler.

Dokumentarisches Porträt einer couragierten jungen Nigerianerin, die von ihrem Vater beschuldigt wird, für seine schlecht laufenden Geschäften verantwortlich zu sein, und sich einem Hexenritual unterziehen muss. Wenig später verlangt ihr zukünftiger Mann, der in Wien sein Geld verdient, ebenfalls eine reinigende Zeremonie, bei der sie unter Drogen gesetzt wird. Als sie herausfindet, dass er in Wien afrikanische Mädchen auf den Strich schickt, zeigt sie ihn an. Ihre Erlebnisse schreibt sie in einem Buch nieder und beginnt, sich für die Rechte afrikanischer Frauen zu engagieren. Nominiert für den Juliane Bartel Medienpreis 2012.

Inklusion – Gemeinsam anders Dt. 2011. Regie: Marc-Andreas Bochert. Darsteller: Paula Kroh, Max von der Groeben, Florian Stetter.

Ein an den Rollstuhl gefesseltes Mädchen und ein sportlicher, geistig zurückgebliebener Junge werden im Rahmen eines Projekts in die neunte Klasse einer Gesamtschule aufgenommen. Ziel ist ein verbessertes Lernumfeld und die Förderung des Sozialverhaltens der übrigen Schüler. In teilweise dokumentarisch anmutenden Bildern erzählt das stille Drama von den alltäglichen Schwierigkeiten, Ressentiments und Konflikten, die den Erfolg des Projekts in Frage stellen. ABU Prize - Bestes Drama Günter-Strack-Fernsehpreis 2012: beste dt. Nachwuchsdarstellerin, Paula Kroh; Prix Europa/Prix Genève 2012: bestes Drehbuch; Goldene Kamera HÖRZU Nachwuchspreis, Max von der Gröben.

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TRANSMEDIA PREIS Thema 2016: Integration

Das Meer am Morgen Dt./Frankr. 2011. Regie: Volker Schlöndorff. Darsteller: Léo-Paul Salmai, Arielle Dombasle, Dominique Engelhardt, Marc Barbé, Ulrich Matthes.

Die nordfranzösische Stadt Nantes 1941: Nachdem ein deutscher Besatzungsoffizier erschossen wurde, ordnet Hitler die Exekution von 150 französischen Geiseln an, darunter ein 17-Jähriger, der bis zuletzt hofft, diesem Schicksal entrinnen zu können. Multiperspektivisch erzählter Film nach Protokollen des Schriftstellers Ernst Jünger und einer frühen Erzählung von Heinrich Böll. 3sat Zuschauerpreis als Bester Fernsehfilm, Hauptpreis Fernsehfilmpreis der Deutschen Akademie der darstellenden Künste; Preis der Studenten der Filmakademie BadenWürttemberg in Ludwigsburg; UTOPIA Award from Bellinzona.

Toleranz Dt. 2014. Regie: Marc-Andreas Bochert. Darsteller: Jennifer Ulrich, Martin Laue, Hans-Uwe Bauer.

Als bekannt wird, dass der Freund einer Handballspielerin ein Neonazi ist, rückt für die engagierte Sportlerin die ersehnte Teilnahme an einem internationalen Turnier in weite Ferne. Auch familiär und zwischenmenschlich gleicht das Umfeld der jungen Erwachsenen bald einem Scherbenhaufen. Vorgeschlagen in mehreren Sektionen für die Auszeichnungen der Deutschen Akademie für Fernsehen 2015.

Tatort – Einmal wirklich sterben Dt. 2015. Regie: Markus Imboden. Darsteller: Udo Wachtveitl , Miroslav Nemec, Ferdinand Hofer.

Die Kriminalhauptkommissare Batic und Leitmayr ermitteln in einer Familientragödie: Die Mutter stirbt an ihren Schussverletzungen, der Stiefvater wird schwer verletzt, der sechsjährige Sohn verstört an der Notaufnahme eines Krankenhauses entdeckt. Komplexer „Tatort“-Krimi.

Im Jahr 2014 fand im Geiste des Journalisten Fritz Michael Gerlich (1883-1934) erstmalig ein medienübergreifender Ideen-Wettbewerb statt. Es sollen Ideen für cross- oder transmedialen bzw. interaktive oder immersive Formate gesellschaftlich relevanter Themen ausgezeichnet werden. Die Teilnahme steht allen Interessierten offen. Die Gewinner werden im Rahmen der Verleihung des FritzGerlich-Preises ausgezeichnet. Der erste Platz ist mit einer Fördersumme von 1.500 Euro prämiert, der zweite Platz mit 1.000 Euro und der dritte mit 500 Euro. Im Jahr 2016 luden TELLUX next GmbH und die Katholische Journalistenschule IFP zum Wettbewerb für transmediale Konzepte zum Thema „INTEGRATION“ ein.

Im Spinnwebhaus

PREISTRÄGER 2016 1. „Follow the Child”

Dt. 2015. Regie: Mara Eibl-Eibesfeldt. Darsteller: Ben Litwinschuh, Lutz Simon Eilert, Helena Pieske.

von Marcus Pfeil (Follow the Money GbR). Film/TV, Bewegtbild - Online, Text - Online, Live Action/Theater.

Weil seine alleinerziehende Mutter psychisch erkrankt, muss ein Zwölfjähriger immer öfter auf seine zwei jüngeren Geschwister aufpassen. Er verheimlicht ihre Abwesenheit, bis ein Unfall die Kinder zur Suche nach der Mutter treibt. Die Geschichte einer Verwahrlosung, konsequent erzählt aus Sicht der Kinder. Weniger Sozialdrama als ein modernes Märchen, bewegt sich der Film in der Schwebe zwischen Realität und Fantasie. Berlinale 2015: Generation & Perspektive Deutsches Kino; Buster Kinder und Jugendfilmfest Kopenhagen: Nordic Film Foundation Award für Helena Pieske als beste Kinderdarsteller(in); PRIX Europa, Berlin: Best European Television Drama; 37. Biberacher Filmfestspiele 2015: Schülerbiber.

10.000 Flüchtlingskinder sollen in Europa spurlos verschwunden sein. Mit „Follow the Child“ begeben sich Dossier, Follow the Money und 2470 auf die Suche nach den Kindern und nach den Gründen für dieses Systemversagen. Die Recherche übersetzen wir in eine Email-Reportage, auf Snapchat, eine TV-Doku und in ein unsichtbares Theater.

2. „Naunynstraße 65“ von Daniel Huhn (Benda Film). Bewegtbild - Online, Text - Online, App - mobil, Virtuelle Ausstellung.

Die Web-Dokumentation erzählt die Geschichte eines Mietshauses zwischen 1918 und 2018. Der „Besucher“ steht vor einem Klingelschild und liest die Namen der Bewohner aus den unterschiedlichen Jahrzehnten.

3. „Du Deutscher“ von Caroline Schaper (gebrüder beetz filmproduktion) Bewegtbild - Online, Social Media Kommunikation.

Eine Web-Video-Kampagne, die den Blick umkehrt. Berichterstattung über Flüchtlinge gibt es genug. Wir bitten Flüchtlinge, DIE DEUTSCHEN in kurzen Statements zu beschreiben: Wie sehen sie aus? Wie verhalten sie sich? Wie leben sie?

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PREISSTIFTER & PARTNER Wir danken unseren Preisstiftern & Partnern, die den Fritz-Gerlich-Filmpreis ermöglicht haben:

TELLUX-GRUPPE

Erzbistum München und Freising

Filmfest München

Tellux Beteiligungsgesellschaft mbH www.tellux-gruppe.de

www.erzbistum-muenchen.de

Internationale Münchner Filmwochen GmbH www.filmfest-muenchen.de

GWFF

Die Katholische Journalistenschule (ifp)

Haller & Kocherhans

Gesellschaft zur Wahrnehmung von Film und Fernsehrechten mbH www.gwff.de

Institut zur Förderung publizistischen Nachwuchses e.V. www.journalistenschule-ifp.de

marketing & public relations www.haller-kocherhans.de

Pax-Bank eG

Bank im Bistum Essen eG

Bank für Kirche und Caritas e.G.

Seit 1917 Bank für Kirche und Caritas www.pax-bank.de

Fair Banking www.bibessen.de

Die Bank von Mensch zu Mensch www.bkc-paderborn.de

Diözese Rottenburg-Stuttgart www.drs.de

Erzbistum Hamburg

Erzbistum Köln

www.erzbistum-hamburg.de

www.erzbistum-koeln.de

Bistum Dresden-Meissen

Sankt Michaelsbund e.V.

Neumarkter Lammsbräu - Bio Kristall

Katholische Kirche in Sachsen und Ost-Thüringen www.bistum-dresden-meissen.de

Das katholische Medienhaus www.st-michaelsbund.de

www.biokristall.de

Ludwig Kameraverleih GmbH

SONOTON Music GmbH & Co. KG

Cine Chromatix KG

www.ludwigkameraverleih.de

www.sonoton.de

www.cine-chromatix.de

Cine Impuls Berlin

Rotkäppchen Sektkellerei

BEEFEATER London Dry Gin

Film und Video GmbH & Co KG www.cine-impuls.de

www.rotkaeppchen.de

www.beefeatergin.com

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