KJK 3 2016

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Kinder jugend

Film

„Der beSonDere KinDerfiLm“ „Ente gut! – Mädchen allein zu Haus“ ist ein Kinderfilm dieser engagierten Initiative. Eine Bestandsaufnahme.

AnDreAS DreSen Der Regisseur verfilmte „Timm Thaler“ neu. Und leitete in München einen Kinderfilm-Workshop.

Korrespondenz

LUCAS für j U n g e f i L m fA n S Das Frankfurter Festival stellt sich neu auf. Gespräch mit der künstlerischen Leiterin Cathy de Haan.

03 2016

Regelmäßige Beilage des FILMDIENST www.filmdienst.de

Film dienst

infos

Kuratorium junger deutscher Film Förderverein deutscher KinderFilm aKademie Für Kindermedien stiFtung lesen


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Kinder- und Jugendfilm Korrespondenz_03/2016

Inhalt

06 alpenbrennen

Debatte 6 Kinder begeistern Von Philipp Budweg In Kürze 8 Aktuelle Infos & Meldungen eIn fIlm, auf Den wIr uns freuen 24 „Die Mitte der Welt“ Im foKus thema: „Der besonDere KInDerfIlm“ 26 Der Stein kommt ins Rollen Von Stefan Stiletto/Horst Peter Koll 27 Arthouse für Kinder Von Kirsten Taylor 29 Gespräch mit Margret Albers Von Stefan Stiletto 30 Der schwierige Weg zum Publikum Von Reinhard Kleber 34 Move it! Neue Tanzfilme Von Michael Ranze 40 Akademie für Kindermedien Von Holger Twele festIval 37 Interview: Schülerfilmfestival NRW Von Reinhard Kleber 42 LUCAS: Interview mit Cathy de Haan Von Horst Peter Koll 44 Münchner Workshop mit Andreas Dresen Von Stefan Stiletto 45 Festival-Entdeckungen Von Stefan Stiletto, Holger Twele, Heidi Strobel

24 die Mitte der Welt

aKteure 33 Reihe: Der persönliche Klassiker (7) Von Volker Petzold 36 Reihe: Den kenn‘ ich doch! (7) Von Christian Exner 38 Porträt: Bahman Ghobadi Von Holger Twele brevIer 46 Förderverein Deutscher Kinderfilm e.V. 48 Aktuelles Förderverein Deutscher Kinderfilm e.V. 50 stIftung lesen

34 Step up-MiaMi Heat

36 Hördur

KuratorIum junger Deutscher fIlm InformatIonen no. 75 53 Editorial Von Anna Schoeppe und Andreas Schardt 54 5 Filme Von Philipp Artus 56 Interview mit Undine Filter Von Kristina Rose 60 Der neue Film von Damian John Harper Von Reinhard Kleber 62 News 63 DVD-Tipps


Kinder- und Jugendfilm Korrespondenz_03/2016

Inhalt

KrItIKen (KIno & DvD) vorschule 10 Molly Monster - Der Kinofilm Von Marguerite Seidel 11 Mullewapp - Eine schöne Schweinerei Von Sabine Kögel-Popp 6+ 12 13 14 15 16 17

König Laurin Von Thomas Lassonczyk Zafir – Der schwarze Hengst Von Natália Wiedmann Findet Dorie Von Stefan Stiletto BFG – Big Friendly Giant Von Kirsten Taylor Nellys Abenteuer Von Heidi Strobel Auf Augenhöhe Von Horst Peter Koll

10+ 18 Antboy – Superhelden hoch 3 Von Natália Wiedmann 19 Meine griechischen Ferien Von Kathrin Häger 20 Der Junge und das Biest Von Jörg Gerle 21 Smaragdgrün Von Horst Peter Koll 21 In Kürze

20 der JunGe und daS bieSt

10 MOllY MOnSter

14+ 22 Closet Monster Von Kathrin Häger 23 Streetdance: New York Von Michael Ranze 23 Vorschau

Die nächste KJK (4-2016) erscheint am 10.11.2016.

22 ClOSet MOnSter

ImPressum Kinder- und Jugendfilm Korrespondenz (KJK)

dreipunktdrei mediengesellschaft mbH, Heinrich-brüning-Straße 9, 53113 bonn (0228) 26 000-163 (redaktion), (0228) 26 000-257 (anzeigen), (0228) 26 000-251 (Vertrieb) die KJK erscheint viermal im Jahr als ständige beilage des FilMdienSt Geschäftsführer: theo Mönch-tegeder Chefredakteur: Horst peter Koll redaktion: Stefan Stiletto layout: Wolfgang diemer, Frechen anzeigenverkaufsleitung/Verantwortlich für den inhalt der anzeigen: Martin Werker (werker@dreipunktdrei.de) Vertriebs- und Marketingleitung: urs erdle (erdle@dreipunktdrei.de) bestellungen und anfragen: vertrieb@filmdienst.de e-Mail: redaktion@filmdienst.de, internet: www.filmdienst.de

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Gefördert durch:

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Kritiken Vorschule

Molly Monster – Der Kinofilm Familie Monster bekommt Zuwachs, und das gleich im doppelten Sinne. Nachdem sich das Monstermädchen Molly Monster und seine liebenswert-schräge Familie beim „Sandmännchen“ als feste Größe etabliert haben, erhalten die inzwischen mehr als 50 Kurzfilme nun eine große Kino-Schwester. Dort dreht sich wiederum alles um die Frage, wann wohl das „Du-weißtschon-was“ endlich aus seinem Ei schlüpft. Molly ist ganz aufgeregt, als Mama Etna und Papa Popocatepetl alles für die große Reise zur Eierinsel zusammenpacken, wo alle Monster zur Welt kommen. Als Willkommensgeschenk hat Molly eine Pudelmütze gestrickt, damit es das Geschwisterchen gleich schön warm hat. Nur Mollys bester Freund Edison, eine winzige Aufziehpuppe, ist wenig begeistert von dem kommenden Ereignis. Was, wenn Molly künftig nur noch mit ihrem Bruder oder ihrer Schwester spielt? Mit diesem Plot zoomt der Schweizer „Molly Monster“-Erfinder Ted Sieger nun auch im Kino dicht an die Lebensrealität der Kleinsten heran. Zugleich nutzt er die große Leinwand, um in Co-Regie mit dem Schweden Michael Ekblad (Sluggerfilm) und dem Deutschen Matthias Bruhn (Trickstudio Lutterbeck) sein Monstermädchen auf eine längere Reise zu schicken. Zwar mag Edisons Eifersucht auf die drohende Konkurrenz durch das Geschwistermonster groß sein, noch größer aber ist Mollys Enttäuschung, weil sie nicht zur Eierinsel mitfahren darf: Dafür sei sie noch zu klein. Als die Eltern in der Eile überdies noch Mollys Pudelmützengeschenk liegen lassen, ab 5

fasst sie einen Entschluss: Sie packt die Mütze und den widerwilligen Edison und fährt schleunigst hinterher. Das Baby soll ja nicht frieren. Wer nun denkt, dass dies eine betuliche Geschichte für jüngste Kinogänger ist, die höchstens die Zielgruppe in Aufregung versetzt, der kennt „Molly Monster“ nicht. Herzensgut und anarchisch wie im Fernsehen, verspielt, chaotisch und beiläufig subversiv, hebelt der Film en passant Klischees und Rollenmuster aus und beweist, dass auch 2D-Animationen etwas zu bieten haben. Der bewährte Wimmelbildstil aus den Kurzfilmen, die übers ganze Bild verstreuten Details, kommt erst im Kino richtig zu Geltung: die unzähligen Aufziehschlüssel, die alle möglichen Gegenstände inklusive Edison zum Laufen bringen, der Krimskrams, der überall herumliegt und der unwirklichen Monsterwelt einen menschlichen Touch verleiht. Bunte Farben, irre Formen und die Animation von Kamerabewegungen sorgen zudem für die Tiefe in den zweidimensionalen Bildern. Obwohl Mollys abenteuerliche Reise durch die Wüsten Wilden Hügel auf dem Weg zur Eierinsel im Kern vorhersehbar ist – es geht freilich um all die aufkeimenden Konflikte und Emotionen, wenn ein Geschwisterkind geboren wird –, haben Drehbuchautor John Chambers („Molly Monster – Die Serie“) und das Regie-Trio die Handlung herrlich einfallsreich ausgemalt. Zwischen infantilen Pupswitzen, fantasievollen Gags wie einem laufenden Briefkasten oder Kitzelmonstern und dem pädagogischen Aha-Moment bei den zänkischen Brüdern Hick und Hack

bilden die unerschrockene, tatkräftige Molly und der skeptisch-ängstliche Edison ein ungleiches, aber effektives Team. Sie verkörpern und verhandeln untereinander all die widerstreitenden Gefühle, Gedanken und Ängste, denen nicht nur Kinder in unbekannten Situationen ausgesetzt sind. Helfen oder weitergehen, lautet etwa die Frage, als Molly und Edison tief in den Bergen ein unerklärliches Weinen hören. Sie führen vor, wie Empathie funktioniert, entscheiden sich fürs Helfen und treffen auf ein Riesenmonsterbaby, mit dem sie dann „gemeinsam allein“ sind. Mollys Eltern zeigen indes, wie selbstverständlich sich Geschlechterrollen verkehren lassen. Während es der Vater ist, der auf einem sehenswert zusammengeschusterten Autoanhänger das Ei ausbrütet, bringt die Mutter die Familie vorwärts. Wie erfrischend Filme sind, die Klischees aushöhlen, zeigt sich auch an Mollys Stimme. Nicht kindlich piepsig, sondern rauchig und charismatisch lässt die Schauspielerin Sophie Rois das süße Monstermädchen sprechen und macht das Hinhören zum Erlebnis. Besonders hörenswert: das Trostlied für das Riesenmonsterbaby. Überquellend vor Kreativität und mit viel Menschlichkeit beweist der Film, dass es sehr gut möglich ist, eine altbekannte Geschichte so aufzubereiten, dass sie weder abgedroschen noch bemüht wirkt. Im Gegenteil, die Ankunft eines Geschwisterchens wird so neu und frisch erzählt, wie junge Kinder sie erleben. Marguerite Seidel IM KIn0. MOLLY MONSTER – DER KINOFILM Deutschland/Schweiz/Schweden 2015. Produktion: Alexandra Schatz/Trickstudio Lutterbeck/Little Monster/ Sluggerfilm/Peacock Film/SRF/Teleclub/Senator Film Produktion. Regie: Ted Sieger, Michael Ekblad, Matthias Bruhn. Drehbuch: John Chambers. Musik: Annette Focks, Ted Sieger. Schnitt: Melanie Hartmann. Länge: 72 Min. FSK: ab 0. Start: 8.9.2016. Verleih: Wild Bunch. Empfohlen ab 5.


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Kritiken Vorschule

Mullewapp – Eine schöne Schweinerei „Ein guter Freund und jeder Tag wird schön ...“ Mit diesen Worten aus dem MullewappSong beginnt auch der neue Animationsfilm von Tony Loeser und Theresa Strozyk über Waldemar, das Schwein, Jonny Mauser und Franz von Hahn aus den Kinderbuchklassikern von Helme Heine. Doch diesmal wird es auf dem ansonsten so beschaulichen Bauernhof Mullewapp gar nicht so schön wie erwartet. Schuld daran sind das fiese Wildschwein Horst von Borst, eine hinterlistige kleine Fledermaus und Horsts Kumpane, die es auf Waldemars Geburtstagstorte abgesehen haben und das Hofleben so richtig aufmischen. „Mullewapp wird platt gemacht!“ Das ist der Schlachtruf der Wildschweinbande. Mit einem Trick gelingt es Horst, sich auf dem Bauernhof gemütlich einzurichten und sich an die Torte heranzupirschen, um ein Stück davon zu vertilgen. Natürlich wird das liebenswertgefräßige Geburtstagskind Waldemar von den Mullewapp-Bewohnern verdächtigt. Schon am nächsten Tag bringt Horst von Borst mit seinen Luftballontricks Waldemars Geburtstagssause in Schwung. In aufregende Abenteuer geraten Waldemar, Jonny ab 5

und Franz, nachdem auch ihr Fahrrad mit Luftballons geschmückt wird und mit den drei Freunden an Bord in die Luft steigt. Unterdessen nehmen Horsts Kumpel Mullewapp in Beschlag. Doch die Bösewichte haben nicht mit den Tricks der drei Freunde und der anderen Tiere des Bauernhofs gerechnet. Ein recht hässliches Wildschwein mit Zylinder, eine lilafarbene Fledermaus mit überlangen Ohren und die bekannten Figuren aus Mullewapp in cartoonartiger 3D-Technik werden zu einer episodenhaft angelegten, klamaukigen Geschichte mit viel Action und Slapstick-Einlagen verbunden. Während die einfach gestrickte Handlung dadurch künstlich in die Länge gezogen wird, sind auch die computeranimierten, sehr glatt wirkenden Figuren, denen die Ausdrucksstärke der gezeichneten Vorlagen fehlt, gewöhnungsbedürftig. Zudem kommen die unterschiedlichen Charaktereigenschaften der drei Freunde im Gegensatz zu den Büchern und dem Vorgängerfilm „Mullewapp – Das große Kinoabenteuer der Freunde“ (2008) weit weniger zur Geltung. Die Hintergründe hingegen sind schön gestaltet, der Film lebt von vielen lustigen Momenten, etwa der Situati-

onskomik, als Hofhund Bello beim Niesen in der Badewanne das Gebiss aus dem Mund fällt. Den Sprechern macht es dabei hörbar Spaß, den Tieren ihre Stimme zu geben. Alles dreht sich darum, wie wichtig Freundschaft und Zusammenhalt in schwierigen Situationen sind. Doch diese Botschaft bleibt an der Oberfläche, weil Action und Klamauk den Film dominieren. Kinder werden sich dennoch in der Story wiederfinden, greift diese doch Erfahrungen aus ihrer Alltagswelt auf: Das nervige Warten auf die lang ersehnten Geschenke, das unerlaubte Naschen vom Kuchen und eine Geburtstagsfeier mit vielen Luftballons kennt jedes Kind. Bleibt zu hoffen, dass die Kindergeburtstagsparty nicht ganz so aufgedreht verläuft, wie es der Film vorführt mit „Eins, zwei, drei – Wildschwein-Keilerei“. Sabine Kögel-Popp IM KIn0. MULLEWAPP – EINE SCHÖNE SCHWEINEREI Deutschland 2016. Produktion: MotionWorks/Studiocanal Film/Melusine Productions. Regie: Tony Loeser, Theresa Strozyk. Buch: Jesper Møller, nach den Figuren von Helme Heine. Musik: Andreas Hoge. Sprecher: Axel Prahl (Waldemar), Ralf Schmitz (Jonny Mauser), Michael Kessler (Franz von Hahn), Carolin Kebekus (Marilyn), Christian Ulmen (Benny Blauholz). Länge: 79 Min. FSK: ab 0. Start: 14.7.2016. Verleih: Studiocanal. Empfohlen ab 5.

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Im Fokus: Tanzfilme

Eine ganz normale U-Bahn-Station in New York. Zahlreiche Passanten, die nach draußen streben oder auf ihre U-Bahn warten. Mittendrin Handwerker mit Blaumännern und Helmen, die klopfen, bohren und sägen, eigentümlich im Takt, so als würde der Rhythmus der Arbeit sie gleichschalten. Dann läuft eine U-Bahn ein, eine Gruppe Schwarzer steigt aus, die auf dicke Hose machen. „Look who’s here – the Village People!“, rufen sie den Handwerkern hämisch entgegen, und dann geht alles sehr schnell. Ein rotes Arbeitspult entpuppt sich nach einigen Handgriffen als Lautsprecher, jemand dreht die Musik auf, lauter HipHop ertönt. „Move it! Move it!“, ruft der Sänger, und schon ist der Battle zwischen „Arbeitern“ und Schwarzen in vollem Gang. Die Bewegungen sind energiegeladen und raumgreifend, so als sollte ein Territorium abgesteckt werden, aber auch abgehackt wie bei Robotern. Immer wieder fügen sich die Tänzer zu einem Gebilde aus einem Guss und wiegen wie ein Schilf im Wind. Plötzlich verschwinden die Tänzer mit der nächsten U-Bahn – nach drei Minuten ist alles vorbei.

die neuen tanzfilme

Move it! Nicht zuletzt der 3D-Boom hat dem Tanzfilm neues Leben eingehaucht. Aber die typischen Themen von Tanzfilmen waren schon immer Teil der Jugendkultur. Es geht um Selbstinszenierung und Identität, um Körperlichkeit, um Abgrenzung und Auflehnung. Und um den Traum vom Ruhm.

DiE WElt alS BühNE

Der HipHop-Battle aus „Streetdance: New York“ (2016) verdeutlicht gleich zu Beginn wesentliche Elemente des modernen Tanzfilms: Da ist die akrobatische Athletik, die selbstbewusst ausgestellte Körperlichkeit, die Synchronität der Körper, die den einzelnen Tänzer in einem Gefüge verschwinden lassen, die freche Aneignung des öffentlichen Raums, der zur Bühne wird, die Lust an der Bewegung, vor allem aber auch das Messen mit anderen, der Wettbewerb, der über Sieg und Niederlage und somit über Ruhm und Erfolg entscheidet. Konflikte, die junge Menschen aus ihrem Viertel oder der Schule kennen, werden spielerisch ausgetragen, auch der Leistungsgedanke mit Druck und Konkurrenz ist ihnen nicht fremd. Längst ist auch noch ein anderer Aspekt hinzugekommen: Der Act wird aufgenommen und auf YouTube hoch-

Von Michael Ranze

Fotos: Capelight

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„We Love to Dance“ (2015) von Tammy Davis


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Im Fokus: Tanzfilme

geladen. Die Flüchtigkeit des Ereignisses, das wie schon in „Step Up: Miami Heat“ (2012) als Flash Mob in Szene gesetzt wird, wandelt sich so zum festgehaltenen Moment, der überall auf der Welt sofort angeschaut werden kann – die öffentliche Aufmerksamkeit kann so jeder selbst einleiten, vielleicht sogar steuern. Bis zum Videoclip und dessen Werbefunktion ist es dann nicht mehr weit. Trotz (oder gerade wegen) zahlreicher Castingshows, nicht nur in Deutschland, sondern auch anderswo, oder Promi-Wettbewerben wie „Let’s Dance“ liegt das rhythmische Verrenken der Gliedmaßen, am besten im Verein mit anderen, also noch immer voll im Trend. Dem Ekstatischen der Körperbewegungen kommt, zusammen mit figurbetonter, manchmal auch uniformer Kleidung, auch etwas Erotisches und damit Verbotenes zu. Tanzende Jugendliche begehren auch immer auf, gegen Lehrer, gegen Vorgesetzte, gegen die Eltern. Nicht von ungefähr wurde „Footloose“, 1984 entstanden, 2011 noch einmal neu aufgelegt und für eine neue Generation von Tanzliebhabern angepasst. Das Tanzverbot eines Reverends wird in einer US-amerikanischen Kleinstadt von einem rebellischen Teenager unterlaufen, der körperliche Überschwang prallt vehement auf strenge Regeln, die dem Tanz den Reiz des Verbotenen verleihen. Tanzen befreit. Noch ein anderer Tanzfilm aus den 1980er-Jahren wurde erst 2009 wieder neu verfilmt, nämlich „Fame“ von Alan Parker. „Der Weg zum Ruhm“ lautete 1979 der handlungsstiftende deutsche Untertitel. Junge Tänzer strebten darin nach Höherem, und weil die Tanz- und Musiknummern so ansprechend verpackt waren, wurde der Film zu einem bahnbrechenden Erfolg. Warum das alles gerade mal 30 Jahre später noch einmal erzählt wurde, in einer Zeit, in der Castingshows den Willen zur Berühmtheit bis zum Äußersten treiben – diese Frage können die Filmemacher nicht beantworten. Den Stand der Dinge im Jahr 2009, wo Ruhm nichts mehr mit Talent zu tun hat und noch nie so vergänglich war, reflektieren sie nicht.

U gEgEN E, JUNg gEgEN alt

Angefangen hat der HipHop-Tanzfilm um das Jahr 2001, mit Thomas Carters „Save the Last Dance“. Julia Stiles spielt darin eine Balletttänzerin, die sich zunächst von ihrem Vater, einem Jazz-Musiker, lösen muss, um dann die befreiende Kraft des HipHop-Tanzes kennen zu lernen. Dieser Konflikt zwischen den Stilen, häufig vor allem zwischen U- und E-Musik, und zwischen den Generationen zieht sich seitdem wie ein roter Faden durch die modernen Musicals und findet in den StepUp- und StreetDance-Reihen ihren griffigen Höhepunkt. Ein anderer Film, „Honey“ (2003), lebt vor allem vom Charisma von Jessica Alba, die eigentlich Tänzerin werden will, sich dann aber um Kinder in einem Jugendzentrum kümmert. „Versucht einfach mitzutanzen“, lautet Honeys Rat an die Kids der Tanzschule. Erlaubt ist, was Spaß macht, jeder so, wie er kann, es braucht nur Selbstbewusstsein und Optimismus – das ist die ebenso schlichte wie einleuchtende Botschaft dieses Films. Mit „Stomp the Yard“ (2007) begann jene Variante des Tanzfilms um das Messen mit anderen, um den Wettstreit, in dem nur das Siegen zählt. Erfolg, Misserfolg, Platzierung innerhalb einer Hierarchie – ein sehr amerikanisches Phänomen, in dem Ruhm und Ehre Bildung und Wissen zwar nicht verdrängen, aber zumindest den Rang ablaufen. „Battle of the Year” (2013) trägt dieses Prinzip sogar schon im Titel. Doch zuvor haben „Step Up“ (2006) und „StreetDance 3D“ (2010) es perfektioniert, mit schweißtreibendem Training, perfekten Choreografien und verbissen gegeneinander antretenden Gruppen, die sich nichts schenken. In „StreetDance 3D“ will Carly, eine hübsche und versierte Breakdancerin, auf den Straßen Londons mit ihrer Crew an den englischen Meisterschaften teilnehmen. Der Übungsraum findet sich ausgerechnet an der königlichen Ballettschule, die von keiner Geringeren als Charlotte Rampling alias Helene geleitet wird. Einzige Auflage: Carly

soll Helenes Eleven ein wenig flottere Flötentöne beibringen. Klassik meets HipHop – eine konfliktträchtige Melange. Trotzdem kommen sich Carly und der schmucke Ballettschüler Tomas näher. Und auch die anderen Tänzer raufen sich zusammen. Die Gegensätze zwischen den unterschiedlichen Tanzstilen wirken glaubwürdig, ebenso die Kluft zwischen U- und E-Musik. Mehr noch: Die Tanzszenen, die die Räumlichkeit und Tiefe von 3D geschickt nutzen, machen einfach Spaß.

ChorEografiSChE SPiElPlätZE

„Invincible“, unbesiegbar also, nennt sich selbstbewusst und arrogant eine Gruppe in „StreetDance 2“ (2012). Doch Hochmut kommt bekanntlich vor dem Fall. In „Step Up: All In“ (2014), der nicht von ungefähr in Las Vegas spielt, finden die abschließenden Finals erst in einem Boxring, dann in einer Arena statt, die an den Käfig in „Mad Max – Jenseits der Donnerkuppel“ (1985) erinnert. Auch wenn sich die üblichen Konflikte um Konkurrenz und Eifersucht, um Liebe und Missverständnisse stets zu wiederholen scheinen, überzeugen die Tanzszenen zumeist durch ihre Perfektion, im Fall von „Step Up: Miami Heat“ durch ihre schiere Genialität, bedingt durch detailfreudige Ausarbeitung und eine mitreißenden Darbietung, die zusätzlich von der Räumlichkeit und Tiefe profitiert, die 3D ermöglicht. Fliegendes Popcorn, fallende Federn und schwingende Beine, und schon glaubt man sich in „StreetDance 2“ mittendrin statt nur dabei. Der Tanzfilm wird so zur körperlichen Erfahrung, die Nähe signalisiert. Ein Ende des Booms ist nicht abzusehen. „We Love to Dance” (2015) hieß erst kürzlich ein Tanzfilm, der die Liebe zum Tanz bereits im Titel betont. Natürlich geht es auch hier wieder um den Traum, dass man es schaffen kann, wenn man nur hart genug an sich arbeitet. Und um die Utopie, dass Tanzen das Leben leichter macht. •

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Im Fokus: Akademie für Kindermedien

wieder in Vergessenheit geraten. Bei genauerer Betrachtung ergibt sich ein wesentlich differenzierteres Bild.

EinE zuvERLäSSigE unD KoMpEtEntE AnLAuFStELLE

Die Akademie für Kindermedien in Erfurt

Talentschmiede für Kindermedienstoffe Das Pitching der Absolventen der Akademie für Kindermedien ist einer der wichtigsten Branchentermine während des Kinder-Medien-Festivals „Goldener Spatz“. Mehrere Stoffe wurden bereits verfilmt, teils jedoch erst nach mehreren Jahren. Gedanken zur Leistung der Akademie und den dort entwickelten Drehbüchern.

Von Holger Twele

Sie heißen Michael Demuth („Wer küsst schon einen Leguan“), Michaela Hinnenthal („Wintertochter“), Bernd Sahling („Kopfüber“), Claudia Schaefer („Weil ich schöner bin“), Hannes Klug („Ricky – normal war gestern“), Roland Fauser („Der Lehrjunge“) und Steffen Weinert („Finn und der Weg zum Himmel“). Mit knapp 200 weiteren Autoren sind sie Alumni der heutigen Akademie für Kindermedien in Erfurt. Gemeinsam ist ihnen, dass ihre an der Akademie entwickelten Filmstoffe später auch realisiert wurden

und das Licht der Kinoleinwand erblickten. Ein Selbstläufer ist das freilich nicht. Oft genug dauerte es sechs, acht oder sogar mehr als zehn Jahre von der Drehbuchentwicklung bis zur Filmproduktion. Da entsteht leicht der Verdacht, es könne an der nötigen Effizienz mangeln, zumal die jährlich zwölf Teilnehmenden der Akademie, die ihre Stoffe im Rahmen des Kinder-MedienFestivals „Goldener Spatz“ mit großem Elan und sehr überzeugend pitchen, nach einigen Jahren schnell

Ein erster Vergleich mit anderen deutschen Drehbuchwerkstätten (etwa mit der Drehbuchwerkstatt München, aber auch mit internationalen Spielfilmprojekten) zeigt, dass auch dort meistens mehrere Jahre vergehen, bis ein Drehbuch zum fertigen Film wird. Vor allem aber hatte die Akademie ohnehin nie den Anspruch, dass alle ihre Alumni später ein fertiges Produkt auf dem Markt vorweisen können. Am ehesten gelingt das noch im Bereich Buch, denn ist es erst mal geschrieben, muss „nur“ noch ein geeigneter Verleger gefunden werden. Für die Realisierung eines Filmprojekts dagegen sind viele weitere Produktionsschritte und vor allem eine größere Geldsumme erforderlich. Was die Akademie leisten kann und leistet, ist eine zuverlässige und kompetente Anlaufstelle für die Autoren zu sein, die ihre Projekte erst noch entwickeln wollen. Zudem schafft sie Kontakte im kommerziellen Medienbereich und vernetzt optimal die Community der Alumni, die sich in den Workshops persönlich weiterentwickeln und wichtige berufliche Kontakte knüpfen können. Freilich muss die Frage erlaubt sein, ob bei der strengen Auswahl der zahlreichen Bewerber nicht nur diejenigen Autoren ausgesucht werden, die sich in den Gruppenprozess besonders gut einordnen können und sich dann untereinander zwar neue Impulse geben, aber auch akzeptieren müssen, dass ihre Ideen geschliffen und womöglich sogar glatt gebügelt werden.

Ein gutES DREHBuCH iSt niCHt üBER nACHt gESCHRiEBEn Sieht man sich die entstandenen und geförderten Drehbuchprojekte der letzten Jahre genauer an, fällt auf, dass es überwiegend Stoffe und Geschichten sind, die das persönliche Lebensumfeld der Kinder betreffen, insbesondere ihre Familie und das


Kinder- und Jugendfilm Korrespondenz_03/2016

Im Fokus: Akademie für Kindermedien

Fotos: Zorro/Filmgalerie 451

„Wintertochter“ (l.) und „Weil ich schöner bin“ basieren auf Filmstoffen, die in der Akademie für Kindermedien entwickelt wurden

Thema Freundschaft und Selbstbehauptung. Zweifellos sind das die großen Themen für diese Zielgruppe, was allerdings die Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Themen und brennenden Problemen unserer Gegenwart nicht ausschließen muss, wie Kinderfilme etwa aus den Niederlanden, aus Belgien oder Frankreich wiederholt beweisen. Es bleibt im Bereich der Spekulation, ob diese Themen an den persönlichen Interessen der ausgewählten Autoren vorbeigehen oder ihnen in der heutigen deutschen Medienlandschaft von Anfang an keine Chancen auf Realisierung eingeräumt werden. Was den häufig geäußerten Vorwurf einer viel zu langen Zeit zwischen Drehbuchentwurf und Film betrifft, hat sich durch die Initiative „Der besondere Kinderfilm“ (die ebenfalls vom Förderverein Deutscher Kinderfilm initiiert wurde) zumindest eine belebende Konkurrenz entwickelt. Da haben sich die Medienanstalten endlich einmal zusammengeschlossen, und plötzlich ist es möglich, einen Kinderfilm von der Stoffentwicklung bis zum Kinofilm in der Rekordzeit von ein bis zwei Jahren zu entwickeln, statt nach endlosen Umarbeitungen und Finanzierungsbemühungen erst in zehn oder mehr Jahren. Es geht also, wenn man will, auch wenn ein gutes Drehbuch nicht über Nacht geschrieben ist und durch eine längerfristige

gute dramaturgische Betreuung oft noch an Qualität gewinnt.

DiE AKADEMiE FüR KinDERMEDiEn Im Sommer 2000 wurde vom Förderverein Deutscher Kinderfilm e.V. eine Sommerakademie zur Förderung von Drehbuchautoren im Kinderlangfilmbereich aus der Taufe gehoben – zu einer Zeit, in der Literaturverfilmungen von Kinderbüchern gerade ihre ersten kommerziellen Erfolge feierten, es aber nach wie vor an originären Filmstoffen mangelte. Aufgrund des großen Andrangs wurde sie schnell um eine Winterakademie erweitert. In den ersten drei Jahren entstanden 51 Filmkonzepte, von denen 14 optioniert wurden, sieben eine weitere Drehbuchförderung durch andere Fördereinrichtungen erhielten und drei Autoren Verträge zur Umsetzung ihrer Filme unterzeichneten, darunter Michael Demuth für den später mehrfach preisgekrönten Film „Wer küsst schon einen Leguan?“ (2003). Vor dem Hintergrund einer sich verändernden Medienlandschaft, in der die Vernetzung zwischen Kino, Fernsehen und Computer immer enger wurde, nahm die Akademie 2006 gleichberechtigt neben der Gruppe mit Spielfilmstoffen die Gruppen TV-Serie und Interaktive Medien auf und benannte sich in „Akademie für Kindermedien“ um. 2009 wurde eine neue Gruppe ins

Leben gerufen, die sich der Animationsserie für Kinder und Jugendliche widmet, und den interaktiven und crossmedialen Inhalten ein besonderes Gewicht verliehen. Heute ist die Akademie für Kindermedien ein Weiterbildungsworkshop für professionelle Autoren und Nachwuchstalente der Bereiche Film, Serie und Buch und damit die zentrale Anlaufstelle für Stoffentwicklung in der deutschen Kindermedienlandschaft. Nach einer mehrtägigen Einführungsund Qualifizierungswoche findet der Workshop jährlich in vier einwöchigen Modulen statt. Pro Jahr nehmen zwölf Autoren – also vier je Gruppe – an diesem Workshop teil, um ihre eigenen Kindermedienprojekte für die Zielgruppe zwischen drei und 13 Jahren unter Betreuung eines erfahrenen Mentoren- und Tutorenteams bis zur Marktreife zu entwickeln. Darüber hinaus nehmen die Autoren und Autorinnen inzwischen auch an einem Kooperationsprojekt mit einem Medienpartner teil, bei dem sie im geschützten Raum in den konkreten Produktionsprozess einer Fernsehserie eingebunden sind. Zum Abschluss eines Akademiejahrgangs werden die eigenen Projekte der Alumni im Rahmen des Deutschen Kinder-Medien-Festivals „Goldener Spatz“ einem eingeladenen Fachpublikum präsentiert. •

Die vorgestellten projekte der Alumni des Jahrgangs 2016 im Bereich Film „Rudy“ von Thomas Barthelmeus Rudys Eltern arbeiten zu viel, und seine Freunde sind seine Bücher. Als er ein magisches Glöckchen findet, entdeckt er, dass das Christkind und der Weihnachtsmann echt sind. Ein spannender Weihnachtsfilm für die ganze Familie.

„Keine Angst vorm kleinen tod!“ von Anne Gröger Samuel leidet unter einer Immunerkrankung und geht deshalb nie raus. Da begegnet er dem Mädchen Frieda, das sich als kleiner Tod auf ihre große Aufgabe vorbereitet. Dafür möchte sie mit Samuels Hilfe das Leben kennenlernen. Eine Komödie über das Leben und den Tod für Kinder ab 8 Jahre.

„Madison“ von Kim Strobl Als die ehrgeizige Rennradfahrerin Madison gezwungen ist, auf ein Mountainbike umzusteigen, entdeckt sie ihr Leben vollkommen neu und kann sich mit Hilfe ihrer Freunde von ihrem Vater lösen, einem Radprofi, der ihr zum Idol wurde. Ein sportlicher Coming-of-Age-Film für Kinder ab 10 Jahre.

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