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ZU TISCH MIT
Anna-Vera Deinhammer
Gedanken zu einem Menü verfasst
Umdenken gefragt. Die Stadt als Materiallager, Autarkie aufgrund von Kreislaufwirtschaft, Schonung von Ressourcen und Umwelt. Anna-Vera Deinhammer über den Status quo und Zukunftsmusik.
Das Gespräch führte: Lisa Grüner
Es wirkt, als hätte der Sturm den Naschmarkt leergefegt. Man merkt deutlich das Fehlen der Touristen, die den Markt normalerweise beleben. Auch die Wiener fehlen an diesem Dienstagmittag, um ein bisschen Bewegung und vor allem Stimmung in die Szenerie zu bringen. Doch diese kommt sofort auf, als ich meine Interviewpartnerin treffe. Die Oberösterreicherin Anna-Vera Deinhammer hat sich der Stadt Wien verschrieben, um es klimaneutral zu machen. Da einige Lokale geschlossen haben, entscheiden wir uns für das Fischlokal Nautilus, um über die kreislauffähige Stadt zu reden. Deinhammer ist Projektkoordinatorin für Kreislaufwirtschaft im Bauwesen bei der Stadt Wien, Programmleiterin des DoTank Circular City Wien 2020–2030 und Leiterin der neu gegründeten Stabsstelle Ressourcenschonung und Nachhaltigkeit im Bauwesen in der Wiener Stadtbaudirektion. Wir bestellen als Vorspeise eine Fisch-Tartare-Triologie von Lachs, Thunfisch und Jakobsmuschel sowie sechs Stück Fines-de-Claire-Austern.
Gleich bei der ersten Auster möchte ich wissen, ob die Branche aufgrund der EU-Taxonomie bereits in Panik verfällt. „So neu und überraschend ist das Thema nicht, dass jetzt alle in Schockstarre verfallen müssten“, lacht Deinhammer. „Aber Kreislaufwirtschaft ist ein wichtiges und vor allem spannendes Thema, dass jetzt auch durch die Ressourcenknappheit und Lieferengpässe in der Bauwirtschaft getrieben wird.“ Beim DoTank Circular City Wien 2020–2030 geht es darum, den gesamten Ressourcenkreislauf der gebauten Umwelt von Produktion bis zur Entsorgung oder Wiederverwendung und Verwertung in ein Nachhaltigkeitskonzept einzuordnen. Bis 2050 sollen im Bereich Gebäude und Quartiere lokale Treibhausgas-Emissionen pro Kopf um 85 Prozent, der lokale Energieverbrauch und der konsumbasierte Materialfußabdruck um jeweils 50 Prozent reduziert werden. Bereits ab 2030
soll standard- und nutzungsgerechtes Planen und Bauen zur maximalen Ressourcenschonung Standard bei Neubau und Sanierung sein.
Wien muss zukunftsfit sein
„Wien ist ja eine der lebenswertesten Städte der Welt“, so Deinhammer. „Um das langfristig zu erhalten, müssen wir auch in puncto Klimaschutz und Klimawandelanpassung sowie Ressourcenschonung ein Vorreiter sein. Nur einen Beitrag zu leisten, ist zu wenig.“ Damit führt sie wesentlichen Punkte an, um die Ziele des Green Deals zu erreichen. „Wir müssen die Treibhausgase reduzieren, hin zu einer Zero Emission City und einer effizienten Dekarbonisierung, unsere Ressourcen schonen und die Entnahme von Rohstoffen senken, zum Beispiel durch Kreislaufwirtschaft und unseren Lebensraum an die jetzigen und zukünftigen Gegebenheiten anpassen, also zukunftsfit machen.“
Die Kreislaufwirtschaft definiert Deinhammer als Querschnittmaterie. „Wir müssen zusätzlich zum Klimaschutz die planetaren Grenzen anerkennen, das bedeutet langfristig für uns, die hergestellten Produkte, die wir haben, so lange wie möglich zu verwenden, so wie sie sind, und erst dann an Recycling zu denken. Bei den mineralischen Baustoffen wie Sand und Kies stoßen wir bereits an die Grenzen, wir entnehmen bereits mehr, als der Planet hergeben kann.“ zugeben, dass die sich auch nur nach der Decke gestreckt haben und zu der Zeit andere Probleme zu lösen hatten. Das Spezielle der gebauten Umwelt ist, man materialisiert Einstellungen, Zeitgeist und ja, manchmal Denkfehler. Man
„Als lebenswerte Stadt muss Wien auch bei Klimaschutz, Klimawandelanpassung und Ressourcenschonung ein Vorreiter sein.“
das Bewusstsein dafür ja noch nicht. Es wurden viele Gebäude in Richtung Süden mit sehr viel Glas gebaut, um die passive Solarnutzung zu fördern. Das stellt uns heute vor große Herausforderungen. Wir wollen unsere Gebäude möglichst lange nutzen. Die Gebäude wurden ja für die klimatischen Bedingungen von vor 30 Jahren gebaut, und das stellt uns jetzt vor Herausforderungen bzgl. klimatische Veränderungen in unserer gemäßigten Klimazone, Stichwort Zukunftsfitness. Wissen konnte das damals natürlich keiner. Die schwer trennbaren Verbundmaterialien haben uns tolle Möglichkeiten der Architekturgestaltung geschenkt, aber natürlich auch einen großen Rucksack bei der Frage der Wiederverwendung hinsichtlich Trennbarkeit.“
Gibt es einen Schuldigen?
Dann holt sie etwas aus: „Man spricht immer davon, dass die Generation vor uns viele Fehler beim Bauen begangen hat, aber da muss man wollte beispielsweise Arbeit und Wohnen räumlich trennen, daher wurde die Mobilität und damit das Auto wichtig. Man hatte das Problem des Klimawandels beziehungsweise
Die Rohstoffe gehen uns aus
Für den Städtebau braucht man in erster Linie Materialien und Energie, um diese herzustellen, auch bekannt als die graue Energie. Diese Energie soll zukünftig aus erneuerbaren Energien kommen, was sie derzeit zu einem geringen Prozentsatz tut. In Bezug auf planetare Grenzen sind die Erze sehr wertvoll, da sie sich selbst nicht erneuern können und damit endlich sind.
Derzeit können wir diese noch aus der Erde und Kupferminen abbauen. „Schauen wir uns aber tatsächlich das Material Kupfer an, gehen uns die natürlichen Lagerplätze schön langsam aus“, warnt Deinhammer. „Auch Gips können wir zukünftig aus einem menschlich geschaffenen, also einem antropogenen Lager holen, da dieser Baustoff vor allem im Innenbereich intensiv eingesetzt wurde.“ Damit ist eines der größten Lager in Österreich natürlich Wien. Zwei wesentliche Unterschiede gibt es bei den natürlichen und antropogenen Lagern – in zweiterem können wir nicht schürfen, wenn wir die Materialien benötigen, sondern dann, wenn Rückbauobjekte diese freigeben. Derzeit kommen unsere Baumaterialien vom globalen Markt, Europa, China, Kanada und den USA. Diesem Problem der langen Lieferketten und dem damit verbundenen Energieaufwand und Schadstoffausstoß wollen wir mit der Kreislaufwirtschaft entgegentreten. „Der Vorteil der Kreislaufwirtschaft ist eine gewisse Autarkie bei den Baumaterialien in Europa“, freut sich Deinhammer. „Aber der Wandel von einer verbrauchenden hin zu einer regenerativen Gesellschaft muss von allen getragen werden. Durch unser Wahlrecht bestim-
DoTank Circular City 2020–2030
DoTank Circular City Wien 2020–2030“ (DTCC30) ist ein Leitprojekt der Wirtschaftsstrategie WIEN 2030. Der DTCC30 ist die Drehscheibe für die Erstellung der Strategie hin zu einer zirkulär gebauten Umwelt, im Gleichklang mit der Roadmapentwicklung und dem Monitoringsystem hinsichtlich Zielerreichung. Angewendet wird der Quadrupel-Helix-Ansatz – also das Verbinden von Aspekten aus der Zivilgesellschaft, Verwaltung/Politik, Wissenschaft und Wirtschaft. Anhand von skalierbaren Startprojekten entlang der gesamten Lebenszykluskette werden bis Ende 2023 Erkenntnisse gewonnen, um dann ab 2024 an den identifizierten Rädern zu drehen. Ziel ist, möglichst effizient und möglichst effektiv an möglichst wenigen Rädern zu drehen. men wir, wer die Richtschnur vorgibt, wohin sich die Stadt bewegen soll. Es reicht nicht, nur unsere eigene Lebenszeit zu sehen, sondern die der nachfolgenden Generationen. Es soll ja langfristig ein Mehr an Lebensqualität und nicht ein Weniger an Komfort erzielt werden.“ Über den Paradigmenwechsel, der sich derzeit vollzieht, ist Deinhammer froh. „Unser Ziel bis 2030 ist es, dass die gebaute Umwelt als Materiallager anerkannt ist und Bauprojekte langlebig und rückbaubar geplant und errichtet sind.“
Herausforderung Verbundstoffe
Bei der Hauptspeise sind wir im Gleichklang. Wir haben beide einen St.-Jakobs-Teller mit Jakobsmuscheln und Steinbuttfilet auf PilzRisotto bestellt. Deinhammer kommt vor lauter Begeisterung über Gebäude als Materiallager kaum zum Essen. „Es ist also unter anderem ein Ziel, bis 2050 80 Prozent der Materialien und Bauteile wieder zu verwenden oder zu verwerten. Wie soll dies erfolgen?“, frage ich genauer nach.
„Als Ingenieurin weiß ich, dass 80 Prozent sehr viel an Material ist, eigentlich fast alles“, so Deinhammer weiter. Als Beispiel führt sie an,
Anna-Vera Deinhammer
Anna-Vera Deinhammer hat nach der Höheren Graphischen Bundes-, Lehr- und Versuchsanstalt Wien XIV das Studium der Architektur an der TU Wien abgeschlossen. Es folgte ein Doktoratsstudium an der Fakultät für Bauingenieurswesen am Institut für interdisziplinäres Bauprozessmanagement sowie der University of New South Wales in Sydney. Derzeit leitet sie die Stabsstelle Ressourcenschonung und Nachhaltigkeit im Bauwesen in der Stadtbaudirektion Wien und ist Projektkoordinatorin für Kreislaufwirtschaft im Baubereich. Ihre Arbeitsschwerpunkte sind Circular City, integrale Bauforschung und Ingenieurwissenschaft. Sie ist Gründerin und Programmleiterin des DoTank Circular City Wien 2020–2030.
„Digitalisierung ist ein wichtiger Schlüssel. Wir müssen wissen, wann welche Materialien in welcher Qualität und Masse zur Verfügung stehen.“
dass einerseits in den letzten 30 Zentimetern der Hülle im Schnitt 20–40 Materialien untrennbar miteinander verbunden sind und diese daher nicht wiederverwendbar oder verwertbar sind, aber andererseits dadurch sehr positive Eigenschaften während der Nutzungsdauer aufweisen können. „Das zeigt, dass die vorher angesprochenen 80 Prozent wirklich schwer erreichbar sind. Demzufolge es ist auch klar, dass es, integral und realistisch gesehen, immer einen Anteil an Ausschuss geben wird.“ Damit steckt man natürlich in einem Dilemma beim Rückbau. „Entweder wir verlängern die Nutzungsdauer des Gebäudes, bis wir wissen, wie man die Materialien trennen kann, oder wir finden schnell Möglichkeiten, wie wir diese Materialien so sehr verkleinern, dass wir damit umgehen können.“
Ökologisch einkaufen
Natürlich will ich auch wissen, wie die Stadt Wien derzeit bereits bei der Materialbeschaffung auf Nachhaltigkeit achtet. „Mit dem ÖkoKaufWien-Programm haben wir bereits langjährige Erfahrungen, etwa bei Schadstoffvermeidung in Baustoffen“, erzählt Deinhammer. „Die öffentliche Beschaffung ist ein großer Hebel. Die Stadt Wien hat nicht nur öffentliche Gebäude wie Schulen, Kindergärten, Amtsgebäude. Wien ist auch sehr eng mit den Betrieben der Wien Holding, dem wohnfonds_wien und Wiener Wohnen, der größten kommunale Hausverwaltung Europas, verbunden. Gleichzeitig hat in Wien das Thema leistbares Wohnen einen sehr hohen Stellenwert. Daher denken wir über die
finanziellen Auswirkungen jeder Veränderung sehr genau nach.“
DoTank Circular City Wien 2020–2030
Der „DoTank Circular City Wien 2020–2030“, ein Leitprojekt der Wirtschaftsstrategie WIEN 2030 ist im zweiten Jahr. Daher laufen derzeit die Vorbereitungen für die ersten Projekte auf Hochtouren. „Es ist wie eine Operation am offenen Herzen“, so Deinhammer. „Wir müssen Dinge erproben, ohne das Funktionieren des Gesamtsystems Stadt zu beeinträchtigen.“
Das magistratsweite Programm ist in der neu gegründeten Stabsstelle Ressourcenschonung und Nachhaltigkeit im Bauwesen in der Stadtbaudirektion der Stadt Wien angesiedelt. Deinhammer ist Leiterin der Stabsstelle. Unter der Abkürzung DTCC30 stellt sich das transdisziplinäre Programm den großen Zukunftsthemen Digitalisierung und Kreislaufwirtschaft und fungiert als holistische, magistratsübergreifende Drehscheibe rund um das Thema. Langfristiges Ziel ist es, den gesamten Ressourcenkreislauf der gebauten Umwelt, also Gebäude, Infrastruktur, Freiraum von Produktion bis zur Entsorgung oder Wiederverwendung und Verwertung, in ein Nachhaltigkeitskonzept einzuordnen.
Lernprozess
„Wir fangen klein an, etwa Blocksanierungen begleiten, Anpassung von Ausschreibungen vornehmen, die Lebenszykluskosten berücksichtigen“, so Deinhammer. „Dabei wollen wir erfassen, was dies für Baukosten bedeutet und um für die nächsten Projekte zu lernen. Dazu braucht es einen transdisziplinären Transformationsprozess, in den auch die Bauproduktehersteller involviert werden sollen.“ Ein materieller Gebäudepass soll hierfür die Grundlage bieten und listen, was seit der Errichtung verbaut wurde. „Dieses Vorgehen wird aktuell intensiv auf europäischer Ebene diskutiert und ist überaus spannend“, so Deinhammer. „Es wird uns auch die Arbeit zukünftig sehr erleichtern. Es werden individuelle Bauten mit serieller Fertigung und Technik verbunden.“ Natürlich spielt die Aus- und Weiterbildung in diesem Bereich langfristig eine wichtige Rolle. „Das Thema Kreislaufwirtschaft ist für viele alte Hasen neu, daher ist es wichtig, in die Aus- und Weiterbildung zu investieren. Im Architekturstudium ist das Arbeiten mit Sekundärbaustoffen nicht Teil der Ausbildung. Das Denken in Kreisläufen muss in das Entwerfen integriert werden. Ich weiß es aus meiner eigenen Erfahrung, dass Architekten zumeist in Primärbaustoffen denken. Die Wiederverwendung und Verwertung, also das Arbeiten mit Sekundärrohstoffen, muss zum Standard werden.“
Digitalisierung als Schlüsselrolle
Auch beim Dessert sind wir uns einig, wir lassen es aus. Stattdessen bitte ich noch um ein Schlusswort. „Wir sind auf den gesamten Paradigmenwechsel in Gesellschaft und Wirtschaft angewiesen. Ein rückzubauendes Gebäude, wo wir Material ernten wollen, bleibt vielleicht länger als Lager stehen. Da brauchen wir Verständnis von den Menschen“, so Deinhammer. „Das Bauwesen muss auch vom linearen Denken, von einem Gewerk zum nächsten weggehen. Bis jetzt haben wir uns mit Wachstum auseinandergesetzt. Wir haben geschürft, hergestellt, verwendet und weggeworfen. Da werden sich Geschäftsmodelle und Berufsanforderungen sowie Jobs ändern. Auch das Denken in puncto Verfügbarkeit und Timing muss sich wandeln. Abrissobjekte müssen rechtzeitig gemeldet werden, damit jemand anderes dieses Material in seinen zukünftigen Bauplänen einbauen kann. Hier wird die Digitalisierung eine Schlüsselrolle spielen.“
Lokal
DAS SAGT DER FALSTAFF
Im nautisch-mediterranen Ambiente des Fischlokals Nautilus mitten am Naschmarkt gibt es Köstlichkeiten aus allen Weltmeeren – sei es zum samstäglichen Austernbrunch oder auf der legendären NautilusFischplatte für zwei. 83 Punkte.
DAS SAGT DER IMMOFOKUS
Eine gute Adresse, um Fisch und Meeresfrüchte zu essen. Die Jakobsmuscheln sind lobend hervorzuheben. Das freundliche Service und das nette, unaufdringliche Ambiente runden das Geschmackserlebnis am Naschmarkt ab.
Fischrestaurant Nautilus
1060 Wien – Naschmarkt 673
Öffnungszeiten
Montag bis Samstag: von 11 bis 23 Uhr An Sonn- und Feiertagen: von 11 bis 21 Uhr
www.nautilus-fischrestaurant.at
ImmoFokus Restaurantguide
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PUNKTE
Essen: Service: Weinkarte: Ambiente: