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KANN UNS DAS E-AUTO RETTEN?
Dekarbonisierung bis 2040. Die Klimaziele sind fixiert, die Zeit läuft (davon), und das System Verkehr ist träge. Verkehrsexperte Harald Frey im Interview über die Mobilitätswende und ihre Schwierigkeiten.
Das Gespräch führte: Lisa Grüner
Der Klimawandel ist seit Jahren ein großes Thema, 2040 sollen die Klimaziele erreicht sein. Doch der Österreicher ist immer noch sehr autoverliebt. Wie geht es weiter mit dem Verkehr?
Harald Frey: Man muss sich ehrlich eingestehen, dass wir, auch in Österreich, Lichtjahre von den Zielen entfernt sind. Jährlich werden rund 24 Millionen Tonnen CO2 nur durch den Verkehr in Österreich ausgestoßen. Bis zum Jahr 2019 ist der Autoverkehr weiter angestiegen, also dort, wo wir eine Trendwende zum öffentlichen Verkehr, zum Rad- und Fußverkehr hätten schaffen sollen, haben wir versagt. Wollen wir die Klimaziele ernst nehmen, bräuchten wir bis 2040 eine völlige Dekarbonisierung im Verkehrssektor.
Wie kann die Mobilitätswende erreicht werden?
Studien belegen, dass eine Änderung der Antriebsart helfen kann, bis 2050 knapp die Hälfte der Werte einzusparen. Damit ist die E-Mobilität ein Baustein in diesem Prozess der Dekarbonisierung, aber nicht deren Allheilmittel. Daneben braucht es eine Vielzahl an anderen verkehrspolitischen und raumordnungsbezogenen Maßnahmen – die Technologie ist nur ein kleiner Baustein dieses Maßnahmenbündels.
Also wird uns das E-Auto nicht retten?
Nein, insbesondere, wenn es um mehr als die Klimaziele geht. Aber es ist zumindest ein Schritt in die richtige Richtung zur CO2Reduktion, zumindest in Österreich. Das Thema Antriebstechnologie spielt schon eine Rolle. Der Elektromotor ist deutlich energieeffizienter, und man kann Bremsenergie rückspeisen. Autos werden aber nicht geboren, sondern müssen produziert werden. Umgerechnet hat also auch das E-Auto schon einen fossilen Rucksack von rund 60.000 Kilometern. Probleme entstehen natürlich auch bei der Batterieproduktion und beim Recycling. Solange der durchschnittliche Besetzungsgrad von Pkw in Österreich bei rund 1,1 Personen liegt, könnte man heute schon die Effizienz um den Faktor 4 bis 5 erhöhen.
Und das Wasserstoffauto?
Das Wasserstoffauto ist energetisch wesentlich ineffizienter, weil viel Energie für die Erzeugung von Wasserstoff benötigt wird. Während ein modernes Elektroauto rund 70 bis 80 Prozent einer Kilowattstunde Strom als Antriebsleistung auf die Straße bringt, braucht ein Wasserstoffauto doppelt bis dreimal so viel Strom für die gleiche Strecke. Bei Lkw oder anderen Spezialfahrzeugen wird es aber ein Thema bleiben, ähnlich wie synthetische Kraftstoffe. Auch die Primärenergieproduktion spielt eine Rolle.
Also bleibt nur der öffentliche Verkehr: Vor einigen Jahrzehnten wurden bereits Maßnahmen gesetzt. Wie wirksam waren diese?
Betrachtet man die Mobilitätskennzahlen des Jahres 1983 und vergleicht sie mit jenen der letzten österreichweiten Mobilitätserhebung aus dem Jahr 2014, so stellt man fest, dass der Anteil der zurückgelegten Wege beim öffentlichen Verkehr in Österreich 1983 exakt so groß war wie 2014. Diese Zahlen erschüttern, weil sie zeigen, dass wir ein paar Jahrzehnte und ein paar Milliarden Euro Staatsausgaben später wenig erreicht haben.
Warum ist das so?
Schuld an der Misere ist rückblickend, dass man bei den Investitionen in die Verkehrswege eine Doppelstrategie gefahren ist (und nach wie vor fährt). Man hat einen Euro in den öffentlichen Verkehr und zwei Euro in den Ausbau der Straßen gesteckt und damit die Investitionen in den öffentlichen Verkehr de facto konterkariert. Dazu kommt, dass das System träge ist, es braucht 60 bis 80 Jahre zur Veränderung.
Hat sich nicht in den letzten zehn Jahren das Bewusstsein verstärkt, den öffentlichen Verkehr auszubauen?
Das Bewusstsein ja, die Praxis schaut anders aus. Leider ist die Stilllegung von Regionalbahnstrecken ein österreichisches Negativbeispiel. Grund dafür waren betriebswirtschaftliche Argumente. Es ist problematisch, dass der öffentliche Verkehr nicht als System gesehen wird. Ein plakatives Beispiel: Würde ich meinen kleinen Finger nur nach betriebswirtschaftlichen Kriterien bewerten, müsste ich ihn mir vermutlich sofort abschneiden. Lebensfähige Systeme achten aber immer auf das Ganze. Genauso kann man die oft als „unrentabel“ eingestuf-
ten Regionalbahnstrecken sehen. Sie sind notwendige Teilstrecken, um überhaupt zu den Hauptstrecken zu kommen. Das macht sie so wichtig.
Welche Maßnahmen sind notwendig, um die Klimaziele doch noch zu erreichen?
Dringend notwendig ist der Ausbau des öffentlichen Verkehrs in der Fläche, also die Mikrosysteme zu stärken, die zu den bereits gut ausgebauten Zubringersystemen in die Ballungsräume führen. Will man den ländlichen Raum aber insgesamt stärken, so funktioniert das nur, indem man die Gemeinden miteinander vernetzt. Denn eines muss uns klar sein: Das Gelingen der Mobilitätswende wird sich weniger im städtischen als im ländlichen Bereich zeigen.
Harald Frey, TU Wien
Was kann man noch tun?
Den Gesamtenergieverbrauch in der Mobilität zu reduzieren, muss ein zentrales Ziel sein, zum Beispiel durch Herabsetzen der erlaubten Höchstgeschwindigkeiten auf Autobahnen und Landesstraßen. Dies hilft auch, den Verkehrsaufwand, also die zurückgelegten Kilometer zu reduzieren, wie es auch im Mobilitätsmasterplan der Bundesregierung gefordert wird. Auch die Stellplatzverpflichtung muss überdacht werden. Solange es vorgeschrieben ist, einen Stellplatz bei jeder Wohnung, jedem Haus oder jedem Arbeitsplatz zu errichten, ist der öffentliche Verkehr nicht konkurrenzfähig. Das Auto steht ein paar Meter von der Haustür entfernt, oder man fährt bequem mit dem Lift in die Garage; da geht keiner zu einer Haltestelle, die mehrere hundert Meter entfernt ist. Es braucht immer sogenannte Push- und Pullmaßnahmen, damit eine Verhaltensänderung passiert.
Wie zum Beispiel das flächendeckende Parkpickerl in Wien?
Die Parkraumbewirtschaftung in Wien zeigt auf, dass das knappe Gut Parkplatz etwas kostet. Über den Preis kann man das Bewusstsein gut steuern, Geld ist ein wesentliches Kriterium, um die Leute zum Nachdenken anzuregen, ob sie das Auto nehmen oder stehen lassen. Schrittweise gilt es aber, das Parkraumangebot im öffentlichen Raum zu reduzieren. Zwei Drittel des öffentlichen Raums sind derzeit für den motorisierten Individualverkehr gestaltet. Der Flächenbedarf des ruhenden Pkw-Verkehrs am Wohnort entspricht rund einem Drittel der durchschnittlichen Brutto-Wohngeschossfläche je Person in Wien. Aber dennoch: Ein alternatives und attraktives Angebot in Form des öffentlichen Verkehrs muss vorhanden sein.
Wäre eine kostenlose Nutzung von öffentlichen Verkehrsmitteln eine Lösung?
Es hat sich international gezeigt, dass das nicht viel bringt. Einerseits werden die Betreiber der öffentlichen Verkehrsmittel noch abhängiger von Subventionen, andererseits sind es insbesondere Fußgänger und Radfahrer, also eine Gruppe, die ohnehin schon ökologisch unterwegs ist, die dann vermehrt Bus und Bahn nutzen. Die Autofahrer bleiben meistens im Auto. Hier geht es eben weniger um den Preis als um das Angebot.
Wie bringt man die Leute dazu, den öffentlichen Verkehr zu nutzen?
Durch menschengerechte Strukturen: Parkt das Auto weiter weg und ist nicht bequem erreichbar, dann werden die Öffis in Betracht gezogen. Steht das Auto vor der (Haus-)Türe und habe ich dann noch einen Parkplatz bei meinem Arbeitsort, dann denke ich gar nicht darüber nach, in einen Bus zu steigen. Auch eine Verkehrserregerabgabe bei Shoppingcentern und Gewerbeparks wäre eine sinnvolle Maßnahme. Die Einnahmen sollten zur Stärkung der innerstädtischen Wirtschaftsbetriebe verwendet werden, die keine scheinbar unbegrenzte Zahl an Gratisstellplätzen vor den Geschäften haben.
Welches Umdenken ist gefordert?
Das Auto wurde über Jahrzehnte massiv gefördert und mit ihm seine Strukturen, die nichts mit den historischen Siedlungen oder einer kleinteiligen Wirtschaft gemein haben. Die Nahversorgung wurde durch das Auto zerstört. Dinge, die früher in der Nähe und zu Fuß erreichbar waren, sind heute meist weit entfernt, am Rande der Ortschaften oder überhaupt nicht mehr im Ort vorhanden. Der Großteil unserer Wege sollten kurze Wege im Ort oder in der Region sein. Dazu müssen wir jedoch wieder viel kleinteiliger werden und vernetzter denken. Der Ökonom Leopold Kohr hat dies als notwendige Rückkehr zum menschlichen Maß treffend bezeichnet.
Hat da der Städtebau versagt?
In gewisser Weise ja. Es gibt seit vielen Jahren keinen qualitativen Städtebau mehr, zum überwiegenden Teil hat man diese Fertigkeiten verlernt und das Wissen fragmentiert. In diesem Bereich muss man sich die Frage stellen, welche Qualitäten man sich von Stadtentwicklungskonzepten erwartet. Geht es darum, dass es zu jeder Wohnung einen Stellplatz gibt oder man zu jedem Haus zufahren kann, oder geht es um ein kleinteiliges, in seiner Maßstäblichkeit dem Menschen angepasstes vielfältiges und lebendiges Stadtquartier? Jan Gehl beschreibt in seinem Buch „Städte für Menschen“ diese notwendigen städtebaulichen Kriterien, die zu beachten sind; zum Beispiel wie der Bezug zum öffentlichen Raum ab dem fünften oder sechsten Stockwerk versagt. Er gibt damit auch ein Plädoyer gegen Wohnhaushäuser ab, was wir bereits bei Roland Rainers „Kriterien der wohnlichen Stadt“ finden. Und nicht zuletzt hat uns Hundertwasser bereits darauf hingewiesen, dass die Gerade das dümmste Element der Planung sei und wir deshalb entsprechend sorgsam mit ihr umgehen sollten. Vergleichen wir alle diese Aspekte mit dem heutigen Städtebau, und wir erkennen, was schiefläuft.
Sind Sie mit der Entscheidung zur vorläufigen Einstellung des Lobautunnels glücklich?
Eine Autobahn unter einem Nationalpark zu bauen, halte ich prinzipiell für keine gute Idee. Es hätte auch die verkehrliche Situation im 22. Bezirk nicht verbessert, sondern verschärft. Die Tangente wäre weiter stark belastet geblieben, da sie direkt durch das Stadtgebiet führt. Eine weitere Autobahn macht das
Harald Frey
Harald Frey ist Senior Scientist am Institut für Verkehrswissenschaften der TU Wien. Er lehrt und forscht seit 2006 zu den Themen Verkehrs- und Siedlungsplanung, Mobilität und Systemdenken. Zu diesen Themen hat er mehr als 300 Publikationen veröffentlicht. Er ist Verfasser zahlreicher Verkehrskonzepte, Gutachten und verkehrstechnischer Untersuchungen in der Praxis, Leiter der Arbeitskreise „e-mobility“ und „Nachhaltige Infrastruktur“ der Österreichischen Verkehrswissenschaftlichen Gesellschaft (ÖVG) und seit 2020 Aufsichtsratsmitglied der Österreichischen Postbus AG und der ASFINAG. Zusätzlich ist Frey Vorstandsmitglied des „Club of Vienna“ und des Nachhaltigkeitsforums Illmitz.
Autofahren attraktiver und produziert damit mehr Autoverkehr. Ähnliches gilt für die sogenannte Stadtstraße. Ein Widerspruch zu den von der Stadt Wien beschlossenen Zielen. Mir ist es deshalb auch völlig unverständlich, warum die Stadt am Projekt festhält. Ist das Umland besser erreichbar, rinnt die Stadt aus.
Welche Prozesse müssen installiert werden, um den Mobilitätswandel herbeizuführen?
Man muss sich die Frage stellen, welche Strukturen es in Verwaltung und Politik dafür braucht, um diese Prozesse in Gang zu bringen. Einen großen Hebel stellt die Verkehrsfinanzierung dar. Bisherige Sowohlals-auch-Strategien von Investitionen in Straßen- und öffentlichen Verkehr haben sich als nutzlos erwiesen. Man kann nun mal nicht gleichzeitig mit dem Auto und mit der Bahn fahren. Investitionen in den Breitbandausbau (Stichwort Datenautobahn) können wiederum helfen, einen Teil des physischen Verkehrs zu reduzieren. Prinzipiell gilt es, sich der Vor- und Nachteile technologischer Lösungen bewusst zu sein, Systemwirkungen zu kennen und entsprechend darauf zu reagieren. Die destruktiven Auswirkungen durch Internethandel oder der Überwachung von Bürgern ist nur ein Teil dieser Wirkungen.
Gibt es da nicht auch blinde Flecken?
Man muss sich die Prozesse und Strukturen im Hintergrund der Verwaltung anschauen und die richtigen Fragen stellen. Sind die angewendeten Richtlinien noch zeitgemäß? Kann man Straßenbreiten reduzieren und Fahrradewege bauen oder den öffentlichen Raum begrünen? Im Verkehrssystem gibt es nicht die eine Lösung, es gibt immer nur ein Maßnahmenbündel. Verkehrsplanung ist eine Querschnittsmaterie, die in Wechselwirkung mit Ökonomie, Ökologie und Sozialem steht. Verändere ich das Verkehrssystem, beeinflusst das die Umwelt, die Wirtschaftsstrukturen, das Zusammenleben der Menschen und vieles mehr.
Was benötigt es vonseiten der Politik?
Mut und trotzdem auch ein Sensorium, die Dinge gemeinsam mit den Menschen zu entwickeln. Das geht nur, wenn die Politik wieder beginnt, den Menschen zuzuhören (und nicht nur sogenannten Experten), aber auch die richtigen Fragen zu stellen. Dazu braucht es Vernunft und Gewissen: Lösungen statt Scheinlösungen, Naturerhalt statt Naturzerstörung und Freiräume für individuelle Entfaltungsmöglichkeiten. So gesehen darf eine Planung nie alles vorwegnehmen, sondern muss auch Spielräume – im wahrsten Sinne des Wortes – ermöglichen. Hierzu fällt mir das Buch „Unplanning“ von Charles Siegel ein.
Wie sieht der Verkehr der Zukunft aus?
So wie wir ihn gestalten! Wir können uns überlegen, ob wir in Zukunft vielfältige, durchmischte, kleinstrukturierte, begrünte und menschliche oder monotone, graue, asoziale Siedlungs- und Stadtstrukturen haben wollen. Letztere sind die Folge und Konsequenz einer am Auto orientierten Stadtplanung. Der motorisierte Individualverkehr sollte keinesfalls die Maßstäblichkeit der Stadtstrukturen bestimmen, so wie es heute leider vielerorts der Fall ist.
Mobilität ist letztlich immer Ausdruck eines Mangels am Ort. Je miserabler der Städtebau, indem beispielsweise monofunktionale Quartiere geplant und entwickelt werden, desto höher die Zwangsmobilität und damit die Abhängigkeit vom Auto oder anderen schnellen Verkehrsmitteln. Eine Stadt der kurzen Wege existiert deshalb nur als Stadt der niedrigen Geschwindigkeiten.