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WEIN UND IMMOBILIEN
Wein & Immobilien
Frisch von der Leber weg
Ein lockeres Gespräch bei einem Weinstreifzug im Ristorante Danieli mit Matthias Neitsch, Geschäftsführer von RepaNet und VABÖ, Präsident des EU-Dachverbands der sozialwirtschaftlichen Re-Use-Unternehmen RREUSE.
Kreislaufwirtschaft ist eine Organisationsfrage
Wege zur Werterhaltungswirtschaft. Die derzeitige gesellschaftliche und wirtschaftliche Transformation verlangt nach innovativen Geschäftsmodellen.
Kolumne: Lisa Grüner
Bei einem Achterl lässt sich ein so umfassendes und komplexes Thema wie die Kreislaufwirtschaft oder auch Circular Economy viel leichter erörtern. Derzeit kommt kaum ein Strategiepapier oder Policy-Statement auf EU- oder nationaler Ebene ohne dieses neue Schlagwort der Umweltpolitik aus. Auch das österreichische Regierungsprogramm nicht. Dazu passt meiner Meinung nach ein Wiener Gemischter Satz DAC 2020 vom Mayer am Pfarrplatz, ein trinkfreudiger, erfrischender Wein mit feinen Nuancen von Birne, Zitrus und Apfel. Mein Gesprächspartner hat mit dem Thema Kreislaufwirtschaft nicht nur seinen Beruf, sondern auch seine Berufung gefunden. „Ich komme ja aus der Abfallwirtschaft“, erzählt Neitsch, der ursprünglich begonnen hatte, auf Lehramt Geschichte und Psychologie, Philosophie und Pädagogik zu studieren. „Den Lehrberuf habe ich angestrebt, um die Gesellschaft verändern zu können.“ Dann war er als Waldfacharbeiter und Schäfer tätig, bis es die ersten Ausbildungen zu Umweltschutz gab. „Ich habe den jungen Beruf des kommunalen Umwelt- und Abfallberaters zehn Jahre lang im Bezirk Liezen gemacht.“ Neitsch mag es, Pionier zu sein und Neues aufzubauen. „Als ich Lust auf eine neue Herausforderung hatte, ging ich zur ARGE Müllvermeidung. Dort konnte ich die ersten Abfallvermeidungsprojekte mithilfe von EU-Fördermitteln managen. Re-Use und Sozialwirtschaft kamen als Träger dieser Geschäftsmodelle ins Spiel, und aus einem Projektergebnis ist dann RepaNet entstanden.“ Acht Gründungsunternehmen rückten anfangs das Thema Reparatur in den Fokus, dann ging es mehr in Richtung Re-Use und Wiederverwendung. „Wir haben das Thema für Österreich aufgearbeitet und uns stark vernetzt“, erzählt Neitsch weiter. „2004 wurde RepaNet gegründet, 2009 ist der Verein durchgestartet und hat alle wesentlichen politischen und rechtlichen Rahmenbedin-
gungen mitgestaltet. Da durfte ich meine Berufung zum Beruf machen.“
Die Vision wird stärker
Als Nächstes probieren wir einen Pinot Grigio „Bersò“ 2020 von Agricola Sirch aus dem italienischen Friaul. Der strohgelbe trockene Wein spannt sich schön über die Zunge und geht harmonisch ab. An dieser Stelle will Neitsch gleich die Begrifflichkeiten klären. „Meist wird Kreislaufwirtschaft als progressive Abfallwirtschaft verstanden und gleichzeitig missverstanden. Da geht es um weit mehr: Produktpolitik, Rohstoffpolitik, Sozialpolitik, Wirtschaftspolitik, Gesellschaftspolitik, Infrastrukturpolitik und natürlich auch um Umweltpolitik.“ Für Neitsch ist die Kreis-
laufwirtschaft gleichzeitig eine Vision. „Wir befinden uns mitten in einer gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Transformation“, so Neitsch. „Es entwickelt sich eine Subbewegung, die mit vielen Experimenten, Pilotprojekten, Start-up-Gründungen auf sich aufmerksam macht.“ Spannend ist für ihn, dass in diesem Feld die klassische Durchflusswirtschaft, die auf einem Wachstumsmodell basiert, neu gedacht werden muss. „Wir müssen hin zu einer Werterhaltungswirtschaft.“ Also verwenden, was schon da ist, denn das nachhaltigste Produkt ist das, das wir schon haben. Kurz gesagt, es gehören die Produkte und verwendeten Ressourcen im Kreislauf gehalten. „Derzeit gibt es ja keine geschlossene Kreislaufwirtschaft“, so Neitsch. „Es muss immer neue Energie zugeführt werden, also kann es derzeit nur in Richtung einer längeren Nutzung gehen.“
RepaNet sieht sich als Teil der Transformation und als Schnittstelle zur Sozialwirtschaft. „Es geht immer einher mit einer sozialen Komponente, es gibt Verlierer wie die Automobilindustrie, aber auch Gewinner wie die IT. Die Industrie wird sich ambivalent entwickeln, die Industrie 4.0 ist die Vorstufe zur Deeskalierung. Es kommt zu einer Dezentralisierung von hochwertigen, langlebigen Gütern. Güter wie ein Laptop werden massiv teuer, er hält aber durch hochwertige Komponenten länger.“ Damit ist für Neitsch klar, dass die Kreislaufwirtschaft keine Technologiefrage, sondern eine Organisationsfrage ist. „Es ist sinnlos, Dinge zu kaufen, kurz zu nutzen und sie dann auf kleinem Wohnraum zuhause zu lagern. Hier braucht es Ideen zu Re-Use, also zur Wiederverwendung von gebrauchten Gütern. Sind diese langlebig und reparierbar, dann muss man deren Bewirtschaftung neu organisieren.“ Schön wäre es, so findet
Neitsch, wenn sich die Menschen mit wenig materiellen Dingen wohlfühlen würden.
Matthias Neitsch, RepaNet und VABÖ
Sehr oft fehlen die Intermediäre
Im Großen geht die Idee in Richtung von E-Commerce-Plattformen, auf denen viele Anbieter tausende Produkte anbieten. „Ein Beispiel möchte ich nennen: Die Bank Austria hat 5.000 Einheiten Büromöbel an die Caritas gespendet. Diese hat einen Store mit Möbeln zur Besichtigung bestückt, die man dann bestellen konnte. Ein logischer nächster Schritt wäre, solche Ideen österreichweit auszurollen. Es braucht Geschäftslösungen für verschiedene Produkte, die noch verwendet werden können, wie zum Beispiel gebrandete Arbeitskleidung. Im Bereich Industrieanlagen wäre viel weiterzuverwenden. „Man glaubt gar nicht, wie viele Maschinen verschrottet werden, weil der Intermediär und letztlich Logistik und Information fehlen“, so Neitsch. Als positives Beispiel führt er Caterpillar an. „Das Unternehmen nimmt ihre alten Bagger und Schubraupen wieder zurück, zerlegt sie und baut daraus neue. Was nicht mehr zu verwenden ist, wird eingeschmolzen beziehungsweise recycelt. Man muss ja bedenken, dass der Produktwert viel höher ist als der Materialwert. Bei jedem Recyclingschritt hat man einen teils hohen Qualitäts- und jedenfalls einen Masseverlust.
Neue Konzepte sind gefragt
„Es wäre wichtig, die Architekten ins Boot zu holen, sodass diese, anstatt Kataloge zu wälzen, schauen, was es gebraucht gibt. Es gibt ja auch besondere Schmankerln, die man verbauen kann.“ Dabei verweist Neitsch darauf, dass man bei Gebäuden meist schon drei Jahre vorher weiß, dass sie abgerissen werden. „Da muss man rechtzeitig ins Gebäude rein und alles aufnehmen, katalogisieren und anbieten.“
Bei einem Achterl Gavi di Gavi 2020 von La Giustiniana aus dem Piemont plaudern wir weiter. Der Kultwein Nummer eins des berühmten Anbaugebiets ist schon lange eindrucksvolles Aushängeschild der Region. Mit einer angenehm erfrischenden Säure kommt er in sattem Gelb, vollmundig und mit leicht aromatischen Nuancen. Für ein paar utopische Gedanken ist noch Zeit, also zurück zur Transformation: „Corona hat uns den Spiegel vorgehalten“, so Neitsch. „In Bezug auf unser Konsumverhalten, aber auch gesellschaftlich. Wer hätte vorher gedacht, wie sehr wir unser Sozialverhalten brauchen und wie krank uns dieser ständige Bedrohungsdruck macht.“ Damit malt er seine Utopie aus: „In Zukunft sollten wir unsere Bedürfnisse immer stärker immateriell decken“, so Neitsch. „Statussymbole und industrielle Massenproduktion geht zurück. Dienstleistungen werden viel vernetzter angeboten werden. Was spricht dagegen, dass der Pizzadienst die Schmutzwäsche mitnimmt oder den Müll runterträgt? Auch am Arbeitsmarkt werden neue Modelle gefragt sein. Schon früher waren kleine lokale Betriebe flexibel, zum Beispiel in Tourismusregionen: Im Sommer Malerbetrieb, im Winter Skiverleih. Wer ein cleveres Modell bietet, wird den Markt beherrschen beziehungsweise Mitarbeiter haben und halten. Ein Betrieb, wo man im Winter stempeln gehen muss, hat kein nachhaltiges Geschäftsmodell.“ Lassen wir uns also überraschen, wohin uns die Transformation langfristig führt. Oder noch besser, gestalten wir sie mit. Prost.