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WIEDERVERWENDEN, WAS GEHT

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VORSCHAU/IMPRESSUM

VORSCHAU/IMPRESSUM

Social Urban Mining. Auf den Gründen des ehemaligen Sophienspitals im 7. Bezirk entsteht ein neues Stadtquartier, entwickelt von SOZIALBAU AG und WBV-GPA. Ein Teil steht unter Denkmalschutz, ein Teil wird abgerissen und steht derzeit BauKarussell für Social Urban Mining zur Verfügung. Markus Meissner, Ressourcenmanager und Leiter von BauKarussell, über Wiederverwendung in Abrisshäusern.

Das Gespräch führte: Lisa Grüner

Markus Meissner

Markus Meissner studierte an der Universität für Bodenkultur Wien. Seit dem Jahr 2003 verantwortet er beim Österreichischen Ökologie-Institut und bei pulswerk das Design und die Abwicklung von Projekten im Ressourcenmanagement. Seit dem Jahr 2008 liegt sein Fokus auf Re-Use, der „Vorbereitung zur Wiederverwendung“, um Kreislaufwirtschaft in den Feldern Haushalt und — seit 2015 unter dem Titel BauKarussell — im Rückbau zu etablieren.

Stolpert man bei Re-Use nicht immer wieder über den Begriff Recycling?

Markus Meissner: Ein großes Problem. Bei uns geht es prioritär um Re-Use. Im Englischen würde das niemand verwechseln — Recycling und Re-Use. Im Deutschen haben wir das Problem, dass das eine Verwerten und das andere Verwenden heißt. Der Unterschied liegt in zwei Buchstaben, und es hat sich als sehr schwer herausgestellt, diesen Unterschied in die Köpfe der Partner zu bringen. Reden wir mit potenziellen Projektpartnern, Bürgermeistern, Landesräten über Stoffe und Abfallwirtschaft, dann verstehen sie sofort Recycling. Der Begriff ist seit 30 Jahren bekannt, und sie schalten ab. Dann steht da groß Verwertung im Kopf, und ich komme gar nicht mehr dazu, das Verwenden zu erklären. Dabei ist gerade der Unterschied wichtig.

Warum ist die Begrifflichkeit so wichtig?

Wenn ich als Beispiel eine Sesselplatte aus dem Ferry-Dusika-Stadion hernehme, dann ist Re-Use: Ich nehme diese Sesselplatte und setze sie woanders ein. Recycling ist, ich schreddere sie und verwende die Holzschnitzel in einer Pressspanplatte wieder. Damit wird eines klar: Erhalte ich die Funktion des Produkts, habe ich einen viel höheren Wert. Beispielhaft gesagt: Für einen Metalltisch bekomme ich vielleicht wenige Cent Materialerlös beim Schrotthändler, kann ich aber den Tisch, der einen Neuwert von 150 Euro hatte, verkaufen, dann bekomme ich noch 10 Euro dafür — also ein Vielfaches. Im Gegensatz zu Recycling muss keine weitere Energie hineingesteckt werden.

Der Wandel ist im Gang …

Die Recycling-Baustoffverordnung hat viel bewirkt. Der Green Deal und die EU-Taxonomie haben dem Thema einen weiteren Schub gegeben. Das kommt uns und vor allem dem Umweltschutz sehr entgegen.

Wie sieht der Ablauf in der Praxis aus?

Wir haben Dienstleistungen identifiziert. Was wir gerne machen, ist Bodenbeläge und Zwischendecken entfernen und Schad- und Störstoffe erkennen, also Stoffe, die aus dem Gebäude rausmüssen. Dann können Beton, Ziegel, Stahl und Holz in die stoffliche Verwertung gegeben werden. Es darf aber nichts verschmutzt sein. In einem Betonbruch darf sich kein Parkettboden befinden, denn der verhindert, dass ich das wieder als Zuschlagmaterial in die Betonindustrie hineinbekomme. Das heißt, das Holz muss vorher raus.

Die Schad- und Störstofferkundung ist ja eine heikle Sache …

Laut Gesetz muss diese erfolgen, und der Bauherr muss sie in Auftrag geben. Für uns ist diese Schad- und Störstofferkundung eine wichtige Grundlage des Arbeitens. Darauf basierend entscheiden wir, was wir angreifen und was nicht. Prinzipiell war das Inkrafttreten der Recycling-Baustoffverordnung 2016 eine wichtige Voraussetzung für unsere Arbeit. Damit wurden die Bauherren zu einem verwertungsorientierten Rückbau verpflichtet.

Wie lange sind Sie in den Projekten tätig?

Am MedUni-Campus Mariannengasse hatten wir zehn Monate Zeit für die Verwertung, beim Dusika-Stadion vier Monate, das war ein großes Projekt, bei dem wir 1.100 Stück der Sitze in die Wiederverwendung vermitteln konnten. Auch große Granitblöcke werden jetzt in der Gemeinde Großenzersdorf für Parkabsperrungen eingesetzt. Beim Dusika-Stadion hat man auch gesehen, dass private und gewerbliche Abnehmer Re-Use-Objekte nachfragen.

Spielt die Geschichte hinter den Stücken eine große Rolle?

Neulich haben wir einen schönen Eschenparkett ausgebaut und vermittelt. Bei sorgfältigem Ausbau bleiben Nut und Feder intakt, man baut den Boden woanders ein, schleift ihn ab und versiegelt ihn. Kostenmäßig liegt man da bei der Hälfte eines Neupreises. Viel wichtiger ist aber für den Bauherrn oft die Geschichte dahinter. Er baut keinen alten Boden ein, sondern ein Stück Geschichte aus

einer Villa oder Bildungseinrichtung. Gerade beim Dusika-Station haben wir gesehen, dass viele Menschen emotional mit dem Stadion verbunden sind und sich ein Erinnerungsstück sichern wollten.

Wie funktioniert Re-Use konkret?

Wenn wir uns hier umsehen, sehen wir ein schönes Beispiel für Re-Use. Wir haben jemanden aus unserem Netzwerk gefunden, der zwei Türstöcke wollte. Für gewisse Produkte

haben wir bereits Stammkunden, die wir anrufen. Die schicken dann jemanden, der die Sachen unter unserer Anleitung ausbaut, oder wir erledigen das für sie. Das passiert alles, bevor der maschinelle Abbruch kommt. Wir bekommen vom Bauherrn eine Frist, wann der Abbruch erfolgt, bis zu diesem Zeitpunkt können wir etwas entnehmen.

„Erhalte ich die Funktion des Produkts, habe ich einen viel höheren Wert als bei Recyclingware.“

Markus Meissner, BauKarussell

Es wird aber nur etwas ausgebaut, das bereits verkauft ist, oder geben Sie auch Dinge auf Lager?

Ersteres. Das ist die Grundidee bei uns. Das Lager ist das Abrissgebäude, und das haben wir solange, wie wir es vom Bauherrn zur Verfügung gestellt bekommen. Alles, was wir nicht ausbauen, bleibt also dem Bauherrn und geht nicht in unser Eigentum über. Verkaufen wir etwas, geht das dann kurz in unser Eigentum über, und wir vermitteln es. Das ist eine Gewährleistungsfrage, damit der Käufer keine Forderungen gegenüber dem

Bauherrn hat. Das Gewährleistungs- und Produkthaftungsthema ist ein sehr wichtiges. Nicht zu verwechseln mit der Garantie, die ist etwas Freiwilliges. Aber Gewährleistung muss ich als Verkäufer geben.

Auf die gebrauchten Dinge gibt es auch eine Gewährleistung?

Ja, natürlich. Bei B2B ist das verhandelbar, aber bei Endkonsumenten gilt das Konsumentenschutzgesetz. Da kann ich die Gewährleistung maximal auf sechs Monate reduzieren.

Was ist, wenn der Türstock beim Ausbau beschädigt wird?

Das ist das Risiko des Käufers. Er übernimmt ihn, wie besichtigt. Wenn einer 20 Türstöcke nimmt und einer ist verbogen, nimmt er sich einfach einen 21sten. Genau genommen verkaufen wir nicht den Türstock, sondern der Käufer bezahlt die Vermittlung. Wir haben ja den Aufwand, den Türstock zu suchen, ihn anzubieten und den Abbau zu beaufsichtigen.

Der Rechtsrahmen ist nicht dafür ausgelegt, Dinge wiederzuverwenden?

Unser Anspruch ist es, den Rechtsrahmen mit zu verändern oder zu beeinflussen. Die Kreislaufwirtschaft ist neu, und die Gesetze geben da keinen Rahmen vor, da es das bis jetzt nicht gegeben hat. Wir gehen nicht auf Konfrontation mit dem Gesetzgeber, sondern bringen als Pioniere einfach unser Know-how aus der Praxis ein.

Gibt es auch Raritäten wie besondere Holzböden?

Der Ausbau von Böden ist eine klassische Dienstleistung von uns. Wir finden immer wieder verschiedene Bodenbeläge von Parkett, Linoleum, Laminat bis hin zu PVC. Das sind Störstoffe im Sinne des Rückbaus und müssen aus dem Objekt entfernt werden, bevor der maschinelle Abbruch erfolgt. Das ist eine perfekte Arbeit für unsere sozialwirtschaftlichen Partner. Da arbeitet man mit der Hand oder mit Kleinmaschinen wie dem Teppichstripper und schneidet das Material heraus, und wir können Zimmer für Zimmer dokumentieren, wo das schon erledigt ist. Der zuvor erwähnte Eschenparkett war natürlich ein Highlight, das auch wiederzuverwenden war.

Wie geht man mit Elektrik wie zum Beispiel Lampen um?

Es gibt gewisse Bestimmungen, wie Lampen zu behandeln und zu bearbeiten sind. Hier haben wir Leuchtstoffröhren, die fallen beispielsweise unter gefährlichen Abfall und müssen aus den Lampen ausgebaut werden, da sie Quecksilber enthalten. Generell müssen elektrische Stoffe vor dem Abbruch aus dem Gebäude entfernt werden. Also haben unsere Mitarbeiter den Auftrag, die Lampen abzunehmen, die Leuchtstoffröhren auszubauen und dem Fachentsorger zu übergeben. Für diese Arbeit kalkulieren wir eine Zeit zum Beispiel für 1.000 Lampen, und dann schauen wir, ob wir Gegenerlöse finden und dafür alle Lampen entfernen. Es ist auch wichtig,

eine Dienstleistung nicht nur anzufangen, sondern komplett durchzuführen. Der Abbruchunternehmer hat ja nichts davon, wenn wir 300 Lampen rausnehmen und dann 700 im Gebäude verbleiben. Da gibt es für den Bauherrn für die Ausschreibung keinen Vorteil. Nur wenn er die Leistung komplett aus der Ausschreibung rausnehmen kann, dann hat er einen Vorteil.

In Zusammenhang mit den Lampen gibt es noch einen weiteren Schadstoff, einen silbernen Kondensator, in dem sich PCPs (polycyclische Benzole) befinden, das ein Kontaktgift ist und nicht auf die Haut geraten darf, weil es krebserregend ist. Die Mitarbeiter müssen da jeden einzelnen händisch herausschrauben. Unsere Mitarbeiter bekommen für jeden Schritt eine genaue Anleitung und werden immer von einer Schlüsselarbeitskraft beaufsichtigt.

Ihre Arbeit hat auch eine sozialwirtschaftliche Komponente …

Genau, und diese ist ganz zentral für unser Tun. Wir haben bereits in mehreren Bundesländern mehrere sozialwirtschaftliche Partner identifiziert, deren Hauptzweck es ist, Personen wieder in den ersten Arbeitsmarkt zu integrieren. Diese haben einen Vertrag mit dem Arbeitsmarktservice (AMS), dass sie sogenannte Transitarbeitsplätze zur Verfügung stellen und gefördert bekommen und diese ihnen passende Arbeitskräfte zuweisen. In unserem Fall bekommt Die Kümmerei von BFI

Wien/Job-TransFair vom AMS Wien Personen, die schon im Bereich Bau tätig waren und langzeitarbeitslos sind, zugewiesen. Diese sind dann bei Job-TransFair in einem befristeten Dienstverhältnis von sechs Monaten und erhalten ein Training, eine Teilqualifizierung und einen fixen Tagesrhythmus. So schaffen wir in unseren Projekten sozialen Mehrwert.

„Das Anbieten von Re-UseObjekten ist ein sehr lokales Geschäft, deswegen freuen wir uns über Nachahmer.“

Markus Meissner, BauKarussell

Welche Kosten entstehen für den Bauherrn?

Der Bauherr bezahlt die Planungsdienstleistung von BauKarussell. Für den operativen Rückbau können wir ein Nullsummenange-

bot machen. Das bedeutet: Die Arbeitsstunden unserer sozialwirtschaftlichen Partner werden mit den Erlösen der Wertstoffe, die wir im Gebäude finden, refinanziert.

Ohne den Zuschuss von AMS-gefördertem Personal funktioniert es also noch nicht?

Unser Modell ist so flexibel, dass es mit verschiedensten Partnern angewandt werden kann. Ob es sich um Social Entrepreneure, Non-Profit-Organisationen oder vom AMS geförderte Einrichtungen handelt, ist dabei zweitrangig. Alle Genannten müssen in ihrem Wirtschaften auf ihre Kosten achten, und daraus ergeben sich die notwendigen Kalkulationsgrundlagen für unser Kostenmodell. Auch AMS-geförderte Betriebe sind verpflichtet, Dienstleistungen zu marktüblichen Preisen zu erbringen. Die AMS-Förderung deckt ausschließlich die Mehrkosten für die Unterstützung der sozialen Integration ab. Die sozialwirtschaftlichen Betriebe zahlen ihren Arbeitskräften kollektivvertragliche Gehälter. Ganz zentraler Bestandteil des Social Urban Mining von BauKarussell ist jedenfalls der soziale Mehrwert: dass wir faire Arbeit für am Arbeitsmarkt benachteiligte Personen schaffen. Und wir planen die Arbeiten entsprechend der wirtschaftlichen Notwendigkeiten unserer operativen Partner.

Ist BauKarussell beispielgebend für andere Länder?

Unser Anliegen ist es, dass es viele — von uns unabhängige — Nachahmer in vielen verschiedenen Ländern gibt. Das Anbieten von Re-Use-Objekten ist ein sehr lokales Geschäft. Es macht wenig Sinn, die ausgebauten Teile dann kilometerweit herumzufahren. Kreislaufwirtschaft bemüht sich vielmehr um möglichst kleine, möglichst regionale Kreisläufe. Daher braucht es auch viele regionale Initiativen. Wir freuen uns also, dass wir immer wieder eingeladen werden, unseren Ansatz im Ausland vorzustellen, und wir teilen gerne unsere Expertise. Je mehr Nachahmer wir haben, umso besser, denn schließlich bringt das die Baubranche als Ganzes weiter. 2020 wurde unser Ansatz auf europäischer Ebene mit dem dritten Platz des Circular Societies Prize ausgezeichnet. Es zeigt uns, dass andere Experten auf europäischer Ebene unsere Idee bestätigen.

Hätten Sie ein paar Zahlen zu BauKarussell?

In Summe fanden bisher über 160 Personen in BauKarussell-Projekten faire Beschäftigung. Sie haben in 26.000 Arbeitsstunden über 1.270.000 Kilogramm Ressourcen bewegt, wovon 580.000 Kilogramm der direkten Wiederverwendung zugeführt wurden.

Von wem bekommen Sie derzeit Aufträge?

Zu den Auftraggebern und Förderern von BauKarussell zählen österreichweit u. a. die Bundesimmobiliengesellschaft (MedUniCampus Mariannengasse, 2019—2020) und ihre Tochter ARE Austrian Real Estate (VILLAGE IM DRITTEN, 2020), die LINZ AG (2020), die Energie AG OÖ (2020), die BUWOG (Glaspalast, 2017), die SOZIALBAU AG (ehemalige VHS Stöbergasse, 2020, Sophienspital 2021—2022), die WBV-GPA (Sophienspital 2021—2022), die Stadt Wien (Ferry-Dusika-Stadion, 2021) und das Klimaschutzministerium.

BauKarussell

BauKarussell startete 2015 mit dem Ziel, Beschäftigung und Qualifikation für am Arbeitsmarkt Benachteiligte mit der konsequenten Umsetzung von Kreislaufwirtschaft im Gebäuderückbau zu verknüpfen. Das von BauKarussell entwickelte Konzept Social Urban Mining basiert auf erweiterter Wertschöpfung der Potenziale von Abbruchgebäuden. Die Rückbauphase wird durch die Entnahme und Vermittlung von re-use-fähigen Bauteilen und die sortenreine Sicherung von Wertstoffen optimiert. Das BauKarussell-Team (ROMM ZT, pulswerk GmbH, RepaNet) begleitet Bauherren von Rückbauplanung bis Durchführung. Die operativen Arbeiten werden bundesweit von lokalen sozialwirtschaftlichen Partnerbetrieben durchgeführt.

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