Studierende der Klasse Fotografie
~ Universit채t f체r angewandte Kunst Wien
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Konsens Nonsens Ernst Strouhal
Kommunikation beruht bekanntlich ausschließlich auf Missverständnissen. Kurz vor Weihnachten – das Kunstjahr läuft hochtourig – wurde ich gebeten, eine kurze Reflexion zum Titel einer Ausstellung bereitzustellen. Nicht zu den Werken, die mir unbekannt bleiben sollten, sondern bloß zum Titel der Ausstellung. Der Titel ist Nonsens ist keine Meinung. Eine Aufgabe, die ich nach kurzem Zögern annahm, bot doch Nonsens einen bequemen Anhaltspunkt: ein paar Worte zur dadaistischen Tradition, zu Searle, Wittgenstein und, falls nötig, zu Duchamp und Carnap. Freilich, ich hatte mich verhört, wie sich in der schriftlichen Nachfassung herausstellte, die mit hartem professionellem Zugriff noch am selben Tag erfolgte. Der Titel der Ausstellung ist nicht Nonsens, sondern das rätselhafte Konsens ist keine Meinung. Wer, denke ich durch Zusage in die Falle geraten, denkt sich so einen Titel aus? Konsens ist keine Meinung formuliert eine These. Jede These, die ins sprachliche Gewand einer Negation schlüpft – wie etwa: Die Welt ist keine Scheibe oder Kunst ist nicht Selbstzweck – suggeriert, dass auch das Gegenteil einen Wahrheitswert beansprucht. Zweierlei ist dabei vorausgesetzt: 1. Dass irgendjemand einmal die gegenteilige Behauptung aufgestellt hat (Welt ist Scheibe, Kunst ist Selbstzweck) und 2. dass diese Behauptung Sinn macht, zumindest so viel Sinn, dass ihre Negation (keine Scheibe, kein Selbstzweck) einen Erkenntnisgewinn verspricht.
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Aber was wäre dies im Fall von Konsens ist keine Meinung? Etwa: Dissens ist keine Meinung. Oder: Konsens ist eine Meinung. Vor allem: Was ist denn gut an einer Meinung? Auch Nazis haben ja eine Meinung. Ist es gut, wenn man keine Ahnung hat, eine Meinung zu haben bzw. sie zu äußern? Schließlich: Haben denn Künstler überhaupt eine Meinung? Meinen Künstler etwas? usw. usf. An diesem Punkt breche ich ab und frage Inge Berdach, Enkelin des bekannten österreichischen Schriftstellers. Sie schreibt mir: „Ich verstehe Ihre Not. Ihre Sätze gelten nicht in diesem Sprachspiel. In Ihrem Sprachspiel ist ein Satz wie Konsens ist keine Meinung bedeutungslos. Wie der schöne Satz: Osten klingt nach Primzahl. Oder der schöne Satz: 17 ist links von blau. Doch Sätze dieser Natur haben im Sprachspiel der Kunst ihr Existenzrecht. Ihre Bedeutung kann die Kunst nur in ihrer eigenen Sprache erzählen. In diesem Sprachspiel sind jedoch Ihre Sätze bedeutungslos. Schweigen Sie also. Fordern Sie die Leser einfach auf umzublättern.“ Blättern Sie um.
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Gespräch zwischen A und Z Ruth Horak
A (Unbeteiligter) Eine Ausstellung der Klasse Fotografie von der Angewandten – gibt es nur Fotos zu sehen? Z (Beteiligter) Künstlerische Fotografie ist immer mehr als nur ein Foto – zu sehen sind Konzepte, Objekte, Videos, Fotografien … A Eigene Entwürfe oder Found Footage? Z Beides. Seit Duchamp das Konsumieren als Möglichkeit neben dem Produzieren legitimiert hat, ist die partielle Autorenschaft nicht mehr wegzudenken. A Straight oder Staged? Z Beides: Dokumentarfotografie, Inszenierungen, Re-Inszenierungen, Kompilations, Modelle … A Und das Thema? Z Naturwissenschaften, Körper, Arbeit, Kindheit, Krieg, Alltagskultur und Medienimmanentes: das Abbild, der Film, die Fotografie. A Eine you-tube-Kompilation, ein vorhangverhangenes Fenster, eine Mondfinsternis, ein unbelichteter Filmstreifen, eine 80er-Jahre-Party, eine Werkstatt, ein schmelzender Eiswürfel, Geweihbretter, zwei Lineale, ein Tischbein, … eine Arbeit heißt „0815“ … Wie geht das alles zusammen? Z „Harmonie ist kein erfolgreicher Stoff“, lässt Michael Dangl den Schauspieler Kowalski 1 sagen. A Sie meinen, die Ausstellung wird eine Tragödie? [lacht] Z Ich meine, dass nicht die Ausstellung ausgestellt wird, sondern Werke von 23 KünstlerInnen, die ihre Arbeit auf ihre Weise verfolgen: Sie rekonstruieren Geschichte, sie konstruieren Widersprüche, berechnen Bilder, kippen Bilder in Abbilder oder geben Zufällen nach. Das Interessante an der Tragödie ist ja, dass besondere Charaktere aufeinandertreffen und eine Ausnahmesituation austragen.
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A Bei anderen Klassen gibt es einheitlichere Formulierungen, die eine stringente Linie erkennen lassen. Z Sie haben dabei die historische Idee der Stilbildung durch den Meister im Kopf? A Vielmehr das Medium, das ja von sich aus völlig heterogen ist. Die Fotografie mit ihren tausenderlei Anwendungsgebieten, Stilen, Genres, Autorengruppen! Z So gesehen bietet die Ausstellung nur einen winzigen Einblick, was alles in der Fotografie möglich ist … A Bemerkenswerterweise schafft es das New York Times Magazine auf einem mindestens ebenso breiten Gebiet einen Konsens zu finden – seit 1927 kürt es einen „Man of the Year“ … dieses Jahr ist es der Demonstrant! Z Sehen Sie sich doch die Liste der in den Vorjahren Auserwählten an, viel enger kann ein Blickwinkel gar nicht sein – das fällt unter: Der Welt einen „Konsens“ aufs Aug gedrückt, für den sie ihre Meinung sicher nicht gegeben hat. A Also in Ihrem Sinne! Konsens ist keine Meinung. Z In der Kunst reicht es völlig, wenn der Konsens erst am Kunstmarkt eintritt, wenn sich die Käufer einig sind: Das wollen wir haben! Aber bis dahin hat der Konsens in der Kunst nichts verloren. A So ist es auch in der Politik: Zuerst eine Meinung, dann eine Gegenmeinung und eine Diskussion, Widerstand, der Demonstrant – und wenn das mit genug Aufmerksamkeit gelohnt wurde, dann Konsens. Z Oder Restriktionen in totalitären Regimen. Rückfall. A Dem sich die Avantgarde widersetzt … Z Und die Freiheit fordert … A … eine Meinung zu haben … Z Ohne Konsens. 1 Michael Dangl, Rampenflucht, Hörspielversion, 2011
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Selina de Beauclair Tamara Rametsteiner „Artemisia“ 2011 Barytprint, 73,5 * 115 cm
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Emanuel Ehgartner „Skulptur (Tor)“ 2011 Unbelichteter 35 mm-Film, 8,5 m * 35 mm Für die Arbeit „Skulptur (Tor)“ wird unbelichteter 35 mm-Film an der Wand befestigt. Die Form ergibt sich aus der architektonischen Besonderheit des Ausstellungsraumes. Der vorhandene Durchgang wird durch die Arbeit akzentuiert und kann vom Besucher durchschritten werden. Die Arbeit bleibt für die Dauer der Ausstellung bestehen und trägt die Information des Raumes – für das menschliche Auge unsichtbar – in sich.
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Jennifer Fasching „I like 2011. Hennes Wien und Mauritz Irgendwoher treffen sich zufällig auf der Hafenpromenade in Barcelona. Lustig.“ 2011 C-Print, 72 * 72 cm
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Jonas Feferle Konrad Strutz „Three: An Inquiry into the Nature and Causes of the Value of Numbers“ Videoinstallation, 3 min
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Jonas Feferle Nina Schuiki „25/27“ 2012 Installation Im Zuge des Wiederaufbaus wurden 1953 die ursprünglich eigenständigen Mietshäuser Nr. 25 und Nr. 27 zur Theresiengasse 25–27 zusammengelegt. Die Installation dreier Flächen im Raum formuliert die einstige Teilung und ihre Aufhebung. Die Fragmente ergänzen sich der geschichtlichen Bruchlinie folgend zur Schnittfläche und durchstoßen die architektonische Hülle des Ausstellungsraumes.
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Johanna Therese Folkmann „Donaukanal, Wien, 2. B ezirk“ 2008–2011 Pigmentprint, 96,7 * 80 cm
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Laura Gaar „I ruler the world. Ein Stück Holz macht einen auf Star“ 2011 Offsetdruck, 1189 * 841 mm (Din A0)
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Maximilian Hochstaetter „Square head next to the folder“ 2012
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Peter Hoiß „Standard“ 2011 LED Leuchtschild, 15 * 30 cm
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Irene Hopfgartner „Exit (if you want)“ 2011 Installation aus Fotopolymerdruck auf Bütten, Aluminium, Spieltisch, Eisen und Samt
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Bianca Larch „Surrounded“ 2011 Pigmentprint, 120 * 94 cm
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Hyo Lee „There“ 2011 Video, 3:05 min
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Maria A. Mäser „Kristalline Intelligenz. Intimität, Betrug, Unschuld“ 2011 Polyesterharz, Öl
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Pia Mayer „Schwarzschild (Strudengau)“ 2011 Barytprint, 120 * 170 cm
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Philipp Pesserl „Feel Good Ink“ 2011 Installation aus Karton, Teppich, Vorhangstoff, 150 * 80 * 120 cm Video, 3:09 min
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Maximilian Pramatarov „o.T. (Black Sea)“ 2010 Pigmentprint, 108 * 146 cm
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Florian Raditsch „Der fünfzehnte Juni“ 2011 Pigmentprint, 140 * 192 cm
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Julia Rohn „Schmelze“ 2011 Video, 60 min
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Hessam Samavatian „o.T. (Konsens ist keine Meinung)“ 2011 Barytprint, 50 * 50 cm
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Rudolf Strobl „Fenster“ 2011 C-Print, 112 * 120 cm
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David Welsch „o.T. (umgedrehtes Tischbein)“ 2011 Holz und Filz, 72 * 5 * 5 cm
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Anna Werzowa „Person 1“ 2011 Pigmentdruck, 47,5 * 64 cm
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Laura Gaar, Philipp Pesserl, Asoo Khanmohammadi, Anna Werzowa, Clemens Schmiedbauer, Julia Rohn, Nina Schuiki, Vera Christin Perl, Malin Walleser „guided audio“ 2011 Audio-Files im mp3-Format Neun künstlerische Soundprojekte werden mithilfe von Audio-Guides im Ausstellungsraum präsentiert. „136,10 Hz“ (Malin Walleser), „Der Kaiserschmarrn“ (Laura Gaar), „Die Traumreise“ (Laura Gaar), „Wilhelm Seagull“ (Vera Christin Perl), „o.T. 2012“ (Clemens Schmiedbauer), „my home is“ (Julia Rohn), „Leierkastenmann“ (Philipp Pesserl), „o.T.“ (Anna Werzowa), „Klangräume 25–27“ (Nina Schuiki), „Sirene“ (Asoo Khanmohammadi)
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Selina de Beauclair geboren 1974 in Wien (A) Emanuel Ehgartner geboren 1986 in Vöcklabruck (A) Jennifer Fasching geboren 1990 in Wien (A) Jonas Feferle geboren 1983 in Oberpullendorf (A) Johanna Therese Folkmann geboren 1975 in Bytom (PL) Laura Gaar geboren 1986 in Graz (A) Maximilian Hochstaetter geboren 1979 in Wien (A) Peter Hoiß geboren 1977 in Schärding am Inn (A) Irene Hopfgartner geboren 1986 in Bruneck/Südtirol (I) Asoo Khanmohammadi geboren 1980 (IR) Bianca Larch geboren 1986 in Rum (A) Hyo Lee geboren 1983 in Seoul (ROK) Maria A. Mäser geboren 1984 in Feldkirch (A) Pia Mayer geboren 1980 in Mödling (A) Vera Christin Perl geboren 1989 in Güssing (A) Philipp Pesserl geboren 1987 in München (D) Maximilian Pramatarov geboren 1979 in Sofia (BG) Florian Raditsch geboren 1987 in Fresno (USA) Tamara Rametsteiner geboren 1982 in Linz (A) Julia Rohn geboren 1990 in Linz (A) Hessam Samavatian geboren 1984 in Teheran (IR) Clemens Schmiedbauer geboren 1988 in Wien (A) Nina Schuiki geboren 1983 in Graz (A) Rudolf Strobl geboren 1983 in Salzburg (A) Konrad Strutz geboren 1979 in Ruden (A) Malin Walleser (k.A.) David Welsch geboren 1988 in Bregenz (A) Anna Werzowa geboren 1987 in Wien (A)
Theresiengasse 25, 1180 Wien geöffnet Mo, Mi, Fr 10 – 13 Uhr, Do 13 – 18 Uhr und nach Vereinbarung +43 (0) 676 517 5741 www.foto-raum.at
Diese Publikation erscheint im Rahmen der Ausstellung: Konsens ist keine Meinung. Studierende der Klasse Fotografie Universität für angewandte Kunst Wien 19. Jänner – 17. Februar 2012
Kuratorin: Gabriele Rothemann Leitung: Andra Spallart Organisation: Marie-Therese Hochwartner, Monika Ottwald Grafik: Christoph Fuchs Titelbild: Christian Schlager Texte: Ruth Horak und Ernst Strouhal Lektorat: Melanie Gadringer Realisiert mit der Unterstützung der Universität für angewandte Kunst Wien und Andra Spallart © 2012 bei den KünstlerInnen und AutorInnen
Selina de Beauclair Emanuel Ehgartner Jennifer Fasching Jonas Feferle Johanna Therese Folkmann Laura Gaar Maximilian Hochstaetter Peter HoiĂ&#x; Irene Hopfgartner Asoo Khanmohammadi Bianca Larch Hyo Lee Maria A. Mäser Pia Mayer Vera Christin Perl Philipp Pesserl Maximilian Pramatarov Florian Raditsch Tamara Rametsteiner Julia Rohn Hessam Samavatian Clemens Schmiedbauer Nina Schuiki Rudolf Strobl Konrad Strutz Malin Walleser David Welsch Anna Werzowa