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Der kostenlose Künstler Das Dilemma des Downloads
from DENKRAUM Nr 5
Der kostenlose Künstler
Das Dilemma des Downloads
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von Herbert Lechner
Für den großen Yehudi Menuhin gehörte die CD zu den größten Erfindungen der Menschheit. Ermöglicht sie doch, dass fast jeder an fast jedem Ort Mozart hören könne. Was hätte der begnadete Musiker und Menschenfreund wohl zu den modernen Streaming-Diensten gesagt? Die Deutsche Telekom wirbt damit, dass unbegrenztes Musikerlebnis geboten wird, zahlreiche andere Dienste buhlen mit solchen Argumenten um die Gunst des Publikums. Für den Musikfreund ein meist sogar kostenloses Vergnügen, bei unendlicher Auswahl der Stile, Titel und Interpreten. Doch wie sieht es auf der anderen Seite aus? Was haben die Künstler, Komponisten, Sänger, Bands, Orchester von der neuen Freiheit? Und was bedeutet diese Entwicklung langfristig für die globale Musikkultur? Musiker beklagen bereits den massiven Honorarausfall durch die verschiedenen Streaming-Dienste. Zwar gibt es eine gewisse Entschädigung, aber die steht in keinem Verhältnis zu anderen Vertriebsformen und würde selbst Top-Interpreten kaum das Existenzminimum sichern – für Einsteiger ins Musikgeschäft also mehr als problematisch. Auch das Argument, dass durch Streamen immerhin die Popularität wachse und die Künstler ja ohnehin ihr Geld durch Liveauftritte verdienen würden, verfängt nicht, denn auch eine Tour will erst einmal finanziert werden. Für die Komponisten wie Interpreten also ein Vabanquespiel. Und noch ein Faktor kommt dazu, der nicht zu unterschätzen ist: Beim Amazon-Prime-Abo bekommt man den kostenfreien Zugang zu rund 2 Millionen Titeln als Zugabe, wählt man das Upgrade auf Amazon Music Unlimited, dann gibt es sogar mehr als 40 Millionen Songs zur freien Auswahl. Ähnlich großzügig erweisen sich auch Handy-Provider, wenn man bei ihnen Kunde wird. Doch eine alte Kaufmannsweisheit lautet: Was nichts kostet, ist nichts wert. Bleibt für die Musiker tatsächlich nur die Sperrung des Streaming-Zugangs?
„Die direkteste Form des Kompliments“ nannte Theodor Fontane das Plagiat. Heute heißt die unverfrorene Verwendung der Leistung anderer „copy and paste“ und zeigt längst epidemische Auswüchse. War früher wenigstens noch ein Abschreiben nötig – und damit wenigstens eine teilweise Beschäftigung mit dem Gedankengut –, so erleichtert die Technik heute die direkte Übernahme von Kompositionen, Fotos, Illustrationen und ganzen Textpassagen. Selbst Doktorarbeiten sind bekanntlich schon auf diese Weise entstanden. Dabei gebietet eigentlich schon die Achtung vor dem Werk, das einem doch immerhin des Kopierens wert erscheint, die Nennung des ursprünglichen Verfassers. Das Urheberrecht hat eine wechselvolle Geschichte. Inzwischen gibt es gar Forderungen zu seiner Aufhebung. Es passe nicht mehr in die veränderte Medienwirklichkeit der sich wandelnden Internet- und Informationsgesellschaft. Statt kreatives Schaffen zu fördern und zu schützen, schränke es vielmehr die Entwicklung von Kultur und Fortschritt ein und kriminalisiere selbstverständliche Nutzungsmöglichkeiten. Open Source entwickelt sich als eine Möglichkeit aus dem Dilemma, ähnlich wie Creative-Commons-Lizenzen, die zumindest die Nennung des Urhebers verlangen. Eine Lösung, die z.B. immer häufiger bei Dokumenten von Wikipedia eingesetzt wird.
Vom Grammophon zum Streaming – die Technik der Tonträger verändert sich kontinuierlich und hat dabei einen großen Einfluss darauf, wie sich Musiker vermarkten können. CD-Verkäufe gehen derzeit zugunsten von Streaming zurück, aber unerwarteterweise ist die Vinyl-LP wieder auf dem Vormarsch.
Eine mögliche Lösung des Streaming-Problems will jetzt ein Start-up-Unternehmen einführen: Bei Voltra (https://voltra.co) sollen die ursprünglichen Besitz- und Bezahl-Verhältnisse von geistigem Eigentum, also hier Musik, auch im Internetzeitalter gesichert werden. Das Konzept lautet stream-to-own. So ist das erstmalige Streamen eines Songs bei Voltra kostenlos, bei jedem weiteren Mal wird eine geringe Gebühr fällig, die zu 100 Prozent dem Künstler zugutekommt. Aber nach dem zehnten Aufruf gilt der Titel als gekauft und bezahlt, also durchaus ein Anreiz, sich für dieses Modell zu entscheiden. Voltra soll künftig für Mobil- wie Desktopgeräte verfügbar sein. Es wird sich zeigen, ob sich dieses Angebot durchsetzen kann. //