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Freiheit und Verantwortung Von Schiebern und Sündenböcken
from DENKRAUM Nr 5
Freiheit und Verantwortung
Freiheit heißt Verantwortung übernehmen, das wird bei dem vielfach geforderten Begriff gerne übersehen. Ob mündiger Bürger oder Patient, als selbstständiger Unternehmer oder engagierter Politiker – ich habe die Freiheit zur eigenen Entscheidung, sofern ich bereit bin, dafür die Verantwortung zu übernehmen und die Folgen zu tragen.
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von Anton Fetsch
Oder ist Verantwortung nur etwas für Looser!? So oder so ähnlich erscheint manchmal die Wahrnehmung von Verantwortung. Gerade das Übernehmen von Verantwortung hat oft etwas mit Verlust zu tun, beispielsweise dem Verlust von Ansehen oder einer bestimmten Position im Unternehmen, in der Politik oder der Gesellschaft. Denn meist ist zuvor etwas schiefgelaufen im Verantwortungsbereich des Betroffenen. Der steht danach also oft schlechter da als zuvor.
So ist es kaum verwunderlich, dass die Verantwortung auch im täglichen Leben gerne immer mehr abgegeben wird. Es fängt schon an bei der Verantwortung für sich selbst, etwa bei der eigenen Gesundheit, deren Pflege gerne an Spezialisten, Mediziner, Therapeuten übergeben wird, und geht bis zur Erziehung der Kinder oder der Verantwortung gegenüber unserer Umwelt. So macht man sich frei davon und kann sich auf andere Dinge konzentrieren, in denen man seine Kompetenzen hat. Das ist die vermeintliche Freiheit unseres heutigen Lebensstils. Das kann bis zu dem folgenden Paradoxon kommen: „Selbst Verantwortung zu übernehmen ist unverantwortlich.“ Aber macht uns das tatsächlich freier oder eher abhängiger von anderen und somit zu einem gewissen Grad gefangener, also unfreier?
Dies wirkt sich natürlich auch auf den Berufsalltag aus, wo lieber weniger als mehr Verantwortung übernommen wird und die Planungen immer kurzfristiger werden. Denn Verantwortung hat auch etwas mit langfristigem Denken zu tun: Was passiert durch dieses Handeln in Zukunft und kann ich dafür einstehen?
Erfolg hat viele Väter – wenn etwas gut gelaufen ist, dann fühlen sich viele dafür verantwortlich. Doch im umgekehrten Fall wird die Verantwortung dafür gerne immer weitergeschoben. Teilweise, bis sie ganz verschwunden ist. Wer will schon der Sündenbock sein, der z.B. verantwortlich ist für einen Verkehrsunfall aufgrund von Übermüdung am Steuer? Ist es der Kunde, der die Ware ohne Wenn und Aber sofort in seiner Produktion braucht, der Auftraggeber des Transportes, der sonst einen Großkunden verliert, der Spediteur, dem Vergleichbares blüht, oder der Fahrer selbst, der dafür einstehen muss? Jeder Einzelne wäre dafür verantwortlich gewesen, sich die Freiheit zu nehmen und eine Grenze zu setzen. Doch immer häufiger tritt das Gegenteil ein, man lässt alles einfach weiterlaufen in der vagen Hoffnung, dass es schon gut geht. Irgendwann kommt das böse Erwachen, in dem dann jeder Einzelne Verantwortung übernehmen muss, ob er will oder nicht. Was muss in Gesellschaft und Unternehmen geschehen, um dieses Denken und Handeln zu ändern?
Sollten wir uns nicht wieder die Freiheit nehmen, unsere Verantwortung, die wir ursprünglich erhalten haben, wieder zurückzuholen? Und wenn ja, wie soll das geschehen und wie kann ein Mensch mit so viel Verantwortung nachts überhaupt
Am jüdischen Festtag Jom Kippur, dem Tag der Sündenvergebung, übertrug der Hohepriester die Sünden des Volkes Israel symbolisch auf einen Ziegenbock, der dann mit all den Sünden in die Wüste gejagt wurde.
noch schlafen? Vermutlich schon, wenn nicht sogar besser. Ich denke, zuerst sollten wir die Verantwortung für uns selbst wieder zurückerobern, erst im zweiten Schritt ist man dann überhaupt in der Lage, Fremdverantwortung, etwa für unsere Kinder oder Mitarbeiter, zu übernehmen und auch verantwortungsbewusster mit der Umwelt umzugehen.
Mit gutem Beispiel geht eine Berliner Schule voran, in der es ein Fach „Verantwortung“ gibt. Kinder übernehmen diese sehr gerne und sind sich anschließend sehr bewusst darüber. Sie nehmen das gute Gefühl mit, etwas Wichtiges gemacht zu haben und dafür die Verantwortung zu tragen. Eltern sollten ihren Kindern viel mehr zutrauen und Spielraum geben. Offenes Zugeben von Fehlern und Misserfolgen muss gegeben sein, um diese wieder auszubügeln. Man wird dadurch selbstbewusster und sicherer im Umgang mit Mitmenschen.
Ein sehr wichtiger Punkt für das Berufsleben ist eine positive Fehlerpolitik in Unternehmen. Wer einen Fehler gemacht hat, sollte nicht gleich um seine Existenz fürchten müssen. Wenn man den Fehler gemeinsam reflektiert und seine Schlüsse daraus zieht, damit der gleiche Fehler nicht noch einmal passiert, statt den Mitarbeiter abzukanzeln, oder gar seine Position bedroht, werden viele wieder gerne Verantwortung übernehmen und, je nach Position, auch Fremdverantwortung. Gemeinsam Verantwortung übernehmen ist durchaus möglich, solange die Motivation stimmt. Freiheit hat immer etwas mit Verantwortung zu tun … Der Mensch hat die Freiheit, verantwortlich zu handeln. Die Verantwortung scheint aber die persönliche Freiheit einzuschränken, also das, was wir eigentlich tun könnten, aber nicht sollen oder dürfen. Es braucht Regeln, um freies Handeln zu gewährleisten. Tatsächlich existiert auch eine ISO-Norm mit Empfehlungen und Hilfestellungen für gesellschaftliche Verantwortung in komplexen, arbeitsteiligen Organisationen. Diese ISO 26000 ist jedoch nicht zertifizierbar und somit existiert keine bindende Fassung. Kaizen ist aber zum Beispiel auch nicht bindend, trotzdem sind viele Unternehmen bemüht, dass es eingehalten wird. Wieso dann nicht auch bei so etwas wie der ISO 26000? //