DENKRAUM Nr 5

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DENKRAUM Winter 2017/18

Freiheit und Verantwortung Freiheit heißt Verantwortung übernehmen, das wird bei dem vielfach geforderten Begriff gerne übersehen. Ob mündiger Bürger oder Patient, als selbstständiger Unternehmer oder engagierter Politiker – ich habe die Freiheit zur eigenen Entscheidung, sofern ich bereit bin, dafür die Verantwortung zu übernehmen und die Folgen zu tragen.

von Anton Fetsch

Oder ist Verantwortung nur etwas für Looser!? So oder so ähnlich erscheint manchmal die Wahrnehmung von Verantwortung. Gerade das Übernehmen von Verantwortung hat oft etwas mit Verlust zu tun, beispielsweise dem Verlust von Ansehen oder einer bestimmten Position im Unternehmen, in der Politik oder der Gesellschaft. Denn meist ist zuvor etwas schiefgelaufen im Verantwortungsbereich des Betroffenen. Der steht danach also oft schlechter da als zuvor. So ist es kaum verwunderlich, dass die Verantwortung auch im täglichen Leben gerne immer mehr abgegeben wird. Es fängt schon an bei der Verantwortung für sich selbst, etwa bei der eigenen Gesundheit, deren Pflege gerne an Spezialisten, Mediziner, Therapeuten übergeben wird, und geht bis zur Erziehung der Kinder oder der Verantwortung gegenüber unserer Umwelt. So macht man sich frei davon und kann sich auf andere Dinge konzentrieren, in denen man seine Kompetenzen hat. Das ist die vermeintliche Freiheit unseres heutigen Lebensstils. Das kann bis zu dem folgenden Paradoxon kommen: „Selbst Verantwortung zu übernehmen ist unverantwortlich.“ Aber macht uns das tatsächlich freier oder eher abhängiger von anderen und somit zu einem gewissen Grad gefangener, also unfreier? Dies wirkt sich natürlich auch auf den Berufsalltag aus, wo lieber weniger als mehr Verantwortung übernommen wird und die Planungen immer kurzfristiger werden. Denn Verantwor-

tung hat auch etwas mit langfristigem Denken zu tun: Was passiert durch dieses Handeln in Zukunft und kann ich dafür einstehen? Erfolg hat viele Väter – wenn etwas gut gelaufen ist, dann fühlen sich viele dafür verantwortlich. Doch im umgekehrten Fall wird die Verantwortung dafür gerne immer weitergeschoben. Teilweise, bis sie ganz verschwunden ist. Wer will schon der Sündenbock sein, der z. B. verantwortlich ist für einen Verkehrsunfall aufgrund von Übermüdung am Steuer? Ist es der Kunde, der die Ware ohne Wenn und Aber sofort in seiner Produktion braucht, der Auftraggeber des Transportes, der sonst einen Großkunden verliert, der Spediteur, dem Vergleichbares blüht, oder der Fahrer selbst, der dafür einstehen muss? Jeder Einzelne wäre dafür verantwortlich gewesen, sich die Freiheit zu nehmen und eine Grenze zu setzen. Doch immer häufiger tritt das Gegenteil ein, man lässt alles einfach weiterlaufen in der vagen Hoffnung, dass es schon gut geht. Irgendwann kommt das böse Erwachen, in dem dann jeder Einzelne Verantwortung übernehmen muss, ob er will oder nicht. Was muss in Gesellschaft und Unternehmen geschehen, um dieses Denken und Handeln zu ändern? Sollten wir uns nicht wieder die Freiheit nehmen, unsere Verantwortung, die wir ursprünglich erhalten haben, wieder zurückzuholen? Und wenn ja, wie soll das geschehen und wie kann ein Mensch mit so viel Verantwortung nachts überhaupt


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