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Fake Views Wie Wirklichkeit gestaltet wird
from DENKRAUM Nr 5
Fake Views
Über das Manipulieren von Bildern
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von Herbert Lechner
Die Welt will betrogen sein. Im Internet kursieren immer wieder hinreißend missglückte Photoshop-Retuschen: Da hat ein Model plötzlich drei Hände, einem anderen fehlt das Bein, mal ist das Spiegelbild nicht seitenverkehrt oder der Schatten passt nicht zum Objekt. Ganz zu schweigen von ver schobenen Perspektiven und verzerrten Dimensionen.
Allerdings sind diese Missgeschicke nur die äußerste Spitze des Eisbergs. Profis schätzen, dass heute kaum ein Foto veröffentlicht wird, das nicht zuvor mehr oder weniger intensiv bearbeitet wurde. Solange es dabei um Formen der so beliebten Selbstoptimierung geht, also das gnädige Beseitigen von Hautunreinheiten und Fältchen, mag man verständnisvoll lächeln, doch wenn dokumentarische Bilder manipuliert werden, um bestimmte Reaktionen auszulösen, wird es kritisch. Wo verläuft die Grenze zwischen Retusche und Fälschung? Fake News sind aber keine Erfindung von Photoshop, Internet oder Donald Trump, die lediglich (?) diese Form der Wahrheitsbeugung potenziert haben. Speziell die Veränderung von Fotografien ist fast so alt wie das Medium selbst. Und das, obwohl wir doch, wie schon Susan Sontag beobachtet hat, gerade das Foto als objektiven Beleg der Wahrheit sehen: Was nicht fotografiert ist, hat keine Wirklichkeit!
Manche dieser Manipulationen sind vergleichsweise harmlos, etwa jenes berühmte Foto des Ungeheuers von Loch Ness, dessen Fotograf später selbst die – sehr simple – Fälschung zugegeben hat. Immerhin bescherte das Bild dem einsamen See eine weltweite Bekanntheit und einen Touristenboom. Denn obwohl die Fälschung seit Langem bekannt ist, reißt der Strom der „Nessie“-Spotter nicht ab. Es könnte ja doch sein, dass…
Politisch motivierte Fälschungen sind weit häufiger und oftmals gefährlicher. Dass das Hissen der Sowjetflagge auf den Berliner Ruinen bei Kriegsende nochmals mit einer weitaus größeren Fahne nachgestellt wurde, um bessere Wirkung zu erzielen, ist vielleicht noch zu tolerieren – vor allem nachdem die Amerikaner das Gleiche mit dem Flagge-Setzen auf Iwo Jima gemacht haben, ein Motiv, das sogar zum Denkmal geworden ist. Doch wenn politische Säuberungen auch zum Beseitigen der missliebigen Figuren auf den Bilddokumenten führen, ist das schon problematischer. Eine Person wird regelrecht ausgelöscht, wie etwa Trotzki, den Stalin auch von allen Fotos verbannen ließ, als hätte es ihn nie gegeben. Für solche Beispiele gibt es ganze Kataloge, in denen das Vorher-Nachher dokumentiert wird. Weitaus schlimmer, wenn solche gefälschten „Dokumente“ Auslöser für Kriege sind – man erinnere sich an den Irakkrieg.
Er lässt das Hotel NH München Deutscher Kaiser (rechts) tanzen: Víctor Enrich. Der spanische Künstler arbeitete acht Monate an der Fotoserie NHDK. Aufwendig konstruierte er digitale 3-DModelle des Hotels und der sieben umliegenden Gebäude, sodass Spiegelungen und Schatten trotz der irrwitzigen Verzerrungen realistisch wirken. Dann fertigte er 88 Varianten, das Hotelgebäude zu verbiegen, zu verzerren oder fliegen zu lassen. Ein weiteres Münchner Gebäude scheint gerade die Paul Heyse Straße zu überqueren (links).
Fotoforensiker hätten also wohl Schwierigkeiten, Spuren von Bildmanipulationen zu entdecken, ob sie aber die Bilder deshalb für echt hielten?
Manchmal geschehen solche Manipulationen sogar durchaus in guter Absicht und vorauseilender „Political Correctness“. Berühmt geworden ist das Beispiel von André Malraux. Als Frankreich seinen ehemaligen Kultusminister und leidenschaftlichen Kettenraucher mit einer Briefmarke ehren wollte und dafür die unvermeidliche Zigarette aus seinem Porträt retuschierte, erfolgte ein vehementer Aufschrei seiner Freunde und Anhänger.
Medien sind bevorzugte Opfer – und Täter! – solcher Bildfälschungen. Besonders in Zeiten, in denen Fakten durch Vermutungen ersetzt werden, weil der Kampf um die schnellste Meldung keine Recherche und Überprüfung erlaubt. Das Über
maß solcher Manipulationen hat mittlerweile dazu geführt, dass manche Presseagenturen und Redaktionen einen neuen Beruf geschaffen haben: Der Bildforensiker prüft mit detektivischem Spürsinn und Hightech-Ausrüstung, ob sein kann, was zu sehen ist. Untersucht werden dabei alle Details vom richtigen Schattenwurf bis zu den Autokennzeichen, etwa um die Herkunft des Fotos abzusichern.
Doch häufig helfen selbst solche Beweise einer Fälschung nichts. Es gibt offenbar auch bei manipulierten Fotos einen gewissen Placeboeffekt. Diese Mittel wirken bekanntlich so gar dann, wenn der Patient weiß, dass es nur funktionslose Placebos sind. //