DENKRAUM Nr 5

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DENKRAUM Winter 2017/18

Fake Views Über das Manipulieren von Bildern

von Herbert Lechner

Die Welt will betrogen sein. Im Internet kursieren immer wieder hinreißend missglückte Photoshop-Retuschen: Da hat ein Model plötzlich drei Hände, einem anderen fehlt das Bein, mal ist das Spiegelbild nicht seitenverkehrt oder der Schatten passt nicht zum Objekt. Ganz zu schweigen von verschobenen Perspektiven und verzerrten Dimensionen. Allerdings sind diese Missgeschicke nur die äußerste Spitze des Eisbergs. Profis schätzen, dass heute kaum ein Foto veröffentlicht wird, das nicht zuvor mehr oder weniger intensiv bearbeitet wurde. Solange es dabei um Formen der so beliebten Selbstoptimierung geht, also das gnädige Beseitigen von Hautunreinheiten und Fältchen, mag man verständnisvoll lächeln, doch wenn dokumentarische Bilder manipuliert werden, um bestimmte Reaktionen auszulösen, wird es kritisch. Wo verläuft die Grenze zwischen Retusche und Fälschung?

Fake News sind aber keine Erfindung von Photoshop, Internet oder Donald Trump, die lediglich (?) diese Form der Wahrheitsbeugung potenziert haben. Speziell die Veränderung von Fotografien ist fast so alt wie das Medium selbst. Und das, obwohl wir doch, wie schon Susan Sontag beobachtet hat, gerade das Foto als objektiven Beleg der Wahrheit sehen: Was nicht fotografiert ist, hat keine Wirklichkeit! Manche dieser Manipulationen sind vergleichsweise harmlos, etwa jenes berühmte Foto des Ungeheuers von Loch Ness, dessen Fotograf später selbst die – sehr simple – Fälschung zugegeben hat. Immerhin bescherte das Bild dem einsamen See eine weltweite Bekanntheit und einen Touristenboom. Denn obwohl die Fälschung seit Langem bekannt ist, reißt der Strom der „Nessie“-Spotter nicht ab. Es könnte ja doch sein, dass … Politisch motivierte Fälschungen sind weit häufiger und oftmals gefährlicher. Dass das Hissen der Sowjetflagge auf den Berliner Ruinen bei Kriegsende nochmals mit einer weitaus größeren Fahne nachgestellt wurde, um bessere Wirkung zu erzielen, ist vielleicht noch zu tolerieren – vor allem nachdem die Amerikaner das Gleiche mit dem Flagge-Setzen auf Iwo Jima gemacht haben, ein Motiv, das sogar zum Denkmal geworden ist. Doch wenn politische Säuberungen auch zum Beseitigen der missliebigen Figuren auf den Bilddokumenten führen, ist das schon problematischer. Eine Person wird regelrecht ausgelöscht, wie etwa Trotzki, den Stalin auch von allen Fotos verbannen ließ, als hätte es ihn nie gegeben. Für solche Beispiele gibt es ganze Kataloge, in denen das Vorher-Nachher dokumentiert wird. Weitaus schlimmer, wenn solche gefälschten „Dokumente“ Auslöser für Kriege sind – man erinnere sich an den Irakkrieg.

Er lässt das Hotel NH München Deutscher Kaiser (rechts) ­tanzen: ­Víctor ­Enrich. Der spanische Künstler ­arbeitete acht Monate an der Fotoserie NHDK. Aufwendig konstruierte er digitale 3-DModelle des Hotels und der sieben umliegenden Gebäude, sodass Spiegelungen und Schatten trotz der irrwitzigen Verzerrungen realistisch wirken. Dann fertigte er 88 Varianten, das Hotelgebäude zu verbiegen, zu verzerren oder fliegen zu lassen. Ein weiteres Münchner Gebäude scheint gerade die Paul Heyse Straße zu überqueren (links). Fotoforensiker hätten also wohl Schwierigkeiten, Spuren von Bildmanipulationen zu entdecken, ob sie aber die Bilder deshalb für echt hielten?


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