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Verrohung der Sprache Haben wir menschliches Miteinander verlernt?
from DENKRAUM Nr 5
Du Idiot! biiiep
Hass, Beleidigung, Drohungen: Die Sprache im Alltag und im Netz wird zunehmend aggressiver. Auch viele Schüler haben sich einen kruden Ton angewöhnt. Über die Konsequenzen streiten Experten.
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von Dirk Seifert
„Aggressive Sprache macht unsere Kinder anfällig für Gewalt.“ Diese Aussage von Simone Fleischmann, Präsidentin des Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverbands (BLLV), gibt zu denken. Hasskommentare im Internet, demütigende Äußerungen in der Politik, Ausgrenzung und Beleidigung – eine Untersuchung der Universität Freiburg belegt es inzwischen sogar wissenschaftlich: Die Sprache verroht, der Umgang miteinander wird zunehmend aggressiver. Von einer regelrechten „Aggressivierung der Sprache“ ist bereits die Rede.
Denn Worte wirken auf das Gehirn, Sprache beeinflusst Menschen, aggressive Sprache leistet einen nicht unerheblichen Beitrag zu Aggressionsbereitschaft und Gewalt. Eine Ursache für die sprachliche Verrohung liegt sicher auch in dem zunehmend rüden Ton in Politik und Medien, allen voran in den sozialen Netzwerken. Was junge Menschen dort sehen, hören und lesen, geht nicht spurlos an ihnen vorbei. Aber auch die Art und Weise, wie in den Familien kommuniziert wird, und vor allem auch, was dort kommuniziert wird, prägt sie.
Nun sind Beleidigungen, Schimpfwörter, vulgäre Sprache bei Kindern und Jugendlichen sicher kein neues Phänomen, sondern hat es immer gegeben. Kinder leben im Hier und Jetzt. Sie denken noch nicht darüber nach, was die gesagten Worte bei ihren Mitmenschen auslösen. Welche Wörter „schlimm“ sind, wissen sie meistens schon, und diese Wörter werden
„Maßstäbe für den Umgang untereinander ergeben sich aus den Erfahrungen während der Kindheit. Maßgeblich dafür ist das Beispiel der Älteren in der Familie, sind die Schulen, ist aber auch das Fernsehen.“
Richard von Weizsäcker
auch wie Statussymbole im Kreise der Freunde benutzt: „Das Wort kenne ich schon und ich trau mich auch, es zu benutzen.“ Das ist in diesem Rahmen noch völlig normal und gab es auch schon zu allen Zeiten.
Der Unterschied heute ist, dass die Kinder viel größeren Einflüssen durch die Medien und soziale Netze ausgesetzt sind. Die Verbreitung von aggressiver Sprache ist schneller und deutlicher als vor der Zeit des Internets. Die Wortschöpfungen sind kreativer, brutaler und vulgärer geworden und verbreiten sich schneller. Selbst in der Politik hält diese aggressive Sprache leider immer mehr Einzug und wird durch sehr prominente Protagonisten gesellschaftsfähig gemacht. Die roten Linien werden immer wieder und immer selbstverständlicher überschritten.
Wenn sich Kinder verbal aggressiv verhalten, mit obszönen Worten um sich werfen, dann ist es wichtig, dass ihre Wortwahl kritisiert und zurechtgerückt wird, aber die Würde ihrer Person sollte nicht missachtet werden. Vor allem soll der Persönlichkeitsanteil in ihnen, der ausprobieren muss, provozieren und austesten will, nicht schlechtgemacht werden. Also nicht: „Wenn du das sagst, bist du böse oder ein freches und ungezogenes Kind.“
Die Schulen haben dies erkannt und in vielen Schulen wird wieder viel Wert auf einen vernünftigen Umgangston gelegt. Es gibt im Umgang miteinander Regeln, an die die Kinder sich halten müssen. In der Schule meiner Söhne ist der Umgang, auch mit der Sprache, in der Hausordnung geregelt und alle
„Die Sprache macht den Menschen, die Herkunft macht es nicht!“
Kinder müssen diese unterschreiben und sich mit ihr beschäftigen. Es gibt eigene Streitschlichter und auch Lehrer, die immer wieder eingreifen. Aber die Lehrer haben alleine keine Chance, wenn nicht alle mitmachen und Verantwortung im Umgang mit der Sprache und dem Verhalten unserer Kinder übernehmen.
Verantwortung für Respekt und Haltung muss man vorleben.
→ Haltung und Respekt zeigen müssen Eltern, Familie Nehmen wir als Beispiel den fluchenden Autofahrer, der seine Aggressionen auf andere Verkehrsteilnehmer verbal mit Schimpfwörtern und Beleidigungen äußert, wenn die Kinder hinten sitzen und alles mitbekommen. Hier fängt die Vorbildfunktion an: für den Umgang in der Familie untereinander, wie Eltern miteinander und mit ihren Kindern sprechen.
→ Haltung und Respekt zeigen Lehrer, Erzieher, Trainer Als Fußballtrainer einer Jugendmannschaft erlebe ich selbst immer wieder, wie Kinder mit Sprache umgehen. Auch hier haben wir Erwachsenen die Verantwortung und müssen Kinder den vernünftigen Umgang mit der Sprache vermitteln. Im Rahmen des Fair-Play-Gedankens sollen die Kinder lernen, Mitspieler, Gegner, Schiedsrichter nicht zu beleidigen, selbst
Haltung zählt Das Manifest „Haltung zählt“ des BLLV wurde deutschlandweit publiziert und diskutiert. 58 prominente Erstunterzeichner, darunter Politiker und Politikerinnen wie die Präsidentin des Bayerischen Landtags Barbara Stamm oder die Fraktionsvorsitzende Bündnis 90/Die Grünen im Bayerischen Landtag Margarete Bause, aber auch der Landesbischof der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern Prof. Dr. Heinrich Bedford-Strohm, die Autorin und Moderatorin Amelie Fried, der Schriftsteller Axel Hacke oder die Regisseurin Caroline Link sorgten für große Resonanz. Aber damit ist es nicht getan, denn das Manifest muss mit Leben gefüllt werden, um zu wirken. In den Schulen zeigen die Lehrkräfte Haltung, wenn Schülerinnen und Schüler verbal entgleisen oder anderen mit Gewalt begegnen. Doch sie brauchen für ihre Aufgabe mehr Unterstützung, vor allem außerhalb der Schule. Sie können nicht alle Schäden richten, die außerhalb der Schule verursacht werden.
wenn der Frust aufgrund von Niederlagen oder Fouls groß ist. Fußballprofis z.B. sind hier auch in der Pflicht, eine Vorbildfunktion einzunehmen. Leider ist dies nicht immer der Fall.
→ Haltung und Respekt zeigen Promiente, Politiker, Medien und Institutionen Früher wurden Schimpfwörter und vulgäre Sprache mit einem Piepston übertönt. Die Medien haben nicht alles Wort für Wort kommuniziert und darauf geachtet, was und zu welchen Zeiten gesendet oder publiziert wurde. Heute scheint man eine gewisse Vorliebe für provozierende Sprüche, teilweise deutlich „unter der Gürtellinie“, zu haben. Auch das färbt ab und gilt als cool.
Es liegt an uns allen, unseren Kindern zu erklären und immer und immer wieder darauf hinzuweisen, dass Respekt im Miteinander im Ausdruck und Sprachgebrauch anfängt. Aber was heißt Respekt? Bei Wikipedia lesen wir dazu: „Respekt (= Zurückschauen, Rücksicht, Berücksichtigung) bezeichnet eine Form der Wertschätzung, Aufmerksamkeit und Ehrerbietung gegenüber einem anderen Lebewesen (Respektsperson) oder einer Institution.“
Die Haltung zu Verantwortung und Respekt fängt bei uns Erwachsenen an!
Wir können uns also nicht darauf verlegen, mit dem Finger auf die vermeintlich besonders verwahrloste nächste Generation zu zeigen. Karl Valentin soll gesagt haben: „Wir brauchen unsere Kinder nicht zu erziehen, sie machen uns sowieso alles nach.“ //