Furios*
Kostenlos
01 Dez 2008
Studentisches Campusmagazin an der Freien Universität Berlin
*Wir hätten auch Fuchtel, Fundi, Funeral, Fungizid, Funk, Funktionär, Funzel, Furka, Furunkel, Futsch oder Fuzzi heissen können. Insofern ist FURIOS nicht schlecht für ein neues Campusmagazin an der FU Berlin. rin: Hier d
r e b ü Alles die FU n i l r e B
Wir freuen uns auf Sie Ernst Reuter (1889–1953) hatte als Oberbürgermeister von Berlin (ab 1950 Regierender Bürgermeister) entscheidenden Anteil an der Gründung der Freien Universität Berlin, die am 4. Dezember 1948 im Titania-Palast in Steglitz gefeiert wurde. Immer wieder regte er an, einen Förderverein ins Leben zu rufen. Sein Wunsch wurde nach seinem Tod als Vermächtnis verstanden und am 27. Januar 1954 in die Tat umgesetzt. In der ERG treffen sich seit über 50 Jahren Studierende, Absolventen, Freunde, Förderer und ehemalige Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen. Sie sind herzlich eingeladen, sich über die Arbeit des Fördervereins zu informieren.
Die ERG widmet sich verstärkt der Kontaktpflege zu den Ehemaligen der Freien Universität Berlin. Als Mitglied können Sie über Fachgrenzen und Studienzeit hinaus an Leben, Arbeit und Entwicklung der Freien Universität teilnehmen. Die ERG ist als gemeinnütziger Verein anerkannt. Spenden und Mitgliedsbeiträge sind steuerlich absetzbar. Berliner Sparkasse, BLZ 100 500 00 · Kto. 101 00 101 11 Mitgliedsbeiträge und Spenden Berliner Sparkasse, BLZ 100 500 00 · Kto. 101 01 523 58 Stifterfonds Ernst-Reuter-Stipendienprogramm
Im Rahmen Ihrer Mitgliedschaft in der ERG erhalten Sie 1. Einladungen zu Veranstaltungen der ERG und der FU 2. Zedat-Account mit E-Mail-Adresse 3. Ermäßigungen für Veranstaltungen (Collegium Musicum und Lange Nacht der Wissenschaften) 4. Ermäßigung für die GasthörerCard 5. Mitarbeitertarif beim Hochschulsport 6. Ermäßigung für Weiterbildungsangebote 7. Mitarbeitertarif in der Mensa 8. Magazin WIR für die Ehemaligen 9. auf Wunsch Zusendung der FU-Tagesspiegelbeilage und des Wissenschaftsmagazins fundiert 10. Ermäßigung für das Berliner Kabarett Theater Die Wühlmäuse
Unsere Aktivitäten Ω Verleihung der Ernst-Reuter-Preise Ω Verleihung der Ernst-Reuter-Stipendien Ω Unterstützung der Jubiläumsfeiern Silberne und Goldene Promotion Ω Fundraising für den Stifterfonds des Ernst-Reuter-Stipendienprogramms Ω Reuterianer-Forum Ω Druckkostenzuschüsse zu Dissertationen Ω Verwaltung von 2000 Mitgliedern Ω Verwaltung von fachbereichsbezogenen Kapiteln Ω Drittmittelverwaltung zweckgebundener Zuwendungen Ω Gesellschafter der ERG Universitätsservice GmbH Ω Herstellung von Kontakten zu Absolventen mit dem Ziel der Netzwerkbildung
Stand: Februar 2008
Antrag auf Mitgliedschaft Ich möchte der Ernst-Reuter-Gesellschaft der Freunde, Förderer & Ehemaligen der Freien Universität Berlin e. V. beitreten (bitte ankreuzen): Mitgliedschaft / normal
Hiermit beantrage ich die Mitgliedschaft in der Ernst-Reuter-Gesellschaft
Vorname
Name
Geburtsdatum
Akad. Grad/Titel/Funktion
Beruf/Position
Straße
PLZ, Ort
Telefon/Fax
(Mindestbeitrag 50,00 D/ Jahr)
Mitgliedschaft / ermäßigt (Mindestbeitrag 10,00 D/ Jahr für Studierende und Ehemalige einschließlich der ersten drei Jahre nach Exmatrikulation, bitte Nachweis beilegen)
Institution / Firma
Ich habe an der FU studiert von–bis
(Mindestbeitrag 150,00 D/ Jahr)
Ich war an der FU tätig von–bis
Fördermitgliedschaft Ich bin bereit, statt des Mindestbeitrags von 50,00 D
Ich möchte die FU-Tagespiegelbeilage per Postversand
eine jährliche Spende von
(www.fu-berlin.de/presse/publikationen/tsbeilage.html)
zu zahlen.
Ich möchte das Wissenschaftsmagazin fundiert per Postversand
Ich möchte dem Kapitel zugeordnet werden (optional) Geschäftsstelle: Die Ernst-Reuter-Gesellschaft der Freunde, Förderer und Ehemaligen der Freien Universität Berlin e. V. Kaiserswerther Str. 16 – 18 · 14195 Berlin Telefon Büro des Vorstandes: 030 – 838 570 38 Irma Indorf irma.indorf@fu-berlin.de Telefon Mitgliederverwaltung und Finanzen: 030 – 838 530 77 Sylvia Fingerle-Ndoye erg@fu-berlin.de Fax 030 – 838 530 78 www.fu-berlin.de/alumni/erg
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Ich bin einverstanden, dass die Angaben zu Vereinszwecken in einer rechnergestützten Adressdatei gespeichert werden. Alle Angaben sind freiwillig. Hiermit ermächtige ich Sie widerruflich, die zu entrichtenden Zahlungen bei Fälligkeit zu Lasten des Kontos
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Editorial
Liebe Kommilitoninnen, Liebe Kommilitonen, Furios? Für wen? Für euch, die Studierenden der FU Berlin! Von wem? Von Studierenden aller Fachbereiche. Wie oft? Mittelfristig zwei Mal pro Semester. Preis? Kostenlos! Vertrieb und Finanzierung? Verteilt auf dem Campus der FU Berlin. Finanziert durch Werbung sowie einen Druckkostenzuschuss der Ernst-Reuter-Gesellschaft. Mitmachen? Gerne! Unter furios-campus.de. Kenne ich euch? Wir sind neu! Aber es gibt ein afroamerikanisches Erotikmagazin namens Furious.
Impressum
einen Namen für ein Campusmagazin erhält man an der Freien Universität, indem man abstimmt oder sich an die Marketingabteilung wendet. Letztere ist für Wortspiele wie fundiert, profund und Funpreneurs verantwortlich. Also haben wir abgestimmt. Interessanterweise mit ähnlichem Resultat: FURIOS heißt euer neues Campusmagazin! Seit genau 60 Jahren gibt es die FU. Und seit 40 Jahren ist sie bekannt fürs Kritisieren. Wir dachten also, dass es an der Zeit wäre, einfach mal wieder zuzuhören. Zum Beispiel unseren bürgerlichen, wohlhabenden Nachbarn in Dahlem. Oder unserem AStA (auch so ein Millionär mit Villa in Dahlem), der nicht mit uns reden wollte. Oder einem 68er, der bei diesem »68« nicht mitmachte. Entstanden ist dieses Heft. Furios heißt übrigens auch eine Software mit dem Slogan: »Einfach. Kasse. Machen.« Für ein unabhängiges Campusmagazin ist das Kasse-machen nicht ganz so einfach. Aber just an jenem Tag, an dem weltweit die Börsen krachten, sagte uns die Ernst-Reuter-Gesellschaft der Ehemaligen der Freien Universität ihre finanzielle Unterstützung zu. Dieses Jubiläumsheft ist also ein Generationenprojekt: Geschrieben von und für die heutigen und ermöglicht durch die ehemaligen Studierenden dieser Universität. Dafür bedanken wir uns! Bedanken möchten wir uns außerdem bei den Mitarbeitern des Archivs der FU, die uns bei den Recherchen stets unterstützen, bei unseren Werbepartnern und nicht zuletzt bei den über 50 Studentinnen und Studenten, die ihre unzähligen Ideen in dieses neue Magazin eingebracht haben! Das Titelblatt ist übrigens eine Hommage an ein offizielles FU-Plakat, das uns alle begeistert hat. Mehr darüber findet ihr in der Rubrik »Bildlegende« auf Seite 30. Neue Blicke auf die Freie Universität wünscht euch eure FURIOS-Redaktion PS: Ihr findet uns auch unter www.furios-campus.de.
Schlussredaktion: Tin Fischer (V.i.S.d.P., Samariterstraße 11, 10247 Berlin), Clara Herrmann, Anna Klöpper, Christa Roth, Claudia Schumacher und Laurence Thio www.furios-campus.de redaktion@furios-campus.de
Redaktionelle Mitarbeiter dieser Ausgabe: Blagoy Blagoev, Chantal Carucci, Tasnim ElNaggar, Daniel Erlemeier, Nicolas Fuchs, Marlene Göring, Cora-Mae Gregorschewski, Johann Haber, Rachelie Hefter, Daniela Hombach, Johannes Hub, Sophie Jankowski, Theresa Kellner, Sabine Küpers, Livia Mertens, Sina Platzer, Sebastian Schirrmeister, Michi Schneider, Björn Stephan, Franziska Weil, Miriam Winkels, Christian Wöllecke
Printed by LASERLINE: www.laser-line.de
Layout: David Goldwich – layout@furios-campus.de Bildredaktion: Livia Mertens Lektorat: Annika Blohm
Furios 01 (2008)
Inserate: Blagoy Blagoev, Johann Haber, Benjamin Högerle, Keren Kashi, Jan Wischniewski, Shan Qiao – inserate@furios-campus.de Vertrieb: Tilman Kalckhoff, Christian Wöllecke – vertrieb@furios-campus.de Umschlagbild (Ei): Universitätsarchiv FU Berlin Jeder Autor ist im Sinne des Pressegesetzes für den Inhalt seines Artikels selbst verantwortlich. Die in den Artikeln vertretenen Meinungen spiegeln nicht zwangsläufig die Ansicht der Redaktion wider. Gemäß dem Urheberrecht liegen die Rechte an den einzelnen Werken bei den jeweiligen Autoren.
Inhalt
FURIOS 01 Empörter Brief Soundcheck
5 6 Lauschangriffe 6 Schön bestimmt: Helga Bayertz
Titelthema FU
8 Mythenschneiderei: Zu Besuch in zwei Archiven 10 Wohnt hier jemand? Dahlemer Nachbarn 12 Nicht nur das, was man denkt: Christen
Politik 14 Der AStA der Anderen 16 Think Tank: Visionen für die Freie Universität 17 Wir trauern um: Das Diplom Wissenschaft 18 Revolte Reloaded: Revoltieren am Joystick 19 Meine Esse: Der Mensamagen 20 Forschungsfragen an das Dahlem-Brain 21 Rezensionsreportage: Der Historiker Paul Nolte Kultur 22 Schnappschuss: Axel Benzmann fotografiert die 68er 23 Warenfetisch: Die Mao-Bibel 24 Flaneur: Architektonischer Spaziergang 26 Kuh-Tipp: Veranstaltungskalender 27 Interview: Eike Weidenreich in seinem ersten Film Ewige Ehemalige 28 Hans Eberhard Zahn Bildlegende 30 Mut zur Ironie Die Internationale 31 Haifa Poesiealbum 32 Carte Blanche 33 Michi Schneider Mensen mit 34 Präsident Lenzen
Furios 01 (2008)
Empörter Brief
Sich ordentlich empören Der FU-Student ist in der Regel empört. Aber wie empört man sich richtig? Hier kannst du üben! Beachte dabei, dass du latente Einseitigkeit wahrst, ein Spektrum an Feindbildern entwickelst, dass du »die Grundfesten unserer Demokratie« in Gefahr siehst und dass sich über die Nichtigkeit, über die du ich empörst, nur einer richtig empören kann: du! Ein Beispiel: An: The Brain Wahrlich, so wird das nichts mit der Weltherrschaft, meine liebe Philologische Bibliothek. Mit deiner veralteten Logistik im modernen Gewand. Mal ehrlich: Münzschließfächer! Was hast du dir gedacht? Nur mit stets vergebener 1-Euro-Münze zugänglich. Ohne Wechselautomat, der es dem Bettler-Studenten mit seinem Berg nordischen Goldes wie auch dem Krösus-Studenten mit Kupfernickel- und Papiergeld ermöglichen würde, doch noch an das nötige Messing zu gelangen. Sag, du Hirn, wie kannst du uns einsammeln und untertänig machen, wenn du uns stets resigniert von dannen ziehen lässt, mit einem Gefühl tiefsten Ungenügens ob des Versagens, sich dir und deiner Gedankenwelt ganz zu ergeben, nur weil man der Obhut geeigneter Münzen wieder nicht Genüge tat? So entgeht man dir, widerwillig. Oder aber irre ich, und dieses Brain ist tatsächlich von einem Pinky erdacht, mir zu komplex, es zu durchschauen? Sind es gerade die Hürden, die es zu nehmen gilt, um in dein Gehirn vorzudringen? Die Findung eines funktionstüchtigen Schließfaches und der Münzbesitz trotz nervöser Vergesslichkeit – die deine Macht bedeuten in meiner Machtlosigkeit, mich dir endlich uneingeschränkt hinzugeben? So höre mein Nein! Lieber wende ich mich Leselandschaften zu, die mir offen stehen und mich mit bedingungslosem Stauraum und mehrwöchigen Ausleihen locken. Künftig im Exil, Bernd Krihl Auch empört? Schreib an empoert@furios-campus.de Furios 01 (2008)
Soundcheck
Lauschangriffe von Marlene Göring und Blagoy Blagoev
Basti, 21, Ostasienwiss.
Was hörst du gerade? Jetzt gerade Popof My lost soul. Das ist so Electro-House. Ziemlich minimalistisch, vielleicht ein kleines bisschen Trance. Ich hab Internetradio gehört und da kam das, und da musste ich mir den Track gleich besorgen. Popof hab ich erst seit zwei Tagen auf dem Player und deshalb läuft der Song in Dauerschleife. Wo ist dein Kiez? Ich wohne in Treptow, wenn man will also im Karl-Kunger-Kiez. Ich würd’s aber nicht so nennen. Was ist dein Geburtstagwunsch an die FU? Ich denke ein Zigarettenautomat. Das wäre für alle das Beste. Ja, ich bin für einen Zigarettenautomaten.
Schö
bestim In der U-Bahn ist sie immer die Tram hört man sie auch manch
Was hast du auf den Ohren? Es ist ein bulgarisches Lied: Karizma mit Kolko mi lipsvash, das heißt »Wie sehr du mir fehlst«. Die Stimme der Sängerin ist sehr schön, das ist mir wichtig bei einem Lied. Wo wohnst du in Berlin? Mh, leider ziemlich weit weg, im Norden: Karow. Was ist dein Jubiläumswunsch an die FU? Da gibt’s viel. Eine bessere Mensa zum Beispiel! Unsere ist sehr klein. Und diese Formalitäten immer wieder. Oder die Auflagen für Studenten in fortgeschrittenen Semestern. Man wird damit oft allein gelassen.
Marcus, 20, Chemie
von Nicolas Fuchs und Cora-Mae Gregorschewski (Foto)
Plamena, 27, Publizistik
Was läuft auf deinem MP3-Player? Ich höre Empty Walls von Serj Tankian. Ich höre meistens Rockmusik, ich kann mich dabei einfach entspannen. Serj Tankian mag ich besonders gern, er ist Leadsänger von System of a Down und hat dieses Jahr sein erstes Soloalbum rausgebracht. Genauso wie die beiden anderen Bandmitglieder mit ihren eigenen Bands. Das nur so nebenbei. (lacht) Wo trifft man dich in Berlin? Charlottenburg ist mein Kiez! Verrate uns deinen Geburtstagswunsch an die FU! Zur Zeit ist der Server überlastet und ich muss noch auf alle möglichen Ämter rennen. Also einfach bessere Organisation und weniger Bürokratie.
Sie arbeiten im Untergrund. Ja, wenn Sie meine Stationsansagen in der U-Bahn meinen. Da ich aber noch mehr in Bussen zu hören bin, könnten Sie mich auch als überirdisch bezeichnen. Wie wird man zur U-Bahn-Stimme? Bei mir war es so, dass ich jahrelang beim SFB als Sprecherin und Moderatorin gearbeitet habe. Die Gesellschaft für Sprachtechnologie ist auf mich aufmerksam geworden und fragte, ob ich Stationsansagen für Bus und Bahn sprechen will. Wie fühlt es sich für eine professionelle Sprecherin vom Rundfunk an, in der UBahn zu hören zu sein? Es macht mir Spaß, viele Menschen jeden Tag auf dem Weg zur Arbeit oder nach Hause und an die vielen Orte in Berlin zu begleiten. Für Berlin haben Sie 3600 Haltestellen gesprochen, allein die U-Bahn nutzen laut BVG 1,4 Millionen Menschen täglich. Würden Sie Ihre Stimme als berühmt bezeichnen? Nein, als berühmt eher nicht, vielleicht als bekannt.
Furios 01 (2008)
Soundcheck
n
mt erste, auf jeder Busfahrt ist sie dabei und in der mal. Helga Bayertz ist Berlins bekannteste Stimme.
Welche Stationen sind am schwersten zu sprechen? Diese Frage darf sich für einen Sprecher nicht stellen. Ein Sprecher muss alles aussprechen können. Wenn es zum Beispiel um osteuropäische Stationen an den Grenzen geht, dann spreche ich die auch, das klingt natürlich nicht wie bei einem Muttersprachler. Hat man Sie schon mal auf der Straße erkannt? Im Supermarkt an der Kasse fragte mich eine Dame, ob sie meine Stimme nicht schon des Öfteren gehört habe. (Der Reporter hadert mit der Technik seines Aufnahmegerätes.) Nicht so leicht die moderne Technik, wie? Manchmal etwas widerspenstig. (greift zum Notizblock) Wie sieht’s bei Ihnen aus, fürchten Sie, irgendwann durch moderne Technik ersetzt zu werden? Das wurde ja schon probiert. In weiter Zukunft vielleicht, im Moment siehts aber eher umgekehrt aus. In Hannover habe ich der Technik Konkurrenz gemacht. Die Menschen haben die synthetische Stimme nicht angenommen, viele haben sich beschwert.
Furios 01 (2008)
Woran, glauben Sie, lag das? Menschen wollen in den Stationsansagen etwas menschliches hören, die Ansage muss freundlich sein und natürlich sollte sie auch von älteren Menschen verstanden werden. Das bietet eine Computerstimme noch nicht. Viele Studenten fahren mit der U-Bahn zur Uni, ausgerechnet auf der U3 sind Sie nicht zu hören, warum? Das würde ich ja gerne ändern. Wahrscheinlich fahren auf der U3 ältere Züge. Wenn die erneuert werden, aber das dauert ja immer. Bis dahin hören mich die FUStudenten nur in den neuen Zügen und im Bus. … und auf dem Weg zu Partys: Sie sind im 100er Bus und der U2 zu hören, wo fährt Helga Bayertz noch so lang? (lacht) Außerhalb von Berlin habe ich zum Beispiel für die S-Bahnen in München, Hannover und Münster gesprochen. Würden Sie für Geld alles sprechen? Was verstehen Sie denn unter alles? Nicolas Fuchs studiert Volkswirtschaft.
Werbung für die NPD zum Beispiel? Auf gar keinen Fall, bestimmte Gruppen möchte ich nicht unterstützen! Pflegen Sie ihre Stimme auf bestimmte Weise? Ich laufe nicht wie manche Sänger immer mit Halstuch rum, ab und zu mache ich aber ein paar Stimmbildungsübungen. Oliver Rohrbeck, die Stimme von Justus Jonas aus Die drei ???, hat mir mal warmes Bier empfohlen. Das wäre nichts für mich, aber jeder hat so sein Ritual. Udo Jürgens zum Beispiel trinkt vor Auftritten gerne eine Tasse Kamillentee, mir reicht ein Glas Leitungswasser, nicht zu kalt und nicht zu warm. Sind Sie mit dem Spruch »Zurückbleiben bitte!« nicht der Star auf jeder Party? »Zurückbleiben bitte«, habe ich in meinem ganzen Leben noch nicht gesagt. Bei mir beginnt alles mit »Nächster Halt«. Frau Bayertz, haben Sie eigentlich eine BVG-Freifahrkarte für den Rest Ihres Lebens erhalten? Nein, leider nicht. So wichtig bin ich nicht.
von Clara Herrmann und Livia Mertens (Foto)
Wenn die Freie Universit채t ihre Geschichte erz채hlt, greift sie gerne gekonnt in das Archiv. Dort liegt viel Geliebtes und einiges Ungeliebtes. Zu Besuch in zwei ungleichen Mythenbauk채sten.
Mythenschneiderei
Titelthema
Vom Pr채sidium verbannt, im Unishop vermarktet: Nachgeschneiderte Talare.
Furios 01 (2008)
Titelthema
A
rmin Spiller war selbst in der schrulligen Disziplin der Archivare eine skurrile Gestalt. Als erster Leiter des Archivs der Freien Universität kramte er jede geschichtsträchtige Akte der jungen Institution aus Schubladen und Ecken hervor und hielt seine Schätze unter Verschluss. Das Material konnte nicht gesichtet werden. Lediglich Auskünfte waren von Spiller zu bekommen. »Kategorie Eichhörnchen«, könnte man sagen. Die Aktenberge bis zum Hals und immer auf der Suche, so wird von Spiller erzählt. Als selbstvergessener Gedächtnishüter ist er heute selbst ein kleiner Mythos. Sein Archiv: ein »im Verborgenen wachsendes Pflänzchen«, wie sein Nachfolger Michael Engel romantisiert. Spillers Sammeleifer war dabei nicht wahllos. Seit 1970 im Amt, galt ihm vor allem die Zeit der Ordinarienuniversität als epochale Ausrichtung. Während er im Keller die alte Zeit konservierte, tobte draußen der »akademische Bürgerkrieg«. Unbeeindruckt vom politischen Gedöns und kaum beachtet von der Außenwelt puzzelte er an der Gründungsgeschichte der FU. Als sich Mitte der 70er Jahre der »rote Sturm« legte, das Experiment einer von Studierenden mitbestimmten Gruppenuniversität abgebrochen wurde und die Protestgeneration die Universität verließ, begann man sich wieder auf die Wurzeln zu besinnen. Während die Gründungsgeschichte zur Zeit der Studentenunruhen in den Hintergrund treten musste – die Feierlichkeiten zum 20. Jahrestag der FU-Gründung fielen 1968 aus – wurden nun die Unruhen selbst zur Randnotiz. Hell und licht erschien die Zeit vor den düsteren Jahren des Protests und der umkämpften Schmuddeluniversität. Zwar hatte sich auch die Studentenbewegung mit ihren Forderungen nach Mitbestimmung auf die studentische Gründung berufen. Die Studenten der Gründungsphase entpuppten sich aber keineswegs als flammende 68er. Im Gegenteil: Einige wurden Mitglied der Notgemeinschaft für eine freie Universität. Gezielte Griffe ins Archiv
Der Gründungsmythos erlebt jetzt seine Renaissance. Die Feier im Titania-Palast. Karol Kubicki und Helmut Coper würfeln um die Matrikelnummer 1. Studenten tragen gespendete Möbel in karge Räumlichkeiten. Liebgewonnene Bilder und Geschichten der ersten Stunde, die spätestens dann aus den Tiefen des Archivs hervorgeholt werden, wenn die FU sich selbst feiert.
Furios 01 (2008)
Ein Film wie Eine freie Universität von 1949 läuft heute im Henry-Ford-Bau in der Endlosschleife. Halb gestellt, halb dokumentarisch zeigt er die ersten wackligen Schritte der jungen Universität als mitreißendes Kinoerlebnis. Eine Hollywoodtaugliche Inszenierung nicht ohne Kalkül, wurde er doch damals an amerikanischen Universitäten gezeigt, um Spenden anzuregen. Anfragen des Präsidiums an das Archiv richten sich, nicht nur anlässlich des Jubiläums, auf alles, was zur Vervollkommnung der Corporate Identity nötig ist. Man beruft sich auf die Gründungsideale, um das Wunschbild einer jungen, liberalen und forschungsstarken Universität zu beschwören. Eine, die vor allem mit den Amerikanern verbunden ist. Birgit Rehse, seit 2006 Leiterin des Universitätsarchivs, attestiert dem heutigen FU-Präsidenten Dieter Lenzen dabei einen »sehr klaren Sinn für die Geschichte der Universität«. Er spüre »was Öffentlichkeitswirksamkeit hat.« Der Griff in den Mythenbaukasten ist gezielt. Dass Eier schmeißende Studenten nicht unbedingt ins Konzept passen und als Stolperstein lieber umgangen werden, ist kein Geheimnis. Eine gewisse Profilneurose darf man der Elite-Uni FU schon unterstellen. Ungeliebtes Stiefkind
Das APO-Archiv des Siegward Lönnendonker ist zum Bersten gefüllt mit solchen Stolpersteinen und damit nicht gerade der bevorzugte Baukasten für eine Imagekampagne. Erst 2003, so erfährt man von Lönnendonker, äußerte das Otto-Suhr-Institut die Absicht, das Archiv schließen zu lassen. Und auch so mancher Privatmann wäre nicht unglücklich darüber, wenn die eine oder andere karriereschädigende Akte verschwinden würde, wie Lönnendonker erzählt. Ein ehemaliges Mitglied des Sozialistischen Deutschen Studentenverbandes (SDS) verbrannte im Vorgarten schon mal alte Dokumente, die seine Mitgliedschaft hätten bezeugen können. »1968 bis 1973, das ist ’ne Zeit, derer sich die Administrationsspitze der FU immer schämt«, meint Lönnendonker unverblümt. Lönnendonker, der mit dem damaligen Vorsitzenden der FU-Gruppe des SDS zusammen wohnte und nolens volens am politischen Geschehen teilnahm, begann 1963 die ersten Flugblätter der Studentenbewegung zu sammeln. Erst unbemerkt, dann mehr geduldet als gefördert, speiste sich das etwas »schmuddelige« Archiv des »linken Vogels«, wie er selbstironisch bemerkt, aus allem, was der Studentenbewegung zu-
geordnet werden konnte. Es galt der »Geschichte der Sieger«, den Versionen von Polizei und Springer-Presse, welche die Linken zu »den Bösen« schlechthin stilisierten, durch eine eigene Geschichtsschreibung zu begegnen – im Sinne einer Entmythisierung, wie Lönnendonker meint. Bis 2004 fristete das APO-Archiv die Existenz eines »ungeliebten Stiefkindes«, bis es durch die Initiative von Engel in das Universitätsarchiv eingegliedert wurde. Es ergänzt jene Lücken, die in einer aus dem Fundus des Spillerschen Archivs rekonstruierten FUGeschichte offen blieben. Als Leiter einer »Agentur des Klassenfeindes« hätte Spiller die Akten des AStA oder des SDS gar nicht bekommen. »Herr Spiller«, Lönnendonker lacht, »’ne ganz eigene Figur. Der betrieb ein geheim-preußisches FU-Archiv und hat darüber gewacht, dass kein Mensch da rein kommt.« Die Zusammenarbeit der ungleichen Archivare gestaltete sich dementsprechend schwierig. Alte Tradition und Studenteninitiative prallten auch hier aufeinander. »Um Gottes Willen«, antwortet Lönnendonker auf die Frage, ob er sich ein ebenso passioniertes Archivarendasein wie das des Herrn Spiller vorstellen könnte. Alte Zöpfe in den USA
Doch nicht alles, was im Spillerschen Baukasten zu finden ist, wird als kompatibel für die Corporate Identity der FU angesehen. Als ein Wissenschaftler bei Präsident Lenzen anfragte, ob er sich zu repräsentativen Zwecken einen Talar nachschneidern lassen dürfte, wurde ihm die Wiederbelebung dieses Mythos versagt. Die Zöpfe sind nun mal ab. Vor Lenzens Amtszeit ist es einem Dozenten immerhin gelungen, eine Imitation anfertigen zu lassen. Den neuen Talar nahm er mit in die USA und feierte dort die alte Zeit.
Clara Herrmann studiert Deutsche Literatur. Wir möchten uns für die Unterstützung durch die Mitarbeiter des Universitätsarchivs bedanken, das heute, unter der Leitung von Frau Dr. Rehse, Benutzerfreundlichkeit groß schreibt und offen zugänglich ist.
Titelthema
WOHNT HIER JEMAND? Sie leben mitten unter uns und sind doch keinem bekannt – Dahlems Bewohner üben sich in Unauffälligkeit. Bis jetzt. Wir werfen einen Blick hinter die gutbürgerliche Fassade. von Christa Roth und Livia Mertens (Foto)
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Furios 01 (2008)
Titelthema
D
ie Straßen in Dahlem sind nur spärlich beleuchtet. Dafür brennt in einigen Häusern Licht. Obwohl erst später Nachmittag ist, ist kaum noch jemand unterwegs. Es sollte eigentlich nicht allzu schwer sein, jemanden zu Hause anzutreffen. Ich klingele bei nicht wenigen Einfamilienhäusern, doch es öffnet keiner. Wer in Dahlem wohnt, scheint unangekündigten Besuch nicht zu mögen. Nach mehreren Absagen habe ich schließlich Glück beim Ehepaar Müller in der Garystraße. Obwohl Frau Müller betont, dass sie »eigentlich gar nichts zu sagen hat«, zeigt sich ein paar Tage später im Gespräch, dass es doch allerhand Berichtenswertes gibt. Beflügelt von diesem Erfolg suche ich weiter nach erzählfreudigen Nachbarn und werde in der Brümmerstraße bei Frau Müller-Niepelt fündig, einer ausgesprochen netten Dame mittleren Alters, die auf meine Anfrage zuerst ähnlich irritiert reagiert, am Ende immerhin für ein kurzes Telefongespräch zur Verfügung stehen wird. Damit fügt sie sich in das Bild einer Nachbarschaft ein, die sich vor allem dadurch auszeichnet, dass sie nicht weiter auffällt und manchmal sogar den Eindruck erweckt, gar nicht wirklich vorhanden zu sein. Parka als Provokation
Einen typischen Dahlemer will das Ehepaar Müller allerdings nicht ausmachen können, während sich der Duft von frischem Kaffee im hellen Esszimmer verbreitet. So wie ich hier Milchkaffee trinkend sitze, hätten es Generationen von Studenten vor mir gemacht, erzählt Frau Müller. Da ihre Eltern das Haus bereits 1955 kauften, hat sie bis auf wenige Jahre fast ihr ganzes Leben in der Garystraße zugebracht: Nach ihrem Abitur begann sie Mitte der 60er an der Freien Universität ihr Medizinstudium, wo sie auch ihren Mann kennenlernte. Mangels Cafés wurde damals kurzerhand das universitätsnahe Elternhaus zum studentischen Treffpunkt umgewandelt. Der Mythos 1968 dringt in ihren Worten eher weniger durch. »Sicher, man hat sich das angehört von Rudi Dutschke, das gehörte dazu und es war ja auch toll. Aber wir waren nie so radikal«, berichtet Frau Müller so überzeugend nüchtern, dass ich vergesse zu fragen, warum offenbar Medizinstudenten einen weniger ausgeprägten Hang zur Revolution hatten. Andererseits zeugt eine vermeintlich belanglose Anekdote vom Duktus jener Zeit: »Parka, möglichst abgewrackt, waren damals sehr in. Ich habe die auch getragen, als Provokation. Meine Eltern wollten dann für mich sammeln gehen.«
Furios 01 (2008)
Je mehr wir alte Zeiten heraufbeschwören, desto stärker nimmt Herr Müller, der bisher im Nebenzimmer scheinbar interessiert Zeitung las, regen Anteil am Gespräch. Auch er wirkt gleichzeitig freundlich und unprätentiös, bleibt aber für einen Zeugen der 68er weitgehend reserviert. Erst als er ansetzt, um zu bemerken, dass er »irgendwo das Gefühl habe, dass früher das studentische Leben an der FU vielmehr ausgelebt wurde. Es gab viel mehr Feste, der so genannte Campus war viel belebter«, leuchten seinen Augen kurz auf. Über die heutigen Studierenden wundert ihn die mengenmäßige Diskrepanz zwischen Semesterbeginn und kurze Zeit später. »Am Anfang kommt einem auf den Gehwegen ein ganzer Pulk entgegen und nach einem Monat scheint man zu wissen, welche Vorlesung man sich schenken kann.« Offenbar ein mittlerweile »FU-typisches« Phänomen, ergänzt er. Woran das fehlende Zugehörigkeitsgefühl liegen mag, weiß er nicht zu sagen. Festzustellen bleibe zumindest ein gewisses »Desinteresse« auf beiden Seiten, also auch der Universitätsleitung an den Studierenden. Vielleicht müssten beide noch dazulernen. Jenseits des Zauns
Auch bei Frau Müller-Niepelt in der Brümmerstraße hat man den Eindruck, dass Voneinander-Lernen ein zentraler Begriff ist. Wir entscheiden uns für ein spontanes Telefongespräch, während sie die Aufsicht über einen Nachbarsjungen hat, was eine leichte Überforderung darstellt, weil sie »es nicht mehr gewöhnt [ist], auf einen Zweijährigen aufzupassen, dass er nicht etwas in den Mund steckt.« Während also ein brabbelndes Kind im Hintergrund wer-weiß-was macht, erzählt Frau MüllerNiepelt zunächst über das Glück, gesunde Kinder zu haben, bevor sie plötzlich auf die Bewohner ihres Nachbarhauses eingeht. Wer die Brümmerstraße entlang läuft, dem wird auf der einen Seite der Schienen ein für diese Gegend eher ungewöhnlich modernes Mehrfamilienhaus auffallen. Dort lebt eine Wohngemeinschaft geistig behinderter Menschen mittleren Alters. Obwohl diese dauerhaft Betreuung erhalten müssen, wirken viele auf Außenstehende recht selbstständig und machen laut Aussage Frau Müller-Niepelts »einen zufriedenen Eindruck«. Dass es auch anders kommen kann, zeigt für sie ein wie sie sagt »besonders schwerer Fall«. Es gab eine Zeit, da sie und ihr Mann immer wieder Schreie aus dem Nachbarshaus gehört hätten, ohne zu wissen, was es damit auf sich habe. Schließlich habe ihr ein Betreuer von
einer jungen Frau berichtet, die jahrlang in einem Altersheim untergebracht und dort nicht gefördert worden sei. Wenn man der jungen Frau jedoch heute jemanden an die Seite setze, höre sie mit dem Schreien auf. Das Problem sei, dass »eine [solche] ständige Zuwendung mit dem Personalschlüssel nicht gegeben ist«, formuliert es Frau Müller-Niepelt. »Nur manchmal«, sagt sie, »kommt das Schreien so unvermittelt, dass man geladene Gäste spontan wieder nach Hause schicken muss. Aber unsere Freunde wissen eigentlich damit umzugehen.« »Weniger abgehoben als Zehlendorf«
Auf die Frage nach dem »Campusleben« antwortet Frau Müller-Niepelt, wie angenehm es sei, von lauten jungen Leuten umgeben zu sein. Dann auf einmal Schreie am anderen Ende der Leitung. »Der Kleine weint …«, stöhnt sie noch ins Telefon, bevor sie das Gespräch beenden wird. In der weniger hektischen Garystraße betonen auch die Müllers die »sehr gute Nachbarschaft« in Dahlem. Als ich skeptisch frage, ob denn eine gefestigte Nachbarschaft überhaupt zustande kommen kann, wenn zwischen den Häusern unzählige FU-Einrichtungen liegen, entgegnet Frau Müller: »Die Institute gehörten einfach immer dazu. Es war irgendwie schön, wenn da die Studenten ein- und ausgingen.« Dass sich nebenan wie einst revolutionäre Zellen gegen das Establishment bilden könnten, dem sie mittlerweile angehören, beunruhigt sie nicht. »Die Grundstücke wurden nie belästigt«, bestätigt Herr Müller. Nur Schmierereien soll es ab und an geben, aber da waren sich beide nicht einig. Konsens hingegen ist bei allen, dass Dahlem eine wunderbar grüne Gegend und weniger »abgehoben als Zehlendorf« ist. Doch es ist nicht der Hauch von Abgrenzung oder Unangepasstheit, der mir um die Nase weht, sondern der Duft eines wohltemperierten, reichhaltigen Mittagsessens, das Frau Müller gerade gekocht hat. Mein Restkaffee ist inzwischen kalt geworden und damit ist es Zeit, zu gehen. Als ich noch einen letzten Schluck nehme und die unaufgeregte moderne Einrichtung betrachte, frage ich mich, was das junge Ehepaar Müller wohl dazu gesagt hätte.
Christa Roth studiert Politikwissenschaft.
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Titelthema
Nicht nur das, was mAn denkt Die einen versuchen es mit Gitarre und quietschbunten Plakaten. Andere sprechen über Jesus, Sex und ’68. An kaum einer Universität haben es Christen so schwer, auf sich aufmerksam zu machen. Eine Suche. von Anna Klöpper und Tin Fischer
C
hristliche Rhetorik kann die Freie Universität. Wenn Präsident Lenzen ihre Geschichte erzählt, meint er eigentlich die Weihnachtsgeschichte. So wie Gott als schwaches Kind in einer Futterkrippe auf die Welt gekommen sein soll, soll die FU von Studenten auf einem einfachen Tischchen gegründet worden sein, um die Wissenschaft von der Diktatur im Osten zu befreien. Trotzdem tut sich kaum eine Universität mit der Religion so schwer wie die FU. Vor einem Jahr hatte das Präsidium offiziell zu einem Semestergottesdienst eingeladen. Prompt reagierten einige Professoren mit Protest. Eine zweite Einladung gab es nicht. Dabei ist ein solcher Gottesdienst an anderen Universitäten nur normal. Warum die Verklemmtheit? Wo ist Gott, Herr Bongardt?
Wir beginnen unsere Recherche bei Herrn Bongardt, Professor für Ethik an der FU und fragen gleich mal grundsätzlich: Wo ist Gott an der Freien Universität? Der differenziert: »Die FU hat von ihrer Gründungsgeschichte her klare Signale gesetzt, dass sie eine Universität ist, in der zwar die Theologie oder die Religionswissenschaft als Reflexion über Religion ihren Platz hat. Was jedoch keinen Platz hat, ist eine direkte Aktivität von Religionen.« Was an Universitäten im angelsächsischen Raum keine Seltenheit ist, findet man hierzulande nicht. Einen Raum fürs Gebet, das gibt es an der FU nicht. »Und das«, betont Bongardt, »sollte auch so bleiben.« Er hat den Einfluss zu spüren bekommen, den die Kirche nichtsdestotrotz an deutschen Universitäten hat. Während Hochschulen in Frankreich oder im angel12
sächsischen Raum Theologie als Studienfach unabhängig von der Kirche anbieten, haben in Deutschland die Kirchen ein Mitspracherecht bei der Besetzung von Professuren. Ohne ein nihil obstat (»es steht nichts entgegen«) durch die katholische Kirche kann kein katholischer Theologe an einer Uni lehren. Lebenswandel, Forschung und Lehre des Professors müssen aus kirchlicher Sicht stimmen. Michael Bongardt ist eigentlich katholischer Theologe. Nur: So nennen darf er sich nicht mehr. Der ehemalige Priester hat 2003 geheiratet. Sein Recht, als Theologe zu lehren, hat er damit aus Sicht der katholischen Kirche eingebüßt. Also musste an der FU nach einem neuen Aufgabenfeld für den Professor gesucht werden. Das Institut für Ethik wurde gegründet. Bongardt bildet heute Ethiklehrer an der FU aus. Eine Frage haben wir noch, bevor es weitergeht zur Studentenmission SMD: Haben wir eigentlich Gründe, an Gott zu glauben, Herr Bongardt? »Zwingende Gründe gibt es nicht«, sagt er zum Abschied. »Aber der Glauben an Gott denkt vom Menschen oft größer als der Humanismus.« Die Mission im Namen
»Wer gläubig ist, muss dumm sein«, habe ihr mal jemand gesagt, erzählt uns Rebekka von der FU-Gruppe des SMD. Da sei ihr dann auch nichts mehr zu eingefallen. »Ein wichtiges Anliegen der SMD ist«, erklärt sie, »dass der Glaube nicht anfängt zu wanken, sobald man nachdenkt. Dass es einen beispielsweise in der Naturwissenschaft einfach faszinieren kann, wie Gott es gemacht hat.« Rebekka gehört zu den studentisch organisierten Christen an der FU, die sich auf
die Gemeinden der evangelischen und katholischen Kirche, die überkonfessionelle SMD sowie eine ad hoc organisierte Bibelgruppe verteilen. Letztere macht vor allem mit Gitarre und quietschbunten Plakaten auf sich aufmerksam. »Wir würden an der Uni gerne präsenter sein. Aber da kommt uns die Univerwaltung nicht entgegen«, erklärt Rebekkas Kollege Falko – »religiöse, terroristische oder sexistische Inhalte« würden von der FU nicht geduldet, sagte uns Studentenpfarrer Thomas Treutler einmal halb ironisch. Was hätte denn die FU von euch, fragen wir die SMD-Studenten. Bei Rebekka haben Antworten immer eine schlichte Eleganz: »Mehr Freiheit.« Die SMD, die es seit bald 60 Jahren in ganz Deutschland gibt, hat die Mission zwar im Namen und neue Mitglieder sind natürlich ein Thema. Nur, wenn man Aufmerksamkeit auf sich ziehen will, muss man auch darauf achten, wie die Strategien bei Außenstehenden ankommen, meint Rebekka. Lächerlich machen wolle man sich nun eben auch nicht. Zumindest haben die Gruppen und Gemeinden ein reges Veranstaltungsprogramm. Im Caledonian-Café in der Silberlaube kommt der Referent des Diskussionsabends zum Thema »Sex« zwar viel zu spät, die Stimmung kann das aber trotzdem nicht trüben. Fast glaubt man, in eine vorweihnachtliche WG-Party geraten zu sein – nur dass die Gäste die Flasche Wodka im Kühlschrank noch nicht entdeckt haben. Von Vertrauen und Hingabe ist die Rede. An Gott, wie auch an einen geliebten Menschen. Ist Sex wirklich nur eine Sache der stimmigen Biochemie – oder vielleicht doch »Ausdruck einer Sehnsucht, die über Furios 01 (2008)
Titelthema
PopArt in der Silberlaube: Mit ClipArt das Christentum verbreiten. Doch der Schein trügt: Jenseits quietschbunter Word-Plakate haben die Christen ein vielfältiges Veranstaltungsprogramm.
sich selbst hinausweist, zu einem Ort der bedingungslosen Liebe, zu Gott«, wie der Doktorand Matthias Clausen seinen Zuhörern nahelegt. Die lümmeln sich in den Sofas und nippen an ihren Plastikbechern. Und schnell ist man wieder bei ganz praktischen Themen: Erasmus, Studienorganisation, Master. Schließlich ist da mehr als nur der Gedankenanstoß, den die jungen Christen in den Studienalltag einbringen wollen. »Ich bin oft etwas befremdet«, sagte uns Bettina, »wie die Leute an der Uni miteinander umgehen. Glauben heißt beispielsweise auch, dass man versucht, dass man ein offenes Ohr für Leute um einen herum hat.« die neue Verstörungsquelle?
Dann stolperten wir über die Vermutung, dass das Christentum als neue »Verstörungsquelle« wahrgenommen werde. Verstörungsquelle? Wieder? Warum? Und gilt das auch für die FU, haben wir uns gefragt. Eva Quistorp ist laut Wikipedia »Aktivistin der Friedens-, Frauen- und Umweltbewegung« und ehemaliges Mitglied des Europäischen Parlaments. Heute ist sie zu Gast bei der Evangelischen Studierendengemeinde (ESG). Die »revolutionären 68er« und die ESG sind das Thema. Quistorp weiß darüber drei Stunden lang lebhaft zu erzählen. Von ihrem Studentenpfarrer an der FU, bei dem man bereits Mitte der 60er Jahre Adorno und Horkheimer als Raubdruck gelesen habe, noch bevor sie an der Universität thematisiert worden seien. Dass damals schon mal die Bemerkung gefallen sei, die ESG sei radikaler als der SDS. »Wir hatten Zugang zur Kirche, waren wortgewandt und konnten Furios 01 (2008)
im Streit vermitteln«, erzählt sie. »Wir waren radikal, ohne ideologisch zu sein.« Vom Theologen Gollwitzer ist die Rede, der die Studierenden zu verstehen versucht, aber auch immer wieder zur Vernunft gerufen habe. Und schließlich erzählt sie von jenem Christen, der seinerzeit die Studenten verzückte: Dem »Rudi«, dem Dutschke, dieser vielleicht christlichen Mischung aus unbeugsamer Zuversicht und einer nach außen manchmal unglaublichen Humorlosigkeit. Was ist von diesem Erbe geblieben? Man habe eine soziale Verpflichtung, ohne sich gleich als politisch zu begreifen, meint jemand. Dorian, Moderator des Abends, betont aber auch, dass man mit dem ESGBanner gegen Schäubles Datensammeln demonstriert habe, dass der Hahn im Logo rot sei, gegen Unterdrückung und Unrecht krähe und der Tee aus fairem Handel stamme. Kritik an der Kritik
Sorgt heute die Theologie für die nötige Irritation im Wissenschaftsbetrieb? Am Institut für evangelische Theologie gibt uns Dr. Wüstenberg eine Antwort. Der ist da etwas vorsichtiger, sieht die Theologie aber durchaus als »Stachel« im interdisziplinären Dialog der Wissenschaften – im positiven Sinn: »Als Möglichkeit, eine andere Perspektive anzubieten und Kritik an der Kritik zu üben«. Gilt das besonders an einer links-liberal geprägten Universität wie der FU? »Ich hoffe, dass man wahrnimmt, dass man sich etwas abschneidet, wenn man die evangelische Religion im zutiefst protestantisch geprägten Berlin einfach ausblendet.« Fest steht: Sein Mini-Institut für evangelische Theologie wird geschlossen. Aus öko-
nomischer Sicht durchaus nachvollziehbar. Das protestantische Erbe Berlins wird an der HU, an der größten evangelisch-theologischen Fakultät Deutschlands, bestens gepflegt. Trotzdem, sagt Wüstenberg: »An einer freien Universität kann es ja nicht nur um die Frage einer Freiheit von, sondern muss es auch um die Frage einer Freiheit zur Religion gehen.« Christentum selbstbewusst
Zum Schluss unserer Reise lernen wir noch Ben kennen. Auch er studierte an einer »Freien Universität«, der Liberty University in Virginia. Ironischerweise ist unser Namensvetter zugleich unsere Antithese: Die evangelikale »Liberty« wurde vom großen Prediger Jerry Falwell gegründet, stürmt jährlich die Top-10 der konservativsten Universitäten der USA und ist ein sicherer Hafen für Kreationisten. Können wir etwas von ihr lernen? Die extrem gute Betreuung der Studenten auch in spirituellen Belangen habe ihn umgehauen, erzählt uns Ben. »Dr. Falwell forderte uns auf, ›Champions for Christ‹ und die besten der Welt in unseren Gebieten zu sein.« Das hat uns dann doch nachdenklich gemacht. Wann hat einem jemand an der FU so viel Selbstbewusstsein mit auf den Weg gegeben? Anna Klöpper studiert Englische Philologie; Tin Fischer Nordamerikanische Geschichte. Veranstaltungen der ESG, KSG und SMD finden sich online. Wir bedanken uns bei allen, die bei der Recherche geholfen haben, auch wenn wir sie nicht erwähnen konnten. 13
Politik
DER AStA DER ANDEREN Der AStA ist ein großer Unbekannter an der FU. Kaum einer kennt seine Mitglieder und Ziele. Das ist paradox: Denn der Allgemeine Studierendenausschuss soll die Interessen der Studenten vertreten. Auf der Suche nach einem FU-Phantom. von Laurence Thio
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Mit einer Schere entlang der gestrichelten Linie ausschneiden.
Schlechte PR kompensieren:
as Kommando kommt von links: Fünf Studenten klopfen an die Fenster des Henry-Ford-Baus, versuchen ein Banner aufzuhängen. Polizisten werfen die Studenten zu Boden und führen sie ab. Empörtes Gejohle: »Ihr seid nur gut bezahlte Hooligans!« Ein verhangener Novembermorgen, die Studentenvertretung veranstaltet eine Demo zur Immatrikulationsfeier mit Horst Köhler. Es ist eine der wenigen Gelegenheiten den AStA der Freien Universität
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3 Fertig ist das Asta-logo!
Der AStA-Stern zum Selberbasteln
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Eine handelsübliche Büroklammer am Stern befestigen.
kennen zu lernen. Der AStA ist die Regierung der Studenten und wird jährlich vom Studierendenparlament (Stupa) gewählt. Vergleichbar ist das mit Bundesregierung und Parlament – nur auf Universitätsebene. Die AStA-Koalition stützt sich auf eine absolute Mehrheit. Darunter sind die Listen der »Unabhängigen Antifaschistischen Linken«, »Langzeitstudis gegen Studiengebühren« und ein Großteil der Fachschaftsinitiativen (FSI). Die Wahlbeteiligung lag zuletzt bei 11,7 Prozent.
Zurück zum AStA-Protest: Ein Redner prangert den neoliberalen Umbau der FU an. Die »Imma-Feier« wird kritisiert. In diesem Jahr konnten nur Erstsemester teilnehmen, die ihre Daten einschickten. Ungefähr 60 Studenten haben sich vor dem Henry-Ford-Bau versammelt. Sie tragen dunkle Kapuzenpullover, gefärbte Haare, Dreadlocks und Piercings. Die Demo gleicht einem folkloristischen Ritual aus »Volxküche«, Flyern und antiquierten »Deutschland muss sterben«-Gesängen.
Furios 01 (2008)
Politik
AStA – Ein roter Streichelzoo?
»AStA?«, fragt Anna, Mathestudentin, wenige Stunden später in der Silberlaube. »Ich weiß nicht, was das ist. Ich glaube es hat mit Studenten zu tun.« Geschichtsstudent Max glaubt, der AStA mache gute Sachen, »ist aber durch seine kämpferische Art abschreckend«. Politikstudent Lukas reagiert belustigt: »Das ist doch dieser rote Streichelzoo mit den linken Spinnern, oder?« Unwissen und Skepsis schlägt der Studentenvertretung auf dem Campus entgegen. Auf seiner Internetpräsenz schreibt der AStA, er regle »die laufenden Geschäfte der Studentenschaft«. Dafür hat er 13 verschiedene Referate, unter anderem Kultur-, AusländerInnen-, Frauen-, und Sozialreferat. Der AStA bietet kostenlose Beratungen zu Bafög, Fachwechsel und Rechtsfragen an. Jährlich verfügt er über ein Budget von ungefähr 700 000 Euro, jeder Student zahlt 15 Euro pro Jahr über den Semesterbeitrag. Wo das Geld genau bleibt, weiß jedoch keiner so recht. Nicht einmal alle AStA-Referenten. Die Öffentlichkeitsarbeit des Studierendenausschuss ist karg, die Website wird selten aktualisiert. Namen, geschweige denn Fotos, der Referenten sind nicht einsehbar. Der AStA ist ein Phantom. Das Hausmagazin »Out of Dahlem« erscheint unregelmäßig, Presseanfragen – auch die von FURIOS – wurden teilweise ignoriert oder abgelehnt. Zwei AStA-Referenten dementierten nach Interviews ihre Aussagen. Auf die Frage: »Wer seid ihr?« konnte und wollte der AStA offenbar nicht antworten. »Wir fordern eine konsequente Umsetzung von demokratischen Standards«, sagt Johannes Gamer von der Juso-Hochschulgruppe. Die Opposition aus Jusos, Liberaler Hochschulgruppe, Grüner Hochschulgruppe und der Linken bemängelt seit Jahren fehlende Transparenz. »Der AStA ist dem Stupa Rechenschaft schuldig, doch wir können uns keinen Einblick verschaffen«, sagt Carsten Hoffmann von den Grünen. Besonders gilt das für die Finanzen: Ein Haushaltsausschuss, der kontrollieren könnte, existiert. Aber »der hat noch nie getagt«, gibt ein AStA-Mitglied zu, das ungenannt bleiben möchte. Eva Friesinger, Mitarbeiterin im AStA-Finanzreferat, stellt klar: »Der Berliner Rechnungshof, die Universität und ein externer Haushaltsprüfer kontrollieren unseren Haushalt regelmäßig. Der Haushaltsplan wird zudem
Furios 01 (2008)
jedes Jahr dem Stupa zur Beschlussfassung vorgelegt.« Der 5-Minuten Haushalt
Da sitzen sie, im Block und in den ersten Reihen: die AStA-Verbündeten. Mitte November findet die 27. Stupa-Sitzung statt. Im hinteren Drittel des Raums sitzen die Jusos, ganz hinten haben sich die Liberalen verschanzt. Wer ist gegen den Haushaltsplan? Die Opposition hebt die Arme, doch gegen die Dreiviertelmehrheit der AStA-Koalition ist sie machtlos. Die Abstimmung braucht lediglich fünf Minuten. Beifällige Tischklopferei folgt. Die längste Zeit wird über ein Verbot von Thor-Steinar-Kleidung in studentischen Räumen an der FU diskutiert. Wer denn an der FU mit Naziklamotten herumläuft? Bisher wurde ein Handwerker in der AStAVilla entdeckt. Gamer von den Jusos fasst seine Kritik zusammen: »Der Haushaltsausschuss ist mit Mitgliedern der Koalition besetzt – kein einziges Oppositionsmitglied ist dabei«. Hinzu kommt ein »allgemeiner Deckungsvermerk«, durch diesen können alle Posten im Haushalt nachträglich miteinander vertauscht werden. »Unter einer Prüfung stelle ich mir etwas anderes vor.« Es gibt die wildesten Spekulationen darüber, wohin die Gelder fließen. Eine Mutmaßung ist, dass linke antifaschistische Projekte in Kreuzberg finanziert werden. Flüge von Referenten in den Irak zum Aufbau eines Studentenparlaments sowie Telefonrechnungen von 4 000 Euro nähren weitere Verdächtigungen. Nadja von der FSI Bio-Chemie, kritisiert den Umgang mit dem Stupa: »Die Koalition stöhnt bei unseren Anträgen laut oder lacht uns sogar aus.« Georg Frankl von der Linken ergänzt: »Wir werden mit unglaublicher Arroganz abgefertigt.« Hochschulpolitik ist Elitenpolitik?
Verstehen lässt sich die Studentenvertretung vielleicht nur, wenn man drei Dinge berücksichtigt: Erstens, der AStA ist in sich gespalten. Die meisten Mitglieder stammen politisch aus dem linken Spektrum, doch die Unterschiede und Widersprüche sind groß. Zweitens, der AStA ist basisdemokratisch organisiert: Mitglieder der Fachschaftsinitiativen (FSIs) und der Studentenvertretung sind gleichberechtigt. Der AStA sieht sich nicht als Vertretung
der Studenten, er lehnt das Repräsentationsprinzip ab. Deshalb gibt es nur formell einen Vorsitzenden und keine Namen auf der Website. Philipp Karstaed von der Liberalen sieht auch eine »Angst vor Kritik an Einzelpersonen.« Wenn alle verantwortlich sind, ist es letztlich niemand. Ein dritter Punkt, der erklärt, weshalb der AStA fernab der meisten Studenten ist, liegt in der Vergangenheit: Es ist das Jahr 2005. Der FU-AStA sitzt auf der Anklagebank. Sein Vergehen: Er hat sich allgemeinpolitisch geäußert. Auf seiner Website wurde ein Link zu einer Demo gegen die Agenda 2010 entdeckt. Laut Gesetz darf die Studentenvertretung sich nur hochschulbezogen äußern. Der AStA wird zu 15 000 Euro Strafe verurteilt. Verstößt er ein weiteres Mal dagegen, können Ordnungsgelder bis zu 250 000 Euro geltend gemacht werden. »Seitdem sind sie paranoid. Begeben sich immer stärker in die Isolation!«, erklärt Stefan. Der Studierendenausschuss wurde zum Phantom. Stefan ist AStA-Insider. Damit das so bleiben kann, hat Stefan in Wirklichkeit einen anderen Namen. Das Urteil hat sie schwer getroffen, dem Selbstverständnis nach war der »AStA immer ein Gremium, das allgemein Politik macht.« Es gäbe viele in der Studentenvertretung, die Hochschulpolitik als Elitenpolitik sähen: Politik für die oberen zehn Prozent der Gesellschaft. »Das wird abgelehnt und folglich auch nur in geringem Maße betrieben«, berichtet Stefan. Momentan sitzt der Studierendenausschuss durch die breite Unterstützung der Fachschaftsinitiativen fest im Sattel. Ewig wird es so nicht weitergehen, die Zeit läuft gegen den AStA. Das Bewusstsein dafür scheint der Gruppe noch zu fehlen. Es gibt Studenten im AStA und in den FSIs, die Widersprüche, Intransparenz und Verstöße gegen die eigenen Ideale sehen. Doch sie halten still, weil es im Prinzip um eine gute Sache geht. Stefan diagnostiziert: »Früher oder später wird es durch pragmatischere Bachelor/Master-Studenten in den FSIs einen Mentalitätswechsel geben – und dann bricht möglicherweise die Koalition!« Wer dann Phantomschmerzen hat, wird sich zeigen.
Laurence Thio studiert Politikwissenschaft.
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Politik
Think
Tank
Vier visionäre Denkpanzer, um die Zukunft der Freien Universität in Angriff zu nehmen.
zusammengestellt von Tasnim El-Naggar und Franziska Weil
Immer schön dagegen: Überreste (Panzer) einer Demo vor der Silberlaube. Aber wofür?
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Chancen nutzen, Risiken beachten
Den Worten Taten folgen lassen
Alexander Dix, Berliner Datenschutzbeauftragter
Miranda Schreurs, Leiterin der Forschungsstelle für Umweltpolitik
Die Bedeutung des Datenschutzes wird an den Berliner Hochschulen noch erheblich zunehmen. Umso wichtiger ist es, für seine Durchsetzung rechtzeitig die erforderlichen Vorkehrungen zu treffen, vor allem was die Unterstützung und Ausstattung der Datenschutzbeauftragten an den Hochschulen betrifft. Ich würde mir wünschen, dass die Freie Universität hier eine Vorreiterrolle einnimmt. Ich könnte mir durchaus virtuelle Vorlesungen vorstellen, die datenschutzfreundlich realisiert werden. Man sollte die Chancen nutzen, ohne die Risiken auszublenden. Meine Vision der Freien Universität in der Zukunft ist die einer Hochschule, in der die Studierenden die Verarbeitung ihrer Daten weitestgehend selbst kontrollieren und verfolgen können. Daneben bleiben interne und externe Instanzen der Datenschutzkontrolle allerdings unverzichtbar. Zu meiner Zukunftsvision gehört auch, dass die FU noch mehr zu einer transparenten Hochschule für Außenstehende wird.
My impression is that the FU is one of the earlier universities to actually work on improving its energy efficiency. In many ways it has been kind of pioneering in energy saving. What I haven’t seen here yet are big pushes on renewable electricity on campus. We are talking about a green university, so we should actually put action into words. I think it would also be a really smart move of a part of the university to create an overarching environmental institution because you cannot think about environmental issues in single disciplinary terms. The trend between interdisciplinary researches is one the university still needs to struggle with, if it really wants to stay competitive in this area. Wouldn’t it be wonderful if you could have an environmental bachelors program? Instead of just saying ‘I have a degree from political science’ you could say ‘I have a degree in environment that has a social science focus’
Furios 01 (2008)
Politik
Persönliche Uni, exzellente Chancen
Sascha Förster, Kristin Flade und Rafael Ugarte Chacón sind Studierende der Theaterwissenschaft und Vertreter der studentischen Initiative Margins Out/Incorporated Sascha: Margins Out/Incorporated ist kurz gesagt eine studentische Plattform, die Studierenden die Möglichkeit geben möchte, sich zu äußern. Unser Ziel ist es, Studierenden an der Uni mehr Gehör zu verschaffen und sie aus einer gewissen „Unmündigkeit“ zu befreien. Die Studierenden sollen sich selbst einbringen. Auch die FU sollte sich für ihre Studierenden interessieren, ihnen Freiräume schaffen und den Fokus auf die Bildung legen und nicht auf die Markttauglichkeit der Universitätsabgänger. Kristin: Wenn die Einführung von Studiengebühren nicht zu verhindern ist, bleibt nur zu hoffen, dass dann all die klugen Menschen, die nach Berlin kommen, phantastische Bedingungen bekommen, um miteinander an exzellenten Projekten zu arbeiten. Eine Traum-Universität würde die Mündigkeit und gedankliche Reife der Studierenden wieder klarer in den Mittelpunkt rücken. Auch ein stärker teamorientierter Leistungsnachweis könnte manchmal fruchtbar sein. Die Eigenverantwortlichkeit der Studierenden innerhalb ihrer Institute könnte dazu führen, dass man sich wohlfühlt und die Uni als etwas betrachtet, das persönlich und professionell Spaß macht. Rafael: Generell richtet sich ja alles immer mehr auf Ingenieurs-, Wirtschafts- und Naturwissenschaften aus, wohingegen Geisteswissenschaften immer wieder unter Legitimationszwang stehen. Ich fürchte, in dieser Hinsicht ist noch längst keine Trendwende in Sicht. Die Studierenden im Mittelpunkt
Hans-Werner Rückert, Leiter der Zentraleinrichtung Studienberatung und Psychologische Beratung Aus der Sicht einer Einrichtung, die sich Service und Support auf die Fahne geschrieben hat, sieht man, dass es in diesen Bereichen noch Defizite gibt. Studierende geben große Probleme bei der Lern- und Arbeitsunterstützung an. Wir haben inzwischen alle mehr Bedarf an psychologischer Beratung. Meine Traumuniversität sieht so aus, dass man natürlich exzellente Lehre und Forschung hat. Gleichzeitig aber dürfen die Studierenden nicht als selbstverständlich hingenommen werden, denn: Ohne sie wären wir alle nicht da. Wo es gewünscht wird, muss es Unterstützung geben. Man sollte die Probleme, die man sieht, nicht ewig vor sich herschieben, sondern beispielsweise aus den Ergebnissen der Studierendenbefragungen Schlussfolgerungen ziehen. Man könnte ein Lernzentrum einrichten und in den Fachbereichen Unterstützung bei der Erarbeitung bestimmter Lernstrategien anbieten. Dazu braucht man konkret Geld und Personal. Außerdem sollte man Bildungsreserven aktivieren, also Leute aus bildungsfernen Schichten fördern. Es ist schon allein aus Gerechtigkeitsaspekten nicht zu vertreten, dass man sagt: ‚Wir machen hier eine Veranstaltung für uns und unseresgleichen – 81 Prozent der Akademikerkinder studieren, aber nur 27 Prozent der Kinder aus sozial schwächeren Schichten.
Wir trauern um:
Das Diplom von Daniel Erlemeier
Im Jahr 2010 stirbt das Diplom nach langer Umstellungsphase. Einst der am häufigsten erworbene akademische Grad, wurde das Diplom 1899 geboren. Wilhelm II. führte es für Ingenieure ein. Dem Diplom-Ingenieur folgten aber bald diverse andere Diplom-Berufe. Unbeirrbare Gläubige hoffen auch jetzt noch auf die Auferstehung des Diploms. Es ist immer wieder zurückgekehrt – zuletzt gar in modularisierter Form. Diesmal hingegen scheint es ernst und mit dem Abschluss stirbt auch der Typus des Diplom-Studenten.
Einer der sein Studium bis zum Letzten ausnutzte Das Diplom ließ Raum, um nebenbei zu arbeiten, Häuser zu besetzen, WGs zu gründen und wilde Partys zu schmeißen. Man konnte sich in anderen Fakultäten umsehen, ganz im Sinne des Humboldt’schen Bildungsideals. So wurde das Diplom über Jahre, Jahrzehnte ausgekostet. Manch einer kostete gar, bis es bitter wurde. Den letzten Diplom-Studenten blieb der Trost, Verbliebene einer aussterbenden Gattung zu sein. Sie umwehte ein Reiz von Exotik. Easy-Rider der Bildung waren sie. »Du studierst noch auf Diplom? Das geht noch? Wow!« Die Sympathie, die den letzten DiplomStudenten zuteil wurde, ernten sonst nur aussterbende Wale oder Pandabären. Ebenso wie diese litten auch die Diplomanten unter schwindenden Lebensräumen und Diskriminierung. Sie wurden aus überfüllten Seminaren geworfen, denn Bachelor gingen vor. Veranstaltungen fanden zum letzten Mal statt. Wurden sie verpasst, gab es keinen Ersatz. So groß auch die Sympathie bei Kommilitonen war, so gering war das Verständnis in der Verwaltung. Mit dezimiertem Angebot und Anrechnungsschwierigkeiten schwand die Lust am langen Studieren. Modularisierung erschwerte das selbstbestimmte Studium. Wer nicht zum BA wechselte, beendete sein Studium schnell. Das war der Tod des Diploms.
Tasnim El-Naggar und Franziska Weil studieren Politikwissenschaft.
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Wissenschaft
»Grandios programmiert und hocherotisch!« Marcel Reich-Ranicki
»Ich habe dieses Spiel unheimlich gern gespielt!« Elke Heidenreich
»Ein wichtiges Spiel.« Bundeszentrale für politische Bildung
Revolte am Joystick Ein Computerspiel lässt die Studentenrevolte aufleben. Eine Weihnachtsreportage. von Christian Wöllecke, Tin Fischer und David Goldwich (Illustration) David Goldwich ist heute Abend ein gefragter Student. Er hat die seltene Fächerkombination Philosophie und Informatik. »Sag mir irgendwas von diesem Satre!«, fordert ein Kommilitone von ihm, ohne vom Computer aufzuschauen. David meint, er habe weder etwas von »Satre«, noch von Sartre gelesen. »Dann sonst irgend ein Zitat von so nem Franzosen! Cousteau, keine Ahnung. Aber schnell! Mir laufen gleich die Leute davon!«
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Der Keller des FU-Informatik-Instituts liegt in mattes, bläuliches Licht getaucht. Die Schemen von rund fünfzig Studenten sind erkennbar. Die Ohren unter Kopfhörern, die Finger in den Tasten und die Lippen um einen Flaschenhals »Club Mate«, tippen sie unablässig auf ihren Tastaturen, starren auf den Monitor und spielen: Revolte an der FU! Sie haben die Rollen von Studentenführern übernommen. Aber nur einer wird
mit viel Reden, beziehungsweise Tippen, die Massen mobilisieren und das Spiel gewinnen. Das »Gelbe Trikot« des heutigen Abends haben die Spieler an die Wand genagelt: Ein gestrickter, gestreifter Dutschke-Pullover mit eingesticktem FU-Logo. Klagen am Ping-Pong-Tisch
Mit »Action, Historizität und Spannung« lockte Benjamin Schwarzkopf die Journalisten nach Dahlem. Der Chef der
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Wissenschaft
Meine
Game-Schmiede »Bavaria Interact« testet im Rahmen einer LAN-Party seine neueste Entwicklung. »Revolt Reloaded« verspricht ein völlig neues Spielerlebnis. Ego-Talker nennt Schwarzkopf das Genre, in Anlehnung an den Ego-Shooter. »Labern statt ballern«, das sei bald der letzte Schrei seiner Branche. »Dagegen kann vor allem die Politik nichts einwenden!«, scherzt der charismatische Mittvierziger. Einiges einzuwenden hat hingegen das Präsidium der Freien Universität. Man sei über den Missbrauch der Universität als Spielkulisse »not amused«, sagt ExzellenzPressesprecher Torsten Kugel bei einer Pressekonferenz im Tischtennisraum nebenan. Kugel hat sich hinter dem Netz verschanzt. Wer von den Journalisten einen PingPong-Ball mit dabei habe, dürfe diesen als Credit für eine Frage einsetzen, sagt er. Da wir zufälligerweise einen haben, fragen wir, was die FU dazu sage, ein Spielverderber zu sein. »Wir haben soeben einen VolleyballPlatz eröffnet!«, verteidigt Kugel. »Sonst noch jemand ein Ball?« Sartre ist gut, Lenin geht immer
Von Volleyball halten die Informatiker so wenig wie von der mündlichen Kommunikation. »Pass ich eh nich’ rein«, murmelt Titelanwärter Jens über den Pullover, den es zu gewinnen gibt. Er zieht ein Buch von Sartre hervor, steuert mit dem Joystick seine Spielfigur auf ein Rednerpult und beginnt mechanisch auf der Tastatur zu tippen. »Sartre ist gut. Oder Bloch. Lenin geht immer. Man muss die Kommilitonen convincen.« In den frühen Morgenstunden erreichen die »Club Mate«-Vorräte einen bedrohlich tiefen Pegel. Nur noch fünf Spieler versuchen sich zu den Wortführern hochzutexten. Dann plötzlich steht der Sieger fest: David Goldwich kriegt das Wolltrikot! Wie er die revolutionären studentischen Massen mobilisierte? Mit einer Weihnachtsgeschichte von Erich Kästner.
Christian Wöllecke studiert Literatur.
Esse
Der Mensamagen: Optimal geschmacksneutral von Shan Qiao Der Magen – Gaster/Ventriculus – ist das zentrale Organ des menschlichen Verdauungstrakts. Ein komplexes System, bestehend aus Kardia, Fundus, Curvatura major, Corpus, Antrum und Pylorus, in dem die aus dem Oesophagus kommende Nahrung chemisch verdaut wird. Eine besondere Spezies des menschlichen Magens zeigt sich mit dem Verdauungsorgan des Homos Studiosus: Angesichts des vitaminarmen, dafür aber fett- und kohlenhydratreichen Mensaspeiseplans grenzt seine Leistung an ein kleines Verdauungswunder. Mittels einer langfristigen Studie haben wir versucht herauszufinden, wie der Magen des Homos Studiosus zermatschtes Rahmgemüse, dubiose Fleischcurrys und gebratenes Gestrüpp, alias »Spinatkrustis«, bewältigen kann. Wir gehen von der Hypothese aus, dass der Homo-Studiosus-Magen im Laufe des Studiums zum Mensamagen mutiert, einer außergewöhnlich robusten und evolutiv bewährten Form eines Magens, die den Homo Studiosus zu einem bestimmten Essverhalten zwingt und so sein Überleben sichert. Untersuchungen mit Fledermäusen und Gänsen haben bereits gezeigt, dass die Adaption des Magens an seine Umgebung möglich ist. So führte beispielsweise die Fütterung der Gänse mit proteinreicher Nahrung zu einer Hypertrophie der Magendrüsen, während eine kohlenhydratreiche Nahrung die verstärkte Sekretion von Pepsin zur Folge hatte. Die Beobachtung von Homo Studiosussen an der FU-Berlin, die ihrem Körper kontinuierlich Nahrung aus der Großküche zuführen, lässt auf eine ähnlich große Anpassungsfähigkeit ihres Magens schließen. Während sich zu Beginn des ersten Semesters noch der ein oder andere Magen sprichwörtlich umdrehte, war nach einigen Monaten bereits eine erhöhte Toleranz erkennbar. Gegen Ende des Semesters empfanden rund 70 Prozent der Homo Studiosusse Konsistenz und Geschmack des Essens als angenehm und konnten die Nahrung leichter verdauen. 15 Prozent wiesen sogar ein gewisses Suchtverhalten auf, da sie zugaben, mindestens eine der täglichen Mahlzeiten in der Mensa einnehmen zu müssen. Wir nehmen an, dass sich die Magenstruktur innerhalb von weiteren Semestern dergestalt verändern wird, dass sich nach Abschluss des Universitätsstudiums die Modifikation des normalen Magens zum Mensamagen restlos, in einigen Fällen irreversibel, vollzogen haben wird. Wolfram Siebecks in Koch-Glossen gepriesene Gourmettempel braucht ein solcher Magen nicht. Auch einen Jamie Oliver, Missionar der Schulkantinen, muss man nicht mehr anheuern, um dem grauen Eintopf Aroma und Vitamine unterzujubeln. Ein echter Mensamagen kennt keinen Schmerz. Shan Qiao studiert Biochemie.
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Wissenschaft
tretung der FU brachte Licht ins Dunkel. Es handelt sich um eine Maßnahme aus der kruden Welt der EU-Verordnungen. An Autobahnraststätten gibt es ein einheitliches Schließsystem für Behindertentoiletten, welches von der FU übernommen wurde. Schilder mit der Aufschrift »Keine Autobahn« gibt es übrigens auch an der FU.
Lieber Jens, generell kommt es auf die Art und das Alter des Baumes an und mit welchen Mitteln (Reißzwecken, Tackerklammern oder Nägeln), die Bäume plakatiert werden. Die meisten Holzgewächse (Bäume) haben ein totes Abschlussgewebe (Borke) zum Schutz des Leitbündelsystems, zum Beispiel gegen mechanische Außeneinwirkungen. Trotzdem gilt: Nicht jeder anarchistische Specht ist ein Baummörder! Bei einer dicken Borke machen selbst hunderte von Reißzwecken oder Tackerklammern nichts aus. Anders dagegen sieht es bei jungen Bäumen oder Bäumen ohne Borke aus. Hier dringen die Reißzwecken direkt in das Leitgewebe ein und beeinträchtigen den Nähr- und Wassertransport in den Leitbündeln. Allerdings reichen keine zwei Reißzwecken um einen Baum zu töten. Die Kastanien entlang der Brümmerstraße haben eine dicke Borke und vertragen das Plakatieren gegen die Ungerechtigkeit der Welt.
Liebe Redaktion. Ich bin neu an der FU und versuche mich in meinem christlichen Glauben zu orientieren. Da stelle ich fest: Es gibt an der Universität kein einziges Kreuz, aber vor der Silberlaube ein riesiges Pentagramm! Habe ich mich an einem okkulten Ort immatrikuliert?! Verunsichert, aber lebensfroh: Pauline. Liebe Pauline. Ein Blick in das »Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens« verrät: Das Pentagramm ist das Chamäleon unter den Symbolen. Zwischen Penis und Pestwurz wird das altorientalische Zeichen als multifunktionales Wunder der Übelabwehr beschrieben. Ob als Amulett oder Kreidezeichen, der Fünfstern soll den Teufel austreiben und als Heils- und Glücksbringer wirken (so wie übrigens auch sein indischer Bruder, das Hakenkreuz). Andererseits birgt der gute Stern auch eine dunkle Seite, schon die alten Griechen verwendeten ihn zur Dämonenbeschwörung. Ist die FU nun ein Teufelshort oder um unser Seelenheil besorgt? Uns half nur der Selbstversuch. Wie in einem Internetratgeber beschrieben, positionierten wir uns in einer Vollmondnacht, um Mitternacht, mit Friedhofskerzen und Latexmontur an den Spitzen des Pentagramms und versuchten uns in Beschwörungsgesängen. Das Einzige, was uns dann schließlich erschienen ist, war eine ordinäre Grillwurst, die ein Redaktionsmitglied am Boden entdeckte. Und das war dann auch die Antwort: Das FU-Fünfeck ist nichts weiter als ein Barbecue-Grill und damit ein ganz unmagisches Ding, wo du im Sommer deinen Schweinenacken draufschmeißt.
Da hl em-Brain
Fo sf r schung
liebe furios! ich engagiere mich in einer linken agitationsgruppe, die die gesamtuniversitären machtstrukturen nicht weiter erträgt. wir streben kollektiv-anarchistische strukturen frei nach Machnowstschina an. indem wir unsere aufrufe an die bäume zwischen dahlem dorf und otto-suhr-institut tackern, erzeugen wir eine gegenöffentlichkeit. nur etwas macht uns sorgen: schaden die großen tackernadeln nicht den bäumen? Mit anarchistischen Grüßen: Jens vom OSI
ra s ge a n an d
Salvete! Ich reise mit meiner Kamera oft an tabuisierte Orte, deren Schönheit den Menschen nicht bewusst ist. Die Bilder publiziere ich auf meinem Blog. Eines sorgt jedoch seit langem für Verwirrung: Das Foto einer Behindertentoilette an der FU mit dem Schild »Autobahnschließung«. Was hat es damit auf sich? Ex aeterna nocte, Julius. Lieber Julius. Das Straßenbauamt Berlin lässt uns wissen, man habe dort für das Schild keine Erklärung. Die FU falle nicht in ihren Zuständigkeitsbereich. Hätte die Universität einen Autobahnanschluss, könnte es sich um ein Protestschild gegen die als schmerzhaft empfundene Erfahrung der Schließung einer Autobahn handeln, so wie in der brandenburgischen Gemeinde Velten im Jahre 2000. Das ist jedoch nicht der Fall. Von einem Hausmeister erhalten wir die kryptische Antwort, »dass das hier eben wie auf der Autobahn funktioniert«. Erst die Schwerbehindertenver-
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Hast Du ebenfalls Fragen rund um die FU? Schick sie an forschung@furios-campus.de! Clara Hermann, Daniela Hombach und Sophie Jankowski antworten.
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Wissenschaft
Historiker Nolte neben dem Pferd Friedrichs des Großen.
Das Raubtier
und der Kapitalist Die Märkte stürzen. Schuld sind die Amerikaner. Heile macht der Staat. Schreibt Professor Nolte über deutsche und amerikanische Vermächtnisse, fällt die Analyse etwas anders aus. von Johann Haber und Livia Mertens (Foto) Dank Finanzkrise und Obamanie sind die USA Dauergast in der deutschen Medienwelt. Dabei ist erneut eine Diskussion über die Rolle Amerikas entbrannt. Kommt Zeit, kommt Rat: Unter Mitarbeit des FU-Historikers Paul Nolte ist das Buch Wettlauf um die Moderne im Pantheon-Verlag erschienen. Die Aufsatzsammlung untersucht den Kampf zweier Staaten um die Vorherrschaft, die zu Betrachtungsbeginn in vergleichbaren Startpositionen steckten: Deutschland und die USA. An der Wende ins 20. Jahrhundert waren beide dynamische Wirtschaftsnationen und machtpolitisch ambitioniert. Was hat die einen zur Supermacht und unserseins zur Nachsicht gebracht? Vierzehn Aufsätze, von je zwei Autoren verfasst, beleuchten Politik-, Gesellschafts-, und Wirtschaftsgeschichte der beiden Länder. Zusätzlich hat Joschka Fischer ein Nachwort verfasst. Neben den deutschamerikanischen Beziehungen seiner Amtszeit erzählt er darin, ganz neuer TalkshowFischer, vor allem von sich selbst. Viele der Aufsätze weichen gängige Klischees auf. Dabei werden trügerische Selbstbilder entlarvt. Etwa zum Thema Einwanderungspolitik, bei dem sich die deutsche Regierung immerhin bescheidener gibt als das in diesem Fall schon immer sehr selbstbewusste Amerika, das nach eigenem Selbstverständnis den Schlüssel Furios 01 (2008)
für gelungene Einwanderungspolitik in der Hand hält. Diese Einschätzung relativieren die Autoren, indem sie auf die dem amerikanischen Immigrationsmodell eigene Ghettoisierungstendenz hinweisen. Zudem zeigen sie geglückte Einwanderungsbewegungen nach Deutschland auf, vornehmlich in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. »Markt: Konsum und Kommerz.« Mit eingänigen Schlagwörtern übertitelt ist der Aufsatz, den Nolte gemeinsam mit Heinz-Gerhardt Haupt vom Europäischen Hochschulinstitut Florenz verfasste. Dabei geht es unter anderem um amerikanische »Importgüter« wie den Verbraucherschutz, die man hierzulande als »hausgemacht« betrachtet. Tatsächlich weiß sich »der kleine Mann« auch in Amerika zu schützen. Er ist nicht nur Opfer eines entfesselten AmiKapitalismus, wie der Deutsche gemeinhin und besonders in Zeiten wie diesen gern annimmt. Das wirtschaftsgeschichtliche Thema scheint auf Nolte zugeschnitten. Seit einigen Jahren ist er bekannt für Bücher, die sich vor allem mit wertkonservativen und wirtschaftsliberalen Reformen befassen. Das elitäre Schlagwort »Unterschichtenfernsehen« stammt von ihm. Im persönlichen Gespräch nimmt sich Nolte zurück. Seine Öffentlichkeitswirkung kennt er allerdings. »Die Geschichte
hat in letzter Zeit den Status einer Leitwissenschaft erlangt«, erklärt er. »Die Öffentlichkeit drängt darauf, dass sich Historiker mit ihren Deutungen zu Wort melden, es kommen viele Anfragen von Journalisten.« Seinen Aufsatz in Wettlauf um die Moderne versteht er aber nicht als politische Wortmeldung. Tatsächlich ist das Thema zu abstrakt, um der politischen Wegweisung zu dienen. Trotzdem blitzt gelegentlich durch, wo Nolte politisch zu verorten ist. Den im Essay auftauchenden Satz »Die deutsche obrigkeitsstaatliche Knebelung des freien Marktes« kann man sich nicht als den eines gestandenen Sozialdemokraten vorstellen.
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Johann Haber studiert Physik.
»Wettlauf um die Moderne: Die USA und Deutschland 1890 bis heute« wurde von Christof Mauch und Kiran Klaus Patel herausgegeben und ist 2008 im PantheonVerlag erschienen.
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Foto: Dietrich Winkler/Pressedienst
Kultur
Schnappschuss
Vom verlorenen Studenten
Axel Benzmann (rechts) bei der Eröffnung seiner Ausstellung »Berlin 68: Zwischen Revolte und Randale«.
Wenn die Chemie nicht stimmt, sollte man’s lassen. Dachte sich Axel Benzmann – und fotografierte die 68er. von Sina Platzer, Sabine Küpers und Theresa Kellner
West-Berlin vor grauer Häuserkulisse. Eine Gruppe von protestierenden Menschen zieht vorbei. Am Straßenrand steht eine große, auffällige Gestalt mit Hut und Schnauzer. Es ist Günter Grass, der sich unter die Protestierenden gemischt hat. Es ist der 18. Februar 1968, die Leute gehen auf die Straße gegen den Krieg in Vietnam. Axel Benzmann ist es mit dieser SchwarzWeiß-Aufnahme gelungen, die Stimmung des Jahres 68 für den Betrachter lebendig werden zu lassen. Benzmann der »dokumentierende 68er Sympathisant«, so will er sich verstanden wissen. Dabei war der Weg zum Fotografenberuf für Benzmann nicht eben ein gerader. 1961 immatrikulierte er sich an der Freien Universität Berlin für Chemie. Wirklich warm wurde er allerdings nie mit seiner Wahl. Mit dem Gefühl ein »verlorener Studenten« zu sein, brach Benzmann sein Studium nach fünf Semestern ab – und legte mit diesem Schritt den Grundstein für seine Zukunft als Fotograf.
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Nach seinem kurzen Ausflug ins Studentenleben, arbeitete Benzmann zunächst in einer Firma für Lack und Farben, die seinem Vater gehörte – und setzte sich zunehmend und immer intensiver mit Kunst auseinander. Hatten es ihm zunächst Flachreliefs angetan, fand er schon bald zu seiner wahren Liebe, der Fotografie. Damals verkaufte Benzmann seine Bilder als freischaffender Pressefotograf. Etwa an die damalige SPD Zeitschrift »Blickpunkt« – oder an den Axel Springer Verlag. Bekannt geworden ist er aber mit Aufnahmen der Jazz- und Rockmusikszene der 60er und 70er Jahre, durch Fotos seiner vielen Weltreisen, vor allem durch Asien. Und auch mit eigenen Fotoausstellungen. Seine letzte hieß »Berlin 68: Zwischen Revolte und Randale« und war bis Mitte November in der Galerie Carlos Hulsch im Kudamm Karree zu sehen. Darunter war auch das Grass-Foto. Die Anekdoten, die Benzmann zu seinen Werken erzählen kann, sind mindestens
ebenso spannend wie die Fotos selbst. Da gibt es das Mysterium um den »Doppelten Demonstranten«, der durch Zufall auf beiden Demonstrationen von Benzmann fotografiert wurde und dessen Identität sogar ihm bis heute rätselhaft ist. Oder die Geschichte, dass er in der Nacht des 18. Februars den Studentenführer Rudi Dutschke aus einer Verfolgungsjagd mit rechten und militanten Taxifahrern rettete. Aber wer auf der Ausstellung nach Fotos des Internationalen Vietnam-Kongresses selbst suchte, der schließlich der Auslöser für die Demonstrationen wurde, suchte vergebens. Als vermeintlicher »Springer Fotograf« wurde Axel Benzmann, der 68er-Sympathisant, noch vor dem ersten Schnappschuss des Saales verwiesen.
Sina Platzer und Sabine Küpers studieren Theaterwissenschaft. Theresa Kellner studiert Frankreichstudien.
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Kultur
Ein Student stößt im Bücherregal seiner Eltern auf ein Büchlein im roten Latexmantel. Verlag für fremdsprachige Literatur, Peking 1972, liest er. Plastikprodukt made in China. Vorne das Bild eines zugeknöpften Herren mit schütterem Haar und Pausbacken. Goldletter titeln: »Die Worte des Vorsitzenden Mao Tsetung« – unterteilt in 33 Kapitel über Kommunisten, Kader, die Jugend, Frauen, den Volkskrieg oder den Klassenkampf.
sische Kulturrevolution: »Revolutionäre sind wie der Affenkönig, ihr goldener Stab ist mächtig, ihre übernatürlichen Kräfte sind weitreichend und ihr Zauber ist allmächtig; denn sie besitzen die unbesiegbare Lehre Mao Tse-tungs«. Von der Begeisterung zeugt heute höchstens noch das Büchlein im Regal. Ab 1970 fanden Fundamentalmaoisten zu ultradoktrinären Kadergruppen zusammen. Auch die RAF fand in Maos krassem Freund-Feind-Schema ein verwertbares Theorem. In dieser Tradition wollen vernünftige Eltern nicht gesehen werden.
Auf die Frage, wie das kleine Rote den Weg ins Regal gefunden hat, antworten die Eltern des Studenten womöglich mit einer lustigen Episode. Nur bei der Frage, warum sie das Büchlein erworIn China war der Besitz einer Mao-Bibel keine Frage der Beben haben, stutzen sie. Darüber zu reden scheint noch geisterung. Studenten wurden in öffentlichen Verkehrsschwieriger als über die Mao-Bibel zu schreiben. mitteln kontrolliert, ob sie das Sammelwerk bei 1966 erschien sie erstmals mit einem Vorsich führten. Für den kommunistischen wort von Maos Verteidigungsminister Gruß mit dem zum Maoportrait hin Lin Piao, der Zitate »des großen Eraufgeschlagenen Büchlein gab es lösers« aus 40 Jahren zusammenein eigenes Zeremoniell. Auch ein getragen hatte. Die SprücheTanz mit dem Buch wurde festsammlung war ursprünglich zur gelegt. Erbauung der VolksbefreiungsOb die Mao-Bibel auch an armee gedacht. Doch Mao gefiel der Freien Universität zum Tanz Piaos Einsatz. Das Büchlein wurgebeten wurde, ist uns nicht bede zum Standardwerk politischer Ein China-Böller. kannt. Doch manch ein FU-StuVolksbildung während der Kulturdent scheint das Buch auf dem »Pfad revolution. In dieser Zeit starben drei zur endgültigen Dauerlust«, wie Götz von Rachelie Hefter, Claudia Schumacher und Millionen Menschen im Rahmen staatAly zitiert, als treuen Begleiter in der HoMichi Schneider (Illustration) lich initiierter »Säuberungen«. sentasche bei sich geführt zu haben. Vielleicht An die Freie Universität schwappte das Buch 1967 hatte Peter Schneider, Autor und ehemaliger FU-Stuund manch ein Student war hingerissen. Man trug die Mao-Bibel dent, das erotische Potenzial jenes kleinen roten Warenfetischs vor bei sich; am Revers prangte ein goldfarbener Mao-Kopf und als Augen, als er schrieb: »Die Verwirklichung des Libidoprogramms Poster grinste Mao von den Wänden. Was dem Chinesen befohlen unter den Bedingungen des Spätkapitalismus und Imperialismus wurde, machte der deutsche Marxist-Leninist freiwillig. Genüsslich ist daher die Weltrevolution.« Mittlerweile ist Mao tot. Zuminzitiert der Historiker Götz Aly in seiner Abrechnung mit der eige- dest in Deutschland. In China lebt er noch ein bisschen wie Elvis nen Generation die Mao-Parolen der Studenten: Die Revolution im Westen. Sein Geburtsort Shaoshan wurde zur Wallfahrtsstätsei kein Deckchensticken und aus den Gewehrläufen komme alle te. Dort lebt Mao weiter im Kommerz: Als Postkarte, Anstecker, Macht, hieß es. 1967 liefen im Auditorium Maximum chinesische Bronzebüste oder Feuerzeug. Propaganda-Filme wie Die große proletarische Kulturrevolution. Im selben Jahr lud der AStA der FU zu einem Vortrag über die chine-
Warenfetisch:
Die MaoBibel
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Kultur
Flaneur:
Wink mit dem Kärcher Der Flaneur führt durch das herbstliche Dahlem. Er weiß viel über die
Architektur und denkt sich dabei noch viel mehr. Eine Plauderei. von Claudia Schumacher und Chantal Carucci (Foto)
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Unsere Exzellenz begründete kein Cluster, sondern ein vor 100 Jahren verstorbener Preuße. Es begab sich zu der Zeit, da Romantik und Idealismus dem 19. Jahrhundert ein Ende bereiteten, dass der preußische Ministerialdirektor Friedrich Althoff, Spross pommerschen Uradels und Ihre Exzellenz von Amts wegen, die Königliche Domäne Dahlem auflöste. Auf vormals baugeschütztem Ackerland sollte gedeihen, was Deutschland im internationalen Vergleich bislang gefehlt: eine Eliteuniversität. Und so veranlasste jener Althoff, ein »Intrigant unter der Maske eines biederen westfälischen Bauern«, wie ein Zeitgenosse höhnte, die »Gründung einer durch hervorragende Wissenschaftsstätten bestimmten vornehmen Kolonie«. Und nannte sie liebevoll sein »deutsches Oxford«. Als 1911 mit der Gründung der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft in Dahlem eine Vielzahl neuer Institute entstand, wuchs das kleine Oxford seiner Bestimmung entgegen, bis es zwölf Nobelpreisträger unter seinen Dächern beherbergte, darunter Max Planck und Albert Einstein. In der Thielallee 63–69, wo heute Biochemiestudenten der FU sitzen, schufen dereinst Otto Hahn und Lise Meitner die theoretische Grundlage zur Kernspaltung. Welch ein Erbe für unsere Universität, in deren jüngerer Geschichte mehr Atomgegner und Pazifisten aktiv waren als Vitamine in der Mensa.
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Welch Traurige Griechin!
Zwei Kriege und zwei Jahre kommunistischer Geistesamputation später, führte die Relegierung der bolschewisierungskritischen Studenten Hess, Stolz und Schwarz an der Universität unter den Linden zur Gründung der Freien Universität. »Change they need!«, dachten sich die amerikanischen Besatzer – et voilà: Im Winter 1948 wurde der Lehrbetrieb in den ehemaligen Kaiser-WilhelmInstituten (KWI) aufgenommen. Zudem wurden Villen angemietet, die trotz späterer Neubauten teils noch genutzt werden. Als eines der ersten KWI-Gebäude bekam die FU das Haus in der Ihnestraße 22 gestellt, mittlerweile wird es vom Otto-Suhr-Institut genutzt. Noch heute schmückt der bronzene Kopf der KWI-Athene das Hauptportal. Wehmütig blickt die Hellenin zu Boden. Dabei hat sie gar nicht gesehen, was in der Dunkelperiode deutscher Geschichte hinter ihrem Rücken getrieben wurde: rassentheoretische Naziforschung.
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Claudia Schumacher studiert Literaturwissenschaft.
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Kultur
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Diese Blockhütte!
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So ein Dummer Spruch!
Eine Universität, deren Gründungssaga wie ein frischer Wind das Land durchzieht, hat so ihre Anziehungskraft. Und so pilgerten die Studenten nach Dahlem. Bald war es denn soweit und neue Bauten mussten her. Eine illustre Gesellschaft lockerte ihr Beutelchen und die Architekten Müller und Sobotka legten los. So entstand ab 1952 das offizielle Hauptgebäude der FU, finanziert aus Spendengeldern der Ford Foundation. Was leicht schizophren daherkommt – einerseits trutzig und schwer, auf der anderen Seite bauhauselegant mit Glasfassade – birgt in sich eine pathetische Symbolik. So fällt am HenryFord-Bau zur Boltzmannstraße hin die massive Natursteinmauer ins Auge. Sie ist gen Osten gerichtet, wie ein Bollwerk gegen den Sozialismus. Und schützt nach innen die Rednerbühne des Auditorium Maximum. Very American. Genau der richtige Ort für einen Präsidentenschwatz. Und so stellte sich John F. Kennedy 1963 an der bauhauseleganten Seite in den Ehrenhof vor 12 000 Studenten, zu seiner Rechten das antisozialistische Gemäuer. Die FU vor dem großen Coup: der amerikanische Präsident leibhaftig auf dem Campus! Das gesamte Ordinariat drohte vor Erregung zu implodieren. Berühmt wurde die Rede trotzdem nicht. Bereits am Vormittag war Kennedy bei einem Volksfest vor dem Schöneberger Rathaus der Satz »Ich bin ein Berliner« entwischt.
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Bis in die 60er Jahre hinein hatte sich die Studierendenanzahl der FU versechsfacht. Not war am Raum und ein großer flexibler Gebäudekomplex musste her. FU-typisch zog allerdings noch ein weiteres Jahrzehnt ins Land, bis der Grundstein gelegt wurde. Nach Plänen des Pariser Architektenbüros Candilis-Josic-Woods begann Anfang der 70er Jahre der Bau der Rost-und Silberlaube. Um künftig besser auf wachsende Studierendenzahlen reagieren zu können, entwarfen die Architekten mit der Rostlaube ein Gebäude, das von Kopf bis Fuß fast vollständig zerlegbar und variabel ist. Sie konzipierten die Laube in Le Corbusiers proportionalem Modulor-System. An allen Seiten kann angebaut werden, symbolisch beginnen die Namen der Erschließungswege daher bei J und 23 und nicht bei A und 1. Schon wenige Jahre nach der Fertigstellung 1973 wurden Anbauten dringend nötig, ironischerweise wuchs die Rostlaube aber nicht. Stattdessen platzte sie fast vor Studentenmassen und mutierte in ein »unlustbesetztes Monster«, wie der ehemalige FU-Präsident Lämmert polterte. Bis in die 90er Jahre verbargen die Tore der Rost-und Silberlaube einen anarchischen Schlund. Studentinnen beklagten sich mehrfach über Paranoia in den dunklen Fluren des von Vandalismus geprägten Gebäudes. Dies war keiner präklausuralen Hysterie geschuldet, sondern tatsächlich auf »die Anwesenheit von sozial auffälligen und exhibitionistischen Personen« rückführbar, wie die Bauplanerin Sylvia Stöbe es bezeichnet. Übrigens verdankt die Rostlaube den Namen ihrer ursprünglichen Gesichtshaut aus Corten-Stahl. Durch leichtes Anrosten sollte eine Schutzschicht entstehen. Doch der Rost trieb es teuflischer als vom Pariser Architektentrio prognostiziert. Bis in die späten 90er war die Fassade der Laube verdorben. Doch mittlerweile haben wir in der Rostlaube dank Sir und Lord Norman Fosters Einsatz eine weitere Kulisse für Staatsbesuche erhalten. Sarkozy würde es lieben. Hier wurde mal ordentlich durchgekärchert. So, wie er sich das für die französische Vorstadt erträumte. Mit den Worten unseres hauseigenen Präsidenten Lenzen: Das »Image einer linken, schmutzigen Stadtrand-Universität« wurde überwunden.
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Kultur
Kuh-Tipp FU-Studierende sind 60 Jahre nach der Uni-Gründung kulturell aktiver denn je: Eine Auswahl an Veranstaltungen kreativer FU-Köpfe.
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3 Vorhang auf!
1 ASIAN HOT SHOTS BERLIN 13.–18. 1. 2009, Babylon Mitte
Asia in Berlin Nach dem erfolgreichen Auftakt letztes Jahr findet im Januar die zweite Ausgabe des Festivals statt. Die von drei FU-Studentinnen initiierte Plattform für junge asiatische Filmkunst kommt nach einer Tour durch Bern, Bombay und Manila mit einem neuen Programm zurück nach Berlin.
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Shakespeares Komödie Twelfth Night bringt die FU-Studentin Laura Ameln als Regisseurin im Theater im Kino auf die Bühne. Auch vor dem Vorhang wird die Studentin der Theaterwissenschaften und des Englischen selbst mit anderen (FU-)Studis und Zivis stehen, um gemeinsam das Stück um Liebe und Sehnsucht auf Englisch aufzuführen. www.theater-im-kino.de
4 »Dahlemer Poetikgespräche« mit dem Georg-BüchnerPreisträger des Jahres 2008
Final Chaos
11. 12. 2008, Museen Dahlem, Eintritt: 5 Euro (ermäßigt)
Seit diesem Jahr gehört die Band Final Chaos zur Hard Rock und Metal Szene Berlins. Im Januar 2008 kam ihr erstes Album Fall of Distance auf den Markt. Ihre Musik beschreiben sie selbst als »clean«. Die Verbindung von Gesang und Metal-Elementen spielt eine entscheidende Rolle. Final Chaos ist eine Mischung aus Metalcore, Trash und Rock. Geprägt sind die sechs Musiker dabei von Bands wie Killswith Engage, Lamb of God, Trivium und Metallica. www.myspace.com/finalchaos1
Buchhandlung unseres Vertrauens Die Universitätsbuchhandlung der FU am U-Bahnhof Dahlem ist keine gewöhnliche: Entstanden ist sie 1968 aus einem mobilen Bücherstand an der Mensa. Der damalige Betreiber und heutige Besitzer war selbst Student an der FU. Über das Dahlemer Autorenforum veranstaltet er regelmäßig Lesungen. Unser Tipp: Am 11. 12. 2008 spricht Josef Winkler, Preisträger des Georg-Büchner-Preises 2008, mit Peter-André Alt und Peter Bieri über die Kunst des Schreibens. www.schleichersbuch.de
13. 12. 2008, Jugend- und Kulturzentrum und ASPs Wutzkyallee, Neukölln
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30. 1. 2009, 20 Uhr, 31. 1. 2009, 20 Uhr, Theater im Kino, Boxhagener Str. 18, 2. Hinterhof
zusammengestellt von Blagoy Blagoev, Marlene Göring, Rachelie Hefter und Miriam Winkels (Illustration)
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Herzstück!
headlab
31. 1. 2009, Wabe, Danzigerstr. 101 Musik aus dem Kopflabor Progressive Rock – das ist Energie und Emotion, tonal verkörpert durch sich ergänzende Instrumente und Gesang. Diese Qualitäten haben headlab in den letzten zwei Jahren entwickelt und ausgebaut und werden das am 31. 1. 2009 gemeinsam mit for no one live demonstrieren. Dafür versetzt sich headlab vom Friedrichshainer Untergrund in den Konzertsaal der Wabe. Die entstand schon 1986 aus den Überresten des Glaswerks an der Danzigerstraße und ist heute Teil des Kulturzentrums Prenzlauer Berg. In der Wabe finden regelmäßig Veranstaltungen bekannter Künstler statt, es sind dort aber auch Bands groß geworden. Wer »ProgRock« und seine Kinder sonst nur in Kellerclubs genießen kann, dem sei dieses Konzert ans Herz gelegt. Headlab ist Stimmungsgewitter und ihre neue Show hält einige Überraschungen bereit. Seid gespannt und lasst euch ein auf das »Geräusch, das denkt«! www.myspace.com/ headlabberlin, www.wabe-berlin.de Furios 01 (2008)
Kultur
6 Amerikanische Berge
Mi., 18 Uhr s.t., Seminarraum I, Institut für Theaterwissenschaft, Grunewaldstr. 35 Eine Achterbahn durch die Filmgeschichte Wenn du Filme nicht bloß sehen willst, sondern zusammen mit anderen Filmliebhabern erleben möchtest, dann bist du hier richtig. Nach dem gemeinsamen Gucken kannst du offen und kritisch über die Filme diskutieren. Dabei ist das Programm mit Klassikern wie JAWS (10. 12), The Wizard of Oz (14. 1.) oder Blade Runner (28. 1.) vollgepackt.
7 Baader-MeinhofKomplexe 12.–14. 12. 2008
Wochenendseminar zur linken Kritik an den 68ern und der RAF Wer den Mythos 1968 entzaubern will, hat hier die optimale Gelegenheit dazu. Für nur ca. 10 Euro gibt es Unterkunft, Verpflegung und Seminarmaterial, sodass ihr euch ein Wochenende lang mit Gleichgesinnten und Gesinnungsfremden auseinandersetzen könnt. Verbindliche Anmeldung und weitere Infos unter: www.naturfreundejugend-berlin.de
8 SKAnta Klaus am Nikolaus
6. 12. 2008, ABC Rocks Köpenick Dass Ska und Weihnachten sehr gut zusammenpassen, beweist schon zum vierten Mal die SKAnta-Klaus-Konzertreihe. Dieses Jahr sind die Bands Minni the Moocher, The Essentials, Les Calcatoggios, Kompetenzteam und Nanofish Dippers am Start. Trotz Schnee und Kälte kann man bei dem witzigen Event für wenig Geld anständig feiern.
9 Dein Tipp?
Wenn du mit deinem Event (zwischen März und Juni 2009) in der nächsten Ausgabe auf diesen Seiten stehen möchtest, melde dich unter: kuh-tipp@furios-campus.de Furios 01 (2008)
»Die Kunst entlässt einen nicht in den Feierabend« Eike Weinreich über Schauspiel, Erfolg und fiese Blogger.
von Claudia Schumacher und Livia Mertens (Foto) Alles kreiste ums Debüt, nicht nur bei FURIOS: Eike Weinreich gab mit gerade einmal 21 Jahren sein Kinodebüt. Er spielt die Hauptrolle in »Die Eisbombe«, einer Coming-of-Age Geschichte im spießigen Öko-Milieu. In der Bio-Komödie spielt Eike einen behüteten Lehrersohn, der in der permanenten Angst vor Bedrohung und Umweltvergiftung aufwächst. Eines Tages schlägt eine Eisbombe ins Elternhaus ein – und nichts ist mehr so wie vorher. Als der Leipziger Schauspielstudent in Berlin Premiere feierte, haben wir ihn getroffen: Toller Start! Bei den meisten Schulabgängern sieht der große Sprung ins Leben weniger spektakulär aus. Bist du besser als die meisten, Elite sozusagen? Ach nee, das ist nicht so mein Ding. Ich bin in der Provinz aufgewachsen, wollte Schauspieler werden. Das hat man da erst mal belächelt und mit »Mach was Vernünftiges« abgetan. An den staatlichen Schauspielschulen bin ich dann zweimal in der Bewerbungsendrunde rausgeflogen. Es war also eine Erleichterung, als die Zusage von der »Mendelssohn Bartholdy Schauspielschule« kam und schieres Glück, dass ich beim Casting für »Die Eisbombe« erfolgreich war. Im ersten Studienjahr hat mir die Kinoerfahrung aber auch keine bessere Stellung eingebracht. Da hatte ich Selbstzweifel wie alle anderen. Mal ehrlich, das muss doch ein krasses Gefühl sein, im Kino zu debütieren! Das ist ein völlig neues Gefühl und ich weiß noch nicht recht, wohin damit. Man kann sich aber eine gewisse Gelassenheit antrainieren. Was fällt dir als Jungschauspieler noch schwer? Die eigene Leistung der Kritik fremder Leute zu übergeben, ist nicht leicht. Du
steckst sieben Wochen harte Arbeit in so ein Projekt und dann wird das ganze auf 90 Minuten runtergekürzt. Diesen Ausschnitt goutiert dann irgendein selbsternannter Kritiker und fällt knallharte Urteile in einem Blog. Was war denn die übelste Kritik? »Das ist kein Film fürs Kino!« Eigentlich kann man froh sein, wenn die Kritik ins Extrem geht. Jemand schrieb auch: »Das ist der beste deutsche Film seit Jahren!« Ich bemühe mich, auf meinem eigenen Fundament zu stehen und mich von Kritik ein Stück weit unabhängig zu machen. Ist deine Figur des »Thomas-Albert Schuhmann-Weil« nicht ein ziemliches Klischee? Der Milchbub, der neurotische Spross einer überbesorgten Mutter, der Antiheld. Was macht die Figur vielschichtig? Er durfte eben nicht zu dumm wirken und sollte bei seiner ganzen Schrulligkeit ernstgenommen werden können. Das ist ein schmaler Grat, der Charakter war arbeitsintensiv. Wie hat das Studium dich verändert? Man bringt uns bei, den Körper nicht als Maschine, sondern als Instrument wahrzunehmen. Da entwickelst du ein anderes Bewusstsein für dein Auftreten. Körperhaltung, Artikulation und Stimmsitz lernt man mit der Zeit gezielt einzusetzen. Verrätst du mir noch, welche Momente beim Dreh dir in besonderer Erinnerung bleiben werden? Neben der Sexszene mit Katharina Schüttler vor allem die Gespräche mit anderen Schauspielern. Wenn du als Neuling mit Karoline Eichhorn über die Risiken des Schauspiels reden kannst, ist das schon ein Privileg.
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Ewige Ehemalige
Boser
Zahn
Die 68er haben ihn gehasst. Wir haben ihn besucht. von BjĂśrn Stephan und Tin Fischer (Foto)
BĂźrgerlicher Dreizack: Hans Eberhard Zahn
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Ewige Ehemalige
Z
weimal sauste das hölzerne Hämmerlein des Vorsitzenden nieder. Die letzten Gespräche verstummten in dem bis zum Bersten gefüllten Senatssitzungssaal des Henry-Ford-Baus. Die bedrohliche Spannung aber schwebte weiter über den penibel frisierten Häuptern der Kuratoriumsmitglieder. Nach ebenso langen wie kontroversen Diskussionen kam es endlich zur Abstimmung. Die ersten Manschetten-umknöpften Hände reckten sich zur Stimmabgabe in die Höhe, als plötzlich ein Sturm fauler Eier und Farbbeutel aus den Reihen der studentischen Zuschauer auf die Ordinarien niederbrach. Peinlich besorgt um die Reinlichkeit ihrer Anzüge suchten die Angegriffenen Schutz unter den Tischen und Stühlen. Nur einer versuchte sich einen Weg durch die Geschosse der linken Aktivisten zu bahnen. Der Vertreter der wissenschaftlichen Mitarbeiter stieg auf einen Tisch und griff sich das Mikrofon: »Genossen, wenn ihr die Revolution machen wollt, müsst ihr besser zielen lernen! Werft hier hin«, rief er auf seine Brust deutend. »Ich werde es wie einen Orden tragen!« Geradezu beispielhaft wirkt diese Szenerie für die Assoziationen, die die Chiffre »68« in unseren Köpfen weckt: Aufbegehren, Tumulte und Proteste. Einzig der beißende Zynismus des Widerständlers fällt aus dem Rahmen. Dabei ist er charakteristisch für Hans Eberhard Zahn, der von sich selbst behauptet: »Ich war bei den Linken so verhasst, weil ich ihre Angriffe nie mit knirschenden Zähnen, sondern stets mit Ironie beantwortet habe. Die konnten ja nie über sich selbst lachen.« Wer ist dieser Mann, der als einer der Lieblingsfeinde der 68er an der FU galt?
Rückblick: Wir schreiben das Jahr 1953. Der Psychologiestudent Zahn verweilt zu Besuch in Ost-Berlin. Plötzlich wird er von der Stasi verhaftet. Stählern legen sich Handschellen um seine Gelenke. »Agententätigkeit« lautet der Vorwurf. Das Urteil: Sieben Jahre Haft für den 25-jährigen. Ein Jahr nach seiner Entlassung nahm Zahn sein Studium wieder auf. Die FU glich nur noch in Ansätzen seinen Erinnerungen. »Als ich die Uni notgedrungen verlassen musste, herrschte ein anti-totalitärer Konsens. De facto gab es weder linksradikale noch rechtsradikale Studenten«, erinnert er sich. Nun aber entwickelte sich ein politischer Diskurs, drängende Reformen wurden angemahnt. Sozialisten und Kommunisten übernahmen die Meinungsführerschaft auf dem Campus. Auch Zahn, mittlerweile wissenschaftlicher Assistent, hegte keinerlei Zweifel an dem Reformbedarf der Ordinarien-Universität. Der wachsende Einfluss linksradikaler Kräfte erregte jedoch seine größte Besorgnis. Schließlich waren es »SED-hörige Westsozialisten«, die auf dem Vormarsch waren und dem totalitären Unrechtsstaat
zu einem an den Rändern vergilbten Ordner. Alles ist sorgfältig archiviert. Vorsichtig zieht er ein Papier heraus, auf dem in großen Lettern die Überschrift »Freie Universität unter Hammer und Sichel« prangt. Unter diesem Titel firmierte ein Kampfesblatt an der FU, das den wachsenden kommunistischen Einfluss geißelte und erhebliches Aufsehen erregte. Herausgegeben wurde es von der Notgemeinschaft für eine freie Universität (NofU), einer überparteilichen Vereinigung von Professoren, wissenschaftlichen Mitarbeitern und Studenten, unter deren Dach sich die Gegner der 68er versammelten. Zu ihren Mitbegründern im Jahre 1969 gehörte auch Zahn, der schon bald eine führende Rolle einnahm. Er war das Gesicht der NofU und permanent in der Öffentlichkeit. An ihm schieden sich die Geister. So blieb er auch vor Schikanen nicht gefeit. Mehrfach türmte sich Abfall vor seinem Büro oder das Schloss war mit Klebstoff verschmiert; einmal flog ein faules Ei durch das Fenster. Doch Zahn, der Verhöre, Schlafentzug und Isolationshaft über sich ergehen lassen musste, ließ sich nicht einschüchtern. Wesentlich schwerer jedoch wogen für ihn die Vorwürfe, er sei ein »Faschist« und »Nazi«. Der bekennende Antikommunist betont noch heute: »Ich hätte mich auch gegen Rechtsextreme zur Wehr gesetzt, wenn es sie denn gegeben hätte. Ich verabscheue politischen Extremismus jeglicher Couleur.«
»Wenn ihr die Revolution machen wollt, werft hier hin!«, rief er auf seine Brust deutend. »Ich werde es wie einen Orden tragen.«
Auf Spurensuche in seiner Schöneberger Wohnung. Die Zeit scheint hier stehengeblieben zu sein. Staubmoleküle tanzen im schräg einfallenden Sonnenlicht. Die antiquiert wirkenden Möbel atmen die Luft der sechziger Jahre. Ganz anders der Hausherr. Man begegnet einem rüstigen, aufgeschlossenen Herrn, mittlerweile 80, der mit großer Gelassenheit auf seine Vergangenheit zurückblickt. Das ergraute Haar ist noch immer sorgfältig nach hinten gekämmt, wie auf einer Fotografie von 1960. Nur die altersmilden Züge gleichen nicht mehr dem kantig-verhärmten Gesicht, das einen dort noch unverwandt anstarrt, gezeichnet von sieben Jahren Stasi-Haft.
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das Wort redeten, der ihm sieben Jahre seines Lebens genommen hatte. Noch heute erklärt er deshalb im Brustton der Überzeugung: »Die gemäßigten Linken waren Gegner. Aber diejenigen, die die Sache der DDR vertraten, waren Feinde.« Zu letzteren zählte er vor allem die Hochschulgruppe Aktionsbündnis von Demokraten und Sozialisten (ADS), die finanziell und organisatorisch maßgeblich von der SED unterstützt wurde. Für Zahn war klar: Dieser radikalisierte Teil der Studentenschaft, der in zahlreichen Gremien der Geistes- und Sozialwissenschaften vertreten war, betrachtete die FU nur als ein Experimentierfeld, als einen ersten kleinen Schritt, bevor die sozialistische Maske nicht nur der FU, sondern der gesamten bundesrepublikanischen Gesellschaft gewaltsam übergestülpt werden sollte. Ein wenig ächzend erhebt sich Zahn von seinem gepolsterten Stuhl und greift
Aber auch die NofU und Zahn verstrickten sich im ideologischen Grabenkampf. Sie fertigten Namenslisten an, die vor im ADS aktiven Studenten warnten und an Vertreter aus Wirtschaft, Verwaltung und Politik versandt wurden. Unzählige Male ist Zahn bereits mit kritischen Fragen dazu konfrontiert worden. Ein wenig Verärgerung schwingt in seiner Stimme mit, als er sich rechtfertigt: »Wir haben das getan, was jeder Bürger hätte tun können für den Schutz unserer freiheitlichdemokratischen Grundordnung. Ich schäme mich nicht dafür, sondern ich bin stolz darauf.« Während er so spricht, flackert die alte Kampfeslust wieder in seinen Augen auf und für einen Moment kann man sich den Mann vorstellen, der einst Tische erklomm und den Farbbeuteln trotzte.
Björn Stephan studiert Geschichte.
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Bildlegende
Mut zur ironie Nach den Studentenunruhen galt die FU als »Schmuddeluniversität«. Damals konnte sie darüber lachen. Heute nicht mehr. Untersuchung eines Plakats. von Johannes Hub
Ein zerschelltes Ei und ein roter Farbfleck. Darüber der Satz: »Mal ehrlich: So stellen Sie sich doch die Freie Universität vor?« Die selbstironische Einladung zum Tag der offenen Tür 1975 wirkt heute seltsam fremd. Zumal die Fähigkeit, über sich selbst zu lachen, in Deutschland nicht gerade verbreitet ist. Die Freie Universität macht da keine Ausnahme. Humorvoll war ein Plakat, das die FU bewirbt, schon lange nicht mehr. Der Schöpfer des Plakats, Peter Butschkow, beschreibt seinen Eindruck der Universität in jener Zeit als unruhig und angespannt. Den Auftrag für das Plakat erhielt er vom damaligen Leiter der Pressestelle, Dr. Rietzschell, den er als »äußerst vitalen, aufgeschlossenen und in seiner Position sicherlich auch unbequemen Mann« be30
Quelle: Universitätsarchiv FU Berlin
schreibt. Dieser sei vom Entwurf »begeistert« gewesen. Das Werbeplakat sei so gut angekommen, dass es im Rahmen einer Auszeichnung für die besten Werbeplakate in der Nähe der Gedächtniskirche ausgestellt wurde. »Die zerplatzten Eier standen für Protest, die rote Farbe für Energie«, sagt Butschkow. Aber die farbliche Gestaltung sollte »durchaus schon spezielle ideologische Protestaktionen symbolisieren«. Eine Studentin, die heute in der Vermarktung der FU tätig ist, erinnert sich: »Seminare wurden regelmäßig unterbrochen und dann als Diskussionsplattform benutzt. Ich fand das okay, aber mich hat geärgert, dass damit der Unibetrieb so massiv gestört wurde.« Obwohl selbst links engagiert, habe sie bald »die Nase voll gehabt« von manchen Aktionen,
die sie heute als »ideologisch und intolerant und der Sache wenig dienlich« bezeichnet. Das Plakat führt uns darüber hinaus aber auch unser Verhältnis zur eigenen Vergangenheit vor Augen. Denn obgleich die Universität als Ergebnis der damaligen Zustände laut der Zeitzeugin aussah »wie Sau«, hätten die Studenten den Versuch unternommen, die Universität und die Gesellschaft zu verändern. Heute seien viele »egoistisch und boxen sich gnadenlos durch. Geld und Status haben heute einen viel höheren Stellenwert als damals.«
Johannes Hub studiert Politikwissenschaft.
Furios 01 (2008)
Foto: Heike Schlatter
Die Internationale
Im Grunde ein Märchen Haifa ist die Stadt der Kontraste. Und eine verschlafene Prinzessin. von Sebastian Schirrmeister ʥʠ ʭʩʸʤ .ʨʩʬʧʤʬ ʭʩʲʣʥʩ ʠʬʹ ʯʥʥʩʫʮ ʩʬʥʠ ?ʤʴʩʧʬ ʭʩʲʱʥʰ ʤʮʬ ʥʠ ʭʩʣʥʤʩ ?ʬʡʫʸ ʥʠ ʺʩʺʧʺ ʺʡʫʸ ?ʺʥʣʩʩʰ ʥʠ ʺʡʹ ʬʹ ʨʷʹ ?ʭʩ ʯʥʴʶʡ ʥʦ ʸʩʲ !ʤʴʩʧʡ ʤʺʠ ʩʸʤ – "ʥ"ʡ "ʥʠ"ʤ ʺʠ ʳʬʧʤ ?ʭʩʡʸʲ ʺʡʫʸ ʤʬ ʹʩ ,ʬʮʸʫʤ ʺʥʸʲʩ ʣʲ ʯʥʫʩʺʤ ʭʩ ʺʴʹʮ ʺʲʸʺʹʮ ʬʠʸʹʩ ʭʩʸʢʥ ʺʡʹ ʭʥʩʡ ʭʩʬʲʥʴʹ ʭʩʱʥʡʥʨʥʠ ,ʭʩʬʡʫ ʩ"ʲ ʺʫʹʮʰʹ ʺʩʺʧʺ ʤʬʥʣʢʤ ʤʺʥʥʠʢʥ ʤʮʥʱʷʤ ʤʬʩʮʤ ʺʠʦ ,ʭʥʩʷ-ʥʣ .ʭʩʡʸʲʥ ʭʩʣʥʤʩ ʤʡ ʬʡʠ ."ʺʮʣʸʰʤ ʤʩʩʴʩʴʩʤ" ʤʬ ʭʩʠʸʥʷʤ ʤʬʠʫ ʹʩ .ʤʴʩʧ ʬʹ ʸʺʥʩʡ ʬʹ ʤʨʩʱʸʡʩʰʥʠʤʥ .ʱʔʢʓʥʥʱʔʬ ʤʰʩʠ ʭʣʱʨʥʴ ʭʢ .ʩʬ ʲʩʸʴʮ ʠʬ ʤʦ ʩʥʰʩʫ ʭʩʨʰʣʥʨʱ ʤʹʥʬʹʬ ʺʥʢʬʮ ʤʰʹ ʬʫ ʤʷʩʰʲʮʤ ʥʦ ʠʩʤ ʭʣʱʨʥʴ ʤʴʩʧʡ ʭʩʣʥʮʩʬʬ ʭʺʥʠ ʺʧʬʥʹʥ. ʡʹʧʹ ʩʮ ʪʠ .ʭʩʹʣʥʧ ʤʹʥʬʹ ʨʲʮʫ ʩʰʴʬ ʤʰʤ ʩʺʲʢʤ ʥʦ ʪʸʣʡ ʡʦʫʠʺʩ ʭʩʹʷ ʭʩʣʥʮʩʬ ʬʹ ʭʩʹʣʥʧ ʤʹʥʬʹ ʤʬʠ ʥʩʤʹ. ʬ"ʥʧ ʩʣʩʮʬʺʬ ʸʴʱʤ ʺʩʡ .ʱʥʮʲ ʹʩʡʫʬ ʤʮʥʣʹ ʭʩʣʥʮʩʬ ʺʬʩʧʺ ʺʩʰʫʥʺ ʬʹ ʢʥʱ ʲʩʶʮ ʺʥʸʧʠ ʺʥʶʸʠʮ ʭʩʨʰʣʥʨʱʬ ʣʧʥʩʮʡ ʣʱʥʰʹ ʹʩ ʺʩʬʢʰʠʡ ʭʩʸʡʲʥʮʹ ʭʩʸʥʲʩʹʬ ʳʱʥʰʡ .ʩʠʰʴʥ ʭʩʣʥʮʩʬʬ ʤʮʬʹ ʭʩʰʮʦ ʧʥʬ ʩʴʬ ʺʥʩʺʸʡʧ ʺʥʩʥʬʩʲʴ ʤʮʫ ʣʥʲʥ ʺʥʠʶʸʤ ,ʭʩʬʥʩʨ ʺʠ ʤʬʢʺ ,ʬʠʸʹʩ ʺʠ ʸʥʷʧʺ" ʠʥʤ ʭʤʬʹ ʯʢʥʬʱʤ ʭʺʱ ʠʬ .ʣʧʥʩʮ ʠʬ .ʩʮʶʲ ʩʥʬʩʢ ʺʬʬʥʫʹ ʵʩʷ ʺʰʨʩʩʷ ʥʮʫ ʺʶʷ ʲʮʹʰʹ – "ʪʮʶʲ ʥʬʹ ʭʩʱʸʥʷʤʹ ʺʥʩʸʧʠ ʧʷʥʬ ʬ"ʥʧ ʩʣʩʮʬʺʬ ʱ"ʤʩʡ ʺʥʧʴʬ .ʤʰʹʮ ʯʫʬ .ʭʩʰʥʠ ʸʱʧ ʠʥʤ ʭʢ ʭʩʩʣʥʤʩʤ ʭʩʢʧʤ ʣʢʰ ʬʡʠ .ʥʮʩʩʷʺʩ ʤʰʩʡʢ ʥʮʫ ʥʹʩʢʸʤ ʭʮʶʲ ʭʩʣʥʮʩʬʤ ʬʹ ʭʩʰʥʹʠʸʤ ʺʥʲʥʡʹʤ .ʭʩʩʢʩʢʧʥ ʭʩʬʥʣʢ ʭʩʸʥʧ ʭʲ ʺʩʸʶʩʥʥʹ ʤʰʩʣʮʤ ʲʣʮ ʬʲ ʠʥʤ ʤʴ ʹʢʣʤʹ ʸʸʡʺʮ ʭʩʠʹʥʰʡ ʭʩʨʩʡʮʹʫ ʭʩʴʸʥʨʮ ʭʩʸʡʣʡ ʯʩʩʰʲʺʮʹ ʩʮ ʪʫʬ ʭʠʺʤʡ .ʯʥʫʩʺʤ ʧʸʦʮ ʩʣʥʮʩʬʥ ,ʺʥʩʮʩʨʰʩʠʥ ʺʥʰʨʷ ʺʥʺʩʫʡ ʥʮʶʲ ʺʠ ʠʶʮʩ ʤʩʴʥʱʥʬʩʴʥ ʺʥʸʴʱ ʥʮʫ ʤʲʥʡʤʮ ʺʠʶʬ ʦʲʮ ʳʱʥʰʡʹ ʩʮʥ .ʺʥʥʹ ʺʥʧʴ ʯʴʥʠʥ ʭʩʰʴ ʭʥʹʡ ʪʠ ʤʨʩʱʸʡʩʰʥʠʡ ʭʩʱʸʥʷ ʬʲ ʭʬʥʧʥ ʬ"ʥʧ ʩʣʩʮʬʺʬ ʱ"ʤʩʡ ʬʹ ʤʧʥʨʡʤ ʤʬʩʢʸ"ʤ" .ʺʥʠʩʶʮʤ :ʳʸʥʨʮ ʸʺʥʩ ʣʥʲ ʭʥʷʮʡ ʣʩʮ ʥʮʶʲ ʺʠ ʠʶʮʩ ʭʩʨʰʣʥʨʱʤ ʭʲʴ .ʯʥʧʨʩʡ-ʩʠʮ ʺʡʫʸʥʮ ʭʩʰʹ ʸʡʫ ʥʦ ʺʥʠʩʶʮ ʸʣʱʬ ʲʩʸʴʺ ʤʬʡʧ ʥʠ ʤʮʧʬʮ ʭʩʮʲʴʬ .ʭʩʶʸʮʤ ʭʲʴ ,ʭʩʺʡʥʹ ʺʰʹ ʧʺʴʩʺ ʩʺʮ .ʤʬʩʧʺʤ ʷʸ ʨ"ʱʹʺ ʺʩʣʥʤʩʤ ʤʰʹʤ .ʭʩʣʥʮʩʬʤ ʺʥʠʨʩʱʸʡʩʰʥʠʤ ʺʥʬʤʰʤ .ʷʥʩʣʡ ʲʣʥʩ ʠʬ ʣʧʠ ʳʠ - ʭʲʴʤ ʭʩʣʥʮʩʬʤ ʩʣʫ ʤʰʥʫʰʤ ʤʨʩʹʤ ʺʠʦ ʭʠ ʧʥʨʡ ʠʬ ʹʮʮ .ʺʩʰʮʦ ʤʺʥʠ ʥʠʩʴʷʤ .ʭʩʹʥʸʣʤ ʭʩʰʥʩʬʩʮʤ ʺʠ ʯʺʩʩʹ ʸʶʥʠʤ ʸʹ ʬʹ ʥʡʬ ʺʠ ʭʮʧʬ ʩʬʥʠʥ .ʬʠʸʹʩ ʺʠ ʸʥʷʧʬ ʯʴʥʠ ʭʢ ʤʦ ʯʰʥʡʺʤʬʥ ʺʥʫʧʬ ʭʩʩʺʰʩʡ ʩʣʫ ʪʥʺ ʩʮʶʲ ʺʠ ʤʬʢʠ ʤʸʷʮʡ.
Erleuchtet in Israel: Sebastian Schirrmeister
Warum fährt man nach Haifa? Vielleicht, weil man sich nicht entscheiden kann. Berge oder Meer? Schabbatruhe oder Mobilität? U-Bahn oder Seilbahn? Juden oder Araber? Ersetze das »oder« durch ein »und« – voilà, du bist in Haifa. Die Stadt in Israels Norden erstreckt sich vom Mittelmeerstrand bis in die Wälder des Karmelgebirges. Sie hat eine U-Bahn, die von Seilen gezogen wird, Busse, die an Schabbat fahren und wird von Juden und Arabern bewohnt. Koexistenz heißt das Zauberwort – Haifas größter Stolz. Die Stadt, in der ich nun ein Jahr leben werde trägt den märchenhaften Kosenamen »Schlafende Schöne«. Verträumt wie Dornröschen. Aber das stört mich nicht: Ich komme aus Potsdam. Gemeinsam mit zwei weiteren DAAD-Stipendiaten bin ich vor drei Monaten von der Potsdamer Uni nach Haifa aufgebrochen. Doch wer glaubt, wir hätten hier hart zu schuften, sieht sich getäuscht: ein Studienbeginn wie zähfließender Verkehr. Die International School der Universität Haifa will mehr sein als ein Studienzentrum für ausländische Studenten. Neben englischsprachigen Lehrveranstaltungen werden Vorträge und Sozialaktivitäten geboten. Der Slogan ist nicht umsonst »Erkunde Israel. Entdecke dich selbst.« Klingt irgendwie nach Sommerlager mit Selbstfindungsprogramm. Immerhin garantiert die International School die Durchführung ihrer Veranstaltungen. Doch gegenüber den jüdischen Feiertagen ist sie machtlos. Und so waren die ersten Wochen des eigentlichen Studiums wie ein Schweizer Käse mit großen, feierlichen Löchern. Der Schwerpunkt an der International School liegt auf Politikwissenschaften und Nahost-Studien. Wir Geisteswissenschaftler fristen hier ein randständiges Dasein und sitzen in den Seminaren ganz intim in Kleingruppen zusammen. Wer einen Schritt aus der gemütlichen Blase der International School hinauswagt, um Kurse an der »normalen« Universität zu belegen, den umweht plötzlich der eisige Wind der Wirklichkeit. Hier regiert die Unsicherheit. Mal streiken die Studenten, mal streiken die Dozenten. Manchmal stört ein Krieg oder Attentat das Unterrichtsgeschehen. Das jüdische Jahr 5769 hat gerade begonnen. Aber wann das akademische Jahr beginnt, weiß niemand so genau. Die Rektoren der israelischen Universitäten haben es auf Eis gelegt. Ob sie damit den Finanzminister für die Herausgabe der geforderten Millionen erwärmen können, ist fraglich. Aber Warten und Beobachten ist auch eine Methode, Israel zu erkunden. Und vielleicht entdecke ich mich dabei noch zufällig selbst.
Sebastian Schirrmeister studiert Literaturwissenschaft. Furios 01 (2008)
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Poesiealbum
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zusammengestellt von Sabine K端pers und Livia Mertens
Furios 01 (2008)
J
Carte Blanche
Carte Blanche:
Michi Schneider
2 Michi Schneider: Mit 18 riss er aus der Steiermark aus, landete zuerst er an der Ecole Supérieure des Beaux-Arts im schön warmen Nîmes und danach an der FU Berlin. Hier studiert er Kunstgeschichte, malt munter weiter und mache dabei »eigentlich dieselben Dinge wie vorher, nur ein bisschen bewusster«. Im Seminar sei er natürlich »eh der Revoluzzer«. Er habe ja oft das Gefühl, dass die Leute vor lauter Büchern die Kunst nicht mehr sehen. »Ich mach, glaub ich, sehr gute Referate«, sagt er dann noch lachend. »Okay, jetzt geb ich ein bisschen an. Aber ich mach das halt mit Leidenschaft.« Furios 01 (2008)
Seine gemalten Bilder sind momentan nur in Graz zu sehen. Auf MySpace finden sich aber Fotografien davon. Und wie Fotografien kommen die Bilder daher. Es sind gemalte Schnappschüsse aus dem Alltag. Im Bus, im Bett oder am Tisch im China-Restaurant. »Ich glaube es ist das Banale, was das Leben ausmacht. Mit einer Flasche Wein in der Strassenbahn sitzen und irgendwo hin fahren, das hat schon so viel Wert und Leben in sich, dass es wert ist, festgehalten zu werden.« www.myspace.com/michi_schneider 33
Mensen mit
In der Mensa mit Präsident Lenzen Gerne wollten wir ein Interview mit Professor Lenzen, Präsident der Freien Universität. Leider ließ uns sein Pressesprecher ausrichten, dass dies weder kurzfristig, noch in absehbarer Zeit möglich sei. Die Haushaltsverhandlungen mit dem Senat stünden an. Dank steter Medienpräsenz ist es uns dennoch gelungen O-Töne einzufangen. Für ein Gespräch der anderen Art.* von Christa Roth und Johannes Hub
Freitagnachmittag in der Mensa. Auf dem Tablett hat Präsident Lenzen Schweinememedaillons mit gedünstetem Lauch und Kroketten für 4,90 Euro, dazu Spreewaldgurken. Sieht sehr gesund aus … (lacht) Keine Bange, auch Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen leben nicht allein von der reinen Erkenntis! Aber Spreewaldgurken? Als Lokalpatriot der FU sind Sie bisher kaum in Erscheinung getreten. Menschen, deren Horizont nicht über den Spreewald und seine wohlschmeckenden Gurken hinausgeht, werden keine Zukunft haben. (ernst) Daneben in aller Klarheit noch einmal: die Freie Universität Berlin, nicht die FU! Wir hassen diese Abkürzung, und jeder, der sie verwendet, zahlt einen Euro in die Universitätskasse. Identity, das heißt Identität, das impliziert, sich zu identifizieren mit einer Corporation, der Freien Universität. Woran scheitert die von Ihnen geforderte Disziplin? Es fehlt an Willenskraft. Thema Exzellenzinitiative. Studenten der FU sehen die Lehre der Forschung gegenüber oft benachteiligt. Können Sie diesen Unmut nachvollziehen? Honoriert werden in diesem Wettbewerb nicht exzellente Lehre oder ein guter Ruf einzelner Fächer hinsichtlich ihrer Ausbildungsqualität und auch nicht die Aussicht der Absolventen unterschiedlicher Fachrichtungen auf dem Arbeitsmarkt. Kurzum: Über die akademische Ausbildungsqualität sagt das Wettbewerbsergebnis nichts aus. Wie rechtfertigen Sie dann das Wahlergebnis in Bezug auf die FU? Freiheit und Exzellenz setzen einander gegenseitig voraus. Deshalb war und ist die Freie Universität ein Ort der Exzellenz und wird es sein. Und aufgrund ihrer Exzellenz ist sie ein Garant für akademische Freiheit. Sie selbst sind dieses Jahr vom CHE und der FTD zum »Hochschulmanager des Jahres« gekürt worden. Welche Voraussetzungen muss man mitbringen, um eine Universität glaubwürdig zu vermarkten? 34
Billiger Trick: Dieter Lenzen in der Mensa. Eine Fotomontage. Marketing heißt: nicht mehr als fünf Stunden Schlaf pro Tag, viel essen können (Dinners!) ohne nachhaltige Gesundheitsschäden, den Stress lieben lernen. Delegieren Sie nicht auch einiges an ihre Mitarbeiter? Es gibt keine Maßnahme, die der Präsident nicht vorher gesehen hat und keine Äußerung, die nicht vorher freigegeben wurde! Universitätsmarketing ist Chefsache. Wilde Aktionen sind der Tod einer jeden Marketingstrategie. Andererseits prägen doch auch große Namen wie Dutschke das Bild der FU. Wir wurden lange Zeit als eine Schmuddeluni abgetan. Sie meinen die 68er. Gesellschaftlich engagierte Studenten gibt es heute auch noch, was soll sich im Vergleich zu damals verändert haben? Wenn man all die Rankings, die existieren, nebeneinander schreibt und fragt, wie oft eine deutsche Universität unter den zehn besten ist, dann ist die Antwort überraschend und für Sie erfreulich: Die Freie Universität ist auf dem ersten Platz! Sie hat die meisten Hits, wenn mal alle Rankings zusammen nimmt. So gesehen sind Sie immatrikuliert an Deutschlands Nummer 1! Was macht den Unterschied aus? Was heißt es denn, Student der FU zu sein? Erstens: besser sein als andere. Zweitens: schneller sein als andere. Ein Wort zur verhinderten »Superuni«. Freie Humboldt Universität? Nein, danke. Ihr Kommentar zum 60-jährigen Jubiläum? Frage nicht, was deine Universität für dich tun kann – frage, was du für die Freie Universität tun kannst!
* Die Originalzitate sind Zeitungsartikeln, schriftlichen Stellungnahmen und öffentlichen Äußerungen Dieter Lenzens entnommen. Das Gespräch hat in dieser Form jedoch nicht stattgefunden. Furios 01 (2008)
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