Furios
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02 Juni 2009
Studentisches Campusmagazin an der Freien Universit채t Berlin
titelthema
Unternehmer Die bessermacher
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AuSSerdem: Interview Mit Pr채sident Lenzen
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Wir freuen uns auf Sie Ernst Reuter (1889–1953) hatte als Oberbürgermeister von Berlin (ab 1950 Regierender Bürgermeister) entscheidenden Anteil an der Gründung der Freien Universität Berlin, die am 4. Dezember 1948 im Titania-Palast in Steglitz gefeiert wurde. Immer wieder regte er an, einen Förderverein ins Leben zu rufen. Sein Wunsch wurde nach seinem Tod als Vermächtnis verstanden und am 27. Januar 1954 in die Tat umgesetzt. In der ERG treffen sich seit über 50 Jahren Studierende, Absolventen, Freunde, Förderer und ehemalige Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen. Sie sind herzlich eingeladen, sich über die Arbeit des Fördervereins zu informieren.
Die ERG widmet sich verstärkt der Kontaktpflege zu den Ehemaligen der Freien Universität Berlin. Als Mitglied können Sie über Fachgrenzen und Studienzeit hinaus an Leben, Arbeit und Entwicklung der Freien Universität teilnehmen. Die ERG ist als gemeinnütziger Verein anerkannt. Spenden und Mitgliedsbeiträge sind steuerlich absetzbar. Berliner Sparkasse, BLZ 100 500 00 · Kto. 101 00 101 11 Mitgliedsbeiträge und Spenden Berliner Sparkasse, BLZ 100 500 00 · Kto. 101 01 523 58 Stifterfonds Ernst-Reuter-Stipendienprogramm
Im Rahmen Ihrer Mitgliedschaft in der ERG erhalten Sie 1. Einladungen zu Veranstaltungen der ERG und der FU 2. Zedat-Account mit E-Mail-Adresse 3. Ermäßigungen für Veranstaltungen (Collegium Musicum und Lange Nacht der Wissenschaften) 4. Ermäßigung für die GasthörerCard 5. Mitarbeitertarif beim Hochschulsport 6. Ermäßigung für Weiterbildungsangebote 7. Mitarbeitertarif in der Mensa 8. Magazin WIR für die Ehemaligen 9. auf Wunsch Zusendung der FU-Tagesspiegelbeilage und des Wissenschaftsmagazins fundiert 10. Ermäßigung für das Berliner Kabarett Theater Die Wühlmäuse
Unsere Aktivitäten Ω Verleihung der Ernst-Reuter-Preise Ω Verleihung der Ernst-Reuter-Stipendien Ω Unterstützung der Jubiläumsfeiern Silberne und Goldene Promotion Ω Fundraising für den Stifterfonds des Ernst-Reuter-Stipendienprogramms Ω Reuterianer-Forum Ω Druckkostenzuschüsse zu Dissertationen Ω Verwaltung von 2000 Mitgliedern Ω Verwaltung von fachbereichsbezogenen Kapiteln Ω Drittmittelverwaltung zweckgebundener Zuwendungen Ω Gesellschafter der ERG Universitätsservice GmbH Ω Herstellung von Kontakten zu Absolventen mit dem Ziel der Netzwerkbildung
Stand: Februar 2008
Antrag auf Mitgliedschaft Ich möchte der Ernst-Reuter-Gesellschaft der Freunde, Förderer & Ehemaligen der Freien Universität Berlin e. V. beitreten (bitte ankreuzen): Mitgliedschaft / normal
Hiermit beantrage ich die Mitgliedschaft in der Ernst-Reuter-Gesellschaft
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Mitgliedschaft / ermäßigt (Mindestbeitrag 10,00 D/ Jahr für Studierende und Ehemalige einschließlich der ersten drei Jahre nach Exmatrikulation, bitte Nachweis beilegen)
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Ich war an der FU tätig von–bis
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Ich möchte dem Kapitel zugeordnet werden (optional) Geschäftsstelle: Die Ernst-Reuter-Gesellschaft der Freunde, Förderer und Ehemaligen der Freien Universität Berlin e. V. Kaiserswerther Str. 16 – 18 · 14195 Berlin Telefon Büro des Vorstandes: 030 – 838 570 38 Irma Indorf irma.indorf@fu-berlin.de Telefon Mitgliederverwaltung und Finanzen: 030 – 838 530 77 Sylvia Fingerle-Ndoye erg@fu-berlin.de Fax 030 – 838 530 78 www.fu-berlin.de/alumni/erg
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Editorial
Liebe Kommilitoninnen, liebe Kommilitonen, wer hat ihn erkannt? Der junge Supermann auf dem Titelblatt heißt Mark und ist vor kurzem 25 Jahre alt geworden. Vor fünf Jahren gründete er als Student, nach einigen erfolglosen Webprojekten, Facebook. Mark Zuckerberg ist nicht nur der weltjüngste Milliardär. Er hat unsere Art zu kommunizieren tiefgreifend verändert. Wir bleiben in Kontakt mit Menschen, die wir nicht lieben, aber auch nicht vergessen wollen: Schulfreunde, Urlaubsbekanntschaften, Flirts. Mark Zuckerberg ist unser Paradebeispiel eines studentischen Unternehmers. Schade ist, dass Gründer oft mit raffgierigen Managern über einen Kamm geschert werden. Der Begriff »Unternehmer« ist im Deutschen derart negativ besetzt, dass sich manche Gründer nur noch als Entrepreneur bezeichnen. Dabei sind Unternehmer etwas Positives. Im Gegensatz zu Managern gehen sie selbst Risiken ein. Im Gegensatz zu Kritikern erkennen sie nicht nur einen Mangel, sondern beheben ihn auch. Unternehmer sind Bessermacher! Wir haben dem Unternehmergeist auf dem Campus nachgespürt. Wir haben einen Professor gefunden, der Roboter Fußball spielen lässt, damit Blinde besser Lesen können. Wir haben mit Studenten gesprochen, die dafür sorgen, dass es keine entliehenen Bücher mehr geben wird. Und wir haben uns gefragt, was Unternehmer von der Freien Universität lernen können. Wahrscheinlich das: Krisen durchmachen. Gefallen euch die Bilder zu den Geschichten? Wir konnten Michi Schneider (myspace.com/michi_schneider) überreden, in Dahlem unternehmerischen Orten nachzuspüren und sie ein wenig zu verändern. Auch den Supermann auf dem Titelblatt verdanken wir ihm. Bedanken möchten wir uns aber auch bei der Ernst-ReuterGesellschaft für die weitere finanzielle Unterstützung. Und nicht zuletzt bei allen Studenten, die viel Zeit und Kreativität in diese Ausgabe investiert haben! Falls Du ebenfalls für FURIOS schreiben, zeichnen oder fotografieren willst: Die Termine unserer Redaktionstreffen findest Du online!
Auch FURIOS ist ein kleines Unternehmen. Und sucht Verstärkung! Du liebst Magazine? Gedruckte und digitale? Du hast Interesse an neuen Entwicklungen in der Medienwelt und machst Dir gerne Gedanken darüber, wie man diese auf einem Campus umsetzen könnte? Du bist wirtschaftsaffin? Und Du studierst an der Freien Universität Berlin? Dann suchen wir Dich! Bei FURIOS hast Du die Möglichkeit, ein unabhängiges Campusmagazin an der Freien Universität zu positionieren und dich zugleich in deinem zukünftigen Berufsfeld auszuprobieren! Wir suchen jemanden, der FURIOS, online und in Print, den Studenten näher bringt und durch neue Funktionen erweitert, der unsere Anzeigenkunden betreut und das Heft auf dem Campus verankert. Ein Verleger im besten Sinne! Sagt Dir zu? Wir brauchen keinen Lebenslauf und auch kein formales Anschreiben. Sende einfach bis zum 20. Juni 2009 eine Mail an redaktion@furios-campus.de, in der Du schreibst, warum dich FURIOS überzeugt und was Du daran besser machen würdest!
Auf unserer Webseite www.furios-campus.de verfolgen wir übrigens die Geschichten aus dem Heft weiter. Dort findet ihr von nun an auch aktuelle Veranstaltungen rund um die FU sowie wöchentlich neue Geschichten! Die Zeit bis zur nächsten gedruckten FURIOS im kommenden Semester ist damit bestens überbrückt. Gute Ideen und den Mut, sie umzusetzen wünscht euch Eure FURIOS-Redaktion Furios 02/2009
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Inhalt
Inhalt 5
Empörter student Titelthema Unternehmer Die kreative Revolution: Wolf Lotter
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Die Unternehmenslustigen: Spielerisch erfinden
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Die Unergründlichen: Wieso unternimmt an der FU keiner was?
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Die Drama Queen: Was Unternehmen von der FU lernen können 12
4 / 40 000 4/40 000: 40 000 Studenten an der FU. 4 von ihnen sind hier.
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Campus Strahlend Grün? Im Umweltsschutz gibt es noch einiges zu tun.
16
Forschungsfragen an das Dahlem Brain
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Rezensionsreportage: Studenten publizieren
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Politik Das ewige Experiment: Der Präsident und die Macht
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»Wir diskutieren nicht mit Funktionären«: Dieter Lenzen im
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Gespräch
22
Grenzenloses Engagement: Studenten stiften Frieden
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Kultur Danke fürs Freunde sein! Die schöne neue MySpace-Welt der
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Musiker Flaneur: Dahlems Bibliotheken
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Veranstaltungskalender
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Warenfetisch: Das MacBook
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Bildlegende 32
Open Access to the Rattenkeller
Die Internationale 33
London
Ewige Ehemalige 34
Benedict Wells
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Empörter Student
Der Empörte Student Der FU-Student ist in der Regel empört. Aber wie empört man sich richtig? Die Empörung über die erste Ausgabe von FURIOS hat es vorgemacht! Michi Schneider
hat den empörten in Öl verewigt.
Die Empörung kam postwendend. Noch während dem Verteilen der ersten Ausgabe auf dem Campus warf man uns »Unverschämtheit und Lüge!« vor und drohte, wie sich das für eine ordentliche Empörung gehört, mit »Konsequenzen!«. Da es sich bei den Empörten um AStA-Vertreter handelte, dachten wir zuerst, ihre Empörung habe mit einem Artikel zu tun, in dem wir behauptet hatten, ihre »Deutschland muss sterben«Gesänge seien antiquiert. Ein Blogger klärte uns dann aber auf, für »den größten Aufschrei unter der linken, politisch-aktiven, asta-nahen Studierendenschaft« habe nicht dieser AStA-kritische Artikel gesorgt, sondern ein Beitrag über Christen an der FU sowie das Porträt eines Anti-68ers, einem alten Mann namens Hans Eberhard Zahn. Und in der Tat entbrannte in diesem Blog eine empörte Diskussion darüber, welcher der Artikel nun das »allerletzte« sei. »Rudi« plädierte für den alten Mann, der einer »feigen Denunziantenbande« angehört habe, deren Gesinnungsgenossen noch immer das FU-Präsidium beeinflussen würden. »Dennis« hingegen meinte, »das allerletzte« sei ja wohl der Artikel über die Christen gewesen. Was da »zwischen den Zeilen an reaktionärem, vernunfts- und wissenschaftsfeindlichem glaubensgedusel« verzapft worden sei, sei »dem 21. jahrhundert alles andere als würdig«, meinte er empört. »Micha« wiederum war der Ansicht, der Artikel über die »FU-ChristInnen« habe nur »den zweiten platz in anstößigkeitserzeugung« verdient. Der »Böse Zahn» habe sie alle geschlagen. Ebenso interessant fanden wir die Empörung über diese Empörrubrik. Man hätte den Platz nutzen sollen, um sich über wirklich Empörendes zu empören! »Stattdessen macht man sich in der FURIOSRedaktion eben lieber über KommilitonInnen lustig, die ... wirkliche Mißstände empörend finden und diese Empörung zum Ausdruck bringen.« Über diese Arroganz, schloss der Blogger, könne man sich är-
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gern. Das »wirkliche Problem« sei jedoch »eher« die dahinter liegende Inhaltsleere. Eine empörende Unterstellung, fanden wir. Alles in allem war die Empörung über FURIOS aber sehr vorbildlich. Von interessanten Wortschöpfungen (»jung-neostockkonservatives blattgedöns«) bis zur Sorge um die Würde des 21. Jahrhunderts war alles für einen SPIEGELLeserbrief dabei. Eine Kommilitonin schrieb uns dann noch, ob man sich hier wirklich über etwas aufregen müsse, das gar nicht zutrifft. Gute Frage, fanden wir. Wir hatten uns über Schließfächer empört, die nur EinEuro-Münzen schlucken würden. Was nicht stimmt. Trotzdem finden wir: Ja. Ja, man sollte sich nur über Dinge empören, die nicht zutreffen! Die Empörung ist ein erfüllender Geisteszustand. Man sollte sie nicht von realen Mängeln abhängig machen. Deshalb fanden wir es ja auch ganz in Ordnung, als sich herausgestellt hatte, dass der Student, der uns unterstellte, kalte Krieger zu sein, das Heft noch gar nicht gelesen hatte. (red)
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Interview: Wolf Lotter
»Krisenanfällig ist alles, was sich nicht verändern kann!« Wirtschaftsjournalist WOLF LOTTER erklärt die Kreative Revolution und warum wir ein anderes System brauchen. Jetzt. Das Gespräch führten Nicolas Fuchs und Laurence Thio — Illustration: Michi Schneider
Wir stehen vor einer Revolution: Der Industriekapitalismus hat ausgedient. Wir sind auf dem Weg in die Wissensgesellschaft. Dienstleistungen verdrängen Industriearbeit, Ideen sind wertvoller als Produkte.Wolf Lotter nennt dies die »Kreative Revolution«. Kürzlich veröffentlichte er einen gleichnamigen Band, in dem sieben Vertreter der Ideenwirtschaft schrieben, welche Umstürze uns demnächst erwarten und wie die neue Ökonomie unser Leben verändern wird. Wolf Lotter ist Autor beim Wirtschaftsmagazin »brand eins« und gilt als Experte für die Transformation von der Industrie- zur Wissensgesellschaft. In ihrem neuen Buch dreht sich alles um die »Kreative Revolution« - Herr Lotter, wie kommt man auf eine gute Idee? Das kann ich Ihnen auch nicht sagen. Fragen Sie sich mal selbst: Was interessiert Sie und wo sind Sie bereit etwas zu verbessern? Mit einer guten Idee muss man nicht unbedingt neue Produkte erfinden, man kann auch Vorhandene besser machen. Welche Bedingungen müssen herrschen damit Innovationen entstehen können? Das Allerwichtigste ist Offenheit, nicht immer nur auf Sicherheit setzen. Zu viele Menschen betrachten, was sie haben, als Maßstab aller Möglichkeiten, das ist natürlich schlecht. Die Offenheit für Ideenwirtschaft bedeutet immer auch Freude am Risiko und die Grundvorstellung, es könnte auf dieser Welt besser sein, als es ist. Was verstehen Sie unter einem »Kreativen«? Kreativität ist etwas sehr Menschliches, etwas, das wir alle haben. Das gerade dann 6
ausbricht, wenn es scheinbar keinen Ausweg gibt oder wenn die Stimmung relativ depressiv ist: also so wie jetzt. Dann neigen Menschen dazu, etwas zu machen, selbst ohne Planung oder klares Ziel. Kreativität bedeutet für mich vor allem mehr Selbständigkeit. Ich versuche also mein eigenes Leben zu gestalten, statt mich auf Rahmenbedingungen zu verlassen oder zu fordern, dass andere für mich einen Rahmen schaffen. Fast jeder Unternehmer denkt so. Das ist eine klare unternehmerische Tugend. Kreative sind nicht nur Menschen, die Kunst machen oder in der Ideenwirtschaft arbeiten. Es kann beispielsweise eine Krankenschwester sein. Es sind Menschen, die in ihrem Job mehr Gestaltungsfreiraum schaffen als es die Methode und der Plan vorsieht. Und wo sind die Zentren der Kreativen Revolution? Ich glaube nicht dass es darum geht, dass man sagt »Hier kannst du jetzt besonders kreativ sein«. Man braucht keine Bühne oder kein Theater. Kreativität lebt davon, dass man etwas verändern möchte, in dem Sinne ist Kreativität auch ein System- und Regelbruch. Welche Rolle spielen die Universitäten in der Kreativen Revolution? In erster Linie werden die Universitäten Wissensstandards vermitteln. Es muss einen freien Zugang für Studierende aller Altersgruppen geben. Da ist man noch nicht weit genug. Ein Problem dabei ist meiner Meinung nach zu viel Standesdünkel im akademischen Bereich. Des Weiteren erwarte ich von einer Universität, dass sie aktiv ist. Sie soll zum Entwick-
lungshelfer von Menschen werden, die für die Wissensgesellschaft individuelle und persönliche Lösungen einbringen. Keine industriellen, keine 0815-Lösungen mehr. Wenn alle Leute von denen man sich neue Problemlösungen erwartet einheitlich betreut, einheitlich unterrichtet und ausbildet werden, haben Sie am Ende wieder nur eine einheitliche Masse. Das ist ein großes Problem unseres Bildungssystems. Je mehr das System behauptet einheitliche Qualität produzieren zu können, desto schlechter, ängstlicher und fehleranfälliger ist es. Wichtiger ist es ab einem bestimmten Punkt Freiheiten zu geben. Das können wir in unserem System nur sehr schwer denken, weil wir »entweder/oder« denken. Wir müssen »sowohl/als auch« denken! Mit dem Bologna-Prozess sind die Universitäten auf einem ganz anderen Weg. Ja und dabei handelt es sich um eine der schlimmsten und problematischsten Fehlentwicklungen der letzten Jahrzehnte. Einige Leute aus Konzernlobbies glauben man könnte sich einen Experten schnitzen. Darauf hat dann irgendwann ein akademisches Establishment reagiert, und will jetzt Experten herstellen – das ist richtiger Unfug! Wie müsste die Universität reagieren – wie vermittelt sie zeitgemäß Wissen? Man müsste vielmehr ein Management der Unsicherheit, der Überraschung unterrichten. Man müsste die Menschen so vorbereiten, dass sie sich Situationen relativ flexibel und spontan anpassen können. Damit sie lernen aus dem Leben etwas zu machen, stattdessen tut man so als ob man mit 20 oder 25 wissen könnte was in zehn Furios 02/2009
Interview: Wolf Lotter
Wolf Lotter, seiner Herkunft entsprechend in einem österreichischen Schilling-Schein verewigt, ist selbst auch Gründer: Er brachte vor 10 Jahren das Wirtschaftsmagazin »brand eins« auf den Markt.
Jahren passiert. Wir brauchen Instrumente, die uns mit Überraschungen und mit Veränderungen des Systems arbeiten lassen. Dann werden wir auch wieder veränderungsfähige Intellektuelle haben, die bereit sind den Wandel zu tragen und nicht darauf bestehen, dass alles so bleiben muss, wie es ist. Unternehmer-Geschichten werden in letzter Zeit gern in der Presse erzählt. Eine Rückbesinnung auf Werte gegenüber dem Macht- und Geldstreben der Manager. Brauchen wir mehr Unternehmertum? Unsere Gesellschaft muss den Unterschied zwischen Unternehmern und Managern lernen. Unternehmer stehen für eine Idee ein, sie tragen ein Risiko und haben den Mut trotzdem etwas nach vorne zu bringen. Das ist etwas völlig anderes als das, was ein Manager macht. Manager waren ursprünglich die Organisatoren von Fabriken, nicht mehr und nicht weniger. Sie haben Menschen organisiert, sie haben Zeit und Ressourcen organisiert. In einer Welt, in der Ideen und Wissen zur Furios 02/2009
wichtigsten Ressource werden, sind Manager überflüssig. Manager haben in der Form, wie sie sich heute definieren, keine Zukunft. Unternehmer haben hingegen eine sehr große Zukunft, weil sie mit der vorhandenen Situation unzufrieden sind und etwas voran treiben wollen. Diese Debatte wird noch nicht überall richtig verstanden. Dabei finde ich immer ganz witzig, dass insbesondere in der linken politischen Hälfte Unternehmertum nicht gut angesehen ist. Es wird oft überhaupt nicht verstanden wie sehr Unternehmertum eine der wichtigsten Grundlagen zur gesellschaftlichen Emanzipation ist. Ist aktuell ein guter oder schlechter Zeitpunkt universitäre Ausgründungen an den Start zu bringen? Im Moment haben wir einen sehr guten Zeitpunkt, denn die Alternative, sozusagen das Gegenmodell, wäre die vorhandenen Strukturen zu stärken. Einige dieser Strukturen sind Teil eines krisenanfälligen Systems und krisenanfällig ist alles, was sich nicht verändern kann.
Ich bin sehr dafür gerade jetzt zu gründen. Das ist nicht allen gegeben. Es gibt viele Leute, die überhaupt nicht gelernt haben, etwas zu entwickeln oder eine Idee zu erkennen – also die Frage stellen: Geht das besser oder ganz anders als bisher? Aber das kann die, die es gelernt haben, die Ideen entwickeln und erkennen, nicht abhalten etwas zu tun. Gleichzeitig sollten sie die anderen auffordern sich etwas mehr geistig anzustrengen, statt vorhandenes Wissen zu reproduzieren und zu Bürokraten zu werden. Ich halte alle Leute die Systemerhalter sind für einfach zu faul um nachzudenken. Das ist keine Frage der Talente und der Fähigkeiten sondern der Bequemlichkeit.
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»Die kreative Revolution: Was kommt nach dem Industriekapitalismus?« ist im Murmann Verlag erschienen. Nicolas Fuchs studiert Volkswirtschaft.
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Titelthema: Unternehmer
Der Wissenschaftsbetrieb an der FU ist nicht lustig. Schade, die Universität verspielt damit eine große Chance. Illustration: Michi Schneider
Die Unternehmenslustigen Deutschen Universitäten fehlt es an Verspieltheit. Das macht sie wissenschaftlich langweilig und unternehmerisch lahm. Die Freie Universität hat zumindest ein paar Ausnahmen. Tin Fischer besucht verspielte Professoren und spielende Unternehmer.
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oboCup« ist wahrscheinlich die einzige wissenschaftliche Veranstaltung, bei der die Teilnehmer mit »Go! Go! Go!« angefeuert werden. Ironischerweise ist es auch die einzige, wo das rein gar nichts bringt. Hier bekämpfen sich weder gepumpte Sportler, noch feinden sich miefige Professoren an. Der psychologische Beistand ist Robotin »Lola« beim Fußballspielen egal. Seit 10 Jahren nimmt ein Team des Informatikinstituts der Freien Universität an den Meisterschaften im Roboterfußball teil. Bis an die Weltspitze kämpften sich ihre »FU-Fighters«. Treibende Kraft hinter den Spielereien ist Raúl Rojas, Professor für künstliche Intelligenz und Garant für unkonventionelle Forschung. Einst bauten er und sein Team den ersten funktionstüchtigen Computer der Welt nach, Jahrgang 1941. Neulich traten sie zu einem urbanen Autorennen in Amerika an, mit einem Auto ohne Fahrer. Nur: Was hat die Wissenschaft von fussballspielenden Robotern, Herr Rojas?
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Der Mexikaner, der von sich behauptet, immer nur seiner Neugierde gefrönt zu haben (sprich: Master in Mathe, zweiter Master in Wirtschaft, Promotion in Politikwissenschaft und Habilitation in Künstlicher Intelligenz), versuchte eben noch einem Prüfling Termindisziplin beizubringen. Jetzt antwortet er schnörkellos und mit leichtem Akzent: »Für uns ist Fußballspielen eine Art Laboratorium. Zum Beispiel müssen Roboter mit Videokameras die Welt erkennen. Das ist im Spiel, in dem alles in Bewegung ist, sehr viel schwieriger. Wenn das ein Roboter beherrscht, wissen wir, dass er später in einer Fabrik wesentlich besser arbeiten wird.« Okay, aber braucht es für diese Erkenntnisse gleich ein Sportspektakel? Rojas lacht und erklärt: »Der Unterschied zum Labor ist, dass man beim Spielen einen Gegner hat, der mich tricksen will. Ich kann mir wohl die besten Strategien überlegen, um etwas zu erreichen, aber mein Gegner versucht die Strategie zur Strecke zu bringen.« Der tricksende Gegner nimmt die tückische Realität vorweg. Durch
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Titelthema: Unternehmer
das Zusammenspiel mit dem Gegner werden die eigenen Lösungen immer besser, so Rojas. Amerikanische Verspieltheit
Szenenwechsel. An der Universität Harvard wird jedes Jahre der »Ig-Nobelpreis« für unnütze und skurrile Forschung verliehen, für eine Entdeckung, die »nicht wiederholt werden kann oder wiederholt werden sollte«. Die Studenten am benachbarten MIT veranstalten jährlich einen hochkomplexen Rätselwettbewerb. Ausserdem sind ihre »I Hate This Fucking Place«-Streiche legendär. Der Polizeiwagen, der eines Morgens auf dem Kuppeldach der Universität auftauchte, ist eine nach wie vor unübertroffene Meisterleistungen auf dem Gebiet des kruden Humors und des nebensächlichen Unternehmertums. »Playfulness« nennen die Amerikaner diese entspannte Beziehung zur Wissenschaft und Universität. Übersetzt: Verspieltheit, aber auch Munterkeit.
zusetzen und dadurch gesellschaftlich nutzbar zu machen. Jüngst haben zwei seiner Absolventen ein Lesegerät für Blinde entwickelt, dessen Kamera selbst Texte lesen kann, die nicht strukturiert angeordnet sind. Beispielsweise in Zeitungen. Das Gerät ist wesentliche schneller und kleiner als herkömmliche Vorleseapparate. Was das mit Spielen zu tun hat? Das Kameraauge wurde ursprünglich für die Fußballroboter entwickelt. Spiel gewordene Fabrik
Der Autor Douglas Rushkoff sieht im Spiel sogar das soziale Organisationssystem der Zukunft. In einer Kombination aus sinnlosem Kick und harter Arbeit mache es das Tun an sich, und nicht den Sieg, zur Befriedigung. Überraschen mag, dass Rojas, der nur seiner Neugierde frönt und über Themen wie die Schuldenkrise und die Armut der Nationen publiziert hat, wie ein ford›scher Industriekapitalist sagt, er habe sich und seine Studenten nie geschont. Auf die Frage, ob Disziplin und Verspieltheit zusammen Im akademischen Betrieb Deutschlands ist Playfulness suspekt. gehören, lacht er natürlich wieder. Und erklärt: »Was die Studenten Wahrscheinlich steht sie in Verdacht, Spaß zu machen. Die Freie in Wettbewerben lernen ist, dass nicht nur gute Ideen vorn mitUniversität stellt da keine Ausnahme dar. FU-Präsident Dieter Lenspielen, sondern dass man auch Ordnung und Disziplin braucht, zen mag Sprichwörter wie: »Wenn man lange genug am Fluss sitzt, um diese Ideen zu implementieren.« Der Torschuss eines Robokann man eines Tages die Leichen seiner Feinde vorbeischwimters beginnt ein Jahr im Voraus und men sehen.« Das hat zwar viel mit involviert die Arbeit von mehr als 20 Gewinnen, aber nicht das Geringste Im akademischen Händen. Erledigt jemand seine Aufmit Spielen und schon gar nichts mit gabe nicht richtig, ist das ganze Spiel Betrieb Deutschlands Munterkeit zu tun. Der AStA, unsein Gefahr. re Studentenvertretung, hat anstelle ist Playfulness suspekt. von Rätsel- und DebattierwettbewerAuch die beiden ehemaligen FUWahrscheinlich steht sie in Studenten ben nur Proteste und moralisierende Gregor Ilg und Björn KaVorträge auf seiner Agenda. Zu allem Verdacht, SpaSS zu machen. minski bereiten sich auf Torschüsse Elend sehen es Professoren auch noch vor. Ihr Spiel: Handball – diese Spiel als ihre oberste pädagogische Pflicht, ihren Studenten »kritisches gewordene Fabrik, wo der Ball wie an einem Fließband von eiBewusstsein« zu vermitteln, anstatt ihnen einfach mal aufzutragen, ner Hand zur anderen gereicht wird, in der jeder Spieler wie ein eine Hausarbeit frei zu erfinden. Dabei macht Playfulness nicht Zahnrad funktionieren muss, weil ein einziger Fehltritt das ganze Spiel unterbricht. »Im Handball kann es vorkommen, dass du auf nur heiter, sondern auch unternehmenslustig! einer bestimmten Position nur ein oder zwei Mal im Spiel den Ball Spielende Unternehmer kriegst«, sagt Gregor auf die Frage, was er als Unternehmer vom Die spielerische Forschung der Informatiker ließe und lässt sich Handball gelernt hat. »Aber wenn du ihn hast, dann muss der Trefauch auf andere Fächer übertragen. Studenten der Politikwissen- fer sitzen.« schaft spielen regelmässig die Vereinten Nationen nach, um auf Den Drive dieses Spiels will er mit mittlerweile einem Dutzend ungewohnte Argumentationen besser reagieren zu lernen. Heather Mitstreitern in ein Videogame umsetzen. Damit das passiert, muss Cameron, Juniorprofessorin am FU-Fachbereich Erziehungswisihr nächster, seit zwei Jahren vorbereiteter Treffer sitzen. Im Sommer senschaft, initiierte das Kiezprojekt »Boxgirls«, wo Mädchen über läuft ihr Stipendium von »exist« für Gründungen aus der Wissenden Boxunterricht die Möglichkeit erhalten, sich im öffentlichen schaft aus. Dann müssen sie mit dem Prototypen ihres »Handball Raum zu bewegen und in Führungsrollen zu üben. Gleichzeitig Challenge« einen Investor gefunden haben. Für Gamemultis war ist das Projekt soziales Labor für ihre Studenten. Dass Kunsthider Sport bislang nicht attraktiv. Handball ist weder gewalttätig, storiker auf dem Antikmarkt ihren analytischen Blick schärfen noch glamourös, noch global. Trotzdem glaubt Gregor, dass sich können, ist kein Geheimnis (siehe Portrait auf Seite 15). Auf den daraus ein hervorragendes Videogame machen lässt, weil es alles Geschmack, daraus einen Wettbewerb zu machen, muss man sie vereint, was Videospiele ausmacht: Tempo, Action und Taktik. Vor wohl noch bringen. So wie sich auch bei den Historikern erst noch allem aber hat der Sport das, was nur Spiele vereinen können: Fans! durchsetzen muss, dass Tagebücher fälschen nicht nur eine UnverRojas Robotern ist das jubelnde Publikum egal. Anders den beiden schämtheit, sondern auch eine intellektuelle Herausforderung und Unternehmern: Sie pflegen täglich online mit ihrer Handballfangehervorragende historische Übung ist. meinde Kontakt, ihrer zukünftigen Kundschaft. Interessant ist, dass Professoren wie Rojas oder Cameron die ideologisch bequeme Trennung von Wissenschaft, Wirtschaft und sozialer Verantwortung munter durcheinander bringen. Cameron macht sich für »Social Entrepreneurship« stark, also der Idee, soziale Projekte durch unternehmerische Methoden und marktwirtschaftliche Instrumente nachhaltig zu machen. Rojas motiviert Tin Fischer studiert Nordamerikanische Geschichte seine Informatikstudenten stets dazu, ihre Ideen in Produkte um-
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Titelthema: Unternehmer
Die Unergründlichen Die Freie Universität will ihre Studenten zum Gründen bewegen. Sie hilft beim Verfassen von Business-Plänen und gibt Marketing-Seminare. Die Studenten sind abgeschreckt. Sie brauchen keine Betriebswirtschaftslehre, sondern eine andere Mentalität, meint Laurence Thio.
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eider ausgeliehen! Martin Fröhlich sitzt in der Bibliothek und schreibt an seiner Abschlussarbeit. Er benötigt Fachbücher, doch sie sind nicht verfügbar. Sein Kommilitone Felix Hofmann hat ebenfalls Ärger mit den Büchern. Er bezahlt am Flughafen ständig Gepäckzuschlag, weil die Literatur für die Uni zu schwer ist. Zurück in Deutschland gründen beide PaperC, eine Online-Plattform, die Fachbücher jederzeit zugänglich macht. Gründer sind in Deutschland rar, studentische ganz besonders. Eine Studie der Universität St. Gallen misst die »unternehmerische Kraft« der Studierenden im internationalen Vergleich. Deutschland belegt regelmäßig den letzten Platz. Schlipsträger schrecken ab
Profund möchte das ändern. Die Gründerförderung der FU hält Weiterbildungsangebote bereit, richtet Wettbewerbe aus und stellt Büroräume und Kontakte zur Verfügung. Einmal im Jahr gibt Profund eine PR-Broschüre heraus. Das häufigste Motiv: Grinsende Studenten an Konferenztischen. Das Vokabular und die Schlipsträger können abschreckend wirken: »Ich fürchte, dass ich bei Profund BWL lernen soll«, sagt Phillip, Biologiestudent im 6. Semester. Désirée, Literaturstudentin, pflichtet bei: »Ein Unternehmen zu gründen, ist das Letzte was ich mir vorstellen kann«. Profund hat 123 Erstberatungen für Gründungsinteressierte im Jahr 2008 durchgeführt. Die FU hat insgesamt über 31 000 Studierende. Mit einer Unternehmerkultur ist es in Deutschland nicht weit her. Der Global Entrepreneur Monitor von 2006 vergleicht international die Gründungsaktivität. Deutschland rangiert auf Platz 34 von 42. Das Image der Unternehmensgründer ist belastet, oft werden sie mit raffgierigen Managern gleich gesetzt. Hinzu kommt das ungefähr 80 Prozent aller Gründungen in Deutschland nach fünf Jahren wieder vom Markt verschwunden sind. Nach einer Stu-
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die der Uni St. Gallen streben mehr als 72 Prozent der deutschen Studierenden eine Erwerbstätigkeit im Angestelltenverhältnis an. Der Witz: So viele Angestellte braucht es in Zukunft überhaupt nicht. Dabei gilt die Infrastruktur für Gründer in der Bundesrepublik als ausgezeichnet. Vielleicht ist das gerade der deutsche Denkfehler: Gründungen und Innovationen lassen sich nicht von oben verordnen. Gründertum erfordert eine andere Mentalität. »Das ist wie iTunes für Fachtexte!«
»Es gibt einfach zu wenige Leute, die etwas riskieren«, sagt Martin Fröhlich von PaperC. Fröhlich ist hochgewachsen, trägt einen graukarierten Anzug, eine große Hornbrille und hat die blonden Haare zum Zopf gebunden. Er stammt aus Sachsen und war einige Zeit Deutschrock-Musiker. Sein Partner Felix Hofmann hat Technologiemanagement studiert und entwickelte Brettspiele für Ravensburger. Hofmann, der Stratege und Fröhlich, der umtriebige Kreative, haben sich an der Hochschule für Recht und Wirtschaft in Berlin kennen gelernt. Fröhlich präsentiert PaperC an seinem Notebook. Er kann sich selbst kaum halten: »Das ist wie iTunes für Fachtexte!« Viele seiner Sätze beendet er mit einer Frage, die sich mehr nach einer Feststellung anhört: »Geil, oder?« PaperC ist eine Internetplattform auf der wissenschaftliche Fachtexte kostenlos gelesen werden können. Ganze Bücher stehen im pdf-Format online. Per Volltext-Suche lassen sich die Bücher nach Schlagworten durchsuchen. Möchte der Nutzer den Text online bearbeiten, Textstellen markieren, Notizen an den Rand schreiben und Zitate kopieren, kann er die Seite für fünf Cent kaufen. Die Idee von PaperC ist simpel, aber sie könnte das Verlagswesen komplett umkrempeln. Schnelle Millionen mit Fachbüchern?
Wenn die Verlage etwas wie die Pest hassen, dann dass ihre Bücher kostenlos
ins Netz gestellt werden. Doch den Verlagen fehlt für das digitale Zeitalter ein Geschäftsmodell. Das Interesse an PaperC ist dementsprechend groß. Sie sind bei der renommierten Oxford University Press eingeladen. Der Holtzbrink-Verlag, der bereits StudiVZ erwarb, hat bereits einen Kauf angeboten. Fröhlich ist optimistisch: »Wenn wir richtig verhandeln, könnten Millionen zusammen kommen. Das geht sehr schnell«. Das Ziel ist es allerdings verlagsunabhängig zu bleiben. Zurzeit kooperieren Springer, Gabler, UTB und Pearson mit PaperC. Fachlich liegt der Schwerpunkt auf Wirtschaft, Recht und Informatik - Medizin und Geisteswissenschaften sollen in Kürze folgen. Über 1000 Buchtitel sind bereits online, ab Juni soll die Zahl verdreifacht werden. Einer, der sofort an die Idee von PaperC glaubte, war Professor Günter Faltin. Faltin ist Leiter des Arbeitsbereich Entrepreneurship an der FU und nach eigenen Angaben der größte Versandhändler von DarjeelingTee in Deutschland. Sein Erfolg als Unternehmer geht auf die »Tee-Kampagne«, einem ehemaligen Uniprojekt, zurück. Seitdem hat Faltin viele Ausgründungen von FU-Studenten begleitet. Er ist vehementer Vertreter einer neuen Unternehmerkultur. Faltins Standpunkt: Das Gründerbild in unserer Gesellschaft ist überholt. »Wir müssen lernen Entrepreneurship von Business Administration zu unterscheiden!«, sagt Faltin. Das heißt beim Gründen geht es längst nicht um BWL-Kenntnisse und Kapital. Wichtiger ist die Entwicklung tragfähiger, unkonventioneller Ideenkonzepte. »Genau das kommt in den gängigen Gründungsberatungen in Deutschland zu kurz«, so Faltin. Sein Ansatz wirbt dafür, dass mehr Menschen gründen. Ein Gründer muss kein Alleskönner sein. Er kann ein schlechter Manager sein oder nichts von Marketing verstehen. Er muss diese Arbeitsbereiche nur von jemandem erledigen lassen, der sie
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Titelthema: Unternehmer
Dahlem Dorf: Unternehmertum im Kleinen. Illustration: Michi Schneider
beherrscht. »Ein Gründer kann am Laptop sitzen und braucht nur einzelne Komponenten seines Unternehmens zu koordinieren«, sagt Faltin. Durch das Internet und verschiedene Dienstleister im Netz haben sich die Voraussetzungen zum Gründen merklich vereinfacht. Für den Gründer bleibt genug Raum an seiner Idee zu arbeiten und den Horizont nicht aus dem Blick zu verlieren. Gerade gründungsferne Schichten, also Sozial- und Geisteswissenschaftler, profitieren von dieser Art des Gründens. Wenn sie kein BWL können, dann sollten sie sich jemanden dafür suchen. Bisher ist das allerdings bei den wenigsten Studierenden angekommen. Es gibt grundsätzliche Gründungshindernisse: Die FU wünscht sich eine neue Unternehmerkultur. Die entwickelt sich nicht über Nacht. Umgang mit Unsicherheit, Risikofreude und Unabhängigkeit stehen auf keinem Lehrplan – Hochschulbürokratie und Bachelorsystem führen zu einer Kultur der Unselbständigkeit. Noch ein Hindernis ist die Berührungsangst zwischen Wissenschaft und Wirtschaft. Während Ingenieurwissenschaften, Chemie und Informatik als verwertungsorientierte Studiengänge gelten,
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haben Geisteswissenschaftler den Kleinunternehmer nicht auf dem Karriereplan. Das ist wesentlich für eine geisteswissenschaftlich geprägte Universität wie die FU. Bei den Ausgründungen, die Profund fördert und auf ihrer Website vorstellt, war in den letzten drei Jahren nur eine aus den Kulturwissenschaften. Profunde Probleme
Profund möchte gerne alle Studierenden ansprechen, schafft es aber nicht. Die Interessen der Studierenden unterscheiden sich zu stark. Aber auch Gründungswillige sind von Profund nicht überzeugt. »Ich hatte das Gefühl, dass die Universität die Studienorganisation nur schwerlich in den Griff bekommt. Wie soll sie dann erst dazu fähig sein, einer jungen dynamischen Idee auf die Sprünge zu helfen?«, fragt Christoph Fahle. Er hat kurz nach seinem Studium das Betahaus mitbegründet. Das Betahaus vermietet Schreibtischplätze in einem Loft in Kreuzberg an Freiberufler. Das zieht vor allem Leute aus der Berliner Kreativwirtschaft an und schafft Netzwerke und Synergie-Effekte. Die deutschen Medien betrachteten das Betahaus als soziale Innovation. Laurence Thio studiert Politikwissenschaft
Eine Gründungsförderung, die es anders als Profund machen möchte, ist »Creare! Start Up«. Das Programm richtet sich insbesondere an Geistes- und Sozialwissenschaftler. Wie versucht Creare die Studenten zu erreichen? »Wir wollen keinen besonders starken Bezug zur Hochschule«, sagt die Projektleiterin Ines Robbers. Bei Creare arbeitet man mit speziellen Methoden: Geschäftsideen werden auf Bierdeckeln notiert. Statt einem Businessplan wird ein Gründertagebuch geführt, »denn eine Gründung ist wie eine Abenteuerreise«, so Robbers. Für diese Reise stehen die Studenten allerdings nicht Schlange, auch nicht bei Creare, räumt Robbers ein. Dabei gehe es nicht einmal darum, erfolgreich zu gründen. Es geht darum, das Gründen auszuprobieren. Ines Robbers sagt: »Die Studenten brauchen die Bereitschaft zu scheitern und daraus zu lernen.« Martin Fröhlich will noch nicht sagen wie es weitergeht: »PaperC ist erst der Anfang!« Fröhlich schaut vielsagend. Egal ob sich PaperC letztlich als die Plattform für Fachbücher etablieren wird oder wieder in der Versenkung verschwindet. Eines bleibt Fröhlich und Hofmann: der Mut, etwas zu unternehmen.
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Titelthema: Unternehmer
Die Drama queen Seit ihrer Gründung schlittert die Freie Universität von Krise zu Krise. In allgemeinen Krisenzeiten ist diese Erfahrung ein Vorteil. Kann ihn die FU nutzen? Claudia Schumacher geht dem geschüttelten Unternehmen FU auf den Grund.
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igentlich kennt die Freie Universität nichts anderes als Krisen und Katastrophen. Mal wieder steht sie vor massiven Kürzungen. Mal wieder ist sie bedroht. Mal wieder wird sie sich verteidigen müssen. Auf die Frage, ob die Krise der FU positive Gestaltungsmöglichkeiten lässt, beginnt Präsident Lenzen vom historischen Kampfgeist und Zusammenhalt der FU zu schwärmen: »Dieser Spirit ist charakteristisch für diese Gründeruniversität, die immer in Krisen gesteckt hat.« Wie hart uns die Finanzkrise wirklich treffen wird, sei momentan noch nicht abzusehen. »Aber ich glaube«, so Lenzen, »dass diese Universität besser als manch andere aufgrund ihres beschworenen Spirits in der Lage ist, eine Krise zu bewältigen.«
Schon die Geburt der Freien Universität in den 40ern war ein Notfall. Studenten aus Westberlin konnten an der HU nicht mehr frei studieren, als Gegengründung entstand die FU. Nach den Studentenunruhen war sie in den 70ern heillos zerstritten, in den 80ern kläglichst verwahrlost und nach der Wende pleite. Doch wer gelernt hat, Konflikte zu führen, ist flexibler als andere. Erfahrung macht gelassen. Aber kann die FU im Kampf gegen die Finanzkrise tatsächlich von ihrer Erfahrung profitieren? Lenzens »Spirit« wirft einige Fragen auf. Kampfgeist? Ja. Den kennt man als FU-Student. Etwa gegen Bologna, gegen die Diskriminierung von Frauen oder gegen Studiengebühren. Aber Zusammenhalt? Der ist nun wirklich nicht das erste,
was einem zur FU-Geschichte in den Sinn kommt. Protest mit dem Messer
Seit 1965 war die FU über Jahre hinweg gespalten. Während der Studentenbewegung lag die Kommunikation innerhalb der Universität brach. Von Zusammenhalt war damals keine Spur. Als die Studenten an der FU den Protest ausriefen, richteten sie sich zunächst gegen die undurchsichtige Herrschaft der Professoren in der Ordinarienuniversität. Auf Druck der Studenten kam es 1969 zur Reform: Das Präsidentenamt wurde eingeführt und den Studenten wurde eine starke Mitbestimmung eingeräumt. Entgegen den Ordinarien, die den Dialog mit den Studenten gescheut hatten, sah
Knapp bei Kasse: Die FU hat Geldsorgen. Macht nichts, solange der »Spirit« stimmt. Illustration: Michi Schneider
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Titelthema: Unternehmer
der erste FU-Präsident Rolf Kreibich seine Hauptaufgabe in der Kommunikation. »Ich wollte alle Konflikte im Gespräch lösen und zwischen Professoren und Studenten vermitteln«, gibt Kreibich seine Idee von Krisenmanagement wieder. »Das hatte ich mir allerdings einfacher vorgestellt«. Die Empörung, die seine eigene Person auslöste, habe er unterschätzt. Kreibich war in der Rolle des Präsidenten als SPD-Mitglied und 31-jähriger Soziologieassistent ohne Promotion eine satte Sensation. Die weitaus ältere und konservative Professorenschaft war schockiert. Auch für die Presse war der Jungspunt mit dem energischen Auftreten ein »verkappter Kommunist«. Passend zur Hysterie der Zeit, war Kreibich einigen Studenten zu konservativ. Wenn der heute 73-jährige Kreibich erzählt, scheint es, als lägen keine drei Tage zwischen damals und heute. »Dreimal haben Studenten versucht, mir an die Gurgel zu gehen. Einmal sogar mit einem Messer!«, ruft er ungläubig aus und schlägt die Hände ans Knie. »Ohne die Geistesgegenwart meiner Mitarbeiter, säße ich jetzt wohl nicht so vor Ihnen.« Die Fronten waren verhärtet. Trotz Kreibichs Bemühungen kam kein Gesprächsklima zu Stande, aus dem ein Gefühl von Zusammengehörigkeit hätte wachsen können. Auch in den Folgejahren war die Universität zerrissen. Sie entwickelte sich zur Massenuniversität, in der gemeinsame Interessen immer unwahrscheinlicher wurden. Die FU verkam zur »Schmuddeluni«, an der eigentlich keiner arbeiten wollte. Zusammen erst Recht nicht. Präsident bittet zum Streik
Das, was Lenzen »Spirit« nennt, entstand erst in den 1990ern. Nach der Wende bot sich der Berliner Politik die Möglichkeit, die renitente Massenuni am Rande Berlins loszuwerden. Kein Geld, aber zwei Universitäten mit gleicher Fächerstruktur? Der Senat drehte der FU den Hahn ab. Die traditionsreiche Humboldt Universität wurde ausgebaut. Dass die FU diese Krise überlebte, ist eine Leistung. Dass sie gestärkt aus ihr hervor ging, ein Lehrstück. Regie führte der Jurist Johann Wilhelm Gerlach. Beim Besuch im juristischen Institut in der Boltzmannstraße wird schnell klar, mit welchen Qualitäten der Professor in den 1990ern als FU-Präsident Erfolg hatte: Bedachtheit und Entgegenkommen. Als erstes bittet er um eine Bedenkminute, um sich die Vergangenheit wieder Furios 02/2009
präsent zu machen. »Der Senat warb Professoren von der FU an die HU«, erzählt er. »Die HU sollte auf unsere Kosten zur Eliteuniversität ausgebaut werden.« Da habe er den Entschluss gefasst: »Weniger kann auch mehr sein.« So indifferent diese Losung klingt, Gerlach machte sie konkret. Paradoxerweise hatten die schlimmsten Kürzungen in der Geschichte der FU einige positive Effekte. Die Massenuniversität wurde um 10 000 Studenten leichter. Durch obligatorische Beratungen gingen die Studenten ab, die nur noch der Vergünstigungen wegen studierten. Die NCs wurden gehoben. Die FU bekam bessere Studenten. Auch die Kürzungen im wissenschaftlichen Bereich bewertet Gerlach mit Blick auf die frühen 90er positiv: »Ich denke, wir haben damals den Grundstein zur Exzellenz gelegt. Für was braucht man etwa 60 mittelmäßige Politik-Professoren, wenn man 20 erstklassige haben kann?« Die FU zeigte sich in dieser Zeit sehr kooperativ. »Irgendwann kommt aber der Punkt, an dem Kürzungen einfach nur noch Qualität zerstören.« Als der Senat den Sparterror 1996 auf die Spitze trieb, tat Gerlach etwas Ungewöhnliches. Der Senat verordnete der FU 50 Millionen DM Einsparungen bis Ende des Jahres. Die Studenten kochten. Und ihr Präsident rief die Berliner Hochschulen zum geschlossenen Streik auf. »Bei Finanzierungsplanungen kann doch keiner mehr behaupten, es ginge sachlich zu!«, ärgert sich Gerlach noch rückblickend, »Was sein muss, geht auch. Wer sich durchsetzt, der bekommt auch.« In der Folge kam es zu zahlreichen studentischen Protesten. Darüberhinaus klagte die FU gegen die Bestimmungen des Senats. Die Einstellung der FU, zu kooperieren so weit es Sinn macht und sich darüberhinaus nichts bieten zu lassen, brachte ihr vor allem einen klaren Fortschritt: 1997 wurden die Hochschulvertragsverhandlungen eingeführt. Seitdem wird der Haushalt für mehrere Jahre mit dem Senat verbindlich verhandelt. Bis heute hat die FU dadurch eine gewisse Planungssicherheit. Lenzen entgeistert?
Nun will der Senat der FU diese Sicherheit wieder nehmen. Eine neue Krise kündigt sich an. Das Präsidium wehrt sich. Ist der »Spirit«, den Lenzen ins Feld führen möchte, mehr als ein blasser Geist der Vergangenheit? »Ein gemeinsames Bewusstsein an einer so großen Universität wie der FU funktioniert nicht einfach so«, hebt Gerlach das eigene Engagement hervor. »Ich hatte damals eine wöchentliche Sprechstunde.
Es ist besonders in schweren Zeiten wichtig, dass die Kommunikation in alle Richtungen offen und stark ist.« Daher konnte Gerlach zum gemeinsamen Streik rufen und die Studenten gingen auf die Straße. Die Öffentlichkeit sympathisierte mit der gebeutelten Universität und die Presse übte Druck auf den Senat aus. Der gemeinsame Kampfgeist will allerdings gepflegt werden. In der Kommunikation ist Lenzen selbst der Geist. Als Student liest man von ihm in der Zeitung. Medienpräsent ist er, aber auf dem Campus zeigt er sich nicht. Die neuen Videobotschaften auf der FU-Webseite stärken nur den Eindruck campusferner Kommunikation. Lenzen hat die Arbeit seiner Vorgänger weitergeführt und die FU effizient gemacht. Sie ist wieder wettbewerbsfähig und hat keine Kürzungen, sondern Investitionen verdient. Eine weitere Diät wird ihr nur schaden. Aber eines ist gewiss: Wenn Lenzen via Video zum Streik riefe, blieben die Straßen leer. So ein »Spirit« lässt sich nicht aus dem Nichts heraufbeschwören. Will Lenzen wirklich auf Zusammenhalt setzen, muss er den Kontakt zu den Studenten stärken. Oder er ruft sich andere Geister.
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Die FU in der Krise – Die Fakten Der Senat will das Budget der Berliner Hochschulen nicht erhöhen. Ein Plus von 15 Prozent wäre für die FU notwendig, um den momentanen Stand bei wachsenden Aufgaben und Kosten zu erhalten. Präsident Lenzen spricht vom Verlust zweier Fachbereiche, sollte der Senat nicht nachgeben. Aus Protest haben die Berliner Hochschulen die Verhandlungen mit dem Senat im März offiziell unterbrochen. Die Beschäftigten der FU appellierten in einer einstimmig verabschiedeten Resolution an den Senat. Sie fürchten um ihren Arbeitsplatz. Bildungssenator Zöllner verweigert nicht nur die nötige Budgeterhöhung, sondern stellt sich grundsätzlich gegen die Planungssicherheit und Autonomie der Berliner Hochschulen. Mit einem »Preismodell« soll künftig nur ein Drittel des Etats verbindlich geregelt werden. Weitere Mittel sollen die Hochschulen einzeln nach Verwendungszweck beim Senat erkämpfen. Claudia Schumacher studiert Literaturwissenschaft 13
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* 40 000 Menschen sind an dieser Universität. 4 von ihnen sind hier. Notiert von Keren Kashi, Marlene Göring und Tin fischer Fotos: Cora-Mae Gregorschewski
Lisa geht. Lisa, 26, möchte irgendwann sesshaft werden. Nach zwei Semestern Ethnologiestudium in Heidelberg bin ich an die FU gewechselt. Seitdem war ich in London, Vietnam, China, Island und jetzt wieder in Berlin. Im Herbst gehe ich nach Singapur. Ich habe selten irgendwo länger als 6 Monate gewohnt. Bereits nach dem Abi habe ich eine Weltreise gemacht, ein Jahr fast. Ich fand es spannend, andere Länder kennen zu lernen und in andere Realitäten einzutauchen. Dabei habe ich gemerkt, dass ich mich genau damit beschäftigen möchte. Deshalb Ethnologie. In Shanghai habe ich meine Forschungsarbeit geschrieben, über unabhängige Filmemacher. Das war nicht immer einfach. Klar war ich erstmal die Fremde, die Forscherin, die hier irgendwas wissen will. Außerdem siehst du fremd aus und bist selbst nie ganz unbeobachtet. Deshalb ist es wichtig, den eigenen Einfluss auf das Geschehen zu reflektieren. Ich denke, das hat die Ethnologie anderen Wissenschaften voraus: den Prozess der Forschung immer zu hinterfragen. Eine subjektive Stimme kann dann viel mehr sagen als Statistiken. Irgendwann möchte ich gerne sesshaft werden und ein Zuhause haben. Aber ich habe meine Zweifel, dass ich dafür die Ruhe finden werde. Im Grunde ist das ganze Leben eine Reise, vielleicht erreicht man diesen Ort, vielleicht nicht.
Uli kopiert. Uli, 32, druckt tagsüber und studiert abends fern. Häufig kommen Leute panisch mit ihrem Speicherstick rein, die Nacht durchgearbeitet: »Hey, mach das bitte für mich! Mach, dass es schön aussieht! Mach, dass es ordentlich aussieht und dass ich das abgeben kann!«. Wir drucken dann ganz schnell Abschlussarbeiten und binden sie. Das mag ich gern, weil ich den Stress aus eigener Erfahrung auch kenne. Ich hab in Leipzig studiert und einen Magisterabschluss in Religionswissenschaft und Ethnologie gemacht. Ich wollte was ganz Exotisches ausprobieren. Das hat mir auch großen Spaß gemacht. Da ich an der Universität nicht andocken konnte, hab ich mich nach anderen Tätigkeiten umgeschaut, um Geld zu verdienen. Seit anderthalb Jahren arbeite ich im Copyshop bei Alpha. Was ich, neben den Arbeitskollegen, ganz toll finde, ist dass man aus der hektischen, stinkenden Großstadt hier im Grünen aussteigt, durchatmet und vor dem Job nochmal auftanken kann. Wenn ich hier nach fünf Stunden fertig bin, hole ich meine Tochter vom Kindergarten ab und wir verbringen den Nachmittag zusammen. Abends setze ich mich dann an den Schreibtisch und arbeite für mein Fernstudium in Wirtschaftsinformatik.
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Conni kassiert. Einige Studenten kennt sie seit 25 Jahren. Die Arbeit macht Spaß! Die Kollegen sind alle sehr nett, sind ja fast alle die, die schon von Anfang an dabei war’n. Die Studenten ham sich nicht groß verändert, sind freundlich und nett. Gibt sogar noch welche, die kenn ich, die studieren schon 25 Jahre, weeß nicht, wat die studieren. Ich komme aus Berlin-Zehlendorf, bin hier geboren, aufgewachsen, nie weggezogen, ’ne waschechte Berlinerin. Ich habe einen Garten und eine Katze, das sind meine Hobbys. Ich fahr auch gerne Fahrrad, aber das hängt immer von der Lust ab, nicht vom Wetter. Verreisen tu ich sehr gerne. Ägypten ist mein absolutes Traumland, da war ich schon ’n paar Mal. Freuen tut uns natürlich besonders, wennse kommen und sagen, »Sie sind aber heute nett!« oder »Oh, ham Sie ne neue Frisur?«, also so’n bisschen das Persönliche. Da geht man schon viel besser an die Arbeit ran. Viele treff ich auch einfach so auf der Straße: »Hallo, sind Sie nich...?« - »Jaja, jaja!«, also sowas is dann immer schön, wa? Überhaupt nicht mag ich unfreundliche Leute. Manche sauigeln auch ganz schön rum. Das ist das Einzige, was also wirklich verbesserungswürdig wäre. Und dass se eben auch drauf achten, dass ihre Karten immer aufgeladen sind, nicht erst anne Kasse kommen, Tablett voll und denn: »Hab nur 50 Cent.«
Simon handelt. Simon, 28, lebt von Kunstgeschichte. Ich wollte Kunstgeschichte studieren, um mich mit schönen Dingen zu beschäftigen und damit Geld zu verdienen. Also hatte ich von meinem ersten HiWi-Lohn eine Kiste Schmuck bei ebay gekauft, 321 Euro. Meine Freunde haben mich natürlich ausgelacht, meine Mutter machte sich Sorgen. Als ich nach einem Tag auf dem Antikmarkt das Doppelte eingespielt hatte und die Kiste noch immer halb voll war, lachte keiner mehr. Mich interessieren vor allem die Geschichten hinter den Stücken. Einmal kam ein junges Pärchen, das von einer Tante einen Gefrierbeutel voller Schmuck geerbt hatte: «Ist nichts Tolles dabei, oder?» Ich schaute es mir an: alles handgeschmiedet, mit echten Steinen und aus hochwertigem Gold! Der Beutel war zusammen mit Liebesbriefen in einem Bankschließfach. Die Tante hatte einen Liebhaber. Den Schmuck hatte sie nie getragen. Auf dem Markt mache ich manche Schnäppchen nur, weil ich so lang studiert hab. Ein erfahrener Händler wollte mir neulich Holzschnitte verkaufen, »mindestens 100 Jahre alt! «. Ich sah sie und dachte: ne, mindestens 400. Ich zahlte 20 Euro. Und tatsächlich: Rom, 1603! Da geht es dann nicht mehr um Profit. Da freut sich einfach mein kleines Sammlerherz. Nach dem Abschluss will ich einen ziemlich teuren Studiengang bei Christie’s oder Sotheby’s absolvieren. Mit etwas Glück kann ich das mit den Trouvaillen vom Flohmarkt finanzieren. Furios 02/2009
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Campus
Strahlend grĂźn? Die FU gilt als eine der energieeffizientesten Hochschulen Deutschlands. Zu tun gibt es trotzdem noch vieles. Was? Christian WĂśllecke und felix Moniac haben nachgeforscht. Foto: Cora-Mae Gregorschewski
Leuchtendes Vorbild in Sachen Umweltschutz? Die Rostlaube an der Habelschwerdter Allee.
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Campus
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ilberlaube, Mensa II, 12:17 Uhr. Studentin Pia steht unter Zeitdruck. Eilig hetzt sie zum Getränkeautomaten und nimmt sich zwei Pappbecher gegen die unerträgliche Hitze ihres Tees. Im Seminarraum rennt sie gegen eine Wand aus heißer verbrauchter Luft. »Ist das miefig hier! « Ganz Gentleman, kippt Peter die Fenster an, denn für ein optimales Raumklima sorgen nur geöffnete Fenster und Heizungsthermostate. Später holt Klaus die beiden zum Mittagessen ab. Peter verschwindet noch schnell in die Toilette. Immerhin, das Licht brennt schon. Draußen hört er Pia lachen. Hektisch rupft er einen Knüll Papier aus dem Spender. In der Mensa trennen sich die Wege. Erst hinter den Kassen findet man wieder zusammen. Klaus gluckst: »Hier, ich hab Servietten für euch mitgebracht.« Wie aber staunt er, als sich auf allen drei Tabletts schon riesige Stapel türmen. Wer begeht sie nicht, diese kleinen ökologischen Alltagssünden? Doch rechnet man den Einzelfall hoch, wird das Ausmaß der Verschwendung deutlich. Beispiel Pappbecher: Sie bestehen aus Hartpapier und sind in der Produktion sehr energieintensiv. Damit sie Wasser abweisen, sind sie von innen zusätzlich mit dem Kunststoff Polyethylen beschichtet. Dazu kommt der Plastikdeckel. Jährlich werden laut Studentenwerk circa 300.000 Pappbecher an der FU verbraucht, 1,2 Millionen sind es in Berlin insgesamt – Müll, der sich nicht recyceln lässt. Bonusprogramm für Sparer
Seit 2005 ist die FU nach der Umweltnorm DIN EN ISO 14001 zertifiziert. Zunächst bezog sich diese auf die Gebäude der zentralen Universitätsverwaltung, das Präsidium und einige Fachbereiche. Seit 2007 ist es die ganze Universität. Wichtige Voraussetzung dafür war, dass Umweltteams in den Fachbereichen eingesetzt wurden. Sie überwachen die Einhaltung ökologischer Standards und unterbreiten Vorschläge für weitere Energieeinsparungen. Schon jetzt konnte der Energieverbrauch insgesamt stark reduziert werden, wenn er auch in der EDV angestiegen ist. Ein Bonusprogramm soll weitere Sparanreize schaffen: Der Fachbereich, der seinen Verbrauch unter die Vorgabe der Universitätsleitung senkt, er-
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hält eine finanzielle Prämie. Wer darüber liegt, muss die Kosten selber tragen. Insgesamt verbrauchte die Universität 2008 22,4% weniger Energie als im Jahr 2000. Eine »grüne Oase«, wie es das hauseigenene Magazin »campus.leben« formuliert hat, ist die FU dennoch nicht. Es gibt bislang keine konsequente Mülltrennung, lediglich ein Konzept liegt vor, welches ab Herbst 2009 umgesetzt werden soll. Auch die Gebäudeisolierung ist nicht überall auf dem neuesten Stand. Viele Bauten aus den 70er Jahren entsprechen nicht mehr dem neuesten Dämmstandard. Erst ein Teil wurde bisher renoviert. Der Rest steht noch aus und ist für einen weiterhin hohen Energieverbrauch mitverantwortlich. Passive Studenten
Es gibt also Handlungsbedarf. Zwei große studentische Initiativen sorgen bereits mit konkreten Maßnahmen für mehr Umweltschutz. »Studieren-ohne-Kohle« sammelte Unterschriften für Ökostrom an den Berliner Universitäten. »UniSolar« zielt auf eine Win-Win-Situation für Studenten, Universität und Umwelt: Beteiligt man sich finanziell am Bau einer Photovoltaik-Anlage auf dem Campus, erhält man laut Initiatoren einen Zinssatz von jährlich vier Prozent. Bei viel Sonnenschein wären es gar sechs. Speziell an der FU aktiv ist die »studentische Unienergieeffizienzgruppe«, hervorgegangen aus »UniSolar«. Seit April prüft sie in der Politik- und Rechtswissenschaft mögliche Energiesparmaßnahmen. Ein Umweltreferat des AStA, wie an HU und TU, gibt es hingegen nicht. Im StuPa-Wahlkampf präsentierten sich nur die »Grüne Alternative« und die »Grüne Hochschulgruppe« als Umweltlisten. Über die erste ist außer Tarnlistengerüchten nichts zu erfahren. Letztere, erst kürzlich zur stärksten Fraktion im StuPa gewählt, arbeitet mit dem Studentenwerk zusammen und setzt sich im Qualitätszirkel Mensa für regionale Zutaten ein, um lange Transportwege zu vermeiden. Dass es darüber hinaus noch an Ideen fehlt, zeigt sich in ihrer pünktlich zum
Semesterbeginn erschienenen Zeitung. Gezielte Kritik am Umweltgebaren der FU sucht man dort vergebens. Insgesamt ergibt sich ein ernüchterndes Bild: Das sonst übliche studentische Engagement hält sich beim Thema Umwelt in Grenzen. Dabei erklärt Andreas Wanke der Energiebeauftragte der FU: »Studentische Beteiligung ist immer erwünscht.« Verwunderlich, dass sich der AStA noch nie bei ihm gemeldet hat. Mehr Eigenverantwortung
Generell soll in Einführungsveranstaltungen zukünftig darauf hingewiesen werden, wie wichtig studentische Eigenverantwortlichkeit ist. Sie äußert sich beispielsweise im Ausschalten des Lichts nach Seminarende oder des PCs bei Nichtbenutzung. Wanke wünscht sich, dass dies von Studenten auch so kommuniziert werde. Und Pia, Klaus und Peter? Die sitzen mit Kaffee im Foyer, den sie diesmal aus Keramiktassen trinken. Was aber ökologischer ist, die Tasse, die regelmäßig gespült werden muss oder der umweltschädliche Pappbecher, der natürliche Ressourcen verbraucht, ist schwer zu ermitteln. Zumindest aber das Licht in der Toilette lässt aus ökologischer Perspektive keinen Raum für Diskussionen.
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Christian Wöllecke studiert Literaturwissenschaft, Felix Moniac studiert Germanistik
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Forschungsfragen
Forschungsfragen an das
Dahlem-Brain Zusammengestellt und beantwortet von Felix Moniac und Sophie Jankowski
»
Liebe Furios. Im Sommer liege ich in meinen Lernpausen hinter der Silberlaube im Gras. Da ist ein vergitterter Kasten, der knackende Geräusche von sich gibt. Was ist das? Ist es gefährlich Maria, Anglistik im Dritten
?«
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Liebe Maria, wir haben für dich recherchiert und sind dabei selbst beunruhigt worden.Um das Innere des Kastens ranken sich viele Gerüchte. So lässt all das Knacken etwa den Schluss zu, dass vielleicht ein moderner Frankenstein im Inneren eine neue Art Eliteprofessoren züchtet. Auf die Frage an zwei FUAngehörige, was sich denn in dem Kasten verberge, erhielten wir eine sehr ruppige Antwort: »Dit hier is’ die Silberlaube, und allet, wat dahinter is, jeht die Studenten nüscht an!« Ob es Dieter Lenzens Geheimquartier sei? »Keen Kommentar.« Fest steht, dass der Kasten nach dem Prinzip des Faradayischen Käfigs funktioniert, das sich die abschirmende Wirkung eines geschlossenen Metallkörpers zunutze macht. So werden Schmusestunden im Auto bei Gewitter erst romantisch! Benannt wurde er übrigens nach dem Physiker Michael… Na?! Der beschwichtigenden Kollege lüftet das Geheimnis um den Kasten dann doch noch. Es handle sich nur um die FU-eigene Transformatorenanlage, erklärt er. Alles also gar nicht so my210x148,5 11:25 Uhr steriös.14.05.2009 Und gefährlich erstSeite recht1 nicht.
» Salut Furios. Ich frage mich, warum sich die Gänge in der rostigen Laube in Berge und Täler verwandeln. Liegt es daran, dass die Allemands so begeisterte Wanderer sind Amicalement, Roger (aus Frankreich)
?«
Lieber Roger, das Architektenbüro Candilis-Josic-Woods hat im Jahre 1963 mit dem Entwurf für die Rostlaube den Wettbewerb zum Bau des neuen Hauptgebäudes der FU gewonnen. Sie gehörten zum »Team 10«, einer Gruppe junger Architekten, die den Strukturalismus in der Architektur – die Einteilung nach Funktionen – entwickelten. Dabei sollte die »Ästhetik der Anzahl« den Strukturen von Zellgeweben ähneln. Vorbild für den Entwurf der Rostlaube war eine arabische Zitadelle, deren lebendige Struktur die Studenten in ständiger Bewegung und Kommunikation halten sollte. Per aspera ad astra. Ob die unterschiedlichen Höhenlagen der Flure nun mit der lebendigen Zellstruktur oder dem Erklimmen einer Zitadelle zu begründen sind, ist aber ungeklärt. AUCH FRAGEN? SChREIB SIe AN: FORSCHUNG@FURIOS-CAMPUS.DE!
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Rezensionsreportage
Sascha, Kristin und Rafael (v. l. n. r.) von » Margins« suchen noch nach dem richtigen Vertriebsweg. Foto: Cora-Mae Gregorschewski
Studenten unter Druck Auch Studenten publizieren. Wie das geht und was das bringt? Viola Köster hat nachgefragt. »Margins-Plattform« versteht sich als Grenzgebiet der gängigen Wissenschaftspraxis. Der Name ist Programm: »Margins« steht für die Marginalisierten, die Studenten im professoral dominierten Forschungsbetrieb. »Plattform« signalisiert, dass es sich hier nicht um eine konventionelle Tagung handelt. Vor zwei Jahren beschlossen die Studenten Kristin Flade, Rafael Ugarte Chacon und Sascha Förster, eine wissenschaftliche Tagungen nach eigenen Vorstellungen zu organisieren und deren Ergebnisse zu publizieren. Im Januar dieses Jahres hat sie bereits zum zweiten Mal am Institut für Theaterwissenschaft statt gefunden. Unter dem Titel »Paradiesische Zustände« tauschte man sich ein Wochenende lang über unterschiedliche Vorstellungen von »Paradies« in Kunst und Wissenschaft aus, allerdings in ungezwungener und entspannter Atmosphäre. »Wissenschaftliche Forschung darf nicht nur einem kleinen Kreis von etablierten Eingeweihten vorbehalten bleiben«, so die Initiatoren, als ich sie am Übergang von Rost- zu Silberlaube treffe. Kreativ werde Forschung erst im Austausch zwischen verschiedensten Teilnehmern. Und in unterschiedliche Formen verpackt. So konnte man zum »Wissenschaftsspaziergang« das Audiomaterial auf den eigenen Furios 02/2009
iPod laden. Ihre beruflichen Zukunftsängste durften die Teilnehmer am Ende der Tagung in einer »Angstbörse« gegen amüsierte Bewältigungstrategien tauschen. Für ihre unkonventionelle Publikation haben die drei Studenten allerdings noch keinen Verlag finden können, der zu studentenfreundlichen Preisen veröffentlicht. 10 bis 12 Euro sollte die Publikation kosten und wenn möglich in Buchform erscheinen. Gegen teure Print-on-Demand-Angebote wehren sich die drei ausdrücklich: »Das widerspricht unserem Verständnis von einer offenen Wissenschaft!« Unstudentische Preise
»Black, white and in-between«, herausgeben von Studenten des John F. KennedyInstituts, hat eben diesen Weg eingeschlagen. Die »reine Notenabsicht« hinter dem Verfassen von Hausarbeiten bewertete die Juniorprofessorin Laura Bieger als »zu schade« für ihr offenbar leistungsstarkes Hauptseminar. Das Projekt habe ins Leben hinaus gedrängt. »Es wollte ein echtes Buch werden«, so die Kulturwissenschaflterin. Acht Hausarbeiten wurden in aufwändiger Gemeinschaftsarbeit zu einem Gesamtwerk vereint. Die Themen reichen von Diskriminierung über Vereinnahmung,
Vermischung und Unterwanderung von Kulturformen und Ausdrucksweisen bis hin zur Rolle des menschlichen Körpers. In einem aber sind sich alle Beteiligten einig: Bedeutungen, Konstruktionen und Wahrheitsansprüche von rassistischen Zuschreibungen wie »Schwarz-Sein« bzw. »WeißSein« sind fest ineinander verschränkt und bringen sich gegenseitig immer neu hervor. Im August 2008 ist das Buch im ShakerVerlag erschienen, der sich auf die Publikation von Dissertationen und Tagungsbänden in kleinen Auflagen spezialisiert hat. Das ganze hat allerdings seinen Preis: Der Band gesammelter Seminararbeiten kostet knapp 30 Euro. Studentisch ist hingegen der Preis des Downloads für drei Euro. studentiscH drucken
Eine Alternative zum langen Suchen und zum teuren Bezahlen befindet sich gleich hinter dem Kennedy-Institut: Die studentische Druckerei des AStA FU. Jeder darf hier zwar nicht drucken. Die Publikation muss erst das AStA-Plenum passieren. Die Veranstalter des »Kunsthistorischen Studierendenkongress« haben diese Hürde überwunden. Ihre Publikation »kunst macht öffentlichkeit« kann daher nun kostenlos bestellt werden.
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Viola Köster studiert Politikwissenschaft.
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Politik
Das ewige Experiment Vor zehn Jahren wagte die Berliner Politik ein Experiment: Den Hochschulen wurden die Mittel gekürzt, dafür durften sie sich selbst regieren. Daraus sei eine »präsidiale Diktatur« geworden, sagen manche. Andere loben die neue Effizienz. Wird das Experiment fortgeführt? BJÖRN STEPHAN hat nachgefragt.
Jasmin fayad hat den Sessel von John F. Kennedy, wie er von Cornell Capa als Ikone der präsidialen Macht fotografiert wurde, illustriert. 20
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Politik
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haupt noch arbeiten konnten.« Ist die Erprobungsklausel also ein Erfolg auf ganzer Linie?
Die Rede ist von der sogenannten Erprobungsklausel, besser bekannt als Experimentierklausel. Sie gibt den Hochschulen die Möglichkeit, mit 67 Paragrafen nach ihrem eigenen Gutdünken zu experimentieren. So sollen »neue Modelle der Leitung, Organisation und Finanzen« ausprobiert werden, die dem Ziel »einer Vereinfachung der Entscheidungsprozesse und einer Verbesserung der Wirtschaftlichkeit dienen«. Zu den alten, nun ausgehebelten Vorgaben zählen auch die Abschnitte zu den Studienordnungen, der Besetzung von Professorenstellen und der Gremienstruktur.
Die Schar der Kritiker ist ebenso groß wie vielfältig. Sie reicht vom AStA über die Jusos und die Liberale Hochschulgruppe bis in die rot-rote Koalition im Berliner Senat, die, sofern sie bei den nächsten Wahlen bestätigt wird, über die Fortführung des Experiments entscheiden kann. Der gemeinsame Anklagepunkt: Die Experimentierklausel sei vom FU-Präsidium dazu benutzt worden, die Demokratie an der FU zu unterlaufen und sich selbst mehr Macht zu sichern. So spricht Dr. Wolfgang Albers, wissenschaftspolitischer Sprecher der Linksfraktion, von einem »Missbrauch der Klausel«. Die zugrunde liegende Idee, mehr Autonomie für die Hochschulen zu schaffen, sei nur dann sinnvoll, wenn Entscheidungen transparent und demokratisch gefällt würden, betont er. Das FU-Präsidium aber hätte die Klausel instrumentalisiert, um »die leidige Mitbestimmung in den universitären Gremien auszuhebeln und sich ein präsidiales Königreich zu errichten.« Insbesondere Dieter Lenzen verkörpere für ihn den »Prototyp des Industrieunternehmens Uni«. Lars Oberg, das sozialdemokratische Pendant zu Albers, zielt mit seiner Kritik in die gleiche Richtung. Auch wenn das Ziel, die Effizienz zu steigern, erreicht worden sei, wurde mit der »Intransparenz von Entscheidungen und dem Mangel an Demokratie« dafür doch ein Preis gezahlt, den man so nicht hinnehmen könne, erklärt er. Einige Uni-Präsidenten fühlten sich mittlerweile als »mächtigste Männer der Wissenschaftspolitik in Berlin«. Oberg sieht deshalb den Staat gefordert: »Denn Bildung ist ein öffentliches Gut und keine Ware und die Uni ist kein Unternehmen.«
robieren geht über studieren. Dieser Binsenweisheit folgte 1997 der Berliner Senat, als er den gesetzlichen Grundstein für ein Experiment in der Berliner Hochschullandschaft legte. Geboren wurde es aus der Not heraus: Die Stadt litt unter akutem Geldmangel, die Universitäten mussten sparen. Um das möglichst effizient zu tun, brauchen sie Entscheidungsfreiheit, so die Grundidee des Experiments. Deshalb fügte die Große Koalition aus CDU und SPD dem Berliner Hochschulgesetz den Paragraphen 7a hinzu, der die strukturelle Entwicklung an den Berliner Hochschulen in den letzten zehn Jahren entscheidend prägen sollte. Und noch heute Zündstoff für Diskussionen birgt.
Alle Berliner Hochschulen zeigten sich in der Folge experimentierfreudig und haben reichlich Gebrauch gemacht von der Klausel. 1998 fällte auch das Konzil der FU, das damals höchste Gremium der Universität, sein Votum für die Experimentierklausel. Ein Jahr später trat sie in Kraft. Zehn Jahre nach Beginn des Experiments stellt sich die Frage, ob die hochgesteckten Ziele »schneller, wirtschaftlicher, effizienter« erfüllt werden konnten. Und zu welchem Preis. BESSER HANDLUNGSfähig
Eine vom FU-Präsidium in Auftrag gegebene Studie, die unter Mitwirkung von Prof. Müller Bölling, Mitglied des wirtschaftsnahen »Centrums für Hochschulentwicklung«, erstellt wurde, zeichnet ein durchweg positives Bild: Das Erprobungsmodell habe mehr Effizienz geschaffen, Entscheidungsprozesse verschlankt und die Handlungsfähigkeit der Uni gestärkt. Wenig überraschend zieht auch FU-Präsident Dieter Lenzen ein eindeutiges Fazit: »Das war der einzige Weg, um die schwierige Situation der Berliner Finanzen in den Universitäten so auffangen zu können, dass wir mit diesen reduzierten Mitteln über-
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EFFIZIENT, ABER INTRANSPARENT
»Ausdruck der Ökonomisierung«
In der Tat nimmt das FU-Präsidium bei der Umsetzung der Erprobungsklausel im Berliner Vergleich eine Spitzenposition ein. Mit dem Spielraum, von den ursprünglichen Regelungen abzuweichen, hat es seine eigene Aufgabenspanne erweitert. Eine Entwicklung, die etwa an den Berliner Fachhochschulen so nicht zu beobachten ist. So obliegt dem Präsidium nicht nur das Haushaltsrecht, sondern es kann auch entscheiden, welche Professoren worüber forschen und lehren. Die ehemals dafür verantwortlichen Kommissionen wurden abgeschafft. Der Akademische Senat wir im-
mer öfters vor vollendete Tatsachen gestellt. Zudem lichtete das Präsidium den Gremiendschungel der FU. Sowohl das Konzil wurde beseitigt als auch das Kuratorium in seiner alten Form beurlaubt und durch ein neues Kuratorium ersetzt, das verstärkt mit externem Sachverstand bestückt ist, etwa Thomas Sattelberger, der Personalchef der Telekom AG. Albers sieht in dieser Personalie einen »Ausdruck der Ökonomisierung«. Lenzen auf der anderen Seite verteidigt die Klausel als einen notwendigen Schritt. Er prangert an, im alten Kuratorium sei die »Fremdbestimmung durch die Politik« zu stark gewesen. In seinen Augen habe es als öffentliches Forum gedient, um »Fensterreden für die nächsten Wahlen zu halten.« Im interesse der Universität
Aus dem Blickwinkel eines Emeritus beurteilt Johann W. Gerlach, FU-Päsident von 1991-99, die Situation. Er ist bekenneder Verfechter der Uni-Autonomie und befürwortet deshalb die Experimentierklausel: »Es ist wichtig, dass eine Unileitung effiziente Gestaltungsmöglichkeiten hat.« Zugleich aber ist er der Auffassung, dass sich Mitbestimmung und professionelle Führung nicht gegenseitig ausschließen, vorausgesetzt, es handeln alle, die Studenten inklusive, im Interesse der Universität und versuchen sie nicht als politische Spielwiese zu missbrauchen. Möglicherweise ein konstruktiver Ansatz für die Zukunft der Freien Universität. Laut Gesetz ist die Experimentierklausel nur für »eine begrenzte Zeit« gültig. Auch wenn sie bis 2011 verlängert wurde, ist fraglich, ob die Berliner Hochschullandschaft wirklich auf dem schwankenden Untergrund eines Provisoriums fußen sollte. Dringend nötig ist es deshalb, sich der lang angekündigten »Neufassung des Berliner Hochschulgesetz« zu widmen, wie im rotroten Koalitionsvertrag vereinbart. Doch sowohl Oberg als auch Albers sind sich einig: Eine Novelle wird es in dieser Legislaturperiode aus politischen Gründen nicht mehr geben. Zudem müsse erst die Evaluation der Ergebnisse von Seiten des Senats abgewartet werden. Nach zwölf Jahren ist diese noch immer nicht abgeschlossen. Das Experiment wird zur Dauerlösung.
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Björn Stephan studiert Geschichte
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Interview: Dieter Lenzen
»Wir Diskutieren nicht mit funktionären.« FU-Präsident DIEter LEnzen im Gespräch über zusammengelegte Bibliotheken, studentische Mitbestimmung, geprüfte Atemzüge, intelligentes Design und seine Präsenz auf dem Campus. Das Gespräch führten Claudia Schumacher und Tin fischer — Foto: Livia Mertens
Herr Lenzen, das ist wahrscheinlich das erste Gespräch zwischen einem FU-Präsidenten und seinen Studenten seit 10 Jahren. Was läuft schief am Dialog zwischen Studenten und dem Präsidium? Überhaupt nichts. Wir haben hervorragende Beziehungen zu den Studierenden an der Basis. Wir diskutieren eben nicht mit Funktionären, sondern mit denen, die mit den Problemen direkt konfrontiert sind. Sie haben nicht das Gefühl, dass es hier ein Kommunikationsproblem gibt? Das ist keine Gefühlsfrage, sondern eine Frage der Faktizität. Und insofern kann ich das nur wiederholen. Als Student sieht man Sie einmal zur Immatrikulationsfeier und bekommt dann noch ein paar präsidiale Mails. Ihr Vorgänger Gerlach hatte eine wöchentliche Sprechstunde. Gesine Schwan fährt mit dem Fahrrad über den Campus der Viadrina-Unversität... Sie fuhr über den Campus, der aber auch ziemlich klein ist (lacht)... Sie unterschätzen den Alltag eines Präsidiumsmitglieds. Wir haben einen Tagesablauf, der um 8 Uhr beginnt und um 23 Uhr endet. Ich habe in meiner Amtszeit noch nie in Ruhe zu Mittag gegessen! Es gibt unglaublich viele wichtige Gespräche mit Leuten von innen und außen, an denen meistens sehr viel Geld oder wichtige Entscheidungen für die Zukunft unserer Freien Universität hängen. Seit April gibt es übrigens einen
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regelmäßigen Podcast, mit dem ich mich an die Mitglieder unserer großen Universität richte. Und wo gibt es den Austausch mit Studenten? In den Gremien findet die Kommunikation de jure und de facto statt. Darüber hinaus haben unsere Vizepräsidenten und ich in einer Reihe von Einführungsveranstaltungen jeweils zwei Stunden übernommen, um mit den Leuten an der Basis und nicht mit den Funktionären zu sprechen. Und es war erstaunlich und erfreulich, was da an Response kam. Der da wäre? Das fängt bei ganz banalen Dingen an, etwa, dass die Kopierkosten zu hoch sind. Aber auch Themen, wie das Verhältnis von Forschung und Lehre im Exzellenzwettbewerb oder die Linie im Bologna- Prozess wurden angesprochen und diskutiert. Bachelor und Master weisen noch zahlreiche Mängel auf. Sie selbst sagten etwa, dass man »nicht jeden Atemzug« der Studenten benoten müsse. Warum geschieht es trotzdem? Der Nachteil des Credit-Systems ist, dass ununterbrochen geprüft wird. Der Vorteil ist, dass die Abschlussprüfung wegfällt. Die Zahl und die Art der Leistungsüberprüfungen müssen dennoch modifiziert werden. Wir verfolgen die Politik des Dezentralisierens. Diese Entscheidungen werden in den Fachbereichen zu treffen sein.
Setzen Sie sich für einen offenen Zugang zum Master ein? Und wenn nein: Wie hoch soll die Quote angesetzt sein? Wir haben im Moment eher das umgekehrte Problem: Die Masterstudiengänge lassen sich nicht ohne weiteres füllen. Das ist ein vorübergehendes Problem. Da bin ich nicht so sicher. Das ist sehr stark von der Marktsituation und von den angebotenen Masterprogrammen abhängig. Der erste Abschluss sollte ja berufsqualifizierend sein. Inwiefern er das in jedem Fall tatsächlich ist, ist eine andere Frage. Aber was die Zulassung betrifft: Der Akademische Senat hat durch die weise Entscheidung, jemand müsse »überdurchschnittlich« sein, eine große Varianz geschaffen. Auf welchen Durschnitt man sich bezieht kann jedes Fach entscheiden. Käme da auch das Auswahlgespräch in Frage oder setzen Sie auf die Note? Ich bin sehr für einen Mix. Manch einer kann besser mit Multiple Choice umgehen, ein anderer ist eher verbal begabt. Um eine valide Auswahl treffen zu können, die verschiedenen Personen gerecht wird, muss man also eine Mixtur wählen. Kommen wir zu einem anderen Thema, über das wir reden sollten. Mit der Drittelparität 1969 hatte das studentische Mitbestimmungsrecht an der FU ihren Höhepunkt gefunden. Heute geht es gegen Null. Halten Sie professionelle
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Interview: Dieter Lenzen
Distanziert und kontrolliert: FU-Präsident Dieter Lenzen (links) und sein Pressesprecher Goran Krstin während dem Interview, das leider nicht in der Mensa stattfinden konnte.
Führung mit studentischer Mitsprache für unvereinbar? Die Berliner Gesetzgebung ist im Bundesvergleich diejenige mit der höchsten studentischen Mitbestimmung. In Entscheidungen, die Forschung und Lehre direkt betreffen, muss das Votum der Professoren jedoch die Mehrheit darstellen. So hat es das Verfassungsgericht entschieden. Ich glaube aber auch, dass es vernünftige Gründe hat: Studierende sprechen für die kurze Zeit, in der sie da sind. Professoren und Mitarbeiter reden über ihren Arbeitsplatz, an dem sie unter Umständen 30 Jahre arbeiten müssen. Wo ist studentische Mitbestimmung sinnvoll? Wo es um die Lehre geht. In den Ausbildungsgremien der Fachbereiche und des Akademischen Senats haben die Studenten ja auch 50 Prozent der Sitze. In anderen Fragestellungen fehlt ihnen aber oft der nötige Einblick. Sie können natürlich sagen: »Wir wollen ein neues Labor«. Nur, wann wir ein solches zum Beispiel vom Wissenschaftsrat genehmigt bekommen, ist ein komplizierter politischer Prozess. Seit 15 Jahren arbeiten wir daran, ein Laborgebäude für die Tiermedizin zu bekommen. Immer wieder steht irgendeine Landesordnung oder die Finanzlage dagegen. Das ist keine Frage studentischer Mitbestimmung, sondern des zähen politischen Ringens.
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Anders die Zusammenlegung von Bibliotheken? Die Bibliotheken sind Orte, an denen Forschung und Lehre unterstützt werden. In der Mehrzahl die Forschung, da es Forschungsliteratur ist. Eine Bibliothek muss für alle zugänglich sein. Und sie muss bezahlbar sein. Auf Grund des Personalmangels können wir unsere Bibliotheken nicht lang genug offen halten. Zurzeit haben wir noch um die 50 Bibliotheken. Es ist völlig unrealistisch, diese 12 Stunden oder gar länger offen zu halten. Also muss die Zusammenlegung, schon allein um besseren Service bieten zu können, fortgesetzt werden. Kennen Sie hierzu die Meinung der Studenten? Das kommt ganz auf das Fach an. Manche haben vielleicht bei der Schließung ihrer Institutsbibliothek Angst, dass ihr Fach abgeschafft wird. Das ist völliger Unfug. Wir wollen durch Zusammenlegen der Bibliotheken deren Benutzbarkeit verbessern. Viele Studierende finden das auch gut! Auch mit der Cluster-Bildung und der Schließung von Instituten und Verkleinerung von Fachbereichen findet ein Konzentrationsprozess statt, der vielen Studenten Sorgen macht. Führt das zu einer ungleichen Verteilung der Gelder? Zweifellos. Die Wissenschaftler, die tüchtig sind und ein interessantes Projekt auf die Beine stellen, bekommen beispielsweise mehr Drittmittel. Auch die Landesgelder
werden nicht gleich verteilt. Wenn die Professoren besonders erfolgreich in der Lehre waren oder besonders viele Drittmittel eingeworben haben, bekommt das Fach mehr Geld, das auch unseren Studentinnen und Studenten zugute kommt. Dazu kommen Gelder, die nach Zielvereinbarungen zwischen den Fachbereichen und dem Präsidium verteilt werden. Sie machen in der Öffentlichkeit immer wieder mit provokanten Statements auf sich aufmerksam. Jüngst kokettierten Sie im »Tagesspiegel« als Befürworter von Pro Reli mit Intelligent Design. Woher kommt diese Lust auf die Provokation? Ich weiß nicht, wodurch ich mit Intelligent Design kokettiert haben soll. Wer das meint, liest wohl nicht richtig. Generell kann ich sagen, dass ich Erziehungswissenschaftler bin und es meine professionelle Pflicht ist, mich in Bildungsfragen zu äußern. Wenn ich eine Einsicht zu haben glaube, habe ich sie mitzuteilen. Das ist natürlich nicht mehr, als meine eigene Einsicht. Ergibt sich ein Konflikt zwischen Ihrer Funktion als FU-Präsident und Ihrer Privatperson? Nein, ganz im Gegenteil. Das muss aus einem Guss sein. Ich versuche, das Bildungssystem als eine Einheit zu sehen, innerhalb derer die Universitäten ein Teil sind, aber nicht das Ganze.
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Politik
dabei den Blick für ihre eigenen Interessen zu verlieren. Das Ziel des Planspiels: die Teilnehmer für verschieden Positionen sensibilisieren und ihnen politische Entscheidungsprozesse und Dynamiken während eines Konfliktes näher zu bringen. Wie gut gelingt es den Teilnehmern ihre Rolle zu übernehmen? »Meist sehr gut!«, so Gerrit Kraemer, ebenfalls im Vorstand von CRISP. »Natürlich ist es oft schwieriger für die Studierenden, die den Konflikt miterlebt haben.« So musste bei der KosovoSimulation ein kosovo-albanischer Student in die Rolle von Boris Tadic, dem aktuellen serbischen Präsidenten, schlüpfen.
Grenzenloses Engagement
Emotionen kochen hoch
Gegen die Krise: Studierende stiften Frieden. von FRANZISKA WEIL und TASNIM EL-NAGGAR Foto: Studieren ohne Grenzen
Auf, auf in eine bessere Welt! Nur wie? Die Projekte Crisis Simulation for Peace (CRISP) und Studieren ohne Grenzen engagieren sich auf unterschiedliche Weise. Die Mission ist dieselbe: Frieden. Der Gedanke, sich für Frieden zu engagieren, ist nicht neu. An der Umsetzung hat sich jedoch einiges geändert. Vor 40 Jahren lief das Engagement für den Frieden selbst nicht so friedlich ab: Es wurden Straßen blockiert, Schlägereien riskiert und zwischendurch auch ein paar Eier geworfen. Damals ging es gegen die damalige Hochschulpolitik, später gegen den Vietnamkrieg. Studierende sahen sich als Teil einer größeren Bewegung und wollten nationale und internationale Politik aktiv verändern. Heute greifen Studierende meist zu anderen Mitteln um internationale Probleme in Angriff zu nehmen. Viele der Friedensprojekte von heute sind spezieller, professioneller und pragmatischer. Zwei dieser Friedensprojekte hat FURIOS besucht: Studenten spielen Staatsoberhaupt
Hektisch laufen Diplomaten in Anzügen umher. Ihnen folgen Journalisten. Mitarbeiter lokaler NGOs verhandeln mit Wirtschaftsgrößen der Region. Gespannte Stimmung in Novo Brdo, einer kleinen Stadt im Kosovo. Wird man eine Einigung erzielen können oder kommt es zum Eklat? Einige müssen noch Überzeugungsarbeit leisten und stecken in langwierigen Verhandlungsgesprächen. Denn Diplomatie ist kein Kinderspiel, sondern harte Arbeit. Vor allem muss sie gut geplant sein. Franziska Weil und Tasnim El-Naggar studieren Politikwissenschaft 24
Einige Monate zuvor in einer Berliner Altbauwohnung sitzen junge Männer und Frauen um einen Tisch herum und besprechen die Voraussetzungen für das Projekt in Novo Brdo. Sie gehören zu dem gemeinnützigen Verein CRISP. In Zusammenarbeit mit verschiedenen Nicht-Regierungs-Organisationen und gemeinnützigen Organisationen aus Novo Brdo veranstaltet CRISP ein Planspiel. »Die Idee ist, diese Form des Planspiels auf die Konfliktbearbeitung anzuwenden und so diese Methode, von der wir sehr überzeugt sind, weiter zu trans-
»Viele der Friedensprojekte von heute sind spezieller, professioneller und pragmatischer.« portieren«, erzählt Andreas Muckenfuß aus dem Vorstand. Das Besondere an dem Projekt: Die Planspiele werden ausschließlich mit Teilnehmerinnen und Teilnehmern aus den jeweiligen Regionen durchgeführt, in diesem Fall kommen sie aus dem Kosovo. In einem mehrtägigen Workshop schlüpfen die Teilnehmer in eine andere Rolle. Eigentlich sind sie Studierende oder Mitarbeiter in Nicht-Regierungs-Organisationen. Bei CRISP werden sie zu Staatsoberhäuptern, Diplomaten, Wirtschaftsbossen oder Journalisten. Dabei erfahren sie zunächst, unter welchem Zeitdruck politische Entscheidungen gefällt werden müssen. Es geht um Abkommen, Vereinbarungen und kreative Lösungen. Die einzelnen Akteure müssen einander entgegen kommen, ohne
Über den inhaltlichen Ablauf und Ausgang der Simulation geben die Organisatoren von CRISP den Teilnehmern nichts vor. »Das Thema ist zu sensibel«, sagen Andreas und Gerrit. Die Emotionen können bei den betroffenen Teilnehmern schon mal hoch kochen, weshalb hier eng mit den Partnerorganisationen vor Ort gearbeitet wird. Die konkrete inhaltliche Vorbereitung ihrer Rolle liegt bei den Teilnehmenden, die meist selbst im zivilgesellschaftlichen Bereich engagiert sind. Das Planspiel im letzten Jahr fand großen Anklang und gemeinsam mit dem Lehrstuhl von Professor Dr. Sven Chojnacki führt CRISP in diesem Jahr ein Planspiel im Kaukasus durch. Da die Partner vor Ort meist nicht über ausreichend finanzielle Mittel verfügen, läuft die Finanzierung auch über deutsche Träger. So wurde das Projekt im Kosovo von Zivik, einem Programm zur zivilen Konfliktbearbeitung des Instituts für Auslandsbeziehungen, gefördert. Ein Friedensprojekt, das sich ebenfalls durch seine Professionalität auszeichnet, ist Studieren ohne Grenzen (SoG). Das Projekt konnte bereits in Belgien, Italien, Spanien und Deutschland Ableger bilden. Auch bei »Studieren ohne Grenzen« kommt man den Krisen der Welt sehr nah. Das Projekt fördert Studierende aus Krisengebieten, indem Vollstipendien vergeben werden. Gegründet wurde SoG im Oktober 2006 als Ableger der französischen Dachorganisation »Etudes sans frontieres«. In Deutschland konnte SoG bereits mehrere Ortsgruppen gründen, es gibt sie in Konstanz, Hamburg, Aachen, Frankfurt und in Berlin. Bildung und Rabatt im Bioladen
Die Schwerpunkte von SoG liegen auf den Krisenregionen Kongo und Tschetschenien. Im Kongo werden 22 Studierende vor Ort gefördert. Die tschetschenischen
Furios 02/2009
Studierenden haben die Möglichkeit, ihr on inzwischen recht etabliert und hat durch Studium in Deutschland zu beginnen oder gute Öffentlichkeitsarbeit einen gewissen fortzusetzen. Nach Abschluss des Studiums Bekanntheitsgrad erreicht. Die Stipendien sollen die Studierenden aktiv der politischer werden nicht von Unternehmen, sondern durch Fundraising und Patenschaften fiZukunft ihrer Region mitarbeiten. Verein Eine der Freundinnen und Freunde des Otto-Suhr-Instituts e.V. nanziert. Auch unmittelbare VergünstiBewerbungsvoraussetzung ist deshalb auch ein gemeinnütziger und friedensfördernder gungen helfen, wie Ermäßigungen beim Projektvorschlag, den die Stipendiaten re- Einkauf im Bioladen oder bei der Miete des alisieren wollen. Neben der Leistungsfä- Studentenzimmers. montags, 18 Uhr higkeit und -bereitschaft spielt auch ihre Studieren im Krieg Bedürftigkeit eine Rolle. Frank Neher, der Otto-Suhr-Institut Verein der Freundinnen und Freunde Leiter der SoG-Ortsgruppe in Berlin,desbeSeit Otto-Suhr-Instituts e.V. Februar 2009 veranstaltet SoG die schreibt das Konzept dahinter so: »Gut ausWanderausstellung »Studieren im Krieg. Hörsaal A gebildete Leute sind diskursiver, das heißt Wenn Zukunft warten muss.« Die Fotos Ihnestraße 21 und das ist von Stanley Green zeigen Kriegsszenarien, sie benutzen Worte statt Waffen, für eine bessere Zukunft sehr montags, 18 Uhrbedeutend«. dazu hängen Fragen aus: »Wie ist es, im 14195 Bildung ist Berlin-Dahlem eine unumstrittene Entwick- Krieg zu studieren? Welchen Lerneffekt hat Otto-Suhr-Institut lungsförderung. Diese Tatsache macht es der Krieg?« Die Stipendiaten aus Krisengefür SoG leichter, Rückhalt und Unterstüt- bieten kamen zur Ausstellung und schrieHörsaal A Organisatizung zu bekommen. So ist die
ben ihre persönlichen, unterschiedlichen Antworten unter die Fragen. Kritiker halten die Förderung, die SoG vergibt, für einen Tropfen auf den heißen Stein. Es ist ein pragmatischer Anfang. Dass ein Stipendiat seine friedlichen Ideen in seine Gemeinde trägt, kann langfristig viel bewirken. Gute Bildung kann den Stipendiaten Zugang zur Elite des Landes verschaffen und so können Demokratie, Toleranz und Frieden gestärkt werden. Je besser Leute aus Krisengebieten ausgebildet sind, desto höher ist die Chance auf einen stabilen Frieden und auf Wachstum in jeglicher Hinsicht. Der Erfolg dieser Idee ist kaum messbar. Das Mindeste aber, was durch SoG erreicht werden kann, ist: Verständnis und Bewusstsein für den Frieden schaffen.
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Kultur
DANKE FÜRS FREUNDE SEIN! marlene Göring
über die schöne neue MySpace-Welt der Bands und Songwriter.
Foto: Henry Wulf — Illustration: David Goldwich
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Kultur
K
atha ist 27, studiert Politikwissenschaften an der FU und ist auf dem Campus eher unauffällig. Auf MySpace heißt sie »suede girl«, trägt pinke Minis und Stiefel mit Leopardenmuster. Sie macht Musik. Indie genauer gesagt, weil das poppig ist und Menschen zum Tanzen bringt. Das klingt nach Spaß, läuft aber streng nach Plan. »Ich habe Einträge auf so ziemlich jedem Internetportal«, erzählt die Songwriterin. Sie will möglichst viele Leute erreichen. »Suede girl läuft in Internetradios und wenn mein Album fertig ist, gibt’s das natürlich auch im Online-Vertrieb auf mp3.« Eine Fülle an Selbstvermarktungsangeboten überrollt zur Zeit den jungen Musiker. MySpace, last.fm und der Emergenza Bandwettbewerb sind dabei nur die etablierte Spitze des Eisbergs. Eine Band, die noch nie außerhalb des Proberaums gespielt hat, kann heute theoretisch weltweit Millionen Fans erreichen. »Die Präsentation ist mindestens so wichtig wie die Musik«, meint Katha. »Selbstvermarktung nehme ich wörlich: Aus suede girl soll eine Marke werden.« Der Wiedererkennungswert sei schon die halbe Miete. Damit redet Katha auch der wachsenden Zahl von KünstlerCoaches das Wort. Die Marketingexperten wollen Musikern den Weg durch den PR-Dschungel zeigen und setzen dabei auf ein »ganzheitliches Konzept«, das Produkt und Präsentation vereinen soll. Ein junger Musiker steht damit aber vor einem Problem: Wenn er wahrgenommen werden will, sollte er sich nach dem Markt richten. Nicht für jeden ist das so selbstverständlich wie für suede girl. Mit dem Mehr an Selbstvermarktung ist auch ein Weniger für die eigentliche Sache verbunden: die Musik. We don´t need no education?
Playfellow, deren Mitglieder teils noch an der FU studieren, können auf sechs Jahre Bandgeschichte zurückblicken. An ihrem heutigen Sound, ein eigenwilliger Mix aus Indiepop, Noise und Postrock, haben sie lange gearbeitet. Sie haben mit verschiedenen Instrumenten und Stilen experimentiert, bevor sie vor zwei Jahren das erste Album aufgenommen haben. Obwohl die Bandmitglieder mittlerweile in verschiedenen Städten wohnen, halten sie Playfellow am Laufen. Sich ein anderes Projekt zu suchen, käme momentan für keinen in Frage. Der lange Atem fängt an, sich bezahlt
Furios 02/2009
zu machen: Die erste CD ist vergriffen und geht in die Nachpressung. Kritiker vergleichen die Studentenband mit Radiohead und Coldplay. Der Professionalisierungs- und Theoretisierungswelle, die die Pop- und Subkultur erfasst hat, stehen Playfellow kritisch gegenüber. Während es noch vor wenigen Jahren kaum Ausbildungsmöglichkeiten in diesen Genres gab, schießen heute Förderwettbewerbe und Privatschulen wie Pilze aus dem Boden. Mit Bandwettbewerben haben Playfellow nicht nur positive Erfahrungen gemacht. Sie waren beim »Becks on Stage«-Wettbewerb dabei, wo sie sich über Wochen hinweg wie in einer Reality-Show produzieren sollten. »Becks konnte Werbegelder von Sponsoren einfahren und hat keinen einzigen Inhalt beigetragen«, meint Tom, der Drummer von Playfellow. Zum F6-Music-Award, bei dem die Bands auch an Workshops zu »Stageperformance« teilnehmen sollten, wollten sie erst gar nicht antreten. I can change, I can change
Viele der Dienstleister profitieren vor allem von den kostenlosen Inhalten der Nachwuchskünstler. Die Musiker können zwar medienwirksame Einzelpreise erringen, wie im Fall Becks Auftritte auf großen Festivals, erhalten aber keine nachhaltige Förderung. Stattdessen werden sie dazu animiert, massenkompatible Musik zu machen. In der Hoffnung auf Erfolg schränken viele Bands ihr musikalisches Potenzial dabei auch freiwillig ein. Die eigene Aussage und der künstlerische Ausdruck finden ihren Ursprung dann nicht mehr in der Lebenswelt der Musiker, sondern werden von marktspezifischen Faktoren und Trends vorgegeben. Was hier passiert, ist die Institutionalisierung von Musik, die früher ihren Anfang auf der Straße und in Garagen hatte. »Es ist leider nicht mehr wie in den 70ern«, meint Playfellow-Drummer Tom. »Dass ein Produzent von Universal mit zwei Koffern im Proberaum erscheint und sagt, `Hier habt ihr 10.000 Euro, besorgt euch neue Instrumente, denn wir produzieren eure Platte`, wird es nicht mehr geben.« Bei der Masse an Bands im Netz erhöht sich die Chance auf einen Plattenvertrag durch ausgefeilte Selbstpräsentation
aber nur bedingt. »Um die Aufmerksamkeit der Labels auf sich zu ziehen«, sagt Steffen Gottwald, Mitinhaber von Homeground Records Berlin, »kann ein großer Freundeskreis bei MySpace sicher von Nutzen sein. Am Ende des Tages muss eine Band aber musikalisch und persönlich überzeugen, damit ein Label sie unter Vertrag nimmt.« Playfellow setzen deshalb vor allem auf ihre Musik: »Wenn Selbstvermarktung meint, Platten zu produzieren, die an Magazine und Radiostationen zu versenden und später bei Konzerten und in Internetportalen zu vertreiben, dann ist sie schon fester Bestandteil unserer Planung. Über Klamotten und Bühnenkonzept denken wir aber nicht so viel nach.« Sie haben trotzdem Erfolg: Seit zwei Jahren sind Playfellow beim Indie Label Sweet Home Records unter Vertrag. Geschafft haben sie das vor allem durch Netzwerke mit anderen Bands. Durch die enge Zusammenarbeit entstehen SynergieEffekte, von denen alle profitieren können. »Vor einem halben Jahr hat ein Bekannter eine CD-Pressung gemacht. Jetzt haben wir alle den Kontakt«, erzählt Tom. »Außerdem hat ein befreundeter Gitarrist unsere erste Platte gemischt, und wir vermitteln uns gegenseitig Gigs.« Ins Label, dessen Inhaber selbst Musiker sind, sind die befreundeten Bands nach und nach »reingerutscht«. Gemeinsam haben sie eine eigene kleine Szene für ihre Musik etabliert. Internetportale und Onlinemagazine helfen ihnen dabei. Sie vereinfachen die Kommunikation untereinander und mit den Fans. Sie bringen Kontakte und erleichtern das Veröffentlichen der Musik. Sie bilden Gegenöffentlichkeiten, die an den Majors vorbei ihre eigenen Ideen umsetzen, Hörer finden und neue Musikstile prägen. Künstler dagegen, die in den Strudel des »Überall-gleichzeitigsein-Wollens« geraten, verlieren die Musik aus den Augen und Schaden sich in der Masse selbst: Die vielen Flyer in der Rostlaube bringen meistens nicht einen einzigen Gast mehr ins Konzert. Bands, die die Selbstvermarktung bitter ernst nehmen, setzen sich unnötig unter Druck. Denn man muss sich nicht verbiegen, um die eigene Nische im Markt der Hörerschaft zu finden. Man kann den Markt auch selbst verändern. Möglichkeiten gibt es.
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Marlene Göring studiert Neuere Deutsche Literatur, Publizistik und Philosophie
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Kultur
Der Dschungel im Kühlschrank Der Flaneur will es genau wissen: Wo sind die Perlen unter den Büche-
reien? Eine frühsommerliche Odyssee durch die Wissenshorte Dahlems.
von ANNA Klöpper und Elisabeth Loose — Fotos: Livia Mertens
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Die Zahl 2.300.000 hat viele Bedeutungen im Leben eines FU-Studenten. So viele Werbepamphlete flattern ihm täglich auf dem Campus entgegen. So oft treibt sein Blick während einer langweiligen Vorlesung auf die Uhr. So viele Seiten Druckerpapier benötigt er pro Woche für seine Pflichttexte. Und 2.300.000 ist auch die ungefähre Anzahl an verstaubten, alten Büchern in den FU-Bibliotheken. Angefangen zu sammeln wurde im Gründungsjahr 1948. Mittlerweile ist die FU im Besitz der Universitätsbibliothek in der Garystraße und etlichen weiteren Fachbereichsbibliotheken, die in ganz Berlin verstreut sind. Diese Tatsache macht Lust, einigen der kaum zählbaren Standorte auf den Grund zu gehen.
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Anna Klöpper studiert Englische Philologie im Masterstudiengang, Elisabeth Loose Sozial- und Kulturanthropologie und Chinastudien
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Kafkas Fuchs
Außer zu den Stoßzeiten im Semester ist in der Bibliothek für medizinische Soziologie nur wenig Betrieb. Selten werfen Studenten einen Blick in die dicken Wälzer und ernsten Heftchen über die spezifischen Krankheiten der verschiedenen Gesellschaftsschichten, die sich in der kleinen Villa in der Hittorfstraße tummeln. Unentschlossen schaue ich durch die großen Erkerfenster. Dort, im Vorgarten, habe mal ein Fuchs gelegen, lenkt mich die Bibliothekarin ab. »Ich wollte mir das Tier aus der Nähe ansehen – da setzt es sich plötzlich auf und starrt mich ganz erschrocken an«, lacht sie. Vielleicht hatte der Fuchs zu viel Kafka gelesen. Das Leben im Prekariat der urbanen Gesellschaft satt, versucht er nun, wie Kafkas Affe ein Leben als Mensch zu führen und verschafft sich Zugang zu weiterführender Bildung. Ich schaue mich um – Bücherregale bis unter die stuckverzierte Decke, mit kleinen altmodischen Trittleitern. Findet man da oben, was man über die Gefahren der Assimilation eines Fuchses wissen sollte? Auf Höhe von Regalbrett Nummer drei angekommen, wird mir die ganze Geschichte zu riskant - die Hände schwitzen, die Knie werden wacklig. Ich therapiere mich rasch mit einem Sprung zurück auf den Dielenboden.
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Furios 02/2009
Kultur
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Tête-à-Tête mit Kopernikus
In der meteorologischen Bilbliothek philosophieren Sternengucker und Wetterfrösche über vergilbten Wetterkarten und riesenhaften Atlanten. Am Ende einer schmalen Wendeltreppe, über 50.000 Büchern zur Meteorologie, Mathematik und Physik fühle ich mich dem Himmel tatsächlich schon ein bisschen näher. Von außen architektonisch so solide wie einfallsarm gehalten, hat die Bauherren bei der Innenausstattung wohl das Fernweh gepackt: Von der sonnensegelgleichen Decke fällt Licht durch eine dreieckige Glaskonstruktion. Säulen wie Schiffsmasten, die die Decke stützen, vergilbte Atlanten und eine Reihe Globen auf einem Regal tragen zur Seefahrerromantik bei. Gern ließe ich mich jetzt von Galileo und Kopernikus in ein Gespräch über das Sonnensystem verwickeln. Christian, 27, beendet meine Traumreise zu unbekannten Stränden und Planeten. Die studentische Realität des digitalen Zeitalters sieht anders aus: Vor einem der Computerarbeitsplätze brütet der Meteorologiestudent über dem Archiv der Wetterkarten für Berlin von 2007. Ich werfe noch einen letzten Blick die Wendeltreppe hinunter, ob nicht vielleicht doch ein alter Mann mit Bart...? Wieder draußen vor der roten Klinkerfassade, strahlt die Sonne vom wolkenlosen Himmel. Regnen wird es wohl nicht mehr heute, das kann ich auch ohne Blick auf die Wetterkarten behaupten.
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Zurück zur Natur?
Christopher Kolumbus hat der öffentlichen Meinung zu Folge den Lauf der Welt verändert. Dabei ist den Wenigsten klar, dass er auch unmittelbar für FU-Angehörige ein bedeutendes Erbe hinterlassen hat. Seine Theorie, im Grünen ließe sich besser lernen – so erlebte er es in den unendlich grünen Weiten Amerikas – wurde in der Erziehungswissenschaftlichen Bibliothek im L-Gang der Rostlaube umgesetzt. In erquickender Atmosphäre lässt es sich hier suchen, denken und lesen. Vom verdeckten Kühlschrank-Gewand der Bib sollte man sich dabei nicht ablenken lassen. Der Zutritt scheint aber nur einem guten Orientierungssinn vorbehalten zu sein, obwohl dieser selbst dem kühnen Kolumbus nicht beschieden war. Einmal entdeckt, konfrontieren 260 Arbeitsplätze, 400.000 Bücher, 28 PCs den Besucher; eine reguläre Ausstattung für FU-Verhältnisse. Der Springbrunnen, dessen Plätschern Kolumbus dringend für strapazierte Gehöre empfahl, fällt dagegen aus dem gewohnten Rahmen. Reines Quellwasser und wucherndes Gewächs – könnte das die Lösung für alle Blockaden im Kopf sein? Der Urwald birgt allerdings auch Tücken: Vor zwei Jahren soll sich ein Erstsemester im Dschungel der Zimmerpflanzen verlaufen haben und erst nach einigen Tagen wieder entdeckt worden sein. Möglicherweise war aber auch das Teil der Kolumbus’schen Pädagogik: Die lebensweltliche Bewährung im Angesicht theoretischer Abstraktion. Anne, 25, kommt extra aus dem Prenzlauer Berg in die Bibliothek, um zu lernen. »Die Atmosphäre ist einfach toll,« meint die Psychologiestudentin. Hier sprießen nicht nur Gewächse emsig in die Höhe, auch Wissen wächst pflanzengleich heran. Allerdings nicht nur bei Psychologie- und Pädagogikinteressierten – auch Nutzer der Bestände für Religionswissenschaft, Frauen- und Geschlechterforschung, Ostasienstudien und Evangelische Theologie strömen in diese Oase – alles dank einer verirrten Indienreise.
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Furios 02/2009
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Kultur
Veranstaltungskalender zusammengestellt von Theresa Kellner und Rachelie Hefter
Auf einen Blick:
Was?
➊ ➋ ➌ ➍ ➎
Wann?
Wo?
Junge Meister
Kunst
12.7. 15 Uhr
Martin-Gropius-Bau
Frau Horn
Konzert
2.7. 21 Uhr
L.U.X
Schwarze Hunde
Theather
4.–6.6., 19.6.–26.6.
Ballhaus Ost u.a.
Entzaubert
FILM
4.–7.6.
Schwarzer Kanal
OSI-Club
FU
montags 18 Uhr
OSI
Mehr Veranstaltungstipps unter
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Herzstück!
Junge Meister
Martin Gropius Bau, Niederkirchnerstraße 7 12.7. 15 Uhr, Mitglieder des Kunstnetzwerk Berlin e.V. frei Falsche Romantik Seit fast drei Jahren bereichert Junge Meister e.V. den kulturellen Terminkalender von Studenten. Von Studierenden ins Leben gerufen, ermöglicht der Verein für nur 10 Euro Mitgliedschaftsbeitrag im Jahr einen einzigartigen Zugang zur unübersichtlichen Kunstlandschaft Berlins. Das Besondere: Wo immer es möglich ist, stellt der Verein Kontakt zu Künstlern, Kuratoren, Galeristen und Sammlern her, die den jungen Meistern einen exklusiven Einblick in ihre Arbeit und spannende Hintergrundinfos geben. Das nächste Highlight führt in die Ausstellung zur Kunst und Architektur Le Corbusiers (1887-1965) im Martin Gropius Bau. Die Ausstellung will die ungebrochene Aktualität Le Corbusiers im heutigen Diskurs über Architektur und Urbanismus aufzeigen. Mit einer Auswahl von Exponaten aus der Fondation Le Corbusier in Paris, darunter Originalgemälde, Zeichnungen, Möbel und Skulpturen, soll sich den Leitthemen Le Corbusiers Schaffen angenähert werden: Seiner Faszination sowohl für die Großstadt als auch für das Mediterrane, die Konzentration auf organische Formen und seine Begeisterung für die Moderne, den neuen Technologien und Medien. jungemeister.blogger.de
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Frau Horn
L.U.X, Schlesische Straße 41, 10997 Berlin-Kreuzberg 2.7. 21 Uhr
Spießer-Rock Frau Horn, das sind fünf Studenten um Sängerin Britta, die mit einem experimentierfreudigen Mix aus viel Pop/ Rock, etwas Ska, Funk und NDW ihr Ding gefunden haben. Frau Horn will Synonym sein für die spießigen Fräuleins dieser Welt, was aber nicht auf der Bühne gilt: Sängerin Britta etwa ist für extravagante Shows im Brautkleid bekannt. Am 2.7. spielen Frau Horn unplugged im L.U.X/Kreuzberg. www.myspace.com/frauhornswelt 30
3
www.furios-campus.de/kalender
Schwarze Hunde
4.–6.6. Ballhaus Ost, Pappelallee 15 19.6.-26.6. Russisches ST/A/R-Theater, Kulturbrauerei
»Wenn du sie nicht schlagen kannst, dann schlag dich auf ihre Seite« »Schwarze Hunde« ist ein Inszenierung der 24-jährigen Katharina A. Popov, nach Vorlagen von Irvine Welsh und Bertram Pflüger. Nordfrönland erschüttert ein Mord. Eine Gefahr für die Ideologie Max Schwarz´ und das Ende des 90 Jahre währenden Kriegszustands? An der Produktion und Aufführung sind Studenten der FU Berlin beteiligt. www.kwer-produktion.de
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»Entzaubert« Queer Alternative Film Festival
Wagenplatz Schwarzer Kanal, Michaelkirchstraße 20, 4.–7.6.
Zeig mir dein Gesicht! Seid ihr: arty, punky, no-borders, anarchic, porn, trashy, experimental, feminist, funny, serious, low-budget, nobudget, music, quality, international, homo-socialist, homosexualist, revolutionary, polyamourous, monogamous, lazy, tranny-dyky, faggy, old, brand-new, provocative…? Dann seid ihr hier richtig! Die Filme des Queer Alternative Filmfestival »Entzaubert« loten Grenzen aus und drehen sich um Grenzgänger.
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OSI-Club
Otto-Suhr-Institut, Ihnestr. 21, Hörsaal A, montags um 18 Uhr
Superwahljahr Unter dem Motto »Apropos Wahlkampf – Politik und Medien im Superwahljahr« finden wöchtenlich im Rahmen des Offenen Hörsaals Ringvorlesungen statt. So referiert am 29.6. Bettina Gaus, die als politische Korrespondentin der TAZ ein Jahr lang vor allem ländliche Teile der USA bereiste, über »Wahlkampf virtuell – wie Barack Obama Präsident der Vereinigten Staaten wurde«. www.osi-club.de/politik_und_kommunikation Furios 02/2009
Kultur
Warenfetisch: Nach den Sternen greifen im Gespräch mit Anna Schreiber, FU-Studentin und stolze Kneipenbesitzerin
Marlene Göring
Beim Feiern träumt manch ein Student von der eigenen Kneipe. Da kriegt man alles umsonst und kann die Musik spielen, die einem gefällt. Das Team vom Laika hat diesen Traum wahr gemacht: Seit letztem Sommer betreiben die Studenten, die sich zum Teil an der FU kennen gelernt haben, die erste Neuköllner KulturKiezKneipe in der Emserstraße 131. Die Hündin Laika war das erste Lebewesen im All. Was hat sie mit euch zu tun? Laika steht für das Erreichen großer und ferner Ziele und für den Beginn einer neuen Ära. Das mag auf uns gemünzt hoch gegriffen klingen, trifft aber trotzdem unser Anliegen. Wir machen in einer bisher unentdeckten Gegend Neuköllns unser Ding. Anders als bei Laika, die leider verglüht ist, ist bei uns kein Ende in Sicht. Läuft bei euch alles nach Plan oder herrscht kreatives Chaos? Wir haben eine gesunde Mischung aus Chaos, Zufall und langem Nachdenken. Vor allem für die Renovierphase war ein strikter Plan notwendig. Aber wir legen uns nicht immer fest. Wir wollen unser kulturelles Angebot vielfältig gestalten und die Menschen im Kiez ansprechen. Wie findet ihr noch Zeit fürs Studium? Seid ihr dauergestresst wie alle jungen Eltern? Nein, Laika ist nicht so stressig wie ein echtes Baby. Sie schläft zum Beispiel immer lange und montags sogar 24 Stunden. Aber klar – die Freizeit ist knapp und will gut eingeteilt sein. Lohnt sich der Aufwand? Auf jeden Fall! Wer Eigenverantwortung und Enthusiasmus für ein Projekt aufbringen kann, wird auch Freude daran haben. Egal, ob es sich um einen Kulturverein, eine Kneipe oder ein ganz anderes Projekt handelt. Wichtig ist, nicht zu früh das Handtuch zu werfen – Durststrecken gibt es immer. Aber es macht eine Menge Spaß und die Erfahrungen wollen wir auf keinen Fall missen. Auf www.laika-neukoelln.de findet ihr Bilder vom Laika und Infos zu Konzerten, Improtheater, KörnerKiezKino, Poetry Slam, Motto-Parties, sonntags immer Tatort und als nächstes Highlight: Kunst- und Kulturfestival 48h-Neukölln vom 26. bis zum 28. Juni! Furios 02/2009
Innige Verhältnisse
ThEresa Kellner und Rachelie Hefter über das MacBook.
Foto: Cora-Mae Gregorschewski Wage es bloß nicht, ihn einen viereckigen, weißen Laptop zu nennen! Sofort protestiert sein Besitzer, dass sein Computer a) nicht eckig sei, sondern »menschlich runde Konturen« aufweise und dass es sich b) nicht um einen einfachen Laptop, sondern um einen »Mac« handle. MacBook-Besitzer haben ein inniges Verhältnis zu ihrem Computer. Als wäre er ihr eigenes, einzigartiges Kind. Was jedoch kaum einer dieser Kollektivindividualisten weiß: Als Computer mit Charakter, der einen von der Masse abhebt, war der Mac nie gedacht! Im Gegenteil: Der Macintosh sollte die Massen erobern, und zwar als Maschine, die es auch einem Otto Normalverbraucher ermöglicht, elektronische Daten zu verarbeiten. Am 24. Januar 1984 war es endlich so weit: Begleitet durch die weltbewegenden Töne von Bob Dylans »The Times They Are A-Changin« stellte die Firma Apple nach jahrelanger Arbeit den Macintosh vor. Die Computerwelt erbebte. Nichts war mehr wie zuvor. Der Mac, der erste Mikrocomputer mit grafischer Benutzeroberfläche wurde in so großen Stückzahlen produziert, dass sich das kleine Apfelsymbol auf dem ganzen Globus verbreitete. Sein kreativer Name stammt übrigens von der Apfelsorte »McIntosh«, dem saftigen Lieblingsapfel von Jef Raskin, einem Mitglied des Macintosh-Designteams. Der alternative Name »Bicycle (for your mind)« von Mitbegründer Steve Jobs konnte sich nicht gegen das Früchtchen durchsetzen.
Nach 25 Jahren ist der Mac zum PC für szenegeile Besserverdiener mutiert. Die Abfahrt in Richtung Massencomputer hat er verpasst. Anstatt als Fahrrad für Köpfe rast er wie ein hirnloser Golf VI über die Autobahn – und bleibt im Stau der mit Apfellogos überfüllten Seminarräume stecken. Und doch ist sein Ruf noch immer elitär und mancher »Switcher«, der von Windows auf Mac umsteigt, erhofft sich ein bisschen Image-Transfer von den creative people aus BerlinMitte auf sein Studentendasein in Dahlem. Aber sind wir ehrlich: Die Mac-Party ist doch vorbei. In seinem Inneren tickt mittlerweile ein stinknormaler Intel-Prozessor. Windows läuft auf dem Mac und Mac OS X mit ein paar Kniffen auf dem PC. Apple scheint sich mehr für Mobiltelefone als für tragbare Computer zu interessieren. Und zu allem Elend reißen die Krankheitsgerüchte um AppleMessias Steve Jobs nicht ab. Was kommt also als nächstes? Die kleinen Notebooks sind bereits eine veritable Seuche auf dem Campus. Billig, hässlich und mit einem Monitor, der den Gameboy zum Kinoerlebnis macht. Oder folgt dem Apple-Kult der elektronische Dritte-Welt-Chic? Die ersten Kollegen schreiben einem ja bereits SMS in Großbuchstaben, weil ihr Billighandy über keine anderen verfügt. Kreuzen bald Studenten mit einem One-Laptop-per-Child-Computer an der Uni auf? Der würde mit seinen 180 Euro wenigstens etwas besser zum studentischen Budget passen als dieser weiße, viereckige 1000-Euro-Kasten von – wie hieß dieser Telefonhersteller doch gleich?
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Bildlegende
Open Access to the Rattenkeller Von den ersten Bücherspenden an die Freie Universität bis zum E-Book: Florian Stenschke über die Vergangenheit und Zukunft wissenschaftlicher Literatur. Mit Büchern waren Gedankengänge durch Theoriegebäude schon möglich gewesen, bevor der erste Vorlesungssaal gebaut war. Frau Stamm, 1948 die Leiterin der Erwerbungsabteilung, packt in diesem rührigen Nachkriegsbild Bücherspenden aus den USA aus. Hammer, Beil und Keil waren in den ersten Tagen der Freien Universität für Bibliothekare so wichtig wie heute der Barcodescanner. Würde die Freie Universität heute nochmals mit Hilfe von amerikanischen Spenden gegründet, müsste die Literatur wahrscheinlich nicht mehr im »Rattenkeller« gestapelt werden, sondern würde als PDF zur Verfügung gestellt werden. Studenten bekämen E-Books und der Proliferation von Wissen stünde nichts mehr im Weg. Geteiltes Glück ist doppeltes Glück. Die Gedanken sind frei. Und: Worte sind Geschenke. Wer sie liest, wird mit Informationen bereichert – manchmal auch mit Wissen. Warum also die Aufregung um »Open Access«, einer Initiative für frei zugängliche Wissenschaftsliteratur im Internet? Ist es nicht schön, wenn jeder alles lesen, hören und sehen kann? Gerade dann, wenn die Autoren nicht am Hungertuch nagen, sondern auf gepolsterten Lehrstühlen sitzen? Für Universitäten (und damit für Steuerzahler) ist gedruckte Wissenschaft ein schlechtes Geschäft: Universitäten bezahlen Forschern Ausstattung und Gehalt. Publikationen werden redaktionell von Kollegen betreut und gratis an privatwirtschaftliche Buchverlage gegeben. Danach müssen Unis das Wissen in Form teurer Bücher und Zeitschriftenabonnements von den Verlagen zurück kaufen. Auch den Studenten bringen E-Books viele Vorteile: alle Titel sind jederzeit erhältlich, die Wege zu unterschiedlichen Bibliotheken fallen weg. Haptische Nachteile stören akademische Vielzuhause- und 32
Beim Auspacken der ersten amerikanischen Bücherspenden an die Freie Universität, 1948.
-unterwegsleser mit federleichten E-Books nicht. Niemand müsste mehr aus finanziellen oder logistischen Gründen auf wissenschaftliche Literatur verzichten. Fazit: Der Mehrwert eines gedruckten Wissenschaftsbuchs existiert nur auf dem Bankkonto des Verlags. »Copyright« – das »Recht zum Kopieren« – ist Druckerschwärze von vorgestern, als man Fernsehen noch mit dem Fernseher empfing und mit einem Telefon telefonierte, das nichts anderes konnte als Telefonate übermitteln. Im digitalen Zeitalter sind Original und Kopie identische Abfolgen von Einsen und Nullen; die Kopie
existiert de facto nicht mehr. Vermutlich bringt Steve Jobs bald stylische Lesebrillen mit Texterkennungsscanner auf den Markt, durch die alle jemals gedruckten Worte in einer gigantischen Datenwolke verdampfen – mit Open Access. Die normative Kraft des Faktischen bricht dem Copyright das Genick und bringt Wissen in Umlauf. Hammer, Beil und Keil braucht es dazu nicht mehr.
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Florian Stenschke studiert Nordamerikastudien, lebt von Sprache und ist Herausgeber des Hörbuchs «staat sex amen». Bildquelle: Universitätsbibliothek FU Berlin
Furios 02/2009
Die Internationale
fühlt sich in London plötzlich reich. Darüber freuen kann sie sich nicht richtig. Die Wirtschaftskrise hat London durcheinander gebracht. Clara Herrmann
On this sunny first of April the image of the financial centre of London has changed. On Bishopsgate the usual secenery with men in suits standing outside the mighty buildings smoking cigarettes or rushing through the congested traffic is replaced by a colourful hustle and bustle of music, dance and Speakers-Corner-like happenings. Tents and bicycles block the street and a bright banner stretched between some banking houses shows what it`s all about: “Nature doesn`t do bail outs”. It is the day before the G20 are descending on the city in a summit to address the current global crisis and protesters give vent to their anger. Listening to the speeches I feel slightly ashamed. I know full well that the money misery makes my student life in London a lot easier. The weak pound brought me unexpected financial relief. It is in fact the perfect time to study in London. One man`s meat is another man`s poison. First comes a full stomach …
At the University College of London, where I study as an Erasmus affiliate the anger one could feel on the streets turns into anxiety. The financial crisis is also a graduate job crisis. “Recession-proof your career” says an advert on the university`s pinboards. But the 180 year old institution itself, which was founded to provide a progressive alternative to other institutions` social exclusivity, seems to have forgotton their own responsibility. It is an open secret that the leaders of the UCL plan to increase tuition fees. Students at the Faculty of Arts and Humanities for instance already pay £3,145 per annum for studying a Bachelor of Arts. This could be doubled in a few years as some concerned university lecturers tell me. Former ideals are munched
FURIOS 02 Impressum Herausgeber: Tin Fischer Chefredaktion: Claudia Schumacher (V.i.S.d.P., Bergmannstraße 109, 10961 Berlin), Laurence Thio Ressortleitung Politik: Laurence Thio Ressortleitung Campus: Björn Stephan Ressortleitung Kultur: Marlene Göring www.furios-campus.de redaktion@furios-campus.de Furios 02/2009
by the “fat-cat”. Jeremy Bentham, the spiritual father of the university, who`s preserved skeleton sits watching in a wooden cabinet in the main building, must be little amused. And the students? Their hunt for credit points keeps them busy. £20 000 debts after graduation is no curiosity so studying has to be effective. But some start to feel like they have been cheated. The fees were mainly accepted because of the good jobs and high salaries a degree promises, but the future seems to be very uncertain now. Poor but sexy
But the Brits` famous sense of humour is not gone with the crisis. They make the credit crunch a fashion. Robin Hood dresses and seedy bankeroutfits can be seen at “Low life parties”. Altough pomp and glamour isn`t in vogue these days, the show must go on. Defiantly holding a drink in the hand the recession can be beaten with a smile. With astonishing naturalness the slogans of every day life have changed. The business lunch is replaced by the “credit crunch meal deal” and the newspapers now elect the best looking “broken broker” instead of the hottest business man. Berlin`s mayor Klaus Wowereit, who knows about the glamour of poverty could supply his London counterpart Boris Johnson with the perfect slogan to promote the city at the moment: “London is poor but sexy?”
Redaktionelle Mitarbeiter dieser Ausgabe: Nicolas Fuchs, Keren Kashi, Christian Wöllecke, Felix Moniac, Sophie Jankowski, Viola Köster, Franziska Weil, Tasnim El-Naggar, Anna Klöpper, Elisabeth Loose, Florian Stenschke, Clara Herrmann, Theresa Kellner, Rachelie Hefter, Johann Haber Illustrationen: Michi Schneider, Jasmin Fayad, David Goldwich Layout: David Goldwich, Jasmin Fayad Lektorat: Annika Blume
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Inserate: Hanno Haber, Keren Kashi, Tobias Heimbach, Sophie Jankowski – inserate@furios-campus.de Vertrieb: Christian Wöllecke Jeder Autor ist im Sinne des Pressegesetzes für den Inhalt seines Artikels selbst verantwortlich. Die in den Artikeln vertretenen Meinungen spiegeln nicht zwangsläufig die Ansicht der Redaktion wider. Gemäß dem Urheberrecht liegen die Rechte an den einzelnen Werken bei den jeweiligen Autoren.
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Ewige Ehemalige
Wer schreiben will, muss leiden. Benedict Wells im Hausflur seiner z alten Wohnung – »eine absolute Bruchbude«, wie er selbst sagt.
Der Anti-Student Als er mit 19 von München nach Berlin zog um Schriftsteller zu werden, waren die (Selbst-) Zweifel groß. Vier Jahre später veröffentlichte Benedict Wells (24) seinen Debütroman »Becks letzter Sommer«. Und zeigt, dass man auch ohne Studium erfolgreich sein kann. Ein Portrait. von Johann Haber und CORA-MAE GREGORSCHEWSKI (Foto) Benedict Wells macht einen unauffälligen Eindruck. Er ist schmal, höflich, sogar herzlich. Kleidet sich nicht exzentrisch, hat gepflegt-ungepflegtes Haar, und einen leichten Einschlag von bayerischer Mundart. Er wirkt eigentlich wie ein ganz gewöhnlicher Student. Seltsam, dass er, obwohl früher mehrere Semester pro forma an der FU eingeschrieben, partout keiner sein will. »Das letzte mal als ich richtig in einer Vorlesung war, habe ich einen Freund begleitet, BWL war das, glaube ich.« Dort ist ihm erneut klar geworden, warum der Student Benedict Wells nie mehr als eine Karteileiche war. »Ich mag es einfach nicht, wenn einer so da oben steht und daherredet, ohne auf mich einzugehen. Ich habe grundsätzlich ein Problem mit Autorität.« Das klingt nach einer billigen und selbstgerechten Pose, aber im Gespräch wird klar, dass dies nicht zutrifft. Es ist weniger eine Kritik, als ein Eingeständnis, nicht in die Universität zu passen. Die Hauptvorwürfe an die Reformen des Bildungssystems, am Fokus auf das schnelle Studieren, dem erhöhten Druck und der Stromlinienförmigkeit der Ausbildung teilt er dennoch. Schon in der Schule verlief seine Karriere darum unregelmäßig: Drei verschiedene Internate besuchte er, bevor er nach dem Abitur nach Berlin zog, um seinen ersten Roman zu schreiben: »Becks letzter Sommer«, voriges Jahr bei Diogenes erschienen. Umso erstaunlicher, dass dieser ausgerechnet eine LehrerSchüler-Beziehung zum Thema hat, wenn auch eine auf gleicher Augenhöhe. Als bildungspolitisches Programm betrachtet er seinen Erstling aber nicht. Auch sonst springen keine Berührungspunkte ins Auge – Wells ist keineswegs ein so abgeklärter Zyniker wie 34
seine Hauptfigur Beck, was erklären mag, warum der manchmal etwas klischeehaft erscheint. »Becks letzter Sommer« ist kein großer Wurf, aber handwerklich so souverän, dass man sich von Wells noch einiges erhoffen kann. Statt des Studiums arbeitete er einige Zeit als Redakteur bei »Menschen bei Maischberger«. Hinter den Kulissen habe es von Zynikern gewimmelt, so dass es einiger Anstrengung bedurfte, nicht selber einer zu werden. Trotzdem arbeitete er gerne mit ihnen zusammen. Ausgestiegen ist er, als es zuviel wurde: tagsüber den Lebensunterhalt zu verdienen, und sich parallel in seiner Wohnung - »eine absolute Bruchbude« - die Nächte beim Schreiben um die Ohren zu schlagen. Als wichtige Lebenserfahrung betrachtet er diese Zeit, vor allem, weil sie ihm einen Einblick ins Arbeitsleben brachte, der in seiner Zunft selten ist. »Einige Leute fragen mich jetzt auch, ob es mir gefällt, der Schriftstellerszene anzugehören. Aber erstens tue ich das nicht und zweitens würde mir das nicht gefallen. Ich mag Szenen grundsätzlich nicht.« Einige Dinge heben ihn ab vom Bild, das man von einem typischen Feuilletonliebling hat – seine unironische Bewunderung für SciFi-Blockbuster wie »The Matrix« beispielsweise. »Ich habe auch vor, einen FantasyRoman zu schreiben.« Vorerst erscheint demnächst ein weiteres Buch, »in dem ich auch mal sagen will, dass es keine Schande ist, wenn das Studium nichts für einen ist.« Danach plant er, zu reisen und ein Jahr in Barcelona zu leben. Was er da machen will? »Leben. Das habe ich in den letzten paar Jahren viel zu wenig getan.«
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Johann Haber studiert Physik Furios 02/2009
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be Berlin schafft Raum! Für Menschen, die die Stadt bewegen. Und für die vielen kleinen und großen Geschichten, die Berlin zu dem machen, was es heute ist: ein Ort, an dem man sein muss – the place to be. Der Stadtladen bietet Raum für Ausstellungen, Events, Gesprächsrunden und vieles mehr. Geh auf Entdeckungstour, erlebe die Vielfalt, die Energie und den Wandel dieser Stadt!
Mehr Infos auf www.sei.berlin.de stadtladen | Rochstraße 15 | 10178 Berlin-Mitte | Mo – Fr 12 – 20 Uhr | Sa 12 – 18 Uhr