FURIOS 04 – Verhältnisse

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Furios

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04 JUN 2010

Studentisches Campusmagazin an der Freien Universität Berlin

4Verhaeltnisse$ Beziehungsweise gestĂśrt



Editorial

Für die Optik sorgen: David Goldwich studiert Informatik und Philosophie und besorgt sich vor Drucktermin immer eine sehr hungrige Katze – um wach zu bleiben.

Cora-Mae Gregorschewski studiert Biologie, malt leidenschaftlich gern und hat ihre Fotos aus FURIOS auch schon in der SZ und im TIP veröffentlicht.

Siona Ksoll studiert Politikwissenschaft an der FU und Geographie an der HU.

Michi Schneider studiert Kunstgeschichte und Anthropologie und zeigt demnächst seine Bilder in der Ausstellung »DER ESKAPIST«.

Julia Schönheit studiert Nordamerikastudien.

Liebe Kommilitoninnen, liebe Kommilitonen, »no man is an island« erkannte der englische Schriftsteller John Donne vor knapp 400 Jahren, als er sich krank und allein fühlte. Heute gibt es nicht einmal mehr einsame Inseln, auf die wir fliehen könnten. Wir stehen in einem unübersichtlichen Wust an Verbindungen zu fast jedem Menschen unseres Planeten. Ständig, online, überall. Mal freiwillig, mal zwanghaft. Und im Bildungsalltag erfahren wir mit großer Regelmäßigkeit, wie schwierig es werden kann, wenn die Kommunikation ins Stocken gerät, wir aber auf sie angewiesen sind. In das altmodische Verhältnis von Student und Mentor hat die Massenuniversität ordentlich reingefunkt. Und trotzdem gibt es immer noch Instanzen, die uns unter ihre Fittiche nehmen, uns fördern, aber auch beherrschen können. Beziehungen können Fluch oder Segen bedeuten. Können wir sie noch danach unterscheiden? Oder sind wir, im wortwörtlichsten Sinne, beziehungsgestört? Für diese Ausgabe haben wir mit Gesine Schwan das nicht immer einfache Verhältnis zwischen Lehrenden und Lernenden beleuchtet. Wie Mentoren uns verändern können, hat Michi Schneider über die Seiten der Titelgeschichten hinweg illustriert. Da wir innige Beziehungen, zu denen, die uns lehrten, schon aus dem Kindergarten kennen, hat sich Marlene Göring mit den Bildungsikonen ihrer Prä-Unizeit getroffen. Anchalee Rüland fragte nach, warum sich die FU eigentlich »Internationale Netzwerkuniversität« nennt. Und Devid Mrusek wagte sich belletristisch in den Kampf ums Wesen der modernen Bildung: Er schickte die teilnehmenden Institutionen in Therapie. In eine ganz neue Beziehung treten jetzt auch unser Heft und unsere Webseite www.fucampus.de: Zu vielen Heftthemen findet ihr auf FURIOS Online weitere Infos und Geschichten. Und natürlich gibt es dort weiterhin tagesaktuelle Berichte, Meinungen und Veranstaltungstipps zum Campusleben. Wenn du an unserem Redaktionsleben teilnehmen möchtest und für die FURIOS schreiben, zeichnen, fotografieren, layouten oder einfach dein Organisationstalent einbringen möchtest, bist du herzlich willkommen! Die Termine unserer Redaktionstreffen findest du online.

Christoph Spiegel

Sommerliche Verhältnisse wünscht euch

studiert Mathematik und findet Der Pate 3 unterbewertet.

Eure FURIOS-Redaktion

FURIOS 04 Impressum Herausgeber: Marlene Göring, Claudia Schumacher, Björn Stephan Chefredakteurin: Christina Peters (V.i.S.d.P., Petersburger Straße 66, 10249 Berlin) Stellvertretender Chefredakteur: Jonas Breng Ressortleitung Campus: Sophie Jankowski Ressortleitung Kultur: Carolin Benack Ressortleitung Politik: Jonas Breng Chef vom Dienst: Devid Mrusek www.furios-campus.de  Furios 04/2010 redaktion@furios-campus.de 

www.fucampus.de/mitmachen 4)))))))))))))))))))))))))))))))))))$

Redaktionelle Mitarbeiter dieser Ausgabe: Frauke Fentloh, Tanja Goldbecher, Christian Güse, Simon Haux, Tobias Heimbach, Marvin Henniges, Daniela Hombach, Yulian Ide, Eva Jirjahlke, Max Krause, Hendrik Pauli, Konstanze Renken, Janna Rheinbay, Anchalee Rüland, Filip Tuma, Linn Voß Illustrationen: Pia Bruer, David Goldwich, Christian Güse, Jonathan Schmidt, Michi Schneider, Julia Schönheit, Christine Spady, Anne Vanselow, Christoph Witt Fotografen: Tina Conrad, Cora-Mae Gregorschewski, Filip Tuma, Alexander Ziegler

Layout: David Goldwich, Siona Ksoll, Julia Schönheit, Christoph Spiegel Lektorat: Marlene Göring Inserate: Devid Mrusek – inserate@furios-campus.de Jeder Autor ist im Sinne des Pressegesetzes für den Inhalt seines Artikels selbst verantwortlich. Die in den Artikeln vertretenen Meinungen spiegeln nicht zwangsläufig die Ansicht der Redaktion wider. Gemäß dem Urheberrecht liegen die Rechte an den einzelnen Werken bei den jeweiligen Autoren.

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Editorial

Inhalt 04 Empörte studentin

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Titelthema Verhältnisse Über studentisch-präsidialen Schlagabtausch: Gesine Schwan

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Die, die mich lehrten: Lehrergeister der Vergangenheit

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Die Eingebildete: Der FU-Traum von der Netzwerkuniversität 10 Beziehungstherapie: Moderne Hochschule ist eine Zicke 12

4 × 2 / 40 000

4 × 2 / 40  000: 40 000 Menschen an der FU, 4 Paare sind hier

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Campus Das Bermudadreieck der FU: Verschwinden in Lankwitz 16 Bandrezension: Slippery Damage 19

Politik Der Seiltänzer: Präsident Peter-André Alt im Porträt 20 Opposition im Stimmbruch: Das StuPa-Gerangel 22 Bildungsstreik: Zwischen Revolte und Campingurlaub 24

Kultur Sibylle Lewitscharoff schreibt nicht ab 26 Der Flaneur: Kaffee im Kaff 28

Veranstaltungskalender

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Warenfetisch: Brillenaffen blicken dich an

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Bildlegende: Vom Irrglauben der Wissenschaft 32 Die Internationale: Guatemala 33 Der ewige Ehemalige: Christian Ströbele 34

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Die empörte Studentin

Die empörte Studentin Das gläserne Gefängnis: Wie uns der lethargische Fahrstuhl am U-Bahnhof Dahlem-Dorf in den Wahnsinn treibt. Ein empörter Appell und Hilfeschrei von Carolin Benack. Illustration: Pia Bruer

Auch empört? Schreib an empoert@furios-campus.de!

Liebe Mitstudierenden, liebe anderen FU-Angehörigen, liebe BVG! Vierunddreißig Sekunden sind quälend lang. Vierunddreißig Sekunden sind eine kleine Ewigkeit. Wer das nicht glaubt, nehme den Fahrstuhl am U-Bahnhof Dahlem-Dorf. Selbst, wenn die Wartezeit entfällt, benötigt dieser Lift nämlich unfassbare, unausweichliche vierunddreißig Sekunden für die geschätzten fünf Meter, die er zurücklegen muss. Das sind gerade mal fünfzehn Zentimeter pro Sekunde! Immerhin liefert diese Messung endlich einen objektiven Wert zu unserem subjektiven Empfinden, das da wäre: Dieser Fahrstuhl ist unheimlich langsam. Denn ehrlich, wem an der FU kommt dieses Szenario nicht bekannt vor? Auf dem Weg von der Rost- und Silberlaube zur heimischen Couch drücke ich den Knopf, um den Dahlemer Fahrstuhl – der natürlich immer unten am Bahnsteig wartet – zu rufen. Plötzlich höre ich aus der Ferne ein Geräusch. Langsam drehe ich mich vom gläsernen Fahrstuhlgehäuse weg, Schweißperlen bilden sich auf meiner Stirn und ich erblicke sie – die heraneilende Bahn (schrilles Streicherstakkato aus Psycho)! Panisch drehe ich mich wieder um, in der aussichtslosen Hoffnung, der Lift stünde doch schon vor mir. Natürlich ist er nicht da, die Seile setzen sich eben erst in Bewegung. Vielleicht, ja vielleicht schaffe ich es doch noch rechtzeitig, ein kurzer Blick nach hinten, die Bahn kommt immer näher, die Türen des Fahrstuhls öffnen sich, da spüre ich sie unter mir einfahren. Ich springe in den Lift und drücke den Nach-unten-Knopf. Jetzt ereignet sich Folgendes: Kurz bevor die Türen schließen, sprintet eine Gruppe Studenten heran, von denen einer der festen Überzeugung ist, sein Fahrrad passe noch in den sowieso schon überfüllten Fahrstuhl. Nach einigem Gedrängel und Baucheinziehen, welches ich nicht aus Freundlichkeit, sondern lediglich in der naiven Hoffnung auf Zeitersparnis mitmache, ist auch der Drahtesel drin. Eine Fahrt mit so einem Zwischenfall dauert eine Minute. Der Fahrstuhl des Berliner Fernsehturms benötigt vierzig Sekunden, um auf die Aussichtsplattform zu gelangen. Man kommt tatsächlich schneller zu einem Kaffee in 207 Metern Höhe als zur U-Bahn in Dahlem-Dorf? Ich verpasse in diesem Szenario also die Bahn. Doch gehen wir von einer idealen Fahrt aus: Niemand weiteres steigt ein, der Fahrstuhl setzt sich in Bewegung, kommt am Bahnsteig an. Während Furios 04/2010

mir die schon seit langem verhasste Frauenstimme erklärt, wo der Ausgang ist, beobachte ich aus meinem gläsernen Gefängnis heraus, wie die Türen der Bahn sich schließen. Warum nur dieser elende Fahrstuhl? Warum keine Leiter? Kein Sprungtuch? Auf Anfrage, warum man denn keine Treppe bauen könne, hat FURIOS erfahren, dass die BVG keinen wesentlichen Bedarf dafür erkennen kann. Dass diese Bürostuhlakrobaten unser Leiden nicht verstehen, überrascht nicht. Doch das wird sich ändern! Denn schon bald werden Studenten die Fahrstuhl-Folter nicht mehr länger ertragen und über das Dach hinunter in den Bahnhof springen. Dass dabei der eine oder andere von der Bahn erwischt wird, ist nicht schön, erfüllt aber seinen Zweck: Die in die Höhe schnellende Todesrate wird die BVG zum Handeln zwingen! Bald kann ich die Treppe nehmen, die durch den Lift verursachten Qualen werden vorbei sein – vorausgesetzt, ich gehöre bis dahin nicht zu seinen Opfern.

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Titel: Verhältnisse

Frau Schwan, Sie sind Expertin für Präsidentschaftskandidaturen. 1999 wollten Sie Präsidentin der Freien Universität werden. Wieso haben Sie jetzt nicht wieder kandidiert? Weil ich hier als Professorin an der Humboldt-Viadrina School of Governance ein Feld gefunden habe, das mich komplett ausfüllt. 1999 hätte ich das allerdings gerne gemacht. Nach den Erfahrungen als Dekanin an der FU hatte ich den Eindruck, man könnte sogar eine Massenuniversität so leiten, dass daraus eine Universität mit persönlichen Beziehungen entstehen kann. Die FU ist ein Ort, wo sich geistig-politisch etwas abspielt. Ich hätte sie gerne zu einem Akteur in der öffentlichen Debatte gemacht. Doch die Mehrheiten im Akademischen Senat waren anderer Meinung. Dem ehemaligen Präsidenten der FU, Dieter Lenzen wurde der Vorwurf gemacht, er hätte den Bezug zu den Studenten verloren. Wie viel Nähe kann sich ein Präsident erlauben? Genau die Nähe, die er auch zu anderen Menschen hat. Nach meiner Wahrnehmung habe ich mich gegenüber den Studierenden genauso verhalten wie gegenüber den Professoren oder dem Hausmeister. Es ist für mich grundsätzlich, dass keine Statusunterschiede gemacht werden. Für die Entwicklung der Viadrina waren die Studierenden meine besten Bündnispartner. Im Gegensatz zu vielen Professoren, die nur ihre eigenen Arbeitsgebiete, Karrieren oder Lehrstühlen im Blick haben, sind die Studierenden mehr am Gemeinwohl interessiert. Nicht, weil sie bessere Menschen sind, sondern weil

sie von dem guten Ruf der Universität im Ganzen profitieren Ist für den Ruf heute nicht vor allem das Exzellenzsiegel entscheidend? Nein. Ein Ruf, der sich nur aus der Exellenzinitiative konstituiert, wird in ein paar

der hat einen mangelnden Sinn für die Probleme der Gesellschaft. Auf Ihrer Homepage ist zu lesen, dass viele Bildungschancen vertan werden: Aus Furcht, nicht zu den Besten zu gehören. Treibt das den heutigen Studen-

bekommt

»Man auch mal eine

reingewatscht«

Björn Stephan ist Herausgeber von FURIOS. Er studiert Geschichte und Politkwissenschaft. Nach seinem Bachelor geht er für ein halbes Jahr nach Ghana.

Jonas Breng studiert Politikwissenschaft an der FU und leitet das Politikressort bei FURIOS. Er veröffentlichte bereits in verschiedenen Printmedien.

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Gesine Schwan im Gespräch über blinde Schafsherden, das Verhältnis zu ihrem Privatprofessor und den studentischpräsidialen Schlagabtausch. Das Interview führten Björn Stephan und Jonas Breng. Foto: Cora-Mae Gregorschewski Jahren Schall und Rauch sein. Universitäten, die Lehre und ihre Studierenden nicht ganzheitlich im Blick haben, können keine nachhaltige Reputation entwickeln. Wenn man im Übrigen Bildung in Konzentration auf 7,5 Prozent Elite propagiert und Wettbewerb als ausschließlichen Motor versteht, dann läuft das auf eine ausgesprochen autoritäre Gesellschaft hinaus. Ein paar haben die Führung inne und der Rest trottet wie eine blinde Schafsherde hinterher. Der Bildungsstreik hat offengelegt, dass das Verhältnis zwischen den Studenten und den Universitätsleitungen gestört ist. Wie könnte eine Therapie aussehen? Mir würde es darum gehen, schnell zu einer offenen Kommunikation mit der Studierendenschaft zu kommen, um einen gewissen Grundkonsens herzustellen. In der Diskussion sollte die eigene Position nicht ständig im Vordergrund stehen. Man muss Freude am Argumentieren haben und nicht so empfindlich sein, wenn man mal eine reingewatscht bekommt. Wer heute als Universitätspräsident keinen Zugang zur studentischen Vertretung hat,

ten an? Die Angst vor dem Scheitern? Meine Beobachtung ist, dass die Angst vor dem Scheitern schon sehr früh das Lernen behindert. Mich erschreckt, wie viele für ihr Examen einfach von außen festgelegten Anforderungen entsprechen wollen. Kommilitonen, die sich als Konkurrenten und nicht als Kompagnons betrachten, nehmen sich selbst eine Chance. Den Wettbewerb »jeder gegen jeden« halte ich für fatal. Ein Gedankenspiel: Wer studiert erfolgreicher? Der Netzwerker, für den das Semester die Zeit zwischen zwei Praktika ist, oder der Vollzeitstudent, der eigentlich noch gar nicht genau weiß, wo er hin will? Das hängt von der individuellen Person ab. Ich könnte mir vorstellen, dass der begeisterte Vollzeitstudent, der noch nicht genau weiß, wo er hin will und sich verschiedene Sachen anschaut, ein erfolgreicher Student ist. Wenn er allerdings vor lauter Unsicherheit nur das tut, was man von ihm verlangt und nicht seine eigenständigen Ziele verfolgt, dann wird er wahrscheinlich wenig Erfolg haben.

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Titel: Verhältnisse

Ist »Vitamin B« zu einer Art Modedroge geworden nach dem Motto: je mehr desto besser? Ja. Aber das ist eine gefährliche Droge, wenn man glaubt, dass man das Studium damit ersetzen könnte. Und sich durch möglichst viele Facebook-Freunde optimieren will. Das halte ich nicht für eine vernünftige Lebensstrategie. Sie selbst haben eine rasante Laufbahn hingelegt. Mit 27 promoviert, mit 31 habilitiert. Sie wären die perfekte BolognaStudentin gewesen. Ich war schon eine der Schnellsten, aber nicht weil ich unbedingt so schnell fertig werden wollte. Immerhin habe ich das Studienfach gewechselt. Erst habe ich Romanistik und Geschichte studiert und wollte Gymnasiallehrerin werden. Aber das gefiel mir doch nicht und ich bin dann nach Freiburg gegangen und habe jenseits einer beruflichen Perspektive getan, was mir Spaß machte: Philosophie, Politikwissenschaft und Theologie. Ich musste nicht arbeiten, um Geld zu verdienen, hatte Unterstützung von zu Hause und mit meinem späteren Ehemann quasi einen Privatprofessor. Ich hatte also sehr günstige Bedingungen. Als junge Studentin haben Sie sich in Ihren Professor und späteren Ehemann verliebt. Gibt es überhaupt eine normale Beziehung zwischen Studenten und Lehrenden?

Es gibt fast nichts Normales in dieser Welt. Wir haben uns in Freiburg in einem Marx-Seminar kennengelernt. Da war er allerdings noch Assistent. In unserer späteren Zeit in Berlin erinnere ich mich an ein paar 68er, die sich sehr darüber geärgert haben, dass Alexander Schwan und Gesine Schneider händchenhaltend in der Cafeteria des OSI saßen und als vermeintlich konservative Klassenfeinde etwas taten, was sie selbst nie gewagt hätten. Aber grundsätzlich hatte ich auch nach unserer Heirat nicht das Gefühl, dass sich daran jemand gestoßen hätte. Es war dann am OSI einfach das Ehepaar Schwan tätig. Man kann schon sagen, dass Ihr privates Netzwerk eine Rolle für Ihre Karriere gespielt hat? Wenn Sie die Beziehung von zwei Menschen als Netzwerk bezeichnen wollen. Also, ich würde es eher Kommunikation nennen. »Netzwerk« ist so ein Modebegriff. Es hilft nichts, wenn Ihre Kompetenz nur darin besteht, dass Sie Namen nennen können. Sie müssen auch eigene Fertigkeiten entwickeln. Das hängt von Ihrer Persönlichkeit und Ihren Begabungen ab.

Aber mussten Sie sich nicht gerade nach dem Tod Ihres Mannes mit sehr kruden Anfeindungen auseinandersetzen? Konkret ist mir ja ein Verhältnis vorgeworfen worden. Das ging von der Universitätsspitze aus. Präsident Gerlach hatte Angst, dass ich gegen ihn kandidieren würde. Obwohl ich stets gesagt hatte, das ich dies aus sehr privaten Gründen nicht täte. Da muss ich zugeben: Wenn mein Mann noch gelebt hätte, hätte man das nicht gewagt. Überhaupt hätte man diese Vorwürfe nicht gegen einen Mann erhoben. Dass diese Unterstellungen letztlich keinen Erfolg hatten, lag sicherlich daran, dass ich kein unbekannter Mensch war und mich gewehrt habe bis hin zu juristischen Mitteln. Zum Abschluss: Die nächsten Bundespräsidentenwahlen stehen in vier Jahren an. Aller guten Dinge sind drei, oder? Manchmal kann drei auch zu viel sein.

Einer breiten Öffentlichkeit bekannt wurde Gesine Marianne Schwan, als die Frau, die gleich zweimal an Horst Köhler scheiterte. Einen Namen hatte sich die Politikwissenschaftlerin aber schon lange vorher gemacht: als OSI-Dekanin und Präsidentin der Viadrina Universität in Frankfurt (Oder). Die gebürtige Reinickendorferin startete ihre Laufbahn an der FU, an der sie auch promovierte und gemeinsam mit ihrem ersten Mann Alexander Schwan unterrichtete. 1999 unterlag sie Peter Gaethgens bei den Präsidentschaftswahlen. Heute lehrt Schwan an der Humboldt-Viadrana School of Governance und ist in zweiter Ehe mit Peter Eigen, dem Gründer von Transparency International verheiratet.

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Titel: Verhältnisse

Die, die mich lehrten Wir haben sie geliebt, gehasst und nach Kräften ignoriert. Aber was ist uns von ihnen geblieben? Marlene Göring traf die Lehrergeister ihrer Vergangenheit.

Illustration: Michi Schneider 4)))))))))))))))))))))))))))))))))))$

»H

ahaha!« – Ich will den Hörer auf Armlänge von mir strecken, so laut ist das Gelächter meiner ehemaligen Kindergärtnerin. »Mein Traumberuf? Das kann ich nicht behaupten«, wundert sie sich. Ich mich erst. Das liebe, süße Fräulein Zweig, in Wirklichkeit eine Kinderhasserin? Vergeblich versuche ich, das glockenhelle Lachen aus meinem Gedächtnis in der Stimme am Telefon zu erkennen. Das Vorhaben, die Ikonen meines Bildungsweges wieder zu treffen, könnte sich als ziemlich ernüchternd erweisen. Fräulein Zweig heißt jetzt Frau Schilling und hat direkt nach der Wende aufgehört, im »Max und Moritz«-Kindergarten in Jena zu arbeiten. Vor unserem Gespräch dachte ich an goldene Zeiten zurück. Die Zeit der ersten Freunde und Feinde, der ersten Erinnerungen überhaupt. Und Fräulein Zweig alias Andrea Schilling spielte darin die Rolle des gutmütigen Engels. Statt diesem Engel habe ich jetzt eine gestandene Senior-Managerin am Telefon. Den Beruf des Erziehers hatte sie aus rein pragmatischen Gründen gewählt. Immer noch hört man ihr den Ärger darüber an, dass sie in der DDR das (später nachgeholte) Abitur nicht machen durfte. Sie hat sich dann für das Ausbildungsziel Kindergärtnerin entschieden, damals ein angesehener Bildungsberuf. Von all dem hatte ich natürlich keine

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Ahnung. Wir haben Fräulein Zweig einfach geliebt. Vor allen anderen Erzieherinnen hatten wir irgendwie Angst, die waren alt und streng. Fräulein Zweig sagte einmal, sie wolle nach uns keine andere Kindergruppe mehr übernehmen. Ich dachte, weil wir ihr so ans Herz gewachsen waren. »Eher weil ich mit der politischen Überwachung und dem Kindergeschrei nicht klarkam«, gesteht sie mir heute.

• Auch das Treffen mit Frau Bestel wird ein Exkurs in die deutsch-deutsche Geschichte. Sie war von der ersten bis zur vierten Klasse meine Klassenlehrerin. Fast alle meine relevanten Erinnerungen an die Zeit um 1990 sind mit ihr verbunden. Als ich zum verabredeten Treffpunkt komme, ernte ich einen amüsiert strafenden Blick: Ich bin zu spät. Und von den Socken – statt der erwarteten gebrechlichen Großmutter steht vor mir dieselbe resolute Frau wie vor 17 Jahren. Das Café hat sie ausgewählt. Es riecht nach Wiener Kaffee, aus einer Vitrine lachen mir Hochzeitstortenfiguren aus Frack und Baiserkleid entgegen. »Haben Sie schon gefrühstückt?«, fragt mich Frau Bestel fürsorglich. Frau Bestel war die einzige, die uns erklärte, wieso die Lehrer in den Wendewochen bedrückt durch das Schulhaus wankten. Keiner wusste, wie es weitergeht. Irgendwann lief die Umstellung sehr schnell. Projekttage, neue Lehrpläne, Fortbildungen für die Lehrer. »Das war ja alles Neuland für uns!« Ich selbst hatte die neuen Lehrme-

thoden und den Umzug aus der Polytechnischen Oberschule in eine Grundschule nach BRD-Modell einfach hingenommen. Froh war ich über den schulfreien Samstag und das Abschaffen der Noten für Ordnung und Betragen. Frau Bestel ist nach der Wende die gleiche für uns geblieben. Das Sammeln von Fleißbienchen und Altpapier war längst passé, da wollte sie neben Rechnen und Schreiben immer noch vor allem eins vermitteln: Moral. Keiner durfte gemein zu seinen Mitschülern sein. »Gerade Kinder aus sozial schwachen Familien waren mir ans Herz gewachsen«, sagt sie nachdenklich. »Ich wollte, dass aus denen was wird. Das Menschliche war mir immer besonders wichtig.« Unser Gespräch dreht sich dann auch hauptsächlich um Familie und Bekannte. Die Kinder auf dem Klassenfoto kennt sie alle noch mit Vor- und Nachnamen. Am Ende sind Frau Bestel und ich per Du.

• In Vorbereitung auf meinen nächsten Lehrergeist besuche ich mein altes Gymnasium. Trotz ausgiebiger Sanierung schlägt mir das bekannte Geruchsgemisch aus Kantinenessen und Kinderfuß entgegen. Immer noch hängen unbeholfen ausgemalte Quadrate als kubistische Hommage an der Wand. Die Namen unter den Schülerbildern sind andere. Ein Ivo, eine Johnette und ganze zehn Charlottes zeugen von einer neuen Generation. Im abgelegenen dritten Stock könnte ich sicher heute noch

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Titel: Verhältnisse

heimlich eine auf dem Schulklo rauchen. Wie damals in der Fünf-Minuten-Pause, zwischen der siebten und achten Stunde. Ethik bei Frau Müller. Unser anstehendes Treffen bereitet mir Kopfzerbrechen. Sie hatte es nicht leicht mit mir. Frau Müller und ich gehen in das szenige Café Stilbruch und erwischen den letzten freien Tisch. Wir reden über Journalismus, Bildungspolitik, die Zusammenlegung der Jenaer Gymnasien. »Das ARG war etwas Besonderes«, resümiert sie. Denn das AdolfReichwein-Gymnasium von einst, über dessen Eingang »Lehrt uns den Frieden« gesprüht stand, gibt es nicht mehr. Es ist jetzt eine kooperative Gesamtschule, das frühere Lehrerkollektiv ist zerbrochen. Gemeinsam beweinen wir den Verlust. Auch wenn ich das ARG erst nachträglich liebgewonnen habe – wegen seiner musisch-sprachlichen Ausrichtung und der vielen motivierten Lehrer. Damals hielt ich den Großteil der Menschen dort für spießig und einfach blöd. Jedes Mal, wenn ich darauf anspielen will, weicht Frau Müller aus. Auch von

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teenage angst und Rebellion will sie nichts wissen. Die halb gefürchtete, halb herbeigewünschte Konfrontation kommt nicht. Vergeblich versuche ich in ihrem Gesicht zu lesen. Sie bleibt ganz ruhig, ihre Hände jedoch spielen nervös mit der Speisekarte. »Wenn es gut geht, ist der Unterricht auf Augenhöhe«, sagt sie jetzt. »Da geben dann eben die den Ton an, die auch Lust haben.« Langsam wird mir klar: Vor mir sitzt eine engagierte Lehrerin, die sich ihren Schülern am liebsten fachlich nähert. Wer sich nicht begeistert, dem rennt sie auch nicht hinterher. Als Dozentin und Studentin wären wir sicher ausgezeichnet miteinander ausgekommen. Einmal noch werde ich stutzig. »Da sind Sie die Siegerin geblieben«, sagt Frau Müller, als ich ihr von den Querelen mit meiner damaligen Englischlehrerin erzähle – die hatte mir das Wort »alienated« nie als Übersetzung von »entfremdet« durchgehen lassen, ich habe es beharrlich weiterbenutzt. Sind die Kämpfe von damals doch nicht überwunden?

Auch Frau Hager hatte ich am ARG. Deutsch und Geschichte, von der neunten bis zur Oberstufe. Als die meisten Lehrer an meiner jugendlichen Sturköpfigkeit längst resignierten, hat sie mich immer wieder aus der Reserve gelockt. Einmal sollte ich die letzte Stunde zusammenfassen, obwohl ich geschwänzt hatte. Das Thema wusste ich, den Rest habe ich mir zusammengesponnen. »Marlene, das können Sie gar nicht wissen!«, platzte Frau Hager heraus, gleichzeitig verärgert und anerkennend. Von ihr habe ich ein Grundvertrauen in meine geistigen Fähigkeiten, das mir an der Uni oft geholfen hat. Mit Frau Hager sitze ich ebenfalls im Café Stilbruch, wo auch sonst in Jena. Ob sie sich besonders freut mich zu sehen, kann ich schwer sagen. Frau Hager war immer ein herzlicher Mensch. Sie sieht frisch aus, kaum älter als vor zehn Jahren. »Paris, da war ich auch mit!«, ruft sie plötzlich beim Durchblättern meines Abihefts. Ich kann mir kaum vorstellen, dass meine einstige Deutschlehrerin im Moment an einer Grundschule unterrichtet. Von ihr habe ich zum ersten Mal von Motivgeschichte und Freudscher Psychoanalyse gehört. »Ich war noch nie an einer Grundschule.« Sie lacht: »Das war schon ein schöner Kulturschock.« Was denn wichtiger sei, frage ich: das Zwischenmenschliche oder die fachliche Bildung? »Das kann man nicht so wichten«, sagt sie und benutzt eine seltene adjektivische Verbkonstruktion, die vor Jahren von ihrem in meinen Wortschatz übergegangen ist. »Ich kann nicht nur als Stundenhalter da vorne stehen, ich muss auch eine Beziehung zu den Schülern aufbauen«, sagt Frau Hager und nippt an ihrer Schale Cappuccino. Für eine Weile verlieren wir uns in einer Diskussion über die soziale Verantwortung des Lehrers. Bei Konflikten solle man auch mal persönlich werden. »Damit die Schüler merken, die haut hier nicht nur heiße Luft raus.« An unsere leicht schizophrene Beziehung damals erinnert sie sich schon. »Dafür ist man Lehrer, dass man auch mit Teenagerallüren klarkommt.« Zum Glück habe ich nicht auf Lehramt studiert.

Marlene Göring studiert Literaturwissenschaft und ist Mitherausgeberin dieser Ausgabe von FURIOS. Vom Bildungssystem wird sie sich bald verabschieden.

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Titel: Verhältnisse

Die Eingebildete »Internationale Netzwerkuniversität« will die FU sein – und weiß nicht mal, was sie damit meint. Anchalee Rüland hat ihren beziehungsarmen Campus durchforstet und nach Initiativen gesucht.

Illustration: Michi Schneider 4)))))))))))))))))))))))))))))))))))$

W

enn es um die »Anwesenheitsnotiz« geht, gerät Johanna ins Schwärmen. Gemeinsam mit Freunden und Kommilitonen hat die 24-jährige Literaturwissenschaftlerin die Zeitschrift für Hausarbeiten aus dem Boden gestampft. In der Arbeit stecken viel Schweiß und Herzblut. An Geld mangelt es aber. »Wir haben in der Ernst-ReuterGesellschaft zwar einen Sponsor gefunden«, sagt Johanna, »aber wir müssen weiter nach Geldgebern suchen.« Auf die Frage, ob sie die Uni um Hilfe gebeten haben, entgegnet sie verblüfft: »An wen hätten wir uns da denn wenden sollen?« Fragt man die Pressestelle nach Ansprechpartnern und Netzwerken, folgt Ratlosigkeit. Der neue FU-Präsident PeterAndré Alt weiß auch noch nicht recht, was er dazu sagen soll: »Studentische Netzwerke sind ein Aspekt der Netzwerkidee, der bisher nicht im Zentrum stand, da wir Internationalisierung im Auge hatten.« Nicht nur die Universität ist überfordert. Auch den Studenten fehlt der Durchblick. »Die einzelnen Gruppen sind auf Eigenwerbung angewiesen«, meint Natalie Pat-

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zek, Geschichtsstudentin an der FU. »So kennt eigentlich niemand das ganze Angebot. Von einer Veranstaltung, bei der sich alle vorstellen, habe ich nichts gehört«, bedauert Natalie. Dass es auch anders laufen kann, weiß Shan Qiao. Eigentlich studierte sie Biochemie an der FU. Doch als die 23-Jährige im vergangenen Jahr mit Erasmus nach Cambridge ging, gefiel es ihr dort zu gut. Sie entschloss sich, zu bleiben. Inzwischen hat Shan eine Stelle im Department of Genetics und schreibt fleißig an ihrer Diplomarbeit. Anfangs musste sie sich jedoch wie alle anderen »Freshers« erst zurecht finden. »In Cambridge wird einem das leicht gemacht«, findet Shan. Denn es gibt eine jährliche Messe für die studentischen »Societies«. Die Projektlandschaft in Cambridge ist lebendig. Wer sich nur zu Beginn des Studiums über bestehende Netzwerke informiert, ist schnell von gestern. »Es gibt hier einfach alles«, schwärmt Shan. Von Sport, Sprachen und politischen Gruppen bis hin zum »Käse-Essen-Club«. Jedes Jahr präsentieren sich in Cambridge um die 350 studentischen Clubs über zwei Tage hinweg. Beim letzten Mal waren es 10 000 Besucher. Die FU bietet kein Äquivalent. »Bis zum Wintersemester 08/09 gab es eine zentrale Immatrikulationsveranstal-

tung. Im Anschluss daran konnten sich Projektgruppen vorstellen«, sagt Carsten Wette, Pressesprecher der FU. »Mittlerweile sind für die Vorstellung der Netzwerke die Institute verantwortlich.« Im Klartext: Die gesamte Initiative liegt wieder bei den Studenten. »Wir versuchen bei möglichst allen Erstsemesterveranstaltungen anwesend zu sein«, berichtet Kristina Kämpfer von der Liberalen Hochschulgruppe. Kein leichtes Unterfangen bei nur 25 aktiven Mitarbeitern, aber 12 großen Fachbereichen und unzähligen Instituten. Unter dieser Anbindungslosigkeit leidet nicht nur das studentische Projektleben, sondern auch das Gemeinschaftsgefühl an einer Universität mit rund 40 000 Angehörigen. Kann der Verwaltungsapparat nicht wenigstens online für Klarheit sorgen? Angekommen im 21. Jahrhundert bietet das Internet genügend Möglichkeiten, Studenten zu informieren. Auf der FU-Webseite forstet man dennoch vergebens nach einer Auflistung der studentischen Gruppen und Projekte. Rechtliche Gründe würden der Universität die Hände binden, weiß FUPräsident Alt. Probleme, die sich eine Universität von Rang nicht leistet. Eine E-Mail an die Pressestelle von Cambridge, zehn Minuten später hat man die Auflistung aller »Socie-

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Titel: Verhältnisse

ties«, über 600 Stück an der Zahl. Beim Onlineauftritt der Universität St. Gallen, eine der europäischen Kaderschmieden für Wirtschafts- und Rechtswissenschaften, ist der Gesamtüberblick über das studentische Angebot ebenfalls nur wenige Mausklicks entfernt. »Es ist wirklich schade«, sagt Nils Ludwig, Vizepräsident des Internationalen Clubs an der FU. »Wir verbringen viel Zeit mit Öffentlichkeitsarbeit und trotzdem kennen uns viele nicht.« Dabei klingt das Konzept der studentischen Organisation gut. »Mit Veranstaltungen wie Regionalabenden oder Stammtischen bringen wir Studenten zusammen, die sich austauschen und Sprachen lernen können«, legt Nils das Hauptanliegen dar. Trotzdem ist das Interesse und Engagement der Studenten gering. Neben der fehlenden Unterstützung machen die Organisatoren das Bachelor/Master-System verantwortlich. »Vielen, die ihr Studium ernst nehmen, fehlt die Zeit, sich an der Uni zu engagieren«, gibt Tatjana Zieher von der FU-Hochschulgruppe der Jusos zu bedenken. Der Zwang zum Durchstudieren ist groß. Dennoch entstehen ambitionierte Projekte wie die »Anwesenheitsnotiz«. Den drei studentischen Gründern geht es

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nicht nur darum, in Schubladen verstaubte Hausarbeiten wiederzubeleben. »Unser Ziel ist es, ein großes Netzwerk aufzubauen«, begeistert sich Johanna. »Wir möchten Studenten zum wissenschaftlichen Austausch bewegen.« Da die FU solche Projekte angeblich nicht unterstützen kann, springt die Ernst-Reuter-Gesellschaft (ERG), Dachverband der Alumni-Vereinigungen, ein. Mit einem Budget von 250 000 Euro sind die Grenzen jedoch eng gesteckt. »Wir können den Studenten nur den Anschub finanzieren und Mut machen«, beschreibt Wedigo de Vivanco, Geschäftsführer der ERG, das finanzielle Problem. Mit rund 2700 Alumni ist die Vereinigung im internationalen Vergleich sehr klein. Die Universität St. Gallen zählt an die 19 000 Ehemalige und hat damit allein aus den Mitgliedsbeiträgen das dreifache Budget. Die Alumniarbeit an der FU befindet sich in einem Teufelskreis. Wenig Geld heißt wenig Präsenz. Wenig Präsenz zieht ein geringes Interesse der Studenten nach sich, womit die Mitglieder ausbleiben. »Bisher konnte sich in Deutschland keine Alumni-Kultur entwickeln«, so de Vivanco. »Bis vor wenigen Jahren haben die Studenten mehrmals den Studienort gewechselt. Wem gehört dann ihre Loyalität?« Doch de Vivanco räumt ein: »Das Problem liegt auch in der Mentalität. In den letzten

Jahren ist das Interesse gewachsen, ein Umdenken findet statt.« Momentan entsprechen die Netzwerke der FU gerade dem Minimum für ein soziales und politisches Campusleben. Auch die Alumni-Arbeit steckt noch in den Kinderschuhen. Keine optimale Situation, um sich als »Internationale Netzwerkuniversität« zu rühmen. Was genau mit dem Begriff »Netzwerk« gemeint ist, scheint den Verantwortlichen selbst nicht klar. Der Meinung ist auch der stellvertretende Direktor des »Centre for International Cooperation« Dr. Herbert Grieshop: »Als man das Konzept erarbeitete, wurde die Bezeichnung bewusst offen gehalten.« Dass der Netzwerkgedanke an der FU unausgegoren ist, scheint auch Präsident Alt bewusst zu sein. So setzt er in seiner Mailantwort vorsichtshalber ein paar Gänsefüße: »Unser »Netzwerk«-Konzept bezieht sich auf den Anspruch, universitäre Partnerschaften weltweit zu entwickeln.« Auf diese Weise stelle die Universität für alle Statusgruppen weltweite Kontakte zur Verfügung. »Meine Studierenden in Germanistik«, so Alt, »können etwa im Master für ein oder zwei Terms nach Cambridge gehen, ohne Studiengebühren entrichten zu müssen«. Das Netzwerk biete den Studenten Vorteile, die der normale Programmaustausch nicht eröffne. Im Vordergrund steht die Internationalisierung. Das sieht auch de Vivanco so: »Wir suchen Kontakt zu FU-Alumni im Ausland. Ein Netzwerk, das sich positiv für die FU ausspricht, ist viel wert.« Verglichen mit den Elitestandorten »Oxbridge« in England und der »Ivy League« in Amerika ist das Budget der FU schwach. Trotzdem ist Alt optimistisch: »Wir versuchen, das nach Kräften durch gute Ideen auszugleichen.« In der Regel gilt aber: Bevor man sich auf internationales Parkett begibt, will das Laufen gelernt sein. Die Bezeichnung »Internationale Netzwerkuniversität« ist hohl. Denn von innen heraus fehlen die nötigen Netzwerke, um sich auf der Metaebene erfolgreich vernetzen zu können. In den Worten von Alt braucht unser beziehungsloser Campus vor allem: Ideen. Und die präsidiale Bereitschaft, auch Taten folgen zu lassen.

Anchalee Rüland studiert Geschichte und Politikwissenschaft im zweiten Semester. Für FURIOS findet sie immer Zeit, trotz Bachelor.

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Titel: Verhältnisse

Beziehungstherapie Moderne Hochschule ist eine Zicke. Ihr Vater Bildung heult sich bei seiner Therapeutin Geschichte aus. Schuld sind die Verwandten: Politik und Wirtschaft. Eine Kurzgeschichte von Devid Mrusek. Illustration: Michi Schneider 4)))))))))))))))))))))))))))))))))))$

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ildung liegt mit offenem Hemd und ohne Schuhe bei Geschichte auf dem Sofa. Er ist ein jovialer älterer Herr und ungefähr 200 Jahre alt. Während er sich nervös durch sein schütteres Haar fährt, versucht er sein Persönlichkeitsproblem in Worte zu fassen. Seit einiger Zeit erkennt er sich in seiner Tochter Moderne Hochschule nicht mehr wieder. »Ich habe den Eindruck, dass sie mehr nach ihrer Mutter kommt als nach mir.« Geschichte ist in die Jahre gekommen. Ihre Praxis befindet sich in einem Neubau im Stadtteil Neukölln. Von ihrem Schreibtisch aus hat sie Bildung aufmerksam zugehört und sich Notizen in ein dickes Buch mit Ledereinschlag gemacht. »Es ist wichtig«, sagt sie, »dass du ihr die Freiheit zugestehst, eine eigene Prägung auszubilden.« Sie wirft ihm einen aufmunternden Blick zu. »Du hast als Heranwachsender auch gespürt, dass Schule und Elternhaus alleine nicht aufs Leben vorbereiten können, oder nicht?« Bildung stehen die Selbstzweifel geradezu ins Gesicht geschrieben. »Dieser Satz könnte von mir stammen.« Geschichte blättert in ihrem Buch. »In der Tat. Du hast das geschrieben, als du zwanzig warst.«

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Die 19-jährige Moderne Hochschule schlendert mit ihrem Freund Zeitgeist durch den Volkspark Friedrichshain. »Meine Eltern haben einen Dachschaden«, sagt Moderne Hochschule zwischen zwei Schlucken 12

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Titel: Verhältnisse

Radler. »Meine Mama meint, ich solle mich für meinen späteren Beruf bilden. Mein Vater meint, durch die Ausbildung würde ich geistige Freiheit erlangen.« Das sei wichtiger, als nur Fachwissen reinzupauken. Zeitgeist streicht sich eine Strähne seiner asymmetrischen Frisur aus der Stirn. »An unserer Uni? Fünf Prüfungen pro Semester, Freiheit my ass!«, skandiert er. Im Gehen dreht er sich eine Zigarette. Moderne Hochschule ist in Gedanken schon bei Freitag, dann wird sie mit ihrem Patenonkel Politik aufs Land fahren. Seine Ansicht über Ausbildung ist ihr verständlicher als das elterliche Geschwafel. In seiner letzten E-Mail schrieb er, dass die Beamten einer Universität nur dem Staatszweck verpflichtet seien. Moderne Hochschule bleibt plötzlich stehen: »Die Ausbildung muss der Bedürfnisse, die der staatliche Großbetrieb und die Ökonomie an sie stellen, gerecht werden!« Zeitgeist gibt ein verächtliches Schnauben von sich. »Aber Staat und Gesellschaft bieten nicht mehr eine ›Erweiterung des Ich‹, so wie einst!« Für ihn üben sie nur Druck darauf aus. »Ich sage: Für Mündigkeit bist du selbst verantwortlich, that’s my religion!« Er setzt sich auf eine freie Stelle der Wiese und zündet seine Zigarette an. »Siehst du das nicht auch?«

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Bildung hantiert in der Küche herum, als Wirtschaft nach Hause kommt. Sie küsst ihn auf dem Weg ins Bad flüchtig, woraufhin Bildung in der Arbeit innehält. »Wusstest du, dass Politik und seine Frau Verwaltung unsere Tochter in ihr Landhaus eingeladen haben?« Wirtschaft wendet sich um. »Nein. Etwas Ruhe wird ihr bei ihrem derzeitigen workload aber guttun.« »Seine Moralpredigten über die soziale Verpflichtung der Intellektuellen anzuhören ist doch nicht erholsam! Außerdem interessiert sie sich durch ihn nur noch für Methodik statt für die Inhalte«, erwidert er. In seinen Augen kombinieren die vorgeblich vielseitigen Exzellenz-Professoren bloß Themen aus einem unklaren »Ideenpool«. Für ihn ist das ein zusammenhangsloses Aufeinandertreffen von belanglosen Fragen, über deren inhaltliche Leere sich der Apparat beständig hinwegevaluiert. Bildung verzieht das Gesicht. »Diese neumodische Beschäftigungstherapie, die Politik propagiert, ist nichtig!«, ruft er. Seine Ehefrau lässt ihre Business-Handtasche fallen und geht auf ihn zu. »Deine formation humaine ist doch von gestern! Was hilft sie ihr auf dem Weg ins Berufsleben?«, Furios 04/2010

entgegnet Wirtschaft voller Zorn. »Und was hilft es dir, den besten Stahl zu produzieren, wenn dein Innerstes voll Schlacke ist?«, gibt Bildung wütend zurück. Wirtschaft steht nun dicht vor ihm. »Mit Goethe brauchst du mir nicht zu kommen!«, sagt sie in einem schneidenden Ton. »Ein wenig Zweckorientiertheit im Leben schadet nicht!« Damit greift sie sich ihre Handtasche und verschwindet durch die Haustür. Bildung schaut seiner Frau verdutzt hinterher. Wie konnte sie behaupten, dass die Ausbildung ihr Kind auf das Berufsleben vorbereitet, wenn die Wissenschaft dieses durch neue Erkenntnisse in der Forschung beständig verändert? Bildung hat sich wieder gefangen und wählt eine Handynummer. Verwaltung nimmt beim fünften Klingelton ab, ihr Mann ist gerade auf Wahlkampfreise. »Kann ich zu dir kommen?«, fragt Bildung mit betont ruhiger Stimme.

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Als Moderne Hochschule gegen Mitternacht nach Hause kommt und in die unaufgeräumte Küche tritt, verdreht sie die Augen. Das Essen auf dem Tisch verspeist sie trotzdem dankbar. Zur gleichen Zeit kniet ihr Vater auf einem Bett in Potsdam und beugt sich zu Verwaltung hinab, die unbekleidet daliegt. Er schätzt sie als eine unabhängige Beraterin und merkt dabei nicht, wie die Zuneigung zu ihr ihn in seinem Urteil fehlleitet. Er braucht sie, um seine Beziehung mit Wirtschaft durchzuhalten, gleichzeitig kettet ihn seine Begehrlichkeit auch an Politik. Er muss seinen politischen Ideen aufgeschlossen gegenüberstehen, denn er will nicht seine Affäre mit dessen Frau gefährden. Niemand der Beteiligten merkt, dass sich alles um Verwaltung dreht. Deren Prominenz veranlasst Politik zurecht dazu, gemeinsam mit Wirtschaft von der ehemals freien Schulbildung ihren Tribut einzufordern: strukturiertes Studium, mehr erfolgreiche Abgänger, kein Bummeln. All dessen ist sich Bildung nicht bewusst, als er sich Verwaltung hingibt.

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Wirtschaft sitzt bei Geschichte in einem bequemen Sessel, auf einem fremden Sofa zu liegen, kommt ihr ungebührlich vor. Sie hat die Augen geschlossen und versucht, Bildung in einem Satz zu beschreiben. »Mein Mann hängt in einer NachkriegsSchleife fest«, bringt sie schließlich hervor. Sie sieht ein, dass nach 1945 erziehungstechnisch auf klassische Werte zurückgegriffen werden musste. Das war für die

Wiedereinbürgerung der Deutschen in Europa elementar. Bei der derzeitigen wirtschaftlichen Lage müsse davon aber Abstand genommen werden. »Heute muss die Universität den Anforderungen ihrer Stakeholder genügen. Ich würde niemals einen unproduktiven Lehrstuhl kofinanzieren.« Geschichte ist müde und kann ihr Amusement über die neuerlichen Eheprobleme des Paars kaum verbergen. »Das System der Kofinanzierung hat Politik doch mit Verwaltung und dir 1911 in Dahlem aus der Taufe gehoben«, sagt sie. Die Gründung der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft markierte den Zeitpunkt, als Firmen die universitäre Wissenschaft zu unterstützen begannen. Deren Einflussnahme wurde durch Verwaltung scharf überwacht. »Schon damals habt ihr euch gezankt, weil eure Interessen auseinandergingen«, fährt Geschichte mit einem Schmunzeln fort. Die Gesichtszüge von Wirtschaft lassen Erinnern erkennen. Sie würde tatsächlich gerne mit Politik die Inhalte der Schulbildung bestimmen. Diese Konstellation allerdings schätzt Geschichte als kopflos und verkopft zugleich ein. Es wäre wie ein eisengepanzertes Schiff, dessen magnetische Masse den Kompass um seine Funktionstüchtigkeit bringen würde.

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Um drei Uhr nachts begegnen sich Wirtschaft und Bildung vor ihrer Wohnung. Schweigend betrachten sie sich im Licht der Straßenlaternen, bevor sie hineingehen. Ihr Einverständnis ist, wie stets, ein labiles. Die stille Übereinkunft, dass sie sich brauchen und ihr Kind sie beide braucht, würde bei der nächsten Gelegenheit wieder in Streit umschlagen. Geschichte sitzt nun endlich im Pyjama auf ihrem Bett. Nur sie hat die nötige Weitsicht, um das schwierige Verhältnis der beiden zu erkennen: Das Streben nach Erkenntnis oder materieller Absicherung bringt sie dazu, auf ewig unzufrieden in ihrer Beziehung zu bleiben. »Oder«, denkt Geschichte, als sie sich hinlegt und das Licht löscht, »vielleicht sollten sich die beiden eine bessere Therapeutin suchen. Vielleicht bin ich doch keine gute Lehrmeisterin.«

Devid Mrusek ist Chef vom Dienst der FURIOS. Er studiert Chemie und Politikwissenschaft und ist in festen Händen – der Philosophie.

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* 40 000 Menschen sind an dieser Universität. 4 Paare davon sind hier.

Isabel und Daniel: »Wie ein Ehepaar« Die beiden Freunde sind zusammen von Köln nach Berlin gezogen und studieren gemeinsam an der FU. Isabel: Oh Gott, wie lange kennen wir uns jetzt? Ich muss erst mal rechnen. Wann bist du nochmal zu uns auf die Schule gekommen? — Daniel: In der zwölften. Also drei Jahre. Gar nicht so lange. Ich war der Neue. Seit wir zusammen wohnen hat sich die Freundschaft schon verändert. Man lernt die Macken des anderen besser kennen. Auf der anderen Seite hat unsere Freundschaft jetzt so eine Natürlichkeit bekommen. — Es passiert auch oft, dass Leute zu uns sagen: »Ach, bei euch in der Wohnung herrscht pure Harmonie, ihr seid echt wie ein Ehepaar.« Aber die 14 Stunden bei IKEA waren stressig. — Oh ja, die Umzugszeit war anstrengend! Wir hatten so viel zu organisieren und alles musste superschnell gehen. — Drei Wochen lang haben wir nur über Geld geredet. Aber gestritten haben wir uns nie. Wirklich dramatisch war das nicht. Also, ich würde sagen, du bist strukturierter. — Ach, du auch, Isa. — Nein, nein, ich bin eher hektisch und unkontrolliert. Du bist bodenständiger. — Bodenständig? Ist das gut? — Ja, das ist gut. Du bist so ein ruhender Pol. — Aber bin ich das wirklich? Ich denke, ich mache immer alle nervös. — Nein, überhaupt nicht. Mich zumindest nicht.

Florian und Sebastian: »Mit dem Kopf durch die Wand« Die Zwillinge haben gemeinsam an der FU Veterinärmedizin studiert, zusammen gewohnt und schreiben nun ihre Doktorarbeiten in Erlangen. Sebastian: Naja, wir kennen uns eben seit unserer Geburt … oder kurz danach, Florian ist zwölf Minuten älter. — Florian: Ja, und das fand ich früher immer ganz toll. Aber inzwischen hab ich ein paar graue Haare mehr. — Wir sind zusammen zur Schule gegangen. Danach haben wir an der FU Veterinärmedizin studiert, und dann in Potsdam Biologie. — Mittlerweile machen wir unsere Doktorarbeiten in Erlangen. Zwar auch im gleichen Institut, aber wir haben schon darauf bestanden, dass es unterschiedliche Themen sind. — Ja, da wollte jeder sein eigenes Ding machen. Er weiß gar nicht so genau, was ich mache und umgekehrt. — In der Schule hatten wir einen großen gemeinsamen Freundeskreis. Das hat sich aber geändert, als wir studiert haben. — Stimmt, inzwischen hat jeder seine eigenen Freunde. — Wir haben immer zusammen in einer Wohnung gelebt, aber der Drang, auseinander zu ziehen, war da. — Schon seit dem Abitur und auch trotz unserer Gehbehinderung. — Es war aber schwierig zwei geeignete Wohnungen zu finden, die dann auch noch behindertengerecht sein mussten. — Ja, alle haben immer gesagt: »Das schaffen die doch nie.« — Das hat jeden eigenständiger gemacht. Aber mit dem Kopf durch die Wand wollen wir immer noch beide! 14

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Notiert von Carolin Benack, Filip Tuma und Daniela Hombach Fotos: Filip Tuma

Tanja Börzel und ThoMas Risse: »Wir sind beide heftig« Die beiden Professoren lernten sich kennen, als sie noch Studentin und er schon Professor war. Heute sind sie verheiratet und am OSI. Tanja Börzel: Zum ersten Mal traf ich ihn Weihnachten 1993 an der Uni Konstanz. Ich kam aus Kanada, musste meine Diplomarbeit schreiben und hatte plötzlich diesen jungen Professor vor mir. — Thomas Risse: Ich bot ihr eine Promotionsstelle an, aber sie lehnte ab. — Wir sahen uns erst drei Jahre später wieder, in Florenz. — Sie zeigte mir die Stadt. — Das war so ein Ebenenwechsel. — Dann ging alles recht schnell, wir machten sofort alles öffentlich und heirateten im folgenden Jahr. Beim Auswahlverfahren an der FU hatte ich nie das Gefühl, dass ich hier als »Familienticket« behandelt werde. Die Stelle wurde nicht extra geschaffen um mich an die FU zu holen. — Ich war zunächst der Meinung, dass das zu früh kommt und sie sich gar nicht bewerben sollte. Ein Kollege hatte ihr dazu geraten. Wir hatten aber auch beide ein Angebot von der LSE – das hat ihrer Verhandlungsposition sicher nicht geschadet. Wir sind beide sehr engagiert im Beruf und haben eine starke Durchsetzungskraft, aber wir sind nicht immer einer Meinung – es kracht auch mal. — Mit Partnern, die nichts mit Politikwissenschaft zu tun haben, wäre es viel schwieriger Beruf und Privates zusammenzubringen. — Die Übergänge verschwimmen zwar, aber vieles wird auch einfacher. Ich habe unheimlich viel von ihm gelernt. — Und ich von ihr.

Sakharet und David: »BÄM!« Sie haben sich im Sinologiestudium kennen gelernt, in China sind sie ein Paar geworden. Beide sind ordentlicher als der jeweils andere. Sakharet: Wir kennen uns seit 2003, wir haben zusammen angefangen zu studieren, im Chinesischsprachkurs bei Frau Brexendorff. — David: Ich hätte gesagt bei Professor Deng. Unsere Beziehung hat sich langsam entwickelt. Wir waren lange befreundet, dann waren wir ein Jahr lang zusammen in China und BÄM!, waren wir zusammen. — Vorher haben wir uns jahrelang angeschmachtet. Der größte Unterschied zwischen uns ist unsere Haarfarbe. — Ich bin mehr Chinese als Sakhi, Sakhi ist tendenziell eher Italienerin. — Wir sind total langweilig. Wir streiten uns nie. — Doch, wir streiten uns andauernd. — Ich bin ordentlicher. — Ich bin ordentlicher! — Du weißt, wer jetzt lügt. In zehn Jahren mache ich entweder Folk-Musik in einer schäbigen Kneipe, wo mich versoffene Gäste vom Spielen abhalten wollen, oder ich werde meine Seele an eine große Firma verkaufen, hoffentlich für einen nicht unerheblichen Betrag. Sakhi ist auf jeden Fall Teil meiner Pläne. Wenn sie mitmacht … — Ich habe absolut keinen Plan, was die Zukunft für mich bringt. Vielleicht werde ich irgendwo in China etwas machen, im Bereich Kultur, bilaterale Beziehungen … ich weiß es nicht. Ich würde dabei schon Rücksicht auf David nehmen, so wichtig ist mir die Beziehung dann doch. Ein guter Schlusssatz, ne? Furios 04/2010

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Campus

Das Bermudadreieck der FU In Lankwitz kann man meditieren, Cordhosen tragen und seine Hobbys Wissenschaft werden lassen. FURIOS hat sich far far away mal umgesehen. Von Claudia Schumacher und Tanja Goldbecher — Illustration: Pia Bruer

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s ist schon wieder eine Weile her und fast vergessen, da war dieser Hilferuf aus Lankwitz. FURIOS fuhr hin. Es dauerte eine Weile, bis wir im seltsamen Gebäude-Buchstaben-Labyrinth das richtige Haus gefunden hatten. Ahh! L. Endlich da. Und dann ging es nach oben, in einem schäbigen Lastenaufzug. Wir stiegen ein in den Osten im Westen: dubiose Grünpflanzen, abgetretene Teppiche und ein paar orange-braune Geschmacklosigkeiten an der Wand. Zwei von insgesamt drei Menschen, die wir antrafen, trugen CordSchlaghosen und Hornbrillen – wobei: Da hatten die Glück, das ist ja jetzt wieder in. Im Sekretariat hing ein gerahmtes Häkelbild, ein Sonnenuntergang. Schließlich begrüßte uns der sympathische Emeritierte in seinem Büro. Der Medienforscher, der uns stark an Alfred Biolek erinnerte, sprach über sein Lebenswerk. Er hatte pädagogisch im Bereich E-Learning viel geleistet. Auch ein persönliches Interesse hatte er nebenbei mit der Forschung verbunden und den Medienbegriff auf menschliche Medien ausgeweitet. Da waren dann Hellseher und ähnlich Begabte in seinen Vorlesungen. Als er schließlich in den Ruhestand trat, sollte kein Neuer seinen Platz einnehmen. Erklären konnte er sich das nicht. Aber er orakelte, dass ein ranghoher Professor, ebenfalls Erziehungswissenschaftler und medienaffin, die Stelle eventuell blockiere, weil er sie selbst gern in absehbarer Zukunft womöglich bekleiden wolle. Ob wir nicht darüber berichten wollten? Lankwitzer Intrigen. So richtig hat die Story bei uns nie reingepasst. Aber als Aufhänger für eine CampusLankwitz-Reportage hat das Treffen doch einige Symbolkraft. Schon lange ist Lankwitz ein Bermudadreieck für Professoren. Die Publizistik wäre dort beinahe gestorben. Am Ende waren es noch vier Profes-

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soren für 2500 Studenten. 2006 schrieb die Süddeutsche Zeitung über Lankwitz: »Wer sich in diese triste Dependance der Freien Universität wagt, gewinnt den Eindruck, hier breche eine Hochschule bald zusammen. Baulich, mental, finanziell. Sie steht abseits, wenn Rektoren, Studenten und Wissenschaftler vom Aufstieg in die erste akademische Weltliga träumen.« Zumindest was das Stiefkind Publizistik anging, erbarmte sich das FU-Hauptquartier schließlich und nahm es an seine Dahlemer Brust, wo es sich mittlerweile erholen konnte. Zurück in Lankwitz blieben die Geologen, die Geographen, die Meteorologen und ein paar kleinere Forschungsprojekte. Es gibt kaum Studenten, die zwischen den Häusern A und P umher eilen. Anzahl der Fahrräder auf dem gesamten Campus: 4. Anzahl der Freizeitangebote und WGSuchzettel an den Pinnwänden in Haus L: 0. Wir hören unser eigenes Echo in den Fluren verhallen. Es ist seltsam, aber die Geowissenschaftler scheinen sich hier wohlzufühlen. Dass es 1,5 Stunden vom durchschnittlichen Berliner Szeneviertel nach Lankwitz braucht, stört hier niemanden. Der gewissenhafte Geowissenschaftler wohnt ohnehin gern abseits, in der Natur. Wegen der Gesteinsproben. Geographiestudent Martin Theilich versichert uns, Lankwitz sei seine »Insel des Friedens«. Und Dr. Thomas Traute, wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Arbeitsstelle Hydrogeologie stimmt mit ein: »Zum Arbeiten und Forschen ist die Atmosphäre in Lankwitz genau richtig.« Auch Miriam Paprotzki, sechstes Semester Geographie, findet den Campus Lankwitz besser als Dahlem, weil er nicht so »überlaufen und riesig« sei. Das ist dann doch sehr viel Lob für einen Ort wie Lankwitz. Sperrige Betonklötze, das Innere haben wir ja schon erwähnt. Okay: Vor einigen Jahren hat ein Land-

schaftsarchitekt den Geologen die Grünflächen aufgehübscht. Dabei sprangen auch ein geologischer Lehrpfad und eine Sammelstation für Regenwasser raus. Jedem das seine. Und dann sind da noch Hügel und viele Bäume und ein Fußballplatz. Ja, das gefällt dann sogar uns Besuchern aus der Großstadt. Aber es bleibt dabei, aus einem Bauern wird kein Model. Also: Haben hier alle Angst, die Wahrheit zu sagen? Angst davor, dass dieses Biotop für Wahrsager und angehende Kachelmänner geschlossen werden könnte? Zumindest wäre das eine rationale Erklärung. Seit die FU in den 80ern nach Lankwitz ausrutschte, versucht sie diesem plumpen Faux-Pas einen Sinn zu verleihen. Mitte der 90er liebäugelte sie damit, ihr lautes Politikinstitut nach Lankwitz abzuschieben. Frei nach dem Ruf des Kinderhassers Richtung Spielplatz: »Ruhe da draußen!« Aber weil das OSI nicht nur laut, sondern auch furchtbar gescheit und vorzeigbar ist, haben die entscheidenden Herren es dann doch bei sich behalten. Also heute geht jetzt halt in Lankwitz wirklich gar nichts. Wenn die Pressestelle der FU zum Thema Lankwitz esoterisch antwortet: »Alles ist möglich«, dann meint sie wahrscheinlich nicht: Lankwitz ist das Land der unbegrenzten Möglichkeiten. Sondern dass sie es sich

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vorbehält, den Laden samt neuer teurer Regensammelrinne dem Erdboden gleich zu machen. Oder dass sie die Häuser A bis L für ein groß angelegtes Altenpflege-Resort an ein expandierendes Altenpflege-Privatunternehmen verkaufen wird. Die Alten sind schließlich Deutschlands Zukunft – das muss auch die FU langsam einsehen. Wir werden immer mürrischer. Aber wir haben eine Verabredung: Es gibt Kaffee! Im Café Flugschotter, welches von der Fachschaftsinitiative betrieben wird, lässt sich Jon Richter genüsslich auf die Couch fallen. Sonst ist niemand da. Zur Zeit des Bildungsstreiks sei im Café mehr los gewesen, berichtet der Geographiestudent. Er

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zeigt auf einen mit leeren Flaschen gefüllten Einkaufswagen. »Lost in Lankwitz« fühle er sich aber nicht. Alle wichtigen Einrichtungen seien vor Ort und schnell zu erreichen, lediglich der Weg nach Dahlem nehme viel Zeit in Anspruch. Wir gehen dann mal wieder. Aber Halt: Da ist noch Herr Saygin Ahmet, der Hausmeister. Seit 36 Jahren ist er hier schon beschäftigt und die Pensionierung steht kurz Claudia Schumacher ist Herausgeberin von FURIOS und schreibt für verschiedene Tageszeitungen. Nach ihrem Bachelor arbeitet sie erst einmal in einer Istanbuler Galerie.

bevor. Früher teilte er sich die Arbeit mit 20 anderen Arbeitern, inzwischen ist er allein für die Instandhaltung zuständig. Als Herr Ahmet Autofahrer durch die Schranke winkt, sagt er mit einem Lächeln und Blick auf die nahende Pensionierung: »Ich würde aber auch noch länger bleiben!« Wir sind dann mal weg.

Tanja Goldbecher studiert Politikwissenschaft und ist nebenher in der Jungen Presse Berlin aktiv.

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Zertrümmerte Hotelzimmer und Uni-Lektüre Sie leben unter uns, getarnt als Juristen, Chemiker, Bauingenieure, Politiker und Rechtspflegerinnen, doch eigentlich wollen sie nur eins: auf der Bühne stehen und Musik machen. Von Christian Güse — Foto: Alexander Ziegler

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osafarbenes Poloshirt, geknoteter Kaschmirpulli über den Schultern und dazu eine schnöselige Attitüde – so sieht der Stereotyp des Jurastudenten aus. Mit Röhrenjeans und Chucks passt Felix nicht in das Klischee, erst recht nicht als Gitarrist der Rockband »Slippery Damage«. Mit Schlagzeuger Max studiert er an der Freien Universität. Die Verbindung von Jura und Rockerdasein findet Felix gar nicht schlecht. »Wenn das Hotelzimmer in Trümmern liegt, ist das Jurastudium das Beste, was man in diesem Augenblick gebrauchen kann«, erklärt er grinsend. Gegründet hat sich die Band um Frontfrau Leila Bekri zu Schulzeiten, vor sechs Jahren. Sie hat das übliche Bandschicksal durchlaufen, mit Auftritten, Wettbewerben und Ab- und Zuwanderungen diverser Mitglieder. Heute spielen Felix, Leila und Max ihren grungigen Alternativ-Rock zusammen mit Zweitgitarrist Stefan und Bassist Fischa. Die EP »Solid Cure« haben sie im letzten Jahr aufgenommen. Diesen Sommer wird sie von der Band im Tourbus durch Deutschland gekarrt. Ihrer Musik hört man ein bisschen frühe »Guano Apes« an. Eine Vermutung liegt nahe und wird bestätigt. »Slippery Damage« speisen ihren Sound aus der Ära, als Rock noch ehrlich war und man ungestraft zerrissene Jeans und Lederjacke tragen durfte: den späten 80ern. Damit liegen sie nicht im Trend der Indie-Spaßbands. Dafür wecken sie selten gewordene Assoziationen zu den großen Zeiten von Pearl Jam & Co. Das leistet auch Leilas raue Stimme,

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die zwar tonal mal daneben liegt, den Titel »Rockröhre« aber noch ohne Schamesröte tragen kann. Die Semesterferien nutzt »Slippery Damage« oft für Proben, Albumaufnahmen und Konzerte statt für Hausarbeiten und Klausuren. »Es kommt schon zum Prioritätengewürfel«, gibt Max zu. Nach Auftritten bis in die frühen Morgenstunden wird auch mal eine Vorlesung sausen gelassen. Dieses Opfer müsse man für eine tolle Show und neue Fans eben bringen, meint Max. Die Aufgaben des Alltags nehmen aber alle fünf immer noch ernst. Statt in der Seminarpause ein kühles Blondes zu schlürfen, bereiten sie sich auf den nächsten Kurs vor. Nur mit Zeitmanagement klappt der Spagat zwischen Studium und Musik. Für »Slippery Damage« ist der ganz große Durchbruch eine Option, die bedacht sein will. Studium oder volles Rohr Risiko? »Die Wahl zwischen Leidenschaft und Vernunft ist verdammt schwer – aber ich glaube, letztlich wird eher die Leidenschaft gewinnen«, sagt Max. Na klar! Wem der Rock-Olymp winkt, der schmeißt den Gemeinsinn über Bord.

Christian Güse studiert Nordamerikastudien und träumt seit der Kindheit von der eigenen Band. Da das nicht geklappt hat, schaut er sich nun an, wie andere Musik machen.

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Politik

Der Seiltänzer Im FU-Zirkus wagt ein Literaturwissenschaftler den Balanceakt. Jonas Breng über Professor Peter-André Alt, den neuen Präsidenten der Freien Universität. Illustration: Christine Spady Auf den ersten Blick hat der neue FU-Präsident mit einem Seiltänzer nichts gemeinsam. Peter-André Alts Bewegungen wirken steif und hölzern, ein bisschen wie eine Fremdsprache, die er nicht fließend beherrscht.

daraus nicht machen. Er findet es schlicht »praktisch«. Und so ist es dann auch die einzige persönliche Geschichte, die er erzählt: Dass er sein 30 Jahre altes Fahrrad so lange fuhr, bis sich seine Frau und die beiden Söhne ein Herz fassten und den alten Drahtesel heimlich entsorgten. Alt schmunzelt, als hätte er schon zu viel Privates gesagt.

Erst, wenn er zu sprechen beginnt, zeigt sich, wie gut das Bild des umsichtigen Artisten passt. Alt formuliert in langen, wohldosierten Sätzen, schmeckt jedes Wort vorher ab. Immer bedacht, immer kontrolliert. Bloß nicht das Gleichgewicht verlieren. Das war man im Zirkuszelt FU vom ruppigen Dompteur Lenzen anders gewohnt. Das Peitschenknallen hat ein Ende, es lebe der gute Ton.

Akademisches GroSSkaliber

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In Bochum und in Würzburg übernimmt er erste Leitungsfunktionen. Doch Berlin lässt ihn nie ganz los. 2005 kehrt er zu seiner Alma Mater, der FU, zurück. Er wird Dekan der Geisteswissenschaften und Leiter der Dahlem Research School, hilft Lenzen das Elitesiegel an Land zu ziehen und schreibt vielbeachtete Bücher über Schiller und Kafka. Alt ist ein akademisches Großkaliber, zweifellos.

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Eines wird deutlich: Alt will kein Politiker sein. Jetzt nicht und nach der Amtszeit schon gar nicht. Er spricht von der »Macht der Fiktion«, die in der Realpolitik zu finden sei und meint das Aufgeblasene, das Heuchlerische und die schmutzigen Tricks. Solchen »Drohkulissen« will der Theaterliebhaber Alt nicht auf den Leim gehen. So richtig würde er auch nicht ins affektierte Spiel der politischen Selbstdarstellung passen, das sein Vorgänger wie kein zweiter Uni-Präsident in Deutschland beherrschte. Zu wenig charismatisch, zu wenig eitel ist Alt. Präsidiale Allüren sind nicht die Sache des leidenschaftlichen Wissenschaftlers. Zur Arbeit kommt er mit dem Fahrrad. Ein Bekenntnis möchte er aber auch

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Der Präsident der FU sitzt in seinem alten Büro im Philologischen Institut. Über eines ist auch er sich im Klaren: Präsident sein ist ein undankbarer Job. Man könne es niemandem recht machen, sagt er und lächelt freundlich. Einige Studenten sehen in der Verkörperung der Macht ihren natürlichen Feind und die Politik erwartet die Quadratur des Kreises: Leistungssteigerung bei gekürzten Geldern. »Im Prinzip ist es nicht möglich, als Lichtgestalt aus diesem Amt zu gehen«, glaubt Alt und blickt über die Ränder seiner rahmenlosen Brille hinweg. Im Kopf hat er dabei seinen Vorgänger Lenzen, der sich mit Schimpf und Schande nach Hamburg verabschiedete.

Geboren wird der Sohn eines Steuerberaters im Berliner Westend. Nach einem Kurzintermezzo Medizin studiert er Germanistik, Philosophie und Politik an der FU. Die Geisteswissenschaften werden sein Zuhause. Nach der Habilitation geht seine wissenschaftliche Tournee von Berlin über Rostock nach Bochum. Mit 35 Jahren geht es auf die erste Professur. Alt scheint nicht stillsitzen zu können. Er forscht weiter in Princeton und Cambridge. Hier liebt er die Ruhe, die »klösterliche Atmosphäre der großen Bibliotheken«. Man könne dort wunderbar arbeiten, sagt er etwas wehmütig.

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Politik

»Lenzen hatte phobische Seiten«

die Intransparenz des Verfahrens wurde an den Pranger gestellt. Laut einem Mitglied des Akademischen Senats gab es sogar eine interne Absprache zwischen den professoralen Gruppen kurz vor der Wahl. Man wollte Alt und die neue Vize Monika SchäferKorting im Paket durchwinken. Die, die sich querstellten, wurden aufgefordert, nicht zur Wahl zu erscheinen. Alt dementiert dies. Für undemokratisch halte er den Wahlkampf nicht. Trotzdem sagt er: »Ich hätte mir den Streit mit anderen Persönlichkeiten und Vorstellungen gewünscht.« Der Vorwurf nagt.

Mit der Freien Universität ist Alt eng verwachsen: als Student, Professor und zuletzt als Dekan. So viel Nähe führt auch zu Verstrickungen. Mit der Streitfigur Lenzen verstand er sich gut, bezeichnet die gemeinsame Arbeit als »anregend«. Das allein macht ihn für manche verdächtig. Der FU-Stallgeruch hängt ihm wie ein schweres Parfum in den Kleidern. Der AStA wittert bereits eine Fortsetzung des autokratischen Systems Lenzen und poltert ordentlich gegen den frisch Gewählten. Doch wer Alt zum Juniorpartner von Lenzen stempelt, benutzt das falsche Etikett. Alt kennt die Schrauben und Apparaturen in der FU-Maschinerie so exakt wie ein alter Klempner die eigene Heizung und weiß sich in seinem System zu arrangieren. So steht er vielleicht nicht für einen Neuanfang, aber für einen neuen Umgang. Das sieht auch ein scharfer Kritiker des ehemaligen Präsidiums so: »Alt ist eine herausragende Wahl«, findet Hajo Funke. »Man merkt, dass er über die einzelnen Statusgruppen hinausdenkt.« Für ihn ist Alts nüchterne Art ein Vorteil. »Er verliert nie die Fassung, bleibt argumentativ immer stark. Ganz anders als Lenzen, der hatte phobische Seiten.« Der Politikprofessor hält den neuen Präsidenten für kompetenter und mutiger. Ein Mut, der sich auch in der Zusammenstellung des neuen Präsidiums zeigt. Mit dem Theologen Michael Bongardt holte Alt eine starke Persönlichkeit in seine Mannschaft. Einen, der auch mal den Konflikt sucht und dessen Name eng mit dem Streikforum des Runden Tisches verbunden ist. Wird Alt also zum großen Versöhner?

Lehre muss sich wieder lohnen

Alt will viel, was Lenzen auch wollte. Daraus macht er keinen Hehl. Sein Programm steht für die Fortführung von Lenzens Konzept der »Netzwerkuniversität«. Auch die Idee von Internationalisierung und strategischer Nachwuchsförderung will er weiterspinnen, um die nächste Exzellenzrunde zu gewinnen. Alts ehrgeizigstes Vorhaben ist allerdings, dass endlich auch die Lehre zum Elitestempel passt. Lehrproben für Professoren sollen eingeführt und reine Lehrprofessuren geschaffen werden. »Ich möchte nicht sagen: ›Hier haben wir die Lehrsklaven und dort die Forschungsfürsten.‹ Aber wir brauchen eine Aufwertung dessen, was in der Lehre geleistet wird«, sagt Alt und setzt sich ein bisschen aufrechter hin. Dazu gehört auch eine bessere Betreuung der Studenten. Im Moment kommen auf einen Professor 77 Studenten. So schlecht ist in Deutschland derzeit keine andere Universität. Alt redet jetzt schneller. Das Thema ist ihm wichtig. Er spricht von Mentor-Programmen für Nachwuchswissenschaftler, über eine stärkere Kooperation mit den Dahlemer Max-Planck-Instituten, die das Herzstück der neuen Exzellenzbewerbung ausmachen sollen. Am Ende landet er aber wieder bei der Lehre. Sie mit den finanziellen Möglichkeiten der FU und dem Forschungsauftrag in Einklang zu bringen, ist für die Studenten der Prüfstein, an dem sie den neuen Präsidenten messen werden. Ein echter Balanceakt für den Seiltänzer. Also dann Herr Alt: Manege frei!

Ausgerechnet Kafka bringt das Dilemma seines Biographen auf den Punkt: »Alles Reden ist sinnlos, wenn das Vertrauen fehlt.« Und eben dieses ist nach dem rumpligen Wahlkampf bei einigen Studenten angeknackst. Alt ging als haushoher Favorit ins Rennen. Die Mitbewerber Rojas und Lemke schwenkten früh die weiße Fahne. Zu viele Professoren standen hinter dem Literaturwissenschaftler, die Chancenlosigkeit der Niemals-Präsidenten war offensichtlich. Der Klüngel-Vorwurf machte die Runde und

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Politik

Opposition im Stimmbruch Im StuPa der Freien Universität herrscht der AStA wie ein alter Patriarch. Doch die Opposition zeigt sich zerrissen, unfähig den Wechsel herbeizuführen. Die Gründe liegen tief verwurzelt. Hendrik Pauli auf Spurensuche im Oppositionsgeflecht. — Illustration: Anne Vanselow

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ie Opposition krächzte. Der AStA auch. Am Ende war es still. Zumindest auf Seiten der Oppositionellen, denen lediglich drei klägliche Stimmen zum Teilerfolg in eigener Sache fehlten. Einen Grund zu verhaltener Freude hätten die Verlierer aber eigentlich doch gehabt. Denn wer die bisherigen Kräfteverhältnisse im Studierendenparlament (StuPa) kennt, der weiß, dass dieses Ergebnis fast schon spektakulär ist. Zum ersten Mal seit langem hatte sich die chronisch zerstrittene Opposition zusammengerauft. Ihr Ziel: Ein eigener Kandidat im Haushaltsausschuss. De facto ist das StuPa ein schwaches Organ. Seine Beschlüsse sind nur für sich selbst bindend; gelegentlich verabschiedet es Resolutionen, an die sich niemand halten muss. Aber: Es wählt den AStA und der AStA verteilt das Geld. Kontrollieren tut er sich dabei selbst. Denn im Haushaltsausschuss, der über Ausgaben und Einnahmen wacht, darf die Opposition nicht mitreden. Durch ein spezielles Wahlrecht wird sie gezielt aus dem Kontrollgremium herausgehalten. Ein Schlag ins Gesicht für diejenigen, denen an Transparenz und Offenheit gelegen ist. Aufbruchstimmung oder Muster ohne Wert?

Seit Jahren kann der AStA auf eine sichere Zweidrittel-Mehrheit im StuPa bauen. Sein Alleinvertretungsanspruch ist wie in Stein gemeißelt. Auch in Haushaltsfragen. Bei der Kampfabstimmung im Februar schien es jedoch, als würde die Koalition der AStA-tragenden Listen erstmalig bröckeln. Nur knapp schrammten sie an einer Niederlage vorbei. Denn die äußerst heterogene Opposition – darunter Grüne, Liberale und Linke verschiedenster Prägung – votierten gemeinsam, um endlich mal beim Geld mitbestimmen zu dürfen. War das geschlossene Auftreten der Uneinigen nur ein Zufallsprodukt? Oder das erste Anzeichen für eine Trendwende? Bei einigen kam tatsächlich so etwas wie Aufbruchstimmung auf. Nach den Wahlen im Januar hatte die Gruppe »Not-my-President« alle Listen des StuPa zu einem offenen Treffen zusammen22

Auf ewig zerstritten? Selbst bei der Wahl des Nachtischs sieht die Opposition alt aus.

getrommelt. Das Motto: »Für einen linken, demokratischen und transparenten AStA«. Gemeinsamkeiten wurden ausgelotet und Vorschläge für eine Runderneuerung des AStA gemacht. Immerhin eine neue Idee. »Zum ersten Mal überhaupt gab es solche Sondierungsgespräche«, sagt ein Insider und langjähriger Kenner der FU-Verhältnisse, der den jetzigen AStA lieber heute als morgen in die Wüste schicken würde. Für »Not-my-President« an vorderster Stelle dabei war einer der umtriebigsten Politaktivisten der FU: Mathias Bartelt hatte selbst lange Zeit erfolglos versucht, im AStA etwas zu werden. Mittlerweile ist er einer seiner erbittertsten Gegner. Er und seine Mitstreiterin Sarah Walz finden sich problemlos im Dickicht von Satzungen und Hochschulbürokratie zurecht – beide

saßen bereits in verschiedenen universitären Gremien. Traumpaar mit Schönheitsfehlern

Trotzdem fällt es schwer, sich dieses Paar – auch ungeachtet politischer Inhalte – an der Spitze einer neuen, geeinten Opposition vorzustellen. Denn: Die Geschichte mit dem offenen Listentreffen hat einen Schönheitsfehler. Bereits zuvor hatten die Juristen vom »Café Tatort«, eine linke, pragmatische Liste, zu einem solchen Treffen eingeladen. Unter den Gästen waren auch nicht-linke Gruppen, wie der konservative RCDS, die Liberale Hochschulgruppe oder die »Liste gegen verschulten Bachelor«. Zum Missfallen von Bartelt, Walz und anderen Oppositionslinken. Sie fürchteten um ihre Deutungshoheit und ließen sich Furios 04/2010


Politik

auf ein Kräftemessen ein. Das »Café Tatort« zog zurück. Die Folge: Knapp ein Fünftel der Opposition wurde ausgeschlossen. Dieses Hickhack ist ein Sinnbild für die Opposition an der FU. Sie gleicht einem pubertierenden Teenager in der Trotzphase: Launisch, leicht reizbar, unzufrieden mit seiner Umgebung und mit sich selbst. Während der Pubertät strukturiert sich das Gehirn neu, zwischen den Nervenzellen werden neue Verbindungen geknüpft. Genauso geht es der Opposition. So langsam reift sie und wird erwachsen. Doch der Weg der Adoleszenz ist lang, ideologische Grabenkämpfe sind längst nicht überwunden. Noch steckt die Opposition mitten im Stimmbruch. Im Wahlkampf liegen die Nerven blank.

Was die Oppositionellen dennoch eint, ist ihr Wille zu zeigen, wie man es besser machen kann als der AStA. Aber anstatt Argumente zu liefern, hagelt es vor allem Polemik, Halbwahrheiten und manch böswillige Unterstellung. Die Opposition erklärt nicht mit ruhiger Stimme, sondern sie krakeelt – und der AStA keilt zurück, besonders vor den Wahlen. Für Falko Grothe sind das die »üblichen emotionalen Überreaktionen« des Wahlkampfes. Er ist der Öffentlichkeitsreferent des AStA, ein aufgeschlossener Typ mit freundlichem Blick unter dem schwarzen Basecap. Sehe man mal von der Wahlkampfzeit ab, komme man aber im Großen und Ganzen ganz gut miteinander aus, erklärt er gelassen. »Die Hauptlast des studentischen Engagements tragen ohnehin die Fachschaftsinitiativen.« Dort gebe es gute Kontakte zwischen AStALeuten und denen der Opposition. Auch wenn es an den Instituten tatsächlich eine vernünftige Zusammenarbeit ge-

ben mag; im StuPA stehen sich die beiden Fronten fast unversöhnlich gegenüber. Der AStA herrscht, trotz anhaltender Kritik an seinen Strukturen und Finanzpraktiken, scheinbar unbeeindruckt. Gerade deshalb lohnt es sich, den Blick auf die Regierung der Studenten zu richten. Oder, wie es einer formuliert, der einmal Referent beim AStA war und anonym bleiben möchte: »Man kann die Situation der Opposition nicht verstehen, wenn man die Verhältnisse im AStA nicht kennt.« Vom basisdemokratischen Ideal, dem sich der AStA verpflichtet fühlt, bleibt im politischen Alltagsgeschäft oft nur Utopie. Dort wird mit harten und sehr irdischen Bandagen gekämpft. Der AStA-Block verfügt nur über eine knappe Mehrheit im StuPa. Oberste Maßgabe ist deshalb die Abstimmungsdisziplin. Hauptsache: Machterhalt. Interne Missstände werden von den meisten einfach runtergeschluckt. Die unterschiedlichen Strömungen müssen sich der vorgegeben Linie unterordnen. Schließlich will man nach außen keine Angriffsfläche bieten. Es gibt starke Leute innerhalb des AStA und solche, die mitlaufen und mitstimmen. Dabei spiele das Sponsoring der einzelnen Gruppen, aber auch psychologischer Druck eine Rolle, behauptet der ehemalige AStAReferent. Im Klartext: Wären alle Abgeordneten ihren Überzeugungen und nicht ihren Listen verpflichtet, hätte es längst einen politischen Wechsel gegeben. Erschwerte Bedingungen

Das Kommen und Gehen der Jahrgänge erschwert zudem eine kontinuierliche Arbeit. »Vieles steht und fällt mit einzelnen Personen«, resümiert Ronny Patz, ehemaliger FU-Student und von 2005 bis 2007 für die LHG im StuPa. »Kürzere Studienzeiten tun ihr Übriges.« So bleibt zwar manches an

praktischem Wissen auf der Strecke. Aber weil persönliche Vorbehalte schneller wieder verflogen sind, entkrampft sich dadurch auch das politische Klima. Falko Grothe jedenfalls stellt fest, dass es »von Jahr zu Jahr besser« wird. Ebenfalls lange beim AStA aktiv ist Emil von der FSI Geschichte, lilafarbener Strubbelkopf, legeres Sakko. Auch er sieht Anzeichen für eine Entspannung: »Die letzten StuPa-Sitzungen waren richtig angenehm, kein Vergleich zu früher. Dass eine Kandidatin der sogenannten Opposition in die Sitzungsleitung gewählt wurde, zeigt ja, dass alle mittlerweile besser miteinander können«, meint er. Gutes Klima hin, persönliche Kontakte her. Die Kritiker haben ihre Chance gewittert. Dass der AStA ihnen den kleinen Finger entgegen streckt, ist ihnen nicht genug. Denn am liebsten will die Opposition gleich die ganze Hand in den Schraubstock legen. Die Kraft dazu reicht aber noch nicht. Um einen politischen Wechsel herbeizuführen, muss die Opposition untereinander besser kooperieren und lernen, Kompromisse zu schließen. Obwohl sich die Oppositionellen angenähert haben, sind persönliche Eitelkeiten und gegenseitige Abneigungen noch lange nicht überwunden. Wenn sich dies nicht ändert, werden die gut gemeinten Ansätze weiter im Niemandsland zwischen Pragmatismus und Ideologie versanden. Und die Opposition wird weiter krächzen. Wie ein Pubertierender im Stimmbruch.

Hendrik Pauli studiert Politikwissenschaft. Für seine Recherchen rund ums StuPa brauchte er einen langen Atem. Im Herbst läuft er seinen ersten Marathon.

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Politik

Zwischen Revolte und Campingurlaub Empörung, Demos und ein demoliertes Präsidium – der Bildungsstreik hat Spuren hinterlassen. Im Sommer 2010 startet der nächste Anlauf. Doch was ist bisher passiert? Max Krause und Tobias Heimbach ziehen eine vorläufige Bilanz. Illustration: Christoph Witt

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ie Geschichte vom Bildungsstreik ist die eines Eingeschlafenen. Wer an seiner Erweckungszeremonie teilnehmen wollte, musste an einem frühjährlichen Mittwochnachmittag in die Mehringhöfe nach Kreuzberg kommen: zur Strategiebesprechung der Organisatoren des Bildungsstreiks 2010. Die Sorge um den chronisch Kranken tragen 20 Studenten in schwarzen Pullis mit der Aufschrift »Bildung für alle«. Beseelt von der Idee des Widerstands sitzen sie in bequemen Sesseln und rauchen. Sie sprechen mit großer Geste über all die Dinge, über die schon so viel gesprochen wurde und die jetzt doch noch anders werden sollen. Die Schlagworte: selbstbestimmtes Lernen und Demokratisierung. Dazu weniger Einfluss der Wirtschaft auf die Bildung. Es ist eine andächtige Szene. Das Grüppchen hat sich einiges vorgenommen in diesem Jahr. Bunter, größer und lebendiger soll der Streik werden, vor allem aber erfolgreicher als im letzten Jahr. Auf die Frage nach neuen Protestideen außer den üblichen Besetzungen und Demos folgt Ratlosigkeit. Es haben sich Zweifel eingenistet. Hat der bisherige Streik überhaupt etwas gebracht? Da sind sich selbst die Protestler uneinig. »Ich weiß nicht, ob man wirklich sagen kann, wir hätten etwas erreicht«, sagt Tobias, ehemaliger Besetzer des Hörsaals 1a. »Der Bildungsstreik war ein Erfolg, wir haben viel erreicht«, meint wiederum Max, auch er ein Aktiver. »Tiefgreifende Reformen blieben aber aus«, relativiert er. Ins Feld gezogen war man mit viel Kritik und der UnterMax Krause studiert Mathematik und Philosophie. Er ist inoffizieller BildungsstreikKorrespondent der FURIOS. Tobias Heimbach kümmert sich um FURIOS Online. Er studiert Geschichte und PuK im vierten Semester.

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stützung von mehr als 270 hochschulpolitischen Gruppen. Auch die Studenten der FU versuchten damals mit zahlreichen Aktionen, wie der Besetzung des Otto-Suhr-Instituts und der Stürmung des Präsidiums, ihren Forderungen Nachdruck zu verleihen. Gestreichelt und Verstanden

An der Bildungsstreik-Großdemo am 17. Juni 2009 beteiligten sich in Berlin mehr als 10 000 Menschen, landesweit sogar über 200 000. Kreativster Protest: der symbolische Banküberfall auf die Hypo Real Estate. Die Öffentlichkeit und die Politik blieben davon nicht unberührt. Bildungsministerin Schavan etwa meinte, die Studenten bräuchten »klare Signale, dass es Korrekturen gibt«. Eine grundlegende Reform des Bildungswesens steht aber immer noch aus. Von überall wurde gestreichelt und verstanden, konkret wurde es nicht. Als der Streik im Laufe des Sommers schon ergebnislos zu verebben drohte, rollte im Herbst die zweite Welle des Protestes an. Hörsaalbesetzer in Österreich inspirierten die deutschen Streiker zu ihrem sogenannten »heißen Herbst«. Bald schon befand sich auch der Hörsaal 1a der FU fest in Studentenhand. Zelte wurden aufgeschlagen und Diskussionsrunden ins Leben gerufen. Mitten in der Silberlaube feierte der Bildungsstreik ein Comeback, das ihm wohl die wenigsten zugetraut hätten: Mit Sofas, Tischkicker, Gitarren und VoKü. Der Streik war plötzlich im Herzen der FU angekommen. Auch wenn er manchmal ein wenig an einen Campingurlaub erinnerte. Der Streik findet sein Gremium

Als Reaktion auf die wiederbelebten Bildungsproteste rief der Akademische Senat bereits Ende November den Runden Tisch ins Leben. Dort sollten die Interessen aller vier Statusgruppen – Professoren, wissenschaftliche Mitarbeiter, sonstige Mitarbeiter und Studenten – von einer überschaubaren

Anzahl an Vertretern zusammengeführt werden. Dagegen begehrten die Studenten auf, die Zugangs- und Rederecht für alle Interessierten forderten. Während den ersten Sitzungen bis zu hundert Studenten beiwohnten, schrumpfte diese Zahl zuletzt deutlich auf unter zehn. Michael Bongardt, Theologieprofessor und als Professorenvertreter von Anfang an mit dabei, sieht die Offenheit positiv: »Dass es von Beginn an ein breites Spektrum von Meinungen und Lösungsvorschlägen gab, war ein echter Gewinn für unsere Arbeit.« Die Anwesenheitspflicht, Sinnbild für ein starres Fließbandstudium, wurde schon im Dezember gekippt. Ein Etappensieg von eher symbolischem Wert. »Die vielen Prüfungen in kurzen Abständen machen den Studierenden mehr zu schaffen«, relativiert Bongardt, »ebenso die beschränkte Modulauswahl.« Der wirklich große Erfolg des Runden Tisches sind Leitlinien zur Reform der Studien- und Prüfungsordnungen. Vom Runden Tisch ausgearbeitet wurden sie im Akademischen Senat beschlossen. Mittlerweile sind sie an die Fachbereiche weitergeleitet, die konkrete Umsetzungsvorschläge machen sollen. Zum Wintersemester sollen sie dann in Kraft treten. Vielen ist das zu wenig. Die AG Öffentlichkeitsarbeit zum Beispiel beklagt, dass die Kernforderungen des Streiks kein Gehör gefunden hätten. Schon laufen die Vorbereitungen für eine neue Runde im Bildungsstreik. Die Studenten sind ungeduldig. Verständlich, denn sie wollen die Früchte ihres Engagements auch ernten. Prof. Bongardt warnt vor Aktionismus, Verständnis für die Ungeduld der Studenten habe er trotzdem. »Bologna war auch deswegen ein Problem, weil es mit heißer Nadel gestrickt worden ist.« Wieviel Zeit die Reform der Reform Furios 04/2010


Politik

erfordere, müsse man immer wieder neu abwägen. »Wenn neue Proteste kommen, sollten sie klug und kreativ sein«, fordert Bongardt. Wirkungsvoll wären sie aber nur, wenn sie für eine möglichst große Gruppe sprechen und – mit Blick auf die letzte Hörsaalbesetzung – zu einem würdigen Ende kämen. Blasse Resultate

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In der Tat sind die Änderungen am Bachelor-Master-System für die Verantwortlichen an der Universität und in der Politik weitgehend schmerzfrei: Sie kosten kein Geld. Die Studenten werden angesichts knapper Mittel auch weiter in überfüllten Seminaren sitzen. Mehr Einfluss wurde den Studenten ebenfalls nicht zugestanden, sodass größere studentische Mitbestimmung weiterhin ein Wunschtraum bleibt. Die bisherigen Beschlüsse wirken wie zähneknirschend abgerungene Kompromisse, mit denen die Universitätsleitung die Studenten beschwichtigen will. Wirkliche Reformbereitschaft lässt das nicht erkennen. Jedoch darf man das Ausbleiben umfassender Reformen nicht nur den Entscheidungsträgern anlasten. Der Bildungsstreik schaffte nie den Sprung zur Massenbewegung und konnte zu keiner Zeit für sich reklamieren,

für alle Studenten zu sprechen. Der harte Kern der Bewegung engagierte sich sehr, ihre Aktionen stießen dagegen oft auf Desinteresse. Zudem rief die scharfe Rhetorik der Protestierenden bei vielen Studenten Ablehnung hervor. Die gingen dann auf Distanz, ohne sich näher mit den Inhalten zu befassen. Wie soll es also weitergehen? Für den Großteil der Studenten sind die bisherigen Veränderungen zweifellos ein Segen. Ein Fluch sind sie jedoch für die, die die Proteste fortsetzen wollen. Nach den Zugeständnissen, die die Bildungstreik-Aktivisten der Politik und der Hochschulleitung abgerungen haben, werden sie es mit weiteren Forderungen schwer haben. »Einen Streik halte ich in der jetzigen Phase für ein falsches Mittel«, meint auch FU-Präsident Peter-André Alt. Stattdessen hält er die Studenten dazu an, konstruktiv in den Gremien mitzuarbeiten. Kleinere Brötchen

Ohnehin ist unklar, ob die Mehrzahl der Studenten überhaupt einen neuen Streik will. Zwar sind Protestaktionen und eine Großdemonstration am 9. Juni in Planung, doch die Organisation läuft schleppend. Vorbereitungstreffen wurden mehrfach wegen geringer Beteiligung verschoben. Dem Streik geht

die Puste aus. Es gelingt kaum noch, Nachwuchs zu mobilisieren, eine Kundgebung im April besuchten gerade einmal fünfzig Personen. Die Wahl des neuen Präsidenten zeigt jedoch, wie wenig die Studenten immer noch in die Gestaltung der Universität einbezogen werden. »Wir brauchen mehr Demokratie an der Uni, hier hat ein Umdenken noch nicht stattgefunden«, meint auch Max. Zudem räumt die Politik trotz beschwichtigender Worte der Bildung noch immer nicht den angemessenen Stellenwert ein. Der Streik hat sein Haltbarkeitsdatum also noch nicht überschritten. Doch wer den Protest an den Erfolgen des letzten Semesters misst, wird eine Enttäuschung erleben. Jetzt, wo die Motivation der Studenten nachlässt, müssen wohl kleinere Brötchen gebacken werden. Das sehen auch manche von denen, die weiterhin aktiv sind: Ein Insider glaubt, der Bildungsstreik habe seinen Zenit überschritten, möchte sich mit dieser Meinung aber nicht zitieren lassen. Denn die offizielle Linie des Bildungsstreik-Bündnisses ist klar: Die Proteste müssen fortgesetzt werden. In den Mehringhöfen sieht man das genauso.

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Kultur

»Ich schreibe keine Seiten ab« Die Schriftstellerin Sibylle Lewitscharoff gewann in diesem Jahr den Berliner Literaturpreis. Damit hat sie die Heiner-Müller-Gastprofessur am Peter-Szondi-Institut inne, wo sie Jungautoren literarisches Schreiben beibringt. Das Gespräch führten carolin benack und frauke fentloh — Foto: Cora-Mae Gregorschewski

Die Schriftstellerin Sibylle Lewitscharoff wurde 1954 in Stuttgart geboren. Ihr erstes Buch »36 Gerechte« veröffentlichte sie 1994. Für ihren aktuellen Roman »Apostoloff« erhielt sie im letzten Jahr den Preis der Leipziger Buchmesse. In diesem Jahr gewann sie den Berliner Literaturpreis für ihr »ungemein dichtes und originelles Prosawerk«, so die Jury.

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Kultur

Frau Lewitscharoff, Sie haben einmal gesagt, dass Sie sich nach dem Studium nicht vorstellen konnten, an der Uni zu arbeiten. Jetzt sind Sie doch wieder hier. Damals habe ich mich nicht in der Lage gesehen, den akademischen Anforderungen zu genügen. Als Professor muss man forschen können und bereit sein, mit pädagogischem Eros Menschen etwas beizubringen – das konnte ich mir nicht vorstellen, obwohl ich sehr gern studiert habe. Jetzt arbeite ich ja nicht wirklich wissenschaftlich, denn das Seminar, das ich gebe, ist ja vor allem praktischer Natur. Wie sieht denn so ein Seminar bei Ihnen aus? Wir reden erst einmal über die Texte, die die Teilnehmer eingereicht haben. Und entlang der Schwierigkeiten, die sich da zeigen, versuche ich, das Seminar aufzubauen und gelungene Texte von großen Autoren einzuspeisen. Wir stellen keine wissenschaftliche Untersuchung über Kafka an, sondern versuchen, anhand dieses Beispiels zu sehen, was man daraus für die eigenen Texte nutzbar machen kann. Sie haben ihre Studenten aus rund 50 Bewerbern selbst ausgesucht. Haben Sie schon den nächsten Grass, die nächste Bachmann gefunden? Nein, das wäre auch übertrieben. Ich bezweifle auch, dass jemand, der schon alles kann, in so einen Kurs gehen würde. Außerdem ist das ganz große Talent, das sich schon jung zeigt, eine Illusion. Es gibt zwar die alle Jahrhunderte einmal erscheinenden jungen Genies, Franz Kafka etwa. Aber heute brauchen die Leute einen langen Anlauf, weil die Ablenkungen groß sind und der Wortschatz so klein geworden ist. Gibt es etwas, das Sie Ihren Studenten mitgeben möchten? Ganz pragmatisch: Heute ist es ein sehr riskantes Spiel, sich schon in jungen Jahren darauf zu verlassen, sein Leben lang ein Auskommen als Schriftsteller zu finden. Man sollte schon gleichzeitig einem Brotberuf nachgehen. Zumal das auch Erfahrungen mit sich bringt. Sie haben sonst nur ihre Kindheit, ein bisschen Liebesleid und ein bisschen Universität, worüber wollen Sie denn da schreiben? Natürlich können Sie sich wie Bukowski in eine Subkultur begeben und versuchen, darin aufzugehen und dann darüber zu schreiben. Das saure Kitsch-

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Gewerbe im Alkohol. Aber zu empfehlen ist das wohl nicht. Sie haben an der FU Religionswissenschaften studiert. Wie haben sie damals die FU erlebt? Ich habe ja 1974 angefangen zu studieren, da war die Universität ein riesiger Freiraum. Die Angst, später kein Geld zu verdienen, war schlicht und ergreifend nicht vorhanden. Wir haben alle sehr lange und gemütlich studiert und standen kaum unter äußeren Zwängen, abgesehen von den inneren. Ich fand diese Freiheit extrem inspirierend. Gewiß hatten diese Freiräume auch ihre Nachteile; ich habe ziemlich disziplinlos studiert. Viele sind dabei auf dem Sofa versackt und wurden einfach nicht fertig. Frauke Fentloh studiert Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft. Carolin Benack leitet das Kulturressort für FURIOS. Sie studiert Nordamerikastudien und AVL. Dann dürften Sie die 68er hautnah miterlebt haben. Haben Sie sich auch in der Studentenbewegung engagiert? In der Schulzeit war ich heftig links eingestellt, geradezu programmiert. Ich war in einem komischen Trotzkistenverein; wir haben Umsturzpläne geschmiedet, uns Decknamen gegeben und geheime Briefkästen benutzt. Alles wurde mit großer Leidenschaft betrieben. Das hörte mit dem Studium allerdings auf. Was noch an marxistischen Restbeständen an der

Universität zu erleben war, empfand ich als verknöchert. Die haben ja nur noch Kapitalstudien betrieben. Da merkte man schon, dass zumindest diese Abteilung der linken Bewegung zum Untergang verurteilt war. Wie Günter Grass oder Christa Wolf haben sie im März die Leipziger Erklärung zum Schutz geistigen Eigentums unterschrieben. Fühlen Sie sich von »remixenden« Schriftstellern wie Helene Hegemann bedroht? Nein, da vertraue ich dann doch auf die eigene Kraft und das eigene Können, das sehr viel mehr wert ist als das Herumgewurschtel im schon Geschriebenen. Bedroht kann man sich als Schriftsteller aber sehr wohl fühlen, nämlich durch den schweren Stand des Buchs und die Schleifung des Urheberrechts im Internet. Das ist für jeden bedrohlich, der schreibt. Aber wo verlaufen denn nun die Grenzen zwischen Zitat und Plagiat? Erst einmal: Die Hegemann-Debatte ist ziemlich hoch gekocht und ein bisschen an den Haaren herbeigezogen. Aber natürlich, wenn Sie eine ganze Seite abschreiben und das einfach einpassen, ist das ein Problem. Ich finde immer noch, die Leute sollten selber schreiben. Das ist natürlich anstrengender. Abschließend noch eine Frage: Worum wird es in Ihrem nächsten Buch gehen? Ich plane einen Roman über den Philosophen Hans Blumenberg. Da werde ich natürlich auch gewisse Ideen und Gedanken von ihm in den Roman eintragen. Aber gewiß nicht, indem ich Seiten aus seinen Büchern abschreibe.

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Kultur: Flaneur

Flaneur:

kaffee im kaff

Einen über den Durst: Der Flaneur besuchte die Cafés auf dem Campus, goutierte viel und verbrannte sich die Zunge.

Von sophie jankowski Illustration: Jonathan Schmidt — Fotos: Tina Conrad Das osmanische Reich existiert längst nicht mehr, doch der gute Kaffee, der einst von dort nach Dahlem schwappte, ist uns erhalten geblieben. Ob Kauderwelsch, PI- oder Sportler-Café: Das ursprünglich aus Äthiopien stammende Heißgetränk wurde im 15. Jahrhundert von den Türken salonfähig gemacht und erreichte über Umwege auch die höheren Bildungsanstalten. Zunächst etablierte ein Sultan namens Süleyman das Kaffeekränzchen in den besseren Gesellschaftschichten von Paris: et voilà, le Café! Die ihm eigene Atmosphäre, die Einladung zum Verweilen und zur Observation menschlicher Unzulänglichkeiten machte das Café zum Ort der Entfaltung kreativen Esprits. Hier wurden Revolutionen geplant, die ersten Zeitungen entworfen, Pamphlete geschrieben und Schach gespielt. Van Gogh malte als eines seiner ersten Nachtbilder ein Café und vergaß, es zu signieren. Doch noch mehr als das besondere Flair der Cafés verhalf kleinen Männern die anregende Wirkung des Getränks zu Größe: Kant verstand die Bedeutung seiner eigenen Sätze nur mit Hilfe von Kaffee. Hartnäckig hält sich auch das Gerücht, Napoleon sei bei Waterloo nur darum besiegt worden, weil er an jenem Morgen keinen Kaffee getrunken hatte.

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BOTANISCHE AFFIGKEITEN Die liebevolle Pflanzensammlung auf der Treppe des PICafés stammt aus dem momentan unbenutzten Büro eines Botanikprofessors. 1999 brach er zu einer Expedition zum Amazonas auf und wurde seitdem nicht mehr gesehen. Allerdings schreibt er jedes Jahr zu Weihnachten eine Postkarte an sein Institut, dieser Affe. Die offene Professorenstelle wurde noch nicht neu besetzt, schließlich wartet man noch auf seine Rückkehr. Das Café selbst verbirgt sich hinter einer zuplakatierten Tür, durch die man in eine anachronistische Welt eintritt: durchgesessene Sofas, ausrangierte Stühle der Uni und Kaffeebecher mit lustigen Sprüchen, die niemand mehr haben will. Die Luft ist staubig und riecht nach vergangenen Tagen. Die Zeitung auf dem Tisch ist von gestern und das zum Café gehörige Psychologie-Institut ebenfalls. Das Ganze hat den Charme eines alten Schwarz-Weiß-Fotos mit Kaffeeflecken. Allein die Bionade im Kühlschrank erinnert daran, dass wir uns in den Zweitausendern befinden. Allerdings: Zigaretten sind hier einzeln erhältlich und lobend hervorgehoben sei auch der Balkon, auf dem man sie qualmen kann.

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Kultur: Flaneur

Kuss mit mundgeruch Langsam, aber sicher breitete sich das Baci’s in den letzten Jahren auf dem Dahlemer Gehweg aus. Anfangs war es nur ein einfacher Wagen, der zwei Sorten Kaffee verkaufte. Vor dem Wagen wurden Stühle aufgestellt, aus dem Wagen wurde ein Zelt, das Zelt wurde zu einem größeren Gartenhaus. Die Expansion des Cafés schreitet immer weiter voran, im letzten Sommer eroberten Stühle und Tische bereits den Platz vor dem Copy-Shop und auch das Territorium der benachbarten Buchhandlung Schleichers wurde vom Baci’s-Mobiliar anvisiert. In Italien sind Baci die Schokoladenversion des chinesischen Glückskekses mit sinnentleerten Ratschlägen für die Liebe: »In amore troppo è ancora poco.« 1922 wurde die Süßigkeit vom »Buitoni«-Gründer erfunden und wird seitdem vom Pastaimperium mit unveränderter Rezeptur hergestellt. So alt ist der Dahlemer Kuss noch nicht und statt auf süße Orakel ist er auf amerikanische Kaffeekunst spezialisiert, das heißt auf Mundgeruch. Trotzdem ist das Baci’s auf dem besten Wege, ganz Dahlem zu erobern. Denn eine Werbeaktion à la »CoffeeCompany« ist schon in Planung, um die Bekanntheit bei den Studenten zu erhöhen: Wer einen Baci-Werbe-Slide in die Powerpointpräsentation seines Referates einbaut und dies per Foto oder besser per Video dokumentiert, bekommt einen Kaffee for free.

KOFFEINGETRÄNKTE VERGÄNGLICHKEIT In der Studentenwerk-Café-Bar wird hinter der Theke mit hastig zugerufenen Anweisungen zu dritt im Akkord gearbeitet. Schließlich sammelt sich davor eine lange Reihe von Mitarbeitern, Studenten und Universitätsgästen. Tatsächlich existiert eine Überlieferung zur längsten Warteschlange, die sich hier einmal gebildet haben soll: Im Jahre 1979 reichte sie bis in den Gang K, Straße 27 – dort, wo heute die ZEDAT zu finden ist. Dieser To-Go-Andrang zeigt auch schon, dass es sich eher um einen reinen Kaffeeausschank als um ein echtes Café handelt. Unbequeme Holzklötze und hektische Mensa-Atmosphäre laden nicht gerade zum Philosophieren und Verweilen ein. Hier zählt allein das Koffein, das die gleiche Strukturformel wie Teein hat und nur auf Grund einer Phosphorylierung am dritten C-Atom eine polyklonale Kardiobrachykardie auslösen kann. Diese von FU-Biologen entwickelte Struktur sorgt dafür, dass der Konsument dreimal länger wach bleibt. Wenn schon nicht philosophieren, so kann man immerhin eines hier: den Puls des Studiums fühlen, das emsige Hin-und HerHetzen zwischen Seminaren, Vorlesungen und Klausuren erleben. Zwischen dem ameisenstockartigen Herumlaufen der Studenten wird man sich auch der eigenen kaffeegetränkten Vergänglichkeit bewusst. Am Ende des Tages liegt nur noch ein müder Donut in der Auslage und die Pappbecher stapeln sich in den umliegenden Mülleimern.

Die Gedanken des Flaneurs notierte Sophie Jankowski. Für ihre Richtigkeit übernimmt sie keine Verantwortung.

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Kultur: Veranstaltungskalender

Got Plans?

Veranstaltungen von, für und mit Studenten der FU. Gesammelt von Carolin Benack, Marvin Henniges, Yulian Ide, Sophie Jankowski, Konstanze Renken und janna rheinbay Mehr Veranstaltungstipps unter

JUNI

www.furios-campus.de/kalender

VAMPIRE, MEHL UND FEUERWEHR Die Lange Nacht der Wissenschaften, an 70 Hochschulen und Forschungseinrichtungen in ganz Berlin und Potsdam, am 5. Juni 2010, 17.00 bis 1.00 Uhr

Samstagabend in die Uni? Warum? So absurd es auch klingt: An diesem Wochenende gibt dafür es einen guten Grund. Denn bei der 10. Langen Nacht der Wissenschaften gibt es an der FU Spannendes zu erleben: So kann man sich an einen Lügendetektor anschließen lassen, eine Vorlesung zum »Twilight-Fieber und Vampir-Boom« besuchen und explodierendes Mehl in der Chemie bewundern. Oder auch bei einem Live-Feuerwehreinsatz in der Informatik mal provokant einfach nicht den Saal verlassen. www.langenachtderwissenschaften.de

OKT.

SCHWEDISCH, GÖTTLICH

Fünf mal Gott, tik – Theater im Kino, Boxhagener Straße 18, 2. Hinterhof, 3. Etage, 09. und 10. Oktober 2010, 20.00 Uhr, Eintritt 4 € (für Studenten), Kartenvorbestellung unter tiktheater@googlemail.com

Ein Schauspiellehrer, vier Schüler und das »Traumspiel« des Schriftstellers August Strindberg: Aus diesen Zutaten hat Regisseurin Julia Beil ein sympathisches Stück Schweden auf die Friedrichshainer tik-Bühne gezaubert. Jeder der fünf Protagonisten verkörpert der Reihe nach Gott und erschafft in seiner Szene seine eigene Wahrheit. Der gescheiterte Schauspiellehrer lebt den Traum einer Hollywoodkarriere, die egozentrische Blanca wird von allen bewundert. Mit dem Auftreten der unsicheren Sanoj verschwimmen schließlich Realität und Fiktion gänzlich. Und man ist sich nicht mehr sicher, ob man da gerade wirklich noch ein Theaterstück sieht. www.theater-im-kino.de

JUNI

KAFFEE BEI LUKE

»Town Meetings of the Imagination: Gilmore Girls and Northern Exposure«, John-F.-Kennedy-Institut, Lansstraße 7-9, Raum 201, 10. Juni 2010, 18.00 Uhr

Einmal in Stars Hollow Taylor Doose bei einem cholerischen Anfall zu sehen, danach bei Luke einen Kaffee trinken – für die Fans der Fernsehserie »Gilmore Girls«, die den Alltag des MutterTochter-Gespanns Lorelai und Rory Gilmore erzählt, ein echter Traum. Auch der Kleinstadt Cicely aus »Northern Exposure«, einer amerikanischen Serie mit ebenso skurrilen Charakteren, würde man wohl gern einen Besuch abstatten. Jane Feuer von der University of Pittsburgh erklärt im Forschungskolloquium die Anziehungskraft der fiktiven amerikanischen Kleinstadt. Wer Stars Hollow besser kennen lernen möchte, sollte hingehen. http://www.jfki.fu-berlin.de/faculty/culture/dates/colloquium 30

Eure Veranstaltungen an

Juni/ Juli

redaktion@furios-campus.de

MALEREIEN DES CHEFILLUSTRATORS Ausstellung »DER ESKAPIST«, Mat’s Laden, Christburger Straße 39, Vernissage am 10. Juni, Ausstellungsdauer bis 10. Juli 2010

Aus Er verleiht der FURIOS ihr Gesicht: Michi zur hr g dem Me Schneider, Urheber der Illustrationen, die bisher stellunst auf h e näc us.d jedes Titelblatt zierten. Selbst, wer der FURIOS amp fuc sonst kritisch gegenüber steht, wird die Großartigkeit seiner Bilder anerkennen. Nun ergibt sich die Möglichkeit, in der Ausstellung »DER ESKAPIST« auch einmal seine Malereien zu bewundern. Wer einen ersten Blick darauf werfen möchte, sollte auf Michis MySpace-Seite vorbeischauen. www.myspace.com/michi_schneider

JEDEN

DI

DU HAST EIN ORIENTIERUNGSLOS GEZOGEN

Kreuzberg Slam, Lido, Cuvrystraße 7, jeden ersten Dienstag im Monat, 20.30 Uhr

uf ze a Der

Kür

e: In Wer sich unter der Woche mit Bier oder us.d dka, o amp fuc f um W nd u p Mate in der Hand von Reimen über den Sinn Kam aphon ltur u Meg Slamk des Essens, emotional tief schürfender bis e– in. Ehr n Berl i sozialkritischer Lyrik oder auch mal von einer ungewollt komischen Aufeinanderfolge von Plattitüden unterhalten lassen will, ist in der Poetry Slam Szene von Berlin genau richtig. Besonders erfolgreich ist der von FU-Studenten organisierte Kreuzberg Slam, der mittlerweile seit einem Jahr im Lido stattfindet. Solltest du selbst deine Reimkünste zum Besten geben wollen, melde dich bis um 20 Uhr an der Abendkasse an – dem Gewinner winkt neben der Gunst des Publikums ein Megaphon. www.kreuzbergslam.de

Juni/ Juli

UNI MACHT OPER

Konzert des Großen Chors und des Sinfonieorchesters des Collegium Musicums – Philharmonie Berlin, Herbert-von-Karajan-Str. 1, 30. Juni und 1. Juli 2010, 20 Uhr, Karten 9 €, erm. 6 €

Schon mal für 6 Euro eine Oper in der Philharmonie Berlin gesehen? Jetzt bietet sich die Gelegenheit dazu! Denn der gemeinsame Chor und das Sinfonieorchester der FU und TU führen dort Rossinis Oper »Wilhelm Tell« als Konzertant auf. Also raus aus dem Großstadtlärm und rein in den Zirkus Karajani, um den bekannten Nokia-Klingelton mal in echt zu hören und der berühmten Apfelschuss-Szene beizuwohnen. Auf geht’s, Kultur tanken. www.collegium-musicum.tu-berlin.de Furios 04/2010


Kultur: Warenfetisch

Der Pollen als Zeuge Die beiden frisch gebackenen DiplomBiologinnen Sarah Gulinski und Kira Schmidt (beide 25) haben eine Vortragsreihe im Rahmen des Offenen Hörsaals organisiert. Das Thema: »Forensische Biologie – Wissenschaft im Dienste der Verbrechensaufklärung«. Fragen von Lynn voSS. Wie seid ihr darauf gekommen, eine Vortragsreihe zum Thema Forensik zu organisieren? Sarah: Wir beide haben uns seit dem ersten Semester dafür interessiert, nur leider war es kaum möglich, unser Studium danach auszurichten. Kira: Und dann sind wir auf das Konzept des Offenen Hörsaals gestoßen. Jeder, der möchte und eine Idee hat, kann ein Konzept einreichen. Dann werden einige dieser Konzepte ausgewählt und in Zusammenarbeit mit einem Professor organisiert. Bei uns war das Herr Prof. Dr. Todt. Wart ihr auch an der Gestaltung der Vortragsreihe beteiligt? Sarah: Von der Auswahl der Themen bis zur Unterbringung der Dozenten haben wir alles mitbestimmt und organisiert. Braucht man bereits ein gewisses Fachwissen, um den Veranstaltungen folgen zu können? Kira: Nein, die Dozenten wissen, dass die Vorträge ein breites Publikum ansprechen sollen. Daher sind die Vorträge so angelegt, dass jeder, der Interesse mitbringt, sie verstehen kann. Auf welche Vorträge freut Ihr Euch am meisten? Kira: Ich bin gespannt auf den Vortrag von Hilja Hoevenberg über Rekonstruktion von Gesichtern. Sarah: Einer meiner Favoriten ist die Veranstaltung zum Thema Pollen. Darüber habe ich bereits einen Vortrag gehört und war überrascht, wie spannend das ist! Wird es über den Offenen Hörsaal hinaus noch weitere Angebote zum Thema Forensik geben? Sarah: Wir planen, für das nächste Semester ein affines Modul anzubieten. Das würden wir dann als Praktikum nutzen, in dem wir Forensik an praktischen Versuchen erläutern. Dazu zählen beispielsweise Blutspuranalysen oder die Untersuchung von Knochen.

Die Vortragsreihe findet immer donnerstags von 18.15 bis 20 Uhr im großen Hörsaal der Pflanzenphysiologie (Königin-Luise-Straße 12-16) statt.

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Warenfetisch:

Brillenaffen blicken dich an Dem Hässlichkeitshype erlegen: Viele Studenten tragen etwas unsagbar Großes und Eckiges.

Von devid mrusek Illustration: julia Schönheit An der FU muss mit harten Bandagen kämpfen, wer aus der Masse herausstechen will. Dankbar greifen Studenten dafür obskure Ideen aus irgendwelchen Szenebezirken Berlins auf. Hornbrillen der fünfziger Jahre zum Beispiel, sei es auch in Wirklichkeit ein Kunststoffimitat. Die Modehersteller befeuern diese Entwicklung erwartungsgemäß: Der Absatz der Ray-Ban Wayfarer erlebte 2007 mit der Neuauflage der Brille einen märchenhaften Anstieg. 2010, Tatort Silberlaube: Jeder Zweite versteckt sein Gesicht hinter einem dunklen, robusten Plastikbrillengestell. Statt Individualität herrscht vollständige Austauschbarkeit. Wie konnte es zu so einem Trend-GAU kommen? Zu Beginn war es ganz einfach: Intellektuelle wurden ob des vielen Lesens kurzsichtig, woraufhin sie sich eine geeignete Sehhilfe suchten. Runde und eckige Hornbrillen kamen in den zwanziger und dreißiger Jahren richtig in Mode. Plötzlich trug man Brillen mit Selbstbewusstsein: Das unansehliche Monstrum strahlte Funktionalität ohne jeden Schnickschnack aus. Ein Erkennungszeichen der verkopften Minderheitsgesellschaft war geboren. Die minimalistische Modeentwicklung der Achtziger machte aber vor dem Intellektuellentum nicht Halt. Ihre Hoheitsinsignie, die Hornbrille, wurde einer strengen Diät unterzogen. Akademiker des öffentlichen Interesses gaben sich mit randlosen Brillen modern. Wer weiterhin durch viereckiges Horn schaute, war plötzlich ein Außenseiter. Eine Haltung, die von einigen Leuten trotzig bedient wurde. Man denke bloß an Woody Allen, Bill Gates und andere Ikonen der damaligen Intelligenzia.

In den letzten Jahren sind modische Alleinstellungsmerkmale enorm wichtig geworden. Der einstige Außenseiterstatus dieser Brille war also ein gefundenes Fressen für Individualisten. Sie wird heute als Requisit benutzt, das dem Träger nicht nur einen besonders eigenwilligen Geschmack attestiert, sondern ihm auch die Intelligenz der einstigen Zielgruppe auf den Nasenrücken transplantieren soll. Mit so einer Brille gewinnt man optisch locker 30 IQ-Punkte dazu. Mittlerweile werden Hornimitate durch unzählige Nachahmerprodukte – insbesondere mit Fensterglas – dermaßen inflationär zur Schau gestellt, dass sie ihre ursprünglichen Attribute verloren haben. Ihre Träger demonstrieren weder Individualität noch Klugheit, selbst die Funktion als Sehhilfe ist abhanden gekommen. Attraktiv sind diese Brillen damit eigentlich nur noch für neu zugezogene Studenten. Denn die halten das Hornbrillen-Imitat, neben Jutebeuteln und Polaroidkameras, nach wie vor für das vermeintliche Ticket in die Modeszene an der Spree.

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Bildlegende

Vom Irrglauben der Wissenschaft Menschliche Erblehre am lebenden Objekt und Mittelpunkt der Studentenproteste – die bewegte Vergangenheit eines Dahlemer Gebäudes. Von Frauke Fentloh

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ie Tafel am Eingang der Ihnestraße 22 ist unscheinbar, Studenten laufen achtlos vorbei. Wissenschaftler, so steht da, haben Inhalt und Folgen ihrer Arbeit zu verantworten. Sie sollen dem Fortschritt dienen oder der Erkenntnis, der Gesundheit oder der Kunst – in jedem Fall aber dem Leben. Die Gedenktafel ist eine Erinnerung an die bewegte Geschichte des alten Gebäudes, das heute zum OttoSuhr-Institut gehört. Bis 1945 wehte dort die Hakenkreuzflagge, unter dem riesigen Banner residierte eines der Institute der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft. Sein Forschungsgebiet: Anthropologie, menschliche Erblehre und Eugenik. Gegründet wurde das Institut 1926 – mit dem Anspruch auf Überparteilichkeit. Doch mit diesem Leitbild wurde ziemlich rasch gebrochen. Spätestens seit der Machtübernahme 1933 wurde das vermeintlich »rein theoretische« Institut zu einem Zentrum der nationalsozialistischen Rassenforschung, dessen Wissenschaftler Anzeige

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mehrheitlich ihr Fähnchen nach dem Wind hängten. Sie gehörten NS-Expertenstäben an, stellten Gutachten aus, die zu Zwangssterilisationen führten, und rechtfertigten die nationalsozialistische Rassenpolitik auf dem internationalen Wissenschaftsparkett. Im Gegenzug erhielten sie nicht nur staatliche Finanzspritzen, sondern auch spezielle Forschungsobjekte: Institutsleiter Otmar Freiherr von Verschuer arbeitete mit menschlichem »Material«, das ihm von einem seiner Schüler zur Verfügung gestellt wurde. Das »Material« kam aus Auschwitz, Verschuers Schüler hieß Joseph Mengele. Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges war das Aus des Instituts besiegelt, nur eine einzige Abteilung wurde von der Max-Planck-Gesellschaft übernommen. Doch Aufarbeitung und Vergangenheitsbewältigung ließen auf sich warten. Mit dem ehemaligen Kaiser-Wilhelm-Institut wurde zunächst genauso verfahren wie mit dem Großteil des nationalsozialistischen Erbes: Besser erst mal nicht drüber reden. Als die Dahlemer Verstrickungen in den siebziger Jahren zum Thema wurden, war bereits das Otto-Suhr-Institut eingezogen – das Herzstück der 68er-Bewegung. Gerade in dieser linken Ideenschmiede sollte der »Muff unter den Talaren« beseitigt werden. Die Mittel dafür: eine rigorose Aufarbeitung der NS-Vergangenheit und ein klarer Kurswechsel. In den Räumen, in denen einst die Rassentheoretiker forschten, sollte von jetzt an eine kritische Politikwissenschaft gelehrt werden. Zudem nistete sich das linksautonome Café »Geschwulst« ein. Die Studenten eroberten den historisch beladenen Ort also auf ihre Weise zurück. Heute liegen die Akten der damaligen Zeit in Dahlem, sechs Jahre lang haben sich die Historiker intensiv mit der Rolle der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft im Nationalsozialismus befasst. Die Verbrechen in der Ihnestraße 22 wurden indes nicht gesühnt – viele der beteiligten Wissenschaftler lehrten noch Jahrzehnte später unbehelligt an deutschen Universitäten. Institutsleiter Verschuer etwa wurde von den Alliierten lediglich als »Mitläufer« eingestuft und zu einer Strafe von 600 Reichsmark verurteilt. Später war er Dekan in Münster. An der medizinischen Fakultät.

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Die Internationale

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Ein Länderspiel mal anders: Auch am Rande eines guatemaltekischen Vulkankraters kommuniziert man am einfachsten mit einem Ball. Simon Haux dokumentierte eine spannende Begegnung.

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las quince horas, Juan hace su entrada en la cancha y deposita su machete en el suelo, junto a las pistolas de sus compañeros. El ata sus pesadas botas de cuero, enciende un cigarrillo. Los hombres acaban de ser desafiados a un duelo. Nosotros, los provocadores, venimos de la lejana capital, de la embajada de Alemania en la Ciudad de Guatemala, dónde estamos trabajando. Una excursión nos dejó aquí, en un escenario espectacular: unos 1500 metros sobre el nivel del mar, en la cumbre del volcán extinguido Ipala. Hoy en día, su cráter gigante alberga un lago azul oscuro. El pueblito de unas diez casitas en su orilla parece tan tranquilo, pacífico y soñoliento que ni el impresionante arsenal de armas de nuestros anfitriones puede menoscabar el ambiente de vacaciones. Pasando por la aldea en camino hacia el lago, encontramos un solo kiosquito, ofreciendo nada más que Coca-Cola, chicles y papitas. El vendedor dormita en una silla de jardín. De facto no hay ningún indicio de cualquier actividad económica en todo el pueblo: ningunas instituciones turísticas, ninguna tierra de cultivo. Unos hombres en la flor de sus vidas juegan a las cartas, un niño ahuyenta unos de los pocos pollos escarbando en el suelo polvoriento. No se aclara cómo este pueblo se gana el sustento. Ni siquiera sabemos si tiene un nombre. No parece importar mucho. Juan se dirige a mi, la colilla dejadamente sujetada en la comisura de los labios. Es un hombre pequeño y vigoroso. Debe tener treinta y tantos años, pero su cara se ve más vieja. Probablemente nunca ha conocido otra parte de Guatemala. Y todos los sábados está aquí en la cancha, con los otros hombres que prefieren el fútbol a las cartas. Me estrecha la mano y me pregunta: “¿Son gringos?” Respondo negativamente y se lo aclaro. ¿Alemania? Su cara se despeja un poquito, susurra algo de Mercedes y Matthäus, yo asiento con la cabeza, él sonría. Nos entendemos. Se nota el hecho de que huéspedes tan exóticos por aquí no son observados con mucha frecuencia. Pero otra vez es el fútbol que rompe el hielo y contribuye al entendimiento entre los pueblos. En terreno fragoso comienza un encuentro amistoso de mediana calidad futbolística, pero gran in-

Simon Haux studiert Politikwissenschaft und war zwei Monate lang Praktikant in der deutschen Botschaft in Guatemala-Stadt

tensidad. Pese al calzado poco profesional de todos los jugadores, se desarrolla un partido con muchos goles y de mucho suspense. Durante el juego, incluso se juntan un par de espectadores: unos niños, dos perros y hasta un pollo se atreve a acercarse a la cancha. En el fondo brilla el lago, unos reses se refrescan en el agua clara. En este momento, los titulares de los meses pasados que todavía tuvimos en la mente subiendo al volcán, los asaltos a grupos de turistas, a excursionistas y a camionetas, están lejísimos, hasta que uno de los jugadores toma la palabra: “El próximo gol gana. Deberían de volver a su auto y llegar a la ciudad antes del atardecer.” Poco después, Juan sella nuestra derrota con el tiro decisivo, su cigarrillo todavía en la mano. Luego de posar para una foto de grupo, los lugareños victoriosos se despiden cortesmente, recogen sus armas y desaparecen. Cuando emprendemos el descenso, solo los reses nos miran una última vez, disfrutando de la tranquilidad restablecida.

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Ewige Ehemalige

Der ewige Revoluzzer RAF-Anwalt, passionierter Fahrradfahrer, Kreuzberg-Maskottchen, Mitbegründer von taz und den Grünen. Ein Portrait über HansChristian Ströbele von Tobias Heimbach. Foto: Cora-Mae Gregorschewski

FU-Veteran mit bewegter Vergangenheit: Hans-Christian Ströbele

I

st es schwer, sich treu zu bleiben? Er nickt, ja, ganz gewiss. Bleibt sich aber nicht gerade derjenige treu, der sich auch verändert? Hans-Christian Ströbele sieht das nicht so. Seine ehemaligen Weggefährten haben Metamorphosen hinter sich, wurden Innenminister, Berater bei BMW, auch NPD-Mitglieder. Ströbele aber bleibt. Stur. Wie ein 70-Jähriger wirkt der Mann in Jeans beim Besuch in seinem Abgeordnetenbüro nicht. Aufmerksam, angriffslustig und etwas lausbubenhaft blitzen seine auffallend blauen Augen unter den buschigen Brauen hervor. Es ist ein warmer Aprilnachmittag, das Fenster in Ströbeles Büro steht offen. Als der Mann mit den weißen Haaren 1961 aus Heidelberg an die Freie Universität wechselte, sah es nicht so aus, als sollte 50 Jahre später »MdB« an seiner Tür stehen. Während seines Jura-Studiums hatte er das »Studentenleben und natürlich Frauen« im Sinn. In seiner Freizeit half er Ostberlinern bei der Flucht in den Westen. Für ihn eine »Mischung aus Abenteuerlust und humanitärem Engagement«. An der FU ging es zunächst weniger aufregend zu. Studentenproteste gab es Anfang der 60er Jahre noch nicht. Die Urabstimmung zum Sturz des Burschenschaftlers und späteren Berliner CDU-Bürgermeisters Eberhard Diepgen als Vorsitzender des rechts dominierten AStAs bleibt vorerst die einzige poltische Initiative, die Ströbele aktiv unterstützt. Sein Erweckungserlebnis kommt, wie für so viele seiner Generation, als am 2. Juni 1967 der Polizist Karl-Heinz Kurras den wehrlosen Demonstranten Benno Ohnesorg erschießt. Noch am selben Abend tritt Ströbele in das Anwaltsbüro von Horst Mahler ein und wird schlagartig in die Studentenbewegung katapultiert. »Von da an war ich bei allen Demonstrationen dabei und habe viele Studenten vor Gericht vertreten.« Damals

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lernt er auch Rudi Dutschke kennen, von dem er heute noch mit großer Bewunderung spricht. »Mit seinem Charisma und politischen Reden hat er uns begeistert. So einen gab es danach nicht wieder.« Später vertritt Ströbele RAF-Mitglieder in Stammheim. Diese Jahre haben ihn geprägt, bis heute. »Ich glaube, dass eine neue Art sozialistischer Gesellschaft kommen wird. Die Entwicklung der Menschheit führt dahin, davon gehe ich aus.« Ströbele ist seiner Überzeugung ein Leben lang treu geblieben. Andere knickten ein, er aber blieb stehen wie der trotzige Gegenbeweis auf die Phrase »Wer mit 20 Jahren nicht Sozialist ist, der hat kein Herz, wer es mit 40 Jahren noch immer ist, hat kein Hirn.« Doch einfach war es nicht immer. Als Bundeskanzler Gerhard Schröder 2001 die Abstimmung über die Teilnahme am Afghanistaneinsatz an die Vertrauensfrage band, sprach sich Ströbele gegen den Krieg und somit auch gegen die rot-grüne Koalition aus: »Es ist nicht leicht bei seiner Meinung zu bleiben, wenn alle um einen herum auf eine andere Entscheidung drängen.« Die Grünen wandelten sich mit der Zeit, Ströbele nicht. Obwohl ideologisch näher, will er mit der Linkspartei nichts zu tun haben. Vielleicht ist er zu alt für einen erneuten Frontwechsel, vielleicht zu unbeweglich. Vielleicht brauchen Idealisten immer auch eine Portion Sturheit. Wie soll es nun weitergehen? Kehrt so jemand der Politik einfach den Rücken? »So lange es geht, werde ich mich für meine politischen Ziele einsetzen«, sagt er. Statt Busreisen in den Harz und Golfplätze interessieren ihn Afghanistan und die Finanzkrise. »Manche Sachen bringen mich immer noch auf die Palme. Da kann ich nicht ruhig vorm Fernseher sitzen und nur zusehen.«

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