FURIOS 11 – Grenzen

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WINTER 2013 AUSGABE 11

*

*Grenzen


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Editorial

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Liebe Kommilitoninnen, liebe Kommilitonen,

W

ir alle hatten Tobsuchtsanfälle, als Mama oder Papa uns mit ihrem »Nein« die Erfüllung unserer Wünsche versagten. Unser Leben beginnt mit Grenzen, und Grenzen durchziehen es bis zum Ende. Irgendwann erklären uns unsere Erziehungsbeauftragten, dass auch zwölf Luftballons uns nicht zum Fliegen bringen; merken wir, dass Jägermeister und Wodka nicht zusammen passen; und ärgern uns darüber, dass uns eine Vier in Mathe das Wunschstudium verbaut. Wir fühlen: Hier geht es nicht weiter. Schwerkraft, Biologie, Gesellschaft – alles legt uns Ketten an. Auch in einer Freien Universität hören Grenzen nicht auf zu existieren. Grund genug, sich diesem Thema in Heftform anzunehmen. Burkhart Veigel half Grenzen zu überwinden – als Fluchthelfer schmuggelte er Menschen aus der DDR in die Bundesrepublik. Wir haben den ehemaligen FU-Studenten besucht (S. 6). Nicht alle Grenzen sind aus Beton. Viele trennen uns, ohne dass wir es überhaupt merken – etwa vom Reinigungspersonal an der FU. Sunday Adekunle Alaye putzt in der Silberlaube. Dass er Akademiker und Journalist ist, weiß hier fast niemand. Der 37-Jährige wird nicht beachtet (S. 9). Ähnlich ergeht es den zahlreichen Erasmus-Studierenden, die jedes Semester

Stadt und Campus bevölkern. Unser Autor hat sich mit einigen von ihnen unterhalten und stieß auf enttäuschte Erwartungen (S. 12). Nicht nur die studentischen Kreise sind von unsichtbaren Barrieren durchzogen. So sind die leitenden Köpfe in der Wissenschaft – Emanzipation hin oder her – noch immer Männer. Die FU-Frauenbeauftragte und eine Wissenschaftlerin erzählen uns von ihren Erfahrungen mit der »gläsernen Decke« (S. 14). Auch abseits unseres Titelthemas bietet die aktuelle Ausgabe spannende Themen: Wir werfen ein Schlaglicht auf das düstere Dickicht der Asta-Finanzen (S. 20), begleiten eine taube Studentin (S. 24) in ihren Uni-Alltag und stellen Julian Heun vor, der auch mal ein Seminar besucht – wenn er gerade nicht für seine Poesie gefeiert wird (S. 30). Grenzenloses Vergnügen beim Lesen dieser Ausgabe wünschen Euch Valerie Schönian und Matthias Bolsinger Chefredaktion Foto (oben): Fabienne Bieri

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Inhalt

FÜR DIE OPTIK SORGEN: Robin Kowalewsky kennt jetzt alle Ecken des FURIOS-Redaktionsraums auswendig. Es sollten mal Pfandflaschen zurückgebracht werden. Luise Schricker studiert Deutsche Philologie und Informatik. Außerdem kann sie jodeln. Ihr Beitrag zu diesem Heft sind aber Illustrationen. Christoph Spiegel studiert Mathe und hatte leider kein Stimmrecht bei der Auswahl dieses Fotos. Danke Robin und Luise!

INHALT 11 TITELTHEMA: GRENZEN 06

Staatsfeind im Cadillac Burkhart Veigel verhalf Menschen zur Flucht aus der DDR

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»Viele halten mich für irrelevant» Wer putzt, wird ignoriert. Interview mit einem Akademiker

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Gefangen in der Blase Erasmus-Studierende und Einheimische – keine Liebesbeziehung

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Achtung, Glas! Gleichberechtigung in der Wissenschaft? Ein Trugbild

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4 aus 40.000 Menschen an der FU und ihre Grenzen

POLITIK 18

Haste mal 'ne Regelstudienzeit? Die Hochschulverträge setzen Studis und FU unter Druck

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Die Spur unseres Geldes Kann der Asta bei seinen Finanzen mogeln?

Zwischen den BachelorVorbereitungen macht Gwendolyn Schneider-Rothhaar Musik. Nachts zeichnet sie Eichhörnchen für FURIOS.

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Es ist noch nicht vorbei Ein FU-Student berichtet aus dem revolutionären Kairo

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Klagen um zu bleiben Der Etappensieg einer WG über die Immobilienhaie

Fabienne Bieri studiert Politikwissenschaft. Malen und fotografieren tut sie in ihrer Freizeit, letzteres neuerdings auch für FURIOS.

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Gebärde mal Thukydides! Dolmetscherinnen unterstützen Taube im Studium

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Mediziner als Versuchskaninchen Ein Modellstudiengang an der Charité kränkelt

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Wohnen in der Dose Im Plänterwald entsteht ein Studentendorf aus Containern

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Wo bin ich hier gelandet? Der J-Gang und die USA – zwei ominöse Orte

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Ewiger Ehemaliger: Nicht ohne Weffi Star-Regisseur Dieter Wedel musste immer seinen Hund verstecken

Mareike-Vic Schreiber ist für diese Ausgabe ihrem Nachnamen untreu und tauscht Tastatur und Stift gegen Kamera. Julian Daum studiert prähistorische Archäologie. Den Stundenlohn während seiner letzten Grabung rechnet er sich lieber nicht aus.

CAMPUS

KULTUR 30

Hauptberuf: Poet Eine Begegnung mit Poetry-Slammer Julian Heun

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Kunst sucht Bedeutung Der FU-Campus ist eine Galerie in Großformat

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Von Swing bis Star Wars Die Uni-Bigband kultiviert auch den schrägen Ton

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Geklaute Rubrik: FURIOS Unnützes Wissen 15 Dinge über unsere Uni, die ihr wohl noch nie gehört habt


Kameras raus und gewinnen! Die neue FURIOS? Check! Fotoapparat in der Tasche? Check! Bock auf Kino? Triple-Check! Dann habt Ihr alles, was Ihr für unser einfallsreiches, einzigartiges, einfach umwerfend-großartiges Gewinnspiel braucht. Zu gewinnen gibt es - Trommelwirbel 10 mal 2 Kinokarten von CinemaxX! Voll Weltraum! Allzu einfach wollen wir es euch aber natürlich nicht machen – im Leben gibt es schließlich nix für umme (außer dieses Heft!). Um die phänomenalen Preise abzuräumen, müsst ihr mit offenen Augen über den Campus laufen und eine Kamera dabei haben. Für alle, deren Kamera seit dem neusten Smartphone im Second-Hand-Laden um die Ecke ruht, erlauben wir sogar die Handyformate.

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WISSENSCHAFT 34

Härter, Schneller, Stärker Die Wissenschaft widmet sich den Kultserien

36

Facebook macht glücklich Eine Studie ergründet das Internetphänomen

37 »Wir wollen in einem Jahr 2000 Flüchtlinge therapieren» Charité-Professoren und der syrische Bürgerkrieg 38

Der empörte Student Uni-Seminare: das Reich der dummen Fragen

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Titel

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Staatsfeind im Cadillac

Burkhart Veigel wollte nicht wegsehen, als sich 1961 die Sektorengrenze schloss. In acht Jahren verhilft er etwa 650 Menschen zur Flucht aus der DDR. Von Matthias Jauch und Bente Staack

B

urkhart Veigels Stasi-Akte ist dick. »Insgesamt sind es 15.000 Seiten, davon beschäftigen sich 900 nur mit mir«, erzählt der jung gebliebene 75-Jährige, der noch schnell sein Smartphone beiseite legt. Ungewöhnlich viel Aufmerksamkeit und Energie des DDR-Staatsapparates wurde dem damals 23-jährigen FU-Studenten ab 1961

zuteil. Das hatte seine Gründe: Denn während seine Kommilitonen im Hörsaal saßen, für Prüfungen lernten oder in vollen Zügen ihr Leben genossen, verhalf Veigel anderen Menschen zur Flucht aus der DDR. Heute, 50 Jahre später, sitzt er am Wohnzimmertisch seiner Grunewalder Wohnung und erzählt seine Geschichte.


Titel

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3

»Als die Mauer gebaut wurde, war ich gar nicht in Berlin.« Der Medizinstudnet reist herum, durch Griechenland und Deutschland – für den Mauerbau ist zunächst wenig Platz in seinen Gedanken. »Ich hatte nur Sorge, dass ich nach den Semesterferien gar nicht mehr nach Berlin hineinkomme.« Als er im Oktober wieder in Berlin ist, spürt er die Angst der Menschen – und ihre Wut. Sie überträgt sich auf ihn. »Ich hatte für dieses System nur Verachtung übrig«, sagt Veigel. »Sie mauerten einfach unsere Freunde ein! Diese Leute haben im Hörsaal neben mir gesessen.« Von einem Tag auf den anderen wird der 23-Jährige politisch. Am 30. Oktober 1961 kommt ein Freund auf ihn zu und fragt, ob er seinen Kommilitonen zur Flucht verhelfen möchte. »Da habe ich keine Sekunde gezögert, ich sagte sofort zu.« Das Studentenwerk der FU ist seit August eine zentrale Anlaufstelle von Fluchthelfergruppen in West-Berlin. Immerhin 2 gibt es allein hier zu dieser Zeit 400 Grenzgänger-Studenten: Sie wohnen im Ostteil der Stadt, studieren aber an der FU im Westen. Veigel wird selbst zum Grenzgänger. Er fährt regelmäßig nach Ost-Berlin, um seine Kommilitonen auf die Flucht vorzubereiten. Nur wer vorgibt, aus dem Westen zu sein, kann die DDR verlassen. Also versorgt er sie als »Läufer« mit den notwendigen Utensilien: Pässe aus Deutschland oder dem Ausland, Zigaretten und Fahrscheine. Namen, auch die von angeblichen Verwandten, Unterschriften, Kenntnisse über das Leben jenseits der Mauer.

Das alles als Zeugnis, dass es die vorgetäuschte Heimat im Westen tatsächlich gibt, denn die Grenzkontrollen sind peinlich genau. Die Flucht mit Ausländerpässen wird schnell zum Normalfall. Doch sie bringt auch Schwierigkeiten mit sich: »Wenn etwa jemand dem Pass nach Schwede war, kein Wort Schwedisch sprach, aber dafür perfekt berlinern konnte. Die ausgedachten Geschichten hierzu mussten sitzen.« Bis zu sechs Leute am Tag holt Veigel so über die Grenze, einmal sogar zehn. »Von den 400 FU-Studenten haben wir fast alle rausgeholt. Und jeder, dem wir halfen, gab uns fünf weitere Namen für die Liste, die wir auch holen sollten.« Die Fluchthilfe ist von Beginn an ein Schneeballsystem. Weil Veigel erfolgreich ist, dauert es nicht lange, bis die Stasi auf ihn aufmerksam wird. Sie schleust einen Spitzel in die Fluchthelfer-Gruppe ein, den Veigel jedoch nach sechs Wochen enttarnt. Andere Gruppen und Fluchtwillige haben weniger Glück und laufen in die Arme der Stasi. »Danach bin ich extrem vorsichtig geworden. Ab 1963 ist bei mir auf dem Gebiet der DDR nichts mehr schief gegangen.« Seine Stasi-Akte enthalte von da ab nur noch Vermutungen zu den Aktionen des Medizinstudenten. Für Veigel nicht weniger gefährlich: »Ich wurde zum Staatsfeind und entging zwei Mal nur knapp einer Entführung, in West-Berlin 1964 und in Wien 1965.« Auf dem Mexikoplatz kann er seine Verfolger nach langer Flucht abschütteln, in Wien scheitern sie auf der Haupteinkaufsstraße. Die DDRJustizministerin will die vier Top-Fluchthelfer, zu denen auch Veigel gehört, gar hinrichten lassen. Als einziger der vier macht er trotzdem weiter – noch sechs Jahre lang. »Ich hatte keine Angst.« Nur einmal, 1962. Da gräbt er einen Tunnel von West- nach Ost-Berlin und befürchtet unter dem Geröll begraben zu werden. Im Westen und an der Uni entwickelt Fluchthilfe sich zum Politikum. In den Augen des damaligen FU-Präsidenten Ernst Heinitz hat die Universität ein Ort der Neutralität zu sein, kein Ort für Fluchthilfe. Auch der Asta fordert ein Ende

1 Sein alter Studentenausweis zeigt, was Veigel alles studierte, um Fluchthelfer bleiben zu können 2 Das Loch zu dem Tunnel, den Veigel baute – einer von insgesamt 60 in Berlin 3&4 In diesem Kofferraum eines Cadillacs schmuggelte Veigel Menschen in die BRD


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Titel

Untertitel und so

Burkhart Veigel erzählt von seinen riskanten Aktionen als Fluchthelfer

der Hilfsaktionen, um mit dem Osten in direkte Verhandlungen über inhaftierte Studierende treten zu können. Veigel wird der Ausschluss aus dem Studentendorf angedroht, was eine Welle der Solidarität für ihn unter den Kommilitonen auslöst. Auch der Regierende Bürgermeister mischt sich schließlich ein. Zu dieser Zeit heißt er Willy Brandt. Er stellt sich hinter Veigel und die anderen Fluchthelfer. Präsident Heinitz knickt ein und Veigel bleibt. Er und seine Gruppe feilen weiter an Fluchtmöglichkeiten. Besonders raffiniert und elegant: ein Cadillac, dem sie als Fluchtwagen immer wieder eine andere Gestalt geben und so der Grenzpolizei entwischen. »Nach jedem sechsten bis achten Flüchtling wurde aus ihm ein neues Auto kreiert«, erzählt Veigel verschmitzt. Aus dem Cadillac wird ein Mercury, dann ein Chevrolet. Neues Kennzeichen, neue Motorhaube, neue Papiere. Bis zu 200 Menschen gelangen so über die Grenze, ein immenser Erfolg. »Das Freikaufen eines Häftlings aus dem Osten kostete den Staat rund 100.000 Mark. Wir haben für die vielen Fluchten mit dem Cadillac nur halb so viel gezahlt.« Das war auch günstiger als über Skandinavien in den Westen zu reisen – das kostete pro Person rund 2000 Mark. »Wer aus einem Land flüchtet und alles zurücklässt, darf doch nicht auch noch etwas für seine eigene Flucht bezahlen.« Also nehmen Veigel und seine Gruppe die Ausgaben auf sich. So macht der Student rund 50.000 Mark Schulden. Gedanken, wie man das zurückzahlen soll, habe sich keiner der Fluchthelfer gemacht. »Wir dachten immer, der Staat, die Kirchen oder die Wirtschaft würden uns das eines Tages wiedergeben.« Doch es kommt nichts. »Es ging nie um Menschlichkeit, es ging nie um Menschenrechte. Es ging darum, den Frieden zu wahren. Das ist Politik.« Der ehemalige Medizinstudent ist noch heute empört. »Auch von Verfassungsschutz und Geheimdienst gab es kein Geld, weil wir mit denen nicht zusammenarbeiten wollten.« So muss auch Veigel anfangen, Geld für seine Fluchthilfe zu verlangen. Nicht nur sein Portemonnaie wird von seiner Tätigkeit als Fluchthelfer in Mitleidenschaft gezogen. Auch das Studium dehnt sich. Veigel schiebt drei Semester Jura und drei

Semester Soziologie in sein Medizinstudium ein, damit er weiter Fluchthilfe betreiben kann – sein Studienbuch ist voll von Stempeln. »Ich habe das alles studiert, um weitermachen zu können. Dafür musste ich ja hier bleiben.« Seine schwangere Frau bittet ihn schließlich, mit der Fluchthilfe aufzuhören. Im Jahr 1969 ziehen sie nach Hannover. Ein wenig wehmütig blickt Veigel auf seinen alten Studentenausweis. Als studentischer Held wurde er nicht gefeiert, auch nicht von denjenigen, denen er ein Leben in Freiheit ermöglichte. »Dankbarkeit gegenüber den Fluchthelfern gab es direkt nach der Flucht eher selten.« Auch habe kaum einer der Flüchtlinge nach einer geglückten Grenzüberquerung seine Hilfe angeboten. Warum? »Bei der Flucht begibt man sich in einen Kokon, in dem man seine Gefühle abschaltet, in dem es nur noch nach einer Ratio geht: ›Ich darf keinen Fehler machen‹.« Und in dieser Rolle bleibe man auch noch Stunden, Tage nach der Flucht. 2011 bringt Veigel ein Buch heraus, »Wege durch die Mauer«, und nimmt Kontakt zu vielen Geflüchteten auf – 50 Jahre nach der Flucht. »Dann war die Dankbarkeit spürbar.« Etwa 650 Menschen hat die Gruppe um den ehemaligen FU-Studenten Burkhart Veigel über die Mauer verholfen. Eine bedeutende Zahl. Veigel lächelt, wenn er daran denkt. So vielen Menschen ein Leben in Freiheit ermöglicht zu haben, sei ein schönes Gefühl. »Viele feiern den Fluchttag als zweiten Geburtstag.« Vor ein paar Monaten war Veigel zum 50. Geburtstag eines Geflüchteten eingeladen. Der Mann wurde 80 Jahre alt. Matthias Jauch und Bente Staack wohnen beide in »West-Berlin« und sind dankbar, dass sie heute problemlos nach Friedrichshain kommen. Foto (Seite 8): Bente Staack Archivmaterial: Die Behörde des Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen (Seite 7); Privater Studentenausweis (Seite 6, oben)


Titel

»Viele halten mich für irrelevant« In seinem weißen Anzug sieht Sunday Adekunle Alaye fantastisch aus. Der 37-Jährige kam im Oktober 2012 nach Deutschland, weil man hier günstig studieren kann – sogar noch günstiger als in Nigeria, seinem Heimatland. Dort studierte er zuvor Politik und arbeitete als Journalist bei einem lokalen Nachrichtensender. Nach seinem Bachelorabschluss ging er nach Wales, wo er für die BBC arbeitete und an der Universität in Cardiff unterrichtete. Jetzt ist Adekunle Alaye in Cottbus gelandet, wo er seinen Master macht, danach will er mit seiner Promotion beginnen. Er ist gebildet, intellektuell. An der FU weiß das niemand. Dort tauscht er seinen weißen Anzug vier Mal in der Woche gegen eine blaue Uniform. Sunday Adekunle Alaye reinigt Toiletten.

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Titel

tut es das schon. Denken die Menschen nicht daran, dass ich auch wie sie ein Student sein könnte? Wer weiß – eines Tages könnte ich ihr Dozent sein. Warum, glauben Sie, ignoriert man Sie? Da gibt es viele Gründe. Ich glaube, viele halten mich für irrelevant. Da ich Afrikaner bin, spielt sicherlich auch Rassismus eine Rolle. Gegenüber meinen europäischen Kollegen verhalten sie sich womöglich nicht so. Natürlich möchte ich nicht alle über einen Kamm scheren. Aber hin und wieder fühle ich mich als Ausländer ziemlich ausgegrenzt.

»Manche blicken mich feindlich an« Würden Sie an dieser Situation gern etwas ändern? Man kann ein Pferd nur zum Fluss zwingen, aber man kann es nicht zwingen, das Wasser zu trinken. Die Menschen müssen sich ändern, klar. Aber das müssen sie schon alleine tun. Natürlich hätte ich es gerne, dass man hier an der Universität auch mit denen redet, die hier arbeiten, aber keinen anerkannten Job haben. Haben Sie darüber mit Ihren europäischen Kollegen geredet? Das habe ich versucht. Aber leider sprechen nur wenige von ihnen Englisch. Gebildete Menschen in Deutschland tun das meistens. Daran habe ich bemerkt, dass Putzen in Deutschland ein Job ist, der regelrecht verachtet wird. Das wusste ich vorher nicht.

FURIOS: Was schätzen Sie, Sunday: Wie viele Studierende begegnen Ihnen jeden Tag bei der Arbeit? Sunday Adekunle Alaye: Ich zähle sie nicht wirklich. Aber wahrscheinlich sind es Hunderte. Wie viele von ihnen grüßen Sie? Um ehrlich zu sein: Von euch einmal abgesehen waren es vielleicht fünf, seit ich im September hier angefangen habe. Interessanterweise grüßen mich Professoren und ältere Menschen häufiger als die Studieren-

den. Die schauen mir normalerweise nicht einmal ins Gesicht, geschweige denn, dass sie mich grüßen. Haben Sie selbst mal versucht, mit Studierenden ins Gespräch zu kommen? Einmal habe ich mit einem über mein Promotionsvorhaben gesprochen, während ich putzte. Der konnte mir meine Geschichte kaum glauben. Das war es aber schon. Manchmal blicken mich die Menschen fast feindlich an. Bisher hat mich das nicht getroffen. Aber wenn ich jetzt darüber nachdenke,

Ist das in Nigeria anders? Nein, dort wäre es wohl auch nicht wirklich anders. Auch da gibt es Jobs, die nicht anerkannt sind, auch dort werden die Menschen, die solche Arbeiten verrichten, nicht als relevanter Teil der Gesellschaft akzeptiert. Dabei ist diese Annahme so offensichtlich falsch! Wir können nicht alle Akademiker sein. Irgendjemand muss diese Arbeit machen. Sie aber sind gebildet, haben journalistische Erfahrung. Warum machen Sie dann diesen Job? Weil ich kein Deutsch spreche. Als Journalist bekam ich hier keine Anstellung, weil das überall verlangt wird, sogar bei der Deut-


Titel

schen Welle, einem mehrsprachigen Sender. Dass ich in Nigeria bei verschiedenen TV-Sendern gearbeitet habe, macht keinen Unterschied. Als Reinigungskraft hingegen muss ich kein Deutsch sprechen.

bald ich meinen Master habe, höre ich damit auf. Dann kann ich natürlich eine bessere Arbeit bekommen. Trotzdem: Ich denke nicht, dass es ein schlechter Job ist, Klos zu reinigen.

»Wer weiß – eines Tages könnte ich ihr Dozent sein«

Was gefällt Ihnen denn daran? Ich bin einfach froh, diese Arbeit zu haben. Deswegen verrichte ich sie mit Leidenschaft. In Nigeria reden wir gern in Sprichwörtern. Eines davon ist: Wenn sich etwas überhaupt zu tun lohnt, lohnt es sich auch, es gut zu tun. Man muss sich vollkommen den Dingen verschreiben, die man macht, egal, ob sie einem Status entsprechen. In jedem Job gibt es etwas zu lernen, mehr Wissen ist nie eine Verschwendung.

Denken Sie, dass diese Aufgabe für jemanden mit Ihren Qualifikationen unangemessen ist? Ich brauche das Geld, um Miete und Versicherungen zu bezahlen. Außerdem hat dieser Job einen klaren zeitlichen Rahmen. Ich werde nicht ewig Toiletten putzen. So-

Was denken Ihre Freunde in Nigeria darüber, dass sie in Deutschland Toiletten putzen müssen, um über die Runden zu kommen? Manche wissen nicht mal, dass ich hier arbeite. Schließlich bin ich als Student hier. Wenn ich es ihnen erzählen würde, würden sie mir es wahrscheinlich nicht einmal glauben. Ich muss es ihnen aber auch nicht sagen – schließlich fragen sie mich nicht. Wie wäre es für Sie, diese Arbeit an Ihrer Universität in Cottbus zu machen? Das könnte ich niemals tun! Auf dem Campus dort bin ich sehr anerkannt.

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Sunday Adekunle Alaye arbeitete im nigerianischen Ibadan als Fernsehjournalist

Gibt es unter Ihren Kollegen ähnliche Lebensgeschichten wie Ihre? Keine Ahnung. Bis jetzt hat mich das nicht interessiert. Sicherlich hat nicht jeder eine konkrete Perspektive. Manche sind völlig planlos, andere stehen mit dem Gesetz in Konflikt. Menschen wie sie beeinflussen, wie Immigranten betrachtet werden. Eines Tages ging ich durch die Straßen, als ein Deutscher auf mich zukam und mich fragte, ob ich Drogen verkaufe – das machte mich wütend. Natürlich hat seine Wahrnehmung auch eine gewisse Entsprechung in der Realität. Aber nur deswegen hat er nicht gleich das Recht, mich in dieselbe Schublade zu stecken. Wir müssen alle voneinander lernen, Deutsche und Immigranten.

»In jedem Job gibt es etwas zu lernen« Was kann man von Ihnen lernen? Was würden Sie den Studierenden gerne mitteilen? Ihr Deutschen habt große Chancen. Chancen, für die ich sehr hart arbeiten musste. Das solltet ihr schätzen! Nutzt eure Möglichkeiten. Jeffrey Steinyer, ein Politikwissenschaftler, sagte: »Bildung ist die Charakterformung eines Menschen und der positive Beitrag dieses Menschen zur Entwicklung seiner Umgebung.« Nutzt eure Abschlüsse, um die Welt um euch herum weiterzubringen, hier an der Universität und außerhalb!

Aufgezeichnet und aus dem Englischen übersetzt von Matthias Bolsinger und Valerie Schönian. Bebilderung: Gwendolyn Schneider-Rothhaar


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Titel

Gefangen in der Blase Das Erasmus-Programm sollte ausländische und einheimische Studenten zusammenbringen. Doch wer in den Uni-Alltag der FU blickt, erkennt: Echter Austausch ist rar. Von Maik Siegel

M

arta Kosmalska ist die ideale Erasmus-Studentin für die FU: Die 23-jährige Polin spricht ein passables Deutsch, wollte schon immer mal zum Berliner Theatertreffen und möchte am liebsten jeden in der Stadt kennenlernen. Sie hat nur ein Problem: Nicht alle wollen sie kennenlernen. Seit diesem Oktober studiert Marta an der FU, einer Universität, die vor internationalem Flair nur so strotzt: Auf den Gängen hört man nasales Englisch, melodisches Ita-

lienisch und spanisches Stakkato. Menschen aus aller Welt versammeln sich hier gemeinsam zum Lernen. Hier, wo so viele Einheimische und Austauschstudenten aufeinander treffen, ist eigentlich der perfekte Ort für das Entstehen von Freundschaften. Eigentlich. Marta sieht das anders. »Ich möchte gern deutsche Studenten kennenlernen«, sagt die Anglistik-Studentin. Sie sitzt vor der Kaffeebar in der Silberlaube, um sie herum das bunte Sprachengewirr. »Nach den Kursen gehe ich manchmal mit meinen Kommilitonen in die Mensa, dann kommen wir ins Gespräch. Aber danach gehen alle ihrer Wege. Jeder hat sein eigenes Leben.« In solchen Momenten fühlt sich Marta allein. Sie fragt sich oft, warum es nicht mal bis zum Kaffee danach kommt. »Vielleicht haben die Berliner uns ErasmusStudenten satt, weil die Stadt selbst schon

so international ist. Vielleicht sind wir auch einfach zu viele.« Genau 697 Erasmus-Studenten sind in diesem Semester an der FU. Dazu kommen noch einmal mehrere Hundert internationale Studenten aus anderen Austauschprogrammen. Seit 1987 gibt es das Erasmus-Programm – die FU war von Anfang an dabei. Laut dem International Office waren seit der Einrichtung der Datenbank im Jahr 1998 mehr als 13.000 Erasmus-Studenten an der FU. Sie kommen aus insgesamt 29 europäischen Ländern, die meisten stammen aus Frankreich oder Spanien. Für die EU ist das Programm »eine der großen Erfolgsgeschichten«. Geht es nach den Zahlen, ist auch an der FU alles bestens. Seit Beginn der Aufzeichnungen haben nur 13 Studenten ihren Aufenthalt abgebrochen. Knapp die Hälfte der ausländischen Studen-


ten kommt für zwei Semester. Längerfristigen Freundschaften zwischen Deutschen und Erasmus-Studenten steht also theoretisch nichts im Weg. Praktisch schon. Welche Gründe hat das? Liegt es an der Unterbringung im Studentenwohnheim, wo Erasmus-Studenten von anderen isoliert sind? Einige von Martas Freunden leben dort, sie bleiben unter sich. Sie selbst ist froh, eine kleine Wohnung in Zehlendorf gefunden zu haben. »Da fühle ich mich nicht so sehr in einer Blase wie im Wohnheim.« Die berühmte Blase, in der sich Erasmus-Studenten einnisten und die sie am Kontakt zu einheimischen Studenten hindert – sind die Wohnheime ein Teil von ihr? Jonatan Køhler sitzt in einer karg eingerichteten Küche im Wohnheim an der Goerzallee in Lichterfelde. Es ist fast still, nur leise hört man von draußen das Rauschen der Autos. Von Jonatans Mitbewohnern, allesamt internationale Studenten, ist nichts zu hören. »Die sind eher Stubenhocker«, sagt der bärtige Däne und grinst. Der 24-Jährige studiert ein Semester lang Physik und Chemie an der FU. Ins Wohnheim ist er gekommen, weil er damals von der Uni eine E-Mail mit einer Auswahl an Häusern bekam. Es schien ihm die einfachste Lösung zu sein. Er wollte ohnehin nicht allein wohnen. Jetzt aber ist er ausschließlich mit internationalen Studenten in einem Trakt untergebracht. Lebt er damit in der berüchtigten Blase? »Das würde ich so nicht sagen.« Jonatan guckt auf den Boden und überlegt. »Wer will, kann einheimische Studenten in der Uni, bei den Sportkursen oder im Internationalen Club kennenlernen.« Die geographische Distanz des Wohnheims zu anderen spürt er dennoch: »Wir fühlen uns weit weg von allen.« Auch von den Berliner Studenten. Dabei wohnen sie gleich um die Ecke: In einem der vier Wohnheimgebäude in der Goerzallee sind die einheimischen FUler untergebracht. Obwohl sie Mauer an Mauer leben, bleibt jeder unter sich. Zwei unterschiedliche Welten, seltsam unberührt voneinander, scheinen hier zu existieren. 111 Erasmus-Studenten leben in den beiden Wohnheimen in der Goerzallee und dem Halbauer Weg. Jonatan hat auch internationale Bekannte, die in deutschen WGs wohnen und sich trotzdem vor allem im Erasmus-Kosmos bewegen. »Ich war überrascht zu sehen, wie viele Austauschstudenten sich abschotten.« Auch Stephanie Kutschmann

kennt das Phänomen: »Bequemlichkeit und mangelnde Sprachkenntnisse sorgen oft dafür, dass Erasmus-Studenten unter sich bleiben.« Stephanie ist Präsidentin des Internationalen Clubs der FU, in dem Studenten ehrenamtlich Sprach-Stammtische und Ausflüge organisieren. Sie kommen fast alle aus Berlin. Stephanie mag es, andere Kulturen kennen zu lernen. Trotzdem weiß sie, dass es vielen ihrer Kommilitonen anders geht. Das schiebt sie auch auf die hiesige Kultur. »Wir Deutschen sind nicht gerade offene Menschen. Bei uns muss man hartnäckig sein.« Sie versteht auch, dass sich die meisten deutschen Studenten niemals auf einer Erasmus-Party blicken lassen würden. »Unser soziales Leben spielt sich an anderen Orten ab. Außerdem sind wir Studenten an der Uni sehr eingespannt.« »Ich kann das ja verstehen«, sagt Jonatan und lächelt resigniert. »Sie wissen, dass wir nur kurze Zeit hier sind. Bevor man sich richtig kennt, müssen wir schon wieder abreisen.« Marta lässt sich davon nicht entmutigen. Sie will sich ins Berliner Getümmel stürzen, das richtige Deutschland erleben, nicht die Touri-Version. Wenn sie davon erzählt, merkt man, wie wichtig ihr das ist. »Vielleicht trauen sich auch einige nicht, Austauschstudenten anzusprechen«, überlegt sie noch einmal. Weil sie vom gängigen Klischee des Partystudenten abgeschreckt werden? Marta weiß es nicht. Sie hofft nur, dass die Blase irgendwann platzt und ihr Erasmus-Jahr genau so wird, wie sie es sich vorgestellt hat: ein Austausch mit Austausch.

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Maik Siegel hat in Leeds selbst in einer ErasmusBlase gelebt. Trotzdem war es das beste Semester seines Lebens. Illustration: Robin Kowalewsky

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Titel

Achtung, Glas! Frauen sind heute in der Wissenschaft akzeptiert. Gleiche Aufstiegschancen wie Männer haben sie jedoch immer noch nicht. Lily Martin und Josta van Bockxmeer suchen nach der unsichtbaren Grenze.

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er große Vorlesungssaal im LangenbeckVirchow-Haus der Charité ist bis auf wenige Besucher leer. Doch die Wissenschaftlerinnen auf der Bühne scheint das nicht zu stören: Lebhaft diskutieren sie miteinander Karrierewege von Frauen in Naturwissenschaft, Medizin und Technik. Ihr Fazit: Diskriminierung von Frauen in der Wissenschaft, das gibt es nicht mehr. »Wir haben eine Sonderstellung, die ein Vorteil ist«, sagt Caroline Szymanski, Promovendin in den Neurowissenschaften. Katharina Trettenbach, Studentin der Biochemie im zweiten Semester, pflichtet ihr bei: »In meiner Generation spielt Diskriminierung keine Rolle. Wir wollen Wissenschaftler werden, wir wollen Probleme lösen. Wer das macht – Männer oder Frauen – ist egal.« Klaus Müllen, Vorsitzender der Gesellschaft deutscher Naturforscher und Ärzte und einziger männlicher Sprecher, schließt die Diskussion: »Vielleicht machen wir uns über manche Dinge zu viele Sorgen.« Das fehlende Interesse an der Veranstaltung scheint seine Worte zu bestätigen.

Es hat sich viel getan für Frauen in der Wissenschaft: Bis ins 20. Jahrhundert wurden Leistungen von Wissenschaftlerinnen unter dem Namen ihrer männlichen Kollegen veröffentlicht. Heute ist das anders. Der »Otto-Hahn-Bau« der FU zum Beispiel wurde 2010 in »Hahn-Meitner-Bau« umbenannt. Die Universität würdigte damit den bahnbrechenden Beitrag der Experimentalphysikerin Lise Meitner zur Erforschung der Radioaktivität. Auch die Statistiken sehen vielversprechend aus: Die Zahl der Studienanfängerinnen in Deutschland liegt laut Statistischem Bundesamt bei 49,5 Prozent. Unter den Absolvierenden befinden sich sogar mehr Frauen als Männer, weil Frauen seltener ihr Studium abbrechen. Auch die Zahl der weiblichen Promovierenden ist in den letzten Jahren massiv gestiegen, mit 45,4 Prozent sind Frauen und Männer fast gleichauf. Hat der feministische Kampf um Veränderung also Früchte getragen? Macht man sich tatsächlich zu viele Gedanken über ein Thema, das eigentlich ad acta gelegt werden könnte? Mechthild Koreuber kann über solche Fragen nur lachen. Sie ist zentrale Frauenbeauftragte der FU und sagt: »Heute ist Diskriminierung lediglich weniger sichtbar als vor zwanzig Jahren.« Wenn sie über Frauen in der Wissenschaft spricht, fällt häufig der Ausdruck »gläserne Decke«. Das ist die unsichtbare Barriere, an die Frauen in der Wissenschaft immer wieder stoßen, vor allem, je höher sie auf der Karriereleiter steigen. Auch das belegen die Fakten. Obwohl fast die Hälfte aller Promovierenden Frauen sind, sind es unter den Habilitierenden nur 27 Prozent. Bei den Professu-


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ren schließlich sieht es mit einem Frauenanteil von 20,4 Prozent noch schlechter aus. Viele Frauen empfänden ihre Entscheidung gegen eine wissenschaftliche Karriere als selbstbestimmt, beschreibt Koreuber ihre Erfahrungen. »Wenn sie sich dann aber doch für eine Karriere im Wissenschaftsbetrieb entscheiden, dann habe ich sie hier. Völlig vor den Kopf gestoßen, weil irgendetwas komisch läuft.« »Komisch« wird es dann, wenn den Frauen gesellschaftliche Vorurteile im Weg stehen. Diese existieren fort, auch wenn Frauen und Männer formell gleichgestellt sind. An der FU etwa scheint sich auf den ersten Blick einiges gebessert zu haben: Die Kurzzeitbetreuung des Familienbüros beispielsweise ermöglicht es Eltern, wichtige Besprechungen oder Präsentationen wahrzunehmen, wenn die eigene Kinderbetreuung mal kurzfristig ausfällt. Kinder sollen kein Wettbewerbsnachteil mehr sein. An den Vorurteilen, dass die Betreuung des Nachwuchses prinzipiell Frauensache sei, dass Frauen gar durch ihre Gebärfähigkeit nicht zu hohen Positionen in der Wissenschaft taugen würden, ändert sich dadurch jedoch nichts. »Ob Männer für ihre Kinder Betreuung brauchen oder nicht, wird erst gar nicht diskutiert. Es existiert noch immer die Vorstellung, dass Frauen mit Kindern nicht das Gleiche leisten können wie Männer«, bemängelt Koreuber. Solche individuellen Vorstellungen und Vorurteile sind schwer erkennbar und formen die »gläserne Decke«. Die Barriere ist in den Köpfen. Sandra Janßen hat in ihrer Zeit als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der FU selbst erlebt, dass es Frauen in der Wissenschaft schwerer haben als Männer. »Vor 25 Jahren konnten Frauen an der Universität nur funktionieren, wenn sie sich zu Männern machten: Kurzhaarschnitt, Hosenanzug, flache Absätze«, erzählt sie. Mit Frauen wie Barbara Vinken habe sich dieses Rollenbild verändert. Die bekannte Münchner Literaturwissenschaftlerin trägt seit mehr als 15 Jahren stets Netzstrümpfe zur Arbeit. »Sie und ich gehören zu den Generationen, die diese Betonung der eigenen Weiblichkeit gebraucht haben«, sagt Janßen. »Mir war es immer wichtig, lange Haare und Absätze zu tragen.« Doch nur weil Wissenschaftlerinnen heute tragen können, was sie wollen, sind ihre Aufstiegschancen nicht unbedingt besser. »Männer halten sich für feministisch,

wenn sie junge, attraktive Frauen fördern«, sagt Janßen. Mit zunehmendem Alter oder schwindender Attraktivität würden die Ambitionen der Frauen immer weniger ernst genommen. Gehe es dann darum, Positionen zu besetzen, die denen der Männer äquivalent sind, lasse jeglicher Förderungswille nach. Frauen, die dennoch Machtpositionen beanspruchen, gelten als »anstrengend« oder »hysterisch«. »Eine Freundin von mir hat einmal gesagt: Als Frau in der Wissenschaft ist man entweder Zicke oder graue Maus«, erzählt die erfolgreiche Forscherin. FU-Frauenbeauftragte Koreuber will, dass sich das ändert. Sie und ihr Team hinterfragen die vermeintliche Gleichberechtigung der Geschlechter in allen universitären Angelegenheiten; sie erstellen Leitfäden, um zum Beispiel Berufungsverfahren transparenter und resistenter gegen tradierte Geschlechtervorstellungen zu gestalten. »Alles mit dem Ziel, einen Kulturwandel zu erzeugen«, sagt Koreuber. Probleme, die früher offensichtlich waren, sind heute unsichtbar geworden. Wie wenig sich die Geschlechterverhältnisse tatsächlich geändert haben, wird bei genauerem Hinsehen deutlich. Die Mission von Frauenbeauftragen wie Koreuber ist also noch lange nicht vorbei: »Auf eine gewisse Art und Weise sind wir Detektivinnen: Wir haben eine gläserne Decke, an der wir bohren, um sie sichtbar zu machen – und aufzulösen.« Lily Martin und Josta van Bockxmeer studieren Psychologie und Literaturwissenschaft und achten jetzt darauf, was ihre Professorinnen anhaben. Illustration: Robin Kowalewsky

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aus vierzig tausend Vierzigtausend Menschen bevölkern die FU. Vier haben wir gefragt, welche Grenzen sie gerne einreißen würden. Notiert von Lev Gordon, Melanie Böff und Mareike-Vic Schreiber. Fotos: Fabienne Bieri, Mareike-Vic Schreiber

»Wir müssen über den eigenen Tellerrand schauen!« Andrea Krogmann, 31, ist Juristin. Beim Hochschulsport der FU leitet sie Kurse für angehende Kickboxerinnen. Wenn ich anderen von meiner Leidenschaft für das Kickboxen erzähle, schaue ich in ungläubige Gesichter. Dieser Sport und mein Beruf sind für viele Leute ein Widerspruch. Juristen seien Spießer, Kickboxer dagegen gelten als brutal und werden nur wenig anerkannt. Diese Vorurteile und eingefahrenen Denkmuster sollten wir ablegen und lernen, auch mal über den Tellerrand zu schauen. Klischeedenken und Engstirnigkeit führen viele Außenstehende an eine Grenze, die ich gerne einreißen würde. Meine persönlichen Grenzen merke ich vor allem bei Wettkämpfen. Um Erfolg zu haben, ist wichtig, diese zu überschreiten und immer wieder neu zu definieren. Mein größter Motivator? Mein Wille! Kickboxen ist ein Kontaktsport. Im Zusammenspiel mit dem Gegner müssen nicht nur die eigenen Grenzen, sondern auch die des Gegenübers richtig eingeschätzt werden. Hierbei spielen Kommunikation, Respekt sowie der Zusammenhalt zwischen den Gegnern eine wichtige Rolle. Viele meiner Schülerinnen haben zu große Berührungsängste und wissen oftmals nicht, wie viel der eigene Körper aushalten kann.


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»Probleme lösen bedeutet Grenzen verschieben«

»Der steinige Boden »Wir sollten uns einander unsere Geist wirklich eine schichten erzählen« Plage«

Hélène Esnault, 60, wuchs in einem Pariser Arbeitervorort auf und lehrt als erste »EinsteinProfessorin« an der FU.

Lukas Lehning, 25, studiert Medien und Politische Kommunikation. Als Rollstuhlfahrer nerven ihn die vielen Einschränkungen.

Aman Eid, 28, stammt aus Dubai und absolviert an der FU ihren Master in Social, Cognitive and Affective Neuroscience.

Als ich vor 30 Jahren nach Deutschland gekommen bin, habe ich die Grenze zwischen Frankreich und Deutschland lediglich als eine Entfernung, jedoch keineswegs als ein Hindernis betrachtet. Die einzige Hürde, die sich mir im neuen Land stellte, war das völlig anders gestaltete Bildungssystem. Zahlreiche Bescheinigungen aus Frankreich musste ich angleichen lassen. Da meine französische Habilitation hier in Deutschland nicht anerkannt wurde, habe ich in Bonn eine zweite Habilitation erworben. Mathematik ist eine Wissenschaft, in welcher man den sozialen Hintergrund des Mathematikers nicht direkt sieht: Sowohl familiärer als auch sozialer Hintergrund spielen eine geringere Rolle, wenn es darum geht, abstrakte Gedanken zu verstehen. Auch Kinder, die nicht aus bürgerlichen Haushalten kommen, können also einen Zugang zur Mathematik finden. Die Mathematik ist die Kunst der Abstraktion. Sie erlaubt, komplexe Probleme zu lösen. Dies zu schaffen, bedeutet, eine Grenze zu verschieben. Dass ich aus eher einfachen Verhältnissen komme, ist dabei egal.

Für mich sind Grenzen Hindernisse, die Menschen von räumlichen oder sozialen Gegebenheiten ausschließen. Für jemanden, der im Rollstuhl sitzt, gibt es an der FU viele Orte, die sehr schwer zugänglich sind. Dabei könnte man die meisten dieser Barrieren ganz einfach beseitigen, zum Beispiel den Weg vom Henry-Ford-Bau zur VeggieMensa. Der steinige Boden ist mit dem Rollstuhl wirklich eine Plage. Mit einem anderen Belag könnte man das Problem für immer aus der Welt schaffen. Ähnliches gilt für den Bürgersteig vor dem Henry-Ford-Bau. Der ist nicht nur unpraktisch für Rollstuhlfahrer, sondern für alle, die auf Rädern unterwegs sind. Eine Bordsteinabsenkung wäre schnell gebaut, aber keiner kümmert sich darum. Und nicht zuletzt die U-Bahn-Stationen Thielplatz und Oskar-Helene-Heim: Dort gibt es keine Fahrstühle. Klar, das ist weitaus schwieriger zu lösen. Aber das macht es mir unmöglich, wie alle anderen mit der U-Bahn zur Uni zu fahren. Ich wünsche mir, dass an der FU in Zukunft ein breiteres Bewusstsein für solche Barrieren entsteht, damit sie nach und nach abgebaut werden können.

Jeden Tag können wir Grenzen einreißen – in uns und außerhalb. Bedeutend ist das aber nur, wenn wir es in der Hoffnung tun, eine bessere Welt damit zu schaffen. In mir musste ich Grenzen auflösen, um mich in verschiedenen Gesellschaften zurechtfinden zu können: Ich habe gelernt, die Werte anderer Menschen zu respektieren – egal, wie sehr sie sich von meinen eigenen unterscheiden. Nach außen hin habe ich versucht, gesellschaftliche Grenzen zu überwinden: Ich half Flüchtlingen, entfernte Müll von Flussufern – Arbeit, die viele scheuen. Nicht zuletzt verspüre ich Grenzen im Umgang der Menschen mit Frauen wie mir, die ein Kopftuch tragen. Wenn wir uns aber nach Äußerlichkeiten beurteilen, lernen wir einander nie richtig kennen. Genau das sind die mentalen Barrieren in den Köpfen der Leute, die ich einreißen möchte. Die Schriftstellerin Gene Hoffman schrieb einmal: »An enemy is one whose story we have not heard.« Damit gegenseitige Toleranz funktioniert, müssen wir Dinge über uns und andere erfahren. Wir sollten uns einander unsere Geschichten erzählen.


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Politik

Haste mal 'ne Regelstudienzeit? Die Hochschulverträge sind ausgehandelt: Wenn die FU ihre Studierenden zum Turbo-Studium anhält, steht ihr mehr Geld zur Verfügung. Es hagelt Kritik. Von Lior Shechori und Max Krause

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ufmerksame Erstsemester strömen in die Einführungsveranstaltungen. Sie wollen alles Wichtige über die Uni erfahren: wie man sich für Kurse anmelden kann und wo die Mensen sind. Zu hören bekommen sie erst einmal etwas anderes: Wir erwarten von dir, dass du deinen Bachelor in sechs Semestern schaffst, höchstens in sieben. Wer in Regelstudienzeit studiert, bringt der Freien Universität Geld ein. Pro Student zahlt das Land Berlin eine Kopfpauschale von mehreren tausend Euro. Bleiben Studierende länger als die vorgesehene Semesterzahl, bekommt die Uni weniger Geld. So steht es in den neuen Berliner Hochschulverträgen für die kommenden vier Jahre. Kein Wunder also, dass die Uni ein schnelles Studium forciert. Hochschulverträge gibt es in Berlin seit 1997. Zuvor bestimmte das Berliner Abgeordnetenhaus allein über die Zuwendungen an die Hochschulen. Als diesen immer mehr Selbstbestimmung eingeräumt wurde, sollten sie schließlich auch bei ihrer Finanzierung mitreden dürfen. Seitdem verhandeln die Berliner Hochschulleitungen alle vier Jahre mit dem Berliner Senat darüber, wie viel Geld in ihre Kassen fließt und wofür es eingesetzt werden soll. Gleichzeitig verpflichten sich die Unis, bestimmte Auflagen zu erfüllen. »Ausdruck von Verachtung gegenüber der Wissenschaft«, nennt Lucas Feicht die jetzigen Verträge. Der Asta-Referent der FU kritisiert die Verhandlungen scharf. Präsident Peter-André Alt habe die Interessen der FU in den Verhandlungen nicht entschieden genug vertreten. Alt selbst wehrt sich gegen diesen Vorwurf: Der jetzige Vertragstext sei »das beste Ergebnis, das überhaupt möglich war«. Tatsächlich sieht die Lage für die FU auf den ersten Blick nicht so schlecht aus: Die Mittel steigen. Ab nächstem Jahr gibt es 3,4 Prozent, bis 2017 sogar 11,5 Prozent mehr Geld vom Senat als noch 2013. Die Zuwendungen wachsen in diesem Zeitraum um knapp 30 Millionen an. »Ich bin mit den Verträgen sehr zufrieden«, sagt auch SPD-Frau Sandra Scheeres, die als Berliner

Wissenschaftssenatorin die Verhandlungen geleitet hat. Im Rahmen des klammen Landeshaushaltes seien die Zuwächse ein großer Erfolg. Doch das zusätzliche Geld ist auch dringend nötig: Die Energiekosten steigen und neue Tarifverträge im öffentlichen Dienst zwingen die Uni, mehr Geld für Personalkosten aufzuwenden. Das neue Geld wird höchstens reichen, um anfallende Mehrkosten zu decken. Anja Schillhaneck glaubt, dass nicht einmal dafür genug Geld da sei. Als wissenschaftspolitische Sprecherin der GrünenFraktion im Berliner Abgeordnetenhaus hat sie sich ausgiebig mit dem Vertragstext und der Lage an den Hochschulen auseinandergesetzt. Knapp 150 Millionen Euro zusätzlich bräuchten die Berliner Universitäten in den nächsten Jahren, um auch nur den Status Quo zu halten, haben ihre Berechnungen ergeben. Bekommen werden sie lediglich 122 Millionen. »Das wird sicherlich strukturelle Auswirkungen haben«, meint Schillhaneck. Es sei zu erwarten, dass die Unileitung die Lasten auf die Studierenden abwälzen wird, statt bei der Forschung zu sparen. Präsident Alt möchte die Ängste vor einem Finanzierungsengpass und Kürzungen ausräumen. Die Gelder reichten aus, um die »Kernaufgaben« der FU auf dem gleichbleibendem Niveau zu sichern. Jörg Steinbach, sein Kollege von der TU, vertrat im Wissenschaftsausschuss des Abgeordnetenhauses


Politik

dagegen die Ansicht, das zusätzliche Geld könne das Niveau an der TU nicht sichern. Asta-Referent Feicht bezweifelt, dass es an der FU anders aussieht: »Alt weiß ganz genau, dass das Geld nicht ausreicht, um den Status Quo zu halten.« Dazu komme noch, dass durch die Verträge falsche Anreize für die Unileitung geschaffen würden: Sie ermuntern die FU, mehr Studierende in Regelstudienzeit durchs Studium zu schleusen. Die Freie Universität bekommt keinen Festbetrag vom Land Berlin. Stattdessen hängt der Geldfluss davon ab, wie gut sich die Uni schlägt. 1,27 Milliarden Euro könnte die FU in den nächsten vier Jahren maximal bekommen. Davon sind ihr aber lediglich 35,4 Prozent sicher. Den Rest bekommt sie nur, wenn sie ihre Hausaufgaben macht. Die Faktoren, nach denen der Erfolg der Universität bemessen wird, umfassen unter anderem die Menge eingeworbener Drittmittel, den Fortschritt bei der Gleichstellung der Geschlechter und die Anzahl an Absolventen. Die mit Abstand wichtigste Bedingung ist aber ein umstrittener Posten: die Anzahl an Studierenden in Regelstudienzeit. Davon hängt fast ein Drittel der insgesamt verfügbaren Mittel ab. Feicht hält es für »völlig falsch«, die Regelstudienzeit als Kriterium heranzuziehen. Auch Grünen-Politikerin Schillhaneck wendet sich deutlich gegen diesen Maßstab: Die Regelstudienzeit sei ursprünglich als Mindeststudiendauer gedacht gewesen. Einer »Perversion der Logik« komme es gleich, sie nun zur Obergrenze zu erheben. Senatorin Scheeres glaubt dagegen nicht, dass der Druck auf Studierende durch die Regelung steigen wird. Sie setzt darauf, dass die Hochschulen es möglich machen, alle Studiengänge in Regelzeit zu studieren. Doch versteht das FU-Präsidium so die Verträge? Alt hält die Regelstudienzeit für »einen der geeignetsten Indikatoren«, um Erfolg in der Lehre zu messen – weil er gut von der Hochschule zu steuern sei. Wie diese Steuerung aussehen kann, lässt er offen. Nach einer breit angelegten Offensive zur Verbesserung der Studierbarkeit klingt das jedenfalls nicht. Vier Jahre lang gelten die neuen Verträge nun, dann

findet die nächste Verhandlungsrunde statt. Kritiker glauben, dass es an der Zeit ist, die Hochschulfinanzierung grundsätzlich zu überdenken. Dass es jetzt überhaupt noch Zuwächse gebe, sei lediglich der Tatsache geschuldet, dass Berlin noch viele Bundesmittel für die Unis erhält, sagt Schillhaneck. Lange könne das nicht mehr gut gehen. »Es ist Zeit, einen dicken Strich darunter zu ziehen.« Doch es geht den Kritikern nicht nur um Geld, sondern auch um den Prozess. »Der Begriff Verträge suggeriert, dass sich hier zwei gleichberechtigte Verhandlungspartner geeinigt haben«, sagt Asta-Referent Lucas Feicht. »Das ist aber nicht der Fall, der Berliner Senat sitzt immer am längeren Hebel. Er kann der Uni notfalls einfach den Geldhahn zudrehen.« Max Krause ist im neunten Semester und bringt der Uni kein Geld. Lior Shechori dagegen ist ein echter Goldesel, sie wird noch lange in Regelstudienzeit studieren. Illustration: Luise Schricker

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Politik

Die Spur unseres Geldes Eine halbe Million Euro umfasst der Asta-Haushalt pro Jahr. Ob das Geld in der Uni bleibt, oder an externe Gruppen fließt, können die zahlenden Studierenden kaum nachvollziehen. Von Melanie Böff und Veronika Völlinger

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nter all den Büchern, Readern und Handouts an der FU gibt es ein Dokument, das Legenden und Halbwahrheiten umranken wie wohl kein zweites: der Haushaltsentwurf der Studierendenschaft. Ihn zu Gesicht zu bekommen, ist mit hohem Aufwand verbunden – online ist er nicht, auf Anfrage bekommen Studierende ihn auch nicht zugeschickt. Dabei finanzieren sie den Haushalt pro Semester mit jeweils 8,70 Euro. Bei rund 32.000 Studierenden kommt so jedes Jahr mehr als eine halbe Million Euro zusammen. Damit werden unter anderem Bafög-Beratungen, ein Semesterticket und Erstsemesterfahrten der Fachschaftsinitiativen (FSI) ermöglicht. Doch wohin fließt der Rest des Geldes? Rückblende. Es ist Mitte Februar 2013, das Studierendenparlament (Stupa) tagt. Gegen Ende der Sitzung stellt die Asta-tragende Liste »Antifa FU – Verbindungen kappen« einen Finanzantrag. Rückwirkend sollen Reisekosten in Höhe von 1000 Euro für eine Auslandsreise nach Wien erstattet werden. Für die »Vernetzung mit studentischen Initiativen«, heißt es. Mit gerade einmal drei Gegenstimmen und zwei Enthaltungen wird das Geld genehmigt. Vier Wochen zuvor hat jene Antifa-Liste an der FU einen Infoabend veranstaltet, der Titel: »Gegen Burschis und studentische Verbindungen«. Zwischen dem Infoabend und der Stupa-Sitzung liegt der Wiener Akademikerball – ehemals WKR-Ball der Burschenschaftler, der als Treffpunkt der konservativen Rechten gilt. Jedes Jahr gibt es dort große und nicht immer friedliche Gegendemonstrationen von Antifaund anderen,

teilweise linksradikalen Gruppen. Die zeitliche Nähe der Termine wirft Fragen auf. Hat der Asta einer Antifa-Gruppe die Reise zu einer allgemeinpolitischen Gegendemonstration finanziert? Das würde den allgegenwärtigen Vorwurf der oppositionellen Listen im Stupa stützen, der Asta finanziere linke Gruppen. Florina Greve sitzt für die Antifa-Liste im Stupa. Statt Fragen zu beantworten, wirft sie weitere auf. Wann die Reise genau stattgefunden habe, wisse sie nicht. Näheres könne sie ohnehin nicht berichten: Nicht die Liste, sondern das Antifa-Referat des Asta habe das Geld genutzt, um nach Wien zu fahren, sagt sie. Im Stupa-Protokoll ist davon keine Rede. Als Antragssteller wird dort eindeutig die Antifa-Liste aufgeführt. Stimmt das, was Greve sagt, würde das bedeuten, dass der Asta Geld für studentische Listen bereitstellt, um es dann selbst zu nutzen. Kontrolle oder Protokolle über die Vorgänge gibt es scheinbar keine. Das Antifa-Referat schweigt sich auf mehrfache Anfrage dazu aus. Es ist nicht das einzige Beispiel, bei dem ein unabhängiger Dritter fehlt. Tatsächlich ist der Haushaltsausschuss in diesem Jahr ausschließlich mit Studierenden der AstaKoalition besetzt. Auch Florina Greve von der Antifa-Liste sitzt laut Stupa-Protokoll im Haushaltsausschuss – eine demokratische Kontrolle ist so kaum möglich. »Der Asta wird seinem basisdemokratischen Anspruch damit einfach nicht gerecht«, beklagt Marten Brehmer, Sprecher der Juso-Hochschulgruppe. Nach dem Berliner Hochschulgesetz haben noch weitere Gremien das Recht, den studentischen Haushalt zu überprüfen, so etwa der Landesrechnungshof Berlin. Zuletzt hat er das nach eigenen Angaben vor rund zehn Jahren getan. Damals wurden bei mehreren Berliner Asten er-

hebliche Mängel festgestellt, auch an der FU. Nachdem diese beseitigt wurden, gab es keine erneute Prüfung. Ein vom Asta berufenes Wirtschaftsprüfungsunternehmen hingegen kontrolliert die Rechnungen regelmäßig – etwas zu beanstanden hatte es bisher nicht. Ein Grund dafür könnte sein, dass an anderer Stelle getrickst wird. So können etwa veranschlagte Summen für Posten im Haushaltsplan kurzfristig für andere Zwecke genutzt werden als ursprünglich geplant. Dieses Instrument namens »Deckungsvermerk« gehört zum Recht öffentlicher Haushalte, falls sich Kostenfaktoren unerwartet ändern. Werden beispielsweise mehr Flyer gedruckt als genehmigt, muss an anderer Stelle gespart werden, etwa im Sozial-Referat des Asta. Das Stupa muss diesem Tausch der Haushaltsposten nicht zustimmen – und der Asta sich folglich nicht rechtfertigen. Zu Beginn des Jahres verschickt der Asta den Haushaltsentwurf an die Parlamentarier per Post. Ihn danach noch einmal einzusehen, ist nicht so leicht. Sogar für gewählte Mitglieder des Stupa ist es schwierig, an das Dokument zu kommen. Nur unter Aufsicht können sie es in der Villa des Asta einsehen. Eine Kopie des Entwurfs zu bekommen, ist überhaupt nicht möglich. Kritik an der Haushaltsführung des Asta wird im Stupa trotzdem keinesfalls laut und deutlich artikuliert. »Wird der Haushaltsplan den Parlamentariern vorgestellt, herrscht plötzlich Stille im Sitzungssaal«, schildert Julian Barg von der Liberalen Hochschulgruppe. Im persönlichen Gespräch dagegen äußern Oppositionsabgeordnete zu Genüge Verdächtigungen über die angebliche Veruntreuung des Asta-Geldes. Widerstand leisten sie jedoch kaum, Beweise haben sie auch nicht. Sogar aus Asta-nahen Kreisen gibt es hinter vorgehaltener Hand ab und zu Kritik. Ein Mitglied


Politik

einer FSI, die Teil der Asta-Koalition ist, berichtet von den Haushaltstricks: »Wenn die FSI etwa sagt, sie brauche Büroartikel, reichen Mitglieder private Kassenbelege vom letzten Einkauf in der Schreibwarenabteilung beim Asta ein.« Wofür das Geld dann tatsächlich verwendet werde, lasse sich so leicht verschleiern, sagt er. Ein Asta-Referent habe ihm gegenüber unter vier Augen eingeräumt, dass der Asta so und auf anderen Wegen etwa linke Projekte und Privatpersonen, die Geld brauchen, unterstütze. Manchmal lässt sich aber doch belegen, wohin die Gelder flie-

ßen. Die Überschüsse aus der großen FSISemesterauftaktparty im Mai 2013 flossen nach Wien: »Für Antirepression im Zuge des WKR-Balles«, heißt es in einer internen EMail. Das ist zwar nicht verboten; es handelt sich um Überschüsse einer Party und nicht um studentische Gelder. Doch es schürt den Verdacht, dass auch die Reisekosten der

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Antifa in die österreichische Hauptstadt flossen – und befeuert damit den Vorwurf, der Asta nutze das Geld der Studierenden für außeruniversitäre Zwecke.

Aktuelles zum Asta und zur Hochschulpolitik erfahrt Ihr auf furios-campus.de/politik Melanie und Veronika haben rausgefunden, dass der Asta-Bus völlig verrostet ist. Wie gut, dass FURIOS ihn nie bekommen hat. Illustration: Gwendolyn Schneider-Rothhaar

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Politik

Es ist noch nicht vorbei Das letzte Mal war FU-Student Francis Laugstien vor zwei Jahren in Kairo. Damals packte ihn der Optimismus der Ägypter. Jetzt ist er zurück in dem Land, in dem der Umbruch mittlerweile zum Alltag geworden ist.

Ein Demonstrant in Kairo. Seit mehr als zwei Jahren kommt die Stadt nicht zur Ruhe

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ie Straßen der Innenstadt Kairos sind lauter als sonst, die Luft noch schlechter. Reizgas lässt mir die Tränen über das Gesicht laufen, Schüsse hallen durch die Luft. Ich drücke mich hinter den Panzern vor dem Obersten Gerichtshof vorbei und gehe weiter in Richtung der großen Einkaufsstraßen. Ein junger Mann mit rotem Shirt und Badelatschen tänzelt auf mich zu. »Sisi, oh Sisi!«, ruft er. Ich muss lachen. Er und seine Freunde lachen mit. Die Stimmung ist ausgelassen. Im Hintergrund sind noch immer Schüsse zu hören. Nie zuvor ist mir die Spaltung der ägyptischen Gesellschaft deutlicher vor Augen geführt worden als an diesem Tag. Um mich herum feiern Tausende den Nationalfeiertag und »Sisi« – General Abdel Fattah al-Sisi, den Oberbefehlshaber der Streitkräfte. Wenige Kilometer weiter liefern sich Anhänger des gestürzten Präsidenten Mohammed Mursi mit Sicherheitskräften und politischen Gegnern heftige Straßenschlachten. Landesweit sollen dabei mehr als 50 Menschen umgekommen sein, die meisten von ihnen Mitglieder von Mursis Muslimbruderschaft. Seit dem Militärputsch Anfang Juli 2013 versucht sie vergeblich, ihren gewählten Präsidenten wieder einzusetzen.

Trotz der politischen Krise verläuft mein Alltag in Kairo eher unspektakulär. Arabisch lernen am Morgen, Deutsch unterrichten bei einer NGO am Abend. Was mich nervt, ist die nächtliche Ausgangssperre: Nach Mitternacht werden die Bürgersteige hochgeklappt und die Armee übernimmt die Stadt. Freitags geht der Spuk schon um 19 Uhr los. Andere haben allerdings ernstere Schwierigkeiten. Für diesen Artikel versuche ich, Kontakt zu einem Bekannten von der Muslimbruderschaft herzustellen. Ich erfahre, dass er seit dem 25. August im Gefängnis sitzt. Ich habe keine Möglichkeit, ihn zu sehen oder mit ihm zu sprechen. Er ist einfach von der Bildfläche verschwunden. Mundtot werden Regimekritiker auch in den Medien gemacht. Jüngstes Opfer ist der Satiriker Bassem Youssef, der in seiner TVSendung »Al-Bernameg« die landesweite Sisi-Euphorie durch den Kakao zog. Sein Verschwinden trifft mich persönlich besonders hart, das der islamistischen Sender weniger. Überaus präsent sind hingegen die Medien, die General Sisi die Treue geschworen haben – mit entsprechender Wirkung bei der Zivilbevölkerung. Für viele ist Sisi der neue Held der Nation. Er ist so populär, dass er als Kandidat für die Präsidentschaftswahlen im

kommenden Jahr gehandelt wird. Die Muslimbrüder gelten demgegenüber als gefährliche Staatsfeinde. Mursi und seine Bruderschaft haben in ihrem Jahr an der Macht viele Menschen enttäuscht. Sie waren zwar demokratisch gewählt, Demokraten waren sie aber deshalb noch lange nicht. Die jetzige Regierung ist weder das eine noch das andere. Bei meinem letzten Besuch in Kairo vor zwei Jahren wurde ich vom Optimismus der Bevölkerung regelrecht mitgerissen. Heute ist davon nur noch wenig geblieben. Aber wie viele Revolutionen schafften es, über Nacht stabile demokratische Verhältnisse zu bringen? Mein Urteil über den ägyptischen Aufstand werde ich frühestens in ein paar Jahren fällen. Zumindest ist jetzt der Ausnahmezustand wieder aufgehoben.

Francis Laugstien ist in Lichterfelde aufgewachsen. Menschenleere Straßen hat er in seiner Kindheit schon viele gesehen. Foto: Francis Laugstien


Politik

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Kathrin Goosses (l.), Elise Münch (r.) und ihre WG zogen gegen ihre Vermieter vor Gericht

Klagen um zu bleiben Steigende Mieten, sanierte Fassaden – der Berliner Wohnungsmarkt ist im Umbruch. Wie weit kann der Kampf um Wohnraum gehen? Unfreiwillig fand eine Studierenden-WG eine Antwort. Von Robert Ullrich

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ls im Herbst 2006 die Mitglieder der Wohngemeinschaft in der xxxxxxxxxxxxx ihren Mietvertrag unterschreiben, ist ihr Kiez noch ein anderer: NordNeukölln gilt als »Problembezirk«, die einzige Szenekneipe in der Weserstraße – das »freie Neukölln» – wird gerade eröffnet. Am Landwehrkanal riecht es nach den schwefeligen Abgasen der Kohleöfen. Sechs Jahre später öffnet Kathrin Goosses, die gerade in der Endphase ihres Bachelorstudiums an der FU steckt, den WG-Briefkasten. Sie findet einen Brief vom Vermieter. Aus »persönlichen Gründen« sei das Haus in der xxxxx an einen privaten Immobilieninvestor verkauft worden. Bereits zwei Wochen später kommt Post vom neuen Eigentümer. Die Cavere Estate GmbH schickt eine Abmahnung. Der Grund: »unbefugte Untervermietung«. Kathrin soll den anderen WGBewohnern umgehend kündigen. Der Brief wird Auftakt eines mehr als einjährigen Rechtsstreites zwischen Mieter und Vermieter. David gegen Goliath. Die WG legt Einspruch gegen die Kündigung ein – erfolgreich. Doch aufatmen können die vier Bewohner der Sonnenalle 63 danach nicht. Kurze Zeit später kündigt der neue Eigentümer die Sanierung des Hauses an. Damit

verbunden: eine Mieterhöhung von 25 Prozent. Diesmal ist er es, der vor Gericht zieht, als sich die WG weigert die Erhöhung zu tragen. »Bei uns in der WG gab es für ein Jahr fast kein anderes Gesprächsthema mehr«, erinnert sich Kathrin, »wir waren pro Tag vielleicht fünf Stunden damit beschäftigt im Internet nach Informationen zur Rechtslage zu suchen und Briefe zu schreiben. In Gedanken hing ich den ganzen Tag an dem Thema. Auch nachts, wenn ich stundenlang wach im Bett lag.« »Das ist es, was die Hausverwaltung ausnutzt«, fügt Mitbewohnerin Elise Münch hinzu. »Cavere wollte uns systematisch mürbe machen. Ununterbrochen kamen Briefe mit Abmahnungen. Es war ein permanenter Stress, nicht nachzugeben, ständig wach zu bleiben und keine Fehler zu machen.« Die Cavere Estate GmbH versteht sich laut Homepage als nachhaltiger Immobiliendienstleister, für den Wohnraum gleichermaßen Kapitalanlage und »renditeträchtige Absicherung» im »Immobilienportfolio« ist. In Zeiten der Finanzkrise suchen Investoren nach sicheren, langfristigen Anlagemöglichkeiten – und entdecken diese in der Immobilienbranche. Menschen brauchen ein Dach über dem Kopf so sicher wie die Luft zum

Atmen. Hier beginnt der Interessenskonflikt. Die WG um Kathrin und Elise konnte sich vor Gericht mit Cavere auf eine moderate Mieterhöhung von zehn Prozent einigen. Diese Erhöhung ist an einen zweijährigen Mietdeckel gebunden. Ein Erfolg. »Wohnungen sind nicht nur ein Wirtschaftsgut, sondern es geht hier um Menschen«, sagt Elise. Mittlerweile hat sich das Gesicht NordNeuköllns verändert. Die Bars der Weserstraße lassen sich nicht mehr zählen, die Fassaden in der xxxxxxxx glänzen neu. Die notwendige Ausdauer und Nervenstärke, den Weg der Klage zu gehen – wer hat die schon? In der xxxxxxxx nur eine weitere Mietpartei. Cavere dürfte das freuen. Ab November tritt für den Rest der Hausbewohner die Mieterhöhung von 25 Prozent in Kraft – eine sehenswerte Renditeentwicklung für die Investorengruppe und ein Glücksfall im Portfolio. Robert Ullrich nutzt die Freiheit des personalisierten Autor*innenkastens, um der Furios ihr erstes Gender Gap der Geschichte unterzuschieben. Foto: Fabienne Bieri


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Trialog ganz ohne Ton: Bernadette Zwiener (v.l.), Swantje Marks und Birte Heyrock vor dem Roten Café

Gebärde mal Thukydides! Studieren ohne Gehör – dank Gebärdensprachdolmetschern ist das möglich. Karl Kelschebach und Hannah Zabel haben sich mit einer tauben Kommilitonin und ihrer Dolmetscherin getroffen.

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ufmerksam blickt Swantje Marks nach vorn. Dieses Seminar wird eine Herausforderung, eine Flut von Fremdwörtern rollt auf sie zu. Abwechselnd schaut sie geradeaus zu den Folien, die über die Wand huschen, dann blickt sie wieder nach rechts. Dort sitzen Bernadette Zwiener und Birte Heyrock. Heyrock schaut auf die Folien, Zwiener bewegt ihre Hände, formt mit ihrem Mund so etwas wie A-, dann O-Laute und schaut abwechselnd von Swantje zur Dozentin. Sie übersetzt. Nur hört der Rest des Kurses sie dabei nicht – sie dolmetscht das gesprochene Wort der Dozentin für Swantje in Gebärdensprache. Swantje ist eine von fünf tauben Studierenden an der Freien Universität Berlin. Die 26-Jährige studiert Sozialkunde, ein Fach voller abstrakter Begriffe, über die Mimik und Gestik der Dozenten wenig Aufschluss geben. Um dennoch alles zu verstehen, bestellt sie regelmäßig Gebärdensprachdolmetscher in ihre Lehrveranstaltungen. »Das ist eine sehr mühsame Prozedur«, schreibt Swantje. »Die Kostenübernahme muss ich Monate im Voraus beim Studentenwerk beantragen.« Wir unterhalten uns per E-Mail, denn das Zeitkorsett ihrer Dolmetscherinnen ist eng

geschnürt. Auch ihren Stundenplan muss Swantje mit ihnen bis ins Detail absprechen und sich deshalb sehr früh entscheiden, welche Veranstaltungen sie belegen möchte. Die so genannte »Shoppingwoche« zu Beginn des Semesters, in der sich die meisten mehrere Veranstaltungen anschauen, ehe sie sich entscheiden – für Swantje nicht machbar. In der heutigen Sitzung geht es um den Klassischen Realismus, eine politikwissenschaftliche Theorie. Nicht mal die »Konfliktlösungspotentiale von Militärallianzen« werfen Zwiener und Heyrock aus der Bahn. Gebärde für Gebärde fliegt in den Raum – und Swantje scheint sie mühelos aufzufangen. Sie nickt, macht sich Notizen, gleicht die Gebärden mit den Worten auf der Folie ab. Nur einmal hakt es bei den Dolmetscherinnen: Wie gebärdet man den griechischen Namen Thukydides? Die akademische Sprache an Universitäten verlangt Gebärdensprachdolmetschern viel ab. Ihre Arbeit beschränkt sich nicht nur auf die Vorlesungen und Seminare. Simultanes Übersetzen braucht viel Vorbereitung. Schon zu Beginn des Semesters hat sich Swantje mit ihrer Dolmetscherin Zwiener getroffen, um Fachausdrücke zu klären, die im Semester wichtig werden.


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Gebärdensprache ist die älteste Sprache der Welt. In Deutschland wurde sie jedoch erst 2001 offiziell als Sprache anerkannt. Zuvor galt sie jahrhundertelang als verpönt. Ihre ausdrucksstarke Mimik wirkte auf viele Menschen unästhetisch, viele bezeichneten Gebärden abfällig als »Gefuchtel«. Die katholische Kirche wähnte Taube sogar vom Paradies ausgeschlossen: Wer taub sei, könne das Wort Gottes schließlich nicht empfangen. An europäischen Schulen wurden Gebärden im Jahr 1880 verboten. Tauben Kindern wurden in der Schule die Hände hinter dem Rücken festgebunden, damit sie nicht gebärdeten. Man hoffte, sie dadurch zum Sprechen zu zwingen: Da sie über Stimmorgane verfügten, glaubte man, sie müssten diese mit etwas gutem Willen auch einsetzen können – Ignoranz, die Tauben noch heute begegnet. Das Land Berlin stellt für taube Studierende jährlich 400.000 Euro zur Verfügung, 2014 soll der Betrag erhöht werden.

Bisher hätten sich Begriffsunklarheiten auf diese Weise aus dem Weg räumen lassen – schließlich sei Gebärdensprache nicht einfach ein Behelf, um das Nötigste zu vermitteln, sondern eine Sprache wie jede andere. »Sie verfügt sogar über eine eigene Grammatik«, erklärt Swantje. Die Schriftsprache sei daher für viele Taube eine Fremdsprache. »Die auditive Sprache ähnelt der Schriftsprache, die Gebärdensprache nicht«, erläutert sie. An Vielfalt aber mangelt es auch der Gebärdensprache nicht: Sie weist eine ganze Reihe von Dialekten auf. Sächsisch zum Beispiel klingt nicht nur anders als Berlinerisch, sondern sieht auch anders aus. Zwiener bereiten die regionalen Eigenheiten manchmal Kopfzerbrechen: »Wenn in einer Veranstaltung zwei Studierende aus zwei unterschiedlichen Bundesländern sitzen, ist es schwierig zu entscheiden, an wen wir uns anpassen.« Doch nicht nur Dialekte machen das Dolmetschen zur Herausforderung. Jede Übersetzung ist zugleich eine Interpretation. »Nehmen wir etwa das Wort ›Kurve‹«, sagt Zwiener. »In der Gebärdensprache muss ich jede Kurve entweder als Rechts- oder Linkskurve übersetzen – auch wenn von diesem Detail gar nicht die Rede war.« So muss Zwiener mitunter mehr übersetzen als tatsächlich gesagt wurde. Das erfordert Konzentration. Daher sind immer zwei Gebärdensprachdolmetscher anwesend, die sich alle zehn Minuten abwechseln, einander bei Schwierigkeiten aushelfen – und auch mal beim Dozenten nachfragen, um adäquat dolmetschen zu können. Alle Verständigungsschwierigkeiten können die Dolmetscher dabei nicht beheben: Wortspiele etwa können sie nur inhaltlich übersetzen – der Witz gehe aber meist verloren. Swantje spricht dann von einem »Kulturkonflikt« zwischen hörenden und nicht-hörenden Menschen. Besuche sie mit Kommilitonen, die gebärden können, gemeinsam eine Veranstaltung, würden

sie sich automatisch zusammen organisieren, etwa wenn es ums Lernen gehe. »Trotzdem will ich mich nicht ausschließlich mit anderen tauben Studierenden austauschen«, meint sie. Sie sei sehr gern in der Gebärdensprachgemeinschaft – »das schließt auch hörende Leute mit Gebärdensprachkompetenz ein«. Das Wort »gehörlos« sehen Swantje und Zwiener kritisch: Es sei ausschließlich defizitorientiert und mit der Vorstellung verknüpft, taube Menschen seien hilfsbedürftig. »Dabei ist das nicht so: Gebärdensprachdolmetschen ist ein Beruf. Die Dolmetscherinnen und Dolmetscher helfen nicht, sondern kommen zum Einsatz, wenn sie bestellt werden«, findet Swantje. Ginge es nach ihr, könnte das jedoch häufiger der Fall sein. Swantje wünscht sich zu den Videos auf der FU-Webseite, bei Gesprächen mit der Studierendenverwaltung und bei Veranstaltungen jenseits des Stundenplans eine simultane Übersetzung für taube Menschen. Der Status Quo ist davon jedoch weit entfernt. Karl Kelschebach und Hannah Zabel halten große Stücke auf die deutsche Sprache. Gebärden können sie allerdings nicht. Illustration: Luise Schricker Foto: Julian Daum

Mehr Infos rund um den Campus auf furios-campus.de/campus

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An der Charité wurde 2010 ein Modellstudiengang eingeführt, der noch nicht komplett in Form gegossen ist

Mediziner als Versuchskaninchen An der Charité läuft ein Experiment: Medizinstudierende sollen früher Praxiserfahrung sammeln. Sieben Semester sind bereits in den »Modellstudiengang« immatrikuliert. Ausgereift ist er aber immer noch nicht. Von Margarethe Gallersdörfer

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ie Revolution des Medizinstudiums, sie sollte an der Charité stattfinden. Alles hatte anders werden sollen mit der Abschaffung des Regelstudiengangs und der Einführung des Modellstudiengangs zum Wintersemester 2010: Kein stures Büffeln der Grundlagen bis zum ersten Staatsexamen nach zwei Jahren, mehr selbstständiges Lernen und vor allem mehr Praxisbezug. Sieben Semester Modellstudierende sind immatrikuliert. Doch schon drei Jahre nach dem Start muss ihr Studium nachgebessert werden. Keine echte Überraschung: Bereits kurz vor der Einführung des Studienganges wurden Stimmen laut, die das Charité-Dekanat beschuldigten, das Konzept überhastet einzuführen. Tatsächlich hat sich einiges in der Praxis als halbgar erwiesen und muss nun in zwei Reformschritten korrigiert werden. So sind etwa Winter- und Sommersemester für »Modellis« momentan noch zwei Wochen länger als für Regelstudierende. Eine Belastung für die Institute ist auch, dass Dozierende mehr unterrichten müssen als im Regelstudiengang. Andreas Winkelmann ist Vertreter einer Liste wissenschaftlicher Mitarbeiter im Fakultätsrat der Charité und hat errechnet, dass sich die Anzahl der Lehrstunden, die der Charité-Lehrkörper pro Semester halten muss, um ca. 50 Prozent erhöht. »Mit den vorhandenen

Ressourcen«, sagt er, »ist der Modellstudiengang so dauerhaft nicht durchführbar.« Außerdem ist zu hören, die Planer hätten es mit den rechtlichen Rahmenbedingungen für ein Medizinstudium zunächst nicht so genau genommen. Das hatte die Berliner Senatsverwaltung für Wissenschaft, Bildung und Forschung auch gebilligt: Sie bestätigte die Studienordnung für den Modellstudiengang. In der neu verfassten Studienordnung jedoch müssten die Vorschriften wieder genauer eingehalten werden, berichten Beteiligte am Reformprozess: Zukünftige »Modellis« könnten sonst bei der Zulassung zum Arztberuf Probleme bekommen. Angesichts so vieler Baustellen ist es erstaunlich, wie zurückhaltend betroffene Studierende Kritik an der chaotischen Planung äußern. »Sicherlich waren viele Probleme vorher absehbar«, sagt Simon Drees von der FSI Charité und »Modelli« im sechsten Semester. »Andererseits ist es bei so einem Monsterprojekt auch nicht möglich, von Anfang an alles zu berücksichtigen.« Simon ist zuversichtlich, dass es keine Schwierigkeiten geben wird, wenn er und seine Kommilitonen zum schriftlichen Teil des Staatsexamens antreten wollen. Um zu verhindern, dass sich angesichts der Komplikationen Panik breitmacht, hat die FSI ein Papier verfasst, das die Gründe für die Reformen er-

läutert und kursierenden Gerüchten widerspricht, der Modellstudiengang solle wieder abgewickelt werden. Denn das wäre jammerschade, findet Simons Kommilitonin Kahina Toutaoui. Sie ist im fünften Semester und sagt: »Ich bin überzeugt von diesem Modell.« Besonders die frühe praktische Erfahrung sei sehr sinnvoll: »Die Studierenden merken schneller, ob der Arztberuf wirklich etwas für sie ist.« Wie viele ihrer Kommilitoninnen und Kommilitonen studieren Kahina und Simon deshalb nicht nur, sie beteiligen sich auch an der Weiterentwicklung ihres Studiengangs. Es stehen nämlich nicht nur Reformen an; der genaue Lehrplan für das gesamte Modellstudium ist ebenfalls noch nicht fertig. Acht Semester sind inzwischen in Form gegossen, doch das letzte Jahr des Studienverlaufs muss noch ausgestaltet werden. Simon wirkt optimistisch: »Momentan planen wir unser neuntes Semester.« Margarethe Gallersdörfer studiert AVL und Politik und braucht keine wacklige Studienordnung, um aus ihrem Studium ein Chaos zu machen. Foto: Mareike-Vic Schreiber Illustration: Robin Kowalewsky


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Schöner Wohnen auf Studentisch – im Plänterwald wird der akademische Nachwuchs in Containern hausen

Wohnen in der Dose In Berlin-Plänterwald entsteht eine Innovation gegen die zunehmende Wohnungsnot: Deutschlands erstes Containerdorf für den akademischen Nachwuchs, ein Zuhause auf 25 Quadratmetern Blech. Von Florian Schmidt

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s ist laut, es ist matschig und es ist ziemlich ab vom Schuss. Das Baugrundstück an der Eichbuschallee in Berlin-Plänterwald macht dieser Tage einen trostlosen Eindruck. Kaum vorstellbar, dass sich diese 11.000 Quadratmeter zwischen SBahn-Gleisen und DDR-Platten bald in eine hippe Wohnlage für Studenten verwandeln könnten. Das Geheimnis dahinter: Schiffscontainer aus dem Hamburger Hafen. Auf dem Gelände entsteht derzeit das erste Studenten-Container-Dorf Deutschlands. 20 der zu Apartments umgebauten Hochseecontainer sind bereits aufeinander gestapelt. Bis Oktober 2014 sollen es insgesamt 412 sein. Rund 400 Studenten werden dann im Wohnkomplex »Frankie und Johnny« ein neues Zuhause finden, auf exakt 25 Quadratmetern Wohnfläche pro Nase – Küche und Bad inklusive. Das ist nicht gerade viel Platz. TU-Student Thomas Fehn hat sich trotzdem für einen Container beworben. Den 23-jährigen Wirtschaftsinformatiker über-

zeugt das Konzept: »Die Pläne sehen toll aus. Die Idee ist genial.» Neu ist sie nicht: In Amsterdam gibt es schon seit 2007 ein Studentenwohnheim aus alten Containern. Mehr als 1000 Studenten wohnen dort in vergleichbaren Metallbehausungen. In Hollands Hauptstadt ließ sich auch Bauherr Jörg Duske inspirieren. »Als ich das sah, dachte ich mir, das geht auch in Berlin», sagt er. Die Umsetzung aber verzögert sich. Ursprünglich war der Einzugstermin für den Beginn des Wintersemesters angesetzt. Noch ist aber erst ein Bruchteil des gesamten Komplexes fertig. Einen Eindruck von dem Dorf aus Stahl können sich Interessierte dennoch schon jetzt verschaffen. Einen Plan der Anlage gibt es im Internet, vor Ort ist ein Beispiel-Container fertig eingerichtet: Die Küche ist klein gehalten. Es gibt zwei elektronische Kochfelder, nebenan eine kleine Spüle, darüber ein Schrank für Tassen und Teller. Hinter dem Bad geht es in den Schlafbereich. Dort befinden sich ein Kleiderschrank, ein Schreibtisch und ein 1,30 Meter breites Bett. An den kurzen Seiten des Containers sind Fenster und Glastüren eingelassen, die Wände der Längsseiten sind mit Wolle wärme- und schallgedämmt. Das ist auch nötig. Tagsüber donnern alle fünf bis zehn Minuten Züge der S-Bahn an dem Gelände vorbei. Dass auf den Grünflächen zwischen den drei Container-Reihen eines Tages gegärtnert und entspannt werden wird, kann man sich kaum vorstellen.

Duske hofft: »Wenn die Häuser erst einmal stehen, wird es zwischen ihnen ruhig sein.» Ein weiteres Manko – zumindest aus der Perspektive eines FU-Studenten: Bis zur Uni braucht man eine Dreiviertelstunde mit Sund U-Bahn. Hinzu kommen im Zweifelsfall zehn Minuten flotter Fußmarsch bis zur SBahnstation Plänterwald, denn der Bus, der direkt vor den Containern abfährt, verkehrt nur dreimal pro Stunde. Thomas Fehn stört das nicht. Dass die TU – ähnlich wie die FU – weit weg liegt, sei kein Problem. »Die Lage bedeutet für mich eigentlich nur, dass eben mehr Hauspartys vor Ort stattfinden müssen», sagt er. Wenn Thomas Glück hat, zählt er zu den ersten, die in einen der Container einziehen dürfen. Er hofft, dass sich unter den Bewohnern eine lebendige Szene von jungen Leuten entwickelt. Das könnte aber auch davon abhängen, wie viele Studenten bereit sind, den Preis für die 25 Quadratmeter zu zahlen: Die Miete für einen Container beträgt monatlich 389 Euro. Florian Schmidt möchte nicht in einem Container leben. Warum? Weil er den Stuck an der Decke seiner Altbauwohnung vermissen würde. Foto: Holzer Kobler Architekturen (oben); Christoph Spiegel (links unten)

Dieses Schild steht im Plänterwald. Wollt Ihr noch mehr Fotos davon sehen, dann geht auf www.furios-campus.de


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h c wo bin i hier gelandet? Fuck Europe

Shades of Grey

FU-Student Julian Niklas Pohl hielt sich sein Leben lang für ziemlich unausstehlich. Dann ging er für ein Semester ans amerikanische Elitecollege – das ihn lehrte, was wahre Douchebags sind.

Wenn er tapfer ist, verlässt Matthias Bolsinger seine grüne OSI-Idylle und betritt die J-Straße in der Silberlaube. Hier spart man sich Menschlichkeit und Heizung. Notizen aus einem Raum ohne Glück.

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G

ls ich den Amis dann erzähle, dass in Europa kein Schwein die Duke University kennt, wird es ganz still im Raum. Like ... seriously? Das kann doch nicht wahr sein, schließlich sind wir doch die siebtbeste Uni des Landes! Die anschließende Erörterung der Frage, warum man denn nicht so bekannt sei wie Princeton, Harvard und Yale, wird nach schmerzhaften Minuten des kollektiven Wundenleckens von Schablonenstudent Grady beendet. Segelschuhbeschuht brüllt er ein herzliches »Fuck Europe!« in den Raum, hebt den roten Plastikbecher zu Gott – und gut ist. Leere Blicke, gute Haut, Ben Afflecks oder Jennifer Anistons Haare und eine Schnur an deiner Sonnenbrille haben. Jeden Tag so leben, als wäre er der erste nach deinem Sieg im Golf-, Polo-, Tennis-, oder Segelwettbewerb. Vice Secretary of Treasury von einem Club sein, der ausschließlich damit beschäftigt ist, sich selbst zu erhalten. Sowieso ganz generell Leadership zeigen. Sich das Recht ersaufen, stolz drei griechische Buchstaben auf der Brust über den Campus zu tragen. So kommst du durch vier Jahre Duke, ohne völlig am eigenen Anderssein verrückt zu werden. Aber es ist ja nicht alles schlecht: Wenn ich blau bemalt im Stadion stehe und meinen Basketballboys oder Volleyballgirls dabei zusehe, wie sie unsere Rivalen von der University of North Carolina in Stücke reißen. Dann kann mein in Deutschland neurotisch unterdrücktes Kollektivherz endlich erfahren, was es heißt, Teil eines erlauchten Kreises zu sein. Und den traurigen state school kids im Gästeblock brülle dann auch ich entgegen: »One day you will work for us!«

erüchten zufolge soll es in der Rost- und Silberlaube einen Punkt geben, von dem aus man nichts anderes sieht als verschiedenste Grauschattierungen. Die JStraße ist für jedes Wesen, das sie betritt, eine Erfahrung der ganz besonderen Art. Sie ist wohl der einzige Gang der Silberlaube, der so farblos ist, dass einem beim Betreten der dortigen Toiletten dank vereinzelter, sonnenblumengelber Kacheln vor lauter Farbeindrücken die Netzhaut brennt. Im Vergleich zu der Ödnis in Grau ist das stille Örtchen ein koloriert-berauschtes Jenseits, in dem selbst das einlagige Schmirgel-Toilettenpapier beginnt, einen Charme zu entwickeln. Wer diese Straße betritt, weiß, was Einsamkeit ist. Harry Potter und Frodo Beutlin hatten's vergleichsweise locker. Kombiniert man den Flair Mordors mit dem Gefühl, das Harry in der Nähe von Dementoren beschleicht, kommt man in etwa an das Kolorit der J-Straße heran. Doch hier hilft kein Patronuszauber, kein vernichteter Ring im Schicksalsberg verspricht Erlösung. Nichts schützt vor der Verzweiflung, deren Tentakeln einem bis in die letzten Poren kriechen. Vereinzelt sitzen studentische Wesen verstört und wie abwesend auf den weißen, geriffelten Bänken. Blass ihr Antlitz, stumm ihr Mund. So wenige Menschen fristen hier ihr Dasein, dass niemand sich die Mühe macht, auch nur ein Plakat aufzuhängen. Gefühle sind hier Fehlanzeige. War doch klar, dass der Ex-Exzellenzcluster »Languages of Emotion« an der J-Straße verkümmern musste. Dass die FSI Grundschulpädagogik hier sitzt, lässt für unsere kleinen Racker Schlimmstes befürchten. Wenn das Lehrpersonal hier weilt – kein Wunder, dass Schule scheiße ist.


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Nicht ohne Weffi Dieter Wedel ist ein gefeierter deutscher Regisseur. An der FU leitete er die Studentenbühne, inszenierte Stücke und legte so den Grundstein für seinen Erfolg – Hund Weffi immer im Schlepptau. Mit Mara Bierbach hat er sich an seine Studentenzeit erinnert.

ewiger ehemaliger

Regisseur Dieter Wedel inszenierte schon zu seiner Studentenzeit an der FU Theaterstücke

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ieter Wedel ist ein Hundemensch. »Mein Leben lang liebe ich Hunde und habe nie ohne Hund gelebt«, erzählt der Regisseur. Zu seinen Vorlesungen an der Freien Universität begleitete ihn in den späten 1950er- und frühen 1960erJahren ein großer, gutmütiger Boxer namens Weffi – obwohl das streng verboten war. Der Hund hatte nämlich ein Problem: Er konnte nicht allein sein. Ließ Wedel Weffi in seiner Studentenbude am Ku'damm zurück, riss der die Tapeten von den Wänden. Zum Glück zeigten sich Wedels Kommilitonen solidarisch mit dem geselligen Tier und schirmten Wedel und seinen Boxer vor den Blicken der Professoren ab. Erwischt wurden die beiden nie: »Nur ab und zu hat sich ein Professor gewundert, wenn Weffi laut gegähnt hat und dann alle kicherten«, sagt Wedel schmunzelnd. Der Typ, der immer mit dem Hund in die Uni kam, ist heute einer der bekanntesten deutschen Regisseure. Vor allem mit Fernsehfilmen wie »Einmal im Leben« (1972) und Mehrteilern wie »Der große Bellheim« (1993) oder »Gier« (2010) hat sich Dieter Wedel einen Namen gemacht. Seit 2002 leitet Wedel die Nibelungenfestspiele in Worms, 2014 wird er die Sage dort zum letzten Mal in Szene setzen. Schon als Schüler im hessischen Bad

Nauheim zeigte sich Wedels Leidenschaft für die Bühne. Er schrieb eigene Theaterstücke und inszenierte sie mit Klassenkameraden im örtlichen Kurtheater. Immer in der Hauptrolle: Wedel selbst. Bei einer Aufführung saß Hans Knudsen im Publikum, damals Leiter des Instituts für Theaterwissenschaft der FU. Knudsen empfahl ihm, »Theaterwissenschaft, vielleicht Philosophie im Nebenfach und Geschichte« zu studieren. Genau das tat Wedel nach seinem Abitur 1959. Er schrieb sich an der FU ein und zog nach Berlin – nicht zuletzt, um der Bundeswehr zu entgehen: Westberliner Studenten waren damals von der Wehrpflicht befreit. Neben dem Studium besuchte Wedel eine Schauspielschule, merkte aber schnell, dass die Regie seine wahre Leidenschaft ist. An der Studentenbühne der FU übernahm Wedel die Leitung und inszenierte unter anderem Kotzebues »Die deutschen Kleinstädter«. Als er zu einer Aufführung den Theaterkritiker Herbert Ihering, einen bekennenden Kommunisten, einlud, brachte dies ihm einerseits scharfe Kritik eines konservativen Professors und fast einen Verweis von der Universität ein – öffnete ihm andererseits dank Iherings hymnischer Besprechung die Türen der Theaterwelt. »Plötzlich fragten etliche Theater in Westberlin an, ob ich nicht

mal bei ihnen arbeiten wolle«, erinnert sich Wedel. So inszenierte er schon als Student am Hebbeltheater. Wedel war hin- und hergerissen zwischen seinem Studium und einer Karriere als Theaterregisseur. »Viele haben mir damals geraten: ›Kommen Sie, lassen Sie doch das Studium‹«, erinnert er sich. Verlockend für Wedel, zumal er heute von sich sagt: »Ich war nicht unbedingt der geborene Wissenschaftler.« Doch er hatte es seiner Mutter versprochen: Er würde promovieren. Also schlug er verlockende Angebote aus und legte 1963 nach einem Jahr Arbeit eine 450-seitige Dissertation über den Expressionismus auf Frankfurter Bühnen vor. Seine Mutter war begeistert – doch die Türen in die Theaterwelt fielen plötzlich knallend wieder zu. Ein Intendant erklärte Wedel pikiert: »DoktorRegisseur, das ist ja ein Schimpfwort.« Also ging Wedel zum Fernsehen – und machte dort, trotz Doktor, Karriere. Mara Bierbach ist auch ein Hundemensch und hätte am liebsten einen Direwolf wie Jon Snow bei »Game of Thrones«. Foto: Fabienne Bieri


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Kultur

Hauptberuf: Poet Julian Heun pendelt zwischen Seminar und Bühne. Der Literaturstudent ist ein gefeierter Poetry Slammer, gibt aber nichts auf Lobhudeleien. Ein Porträt von Lisa Paul und Laura Bertram

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insilbig. So lässt sich die erste Kontaktaufnahme mit Julian Heun beschreiben. »Gerne!«, »Freitag?«, »Perfekt!« – schwer zu glauben, dass knappe Chat-Antworten wie diese von einem der erfolgreichsten Poetry-Slammer Deutschlands stammen. Einer, aus dessen Mund auf der Bühne ausschweifend detaillierte Texte sprudeln. Buchautor, deutschsprachiger U20Meister und zweifacher Berliner Meister im Poetry Slam – mit gerade einmal 24 Jahren hat der FU-Student eine beachtliche Karriere vorzuweisen. Julian Heun steht gern auf der Bühne. Dort tut er das, was ihm Spaß macht: gewitzte Texte auf locker-charmante Art vortragen. Die zahlreichen Facetten des Poetry Slams faszinieren Julian – vor allem die Interaktion mit den Zuschauern. »Man holt sie dort ab, wo sie sind und taucht mit ihnen in die literarische Welt ein«, sagt der Berliner. Am Poetry Slam schätzt er, dass er die Grenzen zwischen Literatur und Unterhaltung aufbricht und zeigt, dass Literatur nicht immer »ernst und intellektuell« sein muss, sondern auch mal »grob und wuchtig« sein darf. In seinem Studium der Allgemeinen und Vergleichenden Literaturwissenschaft und Deutschen Philologie erfährt er diese Frei-

heit nicht: An der FU stößt Heun oft auf die Meinung, dass Literatur eine gewisse Ernsthaftigkeit aufweisen muss, damit man sie als Literatur bezeichnen kann. »Die literarische Welt hat aber nichts mit der realen Welt zu tun«, findet er. Aus diesem Grund biete ihm das Studium auch keine Inspiration für sei»Mein ganzes Leben kommt mir vor wie eine riesige Castingshow. Es wird jede Runde noch krasser. Und noch heftiger und noch nocher und am Ende sind nur noch Menschen da, die weder richtig singen, noch richtig sprechen können. Aber sie sind ja so authentisch. Authentisch ist das neue scheiße.« Julian Heun

ne eigenen Texte. Es sei für ihn nur Nebensache: »Ich studiere lediglich aus Interesse, nicht weil ich in der Literaturbranche meine berufliche Zukunft sehe.« Wenn er nicht studiert und keine Texte schreibt oder vorträgt, organisiert und moderiert er auch eigene Slams, so zum Beispiel den monatlich stattfindenden »Bastard Slam« im »Ritter Butzke«. Im März dieses Jahres veröffentlichte der junge Künstler außerdem sein erstes Buch »Strawberry Fields Berlin«. Das 220-seitige Werk erhielt neben guten auch ungewohnt schlechte Kritiken.

Das laut Tagesspiegel »große Talent« musste dieses Mal harte Worte entgegennehmen. »Zeit Online« unterstellte ihm, in der »Tonlage nervöser Stummelprosa« zu schreiben – da grinst Julian nur. »Wenn man die Lobeshymnen nicht glaubt, muss man auch die Verrisse nicht glauben.« Über Lob freue er sich zwar: »Mir ist es aber auch wichtig, mich nicht von Einzelmeinungen abhängig zu machen«, so Heun. Für die Zukunft sind weitere Projekte in Planung, beispielsweise die Veröffentlichung weiterer Bücher. Auch auf der Bühne will er noch stehen – allerdings nicht ewig. Viele seiner Kollegen sind viel älter als er, trotzdem meint Julian: »Der Poetry Slam ist eine Welt der jungen Leute. Ich glaube nicht, dass ich mit 40 noch slammen werde.« Zum Glück bleibt bis dahin noch viel Zeit, in der Heun mit seiner Wortgewandtheit die Bühnen unsicher machen kann. Lisa Paul und Laura Bertram gefällt die Auffassung, Literatur nicht immer ernst zu nehmen. Poetry Slam bietet die perfekte Möglichkeit dazu.

Illustration: Luise Schricker


Kultur

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Kunst sucht Bedeutung Zahlreiche Kunstwerke schmücken den Campus der FU. Sie sollten die Universität zu einem Ort der Kommunikation machen. Ihr Potenzial schöpfen sie jedoch nicht aus. Von Helena Moser Georg Seibert vor seiner Skulptur »Haus des Ikarus« im Innenhof der Silberlaube

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uf den ersten Blick wirken sie unmotiviert. Erstis starren sie verwundert an, älteren Studis fallen sie gar nicht mehr auf: eine korinthische Stahlsäule, Eisengestänge, Bronzeskulpturen. Teilweise bunt bemalt und in merkwürdigen Formen schmücken sie die Innenhöfe der Silberlaube und die Umgebung des Henry-Ford-Baus. Wer sich in Dahlem genau umschaut, stellt schnell fest: Der Campus gleicht einer großen Ausstellungsfläche für moderne Kunst. Doch was soll das? Die Idee dazu stammt aus dem Jahr 1980. Damals schrieb die FU einen Wettbewerb zur Gestaltung der Innenhöfe und freiliegenden Flächen aus. Ziel war es, den Campus kommunikationsfreundlicher zu gestalten und damit auch den Freizeitwert zu verstärken. Das Ideal: Die Universität als Ort der Begegnung, ein kleines Stück Heimat für die Studenten – auch durch Kunst. 14 Künstler wurden daraufhin ausgewählt, ihre Arbeiten an der FU aufzustellen. Georg Seibert ist einer von ihnen. Seine Skulptur »Das Haus des Ikarus« befindet sich in einem Innenhof am Rande der K-Straße zwischen Gang 28 und 29. Sie soll Studenten zum Lernen und Streben motivieren, aber auch zu Bodenhaftung mahnen. So, wie es Dädalus gegenüber seinem Sohn Ikarus tat, als er sagte: »Fliege nicht zu hoch, aber auch nicht zu niedrig.« Eigentlich wurde Seibert versprochen, dass neben dem Kunstwerk ein Begleittext mit der Erklärung aufgestellt wird. Heute trägt die Skulptur noch nicht einmal ihren eigenen Namen. »Beschriftungen an Kunstwerken sind eine Notwendigkeit«, sagt Seibert. »Ohne sie wird die Kunst von vielen gar nicht als solche erkannt und nicht verstanden.« Doch weil bis heute die Informationen zu seinem Kunstwerk fehlen, wirkt sein »Haus des Ikarus« wie bloße Dekoration. Wie viele andere Werke auf dem Campus geht es damit im Uni-Alltag fast unter. Anders sieht es in der Nähe des Henry-Ford-Baus aus – wenngleich auch nur ein bisschen. Gegenüber dem Fachbereich Wirtschaftswissenschaft steht die 15 Tonnen schwere Skulptur »Perspektiven« von Volker

Bartsch. Hier gibt es eine Infotafel. Sie verrät, dass das Kunstwerk zehn FU-Studenten gewidmet ist, die in den 1950er-Jahren bei stalinistischen »Säuberungen« zunächst verschleppt und in der Sowjetunion zum Tode verurteilt wurden. Was diejenigen, die sich im Sommer auf ihr räkeln, aber nicht erfahren: Über die größte Bronzeskulptur Europas wurde einmal kontrovers diskutiert. Ursprünglich wurde sie vom Bankhaus Oppenheim in Auftrag gegeben und sollte – ohne historischen Bezug – das Gelände des Berliner Hauptbahnhofes zieren. Das Veto der zuständigen Senatskommission verhinderte das. Daraufhin wurde das Kunstwerk kurzerhand zum Mahnmal umgedeutet und landete auf dem Campus der FU. Ein denkwürdiger Start für das Erinnerungs-Kunstwerk aus zweiter Hand.

Das kann der Betrachter nicht reflektieren, wenn er es nicht weiß. »Die jungen Leute sind unsere Kulturträger, deshalb sollten sie sich mehr mit Kunst auseinandersetzen – um ein besseres Verständnis für die Gesellschaft zu entwickeln«, sagt Seibert. Doch solange die Kunst leer im Raum steht, werden noch viele Studenten ahnungslos daran vorbeigehen. Kunst auf dem Campus? Dem wollte Helena Moser mal auf den Grund gehen - und war erstaunt über die Vielzahl an Kunstwerken, die an der FU wiederzufinden sind. Fotos: Gwendolyn Schneider-Rothhaar, Valerie Schönian

Unten: Das Kunstwerk »Perspektiven« vor dem Henry-Ford-Bau


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Kultur

Die 16 Studenten der »Uni Bigband« der FU und TU sind das jüngste Ensemble des »Collegium Musicum Berlin«

Von Swing bis Star Wars Saxophon, Trompete und Posaune geben den Ton an bei der »Uni Bigband« von TU und FU. Das bunte Ensemble hat sogar die philologische Bibliothek zum Tanzen gebracht. Von Petya Zyumbileva

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n der Fantasie vieler Konzertgänger ist das Standard-Outfit eines BigbandMusikers schwarzer Anzug, weißes Hemd und Fliege. Das Bild, das sich in der Boltzmannstraße 16 bietet, passt nicht ganz zu dieser Vorstellung. In bunten T-Shirts und Jeans nehmen dort 16 Studenten Platz, statt Fliegen haben sie Club Mate im Gepäck. Es ist Dienstagabend, gleich beginnt eine der wöchentlichen Proben der »Uni Bigband«. Dirigent Martin Gerwig steht derweil in der Mitte des Halbkreises. Wild gestikuliert er mit den Armen, während die Musiker ihre Instrumente stimmen. Nach Groove und Swing klingt es noch nicht – eher nach Katzenjammer. Kurz darauf haben alle ihre Instrumente eingespielt, die Trompeter geben den Auftakt für das erste Stück: »Mira-Mira« von Matt Harris. Nach und nach setzen die Posaunen und die Saxophone ein. Die Drums machen Te m p o , der Pianist untermalt die Soli mit passenden Akkorden. Alle Musiker

wippen im Takt mit. Und auf einmal klingen sie wie Profis. Die »Uni Bigband« von FU und TU gibt es seit 1999. Damit ist sie das jüngste Ensemble des »Collegium Musicum Berlin«, zu dem auch Chöre und Orchester der beiden Unis gehören. Etwa 18 Musikstücke haben sie in ihrem Repertoire. Neben Klassikern wie Pat Methenys »In her family« ist auch John Williams' Filmmusik der Star-Wars-Filme dabei. Das Ensemble umfasst die typischen Instrumente eines Jazz-Orchesters, aber auch solche, die nicht zwangsläufig dazu gehören müssen. Neben vier Trompeten, zwei Alt- und Tenorsaxophonen, zwei Posaunen, Klavier, Schlagzeug und Bass gehören auch eine Gitarre und Baritonsaxophon zur »Uni Bigband«. Was alle Mitglieder gemeinsam haben, ist der Spaß am Jazzen. »Die Musik ist eine tolle Ablenkung vom Studienalltag«, sagt Marie. Sie spielt Tenorsaxophon und studiert Publizistik und Französisch im dritten Semester an der FU. Seit einem Jahr ist sie Mitglied der Bigband. »Den besten Auftritt hatten wir in der Langen Nacht der Wissenschaft. Wir spielten in der Philologischen Bibliothek«, erinnert sie sich. »Am Ende haben wir improvisiert und dann fingen alle an zu tanzen – sogar das Publikum.« Dirigent Martin Gerwig ist stolz auf sein Ensemble. »Alle hier wollen das unbedingt machen.« Seit 2003 leitet er die Band. In dieser Zeit bekam er auch die strukturel-

len Probleme zu spüren: »Manchmal taucht Frustration auf, da die Mitglieder oft wechseln« – ein Manko, dass sich bei einer studentischen Bigband leider nicht verhindern lässt. Keiner der Studenten beschäftigt sich professionell mit Musik. Die Hobby-Musiker studieren alles kreuz und quer – von Informatik über Latein bis zu Medizin. Da bleibt die Band nach dem Abschluss meist nur eine schöne Erinnerung. Aber auch in diesem Laien-Ensemble gibt es Ausnahmen: Henryk hat vor kurzem sein Physikstudium an der FU abgeschlossen und bleibt trotzdem als Saxophonist dabei. Er findet: »Jeder Auftritt mit der Bigband ist ein geiles Erlebnis.«

Das nächste Konzert der Band findet am 15. Februar 2014 in der Kunstfabrik Schlot statt.

Alle wichtigen Kulturtermine auf furios-campus.de/kultur

Petya Zyumbileva studiert Publizistik und Politikwissenschaft. Wenn sie Swing-Musik hört, hängt ihr der Himmel voller Geigen.

Fotos: Collegium Musicum Berlin (Archiv)


Wissenschaft

Wir sind großartig. Aber andere machen auch schöne Sachen. An dieser Stelle pflücken wir die besten Rubriken im Blätterwald und füllen sie mit unseren Inhalten. Folge IV: »Unnützes Wissen«, »Neon-Magazin«

1. Im Sprachenzentrum der FU lernen jährlich 6000 Studierende 13 verschiedene Sprachen. 2. Psychologie ist das beliebteste Fach an der FU. Auf 113 Plätze bewarben sich zum Beginn des Semesters 5116 Leute. 3. Das unbeliebteste Fach ist Griechische Philologie. Hier gab es nur fünf Bewerber. 4. Farin Urlaub, Mitglied der Band »Die Ärzte«, hat an der FU Archäologie studiert – jedoch nur einen Tag. Dann brach er das Studium ab, um sich der Musik zu widmen. 5. In den PC-Pools der Silberlaube sorgen Klimaanlagen für eine konstante Raumtemperatur von 18 Grad Celsius – damit die Computer nicht heiß laufen. 6. Ausgediente Bücher der Universitätsbibliothek landen nicht automatisch auf dem Müll. Für sie gibt es ein Lazarett und einen Bücherfriedhof. 7. Männliche Studierende halten sich weniger fit als ihre Kommilitoninnen: 60 Prozent aller Teilnehmer am Hochschulsport der FU sind weiblich. 8. Die beliebtesten Kurse beim Hochschulsport der FU sind Improvisation und Schauspiel sowie KickBoxen für Frauen.

Laut des QS World University Rankings 2013 gilt die FU als beste deutsche Universität für Geschichte, Linguistik und Kommunikationswissenschaft. 9.

10. Im Jahr 2012 verbrauchte die Uni 124,2 Millionen Kilowattstunden Energie, was insgesamt 13,2 Millionen Euro kostete. 11. Von den insgesamt 32.564 Studierenden der FU haben 6439 eine ausländische Staatsangehörigkeit, aus insgesamt 129 verschiedenen Ländern. Die meisten kommen aus den USA (475), China (434) und Polen (370). 12. Die Mehrheit der deutschen Studierenden hat ihr Abitur in Berlin gemacht (11.822), gefolgt von Brandenburg (2869) und Nordrhein-Westfalen (2351). Aus dem Saarland (124) und Bremen (214) kommen dagegen die wenigsten Studierenden der FU. 13. Mit einem Gesamtbestand von etwa 8,5 Millionen Büchern und Zeitschriften hat die FU das größte UniBibliothekssystem Deutschlands. 14. Die Farbgebung der Gänge der Rost- und Silberlaube orientiert sich an einer Farbpalette des Architekten Le Corbusier. Die Türen und Jalousien haben die gleichen Farben wie die dazugehörigen Gänge. 15. Die Mottengrafiken in der Philologischen Bibliothek wurden von der Künstlerin Mary Patricia Warming entworfen. Diese hat im Hof neben der Bibliothek auch mehrere naturwissenschaftliche Bücher vergraben.

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Wissenschaft

Härter, schneller, stärker Der Serienkult ist ausgebrochen. Spätestens seit »Breaking Bad» kann Fernsehen Bildungsgut sein. Ein Forschungsprojekt an der FU will herausfinden, warum. Von Sophie Krause und Mara Bierbach

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ls Tobey Maguire 2007 zum dritten Mal als Spiderman an hauchdünnen Spinnennetzen durch die Straßenschluchten New Yorks flog, sagten ihm nicht mehr ein, sondern gleich drei Superschurken den Kampf an: die Reinkarnation des Mörders seines Onkels, ein zum Monster mutierter eifersüchtiger Kollege und sein Gegenspieler aus dem ersten Film, der grüne Kobold. Mehr Gegner, mehr Drama. Auch die Erfolgsserie »Homeland« zog in ihrer kürzlich ausgestrahlten zweiten Staffel auf der Tragödienskala deutlich an: mehr Leidenschaft, mehr Verschwörungen, mehr Tote. Kanye West würde sagen: »Harder, better, faster, stronger.« Nun ja, vielleicht nicht unbedingt »better«. Für die interdisziplinäre Forschergruppe »Ästhetik und Praxis populärer Serialität« sind Filmoder TV-Serien nicht nur Unterhaltung, sondern auch Forschungsmaterial. Frank Kelleter, seit 2012 Professor für Kulturwissenschaft am John-F.-Kennedy-Institut, ist Mitbegründer des Projekts. Als Experte für Fernsehserien und Filmfortsetzungsreihen – neudeutsch auch Franchise genannt – kennt er das »Harderfaster-stronger«-Phänomen. »Serien stehen vor dem Problem, dass sie zwei Dinge tun müssen, die sich eigentlich gegenseitig ausschließen: Sie müssen wiedererkennbar bleiben und gleichzeitig Innovation leisten, also als kommerzielle Formate sicherstellen, dass man auch nächste Woche wieder einschaltet.« Um dieser Herausforderung gerecht zu werden, greifen Macher oft zu einem banalen Mittel: Überbietung. »Man macht genau das, was man schon immer gemacht hat, nur in größeren Mengen«, sagt Kelleter. »Es gibt plötzlich nicht mehr einen

Schurken, sondern zwei oder drei.« Schon seit 2010 erkundet Kelleter mit Kollegen aus verschiedenen geisteswissenschaftlichen Fächern die Formen, Dynamiken und Funktionen seriellen Erzählens in der aktuellen Populärkultur. Sprich: Wie hat sich die Serie seit dem 19. Jahrhundert entwickelt? Welchen Einfluss auf unseren Alltag haben Serien? Prägen sie, wie wir unsere soziale Realität wahrnehmen? Serien, darunter verstehen die Forscher Filmfortsetzungen und -remakes, Fernsehserien wie »Breaking Bad«, »Lost« oder »Tatort«, Computerspiele,

Comics und Fortsetzungsromane. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft fördert das Projekt mit insgesamt vier Millionen Euro. Drei von sieben aktuellen Teilprojekten sind an der Freien Universität angesiedelt. Ein Projekt von seltener Aktualität: Serielle Erzählungen dominieren die Unterhaltungsindustrie. In Hollywood gelten Fortsetzungen von Erfolgsfilmen wie »Iron Man 3« oder »Fast and Furious 7« als sichere Erfolge. Der Buchmarkt wird von Serien wie »Twilight« oder »Die Tribute von Panem« beherrscht, die dann wiederum zu Filmfranchises werden. Die neueste Auflage von »Grand Theft Auto« bricht zur Zeit alle Verkaufsrekorde der Videospielindustrie. Comicserien liegen total im Trend. Und die Fernsehserie

erfreut sich dank Formaten wie »The Wire«, »Breaking Bad« und »Mad Men« einer Aufwertung zum Bildungskulturgut. Ursprünglich gegründet wurde die Forschergruppe an der Universität Göttingen aus wissenschaftlicher Unzufriedenheit. »Viele von uns waren frustriert, dass bei der Forschung über Serien oft mit Werkzeugen und Verständniskategorien gearbeitet wird, die ihrer kulturellen Relevanz und dem, was sie tun, nicht gerecht werden.« Gehe man mit den Methoden der klassischen Literaturwissenschaft an eine Serie heran, ignoriere man, dass die Serie – im Gegensatz zu einem einteiligen Roman – ein sich dynamisch entwickelndes, offenes Werk sei, so der Serien-Experte Kelleter. Die Macher einer Serie müssten ständig die eigene Serienvergangenheit reflektieren: Welche Handlungsstränge sollen weiter aufgegriffen, welche fallen gelassen werden? Je länger eine Serie läuft, desto mehr eigene Historie muss sie bewältigen. Serien wie »Seinfeld« und »The Sopranos« beschäftigen sich deshalb in späteren Staffeln immer mehr mit sich selbst, sie werden immer meta-reflektierter. »Man muss bei seriellen Formaten auch immer in Rechnung stellen, dass sich die Serie in direkter Rückkopplung zu ihrer Rezeption entwickelt«, ergänzt Kelleter. Ein Paradebeispiel dafür ist »Lost«. Die Mysteryserie von J.J. Abrams und Damon Lindelof erfreute sich eines großen Publikumserfolgs. Auf Webseiten wie Lostpedia versuchten tausende von Fans, die neusten Informationshäppchen zum Geheimnis der Insel zu entschlüsseln und so den Ausgang der Serie vorherzusagen. Dadurch beeinflussten sie, welche und wie viele Hinwei-


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se die Serienmacher in den nächsten Folgen ausstrahlten. Wer jedoch glaubt, das Phänomen der aktiven Fanpartizipation sei erst durch das Internet zur Praxis geworden, der irrt. Tumblr, Twitter, Life-Journal und Co. haben Fankultur zugänglicher, schneller, lauter, selbstbewusster und einflussreicher gemacht – sie aber nicht neu geschaffen. »Das Internet hat qualitativ nichts Neues für die Serienästhetik eingeführt«, sagt Kelleter. »Schon bei den allerersten Feuilleton-Romanen gab es nach den ersten Episoden Leserbriefe an die Zeitung.« Das Internet hat für Kelleter eine ganz andere Auswirkung auf die Fernsehserie. Die Tatsache, dass das Internet das Fernsehen als Leitmedium abgelöst habe, sei Auslöser für den Boom anspruchsvoller Qualitätsfernsehserien wie »The Sopranos« oder »Breaking Bad« gewesen. »Die Art und Weise, wie das Fernsehen auf das Aufkommen des Internets reagiert, kann man durchaus damit vergleichen, wie die Malerei auf das Aufkommen der Fotografie reagiert hat«, erklärt der Serien-Experte, »die Geburt eines neuen Mediums ändert das Selbstverständnis und den Status bestehender Medien. Beim Fernsehen hat das auch etwas mit sozialer Aufwertung zu tun.« Dass gleichzeitig immer plakativere, qualitätslosere Serienformate auf den Markt kommen, ist ihm nicht entgangen. Für Kelleter sind TrashReality-Shows, wie »Schwiegertochter gesucht«, und Qualitätsserien zwei Seiten derselben Medaille: Das Fernsehen kämpft um Aufmerksamkeit, indem es qualitative Extreme forciert. Trash-TV-Sternchen Snooki und Walter White aus »Breaking Bad« haben also mehr gemeinsam als eine Affinität zu Suchtstoffen – sie sind Symptome eines neuen Zeitalters der Fernsehserie.

Während Nordamerikastudentin Mara Bierbach bekennender Serienjunkie ist, guckt Publizistikstudentin Sophie Krause nicht einmal den »Tatort«.

Illustration: Luise Schricker

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Facebook macht glücklich Die ganze Welt postet, teilt und klickt auf »Gefällt mir«. Warum ist das so? Eine FU-Studie belegt: Das soziale Netzwerk steigert das Wohlbefinden. Von Sarah Marschlich

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ulian Weicht hat mehr als 400 Freunde. Mit ihnen teilt er skurrile Szenen im Taxi, Gedanken zu interessant gekleideten Kommilitonen im Seminar und ab und zu auch mal sein Mittagessen. Alles auf Facebook. »Im besten Fall erhoffe ich mir natürlich schon, dass irgendwer das interessant oder zum Kotzen findet und dementsprechend auch darauf reagiert«, sagt der 24-jährige Politikstudent der FU. Ein Leben ohne Facebook? Das ist für viele unvorstellbar. Mehrmals täglich informieren die meisten User ihre Freunde und Bekannten mittels der Status-Funktion darüber, was sie gerade denken, fühlen oder tun. Forscher an der FU haben jetzt herausgefunden, warum: Es macht glücklich. »Erlebnisse aus dem Alltag mit seinen Freunden zu teilen, sorgt möglicherweise dafür, dass man sich ihnen näher fühlt«, sagt Fenne große Deters. Sie ist PsychologieDoktorandin an der Freien Universität und hat gemeinsam mit Professor Matthias Mehl von der Universität Arizona (USA) untersucht, wie sich das ständige Aktualisieren des Facebook-Status auf das Wohlbefinden auswirkt. Ihre Studie zeigt, dass sich User, die besonders häufig ihren Status aktualisieren, weniger einsam fühlen. Doch warum erzählen viele so bereitwillig zum Teil fremden Menschen von ihrem Leben? »So ein bisschen geil ist es eben schon, wenn viele Leute den zynischen Taxifahrerspruch, den man postet, liken«, sagt Julian. Andy Warhols »15 minutes of fame« seien auf Facebook zum »15 seconds of fame« geworden, findet er. Diesen Eindruck kennen wohl viele User. Für den Effekt gegen Einsamkeit seien die Reaktionen von Freunden in Form von »Gefällt-mir-Klicks« oder Kommentaren aber nicht entscheidend, sagt große Deters: »Wer

mehr Status-Updates gepostet hat, hat sich am Ende der Studie weniger einsam gefühlt – unabhängig davon, ob er viel oder wenig Feedback von seinen Freunden bekommen hat.« Die Forscherin sieht eine mögliche Erklärung darin, dass die User sich durch das Posten ihres Status sozial aktiv fühlen: »Möglicherweise haben User schon beim Verfassen der Status-Updates ihre Freunde vor Augen und fühlen sich dadurch weniger einsam.« Dieses sogenannte »Social Snacking« halte aber nur kurze Zeit. »Das ist vergleichbar mit dem Verzehr kleiner Snacks, die lediglich helfen, die Zeit bis zur nächsten richtigen Mahlzeit zu überbrücken.« Eine Studie der Universität Michigan (USA) und der Universität Leuven (Belgien) widerspricht der FU-Studie: Demnach fühlten sich Menschen nach der Nutzung von Facebook noch schlechter als zuvor. Große Deters gibt zu bedenken, dass diese Studie nicht zwischen aktiver und passiver Facebook-Nutzung trennt: »Manche nutzen Facebook ausschließlich zum Spielen, andere schreiben bevorzugt private Nachrichten und wieder andere sind hauptsächlich damit beschäftigt, alten Freunden hinterherzuspionieren«, so die Forscherin. »Würde man da bei allen Nutzern tatsächlich die gleichen Auswirkungen auf das Wohlbefinden erwarten?« Bei passiver Nutzung seien die Auswirkungen negativer, die FU-Studie aber habe sich auf die aktive Nutzung konzentriert. Für Julian ist Facebook per se weder etwas Gutes noch etwas Schlechtes. »Facebook ist wie das Internet an sich ein Werkzeug, das man benutzen kann.« Daher sei es wichtig, den Umgang damit zu erlernen - zumal es das größte soziale Netzwerk unserer Zeit ist. Denn, so der Student: »Ich setze auch keinen Piloten in ein Flugzeug und gebe ihm nach dem Start erst die Bedienungsanleitung.« Sarah Marschlich studiert Medien und Politische Kommunikation – die Beschäftigung mit den sozialen Medien ist auch ihr täglich Brot.


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»Wir wollen in einem Jahr 2000 Flüchtlinge therapieren« Professoren der Charité bilden in Jordanien Ärzte und Psychologen aus, um traumatisierten Flüchtlingen aus Syrien zu helfen. Ute Rekers und Carlotta Voß sprachen mit dem Projektleiter Malek Bajbouj.

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ede Woche fliehen tausende Menschen aus Syrien in benachbarte Länder wie Jordanien. Viele von ihnen leiden an Posttraumatischer Belastungsstörung (PTBS). Im Projekt »CharitéHelp4Syria« bilden Professoren der Charité deshalb jetzt zehn Ärzte und Psychologen zu Traumatherapeuten aus. Die Trainees stammen aus Jordanien, dem Libanon und Syrien und sollen in Flüchtlingslagern und Krankenhäusern zum Einsatz kommen. Unterstützt wird das Ausbildungsprogramm vom Auswärtigen Amt, es soll bis Oktober 2014 laufen. Malek Bajbouj, dessen Eltern aus Syrien stammen, leitet das Projekt. Er ist Professor an der Klinik für Psychiatrie und affektive Neurowissenschaften an der FU und arbeitet im Exzellenzcluster »Languages of Emotion«. Im Gespräch mit FURIOS erzählt er von der prekären Situation der Flüchtlinge und dem Ziel des Projektes.

Wie haben Sie die Trainees ausgewählt und was ist ihre Aufgabe? Wir haben da ein buntes Team zusammengetrommelt. Wichtig waren ausreichende Englischkenntnisse, eine stabile Persönlichkeit und klinische Erfahrung. Die Trainees werden vor Ort während mehrwöchiger Intensivtrainings ausgebildet. Danach helfen sie den Patienten mit medikamentöser Behandlung oder kurzen, aber intensiven psychotherapeutischen Sitzungen, um gegen Albträume und Depressionen vorzugehen.

Professor und Projektleiter Malek Bajbouj

Herr Bajbouj, Sie sind gerade aus Jordanien zurückgekehrt. Was haben Sie erlebt? Das jordanische Gesundheitsministerium hat für uns eine Tour durch Zaatari organisiert, dem größten Flüchtlingscamp des Landes, nahe Amman. Die Zeltbaracken dort reichen bis zum Horizont. Die Menschen stehen vor dem Nichts, ihnen fehlt es an elementaren Dingen. Ich fand es nicht besonders angenehm, dort in einer klimatisierten Limousine durchzufahren.

Zwei Millionen Syrer sind zurzeit auf der Flucht. Wie viele davon können zehn Ärzte überhaupt behandeln? Wir wollen in einem Jahr 2000 Flüchtlinge therapieren. Natürlich ist das nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Wir haben das Ausmaß der Situation in Zaatari ja direkt mitbekommen. Allein in Jordanien sind offiziell 550.000 syrische Flüchtlinge registriert, davon sind 20 Prozent traumatisiert oder haben Traumafolgestörungen. Für die gibt es nur etwa 87 Psychiater. Da machen die zehn, die wir ausbilden, schon einen Unterschied. Das ist unser kleiner Beitrag.

Die EU-Flüchtlingskommissarin Kristalina Georgiewa nannte die jungen Syrer eine »verlorene Generation«, die jahrzehntelang traumatisiert ist. Kann Psychotherapie bei solch einer humanitären Katastrophe überhaupt etwas bewirken? Ja, es ist sinnvoll. Stellen Sie sich jemanden vor, der eine Posttraumatische Belastungsstörung hat und deswegen nicht zur Schule geht. Wenn wir ihn behandeln, geht er wieder hin. Oder eine Mutter, die als Folge ihres Traumas an Depressionen leidet und sich nicht mehr um ihre Kinder kümmert. Wenn wir sie behandeln, ermöglichen wir auch den Kindern einen besseren Start ins Leben. Was wir tun, ist eine Investition in die Zukunft. Jeder, den wir heilen, wird jemand sein, der in Zukunft helfen kann, das Land aufzubauen.

Noch Fragen offen? Weiterlesen auf furios-campus.de/wissenschaft

Carlotta Voß und Ute Rekers waren schon der zweite Interviewtermin für Herrn Bajbouj in einer Woche − nach Al-Dschasira.

Illustration: Luise Schricker


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Der empörte Student

der empörte student Alex Blume schenkt seinen Kommilitonen ein offenes Ohr – und muss für seine Großherzigkeit bitter büßen. Eine Anklage.

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Liebe Suchende nach den großen Antworten des Lebens, Dozenten, Lehrer, Eltern und die Scheißviecher aus der Sesamstraße behaupten, es gäbe keine dummen Fragen. Doch sie lügen uns an. In einer utopischen Parallelwelt existieren keine dummen Fragen. Dumme Fragen hingegen existieren an der FU. Und es sind viele. Gehen wir eine beliebige Seminarsitzung durch. Sie beginnt mit Zeitverschwendung durch Orga-Fragen, jedes Mal: »Muss ich denn eigentlich eine Hausarbeit schreiben?« (Betonung auf ›ich‹). Den Tränen nahe: »Warum klappt denn Blackboard nicht?« Oder tatsächlich ernst gemeint: »Herr Lehrer, Herr Lehrer, und was passiert, wenn ich 30 LP Biomechatronik und 60 LP Altertumswissenschaften studiere und noch eine Leistung in meinem Fachwerkarchitekturmodul brauche?« Antworten darauf sind natürlich genauso hilfreich wie die Fragen selbst. Der Dozent hat doch keine Ahnung von eurem Privatkack, ihr Affen! Nach 20 Minuten dieses geistreichen Gedankenaustauschs kommt die nächste Spezies Frager zu Wort: Die kleinen Genies, die keine Frage, dafür aber den Text gelesen haben. Sie liefern eloquente Textzusammenfassungen ab und verkleiden sie durch ein »oder?« am Ende als Frage. Hat auch den Vorteil, dass es dann vom stolzen Dozenten noch ein Lob als Leckerli gibt. Fein gemacht.

wagt eine Repetitio vom Beginn der Sitzung. Selbstverständlich haben auch spätpubertierende Freizeithumoristen in unserer lustigen Fragerunde ihren großen Auftritt. Festhalten: »Kommt kanonisch von Kanone?« Welche Reaktion wäre hier angebracht? Panisches Lachen? Raum verlassen? Kopfnuss? Kitzelfolter? Ist dem Kommilitonen denn nicht bewusst, was er damit über

Herausgeber: Freundeskreis Furios e.V. i.G. Chefredaktion: Matthias Bolsinger, Valerie Schönian (V.i.S.d.P, Freie Universität Berlin, JK 26/222a, Habelschwerdter Allee 45, 14195 Berlin) Ressortleitung Politik: Veronika Völlinger; Stellv.: Melanie Böff Ressortleitung Campus: Margarethe Gallersdörfer; Stellv.: Bente Staack Ressortleitung Kultur: Maik Siegel Ressortleitung Wissenschaft: Josta van Bockxmeer, Lily Martin Layout: Robin Kowalewsky, Christoph Spiegel Chefin vom Dienst: Julia Brakel Titelgestaltung: Robin Kowalewsky, Christoph Spiegel, Luise Schricker

Redaktionelle Mitarbeit an dieser Ausgabe: Laura Bertram, Mara Bierbach, Josta van Bockxmeer, Melanie Böff, Matthias Bolsinger, Margarethe Gallersdörfer, Lev Gordon, Matthias Jauch, Karl Kelschebach, Max Krause, Sophie Krause, Francis Laugstien, Sarah Marschlich, Lily Martin, Helena Moser, Alexander Hennig, Lisa Paul, Julian Niklas Pohl, Ute Rekers, Florian Schmidt, Valerie Schönian, Mareike-Vic Schreiber, Lior Shechori, Maik Siegel, Bente Staack, Robert Ullrich, Veronika Völlinger, Carlotta Voß, Hannah Zabel, Petya Zyumbileva Illustrationen: Robin Kowalewsky, Gwendolyn Schneider-Rothhaar, Luise Schricker, Cora-Mae Gregorschewski Fotografien: Fabienne Bieri, Julian Daum, Gwendolyn Schneider-Rothhaar, Valerie Schönian, Mareike-

Der Dozent fährt fort, erklärt Grundlagen eines Themas. Nun ist die Stunde derer gekommen, die die ganze Zeit über gepennt haben: Sie melden sich und fragen nach just erklärten Sachverhalten, hören wieder nicht zu – und fragen dumm-glücklich grinsend ein weiteres Mal. Jemand wirft ein »Ist das denn klausurrelevant?« in den Raum – die hübsche Symphonie der dummen Fragen

sich aussagt? Braucht er Hilfe? Wir wissen es nicht. Nach einem Moment der peinlichen Stille scheint dann endlich die Möglichkeit zu bestehen, die restliche Sitzung könne reibungs- und vor allem fraglos weitergehen. Nix da. Eine halbe Stunde vor dem Ende kommt die für diesen Tag wertvollste Beitragsleistung: »Gibt's 'n Skript? Oder muss ich mitschreiben?« Spätestens dann möchte ich mir den geistigen Schattenparker schnappen und selbst mal eine Frage stellen: »Entschuldigung«, würde ich gern zu ihm sagen, »dürfte ich bitte mal dein Abiturzeugnis sehen? Da stimmt doch irgendetwas nicht.« Ihr fragt und fragt, anstatt zuzuhören oder nachzudenken. Anstatt euch selber mit euren jämmerlichen Wehwehchen auseinanderzusetzen. Wie bewerkstelligt ihr euren Alltag, wenn ihr schon in simpelsten Einführungsseminaren nicht wisst, was ihr wann tun sollt, wie ihr es wo warum tun sollt und wie überhaupt irgendetwas funktioniert? Liebe Kommilitoninnen und Kommilitonen: Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit. Denkt da mal drüber nach. Oder fragt euren Philosophieprofessor.

Illustration: Robin Kowalewsky

Vic Schreiber, Christoph Spiegel, Francis Laugstien Autorenfotografien: Christoph Spiegel Lektorat: Matthias Bolsinger, Michael Giesen, Valerie Schönian, Clara Herrmann ISSN: 2191-6047 www.furios-campus.de redaktion@furios-campus.de Jeder Autor ist im Sinne des Pressegesetzes für den Inhalt seines Artikels selbst verantwortlich. Die in den Artikeln vertretenen Meinungen spiegeln nicht zwangsläufig die Ansicht der Redaktion wider. Gemäß dem Urheberrecht liegen die Rechte an den einzelnen Werken bei den jeweiligen Autoren.


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