Winter 2014 AUSGABE 13 ISSN 2191-6047
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Schuld
03
Liebe Kommilitoninnen, liebe Kommilitonen S
ie sitzt uns im Nacken, erdrückt uns, lässt uns keinen Schlaf – wer Schuld auf sich geladen hat, fühlt sich, als würde er unter ihrer Last zusammenbrechen. So geht es auch Atlas, der Figur aus der griechischen Mythologie. Auf unserem Cover ächzt er unter der Last seiner Schuld. Als Strafe für seine Auf lehnung gegen die Götter muss er den gesamten Globus auf den Schultern tragen. Doch es muss nicht immer eine Auf lehnung gegen die Götter sein. Auch im Privaten oder an der Universität können wir uns schuldig machen. Da ist zum Beispiel diese eine Hausarbeit, die wir seit Semestern mit uns herumschleppen. Wir schulden sie dem Dozenten. Doch an den Magenkrämpfen, die uns die Gedanken daran verursachen, sind wir selbst schuld, wie unser Essay zu zeigen versucht (S. 6). Oder das schlechte Gewissen, das wir haben, wenn wir den Anruf unserer Mutter wegdrücken –
obwohl sie gerade die Kaution für die Wohnung überwiesen hat. Von Euch wollten wir also wissen, ob Euch das Geld, das Ihr von Euren Eltern bekommt, Schuldgefühle bereitet (S. 13). Wer keine Hilfe von seinen Eltern bekommt, der muss vielleicht auf einen Studienkredit zurückgreifen, um sich die Studienzeit zu finanzieren. Wir stellen euch eine Studentin vor, die diese Schulden auf sich genommen hat (S. 14). Um Schuld zu sühnen, müssen wir uns ihr stellen und sie aufarbeiten. Das gilt insbesondere für historische Schuld. Wir haben untersucht, wie die FU mit der düsteren Geschichte einiger Institute unter dem Nationalsozialismus umgeht (S. 8). Dabei ist vor allem eines klar: Schuld kann vieles bedeuten, je nachdem, wer darüber urteilt. In unserem Interview debattieren ein Rechtswissenschaftler und eine Philosophin über ihre Begriffe von Schuld und deren gesellschaftliche Dimension (S. 10).
Auch abseits der Titelthemen findet Ihr wie gewohnt viele weitere spannende Themen in unseren Ressorts. Politik, Campus, Kultur und Wissenschaft blicken erneut in alle Ecken des universitären Lebens. Eine andere Besonderheit ist euch jedoch sicherlich schon aufgefallen – FURIOS glänz nicht mehr so stark und ist auch etwas rauer geworden. Aber nur vom Papier her, natürlich! Mit dieser Ausgabe möchten wir etwas Neues ausprobieren: Aufgefrischte Logos und neue Schriftarten sollen das Heft klarer struktuieren und vor allem lesefreundlicher machen. Wir hoffen, Euch gefällt das Ergebnis. Ein außerordentliches Lesevergnügen bei unserer dreizehnten Ausgabe wünschen euch
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Cecilia T. Fernandez und Melanie Böff
Inhaltsverzeichnis Schuld
Politik
Campus
Ein Essay über die Prokrastination bei Hausarbeiten
Ein Portät von Klaus Hoffmann-Holland, dem neuen Vizepräsidenten für Studium und Lehre
Studentinnen arbeiten ehrenamtlich als Sterbebegleiterinnen in einem Hospiz
06 Wir Aufschieber
08 »Niemand hat moralisch eine weiße Weste« Strafrechtler Gerhard Seher und Philosophin Hilge Landweer diskutieren über Schuld
11 Auf Knochen gebaut
Der Campus Dahlem war in die nationalsozialistische Forschung verstrickt
13 Sind wir unseren Eltern etwas schuldig? Wir fragten nach, ob das Geld von unseren Eltern auch Pflichten mit sich bringt
14 Risikoanlage Studium
Studienkredite sind eine Investion in die eigene Bildung, die Gefahren birgt
16 4 aus 40.000
FU-ler verraten, was sie sich zuletzt zu Schulden kommen ließen
18 Der Neue unter Alt
20 Aller Anfang ist Gehirnwäsche
In den Orientierungswochen zerren sich politische Gruppen um die Erstis
21 Rechts herrscht Ruhe
Rechtsextreme gibt es an der FU nicht – zumindest keine, die darüber sprechen
22 Das bisschen Haushalt
Was ist eigentlich aus den sogenannten Geheimkonten der FU geworden?
23 Wo Chancen im Sand versinken In Tadschikistan haben junge Menschen Träume, aber keine Aussichten
39 Impressum
26 Falsch begründet
Die FU rühmt sich zu Unrecht mit dem Erfolg der Berliner Start-Up-Szene
27 Navigation für Anfänger
Der »Studienkompass« hilft Abiturienten ohne Akademiker-Hintergund
28 Wo bin ich hier gelandet?
Ein offenes Gespräch über Verhütung und Chaos auf der Ersti-Fahrt
29 Musik statt alter Männer
Inga Humpe von 2RaumWohnung brach ihr Studium an der FU für die Musik ab
Kultur
Wissenschaft
Beim Open Mike Wettbewerb feiert sich die Literaturszene selbst
Eine neue Forschungsplattform soll Tierversuche aus der Welt schaffen
30 Lesestunde im Elfenbeinturm
34 Aus für die Labormaus
31 Der Herr der Bratschen
36 Mehr als satt werden
32 Geschichte im Ohr
37 Melodien zwischen Herz und Hirn
FU-Studenten trotzen im Sinfonieorchester dem Sterben der klassischen Musik
03 Editorial
24 Leben mit dem Tod
Die Historikerinnen von »past[at]present« machen Geschichte hörbar
33 Die geklaute Rubrik: Pro & Contra Ist politisches Engagement noch zeitgemäß? Unsere Autorinnen im Pro und Contra
Bei der Kulinaristik geht es um mehr als um leckeres Essen
Warum wir gerne traurige Lieder hören, wenn es uns schlecht geht
38 Der empörte Student
Die ZEDAT ist klebrig, langsam und voll
Gestaltende bildnerischer Art: Angelika Schaefer hat, zu »Ronja Räubertochter« in Dauerschleife, FURIOS ein neues Gesicht gezaubert. schaefer.angelika@posteo.de Christine Edelmann studiert an der Universität Hildesheim Philosophie Künste - Medien. Für die Gestaltung der FURIOS kam sie nach Berlin.
Christoph Spiegel macht Fotos für die FURIOS. In seiner Freizeit beschäftigt er sich manchmal mit seinem Studium. Luise Schricker sitzt, wenn der Winter kommt, gern im warmen Stübchen am Kaminfeuer und versucht, sich Illustrationen für die FURIOS auszudenken.
Cristina Estanislao Molina kommt aus Venezuela und lernt gerade Deutsch. Ihr Vokabelheft besteht aus bunten Zeichnungen.
Marie Halbich studiert Publizistik und musste sich für diese Ausgabe fotografisch mit tristen Uni-Wänden und Leuchtstoff licht rumschlagen.
Snoa Fuchs ist fast fertig mit ihrem Studium und freut sich darauf, in Zukunft viele Kinderbücher zu illustrieren und zu schreiben.
Faustina Kork studiert Kommunikationsdesign an der Burg Giebichtenstein in Halle und mag manchmal Cashewkerne.
Robin Kowalewsky bekommt nicht genug von Weißraum in seinen Illus und kämpft notfalls auch bis spät nachts dafür.
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06
Schuld
Wir Aufschieber
Die Autorin dieses Textes wurde während des Schreibens selbst von einem starken Anfall von Aufschieberei befallen. Er war so gravierend, dass sie, nur um sich zu drücken, endlich eine Fragestellung für ihre Masterarbeit entwickelte. Text: Hanna Dede Illustration: Angelika Schaefer
W
ir sind eine Generation notorischer Aufschieber. Was wir heute können besorgen, das verschieben wir auf morgen. Das zehrt an uns, löst in uns Schuldgefühle aus. Psycho-Ratgeber sagen uns, wie wir endlich auf hören zu prokrastinieren und anfangen anzupacken. Aber an der Sache geht das komplett vorbei. Wir sind nicht zu faul – uns geht es zu gut, wir sind zu frei. Wenn wir das erkennen, finden wir auch einen angemessenen Zugang zu unseren Hausarbeiten. Und das Blatt bleibt nicht länger leer. Eine Situation, die vielen Studierenden bekannt vorkommen dürfte: Das letzte Semester war stressig, der Job auch. Im Sommer winkte ein Auslandspraktikum. Also bat man um Fristverlängerung. Doch inzwischen ist die Erinnerung an das Seminar verblasst, die einst so funkensprühenden Ideen erkaltet. Ratlos sitzt man vor dem toten Berg aus Skripten und müht sich vergeblich, einen Zugang zu dem Thema zu finden. Die Verlängerung wurde mittlerweile auf unbestimmt ausgeweitet. Seitdem begleitet einen diese ungeschriebene Hausarbeit wie der Geist des eigenen Versagens. Zunehmend breitet sich die Schreibhemmung aus. Das schlechte Gewissen frisst sich in den Alltag und beeinträchtigt die Arbeit für aktuelle Seminare. Schließlich ist er da, der Horror Vacui: Die Angst vor de Leere – in diesem Fall der Leere des Blattes. So hypnotisieren viele Studierende vergeblich tagaus, tagein die weiße Seite, auf dass sie sich von selbst füllen möge. Wohlgemerkt: Hier geht es nicht um gewöhnliche Faulheit oder mangelnde Organisation. Diesen Übeln lässt sich vergleichsweise leicht mit einigen Tritten gegen den inneren Schweinehund beikommen. Hier geht es um die absolute
Unfähigkeit, eine Arbeit über ein Thema zu schreiben, das einen durchaus interessiert, ja, vielleicht sogar besonders am Herzen liegt. Dafür kennen wir seit Neuestem ein Wort: »Prokrastination«. Glaubt man den Medien, hängt sie längst wie ein Damoklesschwert über allem und jedem. Eine Flut von Seminaren und Ratgebern gegen diese neue Geißel der Menschheit kreiert einen eigenen Markt, der sich selbst erhält. Denn was ist der Konsum unzähliger Ratgeber und toller Tipps, wenn man eigentlich eine Hausarbeit schreiben sollte, anderes als: Prokrastination? All die gut gemeinten Ratschläge helfen uns nicht weiter. Denn tatsächlich liegt das eigentliche Problem viel tiefer: Die Aufschieberei ist eine Luxusbeschwerde der postmodernen Gesellschaft. Akkordarbeiter haben keine Zeit, sich zu zieren. Es ist das Privileg der übergroßen Entscheidungsfreiheit, das uns zu schaffen macht. Irgendwie hat man uns dazu gebracht, Arbeit mit Persönlichkeitsentfaltung gleichzusetzen. Ein besonders perfider Trick, macht man sich durch die Identifikation mit der Aufgabe doch umso stärker von der Arbeit abhängig. Studenten sind davon besonders betroffen. Im europäischen Vergleich ist das deutsche Hochschulsystem trotz Bolognareform immer noch sehr frei. Den Studierenden wird sehr früh sehr viel zugetraut, aber auch zugemutet. Schon Bachelorstudenten müssen sich ganz selbstverständlich allein ihre Fragestellung und Struktur für Hausarbeiten erarbeiten. Zudem sind deutsche Unis nicht so durchökonomisiert wie etwa die in Großbritannien. Reste des humboldtschen Bildungsideals garantieren immer noch, dass ganzheitliche Bildung vor zweckgebundener Eff izienz steht. Durch die
niedrigen Studienkosten müssen wir uns nicht sklavisch an die Regelstudienzeit halten. Andernorts machen schon die Studiengebühren einen Aufschub um ein bis zwei Semester unmöglich. So wird dort die Deadline zum Maß aller Dinge. Versagt hat nicht, wer inhaltlich nicht komplex genug arbeitet, sondern wer seine Arbeit nicht im vorgegebenen Zeitrahmen formal korrekt ausführen kann. Während englische Universitäten ihre »Undergraduates« jahrelang mit vorgefertigten »Research Material« – Häppchen und »Study Questions« behutsam in Watte packen, gleicht der Studienanfang an deutschen Unis eher dem Sprung ins kalte Wasser. Entweder man schwimmt, oder man geht eben unter. Diese Freiheit ist für viele Fluch und Segen zugleich. Allzu leicht kann das kritisch-selbstständige Denken in redundante Grübelei umschlagen. Gerade bei Hausarbeiten ist es ein weit verbreiteter Fehler, deren inhaltliche Bedeutung zu überhöhen. Statt sich ganz pragmatisch am Terminplan zu orientieren, feilen wir ewig an der Thematik herum. Der ganz große Wurf soll es werden. Schließlich ist er die eigene kreative Leistung, ein Spiegel der eigenen Persönlichkeit. Genau das ist Quatsch. Und eine fatale Selbstüberschätzung. Niemanden interessiert nach der Notenvergabe je wieder, was Student XY zu Kants Transzendentalphilosophie zu sagen hat. Im besten Fall erfüllt der Essay seinen eigentlichen Zweck, nämlich XY dank guter Note eine Stufe weiter Richtung Abschluss zu hieven. Vielleicht sollte man sich von den europäischen Nachbarn etwas Pragmatik abschauen. Wenn man sich thematisch verrannt hat, ist es zuweilen besser, das alte Projekt aufzugeben und es mit einem ganz neuen Thema zu versuchen, statt die
zigste Verlängerung zu beantragen. Das eigene Scheitern einzugestehen kränkt zwar das Ego, kann aber auch sehr befreiend sein. Nur wer sich von dem Anspruch verabschieden kann, mit seiner Hausarbeit ein Selbstporträt der eigenen Persönlichkeit und deren Potenzial zu schreiben, hat gute Chancen, sich besser, weil objektiver seinem Thema zu nähern. Wir Aufschieber sind verkappte Idealisten. Damit sollten wir auf hören. Am besten schon heute, nicht erst morgen. Hanna Dede verirrte sich in den Sitzungsraum der FURIOS und hat den Ausweg bisher noch nicht gefunden. Sie versteckt sich dort vor ihrer Masterarbeit.
08
Schuld
»Niemand hat moralisch eine weiße Weste«
Strafrechtler Gerhard Seher beschäftigt sich täglich damit, wer schuldig ist und wer nicht. Wie sich Schuld dagegen anfühlt, erforscht die Philosophin Hilge Landweer. Ein Gespräch über die Facetten der Schuld. Text: Melanie Böff Fotos: Christoph Spiegel
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URIOS: Laut einer Studie an der Universität Erlangen fordert ein Drittel der dortigen Jurastudenten die Todesstrafe zurück, die Hälfte f indet Folter teilweise angemessen. Das passt nicht so recht zum liberalen und humanistischen Image der Studenten. Hat sich unser Schuldverständnis geändert? Hilge Landweer: Das Schuldverständnis hängt davon ab, welche Vorstellungen von Vergeltung in einer Gesellschaft akzeptiert werden. In dieser Hinsicht lässt sich derzeit beobachten, dass der Ton schärfer wird, weil sich auch auf internationaler Ebene die Verbrechen geändert haben – Terrorismus, Folter und demütigende Darstellungen in Videos. Solche Taten rufen Empörung hervor. Wie alle Menschen, reagieren auch Studierende da emotional. Gerhard Seher: Genau. Das sind impulsive Reaktionen auf einzelne, besonders scheußliche Straftaten. Denn der Sinn für
die Angemessenheit von Bestrafungen hängt auch immer ab von den Erfahrungen und Erlebnissen der jeweiligen Generationen. Die Todesstrafe nach den Erfahrungen des Zweiten Weltkriegs abzuschaffen, ging schnell. Je länger diese Erfahrung aber zurück liegt, desto offener gehen viele wieder mit dieser Frage um. Natürlich gibt es leider auch »Vorbilder«. Landweer: Ja, die USA. Inwiefern? Seher: Laut einer Studie sind vier Prozent der Todesurteile in den USA Fehlurteile. Das sollte eigentlich abschrecken. In Bezug auf die Todesstrafe sind die Amerikaner also eher ein schlechtes Vorbild. Landweer: Da haben Sie eine große Verantwortung, Ihren Studierenden andere Vorbilder zu geben als die USA. Seher: Es ist tatsächlich eine Schwierigkeit im Jurastudium, dass das Sanktionenrecht nur nebenher gelehrt wird. Die
Studierenden müssen es extra wählen. Was es also im Einzelfall bedeutet, eine Todesstrafe zu verhängen und zu vollstrecken – darüber macht sich ein Jurastudent nur wenig Gedanken. Warum verstehen wir unter Schuld offenbar alle etwas anderes? Seher: Schuld ist nicht etwas Objektives, sondern ein Werturteil. In jedem Einzelfall muss das mit dem Ziel der Angemessenheit über die Täter verhängt werden. Landweer: Es gibt aber zwei unterschiedliche Arten von Schuld. Die eine wird in rechtlichen Verfahren überprüft und hergestellt. Die moralische Schuld muss ich dagegen mit meinem individuellen Gewissen vereinbaren. In der Sache gibt es aber viele Überschneidungen bei rechtlichen und moralischen Verstößen. In beiden Fällen können wir die gleichen Gefühle haben: Schuld, Scham, Empörung, Zorn. Das sind neben der Achtung
Prof. Dr. Gerhard Seher
Prof. Dr. Hilge Landweer
Fachbereich: Rechtswissenschaft
Fachbereich: Philosophie
An der FU seit 2011
An der FU seit 2007
Schwerpunkte: Strafrecht, Strafverfahrensrecht und Rechsphilosophie (u.a. die Legitimation von Strafrecht und Strafe)
Schwerpunkte: u.a. Interdisziplinäre Geschlechterforschung, Praktische Philosophie, Forschung zu der Philosophie der Emotionen
Aktuelle Forschung: u.a. zu Dogmatik und Theorie strafrechtlicher Zurechnung, Legitimation von Strafrecht und Strafe
Aktuelle Forschung: u.a. zum Sinn für Angemessenheit, Normativität und Gefühle (»Languages of Emotion«)
Schuld
09
die wichtigsten moralischen Gefühle aus meiner Sicht. Wo liegt der Unterschied zwischen Schuld und Scham? Landweer: Wer sich schämt, möchte am liebsten im Boden versinken. Dies zeigt, dass die Scham plötzlich kommt und es aus der Situation kein Entrinnen gibt. Das ist das Entsetzliche an der Scham. Schuld fühlt sich dagegen bohrend an, sie nagt dauerhaft. Während sich Scham auf das eigene Scheitern an einer Norm bezieht, richten sich Schuldgefühle eher auf den anderen, gegenüber dem man schuldig geworden ist. An dieser Stelle setzt der Impuls zur Wiedergutmachung beim Täter ein. Es gibt fatale Fälle, in denen dies aber nicht möglich ist und auch keine Verzeihung erlangt werden kann. Genau dann bleibt das Schuldgefühl weiter bestehen. Das scheint besonders dann zuzutreffen, wenn die Taten lange zurückliegen und ganze Gesellschaften betreffen. Hierzulande wird das Thema Schuld immer wieder diskutiert. Tragen wir Deutsche eine historische Schuld? Landweer: Es ist sinnlos, dass wir heute deswegen Schuldgefühle haben. Es kommt vielmehr darauf an, dass wir die Erinnerung wachhalten und uns zu fragen, wie wir uns in einer vergleichbaren Situation verhalten würden. Seher: Wir sind diejenigen, die noch nah an diesen Erfahrungen sind und die dafür sorgen können, dass den folgenden Generationen eingef leischt wird, was passieren kann und was nicht passieren darf. Das hat eher etwas mit kollektiver Verantwortlichkeit zu tun. Aber Schuld? Nein!
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Schuld
Vielen Studierenden sind Nachhaltigkeit und Fairness wichtig. Sie wollen die Ausbeutung von Textilarbeitern nicht unterstützen. Aus f inanziellen Gründen kaufen viele aber trotzdem solche Kleidung und fühlen sich deshalb schuldig. Seher: Ich weiß gar nicht, warum es hier um Schuld gehen sollte. Die Komplexität der Welt ist zu groß, um das richtige Handeln in solchen Fällen klar sehen zu können. Landweer: Die Schuld von Studenten, die wenig Geld haben und deshalb als Konsumenten auf solche Waren zurückgreift, finde ich moralisch nicht besonders schlimm. Niemand hat moralisch eine vollkommen weiße Weste. Das heißt nicht, dass man mit seinen moralischen Bemühungen auf hören sollte. Die müssten hier aber eher zu politischer Tätigkeit führen. Treibt einen nur die Privilegienschuld an, finde ich das problematisch. Privilegienschuld? Landweer: Privilegienschuld ist die Schuld eines gut situierten weißen Mittelständlers, die wissen, dass sie auf Kosten der Dritten Welt leben. Es ist rational, an diesen Verhältnissen politisch zu arbeiten, aber es ist irrational, sich ständig für alles schuldig zu fühlen. Natürlich ist niemand allein verantwortlich für die Ausbeutung der Dritten Welt. Die Rädchen halten wir durch den Kauf solcher Produkte aber trotzdem am Laufen. Arrangieren wir uns also mit einer indirekten Schuld an solchen Verhältnissen? Seher: Noch einmal: Ist das Schuld oder doch eher ein schlechtes Gewissen? Schuld hat, wer etwas falsch gemacht hat. So wie Sie aber die Situation beschreiben, handelt es sich um schlechtes Gewissen. Da ist die Frage, wie sehr es uns belastet.
Landweer: Es wäre etwas anderes, wenn man bei einer Firma arbeiten würde, die Kleidung aus solch ausbeuterischen Arbeitsverhältnissen bezieht. Nicht nur als studentische Aushilfe, sondern länger. Das wäre dann eher ein Problem. Die Frage lautet: Wie viel Freiheitsspielraum hat wer in welcher Situation? Dafür kann man keine allgemeinen Regeln aufstellen, das muss von Fall zu Fall sich ansehen. Also, müssen wir uns mit diesen Verhältnissen abfinden, weil die Welt zu kompliziert ist? Seher: Tatsächlich ist es in manchen Fällen einfach. Wer Massentierhaltung nicht unterstützen will, kauft eben keine Billighähnchen mehr. Aber gerade die angesprochenen wirtschaftlichen Verf lechtungen der Textilbranche sind so komplex, dass man gar nicht sicher wissen kann, wie man sich richtig verhalten soll. Wer sich davon zu sehr runter ziehen lässt, verbessert weder die Welt noch sein kurzes Leben. Das Befüllen ihres Autorenkastens hasst Melanie Böff jede Ausgabe aufs Neue. Auch dieses Mal versuchte sie sich, davor zu drücken... vergeblich.
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Auf Knochen gebaut
Der Campus Dahlem ist ein Ort der Wissenschaft – und ihrer Abgründe. Während der NS-Zeit wurde in einigen Gebäuden Rassenforschung betrieben. Die Spuren davon ragen bis in den heutigen Uni-Alltag hinein. Text: Alexandra Brzozowski Illustration: Angelika Schaefer
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uni 2014: Ein Knochenfund auf dem Gelände der FU. Bei Sanierungsarbeiten an der Universitätsbibliothek wurden im Sommer dieses Jahres menschliche Überreste gefunden. Noch bevor die Polizei ein Statement veröffentlicht, entsteht ein düsterer Verdacht. Einige Meter entfernt stand vor einem halben Jahrhundert das Kaiser-Wilhelm-Institut für Anthropologie, menschliche Erblehre und Eugenik, das tief in die nationalsozialistische Rassenforschung verstrickt war. Hierhin schickte der KZ-Arzt Josef Mengele Organe, Blutproben und Leichenteile von Häftlingen aus dem Vernichtungslager Auschwitz zur weiteren Untersuchung und Auswertung. Die entdeckten Knochen – ein Schatten der Vergangenheit? Das rechtsmedizinische Gutachten der Polizei ergab, dass es sich bei diesem Fund um menschliche Knochenfragmente handelt. »Die Rechtsmediziner gehen von einer Liegezeit im Erdreich »von mehreren Jahrzehnten« aus«, erklärte die FU kürzlich. Es bleibt Raum für Spekulationen. Die Freie Universität, wie sie heute besteht, war an den Verbrechen des NSRegimes nicht beteiligt. Sie wurde erst nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges gegründet. Doch schon vor rund 100 Jahren forschte die Kaiser-WilhelmGesellschaft (KWG) auf ihrem Gelände und in ihren heutigen Gebäuden. Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 wurden einige der
Dahlemer KWG-Institute in die Dienste der Kriegs- und Rassenforschung gestellt. Herausragende Wissenschaftler – unter ihnen Namen wie Albert Einstein oder Lise Meitner – wurden nach Durchsetzung der Rassengesetze gezwungen, die Institute zu verlassen, einige f lüchteten ins Exil. Viele derjenigen, die blieben, stellten sich – direkt oder indirekt – in die Dienste der neuen Machthaber. Das Kaiser-Wilhelm-Institut (KWI) für Chemie beispielsweise, das heute das biochemische Institut der FU beherbergt, wurde während des Zweiten Weltkriegs dem Militär unterstellt und in das sogenannte »Uranprojekt« eingebunden. Unter diesem Namen forschte die Wehrmacht über die Anwendungsmöglichkeiten der Kernspaltung: als Energiequelle, vor allem aber als Waffe. Gemeinsam mit dem KWI für Physik verfolgten die Forscher das Ziel einer deutschen Atombombe. Vor allem aber das KWI für Anthropologie, menschliche Erblehre und Eugenik war eng mit dem Naziregime verbunden. Schon im Sommer 1933 verkündete Institutsgründer Eugen Fischer, dass sein Institut »voll und ganz für die Aufgaben des jetzigen Staates zur Verfügung« stehe. Mediziner und Genetiker forschten hier zu Fragen der Humangenetik und »Rassenhygiene«. Auf dem Dachboden des Gebäudes lagerten Mengeles eingesendete Proben. Heute sitzen in diesem Gebäude die Politikwissenschaftler und Studierenden des Otto-Suhr-Instituts.
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Schuld
Dass die Alliierten nach dem Zweiten Weltkrieg die Auf lösung der KaiserWilhelm-Gesellschaft anordneten, bedeutete für viele Institutsmitarbeiter lediglich eine kurze Leerphase in ihrer Lauf bahn. Zwar verloren 349 Mitglieder des Lehrkörpers im Zuge der Entnazifizierung ihre Stellen. Dennoch gelangten viele von ihnen in den folgenden Jahren wieder zu angesehenen Positionen im Wissenschaftsbetrieb. Ihre Mitwirkung an NS-Verbrechen wurden juristisch selten aufgearbeitet. Kaum einer musste sich vor Gericht verantworten. So auch Eugen Fischer. Sein Mitwirken an der nationalsozialistischen Eugenik bedeutete nicht das Ende seiner Karriere. Auch nach Kriegsende nahm er an Tagungen teil, wurde 1952 gar Ehrenmitglied der deutschen Anthropologie und der deutschen Gesellschaft für Anatomie. Noch in den 1960er-Jahren wurden seine Bücher verlegt und seine Theorien an deutschen Universitäten gelehrt. Kein Einzelfall. Auch wenn sie einige Gebäude der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft übernommen hat – die Freie Universität ordnet sich dezidiert nicht in deren Tradition ein. Ihr Gründungsimpuls, so ein Sprecher der Universität, sei vor allem von Studierenden und Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern ausgegangen, die sich »nach den bitteren Erfahrungen der nationalsozialistischen Diktatur für Freiheit
und Demokratie engagierten«. Sie wollten frei von politischem Einf luss an der Freien Universität lernen, lehren und forschen. Auch Philosophie-Professorin Hilge Landweer sieht für die FU keine direkte Schuld für die Rassenforschungen. »Die FU wurde 1948 gegründet und ist deshalb nicht für diese Forschung verantwortlich«, erklärt sie. Aber gerade die Universität sollte die Geschichte ihrer Gebäude zweifellos aufarbeiten, findet Landweer. »Sie kann sich sicherlich nicht darauf ausruhen, dass sie immer schon besonders liberal und eher links war«, sagt sie lachend. In manchen Aspekten sei die Universität das vielleicht noch. »Aber das sollte einen nicht hindern, sich mit der Geschichte auseinander zu setzen. Im Gegenteil: Es ist ein Auftrag«. Am Otto-Suhr-Institut geschieht das zumindest von Außen schon - eine Gedenktafel erinnert an die Vergangenheit seiner Räume. »Wissenschaftler haben Inhalt und Folgen ihrer wissenschaftlichen Arbeit zu verantworten« steht am Eingang in großen Lettern. Eine Mahnung an alle Forschenden.
Alexandra Brzozowski studiert Publizistik und Politikwissenschaft. Sie reist viel und gerne. Auch mal durch die Vergangenheit.
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Sind wir unseren Eltern etwas schuldig?
Rund 87 Prozent der Studierenden in Deutschland werden von ihren Eltern finanziell unterstützt. Was ergibt sich daraus – Schuldgefühle, Verpflichtungen? Oder einfach nur Dankbarkeit? Wir haben FU-Studenten gefragt. Umfrage: Marie Halbich und Mareike Edler Fotos: Marie Halbich und Christoph Spiegel
Kevin Klug, 20 Jahre, Politikwissenschaft »Ich finanziere mich fast ausschließlich selbst. Aber bei größeren Anschaffungen oder der Wohnungskaution greifen mir meine Eltern unter die Arme. Schuldig fühle ich mich deswegen nicht, aber ich achte darauf, dass meine Studiendauer im Rahmen bleibt. In Bezug darauf heißt es aus der Familie sonst, »Ach so lange studierst du schon? Müsstest du nicht bald mal fertig werden?« Die Semesterzahl für den Bachelor sollte vielleicht einstellig bleiben.« Hayal, 20 Jahre, Jura »Meine Eltern möchten schon gerne, dass ich studiere und das Studium soll ich dann auch abschließen. Aber Ihre finanzielle Unterstützung dabei hängt nicht davon ab, was ich studiere. Jetzt, da ich mich für Jura entschieden habe, träumt mein Vater davon, dass ich später einmal Staatsanwältin werde. Aber ich selbst habe mich da noch nicht festgelegt, mit einem Jura-Examen werde ich später ja sehr viele Möglichkeiten zur Auswahl haben.« Marie Keinert, 22 Jahre, Psychologie »Schuldig? Nein, nicht wirklich. Aber ich bin froh, dass meine Eltern mich unterstützen, denn ich hätte nicht wirklich Zeit nebenher zu arbeiten. Manchmal habe ich aber doch ein schlechtes Gewissen, wenn ich sehe, wie viel meine Eltern arbeiten. Ich weiß gar nicht, ob ich tatsächlich so viel Geld brauche, wie ich bekomme. Sie sind sehr großzügig. Ich habe mein erstes Studium abgebrochen und etwas Neues angefangen. Sogar das war für sie überhaupt kein Problem.« Cecilia Kilimann, 20 Jahre, Politikwissenschaft »Nein, schuldig fühle ich mich nicht, auch wenn meine Eltern mich finanziell unterstützen. Es ist auch nicht so, dass sie eine feste Anzahl von Besuchen von mir erwarten. Wenn ich nach Hause fahre, dann weil ich gerne bei meiner Familie bin. Trotzdem versuche ich, meiner Familie nicht unnötig zur Last zu fallen. Ich bekomme ein Stipendium und gehe zusätzlich arbeiten. Ein schlechtes Gewissen hätte ich eher, wenn ich das Geld meiner Familie für Partys aus dem Fenster werfen würde.« Fabian Meusel, 23 Jahre, Mathematik »Ich fühle mich nicht unbedingt schuldig. Aber ich bin finanziell schon eine Belastung für meine Eltern. Sie unterstützen sogar drei Geschwister. Letztes Jahr hatte ich außerdem eine Gerichtsverhandlung, für die meine Eltern alle Kosten getragen haben. Da habe ich mich dann eher schlecht gefühlt. Aber was das Studium angeht, habe ich kein schlechtes Gewissen. Meine Eltern wollten ja, dass ich studiere. Es ist nicht so, dass ich besonders scharf darauf war – meine Eltern haben mich da auch ein bisschen hingedrängt.«
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Risikoanlage Studium
Wer mit anhaltenden Geldsorgen studiert, tut sich schwer, seine beste Leistung abzurufen. Studienkredite sind eine Möglichkeit, sich finanziellen Spielraum während des Studiums zu schaffen. Risikofrei sind sie allerdings nicht. Text: Cecilia T. Fernandez Illustration: Angelika Schaefer
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artina brauchte mehr Geld. Obwohl sie neben dem Studium arbeitete, Bafög bezog und etwas Unterstützung von ihrem Vater bekam – vor drei Jahren reichte es nicht zum Leben. Sie nahm einen Studienkredit auf. Insgesamt 3400 Euro schuldet sie heute ihrer Bank. 2011: Martina sieht dem Ende ihres Bachelorstudiengangs entgegen. Die Erziehungswissenschaftlerin weiß genau, was sie danach machen will: Motologie studieren. Der Studiengang erforscht das Zusammenspiel zwischen Bewegung und Psyche. Durch den Abschluss wird sie ihre beruflichen Wünsche verwirklichen und bewegungstherapeutisch mit Kindern arbeiten können. Doch: Nur eine einzige deutsche Universität bietet diesen Masterstudiengang an. Die Universität Marburg. Für die in Berlin lebende Erziehungswissenschaftlerin ist das ein Problem. Für dieses Studium nahm Martina vor drei Jahren einen Kredit bei der Bank auf. 200 Euro monatlich sollten ihr helfen, ihr neues Leben zu finanzieren. Denn Martina hatte sich entschieden, zwischen Hessen und Berlin zu pendeln. Montag bis Mittwoch studierte sie in Marburg. Den Rest der Woche verbrachte sie in der Hauptstadt. Zwei Jahre mit ständigen Bahnfahrten und doppelter Miete. Den Stress nahm sie aus gutem Grund auf sich: Martinas Sohn war damals erst drei Jahre alt. Ihm wollte sie die Trennung von seinem Vater und seinem gewohnten Umfeld nicht zumuten. Doch ihn nur in den Ferien und an den Feiertagen zu sehen, kam für die junge Mutter nicht in Frage. Außerdem sei ihr ganzes Leben in Berlin verwurzelt gewesen. Ihre Geschwister, ihre Freunde lebten hier.
Schon in den ersten Monaten dieses neuen Lebens merkte Martina, dass ihre Einkünfte nicht ausreichten. Doch woher sollte mehr Geld kommen? Als eines von vier Geschwistern konnte sie nicht mehr Geld von ihrem Vater verlangen. Mehr arbeiten wollte Martina nicht: »Ich hatte schon mal erlebt, was es heißt, überbelastet zu sein, sich ausgebrannt zu fühlen. Das wollte ich nicht noch einmal erleben«, sagt sie. Auch wenn die 200 Euro im Monat, die sie durch den Studienkredit bekam, nicht viel waren Martinas Leben machten sie damals spürbar einfacher. Iris Altheide ist mit solchen Situationen vertraut. Sie arbeitet seit 2002 für die Sozialberatung des Berliner Studentenwerks. In ihr Büro an der FU kommen Studierende mit allen Anliegen rund um ihr Studium. Meist stellen sie ganz praktische Fragen. Immer wieder eine davon: »Wie finanziere ich mein Leben?« »Grundsätzlich haben viele Studierende keine gesicherte Studienf inanzierung. Zumindest nicht von Anfang bis Ende«, erklärt Altheide. Pläne ändern sich im Laufe der Semester, die Studienzeit verlängert sich – schnell werden neue Geldquellen notwendig, um sich über Wasser zu halten. Etwa vier Fünftel der Studierenden erhalten laut Erhebungen des Berliner Studentenwerks Unterhalt von ihren Eltern. Mehr als zwei Drittel arbeiten nebenbei. Nur sechs Prozent hingegen nutzen einen Studienkredit. Doch die Kredite werden immer attraktiver. Zwar ist Deutschland von amerikanischen Verhältnissen noch weit entfernt. Dort beträgt die durchschnittliche Verschuldung eines Bachelorstudenten umgerechnet mehr als 16.000 Euro. Doch das Centrum für
Hochschulentwicklung (CHE) geht von rund 60.000 Neuverträgen pro Jahr aus, Tendenz steigend. Die meisten deutschen Kreditinstitute führen mittlerweile spezielle Angebote für Studierende. Sie bieten feste Zinssätze und Karenzphasen zwischen Studienende und Tilgungsbeginn, die Zeit für den Berufseinstieg lassen. So werden die Kredite nicht nur sicherer, sondern auch verlockender. Denn die Banken versprechen schnelles Geld, dessen Abbezahlung später bei einem vollen Gehalt nicht zur Last fällt. So plante es auch Martina: »Die 200 Euro waren in dem Moment eine große Entlastung. Und wenn ich erst einmal in Vollzeit arbeite, werden die Zahlungen mich nicht zu sehr belasten, dachte ich damals.« Geld in die eigene Bildung investieren, mit den Renditen des guten Abschlusses die entstandenen Schulden tilgen: Eine Rechnung, die viele machen, bevor sie einen Kredit aufnehmen. Eine Rechnung, die nicht immer aufgeht. Wer einen Studienkredit beispielsweise zu lange vor dem geplanten Abschluss aufnimmt, gerät schnell in eine unbequeme Lage: Noch bevor die erste Bewerbung versendet ist, flattern dann schon die Zahlungsaufforderungen durch den Briefschlitz. Die Gefahr der Überschuldung ist dann groß. Deshalb hielt sich Martina strikt an ihre Regelstudienzeit. Pünktlich zum Beginn ihrer zweijährigen Karenzzeit hatte sie ihr Studium abgeschlossen. Das geliehene Geld betrachtete sie daher als zeitlich beschränkte Investition in ein Ziel, das ihr teuer war. Nebenbei arbeiten musste sie weiterhin, auch das Bafög und die Hilfe von ihrem Vater blieben ihr erhalten. Nur wenn alle Beträge zusammenkamen, konnte sie all
Schuld
ihre Rechnungen begleichen. Ein bequemes Studentenleben führte sie trotz Kredit nicht. Seit fast einem Jahr ist Martina wieder in Berlin – und sucht einen Job, der ihr endlich finanzielle Sicherheit bieten soll. Ihren Kredit muss sie erst ab Februar 2016 abbezahlen. Dennoch: Der Gedanke daran, dass sie zu Tilgungsbeginn noch auf der Jobsuche sein könnte, macht sie ein wenig nervös: »Ich denke schon daran, dass ich dieses Geld zurückzahlen muss«, gesteht sie. »Bei Bewerbungsgesprächen ist das auch etwas, das mir durch den Kopf geht.« Doch Martina fängt sich schnell. Sie ist zuversichtlich, die richtige Entscheidung getroffen zu haben: »Sich ständig Geldsorgen machen zu müssen, ist einfach zu anstrengend. Das raubt einem selbst die Kraft, die man eigentlich ins Studium stecken könnte.« Sie ist froh, sich die Entlastung gegönnt zu haben. Nur die Jobzusage, die darf nicht mehr lange auf sich warten lassen. Mehr Informationen zu Studienkrediten findet Ihr unter: http://fucampus.de/studienkredite.
Wenn sie nicht gerade an FURIOS arbeitet, bloggt Cecilia T. Fernandez auf cecilia.io.
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Schuld
Fabian Eichentopf, 19, studiert Politikwissenschaft an der FU und sitzt bei den Jungen Liberalen im Landesvorstand.
4 aus 40.000 An der FU tummeln sich täglich vierzigtausend Menschen. Vier davon verrieten uns, was sie sich zuletzt zu Schulden kommen ließen. Text: Alice Herzog und Celine Zeck Fotos: Alice Herzog
»Ich habe rücksichtslos und egoistisch gehandelt«
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ch war bis vor kurzem in Amerika und habe dort bei einer sehr religiösen Familie gelebt. Wir sind regelmäßig zusammen in eine kleine protestantische Kirche gegangen. Dazu muss man wissen, dass ich damals absoluter Atheist war. Ich habe mich dementsprechend verhalten und mich bewusst über bestimmte Aspekte des Glaubens lustig gemacht. Durch mein Benehmen im Gottesdienst bin ich öfter mit meinem Gastbruder aneinander geraten: Ich gab mir zum Beispiel keine Mühe, mich mit Worten wie »verdammt« in der Kirche zurückzuhalten. Leider habe ich erst ziemlich spät realisiert, dass ich mich meiner Gastfamilie und ihrer Religion gegenüber sehr respektlos verhalten habe. Ich habe einfach rücksichtslos und egoistisch gehandelt. Inzwischen bin ich mir meiner Schuld bewusst geworden und habe daraus gelernt. Atheist bin ich seit dem nicht mehr. Ich versuche nun anderen Leuten aufgeschlossener entgegenzutreten – auch wenn sie andere Wertvorstellungen vertreten, als ich selbst. Ich denke, dass das auch sehr meinem Studentenleben an der FU zugute kommt, da hier sehr viele verschiedene Strömungen und Denkweisen zusammentreffen.
Luna Fischer, 20, studiert im ersten Semester Philosophie sowie Publizistik- und Kommunikationswissenschaft.
Sara Han, 31, ist Theologin und arbeitet seit 2012 als Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Seminar für Katholische Religion der FU.
Prof. Dr. Timm Bönke, 35, ist Juniorprofessor für öffentliche Finanzen und forscht unter anderem zur Einkommensungleichheit.
»Ich hatte mir fest vorgenommen, mich zu melden«
»Wir sind weiterhin Schuld an der Ausbeutung«
»Im Wettbewerb um die Professuren kommt die Lehre oft zu kurz«
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ach dem Abitur bin ich mit der Aktion »Sühnezeichen Friedensdienste« für ein FSJ nach Südfrankreich gegangen, um in einem jüdischen Altersheim zu arbeiten. Die Arbeit mit den Menschen dort hat mich sehr geprägt. Aber vor allem auf der persönlichen Ebene bin ich den Bewohnern des Heims näher gekommen. Es ist etwas Besonderes, wenn Menschen sich einem anvertrauen. Aber es bringt auch ein Gefühl der Verpf lichtung mit sich. Zum Beispiel habe ich eine der Damen im Altersheim ganz besonders ins Herz geschlossen: Nach vielen Gesprächen hatte sich zwischen uns eine Freundschaft entwickelt. Als ich nach Berlin zurückkam, nahm ich mir fest vor, mich oft bei ihr zu melden. Aber im ganzen Trubel des Wiederkommens kam ich nicht dazu. Dann erreichte mich vor Kurzem eine Nachricht von einem ehemaligen Arbeitskollegen mit einem Foto und Grüßen von dieser Dame. Noch am selben Abend setzte ich mich hin und schrieb ihr einen Brief. Obwohl ich weiß, dass sie mir bestimmt nicht böse war, hatte ich doch das Gefühl, ihr das schuldig zu sein.
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n unserer Gesellschaft kommt es sehr schnell dazu, dass man sich schuldig macht. Im April 2013 berichteten die Medien über den Brand der Textilfabrik in Bangladesch. Wir erfuhren von den unwürdigen Umständen, unter denen die Menschen dort arbeiten, damit wir günstige Kleidung kaufen können. Wir haben uns eine Zeit lang Gedanken über unser Konsumverhalten gemacht. Schnell gerieten die Debatten über die Arbeitsbedingungen in Vergessenheit. Auch ich fühle mich schuldig, weil ich das Problem kurz nach dem Unglück wieder ausgeblendet habe. Aber brauche ich wirklich das zehnte T-Shirt für 9,95 Euro? Wir machen weiterhin bei der Ausbeutung mit und sind dadurch auch mitschuldig an der Lage der Arbeiter, jeder einzelne von uns. Als Theologin leitet mich aber das Prinzip der Nächstenliebe. Es heißt ja »liebe deinen Nächsten wie dich selbst.« Das bedeutet nicht, dass ich tatsächlich der Nächststehende sein muss, sondern dass ich erst durch mein Handeln, durch meine Menschlichkeit, für eine Person zum Nächsten werde. Wenn ich darauf nicht achte, mache ich mich anderen gegenüber schuldig.
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m beruf lichen Alltag fühle ich mich häufig schuldig. An der Uni gibt es eine Sparrunde nach der anderen, ich als Juniorprofessor habe einen befristeten Vertrag. Mein beruf licher Erfolg hängt langfristig von der Einwerbung von Drittmitteln und vor allem von exzellenten Forschungsergebnissen ab und leider nicht so stark von guter Lehre. Dabei sollten wir Professoren die Lehre als genauso wichtig erachten. Mir persönlich macht die Lehre auch viel Spaß. Aber mein Zeitbudget ist beschränkt. Im Wettbewerb um die Professuren kommt die Lehre oft zu kurz. Um später eine unbefristete Professur zu bekommen, muss man seine Zeit gut einteilen und die meiste Zeit in Forschungsprojekte investieren. Dann ist es oft so, dass ich vor den Studenten stehe und denke: »Leider war meine Vorlesung nicht perfekt. Ich könnte mehr auf die Studierenden eingehen.« Auch wenn das eigentlich durch das gesamte System verursacht wird, fühle ich mich in solchen Fällen ihnen gegenüber schuldig. Meine eigenen Ansprüche an mich selbst scheitern einfach an der Realität.
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Politik
Der Neue unter Alt Kaum jemanden überziehen die Studentenvertreter mehr mit Schmähungen als Klaus Hoffmann-Holland. Der Jura-Professor ist seit kurzem neuer Vizepräsident für Studium und Lehre an der FU. Text: Max Krause und Florian Schmidt Fotos: Christoph Spiegel
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enn Klaus Hoffmann-Holland aus dem Fenster blickt, weiß er, wofür er arbeitet. Zwei riesige Flaggen mit dem Logo der Freien Universität f lattern direkt vor seinem neuen Büro in der Kaiserswerther Straße 18. Hier, in den ersten Stock des Präsidialamts, ist der 43-jährige Jura-Professor im Sommer eingezogen. Als Vizepräsident für Studium und Lehre hält er für die nächsten vier Jahre alle Fäden in der Hand, die mit der Ausbildung der rund 35.000 FU-Studenten zu tun haben. Der Neue im Team von Präsident Peter-André Alt empfängt mit Mineralwasser und Kaffee. Das tailliert geschnittene weiße Hemd sitzt perfekt. Auf einen Schlips, wie er ihn sich zu wichtigen Sitzungen schon einmal etwas schlampig umbindet, verzichtet er im Alltag. Wenn er redet, lächelt er freundlich, er wirkt sympathisch. Kaum nachvollziehbar scheint das Bild, das einige studentische Hochschulpolitiker von ihm zeichnen. Für viele von ihnen ist HoffmannHolland ein Albtraum. Als »konservativen Hardliner« bezeichnen sie ihn, als »Bluthund des Präsidiums.« In einer Resolution des Studierendenparlaments vom Mai heißt es: »Dass ausgerechnet diese Person den Bereich Studium und Lehre betreuen soll, lässt uns fassungslos zurück.« Dem neuen Vize macht die harsche Kritik wenig aus. Lediglich der »Bluthund« trifft ihn anscheinend doch. »Diesen Begriff fand ich nicht passend«, sagt er. Hoffmann-Holland greift zu seinem Wasser, er schaut sich in seinem Büro um. Das Zimmer wirkt aufgeräumt, fast schon steril. Weder stapeln sich Bücher
auf der Fensterbank, noch liegen dicke Aktenordner auf den Tischen. Wer auf dem Parkettboden den Raum durchquert, hört seine Schritte nachhallen. Dass HoffmannHolland einmal hier, an der Spitze der FU landen würde, war nicht abzusehen. Nach dem Abitur im Saarland wollte er eigentlich Musik studieren. Erst während seines Zivildienstes rang er sich durch zu Jura. Damals betreute er Menschen mit schweren Behinderungen. »Da habe ich gemerkt, dass ich mich gerne für die Rechte anderer Menschen einsetze«, sagt er. 1993 begann er in Saarbrücken zu studieren. Das erste Staatsexamen legte er früher als die meisten seiner Kommilitonen ab. Später wechselte er nach Marburg, anschließend nach Gießen. Im Jahr 2000 veröffentlichte er seine Dissertation, damals noch unter dem Namen Klaus Hoffmann. »Den Namen meiner Frau habe ich erst später angenommen«, erklärt er. Der Grund: Verwechslungsgefahr. »2001 musste ich mir bei einer Tagung einmal die Redezeit mit einem Psychiater vom Bodensee teilen – weil wir denselben Namen hatten.« Es folgten Anstellungen als Richter in Rheinland-Pfalz und Lehraufträge in Kriminologie, unter anderem im englischen Warwick. Zwei Jahre nach seiner Habilitation im Jahre 2005 nahm er 2007 den Ruf an die Freie Universität an. »Hoffmann-Holland ist ein Karrierist«, sagt Marten Brehmer, der ihn als studentischer Vertreter der Jusos im erweiterten Akademischen Senat (AS), dem wichtigsten Gremium der Uni, kennengelernt hat. »Auch an der FU ist er die Leiter schnell hinaufgeklettert.« 2011, kaum drei
Jahre nach seiner Berufung saß der Jura-Professor zum ersten Mal im AS, drei weitere Jahre später ist er nun einer der vier FU-Vizepräsidenten. »Das neue Amt ist für ihn nur der nächste Karriereschritt«, sagt Brehmer. »Ein intrinsisches Interesse an der Verantwortung für Studium und Lehre hat er nicht.« So oder so ähnlich reden viele studentische Hochschulpolitiker über HoffmannHolland. Mit einigen geriet der Jurist während seiner Zeit im AS in Streit; zum ersten Mal krachte es bei der Debatte um die Rahmenstudien- und Prüfungsordnung (RSPO) vor zwei Jahren. Damals blockierten Studierende mehrere AS-Sitzungen, um sich gegen neue Regulierungen zur Wehr zu setzen. Am stärksten entzündete sich der Konf likt an den Vorgaben zu Prüfungswiederholungen und zur Anwesenheitspf licht. »Damals ist Hoffmann-Holland als absoluter Hardliner aufgetreten«, sagt ein Asta-Mitglied. »Er hat stets am lautesten nach strengeren Regeln für die RSPO gerufen.« Fragt man den neuen Vizepräsidenten nach dieser Zeit, bekommt man eine andere Geschichte zu hören. »Ich war nie für eine allgemeine Anwesenheitspf licht. Und ich bin auch kein konservativer Hardliner«, sagt er. Er klopft mit den Fingern auf den Glastisch. »Daran sehen Sie, wie schnell sich in der hochschulpolitischen Landschaft falsche Gerüchte verbreiten.« Seiner Aussage zum Trotz: Als der AS im März 2013 über die RSPO entscheidet, sorgte Hoffmann-Holland mit der professoralen Mehrheit für die Weiterführung der Anwesenheitspf licht. Entsprechend
Politik
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Vizepräsident Klaus Hoffmann-Holland vor dem Präsidiumsgebäude (links) und in seinem neuen Büro.
groß war der Unmut der Studierenden, als er im Mai dieses Jahres seine Kandidatur für das Amt des Vizepräsidenten bekannt gab – nicht zuletzt deshalb, weil er als Verfechter der Vorherrschaft der Professoren im AS gilt. Die vergleichsweise geringe Anzahl von Studierenden in dem Gremium hält er nicht für problematisch und verweist auf die öffentlich tagende Kommission für Lehrangelegenheiten (Kf L): »Dort stehen den Studierenden sogar 50 Prozent der Sitze zu.« Dass die Kf L keine Entscheidungen treffen kann, erwähnt er nicht. »Hoffmann-Holland rühmt sich gerne, den Austausch mit Studierenden zu suchen«, sagt Marten Brehmer. Zu Ergebnissen hätten diese Gespräche aber nie geführt. »Wenn er die Kf L so wichtig findet, warum ist er dann dort vor seiner Wahl zum Vize nie aufgetaucht?« Der Ton zwischen den Studi-Vertretern und dem neuen Vize ist ruppig. In seiner neuen Position muss sich Hoffmann-Holland allerdings nun anderen Dingen als dem gepf legten Streit widmen. Wichtige Umbrüche stehen an, etwa bei der Umstrukturierung der Lehramtsfächer. Stark wird ihn auch die Entwicklung eines Studium Generale beanspruchen, das neuen Erstsemestern eine Orientierungsphase bieten soll. Ob er sich vorstellen kann, diese Ziele auch als Präsident der FU zu verwirklichen? Hoffmann-Holland lacht. »Nein, aktuell ist das kein Thema«, sagt er. »Ich fange ja gerade erst als Vizepräsident an. Außerdem arbeite ich gern im jetzigen Präsidium unter der Leitung von Professor Alt.« Ausschließen will er es aber nicht, in einigen Jahren Alt zu beerben. Für Hoffmann-Holland wäre der Umzug ins Büro des Präsidenten keine allzu große Umstellung – zumindest was die Aussicht angeht. Auch vor den Fenstern des Präsidentenbüros wehen zwei FU-Flaggen.
Florian Schmidt und Max Krause wurden für ihre Artikel bei FURIOS auch schon viel beschimpft. „Bluthund“ hat sie allerdings noch niemand getauft.
Gesundheit in besten Händen.
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Politik
Im Couchcafé vor der Großen Mensa erwartete die Erstis das Programm der Kritischen Orientierungswoche
Aller Anfang ist Gehirnwäsche
Eine Kritische Orientierungswoche sollte dem Semesteranfang mehr Abwechslung einhauchen. Aber braucht die Uni wirklich noch mehr Erstitage – und wie politisch sollen diese sein? Text: Jannis Kettenring Foto: Christoph Spiegel
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ls im Marxismus-Seminar der Kritischen Orientierungswoche (Korfu) zum dritten Mal das Wort »Weltrevolution« fällt, blicken die Neulinge im Couchcafé vor der großen Mensa irritiert auf. Die alternativen Erstitage sollten in diesem Wintersemester das Angebot der offiziellen Erstitage ergänzen. Einen Verantwortlichen gab es nicht. Unterschiedliche linke Gruppen von der FU und außerhalb gestalteten das Programm. Das Ziel war, »interessierten Studierenden eine Möglichkeit bereitzustellen, sich zu informieren, freie Räume zum kritischen Denken zu ergreifen und sich in Strukturen zu integrieren«, schreibt die Korfu auf ihrer Homepage. Zu ihrer weiteren Arbeit hat sich die Gruppe auf Anfrage nicht geäußert. Von der ersten Veranstaltung an wurden die Erstsemester mit Flyern, Informationszetteln und Heftchen überhäuft. Viele davon griffen Themen auf, die mit dem Unialltag eher indirekt zu tun haben. So informierte die Korfu nicht nur über Hochschulpolitik und studentische Initiativen, sondern auch über Flüchtlinge, den Islamischen Staat, den Klimawandel und Nazis in Berlin. Die Korfu – ein unangemessener Versuch linker Gruppen, jungen Erstsemester ihr Weltbild aufzudrängen? Die Hochschulgruppen der Parteien stehen der Korfu kritisch gegenüber. »Wir fin-
den es schade, dass die politische Infiltration schon an der Eingangstür beginnt«, sagt Julian Senders vom Ring ChristlichDemokratischer Studenten (RCDS). Allerdings bietet der RCDS selbst Orientierungsveranstaltungen an: Bei einer Kneipentour konnten sich Erstis über die Arbeit der CDU-nahen Hochschulgruppe informieren – politisch sei es dabei nicht zugegangen, sagt zumindest Senders. Einen ähnlichen Ton schlägt die Liberale Hochschulgruppe (LHG) an. Von der Korfu halte sie nichts, sagt die Vorsitzende Sarah Euskirchen. »Dort wird nur eine Ideologie gepredigt und die Orientierungslosigkeit der Studierenden ausgenutzt.« Die FDP-nahe LHG selbst gibt jedes Jahr ein eigenes Erstsemesterheft heraus. »Der inhaltliche politische Austausch findet bei unseren Treffen statt«, sagt Euskirchen. Auch die Jusos informierten bei einer eigenen Orientierungsveranstaltung über ihre Tätigkeitsfelder. »Leider wird vielen Erstsemestern durch überfrachtete Lehrpläne und Notendruck die Möglichkeit genommen, sich zu engagieren«, sagt Marten Brehmer, Sprecher der SPD-Jugendorganisation. »Außerdem sind die undemokratischen Strukturen der Gremien wenig attraktiv.« Es scheint fast, als würde die erste Semesterwoche zur politischen Arena, in der die Parteien und Gruppierungen um die Gunst
der noch orientierungslosen Erstsemester rangen. Doch das Bild stimmt nur zum Teil – nicht alle Studierende werden von den Orientierungsangeboten erreicht. Manche gehen mit einer pragmatischen Einstellung an das Studium. So Jahne Nicolaisen, der gerade sein Bachelorstudium der Politikwissenschaft aufgenommen hat: »Ich bin nur zu den Veranstaltungen gegangen, die für mein Studium interessant waren.« Die Kritische Orientierungswoche sei ohnehin nur von Leuten besucht worden, »die sowieso Interesse an Themen wie Feminismus oder Kapitalismuskritik haben«, glaubt er. Andere wiederum bekommen von den Veranstaltungen einfach nichts mit. »Das mag auch daran liegen, dass ich im Fachbereich Veterinärmedizin nicht auf Bachelor studiere und deshalb nicht an der großen Einführungsveranstaltung der Erstsemester teilgenommen habe«, erzählt Julia Grawunder, Erstsemester in Veterinärmedizin. Politisch sei es an ihrem Fachbereich nicht zugegangen.
Als bei einer Rallye am OSI Erstis für ein Foto laut „Kommunismus!“ rufen mussten, beschloss Jannis Kettenring über Politisierung zu schreiben.
Politik
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Rechts herrscht Ruhe Den Studi-Ausweis und gleichzeitig das NPD-Parteibuch in der Tasche – an vielen deutschen Unis sind rechte Studierende bereits durch linke Gruppen geoutet worden. Was ist mit den Rechten an der FU? Text: Sophie Krause Illustration: Snoa Fuchs
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ls im Dezember 2013 eine Gruppe Antifa-Aktivisten an der Uni Bochum einen Hörsaal stürmte und dort einen jungen Mann als hochrangigen Parteikader der Neonazi-Partei »Die Rechte« entlarvte, tauchte ein bislang nahezu unsichtbarer Studententypus auf dem universitären Radar auf: der Rechtsradikale. »Mein Kommilitone, der Nazi?«, fragte ein Zeitungsartikel. In Bielefeld und Hannover kam es an den Unis zu ähnlichen Vorfällen. An der FU wurde der Politikstudent Lion Edler Ende 2013 von Unbekannten am Fachbereich Politikwissenschaft durch ein Flugblatt denunziert. Darauf zu sehen: Private Bilder von Edler, seine E-Mail Adresse und Handynummer. Edler schreibt unter anderem für rechte Zeitungen wie die »Junge Freiheit« und die ihr nahestehende Monatsschrift »eigentümlich frei«. Außerdem ist er Mitglied in der Alternative für Deutschland (Af D). Sein Weltbild bezeichneten die anonymen Urheber des Flugblatttes als »gefestigtes (extrem) konservatives bis nach ganz rechtsaußen offenes«. Er selbst besteht auf eine Einordnung als rechts-konservativ. Linke Hochschulgruppen und studentische Initiativen prägen an der FU den Uni-Alltag. Nazis mit Glatzen und Springerstiefeln sucht man hier vergeblich. Edler gehört somit zu einer schwer schätzbaren politisch rechten Minderheit. Laut der aktuellen Studierendenumfrage des Bildungsministeriums stufen sich drei Prozent der Studenten als »stark bzw. extrem rechts« ein; zehn Prozent von ihnen bezeichnen sich als »eher rechts«. Seit 1993 haben sich diese Zahlen quasi nicht verändert. Zum Vergleich: 20 Prozent der Studenten bezeichnen sich als »stark bzw. extrem links«. Diese Zahl ist allerdings kleiner geworden. 25 Prozent der Studenten stufen sich konstant als »eher links« ein. Im Fall von Lion Edler waren aller Wahrscheinlichkeit nach kleinere linke Gruppen
für das Outing verantwortlich. Der Asta der FU solidarisierte sich allerdings und lobte die “engagierte Flyeraktion”. Ein Fall, in dem der Asta wie die Antifa in Bochum ein studentisches Mitglied einer rechtsradikalen Partei öffentlich gemacht hat, ist bislang nicht bekannt. Über konkrete Vorfälle wisse man nichts, erklärt eine ehemalige Referentin für Antifaschismus und Internationalismus. Eine Anfrage zum Umgang mit rechten Studenten und deren Outings ignorierte das Antifa-Referat. Indes ist das Sammelbecken für Rechte größer geworden: Seit dem Aufstieg der Af D ist eine rechte Gesinnung auch in der Mitte der Gesellschaft keine Seltenheit mehr. Eine Partei für diejenigen, denen die CDU zu mittig wurde und die NPD zu radikal ist, findet auch unter Studenten Anklang. Ein Af D-Mitglied, das an der HU studiert, hat eine klare Antwort auf die Zurückhaltung gleichgesinnter Kommilitonen: »Wer hat schon Lust, ständig auf dem Campus bedroht zu werden?« Kein Wunder: Lion Edler wurde nach seiner
Denunziation von vielen seiner Kommilitonen gemieden und in einem Seminar sogar sabotiert. Ein freiwilliges Bekenntnis hält er daher für undenkbar. Wie sollen Unis auf diese Outings reagieren? Für die FU steht fest: »Politischer Extremismus hat an der Freien Universität Berlin keinen Platz.« Dennoch werde nur »bei strafrechtlich relevanten Aktivitäten« oder bei einer Störung des Unibetriebs der Einzelfall und eine Exmatrikulation überprüft, so die Pressestelle. So bleibt das Thema weiterhin den linken Gruppen überlassen. Die haben nicht viel zu tun: Die gemutmaßte kleine rechte Minderheit gibt sich nicht zu erkennen. Und wenn doch, dann zählt sie sich selbst zur “neuen Rechten” und gibt sich mit rechtskonservativen Positionen salonfähig.
Nach der Recherche für ihren Artikel verließ Sophie Krause das Land und ging ins französische Exil.
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Politik
Das bisschen Haushalt
Der Rechnungshof bemängelt die Kontoführung der FU. Obwohl einige Missstände beseitigt wurden, wirft die sogenannte Geheimkonten-Affäre weiter Fragen auf. Text: Francis Laugstien Illustration: Snoa Fuchs
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er Aufruhr war groß, als der Landesrechnungshof (LRH) der FU in seinem Jahresbericht 2014 »gravierende Rechtsverstöße« vorwarf. Besonders brisant: Von 108 Millionen Euro, die Ende 2011 auf sogenannten Verwahrkonten lagerten, hätte die Uni 40 Millionen eigentlich dem Haushalt zuführen müssen. Die Summe setzte sich größtenteils aus Einnahmen aus Grundstücksverkäufen, Drittmitteln und Gebühren von Studierenden zusammen. Der Rechnungshof monierte außerdem, dass das Geld in einigen Fällen gewinnbringend angelegt wurde. Inzwischen hat die Uni die Erwartungen des LRH teilweise erfüllt. Viele der beanstandeten Rücklagenkonten seien dem Haushalt zugeführt oder gelöscht worden, erklärte ein FU-Sprecher. Der LRH bestätigte dies. Ausgestanden ist die Angelegenheit damit aber noch nicht. Zwar wiesen beide Seiten die in den Medien verwendete Bezeichnung »Geheimkonten« zurück. In wichtigen Fragen besteht aber weiterhin Uneinigkeit. Der LRH bezieht sich in seinem Bericht auf die Berliner Landeshaushaltsordnung. Demnach darf die Uni Gelder nur dann auf Verwahrkonten lagern, wenn sie diese nicht endgültig als Einnahmen im Haushalt verbuchen kann. Außerdem darf sie diese Rücklagen nicht zweckentfremden. Das Problem: Die FU hat aus einem Topf, der nicht zurückgeforderte Semestergebühren und Mittel für beeinträchtigte Studierende enthielt, auch Veranstaltungen und eine Draisinenfahrt für Mitarbeiter finanziert. Die Uni ist mit der Darstellung des Jahresberichts in vielen Punkten nicht einverstanden. Sie könne etwa Erlöse aus Grundstücksverkäufen nicht sofort dem Haushalt zuführen, weil sie diese für
mittelfristige Investitionen benötige. Auch den Vorwurf, durch die Finanzierung von Veranstaltungen gegen das Haushaltsrecht verstoßen zu haben, weist sie zurück. Ausgaben für Repräsentationstermine könnten jederzeit auch aus dem Grundhaushalt getätigt werden. Rückendeckung bekam die FU von der Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Wissenschaft. In einer Stellungnahme verwies auch sie auf die Notwendigkeit, Erlöse aus Grundstücksverkäufen für anstehende Investitionen zurückzulegen. In der Verwahrung von Drittmitteln erkannte der Senat sogar »ein vorausschauendes und verantwortungsbewusstes Haushaltsgebaren.« Studentische Vertreter zeigten weniger Verständnis. In einer Resolution des Studierendenparlaments verurteilten sie die Vorgänge und forderten FU-Kanzler Peter Lange zum Rücktritt auf. Die Affäre sei ein Beleg für die Intransparenz der Hochschulpolitik. Keines der Mitglieder des
Akademischen Senats sei jemals über die Verwahrfonds informiert worden. »Die Verwaltung agiert im Schatten der gewählten Gremien«, kritisiert JusoSprecher Marten Brehmer. »Wir fordern eine neue Struktur. Die Uni braucht endlich eine Grundordnung.« Er selbst habe als Abgeordneter des Stupas und des erweiterten Akademischen Senats erst aus der Zeitung von den Vorwürfen erfahren. Wie genau es im Haushaltsstreit weitergeht, werden die nächsten Monate zeigen. Der Bericht des Rechnungshofs wird im ersten Halbjahr 2015 im Haushaltsausschuss des Berliner Abgeordnetenhauses diskutiert.
Francis Laugstien weiß jetzt, dass mit dem Geld die Probleme erst richtig anfangen.
Politik
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Wo Chancen im Sand versinken Kaum jemand kennt das zentralasiatische Land Tadschikistan. Die korrupten Führungseliten des ehemaligen Sowjetstaates tun offenbar alles dafür, damit das so bleibt. Sie rauben ihrer Jugend die Zukunft. Text und Fotos: Julian Daum
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adschikistan ist ein Land der Extreme. Die Sommer sind heiß, die Winter kalt. An den Ausläufern der höchsten Gebirge lebt die Bevölkerung teilweise in abgrundtiefer Mittellosigkeit. Das Armenhaus der ehemaligen Sowjetunion ist auch heute noch das wirtschaftliche Schlusslicht Zentralasiens. Der Beamtenapparat ist von unten bis oben korrupt. Transparency International listete Tadschikistan vergangenes Jahr auf Platz 154 von 175 des Korruptionsindex. Im Sommer war ich mit einem Team des Deutschen Archäologischen Instituts (DAI) dort, um im Süden des Landes ein hellenistisches Heiligtum auszugraben. Um Arbeitsvisa zu bekommen, musste das DAI unserem Kooperationspartner, dem Chef des Antikenmuseums, einen Studienaufenthalt in Deutschland anbieten. Dabei ist er weder ausgebildeter Archäologe noch Historiker. Denn anstatt die Menschen in seinem Land auszubilden, lässt sich Präsident Emomalii Rahmon lieber megalomanische Paläste ins Zentrum der Hauptstadt Duschanbe setzen. Was in den phallischen Protz orientalisierter Hochhausfassaden fließt, fehlt den hauptsächlich auf dem Land lebenden Tadschiken. Dort nämlich, wo die Ausgrabungen stattfinden, gibt es nicht einmal asphaltierte Straßen. Wir schaukeln auf dem Weg nach Torbulok im Süden über den Staub und Schotter einer unendlich weiten Ebene. Nach einer Stunde tauchen die ersten Lehmhäuser des Dorfes aus dem diesigen Nichts auf. Denn nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion, die das Land finanziell för-
Dorfjugend auf einer Hochzeit. Die Hälfte dieser Kinder wird später in Russland arbeiten.
derte, zerbröselte auch die Infrastruktur, wie gepresster Sand nach der Regenzeit. Strom gibt es hier nur noch stundenweise oder gar nicht, Wasser muss von weit her angeliefert werden. In diesem Kosmos aus Lehmhäusern, in dem Ackerbau und Selbstversorgung den Alltag prägen, ist aber durchaus ein Leben in relativem Wohlstand möglich. Ziegen, Pistazien und eine geschickte Heiratspolitik haben hier den gleichen Stellenwert wie die offizielle Währung des Landes. Hier lebt die 18-jährige Schülerin Manischa. Sie würde diesen Kosmos gerne durchbrechen. Sie lernt fleißig, denn sie möchte Ärztin werden. Sie will sich nicht einfach mit einem von ihren Eltern vorgeschlagenen Mann aus dem Dorf begnügen. Doch was ist ihre Ausbildung wert in einem Land, in dem Abschlüsse käuflich sind? In
dem die Regierung es nicht fertig bringt, Kindern Russisch beizubringen – obwohl die Hälfte des Bruttoinlandsprodukts aus Löhnen tadschikischer Gastarbeiter auf Moskauer Baustellen besteht? Ja, eine Karriere ist möglich. Mein Kollege Ismoil hat sich ohne Ausbildung am tadschikischen archäologischen Institut hochgearbeitet und besucht nebenbei Unikurse. Er hat diesen schwierigen Weg auf sich genommen, weil er sich nicht wie alle anderen in Russland zu Tode schuften wollte. Doch eine gut bezahlte, dauerhafte Stelle wird auch er schwerlich finden. Denn Ämter werden meist direkt an die Söhne vererbt. Auch Manischas Zukunft als Ärztin ist alles andere als sicher. Dass sie ihre Pläne aufgeben und sich doch mit einem Eheleben auf dem Dorf begnügen muss, ist hier wahrscheinlich. Es gibt viel Potential und Ambitionen in diesem Land. All unsere Mitarbeiter vor Ort waren interessiert, erfinderisch und gastfreundlich. Das Land aber, in dem sie aufwachsen, verspricht ihnen nicht mehr als ein Leben als Hausfrau oder ausgebeuteter Gastarbeiter auf Moskauer Baustellen. Dort bauen sie dann, untergebracht in den heruntergekommenen Arbeiterkasernen des ehemaligen Bruderlandes, die Straßen und Häuser, die zu Hause fehlen. Julian Daum weiß nun, dass Ärzte in Tadschikistan mit Infusionen statt Pillen arbeiten. Der Spritzenphobiker hat beschlossen, nie wieder krank zu werden.
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Campus
Leben mit dem Tod
Der Tod ist für viele Menschen ein Tabuthema. Nicht für die Studentinnen Ute und Lie. Als ehrenamtliche Sterbebegleiterinnen begegnen sie ihm Woche für Woche – und haben das Lachen trotzdem nicht verlernt. Text und Foto: Friederike Oertel Montage: Cristina Estanislao Molina
»D
as könnte ich nicht«, ist oft das erste, was die beiden Studentinnen Ute und Lie hören, wenn sie von ihrem Ehrenamt erzählen. »Das muss doch total deprimierend sein«, folgt dann schnell. Als ehrenamtliche Sterbebegleiter verbringen Lie und Ute einen Nachmittag in der Woche mit todkranken Menschen. Engagement unter Studenten ist keine Seltenheit: Die einen leiten die Jugendgruppe der Pfadfinder, die anderen geben Nachhilfe oder sind in der Fachschaft aktiv. Mit dem Tod setzen sich die meisten jedoch erst dann auseinander, wenn es sie persönlich betrifft. Das Thema ist nach wie vor tabu. Was bewegt junge Menschen also dazu, ihm jede Woche freiwillig zu begegnen? Mit Anfang und Ende 30 sind Lie und Ute tatsächlich die jüngsten Ehrenamtlichen, die im Hospiz Schöneberg-Steglitz als Sterbebegleiter tätig sind. »Der Altersdurchschnitt liegt bei etwa 55 Jahren«, erklärt Hospizkoordinatorin Carmen Dietrich. Das Amt erfordere eine gewisse Verbindlichkeit, die in der Studienzeit oft nicht gewährleistet sei. Spontane Auslandsaufenthalte oder Wohnortwechsel sind mit der Arbeit nur schwer vereinbar. Lie und Ute aber stecken
noch mitten in ihrer Ausbildung: Lie studiert Geschichte an der FU. Ute ist in der Schlussphase ihres Literaturstudiums und hat jetzt eine berufsbegleitende Ausbildung zur Erzieherin begonnen. Obwohl sie sich noch in den Lehrjahren befinden, stehen die Studentinnen schon fest im Leben. Ihre innere Stabilität war wesentliche Voraussetzung für eine aktive Annäherung an das Thema Sterben: »Irgendwann kam ein Moment in meinem Leben, da ging es mir gut, in mir war Ruhe eingekehrt und ich hatte Kapazitäten, die ich nutzen wollte. Als ich in mich hineingehört habe, wo meine Stärken liegen, habe ich gemerkt, dass mir der Tod keine Angst macht«, erzählt Lie in unbeschwertem Plauderton. »Dann habe ich erstmal gegoogelt. Und so ist das Ding ins Rollen gekommen«, erinnert sie sich. Bei Ute war es ähnlich: In rasantem Sprechtempo und mit vielen Worten erklärt sie, dass das Sterben unweigerlich zum Leben gehöre – die Vergänglichkeit mache es schließlich einzigartig. Den letzten Abschnitt des Lebens wollen die meisten Menschen zu Hause in vertrauter Umgebung verbringen. Die Realität sieht jedoch anders aus: Ein Großteil der Menschen stirbt im Kran-
kenhaus. Das Hospiz als Alternative gefällt Ute daher. Unheilbare Patienten kommen hierher, um zu sterben. Sie und ihre Angehörigen stehen im Mittelpunkt. »Hospizhilfe bedeutet vor allem, sich Zeit für die Sterbenden zu nehmen«, bestätigt auch Koordinatorin Dietrich. Einmal pro Woche besuchen die Ehrenamtlichen einen schwerkranken Menschen zu Hause, auf der Palliativstation, im Pflegeheim oder im Hospiz. Eine Begleitung kann wenige Wochen, mehrere Monate oder ein ganzes Jahr dauern. Bis zum Ende eben. Jede Situation ist individuell, so verschieden wie die Menschen selbst. Mal sitzen Lie und Ute am Bett und halten die Hand, mal gehen sie spazieren, lesen das Lieblingsgedicht vor oder besorgen Blumen. »Im Prinzip sind wir Wunscherfüller«, sagt Lie und drückt ihre Zigarette am Balkongeländer aus. Ute nickt mehrmals und fügt in ihrer betriebsamen Art hinzu: »Oft geht es aber gar nicht um die existentiellen Fragen, sondern darum, einfach da zu sein und zuzuhören.« Dass dabei auch gelacht wird, ist für die beiden selbstverständlich – tatsächlich teilen sie einen Hang zum morbiden Humor. »Manchmal bringe ich echt Obwohl sie häuf ig mit dem Tod konfrontiert sind: Lie und Ute vergeht das Lachen nicht. Schwung in die Bude«, sagt Lie und lacht. Die Unbeschwertheit der Studentinnen empfinden viele der Hospizbewohner als angenehm. Obwohl sie schwerkrank sind, wollen sie nicht mit Samthandschuhen angefasst werden. »Wir garantieren ein Stück Normalität«, bringt Ute die Sache auf den Punkt, ohne lange zu überlegen. Sterbebegleitung ist Lebensbegleitung – nur eben auf den letzten Metern. Klar bleibt trotzdem: Die Hospizgäste und ihre Angehörigen befinden sich in einer Ausnahmesituation. Der Weg in den Tod ist eine erschütternde Erfahrung, egal wie sehr man sich gedanklich auf ihn vorbereitet. Oft leiden die Sterbenden unter Schmerzen, haben Angst vor dem end-
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gültigen Abschied und der Ungewissheit danach. Ihre Gedanken, ihre Lebens- und Krankengeschichte teilen sie mit den Ehrenamtlichen. Dass diese Situation auch belastend sein kann, weiß Dietrich vom Hospiz Schöneberg-Steglitz. »In einem sechsmonatigen Kurs führen wir die angehenden Sterbebegleiter an Themen wie Tod, Abschied und Trauer heran«, erklärt sie. Auch nach der Schulung haben die Ehrenamtlichen einmal im Monat die Möglichkeit, sich auszutauschen, die Situation in der Sterbebegleitung zu ref lektieren und bei Bedarf Beratung zu erhalten. Auch eigene Erfahrungen und Ängste stehen im Mittelpunkt. Neben der inneren Festigkeit erfordere das Amt deshalb vor allem den Mut und die Bereitschaft, sich intensiv mit dem eigenen Selbst auseinanderzusetzen. Denn wer sich mit dem Tod befasst, befasst sich mit dem Leben, auch mit dem eigenen. »Klar machen wir das auch für uns«, bestätigt Ute ohne Umschweife. Die geschenkte Zeit sei keinesfalls verschenkte Zeit, im Gegenteil: Eigene Alltagsprobleme relativieren sich, man wird gelassener, bekommt mehr Selbstvertrauen und lernt das Leben mehr zu schätzen. Vor allem aber erhält der einzelne Moment einen viel höheren Stellenwert: »Ich lebe wesentlich mehr, seitdem ich diese Arbeit mache«, sagt Lie, ohne dabei in Pathos zu verfallen. »Wenn ich mit Freunden zusammensitze, dann wird der Wein geleert und die Schachtel Kippen weggeraucht, egal was morgen ist«, lacht sie und kommentiert ihr Verhalten selbstironisch: »Meine Lasterhaftigkeit hat total zugenommen, das ist völlig in die falsche Richtung gegangen.« Ute sieht das ähnlich, auch wenn sie es anders ausdrückt: »Wir sind hier nur auf der Durchreise und nehmen nichts mit. Das wird einem bewusster.« Beide sagen zwar, dass der Tod nicht weniger traurig und schmerzvoll geworden ist, nur weil man ihm jede Woche begegnet.
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Aber er wird ein Stück mehr zu einer Facette des Lebens. Durch seine ständige Präsenz verschieben sich bloß die Prioritäten. Faulheit und den ausgiebigen Genuss von Spirituosen rechtfertigt Friederike Oertel neuerdings mit dem Verweis auf die Vergänglichkeit. Das klappt gut.
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Falsch begründet
Berlins Universitäten feiern sich für ihre studentischen Unternehmensgründer. In vielen Statistiken sind sie spitze. Doch wer hinter die Zahlen schaut, erkennt: Sie schmücken sich teils mit fremden Federn. Text: Matthias Bolsinger Illustration: Luise Schricker
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n der Gründervilla f ließt das Freibier. Einmal im Monat treffen sich hier Unternehmer und solche, die es werden wollen. »Profund«, der Gründungsservice der FU Berlin, hat zu »Business and Beer« geladen. »Eine klasse Veranstaltung«, findet ein studentischer Gründer, sagt aber auch: »Manche Angebote sind eher nutzlos. Der Gründerservice stellt sich besser dar, als er ist.« Solch kritische Worte passen nicht in das Bild, das die Gründungsservices der Berliner Hochschulen derzeit von sich zeichnen. Im Oktober veröffentlichten sie die Ergebnisse ihrer Umfrage: Rund 700 »Hochschul-Start-ups« beschäftigten im Jahr 2013 gut 17.000 Angestellte. Ihr gemeinsamer Umsatz betrug 1,7 Milliarden Euro. Zum Vergleich: Die gesamte Berliner Musikbranche setzte im Jahr zuvor etwa eine Milliarde Euro um. Die Hochschulen jubeln und bezeichnen sich in der Studie als »Wirtschaftsmotor für Berlin und Brandenburg«. Geht es nach der Anzahl der Gründungen, erreicht vor allem die FU Spitzenwerte. Doch ein genauerer Blick in die Zahlen zeigt, dass an den Schlussfolgerungen der Unis etwas nicht stimmt. Deren überschwängliche Selbstdarstellung ist in großem Maße Blendwerk. Aus der Studie geht nämlich hervor: Nur 42 Prozent der befragten Unternehmen haben die f inanzielle Unterstützung in Anspruch genommen.
Grund für die dennoch hervorragenden Ergebnisse ist, dass in der Studie alle Alumni berücksichtigt wurden, die ein Unternehmen gegründet haben – selbst jene, die keine Fördermittel erhielten. Auch den Erfolg dieser »Hochschul-Startups« schreiben sich die Unis auf die Fahne. In einigen Fällen leisten universitäre Start-ups tatsächlich einen einzigartigen Transfer zwischen Wirtschaft und Forschung – für manche Studierende bietet der Gründerservice eine erste Orientierung. Doch oft beschränkt sich sein Verdienst darauf, Stipendien zu vermitteln. So viele Start-ups sich an der FU auch finden, in Sachen Beratung und Sensibilisierung ist sie laut »Gründungsradar« des Stifterverbandes eher Durchschnitt. Die Technische Universität schneidet dort besser ab. Was keine der Studien wirklich zeigt: Die Angebote der Universitäten – zum Beispiel Mentoring oder die Studieninhalte – spielen als Inspirationsquelle für die Jungunternehmer eine eher untergeordnete Rolle. So auch für Niels Hapke und seine Anatomie-Lernplattform »Kenhub«. »Für uns war der Gründungsservice hauptsächlich ein Vehikel, um an Fördermittel zu kommen. Alles andere – Idee, Geschäftsmodell, Strategien – haben wir selbst entwickelt«, so Hapke. »Uns war einfach wichtig, unseren Sitz hier in Berlin und die Charité als Partner zu haben.«
Auch für die Gründer von »iversity«, einem Online-Anbieter für Vorlesungen, war die Wahl der FU als Institution nach eigenen Angaben eher zuf ällig. Den Standort Berlin indes bewertet die Firma als wichtigen Faktor. »Uns kommt zugute, dass es hier in Berlin eine Vielzahl qualifizierter Menschen aus allen denkbaren Bereichen gibt«, so »iversity«-Sprecher Martin Schmucker. »Die Universitäten sind insofern hilfreich, als sie diese Menschen ausbilden.« Doch das tun sie nicht nur in Berlin. Dass es die hiesigen Hochschulen sind, die die jungen Unternehmer zur Gründung motivieren, lässt sich aus der Gründungsumfrage nicht schließen. Zwar wurden die geförderten Unternehmer befragt, wie sie die Hilfe der Hochschule einschätzen, veröffentlicht wurden diese Ergebnisse aber nicht. Was bleibt, ist die recht banale Erkenntnis, dass der Berliner Start-up-Boom an den Studierenden und damit an den Universitäten nicht vorbeigeht. Nur das Gegenteil wäre tatsächlich überraschend gewesen.
Pünktlich zu Fototerminen bekommt Matthias Bolsinger Veilchen. Was halt so passiert, wenn man putzige Robbenbabies vor Nazihorden rettet.
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Navigation für Anfänger Für Kinder aus Arbeiterfamilien ist der Weg an die Uni oft schwer. Ein Förderprogramm will das nun ändern: Der »Studienkompass« ermöglicht Abiturienten die erste Orientierung im akademischen Betrieb. Text: Kim Mensing Illustration: Faustina Kork
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on einer Generation in die nächste: Die Uni ist eine Domäne für Kinder aus Akademiker-Familien. Eine Datenerhebung des Deutschen Studentenwerkes zeigt, dass nur 23 von 100 Abiturienten aus Arbeiterfamilien nach der Schule ein Studium aufnehmen. Von 100 Akademikerkindern hingegen schaffen es 83 an die Universitäten. Ein tiefer Graben zwischen den Bildungsschichten also. Der sogenannte »Studienkompass« setzt an dieser Stelle an. Er richtet sich an Schüler aus Familien, die keinen akademischen Hintergrund haben, oder sich in einer Situation bef inden, die die Aufnahme eines Studiums erschwert. Diese möchte das Förderprogramm auf ihrem Weg zum Studium unterstützen. Ins Leben gerufen wurde der »Studienkompass« von der Stiftung der Deutschen Wirtschaft, dem Unternehmen Accenture und der Deutschen Bank. Geld bekommen die Programmteilnehmer dabei aber nicht. Vielmehr besteht die Unterstützung aus Orientierungsseminaren und Unternehmensbesuchen. Diese sollen den Schülern helfen, ihre Stärken und Interessen zu entdecken. Jasmin Beisiegel ist eine von aktuell 1600 Programmteilnehmern in Deutschland und studiert Politikwissenschaft an der FU. Ihre Eltern haben sie zwar in der Schule unterstützt und aufgrund ihrer guten Noten ein Studium nie ausgeschlossen. Trotzdem, findet sie, könne die Wahl schwer fallen. »Wenn deine Eltern eine Ausbildung gemacht haben, ist es normal für dich, dasselbe zu tun«, meint Jasmin. Oft werde ein Studium als »Theoriekram« abgetan. Auch Geld spielt bei der Entscheidung für oder gegen ein Studium eine große Rolle. Esra Coban studiert Publizistik an der FU und wird wie Jasmin vom »Studienkompass« gefördert. Sie glaubt, dass finanzielle Selbstständigkeit oft mehr
geschätzt wird als Bildung: »Kinder aus finanziell schwachen Haushalten finden eine vergütete Ausbildung meist attraktiver als ein Studium. Studieren ist für sie Luxus.« Auch wenn die Eltern der Erstsemesterin wollten, dass sie ein Studium anfängt, habe ihr der »Studienkompass« auf dem Weg dahin sehr geholfen. Finanzielle Förderung vermissen Esra und Jasmin nicht. Sie finden vor allem die Kontakte hilfreich, die ihnen seit Beginn der Oberstufe vermittelt werden. Sie lernen Mentoren kennen, welche die regionalen Fördergruppen leiten, aber auch viele andere Programmteilnehmer. Auf gemeinsamen Wochenausf lügen hatten sie viel Zeit, sich auszutauschen. Was sich nach Jugendfreizeit anhört, behält stets einen ernsten Hintergrund: Schließlich werden Kontakte geknüpft, die in der beruf lichen Zukunft von Vorteil sein könnten.
Eine Form des Networking, von der auch Akademikerkinder profitieren könnten. Auch ihre beruf liche Zukunft ist nicht immer gesichert. Die Abbrecherquoten an deutschen Universitäten deuten an, dass Orientierungsschwierigkeiten im Studium auch in Akademikerfamilien entstehen: Immerhin jeder Vierte bricht sein Bachelorstudium ab. Gezieltes Mentorin vorab könnte das in manchen Fällen verhindern. Ob Akademikerkind oder nicht – viele Abiturienten haben keine Vorstellung davon, was ihre Zukunft bringen soll.
Kim Mensing wusste lange nichts von Förderprogrammen. Trotzdem ist sie mit Philosophie und Publizistik seit drei Semestern glücklich.
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Wo bin ich hier gelandet? Keinen Bock auf die Pille
Philosophen im Reagenzglas
Die meisten Studentinnen gehen mit Verhütungsfragen zur Frauenärztin des Vertrauens. Der »Campus Talk« eines Pharmaunternehmens verlagerte dieses Gespräch an die Geschirrrückgabe der Mensa II.
Rebellion, Gruppenzwang und Exzess – wer erinnert sich nicht gerne an Klassenfahrten in der Hochphase der Pubertät? Die Erstifahrt der Philosophie und Germanistik bietet eine Reise in die Vergangenheit.
Text: Ann-Kathrin Jeske
Text: Tessa Högele
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ein leeres Tablett rollt noch in Richtung Geschirrrückgabe, als sich die Dame vom »Campus Talk« schon mit mir über meine Verhütungsmethoden unterhalten will. Ehe ich mich versehe, hat die Frau in dem »Keinen Bock mehr auf die Pille«-T-Shirt mir eine Broschüre mit dem Titel »Welcher Verhütungstyp bin ich?« in die Hand gedrückt. »Die regelmäßige Einnahme der Pille passt nicht mehr in das dynamische Studentenleben«, meint sie aufgeregt. Ich fühle mich überfordert. Bisher hatte ich solche Fragen nur im Behandlungszimmer meiner Gynäkologin erörtert. Meine neue Beraterin in Sachen Verhütung lässt sich jedoch nicht beirren und f ährt fort. Gekonnt greift sie an ihre Hüfte und zieht ein pinkes Etwas hervor. Es erinnert mich irgendwie an eine Wünschelrute. Ich überlege kurz, ob ich den Trend zur spirituellen Verhütung verpasst habe und bin etwas enttäuscht, als sie mir die Wünschelrute als hormonelle Vaginalspirale vorstellt. Als ich frage, wie das neonfarbene Teil funktioniert, werde ich von meiner Beraterin zum »Expertentalk« geleitet. Zum ersten Mal sehe ich ihr T-Shirt nun von hinten und begutachte das dort aufgedruckte Bild eines behaarten Mannes in Unterhose. Starke Rückenbehaarung ist natürlich auch eine Form der Verhütung. Bevor ich mich wehren kann, stehe ich schon vor dem Erfinder der Wünschelrute, Prof. Dr. med. Thomas Römer. Medizinisch fundiert erläutert mir der Mann im Alter meines Vaters die Vorteile der Vaginalspirale für mein Sexualleben. Endgültig verstört f lüchte ich aus der Mensa. Ich hab’ richtig Bock auf die Pille.
m Tegeler Forst versammeln sich Schulnostalgiker der Philosophie und Germanstik. Die gemeinsame Erstifahrt ist die perfekte Gelegenheit, um das Lebensgefühl »Klassenfahrt« noch einmal so richtig auszukosten. Rudelbildung im WLAN-freien Reagenzglas: Der Mikrokosmos Jugendherberge besteht aus einer Horde Philo-Erstis und einem einsamen GermanistikStudenten. Die FSI Philosophie vertraut auf das Prinzip der anarchischen Selbstverwaltung und beteiligt sich lediglich mit einem Kasten Club Mate an der Organisation der Erstifahrt. Die FSI Germanistik hingegen kümmert sich um das Programm vor Ort. Die ehemaligen Klassenstreber sind mittlerweile glutenintolerante Veganer. Sie bewerfen sich untereinander so lange mit Fachtermini, bis einer weint. Linke Weltrevolutionäre tauschen auf ihren iPhones Nummern aus, um demnächst mal zusammen gegen den Kapitalismus zu demonstrieren. Mit Sätzen wie »CDUler sind doch alle Faschisten«, verwirren sie die Gruppe Schulabgänger aus der Provinz, die gerade erst eine Abiprüfung zum Dritten Reich hatten. Um nicht ihre Unwissenheit zu offenbaren, verschanzen sie sich auf dem Männerklo. Dort rebellieren sie gegen die autoritären Strukturen, indem sie anfangen, in der Dusche zu rauchen. Die autoritären Strukturen selbst, auch bekannt als die FSI Germanistik, sitzen derweil ums Lagerfeuer und singen »Wonderwall«. Der Rest der Philo-Gang tanzt post-ironisch zu Chart-Musik im Diskokugelschein. Der Germanistik-Student schläft schon seit 22 Uhr. Alles wie damals auf Klassenfahrt. Wie schön, dass sich manche Dinge nie ändern.
Ewige Ehemalige Musik statt alter Männer
Inga Humpe, die Frontfrau der Berliner Band 2raumwohnung, hat an der FU Philosophie studiert. Im Männerverein Universität fühlte sie sich stets fehl am Platz. Das stärkte die Feministin in ihr. Text: Tessa Högele und Sarah Ashrafian Foto: Das Kowalski Komitee
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ieser Tage fühlt sich frau auf den Fluren der FU nicht mehr wie eine Kuriosität. Als Inga Humpe hier studierte, sah das noch ganz anders aus. »Ich hatte das Gefühl, dass 70 bis 80 Prozent der Studenten Männer waren. Selbst in den Geisteswissenschaften«, erzählt die Musikerin. Für ihr Philosophie-Studium wechselte sie 1976 von der RWTH Aachen zur FU Berlin. Richtig angekommen ist sie hier allerdings nie, gibt sie zu. Menschenmassen in der Mensa und der Irrgarten Rostund Silberlaube: Humpes anf ängliche Verlorenheit können viele Erstsemester sicher heute noch nachvollziehen. Doch für Humpe verschwand die Orientierungslosigkeit auch in den darauffolgenden Semestern nicht. Sie hatte das Gefühl, als Frau an der Uni fehl am Platz zu sein. Männer dominierten die Hochschullandschaft und die politischen Initiativen der 70er- und 80er-Jahre. »Die Frauen saßen damals in den Vorlesungen und haben gestrickt«, kritisiert Humpe. Sie hingegen mischte aktiv bei den Nachwehen der 68er-Studentenbewegung mit: Hausbesetzungen und Protestaktionen standen auf der Tagesordnung. »Dabei habe ich manchmal auch von der Polizei gut was auf die Finger bekommen«, erinnert sie sich lachend. Ihr Philosophiestudium machte sie währenddessen immer unglücklicher. »Der Studienalltag wurde von alten weißen Männern bestimmt, die über die Ansichten
Inga Humpe ist seit 14 Jahren Teil der Band 2raumwohnung
noch älterer weißer Männer debattierten«, erzählt sie. Dabei ging es selten um konkrete Ideen für ihre Zukunft. »Damals habe ich auch nicht für die Themen gebrannt. Ich glaube, ich war allgemein einfach noch nicht reif genug für ein Studium«, erinnert sich die Sängerin. Nebenher arbeitete Inga Humpe als Garderobiere an der Schaubühne Berlin. Die Atmosphäre des Theaters gefiel ihr. Um der grauen Theorie endlich zu entf liehen, brach sie das Philosophiestudium ab und wechselte an die Hochschule der Künste. Dort beendete sie ihr Schauspielstudium zwar mit Erfolg. In diesem Beruf arbeitete sie jedoch nie. Sie hatte sich im künstlerischen Umfeld ausprobiert und etwas entdeckt, das ihr noch viel mehr lag: die Musik.
Ende der 1970er-Jahre gründete sie ihre erste Punk-Band Neonbabies. Später wurde sie Sängerin der Band DeutschÖsterreichisches Feingefühl, die einen Neue-Deutsche-Welle-Hit landete, der heute noch bekannt ist: »Codo (Ich düse, düse im Sauseschritt)«. »In der Musik hatte ich zum ersten Mal das Gefühl, dass ich meine Frau stehen konnte. Mit dem Erfolg kam der Moment, in dem ich selbst bestimmen konnte, wie ich es haben möchte und wie es laufen soll«, erzählt Humpe. Das sei ihr Anspruch an ihre Musik und an die Menschen, mit denen sie arbeite. Heute ist Humpe mit der Band 2raumwohnung unterwegs, die sie in den 1990er-Jahren gemeinsam mit ihrem Lebensgefährten Tommi Eckart gründete. Der Studienabbruch hat sich scheinbar gelohnt. Dennoch bedauert die Künstlerin, nie den richtigen Zugang zum Philosophiestudium gefunden zu haben. Gerade philosophische Themen interessieren sie nach wie vor. Und auch wenn der Gang durch die Universitäten sie damals verunsicherte – die Studienzeit prägte Humpes Selbstverständnis. Immerhin lehrten sie ihre Erfahrungen an der FU eines: »Ich bin Feministin durch und durch!«
Tessa und Sarah überlegen, nun auch eine feministische Initiative zu gründen: Den Frauenverein.
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Die Preisträger des Open Mike 2014
Lesestunde im Elfenbeinturm Der Open Mike will ein Türöffner für junge Autoren sein und den Besuchern ein Wochenende voller spannender Lesungen bieten. Die Fachwelt lobt, das Publikum kritisiert. Was läuft da schief? Text: Charlotte Steinbock Fotos: Carla Hegerl und Josta van Bockxmeer
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hre Texte liegen modernd in den Schubladen – nur wenige Werke junger Autoren schaffen es heutzutage bis in die Buchregale. Statt auf unbekannte Gesichter setzen Verlage häufig auf Promi-Autoren und Internetberühmtheiten. Schreiber, die ihr eigenes Publikum schon mitbringen. Für die Förderung von namenlosem Nachwuchs sind die Gelder zu knapp. Gegen diesen Trend wendet sich der Open Mike, einer der wichtigsten deutschen Literaturwettbewerbe für Jungautoren. Seit 22 Jahren machen sich die Organisatoren der Literaturwerkstatt Berlin zum Ziel, unbekannten Autoren den steinigen Weg zur Erstveröffentlichung zu ebnen. Wer auf dieser Bühne liest, erreicht ein großes Publikum und kann erste Kontakte zur Verlagswelt knüpfen. »Es geht um öffentliche Wahrnehmung auch außerhalb der Fachwelt. Das kann nur ein Wettbewerb leisten«, erläutert Mitorganisatorin und FUDozentin Jutta Büchter. Entsprechend lesen sich die Teilnahmevoraussetzungen: Bewerben kann sich jeder, der jünger als 35 Jahre ist und noch keine eigene Buchpublikation vorzuweisen hat. Der Andrang auf den Wettbewerb ist groß. In diesem Jahr mussten die sechs Lektoren aus rund 600 anonymen Einsendungen 22 Finalisten auswählen. Ob Kurzgeschichte oder Gedicht, bedrü-
ckende oder erheiternde Themen: Bei der Auswahl ging es nicht um »die Vermarktungsf ähigkeit der Texte, sondern um ihre Schönheit«, erklärt Lektor Gunnar Cynybulk, verlegerischer Leiter im Aufbau Verlag. In der öffentlichen Lesung im Heimathafen Neukölln hatten die Autoren 15 Minuten Zeit, um Publikum und Jury zu überzeugen. Über Erfolg oder Misserfolg entschied jedoch allein die Jury, die dieses Jahr aus drei renommierten Autoren bestand. Die Präsentationen der Texte hatten vor allem eines gemeinsam: Sie wirkten allesamt hochprofessionell. Zu professionell für den Geschmack mancher Zuschauer. Unüberhörbar sei der Einf luss der Literaturinstitute, an denen viele Finalisten ausgebildet werden. Den kunstfertig durchkomponierten Texten fehle es an Authentizität: »Ich habe das Gefühl, die Technik stand im Vordergrund und nicht die Geschichte«, bemängelte ein Besucher. Die Jury hingegen war sich in ihrer Entscheidung einig und verlieh den ersten Preis der Autorin Doris Anselm. Trotz begrenzter Szenerie, eröffne ihr Text eine ganze Welt, hieß es in der überschwänglichen Laudatio. Welten scheinen auch zwischen der Einschätzung der vorgetragenen Texte durch Jury und Publikum zu liegen.
Verfehlt der Open Mike also sein Ziel? Immerhin: 12 der 22 Finalisten studieren an den Universitäten Hildesheim und Leipzig – den wichtigsten deutschen Institutionen für das Studium des Kreativen Schreibens. Institutionen, die ein Händchen dafür haben, die Debüts ihrer Absolventen effektiv im Feuilleton zu platzieren. Aber auch Institutionen, die häufig mit dem Vorwurf konfrontiert werden, sie mumifizierten ein bildungsbürgerliches Bild von Literatur. Dass der Open Mike hauptsächlich aus diesen Kreisen seinen Nachwuchs zehrt, spricht nicht dafür, dass er eine originelle Alternative zum etablierten Literaturbetrieb bieten kann. Trotz einiger Quereinsteiger – hier wurde vor allem solchen Autoren eine Bühne geboten, die sich in den Brutkästen des Betriebs einen Namen gemacht haben. Oder, wie es ein enttäuschter Zuschauer formulierte: »Die Szene feiert sich selbst.«
Charlotte Steinbock studiert Spanisch. Manchmal kommt ihr auch bei den Recherchen das eine oder andere spanisch vor. Aber nur manchmal.
Kultur
Der Herr der Bratschen Wenn der normale Unibetrieb endet, werden die Räume des Henry-Ford-Baus zu Konzertsälen für etwa 80 Studenten von FU und TU. Das Sinfonieorchester arbeitet das ganze Semester lang auf einen Abend hin. Text: Carlotta Voß Illustration: Cristina Estanislao Molina
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ateria statt Mozart, Beyoncé statt Beethoven – klassische Musik ist bei der Generation der unter 30- Jährigen angeblich nicht mehr gefragt. Kulturpessimisten beklagen seit Jahren die Dominanz des Pop und den Niedergang der Klassik. Doch wer montagabends dem Geschichtsstudenten Benjamin Spendrin begegnet, muss an diesem Abgesang zweifeln. Mit der Bratsche in der Hand eilt er durch das Foyer des HenryFord Baus zum Hörsaal B, vorbei an einer Gruppe Mädchen mit Geigenkoffern, vorbei an zwei Klarinettisten. Er darf nicht zu spät kommen, schließlich ist heute Vorspieltag. Nach Wochen der Proben wird das Sinfonieorchester des Collegium Musicum von FU und TU endlich entscheiden, wer im kommenden Semester dem Ensemble neu beitreten darf. Benjamin ist für die Auswahl der Bratschen zuständig. Gerade noch pünktlich nimmt er in der ersten Reihe des Hörsaals Platz, kramt Noten aus seiner Tasche. Auf der Bühne steht Marcel vor einer Tafel mit Sinuskurven und stimmt seine Bratsche. Zwei Wochen hatte der Politikstudent Zeit, um sich auf das Vorspiel vorzubereiten. Er lässt den Bogen probehalber über die Saiten gleiten, rückt den Notenständer zurecht und beginnt zu spielen. Seine Töne sind bedächtig und ein wenig melancholisch: Brahms 2. Sinfonie. Benjamins Augen folgen seinen Bewegungen aufmerksam. Klassische Musik gehört zu seinem Leben, seit er fünf Jahre alt ist. Damals begann der FU-Student, Geige zu spielen. Nach einem Lehrerwechsel entschied er sich dann aber für die Bratsche. Heute spielt Benjamin in drei verschiedenen Ensembles: Im Sinfonieorchester des Collegium Musicum, der Jungen Sinfonie Berlin und einer Barockband. Barock-
musik, findet er, würde gegenüber der Klassik und Romantik viel zu sehr unterschätzt. Er schwärmt von den Komponisten Bach, Purcell und Vivaldi und der Intimität barocker Kammermusikensembles, die meist ohne Dirigenten spielen: »Bei Barockmusik kommt es sehr auf die eigene Musikalität an. Man muss sie wirklich verstehen und dafür auch viel über ihre Entstehungsgeschichte wissen.« An diesem Tag fällt Benjamin die Entscheidung leicht: Marcel wird in das Ensemble aufgenommen. Ihn eingeschlossen dürfen nun neun Bratschen als Teil des Sinfonieorchesters spielen. Anderthalb Stunden Zeit haben sie, um gemeinsam ihre Stimme zu proben, dann kommt das gesamte Ensemble zusammen – etwa 80 Musiker, fast alle Studenten. Am Ende jedes Semesters geben sie ihr Abschlusskonzert in der Philharmonie am Potsdamer Platz. Das Interesse an dieser Veranstaltung ist groß. Die Musiker spielen meist vor ausverkäuften Sälen. Kulturpessimisten, die ein Aussterben der klassischen Musik verkünden, werden von dieser Nachfrage Lügen gestraft. Auch Benjamin findet nicht, dass die Klassik in Gefahr ist. Schon gar nicht, dass sie mit dem Konsum von Popmusik unvereinbar sei - wer Geige studiere, könne doch trotzdem Hip Hop hören. Und außerdem – Benjamin schmunzelt – beruhten die meisten Popsongs ohnehin auf Harmonien aus der Barockmusik. Carlotta Voß hat beim Schreiben dieses Artikels Barockmusik in Dauerschleife gehört – der Jahreszeit gemäß vor allem das Weihnachtsoratorium.
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Kultur
Geschichte im Ohr Geschichte in einem neuen Licht sehen: Studentinnen des Studiengangs Public History verbinden spielerisch das Alte mit dem Neuen. Mit Smartphone oder Tablet geht es auf Spurensuche durch Berlin. Text: Lisbeth Schröder Illustration: Cristina Estanislao Molina
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ch stehe am Kurfürstendamm. »Jeder fünfte Deutsche ist latent antisemitisch«, tönt es aus meinen Kopf hörern. Neben mir eine Balkantrompetenband, die laut scheppernd versucht, Leute zum Tanzen zu animieren. Menschen eilen an mir vorbei. Sie sind in Gespräche vertieft. Es ist laut, überfüllt, hektisch. Ich lausche still der Stimme in meinem Ohr. Sie erklärt, dass alles um mich herum einst ein jüdischer Künstlerbezirk war, und dass es hier bereits 1931 das sogenannte »Kudamm-Pogrom« gegen die jüdische Bevölkerung gab – nur der Beginn der grauenvollen Ereignisse, die folgen sollten. Was ich höre, ist Teil des Audiowalks »Kudamm’31«. Konzipiert wurde der akustische Rundgang von Studentinnen des Masters Public History der FU Berlin. Ausgehend von einem universitären Projekt haben sich Historikerinnen und Kulturwissenschaftlerinnen zusammengeschlossen. Ihre Arbeitsgruppe nennen sie »past[at]present«. Die Vergangenheit in der Gegenwart also. Mit Köpf hörern auf den Ohren und meinem Smartphone in der Hand gehe ich auf digitale Spurensuche. Das Einzige, was ich dafür brauche, ist die kostenlose App »Radio Aporee«. Ich gebe meinen Standpunkt in die App ein und schon erscheinen auf der Karte auf meinem Bildschirm interessante historsiche Schauplätze
in meiner Umgebung. Nun muss ich nur noch an den Ort des Geschehens laufen. Dort kann ich mir die dazugehörige Audiodatei anhören. Mal ist es eine Rede von Hindenburg, mal ein Gedicht von Erich Mühsam, mal jüdische Musik. 50 solcher Hörbeispiele machen den Audiowalk »Kudamm’31« aus. Entlang der Berliner Prachtstraße verfolgt die Route die Geschehnisse des 12. September 1931. Dem Tag, an dem das »Kudamm-Pogrom« stattfand. Hunderte von Nationalsozialisten versammelten sich auf dem Kurfürstendamm und attackierten jüdische Passanten. Durch den Audiowalk verwandeln sich die Cafés und Geschäfte um mich herum in die Kulisse jenes dunklen Tages. Marianne Graumann, Studentin und Mitbegründerin des Projektes, erklärt mir, wie die Audio-Dateien zum »Kudamm’31« entstanden sind: Die Studentinnen sammelten Ton-Dateien aus alten Archiven und Bibliotheken, sichteten das Material, schrieben Texte und engagierten Sprecher für neue Aufnahmen. Die fertigen Dateien wurden in die App »Radio Aporee« eingebettet. Was alle Hörbeispiele gemeinsam haben, ist der historische Schauplatz am Ku’damm sowie den inhaltlichen Schwerpunkt des Pogroms von 1931. Graumann erklärt die Auswahl folgendermaßen: »Von dem Pogrom haben die wenigsten schon gehört. Wenn die Geschichte des Ortes
unbekannt ist, dann ist es erst recht spannend und sinnvoll, sie an die Öffentlichkeit zu bringen.« Geschichte zugänglich, spür- und sehbar zu machen – genau das ist Ziel des Projektes. Fast Vergessenes haben die Studentinnen ausgegraben, historische Fakten haben sie locker verpackt. Der Audiowalk macht den Geschichtsunterricht zudem mobil und konkret erfahrbar, denn er findet vor Ort, direkt auf der Straße statt. Das Konzept der Studentinnen war so erfolgreich, dass es mittlerweile neben »Kudamm’31« noch zwei weitere Touren gibt: einen selbst organisierten Audiowalk im Afrikanischen Viertel und eine Tour in Begleitung eines kundigen Führers auf dem Tempelhofer Feld. Am Ku’damm erreiche ich die letzte Station meines Audiowalk. Das Leben pulsiert weiter. Ich bin um einiges Wissen reicher. Die Lebensnähe der geschilderten Ereignisse hat mich mitgerissen. Für einen Moment war das fast Vergessene wieder in der Gegenwart präsent.
Lisbeth Schröder bleibt technisch lieber beim Alten: Und lieh sich für den Audio-Walk das Smartphone ihrer Mutter.
Die geklaute Rubrik:
Wir sind großartig. Aber andere machen auch schöne Sachen. An dieser Stelle pflücken wir die besten Rubriken im Blätterwald und füllen sie mit unseren Inhalten. Folge VI: »Pro & Contra« aus der »F.A.Z.«.
Illustration: Christoph Spiegel
Pro
Contra
Im eigenen Interesse von Friederike Oertel
Hört auf, euch etwas vorzumachen! Von Kirstin MacLeod
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enn wir nicht an der Uni damit anfangen, die Strukturen um uns herum kritisch zu ref lektieren, werden wir es wohl nie tun. Klar fragen sich viele Studierende, wie sie neben den straffen Lehrplänen, zwischen Praktikum und Nebenjob noch Zeit für ein Ehrenamt finden sollen. Die Verpf lichtungen häufen sich und ersticken oft von Beginn an jede Motivation. Dabei erwartet keiner von Euch, dass Ihr die Flüchtlingsproblematik im Alleingang löst. Oft lässt sich im Kleinen viel gezielter etwas bewegen. Engagement bedeutet auch nicht, sich selbstlos für andere aufzuopfern. Es ist total legitim, den Einsatz für einen guten Zweck mit eigenen Interessen zu verbinden. Gerade die Hochschule bietet vielfältige Möglichkeiten: die Organisation von sportlichen Aktivitäten, Unterstützung von ausländischen Studenten oder die Mitarbeit beim Campusradio sind genauso wertvoll, wie das Engagement in Fachschaft oder Stupa. Wichtig ist nicht, was Ihr macht, sondern dass Ihr etwas macht. Lohnen wird es sich immer: Ihr gestaltet nicht nur selbst euer Lebensumfeld mit, Ihr könnt euch auch persönlich weiterentwickeln und lernt neue Menschen kennen. Engagement fördert das Verständnis füreinander, schärft unser politisches Bewusstsein, unsere soziale Sensibilität und Kritikfähigkeit – die Grundlagen einer demokratischen Gesellschaft. Das allein sollte Argument genug sein.
auptsache bequem«, ist für viele Studenten die Maxime. Auch wenn es um Engagement geht: Ein kleines Like bei Facebook für die Urabstimmung zum Semesterticket und schon kann man sich einreden, man habe sich mal wieder erfolgreich politisch engagiert. Irgendetwas muss man schließlich tun - Engagement gehört an der Uni zum guten Ton, besonders an der FU. Statt ehrlich zuzugeben, dass Dich das neue Hilfsprojekt oder was auch immer es gerade sein mag, nicht im Geringsten interessiert, nimmst auch Du den Flyer – nur, um ihn an der nächsten Straßenecke zusammenzuknüllen und den Blätterwald in Dahlem Dorf noch ein kleines Stückchen bunter zu machen. Warum eigentlich? In einer Kultur der Toleranz, wie sie an der FU immer angepriesen wird, muss es doch auch in Ordnung sein, sich nicht politisch zu engagieren. Aber stattdessen wollen wir nur das tolerieren, was ich einen Wunschtraum nennen will: eine Universität, an der sich alle für politische Problematiken interessieren. So läuft das einfach nicht! Bei über 30.000 Studenten gibt es eben genauso viele verschiedene Persönlichkeiten. Es ist einfach nicht jeder dazu berufen, engagiert Flyer zu verteilen. Begreift das endlich!
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Wissenschaft
Aus für die Labormaus
Millionen Versuchstiere werden jährlich der Wissenschaft geopfert. Dank Schönheitsoperationen könnte damit bald Schluss sein. FU-Forscher züchten aus Hautresten Ersatzmaterial für Tierversuche. Text: Josta van Bockxmeer Illustration: Chenoa Dix Grafik: Quelle: TissUseGmbH
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ünther Weindl öffnet einen Brutschrank und holt eine Plastikschale hervor, in der münzgroße Kuhlen eingelassen sind. Sie enthalten eine rote Flüssigkeit, auf der eine hauchdünne weiße Schicht zu sehen ist: Menschliche Haut, frisch gezüchtet. Die Stückchen sehen unscheinbar aus, jedoch sind sie von großer Bedeutung. An ihnen testen der Pharmakologie-Professor und seine Doktoranden Stoffe, die später in Kosmetikprodukten und Medikamenten verarbeitet werden sollen. Die Hautmodelle sind ein wichtiger Ersatz für die Versuchstiere, an denen Forscher bisher Kosmetika und Arzneien testen. Dafür wurde der 38-Jährige zuletzt ausgezeichnet. Das Land Berlin verlieh ihm den mit 15.000 Euro dotierten Wissenschaftspreis zur Erforschung von Ersatz- und Ergänzungsmethoden für Tierversuche. Das Tierschutzbündnis Berlin verlieh ihm einen Zusatzpreis in Höhe von 5000 Euro. Dem Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft zufolge kamen 2012 deutschlandweit mehr als 2 Millionen Mäuse, rund 418.000 Ratten sowie mehr als 160.000 Fische und 97.000 Kaninchen in der Forschung zum Einsatz. Dass Forscher gerade so viele Mäuse brauchen, liege an der Beliebtheit der sogenannten Knock-outMäuse, sagt Weindl. Diesen Nagern fehlt ein bestimmtes Gen, wodurch Forscher an ihnen verschiedene genetisch bedingte Krankheiten untersuchen können. »Knockout-Mäuse sind der Goldstandard in der Grundlagenforschung«, so der Professor.
Um das zu ändern, gründeten Forscher der FU gemeinsam mit Kollegen der Universität Potsdam die Forschungsplattform BB3R. Beteiligt sind außerdem die Charité, die TU, das Bundesinstitut für Risikobewertung sowie das Konrad-Zuse-Institut. Der Name steht für Berlin-Brandenburg und die drei Hauptforderungen der Wissenschaftler an die Forschung an Tierversuchen: »Replacement, Reduction und Refinement«. Weindls Arbeit trägt zum Ersatz von Tierversuchen bei. In anderen Teilprojekten untersuchen Kollegen, wie sie die Zahl der verwendeten Tiere durch effiziente Methoden verringern, oder die Tiere besser behandeln können, etwa mit Narkosemitteln. BB3R ist weltweit eines der größten Institute auf seinem Gebiet und das erste in Europa, das Doktoranden ausbildet. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung fördert das Projekt. Der Zeitpunkt für die Gründung einer so umfangreichen Forschungsplattfform zum Ersatz oder zur Verbesserung von Tierversuchen ist nicht zufällig gewählt. Seit 2013 sind in Europa sind Tierversuche bei der Herstellung von Kosmetikprodukten verboten. »Die Zeit ist abgelaufen«, so Weindl. Mit Versuchen wie dem sogenannten Mausohr-Schwelltest soll dann bald Schluss sein. Dabei geben Forscher einen chemischen Stoff auf die Ohren der Mäuse und warten ab, ob und wie stark die Ohren anschwellen. Auch der sogenannte Lymphknotentest würde dann überf lüssig.
Bei diesem werden den Mäusen nach auftragen der Substanz die Lymphknoten entfernt. Die Forscher beobachten dann, wie schnell sich die Immunzellen vermehren. Das Herstellen von menschlichen Hautproben ist zwar schon länger möglich, wird im BB3R aber weiterentwickelt. Für ihre Proben verwenden die Forscher Haut aus dem Abfall von Schönheitsoperationen. Sie zerlegen die Haut und setzen sie anschließend wieder zusammen. Das Züchten der Proben dauert ungefähr vier Wochen. »Die selbstgemachten Modelle seien für die Forschung geeigneter als echte Haut,« meint Weindl. Ihre Zusammensetzung könne dann nämlich genau kontrolliert werde. Den Hautstückchen fügt er dann Immunzellen hinzu, um zu schauen, wie diese auf chemische Stoffe reagieren. Auch die Forschung an hellem Hautkrebs, die weniger aggressive Form dieser Krankheit, bildet einen Schwerpunkt in BB3R: »Es werden Tumorzellen in die Hautproben gegeben und dann verschiedene Behandlungsmethoden getestet.« Weindl hofft, dass er und seine Kollegen durch ihre Arbeit mehrere zehntausend Versuchsmäuse retten können. Das ist aber nur ein Bruchteil der Tiere, die jährlich in der Forschung zum Einsatz kommen. Weindl weiß das: »Wir arbeiten an kleinen Teilgebieten«, sagt er. Für viele Medikamente seien Tierversuche weiterhin notwendig, da es noch keinen guten Ersatz gebe. An den Hautmodellen könne zum Beispiel nicht getestet werden, ob
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Eierstöcke/ Hoden Haut
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Gehirn
Darm Lunge
Fettgewebe Knochenmark Niere Leber Magen
ein Wirkstoff in den Kreislauf gelangt. Auch die Knock-Out-Mäuse werden wohl weiterhin beliebt bleiben. »Tierversuche komplett abzuschaffen ist in absehbarer Zeit nicht möglich«, erklärt Weindl. Horst Spielmann, Tierschutzbeauftragter des Landes Berlin, begrüßt die Initiative für BB3R. Der 72-Jährige Arzt und Honorarprofessor für Toxikologie an der FU ist einer der Pioniere alternativer Forschungsmethoden in Deutschland: Er hat an der Entwicklung des Verfahrens für die Züchtung der Hautmodelle mitgearbeitett. »Tests an menschlicher Haut sind verlässlicher als die an Tieren«, sagt Spielmann. Doch auch er ist der Meinung, dass für viele Fragen noch weitere Forschung notwendig ist: »BB3R ist viel zu wenig«. Sowohl Weindl aus auch Spielmann setzen viel Hoffnung auf ein spektakuläres
Projekt, das derzeit an der TU läuft und auch zu BB3R gehört. Auf einer Chipkarte so groß wie ein Smartphone ahmen Forscher einen menschlichen Organismus nach. Die Nachbildungen menschlicher Organe, die echte Zellen enthalten, werden durch kleine Kanäle miteinander verbunden. Wie in einem menschlichen Kreislauf wird dann Blut durch das System gepumpt – das Ganze erinnert jedoch eher an das Innenleben eines Computers. An diesem »Human-on-a-chip« könnten Forscher das Eindringen von verschiedenen Wirkstoffen in die Organe testen. Vielen Tieren blieben dadurch die tödlichen Versuchsreihen erspart. Woran es ihrer Forschung vor allem fehle, sei Geld, so Weindl und Spielmann. Obwohl die Methoden Weindl zufolge nicht unbedingt teurer seien als Tests
Josta van Bockxmeer studiert Literaturwissenschaft. Nach diesem Artikel schwirren ihr aber eher Genmutationen und Immunzellen durch den Kopf.
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an Tieren, erhielten sie weniger Fördergelder. Die endgültige Abschaffung von Tierversuchen hat keine mächtige Lobby. Der Tierschutz-Experte Spielmann hat das selbst erlebt: »Die Versuchstiere können nunmal nicht für sich selbst sprechen.« Sie sind auf die Fortschritte der Forschung angewiesen.
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Mehr als satt werden
Die Kulinaristik ist eine junge Wissenschaft. Sie erforscht Essen als kulturelle Praktik in unterschiedlichen Ländern. Dabei zeigt sich, dass die Landesküchen heute mehr verbindet als sie trennt. Text: Sarah Pützer Illustration: Luise Schricker
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ine knusprige Gans zu Weihnachten, bemalte Eier an Ostern und Weißwürste zuzeln auf dem Oktoberfest: Essen ist nicht nur Essen. Vielmehr ist es ein Teil unseres Alltags und unserer Kultur. Doch wie funktioniert Essen als kulturelle Praktik? Damit beschäftigen sich die Berliner Kulinaristikforscher Irmela Hijiya-Kirschnereit und Peter Heine. Sie wurden im Oktober mit dem Wissenschaftspreis für Kulinaristik in Heidelberg ausgezeichnet. Obwohl Essen in den meisten Kulturen viel Bedeutung beigemessen wird, fand es auf wissenschaftlichem Gebiet bisher wenig Beachtung. Dabei sind die Themen der Kulinaristik vielfältig: Zunächst ist Essen als menschliches Grundbedürfnis in allen Gesellschaften tief verwurzelt; jeder Kulturkreis hat eine Vielfalt an Speisen entwickelt. Darüber hinaus wird Essen von Ritualen, Normen und Regeln begleitet – auch sie sind Gegenstand der Kulinaristik. Schließlich gehört auch die Gastlichkeit dazu, eines der ältesten Konzepte des menschlichen Zusammenlebens. Die FU-Japanologin Irmela HijiyaKirschnereit beispielsweise befasst sich mit der japanischen Esskultur. Sie untersucht Werbung für Lebensmittel auf unterschwellige, patriotisch gefärbte Botschaften: »Das Essen dient in Japan auch als Bestätigung von Nationalkultur, von Nationalcharakter,« erklärt sie. »Es ist gewis-
sermaßen Element einer kulturellen Selbstbehauptung. Nach innen, wie nach außen.« Ende der 1990er-Jahre warb zum Beispiel eine japanische Biermarke mit dem Slogan »Lass dich nicht unterkriegen, Japan«. Auch der Islamwissenschaftler Peter Heine von der HU erforscht Esskultur. Er konzentriert sich auf die Esskultur in islamisch-arabischen Gesellschaften: »Hier entstanden schon im 9. Jahrhundert erste Kochbücher. Bedeutende Dichter, Sängerinnen und Sänger zeichneten sich damals auch durch ihre Kochkunst aus.« Dass sich die Essgewohnheiten verschiedener Kulturen durch den globalen Wandel immer weiter vermischen, ist keine neue Erkenntnis. Beim türkischen Imbiss an der Ecke gibt es Pizza mit Sucuk-Wurst. Sowohl Olivenöl als auch Kräuter der Provence sind aus vielen deutschen Küchen nicht mehr wegzudenken. Wie die Nationalküchen im Einzelnen aber auf die Einf lüsse von außen reagieren und welche Gewohnheiten die Veränderung überstehen, untersucht die Kulinaristik. Hijiya-Kirschnereit beobachtet solche Entwicklungen in der Japanischen Küche:
»Zum japanischen Essen gehört, dass man viele kleine Teller auf dem Tisch vor sich stehen hat. Da kann auch einmal ein Makkaroni- oder Kartoffelsalat zum Reis dazu gegessen werden.« Wichtiger sei in Japan aber immer das Optische und Visuelle. Selbst im japanischen Kartoffelsalat müsse ein Farbtupfer drin sein, der die Speise ansprechend gestalte. »Dieser ästhetische, verspielte Zugang zum Essen gehört zur japanischen Küche«, sagt die Forscherin. Noch ist die Kulinaristik eine junge Wissenschaft. Sie möchte neue Erkenntnisse durch interdisziplinäre Zusammenarbeit bündeln. Sie verbindet die Arbeit von Ernährungswissenschaftlern und Medizinern mit jener von Kultur- und Kommunikationswissenschaftlern. Doch die junge Disziplin versucht auch einer gefährlichen Entwicklung entgegenzuwirken: dem mittlerweile selbstverständlichen Nahrungsüberf luss in westlichen Ländern. Dazu gehört, unser Bewusstsein für Essen im Alltag zu schärfen. Denn Essen ist nicht nur ein sinnlicher Genuss, sondern auch eine Frage der Ressourcen und Verteilungsgerechtigkeit. Sarah Pützer studiert an der FU Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft. In ihrer Freizeit vergleicht sie auch mal gerne gute Restaurants und leckeres Essen.
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Melodien zwischen Herz und Hirn Ein Lied kann uns von einer Sekunde auf die andere in Euphorie versetzen oder in Melancholie stürzen. Was genau mit uns passiert, wenn wir Musik hören, erforschen zwei Psychologen der FU. Text: Friederike Werner Illustration: Friederike Oertel
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ei den ersten Tönen von »Tears in Heaven« oder »Imagine« bekommt beinahe jeder eine Gänsehaut. »Eye of the Tiger« hingegen sorgt beim Sport für einen Motivationsschub. Musik begegnet uns jeden Tag; dass sie unsere Stimmung beeinf lusst, bemerken wir dabei instinktiv. Mit diesem Zusammenhang zwischen Musik und Emotionen beschäftigen sich der Psychologieprofessor Stefan Koelsch und die Doktorandin Liila Taruffi an der FU. Anfang des Jahres fasste Koelsch 21 neurowissenschaftliche Studien zum Thema Musik zusammen. Das Ergebnis: Musik aktiviert die zentralen Strukturen im Gehirn, die für die Verarbeitung von Emotionen zuständig sind. In manchen Fälle kann sie diese sogar verändern. »In der Emotionsforschung wirken Stimuli mit Musik besonders stark auf unsere Gefühle.«, betont Koelsch. Deshalb sieht er in der Musiktherapie ganz neue Möglichkeiten, etwa um Menschen mit Depressionen zu helfen. »Mithilfe von Musik lassen sich möglicherweise die Glücksstrukturen im Gehirn wieder animieren«, erklärt er. Doch dafür bedarf es weiterer Studien. Insbesondere der Zusammenhang zwischen Trauer und Musik ist noch weitgehend unerforscht. Warum genießen wir
bei Kummer traurige Musik, wenn diese den Schmerz zunächst nur intensiviert? Liila Taruffi ist dieser Frage nachgegangen. Für ihre Studie füllten 772 Menschen aus aller Welt einen Online-Fragebogen zu ihrem Hörverhalten aus. Fast alle gaben an, traurige Musik vor allem in Stresssituationen zu hören – zum Beispiel wenn sie jemanden vermissen. Doch worin besteht der Nutzen des auditiven Kummers? Taruffi verweist auf Aristoteles’ Vorstellungder Katharsis. »Traurige Musik zu hören, hilft uns dabei, negative Emotionen rauszulassen«, sagt sie. Außerdem fühlten sich viele beim Hören verstanden: Derjenige, der diese Musik produziert hat, hat anscheinend einmal genau das Gleiche gefühlt. Manchmal wollten Menschen die Traurigkeit aber auch nur probieren. »Es scheint verlockend, dass man durch Musik Traurigkeit für einen kurzen Moment und außerhalb des echten Lebens erfahren kann«, erklärt Taruffi. »So kann man sie besser verstehen und auch irgendwie erproben, in welcher Intensität man fühlen kann.« Was Taruffis Studie außerdem zeigt: je empathischer Menschen sind, desto mehr schätzen sie traurige Musik. Generell scheinen Musikliebhaber emotionalere Menschen zu sein als diejenigen, die
selten Musik hören. So bemerkt auch der Psychologe Koelsch: »Leute, deren Hobby Musik ist, haben wahrscheinlich ein großes Bedürfnis, sich selbst emotional zu erkunden und sich mitzuteilen.« Dasselbe Lied kann bei verschiedenen Menschen möglicherweise vollkommen unterschiedliche Reaktionen hervorrufen. Dies liegt unter anderem daran, dass Musik stark mit Erinnerungen verknüpft ist. Ein Lied kann uns abrupt in die Vergangenheit katapultieren. »Die Musik, die wir in unserer Jugend gehört und geliebt haben, berührt uns zum Beispiel für den Rest unseres Lebens auf andere Weise als Musik, die wir danach kennenlernen«, erklärt Koelsch. Und so lässt uns auch fast jedes traurige Lied auf irgendeine Weise in die Vergangenheit reisen. Das Gefühl, das die Teilnehmer von Taruffis Studie am häufigsten in Verbindung mit trübseliger Musik angaben, war deshalb auch nicht reine Traurigkeit, sondern bittersüße Nostalgie.
Um ihre Emotionen zu verarbeiten, singt Friederike Werner schon mal mit ihrer Mitbewohnerin Miley Cyrus.
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Der empörte Student
Wer glaubt, in den Räumen der ZEDAT einen effizienten Arbeitsplatz gefunden zu haben, hat sich getäuscht. Man stößt hier lediglich auf Kommilitonen, die nicht wissen, wie man anständig arbeitet. Text: Anonym Illustration: Luise Schricker Liebe Kommilitonen in der Zedat, Ihr bringt mich zur Weißglut. Ihr sitzt vor den unzähligen Bildschirmen der Zedat und tut geschäftig. Als hätte ich Euch nicht längst durchschaut. Ich habe eineinhalb Stunden Zeit bis zum nächsten Seminar. Genug, um einen, nur einen einzigen Text auszudrucken. Sollte man meinen. Aber Ihr belehrt mich eines besseren. Wenn ich die Schlange vor dem Tornadoraum sehe, kommt es mir schon hoch. Was soll‘s, ich reihe mich ein. Hinter den Typen mit Dutt über dem Undercut. Ich weiß nicht, ob nur er nach Fuß riecht oder der gesamte Raum. Wahrscheinlich beide. Wie Raubtiere beobachten wir Wartenden jede Eurer Bewegungen. Nun gebt doch endlich den Platz frei! Aber Ihr macht uns nur falsche Hoffnungen: Da greift eine nach dem Mantel – nur um sich noch ein Kaugummi in die Fresse zu schieben. Der Erste in der Reihe zuckt schon wild, als einer ganz hinten im Raum das Gesäß anhebt. Der will aber auch nur mal seine Pobacken lüften. Kein Wunder, nach drei Stunden Facebooksurfen wird auch der strammste Hintern zu Wackelpudding.
Endlich bin ich dran. Jetzt kann es nicht mehr lange dauern. Danke, lieber Vorgänger, dass du den Computer ausgeschaltet hast! Und angenehm feucht-warm ist der Sitz auch schon. Während mein Rechner hochfährt und dabei noch 95 Updates ins talliert, schaue ich nach rechts. Der Typ neben mir jagt zwei kopulierende Fliegen mit Insektenspray. Ich huste den Giftfilm von meiner Lunge ab und wende mich nach links. Ja, Nachbar, Du hast deinen Bildschirm angewinkelt. Deinen Mangaporno kann ich trotzdem sehen. Ich wusste bisher gar nicht, wo Tintenfischtentakeln überall reinpassen. Ich wollte es auch nicht wissen. Was sind das hier eigentlich für PCs? Wäh! Den zähf lüssigen Belag auf Tastatur und Maus ignoriere ich. Wird schon nichts Ansteckendes sein. Und ich muss ja nur noch auf »Drucken« klicken. Mit einem siegessicheren Grinsen gehe ich zum Drucker – Papierstau. Ich raste aus. Die Zedat-Mitarbeiter hingegen sind seelenruhig. Die nippen nur an ihrem Kaffee: »Da musst du dich ein bisschen gedulden.« Kein Ding, ich krieg hier ja nur gleich Schreikämpfe. Nach gefühlten fünf Kaffeetassen kommt er doch,
der Zedat-Mitarbeiter. Er öffnet die ratternde Klappe des Druckers und stochert im Getriebe. Als er mit einem blasierten Grinsen davonzieht, spuckt Passat 06 einen Schwall Papier aus. Die angestauten Druckaufträge der vergangenen Stunde entweichen dem Druckerschlitz. Liebe Kommilitonen in der Zedat, natürlich stürmt Ihr gleich darauf los. Natürlich nehmt Ihr nicht einfach Euer Dokument raus und verschwindet wieder. Nein – Ihr müsst alle Blätter an Euch reißen und jedes davon einzeln intensiv begutachten, um festzustellen, ob es denn Eures ist. Eine von Euch grenzdebilen Gurken schafft es schließlich, mein Dokument mit seinem zu verwechseln und mitzunehmen. Ihr könnt mich mal. Ab jetzt zahle ich es Euch heim. Ab jetzt ergaunere ich mir jeden Tag einen Platz, öffne You-Tube und lasse mich mit Tiervideos berieseln. Wie schön. Ab und an schaue ich in die Augen derer, die mit trostlosen Mienen in der Schlange stehen. Viel Glück, Ihr armen Seelen! Auf diesen Platz könnt Ihr lange warten.
Herausgeber
Freundeskreis Furios e.V. Chefredaktion
Cecilia T. Fernandez, Melanie Böff (V.i.S.d.P, Freie Universität Berlin, JK 26/222a, Habelschwerdter Allee 45, 14195 Berlin) Ressortleitung Politik
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Dorothea Drobbe, Julia Brakel Redaktionelle Mitarbeit an dieser Ausgabe
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Robin Kowalewsky (Illustration), Christoph Spiegel Lektorat
Melanie Böff, Matthias Bolsinger, Cecilia T. Fernandez, Sophie Krause, Florian Schmidt, Valerie Schönian ISSN: 2191-6047 www.furios-campus.de redaktion@furios-campus.de
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