FURIOS 15 – Verboten

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WINTER 2016 AUSGABE 15


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Editorial

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Liebe Kommilitoninnen, liebe Komilitonen, einfach mal auf alle Regeln scheißen? So tun es die Vögel auf unserem Cover. Es gibt doch Situationen, in denen sich das jeder wünscht. Denn Verbote schränken ein. Und doch sind sie wichtig – sie verhindern Chaos. So prägen sie Gesellschaften. Unsere fünfzehnte Ausgabe dreht sich daher um die Regeln des Lebens – und wie wir sie brechen. In diesem Semester hat auch die FU endlich ein Programm ins Leben gerufen, das Flüchtlingen den Zugang zum Studium erleichtern soll. Doch die Hürden bleiben hoch. Warum, lest Ihr auf Seite 6. Eines lernen wir schon ganz früh im Leben: Lügen soll man nicht. Trotzdem tun wir es täglich. Was aber passiert, wenn man drei Tage lang auf alle Schwindeleien verzichtet, erfahrt Ihr auf Seite 8.

Ebenfalls seit jeher verboten: Spicken. Doch neue Technologien eröffnen immer neue Mogel-Möglichkeiten. Inwiefern die Uni dagegen gerüstet ist, lest Ihr auf Seite 14. Nicht nur Spicken ist an der Uni untersagt. Auf Seite 10 verraten wir euch, welche Verbote sinnvoll sind und welche man ruhig mal vergessen darf. Weil es so viele Regelungen gibt, fragen wir auf Seite 12: Leben wir in einer Verbotsgesellschaft? Zwei Hochschulpolitiker sprachen mit uns über die Grenze zwischen sinnvoller Verordnung und Bevormundung. Auf Seite 16 verraten wir, was Studenten und Dozenten gerne verbieten würden.

warum der Uni bald das Geld knapp werden könnte (S. 18), wie Kriminelle hinter Gittern studieren (S.24), was es mit der Ausgrabung der ältesten Moschee Deutschlands auf sich hat (S.30) und auf welche Weise wir Entscheidungen treffen (S.34). Viel Spaß bei der Lektüre unserer fünfzehnten FURIOS-Ausgabe wünschen Euch Melanie Böff Alexandra Brzozowski Cecilia T. Fernandez

Wie immer bieten Euch auch unsere Ressorts spannende Themen und mitreißende Artikel: Wir haben einen Blick darauf geworfen,

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INHALT – Ausgabe 15

TITELTHEMA: VERBOTEN 06 Willkommen an der FU?

12 »Der Staat muss nicht alles ordnen«

Die FU reagiert auf den Flüchtlingsstrom mit einem Willkommensprogramm. Die Zugangshürden bleiben trotzdem oft unüberwindbar.

Drogen, Drittmittel und Schokolade? Zwei Hochschulpolitiker verraten uns, was sie von Verboten halten.

08 Wahrheit oder Nicht

14 Die Zukunft ist ein Paradies für Schummler

Drei Tage lang ohne Lügen – auch ohne die ganz kleinen. Ein Selbstversuch.

Der Papierspicker hat ausgedient, ein neues Zeitalter des Schummelns ist angebrochen. Ist die FU darauf vorbereitet?

10 10 Delikte - eine Checkliste für den universitären Untergrund Von kleinen und großen Verbrechen im Unialltag

16 4 aus 40.000 Wir haben auf dem Campus nachgefragt: Was würdet Ihr gerne verbieten?

FÜR DIE OPTIK SORGEN:

Die greta studiert Illustration und Comic in Kassel und zeichnet schon seit einiger Zeit an einer Graphic-Novel.

Monica Camposeo hat einen neuen Rekord aufgestellt: 27 Minuten in der Warteschleife, um einen Werbekunden zu erreichen.

Frisch im AVL-Master, greift Hannah Reiners ambitioniert als Grammatik-Expertin ein, um sich richtig unbeliebt zu machen.

Cristina Estanislao Molina studiert Architektur, zeichnet aber nicht nur Lagepläne und Häuser, sondern alles, was ihr in die Quere kommt.

Robin Kowalewsky hat es nicht so mit dem Einhalten von Deadlines. Deshalb bekam er einen Ghostwriter für seinen Autorenkasten.

Als kleines Mädchen malte Julia Fabricius nur Pferde. Für diese Ausgabe wagte sie sich an Knastmotive.

Lucie Hort: Augen zu und durch! #ghostwriter

Während Vorlesungen füllt Zoë Schütte ihre Blätter lieber mit Kritzeleien als mit Notizen (wertvolles Gedankengut ist es trotzdem).

Faustina Kork studiert an der Kunsthochschule Burg Giebichenstein in Halle. In dieser Ausgabe erforschte sie die Essgewohnheit von Farbkühen.


POLITIK

CAMPUS

18 Was nun, Eure Exzellenz?

25 Foucault hinter Gittern

Die Exzellenzinitiative provoziert nach wie vor. Über Euphorie und Enttäuschung eines Milliardenprojekts.

Studieren im Gefängnis? In der JVA Tegel können Häftlinge die Unibank drücken, während sie ihre Strafe absitzen.

20 Der Wahlkrampf Die Wahlbeteiligung ist seit Jahren im Keller. Schuld ist die Distanz zwischen Studenten und ihren Vertretern.

22 »Unipolitik ist eingeschränkt« Der RCDS ist im Stupa nur noch eine Randerscheinung. Warum engagieren sich seine Mitglieder trotzdem noch?

23 Cidre trinken unter‘m Stalinstachel Die junge Generation Warschaus zeigt ihr neues Selbstverständnis. Apfelwein und die Vergangenheit spielen dabei eine Hauptrolle.

26 Monet statt Karies Nach jahrelanger Karriere wieder in den Hörsaal. Birgit Krüger gönnt sich noch einmal ein Studium.

27 Wer nicht vögelt, fliegt Ein Escort-Service wirbt gezielt Studentinnen für schlüpfrige Zwecke.

28 Wo bin ich hier gelandet? Ein Spion als Chauffeur und ein ungewollter Besuch auf einem katholischen Metal-Konzert.

29 Ewiger Ehemaliger: Anwalt der Daten Der FU-Ehemalige Hans-Peter Bull gilt als Vater des Datenschutzes in Deutschland.

38 Der empörte Student Gruppenarbeiten sind der natürliche Feind eines jeden Studenten. Eine Wutschrift.

KULTUR

WISSENSCHAFT

30 Dschihad für das Deutsche Reich

34 Ja, ich will?

FU-Archäologe Reinhard Bernbeck über die historische Bedeutung der ältesten Moschee Deutschlands.

Wir treffen täglich hunderte Entscheidungen. Aber was genau geht dabei in uns vor?

31 Blaupause in Weiß

36 Im akademischen Asyl

Kunstschätze sind ständiger Bedrohung ausgesetzt. Abgüsse können sie retten.

Das Programm »Scholars at Risk« bietet gefährdeten Forschern Unterstützung.

32 Wort frei!

37 Neues aus Dahlem

In unserer neuen Rubrik lassen wir eure Kreativität zu Wort kommen. Den Beginn machen Zebras.

In den Tiefen des Campus entstehen kreative Ideen für Start-Ups. Drei Konzepte im Kurzproträt.

33 Die geklaute Rubrik: Dos & Dont’s Von Salat-Architekten und U-Bahn-Posern – Dos & Don‘ts à la »VICE«

03 Editorial 38 Impressum


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Willkommen an der FU? Die Berliner Universitäten reagieren auf den anhaltenden Flüchtlingsstrom: Mit Deutsch- und Schnupperkursen wollen sie den Geflüchteten Zugang zum akademischen Leben gewähren. Die FU hinkt hinterher. Text: Max Krause Illustration: die greta Mohammed ist nicht anspruchsvoll. Der 21-Jährige hat ein Jahr Geografie studiert, jetzt will er auf Informatik umsatteln. Der Grund: Dort ist es leichter, einen Studienplatz zu bekommen. Mohammed kommt aus Syrien, er ist vor dem Krieg geflohen. Seit einem halben Jahr ist er in Deutschland. Sein Wunsch nach einem Studium ist nicht nur akademisch motiviert. »Ich hätte gern mehr Kontakt zu Deutschen. So kann ich die Sprache schneller lernen und mich hier einleben«, sagt er. Doch bis er regulär an die Uni kann, wird es dauern. Seit dem Wintersemester gibt es das Programm »Welcome@FU«, das Asylbewerbern den Weg in das akademische Leben Deutschlands ebnen soll. Im Rahmen des Willkommensprogramms nimmt Mohammed sowohl an einem Deutschkurs teil als auch an einem Seminar, das Einblick in die Gesellschaft und den Studienalltag in Berlin bieten soll. Ein Besuch der East Side Gallery steht ebenso auf dem Programm wie ein Vortrag über die Gründung des Deutschen Reiches. Außerdem können die Teilnehmer ausgewählte Lehrveranstaltungen der FU besuchen. Doch damit bleibt die FU Nachzüglerin unter den Berliner Universitäten. Sowohl die Humboldt- als auch die Technische Universität haben ihr Programm bereits Ende August ausgearbeitet. »Die FU stand unter Zugzwang«, sagt Theresa Bischof. Die Lehramtsstudentin ist Teil der Hochschulgruppe »la:iz«, die kürzlich eine Vollversammlung zu dieser Problematik organisiert hat. Bischof glaubt, dass das Programm nur ins Leben gerufen wurde, damit die FU keinen Imageschaden erleide. Denn viele andere deutsche Unis zeigten früher Initiative: In Hamburg, München und Heidelberg lernen Flüchtlinge schon einen Monat länger Deutsch. Theoretisch könnten sich anerkannte Flüchtlinge ganz regulär an Universitäten einschreiben. In der Praxis gelingt das aber selten. Fehlende Deutschkenntnisse oder bürokratische Hindernisse wie verlorene Zeugnisse machen ein Studium meist unmöglich. So könnte Mohammed sich theoretisch auf ein höheres Fachsemester in Geografie bewerben – die Kenntnisse hat er. Doch Papiere, die das bezeugen, nicht. Auf der anderen Seite verlieren Flüchtlinge, die sich immatrikulieren, Anspruch auf Sozialleistungen – ähnlich wie deutsche Studierende, die keinen Anspruch auf Hartz IV haben. Da Flüchtlingen meist nicht die finanziellen Mittel zur Verfügung stehen, um ein Studium zu stemmen, müssten

sie Bafög beantragen. Diesen Anspruch können sie jedoch nicht geltend machen, da sie dafür mindestens 15 Monaten in Deutschland leben müssten. Eine lange Zeit, in der Flüchtlinge nichts tun können, außer warten. Bisher gesammeltes Wissen verkümmert. »Die Finanzierungslücke ist derzeit das größte Problem«, sagt Theresa Bischof. Das Studentenwerk Berlin bietet zwar für Flüchtlinge eine einmalige Unterstützung in Höhe von 1000 Euro. Doch für eine Überbrückung ist diese nicht gedacht. Ursprünglich sollten dadurch sozial benachteiligten Studienanfängern Investitionen - wie zum Beispiel ein Laptop - ermöglicht werden. Erst später wurde die Finanzierung auf Flüchtlinge ausgeweitet. Bislang gibt es in dem Programm jedoch lediglich 25 Plätze. Ein Problem, bei dem die Hochschulen selbst wenig ausrichten können? Bischof widerspricht: Die FU könne zum Beispiel Stipendien anbieten – oder sich beim Berliner Senat dafür einsetzen, eine landesweite Förderung einzurichten. Bislang bestehen der Universität zufolge aber keine derartigen Pläne. Stattdessen soll das Programm der FU helfen, die Brücke zu schlagen, bis die Asylbewerber die bürokratischen Anforderungen erfüllen und ein reguläres Studium aufnehmen können. In vielen Fällen gelingt dies allerdings nicht. Das größte Problem von »Welcome@FU« ist ironischerweise dessen Bürokratie: Um an dem Programm teilnehmen zu können, müssen Flüchtlinge eine Aufenthaltsgenehmigung vorweisen. Viele warten darauf monatelang. Auf die Frage, wie die FU mit diesem Problem umgehen will, antwortet FU-Sprecher Goran Krstin: »Der Nachweis einer Aufenthaltsgestattung ist obligatorisch.« Doch auch diejenigen Flüchtlinge, die die nötigen Papiere vorweisen, stoßen auf neue Probleme. Bis Redaktionsschluss dieser Ausgabe boten weniger als die Hälfte aller Fachbereiche der FU überhaupt Lehrveranstaltungen an, die für Flüchtlinge offen stehen. Selbst wenn die Geflüchteten Glück haben und ihr Fachgebiet dabei ist, können sie keinerlei Leistungsnachweise erwerben. Sollten sie später offiziell studieren, müssten sie die Kurse wiederholen. »In seiner derzeitigen Form ist ‘Welcome@FU’ lediglich ein ausgebautes Gasthörerinnenprogramm«, kritisiert Bischof. Die FU stellt in Aussicht, dass die Teilnehmer bald zumindest


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Leistungsnachweise erbringen können: »Wir gehen davon aus, dass dies schon im kommenden Sommersemester umgesetzt werden kann.« Bisher standen dem angeblich rechtliche Fragen im Wege. »Das liegt natürlich auch an der politischen Linie der Universität«, sagt Abraham van Veen, der das Schwesterprogramm »In(2) TU Berlin« koordiniert. Im Vergleich zur FU herrsche an seiner Universität ein anderes Selbstverständnis: »Ob die Flüchtlinge eine Aufenthaltsgenehmigung mitbringen, ist für uns nicht relevant. Die Menschen, die an dem Programm teilnehmen, gehören zu unserer akademischen Familie.« Missbrauchsgefahr sieht van Veen dennoch nicht. »Neunzig Prozent der Programmteilnehmer sind Syrer, die ohnehin höchstwahrscheinlich eine Genehmigung bekommen.« Ungefähr einhundert Geflüchtete nehmen derzeit an der TU als Gasthörer an Lehrveranstaltungen teil. Grundsätzlich stünden alle Kurse offen, sagt van Veen. In Absprache mit den Dozenten können die Geflüchteten sogar Leistungsnachweise erbringen. Van Veen legt Wert darauf, dass die Flüchtlinge von dem Angebot erfahren. »Dafür versuchen wir natürlich, möglichst viele Gespräche mit der Presse zu führen.« Florian Kohstall, der an der FU das Flüchtlingsprogramm leitet, stand nicht für ein Interview zur Verfügung. Vor allem die unterschiedlichen Kommunkationstrategien der Universitäten schlagen sich in Anmeldezahlen nieder: Während die TU von über 120 Anmeldungen für Deutschkurse nur 60 zulassen konnte, ist das Programm der FU nicht einmal ausgelastet. Denn auf 72 Plätze kommen laut Pressestelle etwa 60 Flüchtlinge. »Natürlich könnte die FU mehr tun. Es ist eben alles eine Frage der Prioritäten«, sagt Bischof. Eine Universität, deren Aushängeschild Internationalität ist, könnte jetzt ihre Prioritäten betonen – dies wäre ein Beweis dafür, dass das Flüchtlingsprogramm kein bloßes Feigenblatt ist. Max Krause beendet bald seinen Master - mit über 15 Monaten Verzögerung. Er hofft, dass andere Studenten bald schneller sein können als er, egal woher sie stammen.

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Wahrheit oder Nicht Ganz ehrlich: Ein guter Teaser ist mir einfach nicht eingefallen. Ich habe versucht, drei Tage nicht zu lügen, deshalb bleibe ich auch jetzt bei der Wahrheit. Gebt euch diesen Text! Text: Friederike Werner Illustration: die greta

»Was ich nicht mag: Lügner.« Das schrieb ich vor 15 Jahren in mein Freundebuch. Denn Lügen ist böse. Das bekommen wir eingebläut, noch bevor wir uns richtig artikulieren können. Und doch tun wir es alle: Kleine Flunkereien sind aus dem Alltag nicht wegzudenken. »Man nimmt ständig Rücksicht – sowohl auf sich selbst als auch auf die anderen«, erklärt FUPsychologe Klaus-Jürgen Bruder. Trotzdem: »Es ist eine Lüge, die Wahrheit zu verschweigen.« Aus Sicht der Psychoanalytiker beginne das schon damit, nicht auszusprechen, was einem durch den Kopf geht. Doch was passiert eigentlich, wenn wir jegliche Rücksicht fallen lassen? Ich will den Selbstversuch wagen: Drei Tage schonungslose Ehrlichkeit.

Tag 1 Beim Frühstück ist mir mulmig zumute. Worauf hab ich mich nur eingelassen? Ich bin ein sehr höflicher Mensch. Wahrheit und Höflichkeit vertragen sich allerdings eher schlecht. Für die erste Verabredung des Tages bin ich schon spät dran. Doch statt einer zusammengereimten Rechtfertigung, die äußere Umstände dafür verantwortlich macht, schreibe ich meiner Freundin: »Ich komme 10 Minuten zu spät, konnte mich nicht von Facebook losreißen.« Sie reagiert gelassen. Okay, das war gar nicht so schwer! Unangenehmer wird es beim nachmittäglichen Postbesuch. Eine ältere Dame hält der Verkäuferin einen Vortrag über das schlechte Bildungssystem in Deutschland und greift dabei immer wieder nach ihrem Portmonee, ohne endlich zu zahlen. Plötzlich dreht sie sich zu mir um: »Nicht wahr?« Ich schaue in ihr freundliches Gesicht und hasse mich, als ich sage: »Ehrlich gesagt würde ich einfach gern mein Paket abgeben.« Eine peinliche Stille tritt ein. Die Frau bezahlt. »Einen schönen Tag wünsche ich Ihnen!«, rufe ich ihr kleinlaut hinterher. Das ist

zwar wahr, kann aber auch nichts mehr retten. Auf dem Heimweg ruft eine Freundin an. Sie scheint heute ein extrem großes Mitteilungsbedürfnis zu haben und der Wortschwall, der über mich hereinbricht, ist mir zu viel. Ich hole tief Luft. Dann sage ich: »Ich kann dir gerade einfach nicht zuhören. Ich leg jetzt auf.« Auch wenn mir das Schuldbewusstsein heiß in die Wangen schießt, fühle ich mich ein bisschen erleichtert. Ehrlichkeit erlaubt es, die eigenen Bedürfnisse an erste Stelle zu setzen. Am Abend gehe ich mit Freunden etwas trinken. Nach dem ersten Glas Wein finde ich zum ersten Mal Gefallen an dem Gedanken, einfach alles auszusprechen. Ich wähle meine Worte mit weniger Bedacht darauf, wie sie mich klingen lassen. Als jemand fragt, warum ich noch immer nicht mit meinem Studium fertig bin, verzichte ich zum Beispiel auf Ausflüchte: »Ich habe ein riesiges Prokrastinationsproblem und muss erstmal alle aufgeschobenen Hausarbeiten fertig schreiben.« Die Wahrheit auszusprechen, zwingt mich auch zur Selbstreflexion.

Tag 2 Ich habe das Gefühl, die meisten Leute wissen nicht so recht, wie sie mit der Wahrheit umgehen sollen. Mein Nachbar lacht nervös, als ich auf das im Vorbeigehen dahingeworfene »Alles gut bei dir?« antworte: »Eigentlich nicht. Ich fühle mich momentan ganz schön gestresst.« Auch der Mann, der mir in der U-Bahn auf den Fuß tritt, scheint irritiert, als ich auf seine Entschuldigung entgegne: »Das hat ganz schön wehgetan.« Beim Arzt will ich mir ein Rezept ausstellen lassen. »Ihr Unfall ist jetzt aber schon eine Weile her«, mahnt die Sprechstundenhilfe. »Ich weiß. Ich hab’s die ganze Zeit vor


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mir hergeschoben, weil ich keine Lust auf die Physiotherapie hab.« Sie starrt mich einen Moment lang an, bevor sie mich in missbilligendem Ton anweist, Platz zu nehmen. Am Abend bittet mich eine Freundin, mit ihr zum Krankenhaus zu gehen. Ich bin am anderen Ende der Stadt und es ist fast acht Uhr abends. »Sind deine Mitbewohner nicht da?« frage ich. »Doch, aber die müssen morgen um sieben arbeiten.« Während ich sie abhole, brodelt es in mir. Ihre Mitbewohner sind doch da - können die nicht einfach eine Stunde später ins Bett? Wir reden über etwas anderes, aber der Gedanke nagt die ganze Zeit an meinen Innereien. Erinnerungen an solche Momente kramt man gerne im Streit hervor – Monate später. Warum nicht lieber gleich sagen, dass man sich ungerecht behandelt fühlt? Ich überwinde mich dazu, meinem Unmut Luft zu machen. »Tut mir leid«, sagt sie. »Aber du bist für mich nun mal wie Familie.« Die Erklärung berührt mich und das Thema ist damit abgehakt.

Tag 3 Ein mir bekannter »Straßenfeger«-Verkäufer kommt in die U-Bahn. »Hat jemand noch eine kleine Spende übrig?« Mir wird heiß. Soll ich es wirklich wagen, auszusprechen, was mir durch den Kopf geht? »Eigentlich schon. Aber ich habe Ihnen letzte Woche Geld gegeben und Sie haben sich nicht bedankt und das fand ich unhöflich.« Das könnte ich jetzt wahrheitsgetreu sagen, käme mir aber schrecklich selbstgerecht vor. So viel Ehrlichkeit bringe ich nicht übers Herz und schweige stattdessen. Meine Mutter ruft an. Oh je! Gerade ihr enthalte ich gewisse Dinge gerne vor, damit sie sich keine Sorgen macht. Es geht um eine blöde Geschichte, 200 Euro, die ich vor ein paar Monaten

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zahlen musste und nun zurückerstattet bekomme. Meiner Mutter erzählte ich damals, es handele sich um 30 Euro. Mit klopfendem Herzen gestehe ich ihr nun die wahre Summe. »Du musst ja schreckliche Angst vor mir haben, dass du mich anlügst«, sagt sie. Die Enttäuschung in ihrer Stimme versetzt mir einen Stich. Wenn Unehrlichkeit auffliegt, wird Vertrauen erschüttert – egal, aus welchem Grund man gelogen hat. Als das Experiment vorüber ist, bin ich ziemlich erleichtert. Ich freue mich darauf, endlich wieder Dinge sagen zu können, die mein Gegenüber hören will, ohne groß darüber nachzudenken. Mit Flunkereien lebt es sich reibungsloser. »Wir haben zwar Gedankenfreiheit, aber keine Freiheit, konsequenzlos zu sagen, was wir denken. Die Lüge schützt den gesellschaftlichen Konsens und wer davon abweicht, wird oftmals als verrückt angesehen«, erklärt Psychologie-Professor Bruder. Tatsächlich kam ich mir während der letzten drei Tage des Öfteren vor wie ein Freak. Bei Leuten, die uns nahe stehen, sind Lügen nicht notwendig. Die Wahrheit zu sagen, ist ein Zeichen von Vertrauen. Doch vor allem bei flüchtigen Begegnungen schützen uns kleine Flunkereien vor unnötigen Konflikten und verletzten Gefühlen. Beim Lügen geht es also vor allem um eins: Effizienz.

Die Absurditäten, die Friederike Werner durch den Kopf gehen, lassen sich in der Regel gar nicht in Worte fassen.


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10 Delikte - eine Checkliste für den universitären Untergrund Manchmal ist es gar nicht so leicht, den Uni-Alltag legal zu meistern. Doch nicht jedes Verbrechen lohnt sich. Was an der Uni gar nicht geht und welche Delikte man ohne schlechtes Gewissen begehen kann, haben wir für Euch zusammengestellt. Text: Hanna Sellheim Illustrationen: Alexandr Cherkinsky, Live Fish, Scott Lewis, Aha-Soft, Elves Sousa

Halblegales Streaming über’s Uni-WLAN: Mehr davon!

Tisch-Blockade: Lass es!

In der Klausurenzeit lässt sich in der Bib ziemlich genau beobachten, was Hobbes als den »Naturzustand« beschrieben hat. Belesene und gebildete Studenten fangen an zu schubsen, auf Füße zu treten und die Ellbogen auszufahren, nur um einen der heiß begehrten Plätze zu erhaschen. Naht die Mittagsessenszeit, sieht man einige von ihnen mit den dicksten Büchern der Bibliothek beladen durch die Gänge wanken. Daraus errichten sie auf ihrem Tisch ein kleines Fort und blockieren ihren liebsten Platz während stundenlang ausufernder Pausen. Bei so viel Missgunst lernt man doch lieber zu Hause.

Eine neue Serie ist wie eine neue Droge: Kaum hat man die erste Folge geschaut, ist das Leben ein Jammertal, solange man nicht weiß, wie es weitergeht. Umso schlimmer, wenn eigentlich eine Hausarbeit fällig ist. Der Klick auf dubiose Buch-Vandalismus: Lass es! Streamingseiten ist schließlich viel verlockender als der auf »Primo«. Mit Kopf hörern ausgestattet Ob Jura-Student oder nicht, es gibt steht der Prokrastination nichts im Wege. Momente, da ergreift uns alle die eisige Faust des Auch wenn Adorno sich vermutlich im postmodernen Leistungsdrucks. Wer hat sich nicht Grabe umdreht. schon einmal zu dem Gedanken hinreißen lassen: Lernen ist schön und gut, sabotieren ist sicherer! Das Standardwerk für die Klausur liegt nach wochenlanger Suche endlich in der Hand: die Versuchung ist groß. In einer dunklen Ecke der Bib sind Seiten blitzschnell rausgetrennt, ein Hüsteln kaschiert die Tat. Wer ganz sicher gehen will, kann ja noch schnell alle Bestände in den Berliner Buchläden auf kaufen. Erfolg hat schließlich seinen Preis!

Mensa-Besteck stehlen: Lass es! Wer die metallene Kühle des hochwertigen MensaBestecks in seiner Handfläche gespürt, über den zarten Messergriff gefahren und die lieblichen Gabelzinken betrachtet hat, den wird es in den Fingern gejuckt haben. Ist die Bestecknot in eurer WG wirklich schon so weit gekommen? Müsst ihr Suppe mit den Händen schöpfen? Heißer Tipp: Bei Ikea gibt es auch Besteck.

Alkohol trinken: Mehr davon! Alkohol ist gefährlich, Kinder! Wie gut, dass auch die Uni das weiß und deshalb vorsichtshalber den Alkoholkonsum auf dem gesamten Gelände verboten hat. Kaum auszumalen, was sonst passieren könnte. Vandalismus? Unsittlichkeit? Mord? Für jene, die nach bestandenen Prüfungen mit einem kühlen Sterni anstoßen wollen, bleibt also nur die Verbannung – oder die Flucht in den Schatten der Laube.


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Im Gebäude bleiben, bis der Pförtner einen rausschmeißt: Mehr davon! Draußen ist es kalt, Wind peitscht den Nieselregen waagerecht durch die Luft. Wer will denn ernsthaft den Weg durch Nacht und Nebel bis zum U-Bahnhof auf sich nehmen? In einem der Hörsäle kann man sich doch recht häuslich einrichten, wenn man vorsorglich Kissen, Decken und einen Campingkocher einpackt. Jedenfalls solange, bis der Pförtner seinen Kontrollgang macht und euch samt liebevoll aufgestellten Teelichtern vor die Tür setzt.

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In den Studi-Cafés Sachen mitgehen lassen, ohne zu zahlen: Lass es! Beim Anblick von veganem Schokokuchen, glutenfreien Brötchen und Couscous-Salat in recyclebarer Pappschachtel läuft so manchem das Wasser im Mund zusammen. Normalerweise muss man sich mit dem Angebot eines »Netto« im Wedding begnügen. Mal ehrlich: 2,50 Euro für ein Stück Quiche in der Größe eines Fingernagels sind recht happig, aber zu klauen, wofür andere stundenlang gebacken, geschnibbelt und gebraten haben, ist wirklich das Letzte! Zahlt gefälligst brav in den Studi-Cafés – oder macht selbst eins auf.

Mozzarella-Bällchen klauen: Lass es! Wer die Preise an der Salatbar der Mensa aufmerksam verfolgt, dem wird es aufgefallen sein: MozzarellaBällchen sind hier das weiße Gold. Für 60 Cent dürfen derzeit fünf Bällchen das Salatbouquet garnieren, sonst zahlt man einen Aufschlag. Dieser Wucher lässt sich nur auf eine Weise erklären: skrupellose Studenten, die den Mozzarella heimtückisch unter Salatblättern verbergen und sich mit Engelsgesichtern an der Kasse vorbeilügen. Das bleibt dem wachsamen Mensa-Personal natürlich nicht verborgen – und brave Bällchen-Zähler Sexmatrikulation: leiden künftig unter steigenden Käse-Kosten. Mehr davon! Reißt euch gefälligst zusammen, ihr gierigen Liebhaber gegorener Junge Menschen, die viel Zeit auf beengtem Wasserbüffelmilch! Raum miteinander verbringen - da brodeln die Hormone! Um sicherzugehen, dass die explosive Mischung aus sexy Nerdbrillen, stickiger Bibliotheksluft Dozenten-Partys crashen, und unzüchtiger Barock-Literatur nicht in ungewollten um Essen zu klauen: Mehr davon! Kindern und noch weniger gewollten Krankheiten endet, ist Sex vermeintlich im gesamten Unigebäude verboten. Wer es geschickt anstellt, wird trotz Flaute in In den unendlichen Weiten der FU existiert jedoch so der Mensa nie Hunger leiden. Im Labyrinth der manches Örtchen, das kaum eine Menschenseele je Rostlaube findet sich so gut wie täglich eine Gruppe besucht. Zum Glück! Wenn das Knistern in der feierwütiger Dozenten, die in einem Raum mit Sektbar Luft also kaum auszuhalten ist, sucht einen der und Kuchen-Buffet auf Geburtstage, Veröffentlichungen kleinen JK-Gänge oder ein Bücherregal mit oder gelungene Ringvorlesungen anstoßen. Ein paar hebräischen Autoren des Frühmittelalters abstruse Ausführungen über die eigene Dissertation auf. Nur bitte – seid leise! zu einem frei erfundenen Thema fallen meist nicht auf und genügen, um nach drei Stunden Smalltalk angenehm gesättigt und einigermaßen angesäuselt nach Hause zu fahren. Nachdem sie alle zehn Delikte ausprobiert hat, zieht Hanna Sellheim ein Leben in der Illegalität ernsthaft in Betracht.


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»Der Staat muss nicht alles ordnen« Grüne Gruppen bevormunden, Liberale vertrauen auf mündige Bürger. Gegenseitig werfen sie sich politischen Irrsinn vor. Henrik Rubner von der Grünen und Franziska Kruse von der Liberalen Hochschulgruppe vertreten also unvereinbare Gesellschaftsideale? Sie diskutieren über Nutzen und Schaden von Verboten. Text: Cecilia T. Fernandez Foto: Christoph Spiegel FURIOS: Formell herrscht in französischen Zügen noch Kussverbot, wer in Singapur einen Kaugummi ausspuckt, riskiert eine saftige Geldstrafe und auf den erzkatholischen Philippinen sind Scheidungen bis heute nicht erlaubt. Dennoch beklagen wir hierzulande häufig einen Überfluss an Verordnungen. Sind wir nicht vergleichsweise frei? Franziska Kruse: Auch wenn Deutschland kein Extremfall ist, stimmt es, dass wir reichlich Regulierungen haben, vielleicht sogar zu viele. Manche davon sind notwendig, doch der Staat muss nicht alle Lebensbereiche ordnen. Das kann er auch gar nicht. Henrik Rubner: Aber viele der Verordnungen erfüllen ihren Sinn. Sie korrigieren gesellschaftliche Schieflagen. Gerade grünen Gruppierungen wird von liberaler Seite oft vorgeworfen, alles regulieren zu wollen. Henrik, wo siehst du die Grenze zwischen Verordnung und Bevormundung? Rubner: Verbote sind dafür da, Menschen vor den Handlungen anderer zu schützen. Etwa beim Rauchverbot: Dabei geht es gar nicht primär darum, die Raucherinnen und Raucher vor sich selbst zu schützen, sondern all jene, die darunter leiden und sich dem nicht einfach entziehen können – dem Personal in Lokalen etwa. Kruse: Aus meiner liberalen Perspektive soll jeder so frei wie möglich sein. Solange meine Freiheit deine Freiheit nicht einschränkt, braucht es keine Verbote. Aber Liberale verstehen auch, dass sich Menschen oft egoistisch verhalten – dann brauchen wir Gebote, an die sich alle im Zusammenleben halten. In einer Sache stimmen FDP und Grüne ja neuerdings überein: Beide sprechen sich für

eine Legalisierung von Marihuana aus. Seid auch ihr da einer Meinung? Kruse: Wahrscheinlich nicht! Ich persönlich halte diese Position der FDP für verfehlt. Schon mit Alkohol wird viel zu viel Schindluder getrieben. Um den zu verbieten, ist es jetzt zu spät. Dass man auch noch die nächste Droge legalisieren will, verstehe ich nicht. Rubner: Dann sind wir da tatsächlich unterschiedlicher Meinung. Wir von der Grünen Hochschulgruppe sehen die Gefahren natürlich, aber wir denken: Schon jetzt kommt jede und jeder an Marihuana und härtere Drogen ran. Wenn man den Verkauf regelt und besteuert, könnte man das eingenommene Geld wieder in Präventionsprogramme und Hilfe für Suchtbetroffene investieren. Das wäre besser, als die Augen vor der Realität zu verschließen. Gleichzeitig kam das vor den vergangenen Bundestagswahlen stark umstrittene Süßigkeitenverbot aus grünen Kreisen. Marihuana ja, Süßigkeiten nein? Rubner: Dabei ging es ja nicht darum, den Leuten die Schokolade zu verbieten, sondern Quengelzonen. An den Kassen werden gezielt Süßigkeiten ausgestellt, damit Menschen reingreifen, während sie warten. Gerade Kinder sind natürlich anfällig. Das Verbot sollte den Menschen einfach die Chance einräumen, auch hier eine überlegte Entscheidung zu treffen. In manchen Fällen befähigen Regulierungen Menschen erst dazu, mündige Entscheidungen zu treffen. Bei der Ernährung sieht man das immer wieder: Häufig weiß ich gar nicht, wie und wo ein Nahrungsmittel hergestellt wurde. Diese Informationen müssen leicht zugänglich sein. Wie kann man diese Informationen denn


leicht zugänglich machen, ohne kategorisch ungesunde Lebensmittel aus den Regalen zu verbannen? Rubner: Etwa durch die Lebensmittelampel. Klar, die ist plakativ und ich weiß eigentlich auch selbst, dass viel Fett und Zucker ungesund sind. Aber wenn ich beim Einkaufen wenig Zeit habe und mich nicht ewig einlesen kann, kann die mir helfen, eine begründete Entscheidung zu treffen – ohne dass sie mir etwas vorschreibt. Kruse: Die Lebensmittelampel fände ich auch gut. Schon an der Mensa ist es oft hilfreich, bei manchen Speisen den grünen und bei anderen den roten Punkt zu sehen. Andere Vorgaben stoßen bei Studierenden auf weniger Begeisterung. Modularisierung, Regelstudienzeiten – hat die BolognaReform uns die Freiheit im Studium geraubt? Kruse: Ich kenne das Studium nur unter der Bologna-Reform, aber in meinem Master habe ich selten Freiheiten vermisst. Wir haben keine Höchststudienzeit, Leistungen aus dem Ausland werden großzügig anerkannt, wir haben eine große Kursauswahl. Rubner: Die alten Zeiten werden idealisiert. Wie sich Bologna auswirkt, hängt bestimmt stark vom Fach ab. Aber ich glaube, das Problem ist vor allem, dass die Reform eine unternehmerische Hochschule geschaffen hat, die dem Arbeitsmarkt und der Wirtschaft zuspielt. Aber was hat das mit fehlenden Freiheiten im Studium zu tun? Rubner: Wenn die Hochschule profitorientiert funktionieren soll, dann geht es auch darum, möglichst viele Studis möglichst schnell durchzuschleusen, dann werden die Veranstaltungen riesig, dann guckt man genau darauf, dass möglichst Wenige länger studieren. Dann beschränkt man auch, wie oft jemand eine Prüfung wiederholen darf, damit es schneller geht?

bestimmte Kernfächer noch nicht bestanden hat? Rubner: Klar, die Leute sollten sich vielleicht überlegen, ob ihr Studium das Richtige für sie ist. Aber die Regelung schadet vor allem denen, die nebenbei arbeiten müssen, sich engagieren, eine Familie haben oder auch eine Erkrankung. Damit trifft man die Falschen. Bei aller Freiheitsliebe: Gibt es ein Verbot, das euch an der Uni fehlt? Rubner: Ich würde es eher eine Selbstverpflichtung nennen, aber ich wünsche mir eine Zivilklausel, die Forschung zu Kriegszwecken verbietet. Kruse: Da bin ich zwiegespalten. Von Projekten, die ganz klar nur der Kriegsforschung dienen, sollte die FU auf jeden Fall die Finger lassen – aber wo zieht man die Grenze? Der zivile Nutzen militärischer Forschung ist oft erst im Nachhinein erkennbar. Und umgekehrt: Die Forschung mancher Fachbereiche kann später militärischen Zwecken dienen, auch wenn das nicht das ursprüngliche Ziel war. Kruse: Genau! Im Endeffekt kann das zu einem aufwendigen Prüfungsprozess führen, der Unternehmen abschrecken könnte. In Fachbereichen wie Wirtschaftswissenschaften, die von solchen Kooperationen sehr abhängig sind, wird das der Forschung schaden. Die FU braucht einen moralischen Kompass, aber dessen Ausgestaltung ist schwierig. Ruben: Wir müssen ja nicht direkt von den allerschwierigsten Grenzfällen und Graubereichen ausgehen. Aber es gibt eindeutige Fälle, in denen das Geld vom Bundesverteidigungsministerium kommt, vom Pentagon oder von Rüstungsunternehmen. Wenn man für diese Fälle eine Selbstverpflichtung der Uni schafft, kann man über schwierigere immer noch diskutieren – ein großer Schritt wäre aber schon getan.

Rubner: Ja, vielleicht. Die Vorstellung, dass Studeierende ohne die Beschränkung ewig an der Uni bleiben würden, halte ich jedenfalls für ein Schreckgespenst. Kruse: Ob die neue Regelung aber etwas mit Profitmaximierung zu tun hat, weiß ich nicht. Wie sinnvoll ist es denn, wenn jemand im 18. Semester ist und bestimmte Module noch immer nicht abgeschlossen hat,

Von einem Süßigkeitenverbot würde Cecilia T. Fernandez profitieren. Sie wird in der Quengelzone häufig schwach.

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Die Zukunft ist ein Paradies für Schummler Smartwatches läuten ein neues Zeitalter des Schummelns ein. Doch die FU scheint noch lange nicht vorbereitet auf die Raffinesse der »Digital Natives«. Text: Melanie Böff Illustration: Cristina Estanislao Molina Der gute alte Papierspicker hat ausgedient. Zumindest, wenn in China die Zulassungsprüfungen für Universitäten anstehen: Um die zu bestehen, tragen manche der zehn Millionen Prüflingen kabellose Minikopf hörer im Ohr, selbstgebastelte Sender in Form eines Radiergummis oder Brillen mit versteckter Kamera. Fernab von Europa schummeln die Studenten auf High-Tech-Niveau. Damit stellt China einen Extremfall dar, der bei uns undenkbar ist. Oder? Tatsächlich sind bei uns längst Geräte auf dem Markt, die das Mogeln während einer Klausur überraschend einfach machen: Smartwatches. Eine E-Mail mit Geschichtsdaten abrufen, die vergessene Formel nachsehen oder mit anderen die Lösung diskutieren: Das alles geht mit den kleinen Armbanduhren problemlos und unauffällig. Denn von digitalen Uhren sind Smartwatches kaum zu unterscheiden. Das scheint die FU bisher nicht zu beunruhigen. Von Smartwatches als Schummel-Hilfe weiß man hier nichts. »Wir haben bisher keine Kenntnis darüber, dass das Verbot einer Nutzung von Smartwatches an der Universität diskutiert wird«, sagt ein FU-Sprecher. Auch an der Humboldt Universität hat man nach eigenen Angaben noch keine Erfahrung mit dem Thema. Was hier noch nicht als Problem gilt, wird in England schon diskutiert. Weil man eine Smartwatch nur schwer erkennen kann, dürfen Studenten an einigen Hochschulen gleich gar keine Armbanduhren während der Klausur tragen. Fällt die die FU im Wettlauf mit der Schummel-Technik zurück? Sebastian Sattler sieht die Unis jedenfalls im Zugzwang. »Es scheint leider ein bisschen wie beim Doping im Sport zu sein: Mit neuen Betrugsmethoden müssen die Prüfenden nachlegen, diese Betrugsmethoden zu erkennen und zu verhindern«,

sagt der Soziologe der Universität Köln. Doch das scheint er den Dozenten nicht zuzutrauen: »Manche Lehrende werden vermutlich noch nicht einmal wissen, dass Studierende mit Hilfe von Smartwatches schummeln.« Über vier Semester hat Sattler mehrere Tausend Studierende zu ihrem Schummel-Verhalten befragt. Dozenten gaben zudem Auskunft darüber, wie oft sie Studierende beim Betrug erwischten und was sie dagegen unternehmen. Sattlers Ergebnisse veranschaulichen, dass an deutschen Universitäten nicht gerade wenig gespickt wird: »In unserer Studie hat sich gezeigt, dass innerhalb von sechs Monaten jeder dritte Student unerlaubte Hilfsmittel in Prüfungen mitgenommen hat und etwa jeder Sechste sie auch benutzte.« Erwischt wird in der Praxis allerdings kaum jemand. Diesen Eindruck bestätigt auch eine Stichprobe an den Fachbereichen der FU. Bei den Rechtswissenschaften mit meist um die 450 Prüflingen pro Klausur berichten Mitarbeiter von nur zwei bis drei festgestellten Täuschungsversuchen pro Semester. Beim Prüfungsausschuss der Wirtschaftswissenschaftler spricht man von einer kleinen zweistelligen Zahl. Am Fachbereich Biologie erinnert man sich ebenfalls an nur ganz wenige dokumentierte Schummelfälle. Genaue Zahlen kennt kein Fachbereich. Sie alle vermitteln aber den Eindruck, dass bei ihnen kaum jemand dem Erfolg unerlaubt auf die Sprünge hilft. Das könnte daran liegen, dass die FU-Studenten besonders ehrlich sind. Es könnte aber auch daran liegen, dass man ihnen nicht genau auf die Finger schaut: Smartwatches in Prüfungen zu tragen, ist an vielen Fachbereichen bislang nämlich kein Problem. Bei den Rechtswissenschaften sieht man in Hinblick auf Smartwatches zwar eine Parallele zu Handys und Tablets. Wie


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man mit den Datenuhren allerdings umgehen will, darüber hat der Prüfungsausschuss dort noch keine Entscheidung getroffen. Am Fachbereich Wirtschaftswissenschaften hat man das Spicken per intelligenter Uhr noch nicht beobachtet. Vollkommen sorgenfrei scheinen die Biologen: Sie erachten den Nutzen von Handys und Smartwatches sogar als gering. »Angesichts des Zeitdrucks, unter dem Prüfungen geschrieben werden, verliert man beim Spicken per Whatsapp oder E-Mail viel Zeit und würde nicht groß profitieren«, heißt es auf Anfrage. Die Fachbereiche sind weit entfernt davon, alarmiert zu sein. Überraschend, wenn man bedenkt, dass es bei Klausuren in Biologie oder Wirtschaftswissenschaften doch weniger um Essayfragen als vielmehr um die Abfrage von Faktenwissen geht. Und das lässt sich spielend einfach mit einer Smartwatch herausfinden.

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Weiter als die drei großen Berliner Universitäten ist bei diesem Thema die Hochschule für Technik und Wirtschaft (HTW). Hier standen Smartwatches bereits auf der Tagesordnung des Prüfungsausschusses. Der empfahl, sie grundsätzlich aus den Prüfungen zu verbannen, sagt eine Sprecherin der Hochschule. Ein erster Schritt hin zu schärferen Kontrollen. Auf die verlässt sich China jetzt schon – mit besonders krassen Methoden: Uni-Gebäude werden gegen Mobilfunksignale abgeschirmt, Drohnen fliegen über den Campus, um Funksignale aufzuspüren. Eine lückenlose Überwachung der Prüfungssituation – die einzige Möglickeit, Studierende vom Mogeln abzuhalten? Nein, findet Soziologe Sebastian Sattler. Vielmehr müssten Prüfungen neu gedacht werden. Denn, wenn Studierende spicken, liege das oft auch an den Klausuren selbst. Vor allem, wenn diese eher auf Auswendiglernen ausgerichtet seien als auf das Verstehen der Inhalte. Deshalb fordert Sattler, den Anteil von Klausuren generell zu verringern. Für sinnvoller hält er Prüfungsformen, bei denen sich Studierenden einem selbstgewählten oder vorgegebenen Problem stellen. »Das steigert im Idealfall die Motivation und fördert das Verstehen im Vergleich zum reinen Lernen von Fakten, die schnell wieder vergessen sind«, sagt Sattler.

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So schwer sich die Unis damit tun, das Mogelpotenzial von Smartwatches zu erkennen, der Umgang mit neuen Prüfungsmodellen wird ihnen wohl kaum leichter fallen. Sattlers Vorschlag bleibt vorerst wohl Zukunftsmusik. Währenddessen wartet die technische Entwicklung nicht. In Kalifornien bastelt Google schon weiter an seinen Smartglasses. Sie sollen unter anderem alltagstauglicher werden, also: unauffälliger. Noch ist nicht in Sicht, wann die Google-Brille auch für Studenten erschwinglich sein wird. Fest steht nur: Die Optionen für Schlitzohren sind längst nicht ausgeschöpft.

Melanie Böff spickte mal in einer Klassenarbeit. Sie findet, der Lehrer hätte sich den Eintrag in die Schulakte sparen können...

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4 aus 40.000 An der FU tummeln sich täglich 40.000 Menschen. Vier von ihnen verrieten uns, was sie sofort verbieten würden – wenn sie denn dürften. Text: Jonas Saggerer Fotos: Friederike Oertel

Sven Simon ist 37 Jahre alt und Privatdozent an der FU. Er forscht an der Schnittstelle zwischen Recht, Politik und internationalen Beziehungen.

»Wir sollten Dummheit verbieten« Grundsätzlich bin ich der Meinung, dass bereits viel zu viel verboten ist. Wenn ein Staat zu viel verbietet, funktioniert er nicht mehr. Dennoch fallen mir ein paar Dinge ein, die man verbieten sollte. Wenn ich es auf nur ein Verbot reduzieren muss, sollten wir Dummheit verbieten. Dummheit verstanden als Uninformiertheit, die zu Vorurteilen führt. Der Rapper Prinz Pi hat einmal gesagt: »Ihr seid uninformiert und uniformiert« – da ist was dran. Jedenfalls bin ich davon überzeugt, dass die gewaltige Informationsflut durch alle Medien zu eigentlich unbegründeter Unsicherheit und Ablehnung führt. In einer freiheitlich demokratischen Gesellschaft trägt jeder eine Informationsverantwortung. So gesehen meine ich mit »Verbot der Dummheit« mehr ein Gebot, sich zu informieren. Zum eigenen Schutz.


Titel

Aysenur Yildirim, 19, studiert Mathe und Politikwissenschaft auf Lehramt im ersten Semester.

Chloé Marchal ist Erasmus-Studentin an der FU. Sie studiert Filmwissenschaften, ursprünglich kommt sie aus Paris.

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Leon Zens ist 20 Jahre alt und studiert an der FU Rechtswissenschaft.

»Ich hoffte auf mehr Freiheit im Studium«

»In Europa muss sich einiges ändern«

»Sie sprachen kein Wort miteinander«

Ich würde, wenn ich könnte, einfach alle Pflichtkurse und Hausaufgaben verbieten. Natürlich haben Hausaufgaben einen gewissen Sinn. Aber es nervt, dass einem sofort ein fester Rahmenplan serviert wird, sobald man anfängt zu studieren. Die Hausaufgaben in Mathe sind sehr zeitintensiv, oft brauche ich mehrere Tage dafür. Es gibt keine Möglichkeit, sie auch nur einmal nicht zu machen, denn sie werden wöchentlich eingesammelt und benotet. Bei den Pflichtkursen würde ich zumindest die Anwesenheitspflicht streichen. In meinem Tutorium dürfen wir nur zweimal fehlen. Danach fliegt man raus. Einmal war ich bereits krank, doch für mein ärztliches Attest hat sich niemand interessiert. Jetzt kann ich es mir einfach nicht mehr leisten, nochmal krank zu werden. Durch all das lastet schon ein gehöriger Druck auf mir. Ich hatte gehofft, das Studium würde mehr Freiheiten bieten.

Im Moment bin ich sehr erschüttert von der Lage in meiner Heimat Paris. In Europa muss sich auf jeden Fall einiges ändern. Allerdings nicht so, wie das die Politik in Frankreich gerade tut: Politische Entscheidungen werden im Affekt durchgeprügelt. Infolge der Terroranschläge die Grenzen dicht zu machen und den Krieg in Syrien zu verstärken, ist für mich der falsche Weg. Das schadet nur allen Beteiligten und sollte in der Politik nicht erlaubt sein. Ich kann verstehen, dass wir verunsichert sind. Ich selber habe einen sehr guten Freund, der bei den Anschlägen verletzt wurde. Das war sehr erschreckend. Aber dass nun haufenweise Antiterrorgesetze verabschiedet werden, ist eine Kurzschlussreaktion. Das war nach dem Anschlag auf das World Trade Center ähnlich. Kein Wunder, dass Hollande bei uns schon mit George W. Bush verglichen wird.

Das mag vielleicht etwas komisch klingen, aber ich würde Handys in Cafés verbieten. An einem Sonntag habe ich in einem Pankower Café folgende Situation erlebt: Ich war mit einer Freundin Kaffee trinken. Irgendwann kam ein Pärchen herein, die waren bestimmt so um die 50 Jahre alt. Sie setzten sich an den Tisch neben uns. Sofort holten sie ihre Smartphones aus der Tasche und tippten darauf herum. Sie blickten weder auf, als die Kellnerin kam, noch als das Essen serviert wurde. In eineinhalb Stunden sprachen sie kein einziges Wort miteinander. Das hat mich ziemlich traurig gemacht. Deshalb sollten in Cafés Handys an der Bar abgegeben werden. Man muss sich nur mal vorstellen, wie viele interessante Gespräche wieder zustande kämen. Und wie die Leute sich vielleicht einfach mal dem widmeten, wofür sie eigentlich kommen: Essen, Trinken, lachen – und abschalten.


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Politik

Was nun, Eure Exzellenz? Spitzenforschung, internationales Ansehen und sogar ein guter Einfluss auf die Lehre – die Exzellenzinitiative hat hohe Erwartungen geweckt. Und enttäuscht. Text: Alexandra Brzozowski Illustration: Zoe Schütte

Die Exzellenzinitiative – von Politik und Wissenschaft hoch gelobt, von Studierenden meist eher kritisch beäugt. Seit das Förderprogramm für universitäre Forschung 2005 von Bund und Ländern ins Leben gerufen wurde, polarisiert es die Gemüter. Vor allem die Hoffnung, dass die Qualität der Forschung auf die Lehre abfärbt, wurde herb enttäuscht. Nun neigt sich die aktuelle Förderphase ihrem Ende zu, sie läuft im Herbst 2017 aus. Die Verhandlungen über die nächste laufen derzeit an. Auch die Freie Universität will sich erneut um Gelder aus dem Fördertopf der Exzellenzinitiative bewerben – und ist zum Erfolg verurteilt: Sollten die Mittel ausfallen, könnte dies ein großes Loch in den Uni-Haushalt reißen. An der FU gilt der Exzellenz-Begriff unter den meisten Studierenden als Unwort. Hier, wo der Revolutionsgedanke der 1968er-Bewegung und der Bildungsproteste noch nachklingt, stößt die Exzellenzinitiative auf besonderes Misstrauen. Ein Dorn im Auge vieler Studierendenvertreter ist, dass viele Entscheidungen mit möglichen Auswirkungen auf die Studienbedingungen im politischen Hinterzimmer getroffen werden. Dabei könnte die Exzellenzinitiative so einiges an der Uni verbessern. Bis zum Jahr 2017 werden die Universitäten knapp 4,6 Milliarden Euro an zusätzlichen Mitteln aus dem Programm erhalten haben. Nach Jahren der chronischen Unterfinanzierung bestand die Hoffnung, dass sich so die Finanzsituation der im Wettbewerb siegreichen Hochschulen verbessert. Finanziert wird das Großprojekt zu drei Vierteln vom Bund und zu einem Viertel von den Ländern. Aber die Verteilung der Exzellenzmittel ist kompliziert. Insgesamt sind drei Förderlinien vorgesehen: In der ersten Förderlinie fließt das Geld in 45 Promotionsprogramme. In der zweiten werden sogenannte Exzellenzcluster – fachübergreifende Forschungsverbünde verschiedener

Wissenschaftsdisziplinen – gefördert. In der dritten und prestigeträchtigsten Linie unterstützt das Programm elf »Zukunftskonzepte« der Universitäten. Das sind Pläne, die die Universität erstellt, um Forschung auf hohem Niveau zu fördern. Nur, wer hier erfolgreich ist, darf das Siegel »exzellent« tragen. Voraussetzung dafür sind aber mindestens ein Cluster und eine Graduiertenschule. Die FU bewarb sich bisher jedes Mal erfolgreich um Mittel: drei Exzellenzcluster und sieben Graduiertenschulen mit Beteiligung der FU werden gefördert, ihr Zukunftskonzept verschaffte ihr das Siegel der »Exzellenzuniversität«. »Die Freie Universität, aber auch die anderen im Wettbewerb ausgezeichneten Hochschulen werden international deutlich stärker als bisher wahrgenommen«, hob FU-Präsident PeterAndré Alt hervor. Das erhebliche Aufgebot an Finanzmitteln zeige seine Wirkung. Doch die positive Grundstimmung trügt: Es geht zuvorderst um die Exzellenz der Forschung. Qualität und Förderung universitärer Lehre spielen in diesem Verfahren keine Rolle. Befürworter werben zwar damit, dass auch die Studierenden profitieren, weil sich exzellente Forschung auch auf die Qualität der Lehrinhalte auswirke. Doch prekäre Verhältnisse in der Lehre sprechen eine andere Sprache: Die Hörsäle bleiben überfüllt, die Betreuung vieler Studierenden ist weiterhin unzureichend und viele Spitzenforscher werden von ihrer Lehrverpflichtung entbunden. Was die Zukunftskonzepte der vergangenen Förderphase angeht, kommt auch das »Centrum für Hochschulentwicklung« (CHE) zu einem ernüchternden Ergebnis. »Es kann weder von einer generellen Verschlechterung in der Lehre, beziehungsweise bei den Studienbedingungen, noch von einer positiven Beeinflussung durch die Exzellenzinitiative aus Sicht der Studierenden gesprochen werden.« Dass zum Wettbewerb zwischen den Hochschulen auch Verlierer gehören, ist unvermeidbar. Die Förderung von


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Politik

Glanzprojekten führte zu bundesweiten Ungleichheiten zwischen den chronisch unterfinanzierten Hochschulen. Viele Unis außerhalb der Ballungszentren klagen, dass sie kaum mehr die notwendige Ausstattung hätten. An allen Enden müsse dort gespart werden, was letztendlich auch wieder an den Studierenden hängen bliebe. Zwar hat die FU das Glück, noch von den Geldern zu zehren. Aber niemand weiß, ob das nach dem Ende der derzeitigen Förderrunde so bleiben wird. Das Präsidium gibt sich trotzdem betont optimistisch. Man kenne seine Stärken und werde im Einklang damit einen neuen Bewerbungsantrag stellen, verkündete FU-Präsident Alt im Akademischen Senat (AS). Bereits jetzt prognostiziert der Haushaltsplan der FU rote Zahlen, sollten die Gelder ausbleiben. Im AS wurde bei der Haushaltsdebatte Ende letzten Jahres eben diese Sorge geäußert: Man kämpfe zunehmend mit Engpässen bei der Finanzierung. Eine Niederlage bei der Bewerbung würde bedeuten, dass man umstrukturieren müsse. Zumindest, wenn man das Niveau der Forschung halten möchte. Die Folgen für die Lehre wären dann nicht absehbar. Notfalls müsste man ernsthaft über Einsparungen nachdenken. Schlimmstenfalls könnte die Lehre an ganzen Fachbereichen betroffen sein. In Zeiten, in denen die Studierendenzahl ein Rekordhoch erreicht, darf Exzellenz nicht nur an Forschung ausgemacht werden. Denn bevor es Wissenschaftler und Forscher geben kann, müssen Studierende gut ausgebildet und herangeführt werden. Die Exzellenzinitiative hat die Forschung an der FU nach vorne gebracht. Sollte sie bleiben, wäre es nun an der Zeit, in die Breite zu gehen: Exzellenz sollte auch in den Seminarräumen spürbar sein.

Alexandra Brzozowski sitzt öfters in überfüllten Seminarräumen und hofft, dass die Lehre bald stärker gefördert wird.

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Politik

Der Wahlkrampf Stupa-Wahl scheißegal? Das dachten in den vergangenen Jahren wohl viele. Nun stehen am 12. Januar die nächsten Wahlen an. Viel ändern wird sich wohl nicht. Ein Erklärungsversuch. Text: David Rouhani Illustration: Cristina Estanislao Molina Neues Jahr, neue Studierendenvertreter: Die letzte Woche vor den Wahlen zum Studierendenparlament (Stupa) ist angebrochen. Eine Phase voller Veranstaltungen, Polarisierung und angeregter Wahlkampfdebatten, sollte man meinen. Doch weit gefehlt. Bei der jüngsten Studierendenbefragung durch die Bundesregierung gab mehr als die Hälfte der Befragten an, sich überhaupt nicht für Hochschulpolitik zu interessieren. In der Praxis wird diese Tendenz sogar weit übertroffen. So nahmen an der Stupa-Wahl im vergangenen Jahr lediglich acht Prozent aller Studierenden teil – der niedrigste Wert in mehr als einem Jahrzehnt. Für die Abgeordneten ergibt sich daraus ein Legitimationsproblem. Sie repräsentieren nur einen Bruchteil der Studierendenschaft – während sie den Anspruch erheben, für alle zu sprechen. Gegenüber anderen universitären Institutionen die Interessen der Studierenden geltend zu machen, ist dadurch schwieriger. Denn sie können nicht glaubwürdig behaupten, eine Mehrheit der Studierenden zu vertreten. Dabei ist das Stupa als Legislative der studentischen Selbstverwaltung von zentraler Bedeutung. Es wählt den Allgemeinen Studierendenauschuss (Asta), der über einen Teil der Semesterbeiträge verfügt. Dabei handelt es sich immerhin um knapp 500.000 Euro. Ohne Wissen um die Tätigkeit der Gremien hat man keinerlei Einfluss darauf, wofür diese Gelder verwendet werden. So hat das Stupa beispielsweise im vergangenen April die Anreise politischer Gruppen zu einer Demonstration gegen die Weltausstellung in Mailand bezuschusst – ein Vorgang, der zumindest diskussionswürdig wäre. Bei mangelndem Interesse kann eine solche Diskussion jedoch gar nicht erst stattfinden. Dass mehr als die Hälfte, ganze 56 Prozent aller Studierenden, kein Interesse an hochschulpolitischen Gremien zeigt, mag bedenklich sein. Gleichzeitig gaben jedoch 43% an, sich für die studentische Selbstverwaltung zu interessieren - eine deutlich höhere Zahl, als sich in der Wahlbeteiligung


Politik

ausdrückt. Die Gründe für die mangelnde Mitwirkung gehen also über schlichtes Desinteresse hinaus. »Die Entscheidungen der studentischen Gremien sind nicht von Belang«, meint Jana Schwerdtfeger, PublizistikStudentin im Bachelor. Sie bezeichnet sich zwar als politisch interessiert, mit Hochschulpolitik möchte sie sich aber nicht beschäftigen. Zu unübersichtlich sei die Lage. »Ich glaube, es ist auch vielen anderen nicht klar, welches Gremium für welche Entscheidungen verantwortlich ist.« Weder die FU noch der Asta stellen ausführliche Informationen über den Wahlablauf und die hochschulpolitischen Gremien zur Verfügung. Hinzu kommt die Herausforderung, sich zwischen zahlreichen Listen - bei der jüngsten Stupa-Wahl waren es knapp 40 - entscheiden zu müssen. »Dass die Entscheidungen des Stupa scheinbar keine Konsequenzen haben, liegt vor allem an seinen geringen Kompetenzen«, entgegnet Andrej Mihailik. Er ist Mitglied der Liste »La:iz«, die seit diesem Jahr im Stupa sitzt und zur linken Asta-Koalition gehört. Das Stupa hat als Teil der studentischen Selbstverwaltung zwar die Möglichkeit, Resolutionen zu beschließen. Es ist jedoch nicht befugt, diese eigenständig im Akademischen Senat, dem zentralen Beschlussorgan der FU, einzubringen. Auch bei der Uni-Leitung scheint das Stupa wenig Beachtung zu finden – womöglich gerade weil ihm der Rückhalt in der Studierendenschaft fehlt. Die niedrige Wahlbeteiligung diene dem Präsidium oftmals als Argument, um studentische Anträge vom Tisch zu wischen, davon ist Andrej überzeugt.

Max Schipke von der FSI Jura sieht auch in der Organisation ein Problem: »Bei uns am Fachbereich Rechtswissenschaft gab es letztes Jahr kein gemeinsames Wahllokal für alle Gremien, die zur Wahl standen. Stattdessen musste man in verschiedene Gebäude und teils abgelegene Räume gehen, um seine Stimmen abzugeben.« Dadurch sei die Wahlbeteiligung an seinem Fachbereich enorm zurückgegangen. Eine bessere Koordination zwischen den jeweiligen Wahlvorständen und der Verwaltung könnte da Abhilfe schaffen. Solange die Wahlbeteiligung so niedrig bleibt, solange wird es keine einflussreichen studentischen Vertreter geben. Es ist ein Teufelskreis: Durch die wenigen Wähler bleibt der studentische Einfluss gegenüber dem Präsidium marginal. Der entstehende Eindruck von Belanglosigkeit wiederum führt zu einer zunehmenden Abkehr von Hochschulpolitik. Die Verlierer sind am Ende die Studierenden, glaubt Max Schipke: »Wenn das Präsidium das Gefühl hätte, seinen Entscheidungen stünden zahlreiche Studierende entgegen, könnten wir mehr Einfluss ausüben.«

Eine weitere Erklärung für die ausbleibenden Wähler könnte mit dem Bild des Astas unter den Studieren zu tun haben. Die überwiegend linken Listen wirken in ihrem Auftreten abschreckend. Das findet auch Jana: »Das macht es schwer, sich mit ihrer Tätigkeit zu identifizieren.« Wenn Andrej von La:iz solche Aussagen hört, fühlt er sich missverstanden. »Unser primäres Ziel ist es, mehr studentische Mitbestimmung, also die Demokratisierung der Uni zu erreichen.« Er glaubt, dass die negative Wahrnehmung sich ändern könne, wenn die Studierenden mehr Einblick in die Tätigkeit des Stupas erhielten: »Es wird nicht ausreichend kommuniziert, welche politische Arbeit stattfindet. StupaBeschlüsse werden in der Regel nicht öffentlich wahrgenommen. Da müssen auch wir besser erklären, was wir tun.«

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Um seinen ersten Stupa-Wahlzettel zu verstehen, hat David Rouhani ähnlich lang gebraucht, wie zum Verfassen dieses Textes.


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Politik

»Unipolitik ist eingeschränkt« Studierende interessieren sich nicht für Hochschulgruppen. Und wenn doch, dann sicherlich nicht für den konservativen Ring Christlich Demokratischer Studenten (RCDS). Als Opposition haben sie im Stupa so gut wie keine politische Macht, sie verkommen zu Statisten. Melanie Grupe, 23, ist dem RCDS trotzdem treu. Warum sie sich engagiert und wie das Stupa aussähe, wenn es nach ihr ginge, erklärt die stellvertretende Vorsitzende im Interview. Text: Kim Mensing Foto: Anke Schlieker

FURIOS: Den RCDS verbinden viele Studierende mit rückwärtsgewandten Positionen. Wie bist du als junge Frau zu so einer konservativen Gruppierung gekommen? Melanie Grupe: Die Hochschulgruppe ist einfach pragmatisch und an die Realität gebunden, wir beschränken uns auf hochschulrelevante Themen. Im Stupa werden zwar wichtige, jedoch uniferne Themen angesprochen. Es ist zwar toll, Demonstrationen zu organisieren, aber wenn die sich nicht positiv auf die Studierende auswirken, verdient das keinen Raum im Stupa. Mit welchen Themen sollte sich das Stupa denn befassen? Einfach mit Themen des Studentenalltags. Als ich mit dem Studium angefangen habe, sind mir an der Fakultät Dinge aufgefallen, die ich umgestalten wollte: Die Fakultät wirkte überholungsbedürftig, das Sprachangebot für Juristen gering und die Öffnungszeiten der Mensen hätten länger sein können. Ich dachte mir, wo kann ich daran etwas ändern? - Im Stupa. Also bin ich dem RCDS beigetreten. Vor großen gesellschaftlichen Fragen soll das Stupa also die Augen verschließen? Nein, manche Themen wirken sich ja auch auf die Uni aus. Im Moment sprechen wir im Stupa viel über das Recht auf ein Studium für Geflüchtete. Ein wichtiges Thema. Aber nicht alle gesellschaftlichen Bereiche haben einen Bezug zur Uni. Dann haben sie auch nichts im Stupa verloren. Wer sich in diesen Fragen politisch engagieren will, ist eher bei den Jugendorganisationen der Parteien richtig. So habe ich es auch gemacht: Ich bin zusätzlich bei der Jungen Union aktiv.

Wir sind einfach viel zu oft mit uns selbst beschäftigt. Unlängst hat der RCDS genau diese Fokussierung auf sich selbst kritisiert. Es ging um die Vorgabe, dass alle Gruppen nur noch gendergerechte Anträge ins Stupa einbringen dürfen. In einem anderen Interview hast du das als »Genderwahnsinn« bezeichnet. Findest du das nicht übertrieben? Nein, genau das ist ein Beispiel für eine unnötig in die Länge gezogene Diskussion. Die Auseinandersetzung mit Geschlechterrollen ist wichtig. Ich glaube allerdings nicht, dass Sprache darauf einen Einfluss haben kann. Wenn ich ein Wort lese, ändert das doch nicht gleich die gesellschaftlichen Verhältnisse. Stellt ihr jetzt keine Anträge mehr? Doch natürlich! Wir können ja nicht einfach unsere Anträge aufgeben. Dem Willen der Mehrheit mussten wir uns beugen und das akzeptieren. Mit Sternchen und so werden wir aber nicht anfangen. Die anderen Parteien wissen ja selbst nicht, wie sie gendern wollen. Mit Euren Ansichten steht ihr im Stupa oft alleine da. Was treibt dich an, trotzdem weiterzumachen? Das Tolle an einer Hochschulgruppe ist das freundschaftliche Verhältnis untereinander, man unterstützt sich. In der Unipolitik muss man sich nur soweit einbringen, wie man will: Nichts ist verpflichtend. Selbst, wenn man engagiert ist, kostet politisches Engagement im Endeffekt wenig Zeit, es vermischt sich mit Alltag und Studium. Bei allem Ärger: In der Hochschulpolitik herrscht ein friedliches Miteinander. Mein Ziel ist gerade erst einmal, im Stupa mehr Anträge durchzubekommen.

Denkst du nicht, dass diese Beschränkungen dazu führen, dass sich so wenige Studierende für Hochschulpolitik interessieren? Ja, das kann ich mir gut vorstellen. Seien wir ehrlich: Unipolitik ist eingeschränkt. Es geht vor allem um die Öffnungszeiten von Bibliotheken und Mensen oder den Ausbau von Fakultäten. Doch ich glaube, noch verheerender für das Image des Stupas ist es, dass politische Entscheidungen nur träge gefällt werden.

Kim Mensing bildet sich ein, Kakerlaken auf der Toilette gesehen zu haben. Ob das einen Weg ins Stupa findet? Zweifelhaft – zum Glück.


Politik

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Cidre trinken unter’m Stalinstachel Die junge Generation verleiht Warschau ein neues Gesicht. Eine kreative Kampfansage an Putin und der Blick in die Vergangenheit tragen zum neuen Selbstverständnis bei. Text und Foto: Simon Purk »Wir sind die einzige vegane Pizzeria in Polen«, sagt Koch Ścibor stolz. Noch haben wir ein Monopol hier in Warschau, aber das wird nicht lange so bleiben. Seine Pizzeria liegt mitten in der Innenstadt und ist nur eines der vielen alternativen Angebote, die in den letzten Jahren in Polen entstanden sind. Die neuen Cafés, Bars und Kulturveranstaltungen, auch in Stadtteilen, die lange Zeit als unattraktiv galten, sind Ausdruck der selbstbewussten jungen Generation. Eine Generation, die auf globale Trends nicht verzichten will. So leuchten auch hier überall die Reklamen großer Modekonzerne, die breiten Straßen Warschaus werden zum internationalen Laufsteg. Aber ab und zu blitzt ein kleines ankerförmiges Symbol durch das moderne Outfit – die Buchstaben P und W, ineinander verschlungen. Sie stehen für »Polska Walcząca« - kämpfendes Polen - und sind das Symbol des Warschauer Aufstands von 1944. Nach seiner Niederschlagung sprengten die Deutschen Haus für Haus und massakrierten große Teile der Bevölkerung.

Zeit als sowjetischer Satellitenstaat wurde damit eingeläutet. Noch heute ist der Palast daher Erinnerungsstück an eine weitere Phase der Unterdrückung. Doch die jungen Warschauer schätzen das breite Angebot des »Stalinstachels«. Von Tanzclub bis Theater – die sowjetische Machtdemonstration ist mittlerweile zur bunten Kulturhochburg der Stadt geworden. Um den Kulturpalast herum sind in den letzten Jahren neue gläserne Bürotürme aus dem Boden geschossen. Der Turbokapitalismus treibt die Preise in der Stadt in die Höhe. Doch findet bisher noch jeder seinen Platz, zwischen restaurierter Alt- und sozialistischer Planstadt. Ob schwedische Modekette oder Fellmütze aus der Tatra, vegane Pizza oder traditionelle Kantine - das Stadtbild spiegelt den Geist der jungen Polen wider. Dieser liegt irgendwo zwischen Weltgewandtheit und Patriotismus, Geschichtsbewusstsein und Moderne.

»Der Aufstand ist unheimlich präsent im öffentlichen Raum und wird in Diskussionen fast schon inflationär benutzt«, meint Agnieszka Kudelka, die gerade ihre Doktorarbeit zum Thema polnische und ukrainische Erinnerungskultur schreibt. Das Gedenken der seit jeher leidvollen Geschichte und Außen sozialistische Baukunst innen Moderne: Im Stalinstachel des Kampfes gegen die äußeren fließt heute der Cidre Aggressoren ist in Polen fast schon Nationalsport, auch unter jungen Leuten. Besonders Putin verkörpert die ständig drohende Gefährdung der polnischen Freiheit. Als Reaktion auf die EU-Sanktionen stellte Russland 2014 den Import von polnischen Äpfeln ein. Polen hielt mit der Herstellung von Apfelwein dagegen. Der aus den überschüssigen Äpfeln produzierte Cidre avancierte innerhalb kurzer Zeit zum neuen Kultgetränk der jungen Szene Warschaus. Als genussvoll-patriotische Kampfansage darf er mittlerweile an keiner Theke fehlen. Der Kulturpalast ist das Wahrzeichen Warschaus. Hinter seiner klassizistischen Fassade trägt er den Ballast der Geschichte: In den fünfziger Jahren ließ Josef Stalin den Wolkenkratzer in das von den Deutschen hinterlassene Trümmermeer setzen. Die

Die jungen Polen sind zudem Schuld daran, dass Simon Purk ein paar Kilo zugelegt hat. Na zdrowie!


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Foucault hinter Gittern Klaus-Dieter Langer sehnt sich nach Freiheit. Doch die gibt es für ihn nur noch im Geiste. Wegen Bankraubs sitzt er seit zehn Jahren im Knast. Trotzdem studiert er. Text und Foto: Sarah Ashrafian Illustration: Julia Fabricius Klaus-Dieter Langer schaut zwischen den geweißten Gitterstäben hindurch ins Freie, auf einen schmalen Streifen Wiese, meterhohe graue Mauern und Stacheldraht. Er weiß, dass das kein schöner Ausblick ist und doch mag er ihn. Denn er genießt ihn von seinem Lieblingsort aus: dem Studienraum der JVA Tegel. Langer hat ein zerfurchtes Gesicht, seine Glatze versteckt er unter einer blauen Wollmütze. Er ist einer von sechs Inhaftierten, die während ihrer Haftzeit in der Justizvollzugsanstalt ein Fernstudium absolvieren. Während andere Häftlinge in der Druckerei und in der Stahlverarbeitung arbeiten, grübeln Langer und seine Kommilitonen täglich acht Stunden über den Büchern von Max Weber und Michel Foucault. Für ihre Studenten hat die JVA Tegel spezielle Computersysteme eingerichtet, über die sie auf Lernmaterialien zugreifen können. Trotz Internetverbot können die Häftlinge zumindest für die Texte auf die Lernplattformen der Fernuni. Diese sind dem FU-Blackboard ähnlich. Auch im Auf bau gleicht das Studium dem an einer normalen Uni. Hausarbeiten schreiben die Knast-Studis zwischen den Semestern, am Ende des Semesters gibt es eine Klausur, die ihnen die Fernuni Hagen zusendet. Geschrieben wird sie nicht in der Zelle, sondern im Lehrraum. Für einige Stunden ist dann alles wie an einer Uni außerhalb der Mauern – nur die Dozenten fehlen. Vor zehn Jahren trat Langer seine Haft an. Wegen schweren Bankraubs verurteilte ihn das Gericht zu 15 Jahren Gefängnis. Im Jahr 2011 fing er seinen Master in Soziologie an. Es ist nicht der erste Uni-Abschluss, den er im Gefängnis macht. Und es ist auch nicht seine erste Haftstrafe. Schon einmal saß er wegen Bankraubs ein. Während jener Inhaftierung schloss er seinen Bachelor in Erziehungswissenschaften ab. Nach der ersten Entlassung erlangte Langer an der FU das Diplom. Warum gerade dieses Studium ihn reizte? »Mein Sohn ist leicht behindert«, sagt Langer. Durch das Studium könne er sich nun leichter vorstellen,

was das bedeutet und besser mit seinem Sohn umgehen. Bei seinem zweiten Haftantritt war ihm sofort klar: Er will wieder studieren. Seine Sozialarbeiterin war eigentlich dagegen: »Sie meinte, in meinem Alter würde mir der Master in Soziologie nichts mehr für die Reintegration in den Arbeitsmarkt bringen.« Aber um die geht es Langer auch nicht mehr. Denn das Studium im Knast erfüllt ihn, fordert ihn. Es lässt den eintönigen Alltag hinter Gittern sinnvoller erscheinen. Wenn er wieder einmal einen schweren Text am Ende eines langen Tages verstanden hat, hat er das Gefühl, etwas geschafft zu haben. Für dieses Gefühl ist er dankbar: »Hier zu studieren ist ein Privileg«. Für Langer ist es zudem eine Chance auf eine »geistige Integration«, wie er sie nennt. Durch das Studium blicke er reflektierter auf seine Taten, so Langer. Und genau darum gehe es auch, sagt Ralph Gretzbach, Studienkoordinator in der JVA Tegel. »Wir glauben daran, dass Bildung den Häftlingen hilft, später wieder Anschluss an die Gesellschaft zu finden.« Was für die Zeit nach dem Gefängnis eine gute Vorbereitung sein kann, bereitet den Studierenden während ihrer Haft mitunter Probleme. Oft spüre Langer den Neid der übrigen Insassen, erzählt er. »Als Akademiker ist man hier nicht anerkannt.« »Das Studierzimmer bleibt aber immer meine kleine Oase des Friedens«, sagt Langer. »Hier unterstützen mich Menschen, die auch was zu sagen haben.« Außerhalb seiner Oase, erzählt er, fühle sich alles so tot an.

Im Gefängnis trägt man keinen Ausschnitt! Während des Interviews musste Sarah Ashrafian ihre Jacke geschlossen halten.


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Campus

Monet statt Karies Birgit Krüger könnte gut als Dozentin durchgehen. Doch im Hörsaal sitzt sie auf der anderen Seite des Pults. Die 54-Jährige ist Gasthörerin an der FU. Warum tauschte die Zahnärztin den Bohrer gegen Blackboard? Text und Foto: Eva Famulla

Der Dozent schaut in die Runde: »Gibt es noch Fragen?« Die meisten Anwesenden starren betreten vor sich hin. Wenn sich aus der phlegmatischen Menge dann doch ein Arm in die Höhe reckt, gehört er oft einem etwas ungewöhnlichen Seminarteilnehmer: einem Gasthörer. Rund 2.350 von ihnen nehmen jedes Jahr das Gasthörerprogramm an der FU in Anspruch. Seit diesem Semester ist auch Birgit Krüger dabei. Die 54-jährige Zahnärztin hatte Lust auf etwas Neues. Ihren Beruf übt sie momentan nur in Teilzeit aus. »Ich habe mich sehr spontan entschieden, am Gasthörerprogramm teilzunehmen.« Die Gasthörer-Card öffnete ihr an der FU viele Türen. Sie kostet um die 200 Euro, Interessierte können sich zwischen zwei Varianten entscheiden: Das klassische Programm ermöglicht den Hörern, sich an regulären Veranstaltungen zu beteiligen. Und dann gibt es noch das Art-Programm mit zusätzlichen Kunstgeschichtskursen nur für Gasthörer. Insgesamt umfasst es 170 Kurse pro Semester. Ein einzigartiges Angebot, wie Koordinatorin Felicitas Wlodyga betont: »In dieser Komplexität und diesem Umfang ist das Programm wirklich etwas ganz Besonderes.« Und: Es steht allen Menschen offen, bestimmte Zugangsvoraussetzungen gibt es nicht. Entgegen der Wahrnehmung vieler Studenten ist es auch nicht an eine bestimmte Altersgruppe gebunden. »Die größte Gruppe sind natürlich Menschen, die nicht mehr arbeiten. Aber auch ganz junge sind manchmal dabei, um sich den Studienalltag anzuschauen. Zum Beispiel, weil sie keinen Studienplatz bekommen haben«, sagt Koordinatorin Wlodyga. Birgit hat sich für das Art-Programm entschieden. Es ist nicht das erste Mal in ihrem Leben, dass sie sich neuen Herausforderungen stellt. Denn richtig erfüllt habe sie ihr Zahnarztberuf nie. Die Begeisterung für die Arbeit habe irgendwann einfach gefehlt. Darum folgte auf das Studium eine

Fortbildung für zahnärztliche Hypnose, eine Ausbildung zur Heilpraktikerin und später eine für Homöopathie. Was noch alles kommen werde, weiß Birgit nicht. Vor Kurzem sagte eine gute Freundin zu ihr: »Du solltest Museumsdirektorin werden!« Das sei natürlich ein sehr hoch gestecktes Ziel, meint Birgit lachend. Aber man könne ja nie wissen. Erstmal geht sie im Gasthörerprogramm ihrer Leidenschaft für die Künste nach. Als Gasthörerin genießt sie viele Freiheiten. Für ihre Kurswahl gibt es keine Vorgaben, Leistungsnachweise muss sie nicht erbringen. Doch das Studium hat auch seine Tücken: Als Birgit zuletzt an der Uni war, war die Technik vom E-Learning noch weit entfernt. Heute benutzen Studierende ganz selbstverständlich Plattformen wie Blackboard oder Campus Management. Für einige Gasthörer ist das eine Herausforderung. Darum bietet die FU spezielle Einführungskurse in die digitalen Systeme. Birgit ist von den Neuerungen begeistert: »Sich Texte im Internet runterzuladen, geht so schnell!« Noch mehr freut sie sich aber auf ihre Lehrveranstaltungen. Als erstes steht »Einführung in die großen Themen der Malerei« auf dem Lehrplan, unterrichtet wird in der Berliner Gemäldegalerie. Vielleicht ist dort ja auch der zukünftige Arbeitsplatz der potenziellen Museumsdirektorin.

Eva Famulla will zwar keine Museumsdirektorin werden, aber irgendwann mal Gasthörerin zu sein, kann sie sich vorstellen.


Wer nicht vögelt, fliegt

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Zielgruppe Studierende? Die Berliner Escort-Agentur Krypton hielt unser Magazin für die ideale Werbeplattform. Eine Anzeige haben sie nicht bekommen. Doch ihre Vorstellung von Erotik war uns einen zweiten Blick wert. Text: Evelyn Toma Illustration: Robin Kowalewsky Auf dem Bildschirm räkeln sich junge Frauen in Unterwäsche. Ein weißer Balken verdeckt ihre Augen. »Lass dich ins geheime Paradies entführen«, lockt ein Schriftzug unter ihrem Körper. Eine von ihnen soll Julia sein. Sie ist Escort-Dame bei der Agentur »Krypton«. Das Besondere: Krypton vermittelt ausschließlich Studentinnen. Für eine Nacht oder auch länger. Durch die Arbeit bei Krypton könne Julia sich einen gewissen Lebensstandard leisten.» Es ist einfach entspannter, nicht ständig über Geld nachdenken zu müssen«, sagt die junge Studentin. Für sie sei es sehr spannend, ständig neue Leute kennenzulernen. »Außerdem habe ich viel Spaß am Sex.«

Sexobjekt gekauft.« Das Bild, Prostitution habe etwas mit Macht und Selbstbestimmung der Frau zu tun, hält sie für eine Illusion. Nach ihrer langjährigen Erfahrung lautet ihr Urteil: »Prostitution hat immer etwas mit Demütigung zu tun.« Julia sagt jedoch, etwas wirklich Unangenehmes habe sie noch nie erlebt. Manchmal stimme die Chemie zwischen ihr und dem Klienten aber einfach nicht. Dann hoffe sie nur, dass die Zeit bald herum sei. Dass es dabei bleibe, kann Mau sich hingegen nicht vorstellen: »Ich persönlich kenne keine Frau, die unbeschädigt in die Prostitution geraten ist und erst recht keine, die unbeschädigt wieder rauskam.«

Das ist in ihrem Job auch eine Notwendigkeit. Wer nicht bereit ist, mit einem Kunden intim zu werden, hat bei Krypton Escort nichts verloren, meint die Agentur. Die Agentur – das heißt vor allem Alexander König. Der ehemalige FU-Student ist Manager des Escort-Services. Über ihn läuft jegliche Kommunikation des Dienstes. Ob Julia wirklich Julia ist, bleibt deshalb unklar. Die Aussagen der jungen Studentin wurden ausschließlich über E-Mails der Agentur mitgeteilt. Ein direktes Gespräch mit einer Dame lässt Alexander nicht zu – angeblich aus Gründen der Anonymität. Huschke Mau dagegen möchte selbst reden. Und vor allem nichts verbergen. Die ehemalige Prostituierte und Escort-Dame finanzierte ihr Studium durch Sex mit fremden Männern. Nach ihrem Ausstieg aus der Prostitution gründete sie den Verein »Sisters«, der Frauen unterstützt, die es ihr gleich tun wollen. Escort und Prostitution seien im Grunde das Gleiche, meint Mau. Sie sieht Julias Aussagen kritisch: »Es ist nicht so, als würden da zwei Menschen sitzen, die einander attraktiv und sympathisch finden und sich entscheiden, geilen Sex zu haben und danach gibt’s auch noch Kohle.« Bei Krypton gibt es von diesem Geld nicht zu wenig. Mindestens 250 Euro kostet ein zweistündiges Dinner, ein ganzer Tag bis zu 2600 Euro. Ein Drittel davon behält die Agentur. Wer so viel Geld ausgibt, hat gewisse Erwartungen. Das ist auch der Grund, warum ausschließlich Studentinnen vermittelt werden. »Die Damen müssen was im Kopf haben. Die Kunden wünschen sich eine Gesprächspartnerin auf Augenhöhe«, sagt Alexander. Ex-Prostituierte Mau glaubt daran nicht: »Das ist keine Begegnung von Mensch zu Mensch, die Frau wird als

Evelyn Toma wurden beim Telefonat mit Alexander selbst ein paar Fragen gestellt. »Nein, ich möchte mich nicht bewerben!«


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Wo bin ich hier gelandet? Polnische Priester pogen in Posen

Crazy Klaus klärt Clara

Was machen eigentlich Nonnen und Priester, wenn sie nicht gerade Hostien knabbern und Messwein schlürfen? Das Tanzbein schwingen wäre noch zu milde ausgedrückt.

Lest nun: Die unglaubliche Geschichte von Crazy Klaus und seiner Clara. Eine Geschichte voller Intrigen, Geheimagenten und leidenschaftlicher Liebe.

Text: Ulrike Runge Betrunken stolpere ich aus einer Kneipe in Poznan. Auf dem Heimweg gerate ich irgendwie auf ein kostenloses MetalOpen-Air. Die Gitarren kreischen, der Sänger grölt ins Mikro, die Fans jubeln ihm zu – genau mein Ding. Aber warum streckt niemand der Band die gehörnte Metalhand entgegen? Und wieso steht auf der Bühne eigentlich ein Kreuz? Mit einer leisen Ahnung schaue ich mich weiter in der Halle um. Teenager mit schwarzen Kapuzenpullovern, Mädchen mit Dreadlocks und vor mir schüttelt eine Nonne ihre Tracht. Moment mal – eine Nonne? Tatsächlich, da steht sie und headbangt ekstatisch im Takt. Auf dem T-Shirt des Tontechnikers prangen Maria und ein Baby-Jesus. Anderswo nehmen ältere Herren in Priesterkutten die Brille eines aufgeregten Mannes entgegen. Er verschwindet sofort wieder in der pogenden Masse. Seine Hände sind in die Luft gereckt und formen ein Dreieck. Andere tun es ihm gleich. Jetzt höre ich es auch: »JESUS!«, brüllt der Sänger ins Mikro. Nun bleibt kein Zweifel: Ich bin auf einem katholischen Metalkonzert. Die zum Dreieck geformten Hände sollen wohl die Dreifaltigkeit darstellen. Jetzt weiß ich auch, wieso hier niemand die Metalhand macht – hier gibt der heilige Geist den Beat an.

Text: Max Krause Softdrink und Snack in den Händen, die Arme auf gepolsterten Lehnen. Mad Max rast auf dem Bildschirm vor mir durch die Wüste, ich selbst durchkreuze das Norddeutsche Tiefland. Der Mann, der das möglich macht, heißt Klaus und ist FünfSterne-Fahrer: Die höchste Klasse der Mitfahrgelegenheiten. Ich nenne ihn Crazy Klaus. Als Actionheld steht Crazy Klaus diesem Haudegen aus dem Wasteland in nichts nach. Es fehlen nur der eiserne Maulkorb und der muskulöse Körper – Klaus ist eher der AgententhrillerTyp. In geheimer Mission bekämpfte er im geteilten Berlin den sozialistischen Terrorstaat DDR, erzählt Klaus.Auch die Lovestory fehlt nicht: Zu Hause bangte seine Jugendliebe Clara um ihn. Heute fährt Crazy Klaus seine Clara besuchen, wie jedes Wochenende. Happy End. Zu schön, um wahr zu sein? Ich bezweifle, dass Spione üblicherweise über ihre einstige Tätigkeit plaudern. »Den Wahrheitsgehalt der Geschichte kann ich nicht überprüfen«, flüstert mein Klaus-erfahrener Sitznachbar, »aber er erzählt sie jedes Mal identisch.« Ich sehe jedenfalls schon die Filmplakate vor mir: Crazy Klaus - Wall of Pain. Mit Gerard Butler in der Hauptrolle.


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Der Ewige Ehemalige: Anwalt der Daten Er ist ein Hipster der besonderen Art: Hans Peter Bull schützte schon Daten, bevor es das Internet gab. Seinen Weg zum obersten Datenhüter schlug er bereits als Jura-Student an der FU ein. Text: Corinna Schlun Foto: Privat

Datenschutz, das klingt nach dem Widerstand gegen Facebook, Google und die Vorratsdatenspeicherung. Also eher nach heute als nach gestern. Doch auch schon vor dem Internet kämpften Menschen um ihre informationelle Selbstbestimmung. Allen voran: Hans Peter Bull. Von 1978 an schaute er den Bundesbehörden in Sachen Datenschutz auf die Finger. Eine Arbeit, die er sich lange nicht vorstellen konnte. Denn Bulls ursprünglicher Berufswunsch war Journalist. Seinem Vater zu Liebe entschied er sich dann doch für ein Jura-Studium. Diese Entscheidung hat der emeritierte Professor für Öffentliches Recht und Datenschutz dann doch nie bereut.

intensiv über die Konfrontation der Blöcke. Anfang Januar 1959 fand an der FU ein Studentenkongress gegen Atomrüstung statt – wir wollten auch für die großen politischen Fragen Lösungen finden», erinnert sich Bull. Und so spielte die Politik auch in seinem späteren Leben eine wichtige Rolle. Schon früh während seines Studiums fand er großes Interesse an Datenschutz. »Das Verhältnis von Recht und Technik interessierte mich schon während meines Studiums und war dann Gegenstand meiner Dissertation.« Mehr als ein Jahrzehnt später fragte die damalige Bundesregierung, ob er erster Datenschutzbeauftragter Deutschlands werden möchte. Bull sagte Ja und unterbrach dafür sogar seine Professur an der Universität Hamburg. Bull lernte an der FU das politische Leben kennen

Nach ein paar Semestern in Marburg und Hamburg zog es ihn zum Wintersemester 1958 in die Hauptstadt. West-Berlin und die FU waren für Bull Sehnsuchtsorte. »Nach meinem eher gemütlichen Studium wollte ich diese faszinierende Stadt kennenlernen, in der die deutsche Geschichte an jeder Ecke sichtbar war und wo sich die großen politischen Blöcke berührten«, erzählt der heute 79-Jährige. Seine Ausführungen wirken kühl und kontrolliert, fast penibel. Man hört den Juristen in ihm. Die Auseinandersetzung zwischen den Blöcken war im Berlin des Kalten Krieges ständig spürbar. Hier wurden die Spannungen zwischen Ost und West für Bull greif bar: »Mir wurden die Augen geöffnet für die politische und geistige Situation in der Welt.« Das ließ ihn auch seine Prioritäten im Studium anders setzen. Die Vorträge von Bundeskanzler Konrad Adenauer und dem Bundestagsabgeordneten Walter Scheel an der FU, das Studentenkabarett und der Jugend-Film-Club fand er damals interessanter als das Pflichtprogramm des Jurastudiums. Beim bloßen Zuhören blieb es aber nicht: »Wir Studenten diskutierten

Als Bundesbeauftragter gab er Stellungnahmen zu Gesetzesentwürfen des Bundestags ab. »Schon damals wurde zum Beispiel viel über das Einwohnermeldewesen und die Nutzung von Kundendaten zu gezielter Werbung diskutiert. Die Erwartungen an den Datenschutz waren von Anfang an enorm«, sagt Bull. Mit fortschreitender Digitalisierung ist die Brisanz dieses Themas noch gestiegen. Die derzeitigen Entwicklungen sieht Bull deswegen mit Sorge. »Der NSA-Skandal ist ein Skandal, weil er zeigt, dass die Verantwortlichen in den Vereinigten Staaten die Grundrechte von Nicht-Amerikanern geringschätzen.« Das wahllose Abschöpfen von Daten sei nach unseren Maßstäben verfassungswidrig. »Ich sehe aber schwarz, ob es gelingen wird, eine Änderung herbeizuführen.«

Nach diesem Artikel hat Corinna Schlun erst einmal genug vom Internet. Der Computer und das Handy bleiben jetzt öfter aus.


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Kultur

Dschihad für das Deutsche Reich Die älteste Moschee Deutschlands steht in Wünsdorf bei Berlin. FU-Archäologen haben nun ihre Reste ausgegraben. Projektleiter Reinhard Bernbeck erklärt die historische Bedeutung dieses Ortes. Text und Foto: Carla Hegerl

Es ist die Zeit des Ersten Weltkriegs. Briten und Franzosen kämpfen gemeinsam gegen die Deutschen und das Osmanische Reich. In einem Gefangenenlager in Wünsdorf werden Muslime aus den Kolonien der Kriegsgegner umerzogen. Sie sollen für die Deutschen kämpfen. Angelpunkt dieses Vorhabens war die Moschee, die vergangenen Sommer freigelegt wurde. FURIOS: Herr Bernbeck, noch immer behaupten Menschen, der Islam gehöre nicht zu Deutschland. Nun graben Sie eine rund 100 Jahre alte Moschee aus. Beginnt die Geschichte des Islam in Deutschland bereits mit deren Bau? Reinhard Bernbeck: Große muslimische Bevölkerungsanteile gab es damals nicht. Ich würde weniger sagen, dass die Geschichte des Islam in Deutschland hier beginnt als vielmehr, dass sich auf tragische Weise ein historischer Kreis schließt. Denn dort hat das Deutsche Reich den Dschihad propagiert und die Menschen, die jetzt hierher kommen, sind diejenigen, die vor dem Dschihad fliehen. Das christliche Deutsche Reich propagierte den Dschihad? Klingt nach einem Widerspruch. Die Moschee war zynischerweise ein Propagandainstrument. Gefangene aus den feindlichen Kolonien sollten für den Dschihad der Osmanen und Deutschlands gewonnen werden. Es ging nicht darum, Muslime aus humanitären Gründen ihre Religion ausüben zu lassen. Vielmehr sollten sie so indoktriniert werden, dass sie auf deutscher Seite im Ersten Weltkrieg verwendet werden konnten. Auch die wissenschaftlichen Untersuchungen, für welche die Gefangenen missbraucht wurden, machen den Ort so wichtig. Viele Linguisten und Ethnologen reisten damals nach Wünsdorf. Dort hat man etwa Aufnahmen mit Phonographen gemacht, auf denen zu hören ist, wie die Gefangenen in die Schalltrichter sagen: »Wenn ich noch ein Jahr hier bin, dann bin ich tot.« Wurden tatsächlich Gefangene von dort in den Dschihad geschickt? Und was passierte mit den Überlebenden nach Ende des Krieges? Das Ganze ist total schiefgegangen: Die ersten »Dschihadisten« sind zwar relativ schnell nach Istanbul geschickt worden, dort wurden sie aber so schlecht behandelt, dass sie desertiert sind. Das war 1915, zur Zeit des armenischen Genozids. Theoretisch

könnte es also sein, dass einige Menschen aus Wünsdorf Zeugen dieses Ereignisses wurden. Was mit den Überlebenden des Lagers nach Ende des Krieges geschah, können wir leider nicht sagen, außer dass einige Muslime bis in die 1920er Jahre hinein dort geblieben sind. Es ist erstaunlich, wie wenig über die Geschichte des Islam in Deutschland bekannt ist. Soll es auch Ziel der Ausgrabung sein, darüber aufzuklären und so Vorurteile abzubauen? Die Geschichte Deutschlands im letzten Jahrhundert ist so extrem von Gewalt durchzogen, dass die Jahre der NS-Zeit wie eine psychologische Sperre wirken. Daher fällt es schwer, sich in die Zeit vor hundert Jahren hineinzuversetzen und daraus Schlüsse für die Gegenwart zu ziehen. Ich glaube also nicht, dass das Wissen über den Islam in Deutschland vor 100 Jahren dazu beitragen kann, Vorurteile abzubauen. Ich würde eher sagen, der Ort ist eine Erinnerung daran, wie islamischer Glaube auf grausame Art instrumentalisiert worden ist.

Carla Hegerl fragt sich nach diesem Interview, was wohl noch so an Geschichte vor unserer Haustür vergraben liegt.


Kultur

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Ein Meer aus Gips: Hier finden gefährdete Skulpturen zu einander

Blaupause in Weiß Als Abgüsse können längst zerstörte Skulpturen weiterleben. Auch die FU sammelt Kopien antiker Statuen und beherbergt sogar das ein oder andere bedrohte Kunstwerk. Text und Foto: Frauke Oedekoven Die antike Oasenstadt Palmyra ist im vergangenen Jahr zu einem Symbol für die Vernichtung von Kulturgut geworden. Auf seinem Feldzug durch Syrien eroberte der sogenannte Islamische Staat das UNESCO Weltkulturerbe. Bilder von zerschlagenen Skulpturen und gesprengten Tempeln beherrschten die Medien und zeigten das Ausmaß der Zerstörung einer einzigartigen Kulturstätte. In einer Zeit, in der Kunst der permanenten Gefahr mutwilliger Zerstörung ausgesetzt ist, könnten Gipsabgüsse die Lösung für ihre Rettung sein. »Im Falle einer Zerstörung können uns Abgüsse dabei helfen, wenigstens die Form der ursprünglichen Skulptur zu erhalten«, erklärt Lorenz WinklerHoraček, Kurator der Abguss-Sammlung antiker Plastik der FU, die mittlerweile seit 1988 besteht. Da der Schwerpunkt der Sammlung auf der klassischen Antike liegt, sind hier vor allem Stücke aus dem römischgriechischen Raum zu finden, also keine unmittelbar gefährdeten – wie etwa aus Syrien. Doch fordert Winkler-Horaček seine Kollegen aus der vorderasiatischen

Archäologie immer wieder auf, endlich selbst mit dem Auf bau solcher Sammlungen zu beginnen. Denn die Zeit drängt. Auch die Ankündigung von Präsident Francois Hollande, gefährdeten Kunstwerken Asyl zu gewähren, ist keine dauerhafte Lösung. Doch ganz so einfach ist es leider nicht. Die Herstellung eines Abgusses ist aufwendig: Zunächst wird eine genaue Negativform des Originals abgenommen. Daraus entsteht der erste Gipsabguss. Der Erstabguss dient als Vorlage für weitere Formen, welche dann für Serienherstellungen genutzt werden können. Das größte Problem dürfte jedoch sein, überhaupt in die gefährdeten Gebiete zu gelangen und dort ungestört an den Originalen arbeiten zu können. Für Winkler-Horaček lohnt sich die Arbeit aber auch für Kunstwerke, die nicht akut bedroht sind. Schließlich sind alle Artefakte von zeitlichem Verfall betroffen. Seine Sammlung beherbergt etwa Kopien der Mark-Aurel-Säule in Rom, deren detailreichen Reliefs von der Luftverschmutzung stark angegriffen sind.

Natürlich steht der Abguss in der Regel im Schatten seines Originals. Doch eine vielfältige Sammlung bietet einen entscheidenden Vorteil: »Hier finden Kunstwerke nebeneinander Platz, die ansonsten über die ganze Welt verteilt sind,« erklärt Winkler-Horaček. Dadurch ergeben sich Zusammenhänge, die sonst kaum zu erahnen sind. So zum Beispiel beim Abguss des Porträtkopfes des Kaisers Commodus aus Tivoli. Das Original ist in zwei Teile geteilt, eine Hälfte des Kopfes ist in Liverpool zu finden, die andere liegt in Italien. Erst in der Berliner Abguss-Sammlung finden die beiden zusammen. Zwar ist der Verlust einzigartiger Kulturgüter nie gänzlich zu verhindern. Ein Abguss hält jedoch wenigstens die Form des Kunstwerks am Leben – auch wenn das Original eventuell schon seit Jahrhunderten nicht mehr existiert.

Frauke Oedekoven ist nun Abguss-Expertin. Sie fragt sich, warum heute kaum noch nackte Menschen in Stein gemeißelt werden.


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k nt i e ch ter e. 32 ers unKultur d n ei! line pus. en a e. r f rt on -cam rbeit us.d p Wo ios re A cam r u f t eu ose ur i nd f Se u r @ t l ku

Wort frei! Bist du die nächste Herta Müller? Sollte Marvel lieber deine Graphic Novels verfilmen? Ob nun Prosa, Lyrik oder Comic, ganz egal, wo eure Begabungen liegen – wir geben euch das Wort frei! In unserer gleichnamigen neuen Rubrik könnt ihr euch ausprobieren. Also schickt uns eure künstlerischen Ergüsse, hier habt ihr das Wort. Den Anfang macht ein surrealer Gedankenstrom, der sich in Zeilen gefügt hat. Böse Zebras, kleine Märchenerzähler und austrocknende Meere geistern durch den Text.

Das Zebra Text: Julian Daum Illustration: Robin Kowalewsky Ich könnte jetzt gar nicht sagen, wer hier wen zu fragen hat. Ich meine, wenn der Dieb sich der Anklage bewusst ist, möchte man doch meinen, dass das Problem die Wälder sind, in denen der Vogel singt. Der immer wieder seinen Kopf gegen den Stumpf schlägt, sodass er unwillkürlich die Beine eines Zebras in die Wiege legt. Denn Zebras sind ganz lieblose Geschöpfe, sie verschenken faule Äpfel an weinende Kinder. Wenn ich es mir recht überlege, möchte ich nie etwas mit Zebras zu tun haben, da ich auf der anderen Seite Kinder sehr gerne mag. Wenn ich also ausreite in der Savanne, so werde ich sie tunlichst meiden, auch wenn man mir das übel nehmen wird.

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Denn Märchenerzähler gibt es nicht mehr. Man kann sagen, was man will, aber sie sind nirgends mehr aufzufinden, außer vielleicht in den kleinen Gassen in der Stadt, zusammengekauert unter einem Pflasterstein, die man aber eigentlich gar nicht auf heben darf, wegen der autonomen Gefahr von links, die einen, ehe man sich versieht überrollt, wenn man die Schleusen nicht dicht macht und mit Mann und Maus untergeht. Ich war schon lange nicht mehr am roten Meer, sie sagen, es wird bald austrocknen. Ein Meer. Austrocknen. Ich sehe mich lachen. Das rote Meer liegt unter dem Meeresspiegel, wenn der Nebel am Morgen verfliegt. Ich habe dort nie Nebel gesehen, aber wenn der ostafrikanische Grabenbruch so weiter macht und weiter aufreißt, wird er zu Massen da unten rumhängen. Ich aber bezweifle indes, dass sich dort überhaupt Nebel bilden kann. Trotzdem ist ein Nebel netter als beispielsweise ein Zebra.

Persönlich hat Julian Daum nichts gegen Zebras. Außerdem sind bei den Schreibarbeiten keine dieser Tiere verletzt worden.


Die geklaute Rubrik

Kultur

Wir sind großartig. Aber andere machen auch schöne Sachen. An dieser Stelle pflücken wir die besten Rubriken im Blätterwald und füllen sie mit unseren Inhalten. Folge VII: »Dos and Don’ts« von VICE. Text: Matthias Bolsinger Fotos: Julian Daum

DOS & DON’TS? DON’T »Meine Uni-Texte sind so diffizil. Für die U-Bahn brauch ich was zum Entspannen.«

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DO Die tägliche Gratislektion über das Leben. Erst rennst du, dann schaust du dem verpassten Ziel hinterher. Fünfzehn. Lange. Minuten.

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DON’T Es gibt diesen einen Moment im Leben, da macht man was falsch. Danach nimmt einen niemand mehr ernst. Niemand.

DO Studiert: Politikwissenschaft. Gelernt: Architekt

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Wissenschaft

Ja, ich will? Wir entscheiden alleine über unser Leben. Das denken wir zumindest. Die Hirnforschung zeigt: Etliche Faktoren beeinflussen unser Handeln. Wo bleibt da der freie Wille? Text und Illustration: Friederike Oertel

Im Alltag glauben wir, uns völlig frei entscheiden zu können. Doch oft kommt es zum Widerspruch zwischen bewusstem Entschluss und tatsächlicher Handlung. Dann essen wir allen Diätvorsätzen zum Trotz Junkfood oder fliegen um die halbe Welt, obwohl wir um die Auswirkungen der CO2-Emission auf den Klimawandel wissen. Welche Faktoren beeinflussen unsere Entscheidungen und wie selbstbestimmt sind wir eigentlich noch? Mit diesen Fragen beschäftigt sich Hauke Heekeren, Professor für Biologische Psychologie und Kognitive Neurowissenschaft an der FU Berlin. Während des Entscheidungsprozesses schaut er seinen Probanden buchstäblich in den Kopf: Mit Hilfe von auf der Kopf haut angebrachten Elektroden werden Erregungsströme im Gehirn gemessen und am Computer visualisiert. Vergleicht man Gehirnaktivität und Handlung, wird erkennbar, dass die neuronalen Entscheidungsprozesse oft schneller sind als unser Bewusstsein. Da viele Entscheidungen innerhalb von Millisekunden gefällt werden, kann also bereits der erste Eindruck ausschlaggebend sein. Wählen wir in der Mensa ein Gericht, achten wir auf Aussehen, Namen und Preis. Weitere Parameter wie Kalorien, Fett oder Bio-Siegel werden meist ignoriert. Wir nutzen also bei Weitem nicht alle zur Verfügung stehenden Informationen, sondern konzentrieren uns auf einige wenige. Diese vereinfachte Entscheidungsstrategie hilft uns dabei, unseren Alltag zu bewältigen, ohne sich im Dickicht der Möglichkeiten zu verirren. Gleichzeitig geben wir uns oft mit der erstbesten Option zufrieden und sind dadurch leicht beeinflussbar. Auch fällt es uns schwer, die langfristigen Folgen unserer Entscheidungen zu berücksichtigen. Ein Beispiel dafür ist die Umweltverschmutzung. Die Folgen des Klimawandels werden womöglich erst in der Generation nach uns so richtig spürbar sein. Wir ändern unser eigenes Verhalten jedoch oft erst, wenn wir die negativen Konsequenzen am eigenen Leib spüren. Das Motto unserer Handlungen lautet also: Nach uns die Sintflut! Gegenwart und nahe Zukunft haben oft Priorität. Dies wird, so Heekeren, insbesondere bei Themen wie der Altersvorsorge deutlich. Für viele Studierende ist sie kein Thema, da die Rente noch in weiter Ferne liegt. Bekommen wir dagegen mit, dass die eigenen Großeltern in finanzielle Not geraten, kann sich das schnell ändern. Entscheidungen lassen sich bewusst beeinflussen, indem wir unseren Fokus auf die Zukunft richten - oder eben

von unserer Bank daran erinnert werden. Viele unserer Entscheidungen haben zudem mit unseren Emotionen zu tun. Können sich Probanden zwischen einem geringeren, dafür wahrschein l icheren Gewinn und einem höheren, dafür u nwa h r schei n l icheren entscheiden, so wählt die Mehrheit den sicheren Gewinn. Denn wir tendieren dazu, Verluste höher zu gewichten als Gewinne. Ein Verlust von 50 Euro ärgert in der Regel mehr als ein Gewinn von 50 Euro erfreut. Entscheidungsforscher bezeichnen dieses Verhalten als Verlustaversion. »Um herauszufinden, welche Rolle Emotionen genau spielen, werden Probanden im Labor vor einer Risiko-Entscheidung ängstliche Gesichter präsentiert oder dramatische Musik vorgespielt«, erklärt Heekeren. Im Labor wird gemessen, welche Gehirnregionen bei der Entscheidung aktiv sind und wie diese zusammenspielen. Das Ergebnis: Die Hirnregionen, die an der Verarbeitung der emotionalen Reize mitwirken, sind an der Verarbeitung der Risikofaktoren beteiligt. Angst verstärkt die Verlustaversion. Entscheidungen sind somit nicht von den eigenen Gefühlen zu trennen. Emotionen können rational getroffenen Entscheidungen nicht nur beeinflussen, sondern auch im Handumdrehen revidieren. Eine denkbar schlechte Voraussetzung für rationale Entscheidungen ist akuter Stress. In Extremsituationen übernimmt eine Vielzahl von Stresshormonen die Führung in Gehirn und Körper. Unsere Energieressourcen werden mobilisiert, damit wir schnell reagieren. Gleichzeitig sind Lösungsstrategien in geringerem Maße abruf bar und den Risiken wird weniger Aufmerksamkeit geschenkt. Deshalb neigen wir in Stresssituationen zu risikofreudigeren Entscheidungen, so Heekeren.


Wissenschaft

Davon ausgenommen sind Routine-Entscheidungen, die tendenziell stressunabhängig sind: »Unser Gehirn ruft sie automatisch ab, wir müssen nicht nachdenken«, so der Neurowissenschaftler. »Wenn wir im Alltag bewusst auf gesunde Ernährung achten, zeigt sich in Stresssituationen, ob wir das Essverhalten wirklich verinnerlicht haben, oder doch zum Schokoriegel greifen.« Stress sabotiert also die Selbstkontrolle und steht – gemeinsam mit der Routine – nicht selten den eigenen Vorsätzen im Wege. Doch selbst ohne Stress lassen wir uns von vielen Faktoren beeinflussen – selbst wenn wir glauben, souverän zu entscheiden. Dieser Umstand wird von Industrie und Handel schon längst für die eigenen Zwecke genutzt. »Ein wichtiges Stichwort in diesem Zusammenhang ist die sogenannte Ent scheidu ng sa rch itekt u r«, erklärt Heekeren.

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eine Verminderung des Straßenmülls um 40 Prozent. Gesünderes Essverhalten kann durch eine Ampel, wie sie in der FU-Mensa existiert, angeregt werden. Diesen Stups in die richtige Richtung bezeichnet man als »Nudging«. Gegner des Nudging bemängeln, dass der freie Wille des Menschen eingeschränkt werde. Denn der Grad zwischen Entscheidungshilfe und Bevormundung ist schmal. Doch hat die Hirnforschung die Selbstbestimmung des Menschen nicht so oder so als Illusion entlarvt? Sie hat gezeigt, dass unsere Entscheidungen von vielen unbewussten Faktoren abhängen. Sie hat auch gezeigt, dass unsere Handlungen keineswegs willkürlich oder zufällig sind. Vielmehr sind sie die Folge unserer Lebensumstände. Deshalb lassen sie sich oft vorhersagen und manipulieren. Unsere Entscheidungen haben System. Uns bleibt die Fähigkeit, innezuhalten und überlegt zu handeln – allen Einflüssen zum Trotz bestehen also noch Chancen auf Selbstbestimmung.

Die Idee dahinter: die jeweilige Entscheidungssituation gezielt gestalten, um Einfluss auf unsere individuellen Entschlüsse zu nehmen. Im Supermarkt werden wir in Richtung der Produkte gelenkt, die uns in Versuchung führen. Süßigkeiten werden in Blickhöhe von Kindern platziert und vor jeder Flugbuchung wird uns automatisch eine Reiseversicherung angeboten. Die Entscheidungsarchitektur könne aber ebenso genutzt werden, um erwünschte Handlungen zu erleichtern. So sorgten in Dänemark grün gepinselte Fußabdrücke, die zu Mülleimern führten, für

Friederike Oertel studiert Angewandte Literaturwissenschaft. Sie weist ihr Gehirn jetzt immer zurecht, wenn es an ihrem Bewusstsein vorbei entscheiden will.

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Wissenschaft

Im akademischen Asyl Friedliche Forschung ist nicht überall möglich: Weil sie die gleichen Rechte wie Männer haben wollte, musste Fatemeh Masjedi aus dem Iran fliehen. Jetzt promoviert sie in Berlin – das Netzwerk »Scholars at Risk« hat es ermöglicht. Text: Anke Schlieker Foto: Friederike Werner

Eine Million Unterschriften wollen sie sammeln, für iranische Frauen und gegen die Gesetze, die diese unterdrücken. Aktivistin Fatemeh Masjedi ist sich sicher: Was sie und ihre Mitstreiterinnen tun, ist legal. Dennoch wird sie 2010 wegen »Propaganda gegen den Staat« zu sechs Monaten Haft verurteilt. Das ist der Beginn einer Entwicklung, die die Forscherin aus dem Iran bis an die FU führen wird.

An der FU angekommen, ist Masjedi eine von fünf Akademikern, im Programm des SAR-Netzwerkes. Sie alle hatten in ihrem Heimatland keine Berufsperspektiven mehr. »Die Freie Universität unterstützt Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die aufgrund ihrer Forschungen und Ideen verfolgt, bedroht und in ihrer Arbeit eingeschränkt werden«, sagt FU-Präsidiumssprecher Goran Krstin.

Mädchen dürfen mit 13 Jahren heiraten, Jungen erst ab 15. Vor Gericht zählt die Zeugenaussage einer Frau nur halb so viel wie die eines Mannes. Diese und sieben weitere diskriminierende Gesetze wollte die »One-Million-Signature-Campaign« durch eine Petition an das iranische Parlament verändern.

Kriege und Bürgerkriege im Nahen Osten haben die Zahl der Akademiker, die Unterstützung suchen, stark beeinflusst. So zählte die SAR-Zentrale in New York von ihrer Gründung im Jahr 2000 bis zum Beginn des Arabischen Frühlings nur 12 Anfragen aus Syrien – seit März 2011 zählen sie bereits 150.

Im Iran arbeiten und forschen kann die Historikerin Masjedi nach der Kampagne nicht mehr. Ein Stipendium des internationalen Netzwerks »Scholars at Risk« (SAR), dem auch die FU angehört, ermöglicht es ihr, trotzdem zu promovieren. Ziel der Organisation ist es, akademische Freiheit zu stärken und bedrohte Forscher zu unterstützen. Von Bekannten wird Masjedi für das Programm an der FU vorgeschlagen und erhält eine Zusage. Als sie aus dem Gefängnis entlassen wird, reist sie sofort nach Berlin und tritt 2011 eine Doktorandenstelle am Zentrum Moderner Orient an.

Für den Iran hatten sich viele eine Verbesserung der Lage erhofft. Der 2013 zum neuen Präsidenten gewählte Hassan Rohani sollte eine Liberalisierung des Landes herbeiführen. Doch Masjedi erklärt, innenpolitisch seien die Politiker so repressiv, wie sie außenpolitisch liberal wirkten. »Die Probleme der Frauen wurden über der dominierenden Außenpolitik vergessen«, bemängelt sie.

Sie beginnt bereits im Gefängnis, an ihrer Promotion zu arbeiten. Doch der Leiter der Frauenabteilung kommt immer wieder in ihr Zimmer und liest, was sie in Quellentexten unterstrichen hat. Dass Masjedis Arbeit so genau überwacht wird, liegt vor allem am Thema ihrer Forschung: Soziale und politische Gewalt in der iranischen Stadt Tabriz zwischen 1905 und 1920. Allein der Begriff der politischen Gewalt sei im Iran provokant, gerade in Zeiten der Grünen Bewegung: 2009 protestierten bei dieser junge Aktivisten gegen die Wiederwahl des Präsidenten Ahmadinedschad. Masjedis Forschung zeigt die historischen Muster solcher Proteste: »Politische Bewegungen im Iran gehen auf den Anfang des 20. Jahrhunderts zurück.«

Bereits während der Grünen Bewegung habe sich die Frauenrechtsbewegung durch staatlichen Druck und starke Überwachung verlaufen. Viele Aktivistinnen hätten den Iran verlassen oder seien im Gefängnis, so Masjedi. Doch sie glaubt, der hohe Bildungsgrad der iranischen Frauen könne einen gesellschaftlichen Wandel bewirken: »Frauen, die zur Universität gehen, gehen nicht zurück in die Küche.«

Anke Schlieker findet persisches Essen zwar ziemlich verlockend, zurück in die Küche will sie dafür trotzdem nicht.


Neues aus Dahlem

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Während einigen das Wissen, das sie in ihrer Zeit an der Uni sammeln, unnütz erscheint, kommt anderen hier die zündende Idee für ein Start-Up. Wir stellen drei Neugründungen von FU-Studenten vor, die den Funken der Innovation in ganz unterschiedliche Bereiche hineintragen wollen. Text: Janis Meder Illustrationen: Faustina Kork

Glückliche Kühe? »PerformaNat« macht müde Kühe munter. 95 Prozent aller deutschen Milchkühe sind nicht bio. Vier ehemalige Doktorandinnen des Fachbereichs Veterinärmedizin wollten einen Weg finden, zumindest die Gesundheit der Tiere in den bestehenden Verhältnissen zu verbessern. Sie haben einen natürlichen Futtermittelzusatz entwickelt, mit dem die Kühe bei gleichbleibender Futtermenge mehr Nährstoffe aufnehmen und somit weniger essen müssen. Die Jungunternehmerinnen hoffen, Bauern durch die reduzierten Futterkosten vom Kauf der gesünderen Alternative überzeugen zu können. Die Wiederkäuer werden’s ihnen danken!

Digital zum Sieg »Fubalytics« lässt Fußballerherzen höher schlagen. Alexander Bitzke und Eugen Funk sind ehemalige Studenten der Sportwissenschaft und der Informatik. Basierend auf eigenen Fußballerfahrungen gründeten sie 2012 die Seite für Strategen. Trainer können dort Videos der eigenen Mannschaft oder zukünftiger Gegner hochladen, mit Pfeilen und anderen Funktionen bearbeiten und analysieren. Die zugehörige App ermöglicht es den Fußballern, sich immer und überall auf ihre Spiele vorzubereiten. »Fubalytics« richtet sich vor allem an Amateur- und Freizeitmannschaften. Aber auch Vereine wie Hertha BSC oder der Vf L Wolfsburg arbeiten bereits mit der Software. Bleibt zu hoffen, dass die Gegner nichts von dieser App wissen.

Autoren in Not Unaufgefordert eingesendete Manuskripte werden in Verlagen meist ohne Begründung abgelehnt. Die Arabistik- und Publizistik-Studentin Denise Sudan erlebte das während ihrer Lektoratsassistenz beim Auf bau Verlag, als sie täglich zwei Postkisten Einsendungen zurückschicken musste. Das fand sie schade: Die Autoren hätten eine professionelle Rückmeldung verdient. So gründete sie 2015 »e-ditio« – eine internationale Onlineplattform, die noch unentdeckte Autoren und Wissenschaftler mit Lektoren und Übersetzern verbindet. Die Texte, die der Verfasser mit einem Exposé hochlädt, erhalten nach der Bearbeitung durch Experten ein Qualitätssiegel. Das soll den Text vor der Tonne bewahren.

Janis Meder wartet nur noch auf die Eingebung für ein eigenes Start-Up zum Durchstarten. Mit Kühen soll das dann aber nichts zu tun haben.


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Campus

Der empörte Student Wer die dunkle Seite des Studiums kennenlernen möchte, der muss nur auf die nächste Gruppenarbeit warten. Unsere Autorin stößt an ihre Grenzen. Text: Alexandra Brzozowski Illustration: Lucie Hort Liebe Kommilitonen,

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bestimmt werde ich nun als egoistisch oder unkooperativ abgestempelt – mir egal, ich gebe ganz offiziell zu: Ich hasse Gruppenarbeiten! Der Dozent teilt uns für Referate in Fünfer-Gruppen auf. Ich beginne mit den Zähnen zu knirschen – die nächste Zahnarztrechnung wird teuer. Denn ich kann schon ahnen, was mich erwartet. Fünf Gehirne denken besser als eins? So ein Unsinn! Der Grat zwischen angestrebter Schwarmintelligenz und abgrundtiefem Schwarmschwachsinn ist schmal. Sehr schmal. Die Wahrheit ist: Je mehr Teilnehmer, desto größer die soziale Faulheit. Und so saß ich da, meine lieben Referatsgruppenkumpanen. Wartend, die Wände des kargen Seminarraums anstarrend. Denn Gruppenarbeiten haben es immer so an sich, dass ihr mindestens eine halbe Stunde zu spät kommt. Dann heißt es: Bloß nicht wütend werden. Luft holen. Auftritt kleiner Engel mit Harfe, linke Schulter: »Vielleicht hat der Bus einen Platten oder sie haben wirklich viel zu tun. Kann vorkommen, muss man entschuldigen.« Durchatmen. Teufel mit brennendem Dreizack, rechte Schulter: »Bist du des

Herausgeber: Freundeskreis Furios e.V. Chefredaktion: Melanie Böff, Alexandra Brzozowski, Cecilia T. Fernandez (V.i.S.d.P., Freie Universität Berlin, JK 26/222a, Habelschwerdter Allee 45, 14195 Berlin) Ressortleitung Politik: Alexandra Brzozowski, David Rouhani Ressortleitung Campus: Sarah Ashrafian, Anke Schlieker Ressortleitung Kultur: Julian Daum, Hanna Sellheim Ressortleitung Wissenschaft: Kim Mensing, Friederike Werner Layout: Cecilia T. Fernandez, Corinna Schlun Chefin vom Dienst: Monica Camposeo Redaktionelle Mitarbeit an dieser Ausgabe: Sarah Ashrafian, Matthias Bolsinger, Melanie Böff, Alexandra

Wahnsinns?! Zu entschuldigen wäre das nur, wenn sie gerade Kätzchen vor dem Ertrinken retten!« Ich massiere meine lädierten Kaumuskeln und schlucke den Zahnabrieb mit meiner Wut hinunter. Das Schlimmste kommt aber erst noch: Wenn ihr Trantüten endlich hereinschlurft, seid ihr auch noch so unvorbereitet, dass keiner eurer Kommentare verwertbar ist. »Ich konnte den Text nur mal überfliegen.« Ja, ist klar. Spätestens dann gebe ich auf, euch

an der Arbeit beteiligen zu wollen. Gruppenarbeiten sind eine Ausgeburt der Hölle. Am Ende läuft es immer auf dasselbe hinaus: Einer macht alles und

Brzozowski, Julian Daum, Eva Famulla, Cecilia T. Fernandez, Carla Hegerl, Max Krause, Janis Meder, Kim Mensing, Frauke Oedekoven, Friederike Oertel, Simon Purk, David Rouhani, Ulrike Runge, Anke Schlieker, Corinna Schlun, Jonas Saggerer, Hanna Sellheim, Evelyn Toma, Friederike Werner Illustrationen: Julia Fabricius, die greta, Lucie Hort, Faustina Kork, Robin Kowalewsky, Cristina Estanislao Molina, Zoë Schütte Fotografien: Sarah Ashrafian, Matthias Bolsinger, Julian Daum, Eva Famulla, Carla Hegerl, Frauke Oedekoven, Friederike Oertel, Simon Purk, Anke Schlieker, Christoph Spiegel, Friederike Werner Titelgestaltung: Greta Sedlmayr (Illustration), Cecilia T. Fernandez Lektorat: Hannah Reiners

der Rest lässt sich bedienen. Gruppenarbeiten bringen das Schlechteste in Studenten hervor: Die faulen Socken, die sich am liebsten die Stichpunkte ihres Redebeitrags von Mami auf einem Silbertablett servieren ließen. Oder warum sonst seid ihr so unfähig, einen gemeinsamen Vortrag zu organisieren? Am Rande des Nervenzusammenbruchs bringe ich es doch fertig, ein brauchbares Referat aus euren Wortfetzen zu stricken und klatsche euch euren Teil auf den Tisch. Ein »Danke« bleibt wie erwartet aus. Trotzdem steht ihr am besagten Tag nun da wie Rehe im Scheinwerferlicht eines Autos. Denn ihr habt keine Ahnung, was ihr da vor euch hinplappert. Ihr hofft einfach, dass es bald vorbei ist. Weit gefehlt – die Kommilitonen haben natürlich bohrende Nachfragen, die euch in die Bredouille bringen. Wer euch dann dabei zusieht, wie ihr verzweifelt vor euch hinstammelt, könnte fast Mitleid haben. Fast. Aber mein Sinn für Mitleid hat sich längst verabschiedet, zusammen mit meinem Zahnschmelz. Eure entrüstete Alex

ISSN: 2191-6047 www.furios-campus.de redaktion@furios-campus.de Jeder Autor ist im Sinne des Pressegesetzes für den Inhalt seines Artikels selbst verantwortlich. Die in den Artikeln vertretenen Meinungen spiegeln nicht zwangsläufig die Ansicht der Redaktion wider. Gemäß dem Urheberrecht liegen die Rechte an den einzelnen Werken bei den jeweiligen Autoren.


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