FURIOS 14 – Mahlzeit!

Page 1

SOMMER 2015 AUSGABE 14

MAHLZEIT!


Fördern. Stärken. Teilnehmen. Ehemalige und Freunde der Freien Universität Berlin: Bleiben Sie in Kontakt!

Fördern Sie gezielt Forschung, Lehre und wissenschaftlichen Nachwuchs, stärken Sie die Freie Universität Berlin und nehmen Sie gestaltend am Hochschulleben teil. Werden Sie Mitglied der ErnstReuter-Gesellschaft und profitieren Sie von zahlreichen Vorteilen: www.fu-berlin.de/erg

Sie haben an der Freien Universität Berlin studiert, geforscht, gelehrt oder gearbeitet? Bleiben Sie mit anderen Ehemaligen und Ihrer Alma Mater in Verbindung. Werden Sie Teil des weltweiten Alumni-Netzwerks der Freien Universität Berlin: www.fu-berlin.de/alumni


Titel

03

Liebe Kommilitoninnen, liebe Kommilitonen Unserem Cover-Model hängt noch die Nudel am Kinn. Schön sieht das nicht aus, aber lecker war’s. Und darauf kommt es beim Essen doch an. Unsere vierzehnte Ausgabe dreht sich deshalb um‘s Essen und Trinken. Soll es selbstgekocht oder vom Lieferdienst sein? Das beantworten wir Euch auf Seite 6. Für Euch haben wir nämlich die drei meistbestellten Gerichte nachgekocht. Mehr über die Essgewohnheiten von Euren Kommilitonen und Professoren erfahrt Ihr auf Seite 16. FU-Professor Bernd Ladwig verzichtet weitestgehend auf tierische Produkte. Wir sprachen mit ihm über Fleischkonsum und Tierrechte. Das Interview lest Ihr auf Seite 9. Über den moralischen Aspekt von Essen machen sich auch viele Studie-

rende Gedanken. Wir haben zwei getroffen, die diese in ihrem Leben allerdings unterschiedlich umsetzen. Das Gespräch findet Ihr auf Seite 10. Doch was ist, wenn man nicht aus moralischen Gründen auf Lebensmittel verzichtet, sondern weil man krank ist? Die Geschichte einer magersüchtigen Studentin lest Ihr auf Seite 12. Und auch, was wir alle oftmals in unseren Körper kippen, kann gefährlich werden. Auf Seite 14 wird über das Verhältnis von Studenten und Alkohol sinniert. Wie immer bieten Euch die anderen Ressorts auch spannende Themen und mitreißende Artikel: Wir haben uns angeschaut, ob die Uni wie versprochen etwas gegen die hohen Durchfallquoten bei Prüfungen getan hat

(S. 18), haben uns in den Bau einer Studentinnenverbindung begeben (S. 24), eine angehende Schriftstellerin getroffen (S. 30) und den ökologischen Fußabdruck einer Studentin bemessen (S. 34). Viel Spaß bei der Lektüre der vierzehnten FURIOS-Ausgabe wünschen Euch

Informieren.

Dranbleiben.

Mitmachen.

Du willst noch mehr FURIOS? Tagesaktuelle Meldungen, Reportagen und Kommentare rund um die FU gibt‘s auf FURIOS Online auf: furios-campus.de

Du willst nichts verpassen? Dann bleib auf dem Laufenden, indem Du uns auf Facebook hinzufügst:

Du willst selbst für FURIOS schreiben, fotografieren oder zeichnen? Dann schreib uns eine Mail an:

facebook.com/fucampus

mitmachen@furios-campus.de

Melanie Böff und Cecilia T. Fernandez


INHALT – Ausgabe 14 TITELTHEMA: MAHLZEIT! 06 Warten oder braten? Wir kochen nach, was Studenten am häufigsten bestellen.

09 »Ein großes, saftiges Schnitzel« FU-Professor Bernd Ladwig verficht die Rechte von Tieren.

10 »Wenn wieder Fleisch, dann selbst getötet« Bio, vegan – oder beides? Zwei Studierende verraten uns, was bei ihnen auf den Teller kommt.

12 Vom Hunger aufgefressen Lena kämpft gegen die Magersucht. Bis zu ihrem Studium.

14 Alkohol, wir müssen reden Das Verhältnis von Studenten zu Alkohol ist unausgewogen – und gefährlich.

16 4 aus 40.000 Wir haben auf dem Campus nachgefragt: Wie sehen die Essgewohnheiten von FU-lern aus?

FÜR DIE OPTIK SORGEN:

Langeweile gibt es bei Jana Hößler nie. Ihre neu gewonne Zeit im Studium widmet sie in diesem Semester dem FURIOS-Layout.

Marie Halbich war diesmal vor allem mit der Kamera unterwegs: Inzwischen kennt sie die Holzlaube fast in- und auswendig.

Milena Andrée arbeitet am liebsten outdoor mit Model – für FURIOS verwandelt sie selbst die Mensa in eine Location.

Die greta studiert Illustration und Comic in Kassel und zeichnet schon seit einiger Zeit an einer Graphic-Novel.

Robin Kowalewsky hat es nicht so mit dem Einhalten von Deadlines. Deshalb bekam er einen Ghostwriter für seinen Autorenkasten.

Julia Fabricius kommt aus Schweden und ist nach einem Abstecher in New York an der BTK Kunsthochschule in Berlin gelandet.

Für FURIOS musste Dorothea Drobbe ihre reversible Pulpitis und ihre Telephonophobie überwinden.

Während Vorlesungen füllt Zoë Schütte ihre Blätter lieber mit Kritzeleien als mit Notizen (wertvolles Gedankengut ist es trotzdem).

Luise Schricker studiert Deutsche Philologie und Informatik. Irgendwann möchte sie einmal einen Gipsabguss von einem Fußabdruck machen, so wie es Detektive immer tun.

Faustina Kork erforscht die Verhaltensweisen griechischer Nymphkröter und verkorkt die üblichen Verdächtigen.

Daniel Krause macht gelegentlich Fotos für FURIOS und hat nichts Witziges für seinen Autorenkasten gefunden.

David Stach studiert an der Burg Giebichenstein in Halle (Saale) und war als Kind berühmt dafür, Holz, Blätter und Steine zu verschlingen.


POLITIK

CAMPUS

18 Bis zum letzten Versuch

24 Im Bau der Füxinnen

Studentenvertreter werfen dem FU-Präsidium vor, nicht genug gegen die hohen Durchfallquoten bei Prüfungen getan zu haben.

20 Alles beim Alten Der neue Strukturplan der FU verwaltet vor allem den Status Quo.

21 Zwischen Asta und Apathie Waren alle Studenten früher Revoluzzer? Wir haben FUEhemalige nach ihrem politischen Engagement gefragt.

22 Filmabend oder doch lieber Revolution? Manche Fachschaftsinitiativen sind stark ideologisch, andere pragmatisch ausgerichtet. Beide Modelle haben Erfolg.

23 Schwarzes Gold und sattes Grün Die Nutzung seiner natürlichen Ressourcen könnte Ecuador aus der Armut helfen. Doch nicht alle sind dafür.

Unsere Autorin hat einen Abend bei einer Frauenverbindung verbracht.

26 Das ist die neue Laube Wir stellen Euch den neuen Prachtbau der FU vor.

27 In Gottmutters Namen Eine skurrile Sekte versucht, auf dem Campus Studenten zu missionieren.

28 Wo bin ich hier gelandet? Eine durchrüttelnde U-Bahn-Fahrt und ein aufwühlender Besuch im schwedischen Möbelhaus.

29 Ewige Ehemalige: Die Unbeirrbare Die FU-Ehemalige Lea Rosh ist nicht unumstritten, aber durchsetzungsfähig.

38 Der empörte Student Eine Entschuldigung an ein Mensa-Schwein.

KULTUR

WISSENSCHAFT

30 Lies mich!

34 Leben auf großem Fuß

Als junger Schrifsteller durchzustarten, ist schwierig. Aber Ramona Raabe lässt sich nicht aufhalten.

31 Kuratoren auf Probe Um der grauen Theorie an der Uni zu entfliehen, organisiert ein studentischer Verein Kunstausstellungen.

32 »Ein Mondschwein steht für Lebensträume« Zwei FU-Studentinnen haben ein selbstgeschriebenes Stück auf die Bühne gebracht.

33 Die geklaute Rubrik: Sagen Sie jetzt nichts Was hält eigentlich ein Mensa-Koch von Studierenden, die ihr Essen nicht bezahlen?

Nachhaltigkeit im Uni-Alltag: Eine Studentin hat ihren ökologischen Fußabdruck gemessen.

36 »Der IS spielt auf der Klaviatur der Massenmedien« Carola Richter forscht an der FU zum Islambild in den deutschen Medien.

37 Was Forscher fühlen Wissenschaftler der FU finden heraus, welche Emotionen Forscher bei ihrer Arbeit empfinden.

03 Editorial 38 Impressum


06

Titel

Warten oder braten? Der Lieferdienst ist Freund und Helfer eines jeden Studenten, wenn der Kühlschrank leer und die Lust zu Kochen am Boden ist. Aber lohnt es sich wirklich zu bestellen? Wir haben es getestet. Text: Mareike Edler, Max Krause, Thekla Brockmüller, Hanna Sellheim Fotos: Anke Schlieker

VS.

Die selbstgemachte Pizza (links) ist nicht rund, sie liegt aber trotzdem knapp vor der bestellten.

N

ach Uni-Schluss noch den Herd anmachen? Viele Studierende schenken sich das abendliche Kochen und greifen statt zur Bratpfanne zum Laptop. Ein bekannter Online-Lieferdienst bestätigt: vor allem die 18- bis 25-Jährigen bestellen eifrig im Internet. Am begehrtesten ist die Pizza, dicht gefolgt von einem amerikanischen Klassiker, dem Burger. Auf dem dritten Platz der beliebtesten Bestellungen ist die asiatische Küche vertreten, besonders gebratene Nudeln. Diese Top Drei der bestellten Gerichte haben wir jeweils gekocht – und uns liefern lassen. Ob der Lieferdienst zu empfehlen ist und wann sich Selbermachen lohnt, verraten wir euch hier.

Die Pizza Selbstgemacht: Macht man sie mit dem Fertigteig aus dem Supermarkt, ist die Pizza im Ofen innerhalb von 20 Minuten belegt und knusprig gebacken. Das Problem: Die Zutaten müssen vorher eingekauft werden. Das kostet Zeit, die man nach einem langen Uni-Tag nicht immer hat. Wer selbst kocht, kann die Pizza dafür so belegen, wie er

möchte. Besondere Vorlieben erfüllt der Lieferservice nur gegen Aufpreis. Noch besser wird die Pizza mit den richtigen Gewürzen – Oregano, Basilikum und Thy mian ret ten euch vor einer faden Pizza. Preislich kann die selbstgemachte Pizza punkten: 3,50 Euro für ungefähr vier Portionen. Bestellt: Auch die Pizza vom Lieferdienst braucht nicht mehr als 20 Minuten. Mit 3,50 Euro für eine Pizza Margherita ist am Preis nichts auszusetzen. Und der Geschmack? Die Pizza ist gut gewürzt, der Rand knusprig und der Käse gleichmäßig geschmolzen. Jedenfalls solange sie heiß ist. Lässt man sie jedoch für ein paar Minuten auf dem Teller liegen, wird der Boden pappig und der Käse gummiartig. Dennoch punktet das bestellte Essen besonders bei den Spül-Muffeln: Stundenlanges Saubermachen fällt weg, dank Karton wird der Teller überflüssig.

Der Burger Selbstgemacht: Burger isst man am besten gemeinsam. Denn Zutaten wie Salatblät-

VS.

Selbst gestapelt (links) sieht einfach frischer aus als bestellt.

ter und saure Gurken gibt es nun mal nicht einzeln zu kaufen. Dafür kann jeder individuell entscheiden, was er zwischen den Brothälften haben will. Der Cheeseburger ist schnell gemacht: Zutaten schneiden, stapeln, fertig. Die einzige Herausforderung sind die Buletten – rohes Fleisch kneten ist nicht jedermanns Sache. Dafür werden unsere selbstgemachten Frikadellen besonders saftig und formschön. Vor allem beim Fleisch können die Kosten variieren. Während das billigste Hack schon für weniger als zwei Euro zu haben ist, kann die Bio-Variante auch mal zehn Euro kosten. Für unseren Burger haben wir zu mittelpreisigem Biofleisch gegriffen und für vier Portionen insgesamt 6 Euro gezahlt. Bestellt: Auch wenn der Burger schon nach 25 Minuten ankommt – so richtig frisch sieht er nicht mehr aus. Das Brötchen kaut sich wie Gummi, der Salat hängt kraftlos herunter. Der Käse verbindet die Komponenten zu einem soliden, lauwarmen Klotz. Da auch noch das Fleisch trocken und hart ist, ist der Burger schlichtweg ungenieß-


Anzeige

Königin-Luise-Str.41, 14195 Berlin Tel: (030) 841902-0 Fax: 841902-13 E-mail: info@schleichersbuch.de Königin-Luise-Str.41, 14195 Berlin Tel: (030) 841902-0 Fax: 841902-13 E-mail: info@schleichersbuch.de

UniversitätsBuchhandlung Universitätsfür die FU Buchhandlung für die FU Unsere Veranstaltungsreihe

DAHLEMER AUTORENFORUM Programm-Information im Internet Unsere Veranstaltungsreihe

DAHLEMER AUTORENFORUM Unsere Filiale imimInternet Programm-Information Internet Unser Online-Shop

www.schleichersbuch.de

Unsere Filiale im Internet www.schleichersbuch.de

Mit einem Mausklick auf KATALOG haben Sie

Zugriff auf 1 Million Titel www.schleichersbuch.de

(Bücher, Hörbücher, DVDs) der Datenbank . Sie Mit einem MausklickBUCHKATALOG.DE auf KATALOG haben

SCHLEICHERS – Ohne Buch geht gar nichts!

Zugriff auf 1inMillion Titelblättern, Sie können recherchieren, vielen Büchern auswählen und bestellen. (Bücher, Hörbücher, DVDs) Innerhalb von 24 Stunden (an Wochenenden der Datenbank BUCHKATALOG.DElänger) . stehen lieferbare Titel für Sie bei uns Sie können vielen Büchern anrecherchieren, der Kasse zur in Abholung bereit. blättern, auswählen und bestellen. Innerhalb von 24 Stunden (an Wochenenden länger) stehen lieferbare Titel für Sie bei uns an der Kasse zur Abholung bereit.

Unsere Filiale in der City-West Literaturhaus-Buchhandlung

Unsere Filiale & in COMPANY" der City-West "KOHLHAAS Fasanenstraße 23, nahe Kurfürstendamm Literaturhaus-Buchhandlung 10719 Berlin Tel.: (030) 882 50 44, Fax: (030) 88 55 08 58 E-Mail: info@kohlhaas-literaturhaus.de Fasanenstraße 23, nahe Kurfürstendamm 10719 Berlin Tel.: (030) 882 50 44, Fax: (030) 88 55 08 58 E-Mail: info@kohlhaasbuch.de info@kohlhaas-literaturhaus.de

"KOHLHAAS & COMPANY" Schon nach 20 Minuten steht der Pizzabote mit der Bestellung an der Tür.


08

Titel

Fleißig Gemüse schnippeln (oben) und dann alles gut braten (mitte) – fertig ist die Nudelpfanne. Die bestellte Pizza darf dagegen ganz ohne Arbeit verputzt werden (unten).

VS.

Die selbstgekochte Nudelpfanne (links) erfordert einiges an Vorbereitung, doch der Aufwand lohnt sich.

bar. Natürlich kann dieses Fiasko ein Einzelfall sein. Trotzdem bleibt auf dem Lieferweg immer die Gefahr, dass die Zutaten schlapp machen. Mit einem Preis von 5,80 Euro für einen Burger kann dieses Exemplar mit unserer selbstgemachten Kreation nicht mithalten.

Die Nudeln Selbstgemacht: Dieses Gericht ist aufwendig – finanziell und auch zeitlich. Wer nicht gerne kocht oder am Ende des Tages müde ist, wird keinen Spaß daran haben, große Mengen Gemüse zu schneiden. Wenn aber Paprika, Champignons, und Möhren erst mal zerstückelt sind, ist die größte Arbeit getan. In Kombination mit den Eiernudeln wird das Gericht zur leichten Kost. Sojaund Chilisoße sorgen für die nötige Würze. Das Ergebnis kann sich sehen – und schmecken – lassen: Es ist deutlich frischer und besser gewürzt als die bestellte Version. Die Zutaten kosten insgesamt circa 10 Euro. Das ist nicht sonderlich günstig, doch das Gemüse reicht für mehrere Gerichte aus. Bestellt: Nudelbox – das ist schnelles Essen für unterwegs. Auch die bestellte Nudelpfanne für 3,50 Euro schmeckt nicht anders als am Imbiss um die Ecke. Bloß fehlt die Sojasoße. Immerhin hat uns der Lieferservice mit einer großzügigen Portion Röstzwiebeln bedacht, aber da hört das Lob auch schon auf. Die Nudeln schwimmen im Fett und frisch sieht das Gemüse

auch nicht mehr aus. Darauf eine Stunde warten? Eher lohnt sich der Weg vor die Tür zur Asia-Box.

Fazit Der Mindestbestellwert ist das größte Manko der Lieferdienste. Wer alleine bestellt, erreicht oft nicht den vorgegebenen Betrag. Alleine lohnt es sich also eher, frische Zutaten einzukaufen, die notfalls auch am nächsten Tag in ein anderes Gericht wandern kön nen. Was die Kosten betrifft, schneidet Selbstkochen also besser ab. Der Test hat außerdem ergeben, dass frisch einfach besser schmeckt. Um beim Bestellen Enttäuschungen zu vermeiden, ist es ratsam, vorab Kritiken anderer Kunden zu lesen. Doch Einkaufen und Kochen kostet Zeit. Da ist es oft bequemer, sich mit einem Mausklick das Abendessen zu sichern. Wer das Kochen und Geschirrspülen scheut, dem kann ein Lieferdienst Abhilfe leisten. Unser Gesamtfazit lautet trotzdem: Ab an den Herd!

Falls uns jemand demnächst auf Pizza, Burger oder AsiaNudeln einladen möchte: Nein, danke! Wir haben erst einmal genug.


Titel

09

»Ein großes, saftiges Schnitzel« Was gibt uns das Recht, andere Spezies aufzuessen? Nichts, findet Moralphilosoph und FU-Professor Bernd Ladwig. Trotzdem vermisst er als Veganer manchmal die Schnitzel seiner Kindheit. Interview: Melanie Böff | Foto: Milena Andrée FURIOS: Die Moral soll wieder mit am Esstisch sitzen. Das fordern Sie zumindest als Moralphilosoph. Wie essen Sie privat, Herr Ladwig? Bernd Ladwig: Ich bin wohl inkonsequenter Veganer. Zu Hause esse ich praktisch nur noch vegan. Auswärts versuche ich das auch, aber wenn nichts Veganes angeboten wird, weiche ich schon mal auf die vegetarische Variante aus. Würden Sie Ihre Prinzipien verallgemeinern und sagen, wir dürfen Tiere generell nicht essen? Wenn man die Möglichkeit hat, sich gesund und menschenwürdig zu ernähren, ohne Tiere zu essen, darf man sie nicht essen. Das gilt auch für Eier und Milch. Essen wir Tiere, so nutzen wir sie allein zu unseren trivialen Zwecken, ohne zu respektieren, dass auch Tieren grundlegende Rechte zustehen. Was sollen das für Rechte sein? Etwa dieselben, die wir genießen? Nein, sie brauchen Tierrechte, die auf ihre Bedürfnisse abgestimmt sind. Menschenrechte wie politische Wahlfreiheit ergeben bei Tieren keinen Sinn. Aber Tiere sind empfindungsfähige Wesen genau wie wir. Dieselben moralischen Gedanken, aus denen wir uns Rechte ableiten, sprechen auch dafür, Tieren bestimmte Rechte zuzugestehen. Zum Beispiel das Recht auf körperliche Unversehrtheit oder freie Bewegung. Für Fleischesser ist es vielerorts ziemlich ungemütlich geworden. In vielen Kreisen müssen sie sich für ihr Essverhalten rechtfertigen. Was sagen Sie dazu? Dass man sich erklären muss, ist Ausdruck der Tatsache, dass wir moralische Verantwortung empfinden. Durch Fleischkonsum schädigen wir andere Lebewesen, das ist keine neutrale Sache. Von solchen Positionen fühlen sich viele Fleischesser bevormundet. Sie haben Angst, etwas zu verlieren. Na ja, erst einmal verlieren sie auch tatsächlich etwas. Ich will da gar nichts beschönigen. Aber ganz ehrlich, im Umgang mit

Der Moralphilosoph Bernd Ladwig setzt sich für Tierrechte ein.

Menschen verzichten wir auf tausend Dinge. Ich möchte ständig jemandem – ganz freimütig gesprochen – eine reinhauen, weil er sich vor mir im Straßenverkehr falsch verhält. Das darf ich auch nicht tun. Weil wir eben akzeptiert haben, dass wir einander die Anerkennung einer gewissen Würde schulden. Wir empfinden das in der Regel nicht als Verzicht, sondern als Selbstverständlichkeit. Darum geht es auch im Umgang mit Tieren: Wir müssen ändern, was wir als selbstverständlich ansehen. Manchmal wird uns der Fleischverzicht aber auch aufgezwängt, zum Beispiel in der Veggiemensa. Was halten Sie von der? Die finde ich super. Mit der Veggiemensa wurde ein relativ konsequenter Schritt gegangen. Mich wundert, wie einmalig er in Deutschland zu sein scheint. Universitäten sollten solche Vorstöße fördern. Gerade wir als Akademiker haben ganz andere Möglichkeiten, gründlich über Dinge nachzudenken und uns zu informieren. Was braucht es, um Menschen dazu zu bringen, kein Fleisch mehr zu essen? Bernd Ladwig Professor für politische Theorie und Philosophie Am Otto-Suhr-Institut der FU seit: 2005

Ich bin überzeugt, dass Menschen aus rein moralischer Einsicht handeln können, weil sie verstehen, dass etwas falsch ist. Natürlich reicht die bloße Einsicht aber nicht immer aus. Ob sie auch ein verändertes Verhalten nach sich zieht, hängt von vielen Dingen ab: Wie reagiert das Umfeld? Besitzt Veganismus eine Art Coolness? Bodybuilder, die vegan essen, wirken womöglich ansprechender als das typische Bild des Müslifressers. Hand aufs Herz: Vermissen Sie Fleisch? Fast nie. Ganz selten mal ein Wiener Schnitzel. Das war die Leibspeise meiner Kindheit: so ein großes, saftiges Schnitzel. Aber es gibt auch fantastische vegane Schnitzel.

Melanie Böff ist gerne Vegetarierin. Erinnerungen an Omas Rehrücken erzeugen bei ihr aber immer noch pawlowsches Sabbern.

Aktuelles Projekt: Monographie zu Menschenrechten und Tierrechten Forschungsschwerpunkte: Moralphilosophie und Tierethik


10

Titel

»Wenn wieder Fleisch, dann selbst getötet« Weil Japanologiestundentin Jennifer Swann (22) darauf achtet, was auf ihren Teller kommt, kauft sie Bio und verzichtet meist auf tierische Produkte. Clemens Milan Polywka (24) studiert Publizistik und legt auch viel Wert auf seine Ernährung. Trotzdem steht Fleisch auf seinem Speiseplan. Interview: Nina Michaelis | Fotos: Milena Andrée

FURIOS: Vegan ist derzeit voll im Trend. Für viele ist es gleichbedeutend mit einer bewussten Ernährung. Jennifer, wie hältst du es mit deinem Essen? Jennifer: Ich lege großen Wert auf meine Ernährung. Ich informiere mich viel. Nicht nur darüber, ob Produkte vegan sind, sondern auch über ihre Herkunft. Die ist mir manchmal auch wichtiger. Milch vom Ökohof im Berliner Umland ist für mich moralisch immer noch vertretbarer als ein Sojajoghurt im Plastikbecher. Wann kam dir zum ersten Mal der Gedanke, dich vegan zu ernähren? Jennifer: Mit 15 nahm ich mir für die Fastenzeit vor, eine Woche lang vegan zu leben. Nach ein paar Tagen hat es plötzlich Spaß gemacht, neue Rezepte auszuprobieren oder gewohnte Gerichte in eine vegane Va riante umzuwandeln. Während dieser Woche wurde mir bewusst, was wir Tieren mit unserer Ernährung antun. Dieser Gedanke ließ mich nie wieder los. Clemens, drei Jahre lang hast du dich vegan ernährt, doch heute isst du wieder Fleisch. Wie kam das?

Clemens: Zuerst war ich lange davon überzeugt, dass es moralisch nicht vertretbar ist, Fleisch zu essen. Aber meine Haltung hat sich in dem Punkt gewandelt. Eine bewusste Ernährung ist mir zwar immer noch wichtig, inzwischen glaube ich aber nicht mehr daran, dass sich Menschen mental tatsächlich weiterentwickeln, wenn sie auf tierische Produkte verzichten. Deshalb habe ich meine Ernährung wieder umgestellt: Ich versuche mich möglichst »sauber« zu ernähren. Sprich, ich kaufe keine Fertigprodukte und koche jeden Tag mindestens einmal. In einen saftigen Burger zu beißen, genieße ich aber auch mal. Jennifer: Wie kannst du das als ehemaliger Veganer denn genießen? Spielen die Gründe, aus denen du so lange auf Fleisch verzichtet hast, keine Rolle mehr?

Clemens: Natürlich! Jedes Mal, wenn ich Fleisch esse, denke ich daran, dass dafür ein Tier gestorben ist. Ich weiß das zu schätzen. Aber Gewissensbisse habe ich dabei nicht. Wieso bist du damals Veganer geworden? Clemens: Ich war schon Vegetarier, aber nicht aus Überzeugung, sondern weil meine damalige Freundin Vegetarierin war. Die moralische Überzeugung kam nach und nach dazu. Als meine Schwester dann von einem Tag auf den anderen Veganerin wurde, dachte ich mir: Das kann ich auch. Da war ich 21 Jahre alt. Ich habe dann drei Jahre vegan gelebt. Wie hat dich die Umstellung auf veganes Essen verändert?

Jennifer (rechts) und Clemens sprachen mit unserer Autorin über ihre Einstellung zur Ernährung.


Titel

Zwei, die sich bewusst und doch unterschiedlich ernähren: Clemens und Jennifer.

Jennifer: Die Veggie-Mensa finde ich ziemlich gut. Die Auswahl ist groß. Man kann zwischen drei bis vier veganen Gerichten wählen und auch der vegane Nachtisch ist richtig lecker. Dagegen gibt es in der großen Mensa immer nur ein einziges veganes Gericht, das meist sehr schnell weg ist.

Clemens: Ich habe unheimlich viel dazu gewonnen. Vor allem fühlte ich mich fitter. Außerdem habe ich erst dadurch ein Gespür für kulinarische Feinheiten entwickelt und verstanden, welche Lebensmittel zusammen gut harmonieren. Durch diese Umstellung liebe ich es jetzt zu kochen. Das klingt nach viel Zeit in der Küche. Ist vegane Ernährung denn zeitintensiv, Jennifer? Jennifer: Ja. Sich vegan zu ernähren, erfordert einiges an Organisation. Es kann zum Beispiel hilfreich sein, sich einen Ernährungsplan zusammenzustellen. Wenn man dann aber interessante Rezepte mit außergewöhnlichen Zutaten findet, die gar nicht so teuer sind, macht das Ganze richtig Spaß. Selbst kochen und einkaufen ist die eine Sache, aber wie kommt ihr an der Uni zurecht? Findet ihr, dass Veganer in den Mensen der FU gut aufgehoben sind?

Wie gehen eure Freunde damit um, dass ihr euch vegan ernährt? Jennifer: Ich habe Freunde, die sich umstellen, wenn ich komme und es mögen, mit mir vegan zu kochen. Generell sind alle sehr locker. Clemens: Ich glaube, vor allem unter Jungs ist das so eine Sache mit dem ganzen Männergehabe und Fleisch. Gerade am Anfang habe ich viel Gegenwind bekommen. Der hat aber später nachgelassen. Wie hast du dich gefühlt, als du zum ersten Mal wieder Fleisch gekauft hast, Clemens? Clemens: Da bin ich regelrecht in den Bioladen gestürmt. Ich wusste genau, wo die Fleischtheke ist, bin da hin und stand dann erst einmal nur so da – ich hatte keine Ahnung, was ich kaufen sollte. Weil mich aber die Verkäuferin schon gesehen hatte, war an einen Rückzug nicht mehr zu denken. Was hast du dann gekauft? Clemens: Ich habe gefragt, was sie mir empfehlen kann, weil ich lange kein Fleisch mehr gegessen habe. Ich kaufte 100 Gramm

11

Rinderfilet und ärgerte mich im Endeffekt, weil es nur so wenig war. Ich hatte das Gefühl für Fleischmengen verloren. Jennifer: Geschmeckt hat es dir also sofort und du hast dich nicht seltsam dabei gefühlt? Clemens: Nein, nur das Kaufen war komisch. Beim Essen an sich habe ich mir gedacht, dass ich das jetzt sowieso gebraten habe und nicht mehr wegwerfen werde. Nachdem die erste Hürde überwunden war, gehört Fleisch jetzt zu jeder Malzeit oder bleibt es etwas für besondere Anlässe? Clemens: Ich achte nicht besonders darauf, wie regelmäßig ich Fleisch esse. Oft koche ich noch aus Gewohnheit vegan oder vegetarisch. Fleisch landet drei oder vier mal die Woche auf meinem Teller. Wirst du nun weiterhin Fleisch essen? Clemens: Ich weiß es nicht. Es kann auch sein, dass ich irgendwann wieder Vegetarier oder Veganer werde. Letzten Endes geht es um ein gesundes Mittelmaß zwischen dem Verzicht der Dinge, bei denen es einem leicht fällt, und dem Genuss derer, die man nicht missen möchte. Jennifer, könntest du dir vorstellen, auch irgendwann wieder Fleisch zu essen? Jennifer: Das habe ich mir auch schon überlegt. Ich denke mir, dafür müsste ich das Tier selbst getötet haben. Nur dann fände ich es für mich persönlich gerechtfertigt, es auch zu essen.

Nina Michaelis wird künftig zwar nicht Veganerin oder Jägerin – jeden Bissen Fleisch aber sicher ein wenig mehr schätzen.


12

Titel

Vom Hunger aufgefressen Lena studiert an der FU, isst aber kein Mensaessen. Lena ist magersüchtig. Vor Anonymität und Leistungsdruck an der Uni fürchtet sie sich daher besonders. Die Geschichte eines Kampfes mit sich selbst. Text: Friederike Deichsler | Illustration: Die greta

M

it 13 hört Lena auf zu essen. Nach und nach streicht sie immer mehr Lebensmittel von ihrem Speiseplan. Alles, was zu viel Fett und Zucker enthält, landet nicht mehr auf ihrem Teller. Zunächst findet sie das noch harmlos – ein bisschen abnehmen für die Bikinifigur eben. Doch das ist es nicht. Sie wird magersüchtig. Heute ist Lena, die eigentlich anders heißt, 22 Jahre alt und studiert an der Freien Universität. Sie möchte Grundschullehrerin werden. Inzwischen kann sie offen über ihre Krankheit sprechen.Wenn sie das tut, zeigen die meisten Menschen zwar Verständnis – so richtig nachvollziehen kann ihr Verhalten aber kaum einer. Dabei ist Lenas Geschichte bei weitem kein Einzelfall: 2012 befanden sich mehr als 11.000 Patientinnen und Patienten wegen einer Essstörung in stationärer Behandlung. Weitere Erkrankte ließen sich ambulant behandeln. Laut Robert-Koch-Institut besteht bei etwa einem Fünftel aller Jugendlichen zwischen 11 und 17 Jahren der Verdacht einer Essstörung. Darin nicht einberechnet ist die mutmaßlich hohe Dunkelziffer. Die Zahl der Erstdiagnosen von Magersucht steigt seit Jahren. Und: Magersucht ist die tödlichste aller psychischen Krankheiten, jeder sechste Betroffene stirbt daran. Wer nicht direkt mit dem Thema konfrontiert wird, beschäftigt sich oft gar nicht damit. Häufig wird die Krankheit auch als Pubertätsproblem abgetan. Ein Fehler, meint Martina Hartmann, die im Verein »Dick& Dünn e.V.« in Berlin Betroffene betreut. »Diese Annahme ist grundlegend falsch. Eine Essstörung kann in jedem Alter auftre-

ten.« Oft beginne die Krankheit wie bei Lena als ver meintlich vorübergehende Diät. Lenas reglementiertes Essverhalten verselbstständigt sich schnell, sie verliert stark an Gewicht. Ihre Eltern ahnen, dass etwas nicht stimmt, wollen jedoch ihre jüngeren Geschwister nicht beunruhigen. Sie meiden deshalb die offene Aussprache. Lena behauptet, sie habe alles im Griff. Doch die Angst, wieder zuzunehmen, wird immer mehr zu ihrem ständigem Begleiter. Wer den ganzen Tag daran denkt, nicht zu essen, vernachlässigt schnell die eigenen Freunde und isoliert sich immer mehr. »Man konzentriert sich nur noch auf sich selbst und fühlt sich von anderen nicht verstanden«, erzählt Lena. Aber ihre Freunde lassen nicht locker. Gemeinsam mit Lenas Eltern schaffen sie es, die Magersüchtige zu einer Therapie zu bewegen. Erstmals realisiert Lena, dass sie krank ist. Doch der erste Anlauf scheitert: »Ich bin eigentlich nur meinen Eltern zuliebe hingegangen«, sagt Lena. Der Therapeutin erzählt sie erfundene Geschichten, die wahren Ursachen ihrer Krankheit kommen nicht ans Licht. Laut Experten spielen bei der Entstehung von Essstörungen drei Faktoren eine Rolle: familiärer Hintergrund, soziales Umfeld und gesellschaftlicher Kontext. »Wir leben in einer Leistungsgesellschaft, in der es als wünschenswert gilt, seine eigenen Bedürfnisse zurückstellen zu können«, sagt Martina Hartmann. »Eine Essstörung ist eine extreme Form dieser Bedürfnisunterdrückung.« Sie betont allerdings auch, dass bei jedem Betroffenen viele Faktoren und Gründe zusammenspielen.

Lena geht den Auslösern für ihre Magersucht nach der gescheiterten Therapie nicht weiter auf den Grund. Stattdessen nimmt sie wieder zu, um von ihren Eltern die Erlaubnis für ein Schuljahr in England zu bekommen. Dort holt sie ihre Krankheit allerdings schnell ein – wieder nimmt sie ab. Als ihre Gastmutter sie darauf anspricht, bricht Lena zusammen. Zuhause beginnt sie eine neue Therapie. Dieses Mal arbeitet sie auch das Verhältnis zu ihren Eltern und Geschwistern auf. Sie versteht allmählich, dass sie vor allem nach Aufmerksamkeit suchte. Doch ihr krankhaftes Essverhalten ändert sich zunächst nicht. Erst ein Jahr später, nach dem Abitur, entscheidet Lena: »Wenn ich studieren will, dann muss ich grundlegend etwas ändern.« Sie will endlich ein selbstständiges Leben ohne Zwänge führen und entschließt sich zu einem Klinikaufenthalt. Dort soll sie wieder normales Essverhalten erlernen. Gemeinsam mit ihren Eltern erarbeitet sie Regeln für den Alltag. Nach fast einem Jahr hat Lena wieder Normalgewicht und ist bereit, die Klinik zu verlassen. Sie beginnt ihr Lehramtsstudium und zieht von zu Hause aus. Ihre Familie, Freunde und auch Lena selbst befürchten damals, dass sie alleine wieder in die Magersucht abrutschen könnte. »Im Endeffekt habe ich es aus dieser Angst heraus noch besser hinbekommen«, sagt Lena rückblickend. Dennoch sieht sie das Studium durchaus als Herausforderung für Betroffene: »Es ist eine neue Form von Druck und Anonymität.« Experten sehen das ähnlich. Martina Hartmann findet es besorgniserregend,


Titel

wie lange viele junge Menschen mit ihrer Erkrankung kämpfen, ohne dass jemand etwas merkt. »Meiner Meinung nach fehlen Kontrollinstrumente. Es wird zu sehr auf die Selbstverantwortung der Studierenden vertraut.« Sie sieht also die Universitäten in der Fürsorgepflicht. Für Lena ist das dagegen

nicht so eindeutig. Einerseits stimme es natürlich, dass es an der Uni keine Bezugsperson gebe, niemand, der sich für sie verantwortlich fühle. Allerdings stellt sich für sie die Frage, ob eine Uni als Bildungsstätte das überhaupt leisten muss. »Das Problem ist vor

13

allem, dass der erste Impuls von den essgestörten Studierenden selbst ausgehen muss.« Die aber fühlten sich oft nicht wahrgenommen. Lena hat es seit dem Klinikaufenthalt geschafft, ihr Normalgewicht zu halten. Sie wirkt zufrieden mit sich, trifft sich nun mit Freunden zum Essen oder gemeinsamen Kochen. Wenn sie mit ihren Freunden in die Mensa geht, bringt sie sich aber immer noch etwas Selbstgemachtes mit. Mithilfe unterschiedlicher Therapien hat sie einen Weg gefunden, mit der Magersucht umzugehen. »Ich hatte keine Lust mehr, so eingeschränkt zu sein. Ich wollte mein Leben so genießen können, wie ich es von vorher kannte.« Trotzdem gibt es auch jetzt noch Stresssituationen, in denen sie wieder beginnt, mit ihrer Ernährung zu kämpfen. Auch wenn sie sich nicht mehr ständig damit beschäftigt, werden die Gedanken an das Essen wohl niemals ganz verschwinden. Aber sie bestimmen nicht mehr ihr Leben.

Friederike Deichsler neigt zu selbstzerstörerischem Perfektionismus. Am liebsten stresst sie sich für ihre Artikel.


14

Titel

Alkohol, wir müssen reden Vier Tage die Woche Vollsuff. Das können sich nur Studenten leisten. Darüber nachdenken, dass das in die Abhängigkeit führen kann, will keiner. Es wird Zeit, über die Folgen unserer Exzesse zu sprechen. Text: Redaktion | Illustration: Die greta

T

homas kotzt vom Balkon und alle grölen. Er dreht sich um, reißt triumphierend die Arme in die Luft und erntet anerkennende Blicke. Um ihn herum steht der Rest der studentischen WG-Party und feiert ihn. Thomas wird beklatscht, weil er sich selbst freiwillig an den Rand körperlicher Dysfunktionalität gebracht hat. Wir kennen diese Situation – jede Party hat ihren Thomas. Nicht immer einen, der kotzt, doch immer einen, der jenseits von angetrunken ist. Vielleicht hat Thomas nur Spaß, vielleicht hat er aber auch ein Problem. Doch darüber würden wir nicht reden. Krank, das sind die anderen. Ein Alkoholkranker, das ist jemand, der nichts mehr auf die Reihe kriegt. Wir ächten ihn, weil er einfach nicht von der Flasche lassen kann. Weil er sich am helllichten Tag vollaufen lässt. Doch es spricht vieles dafür, dass wir gar nicht so anders sind als dieser Alkoholkranke. Auch unser Trinkverhalten ist krank. Es hat nur keinen bösen Namen. Das verdankt es gleich mehreren Umstände. Viele davon haben mit dem Studentenleben zu tun. Unser Verhalten wird grundsätzlich nicht sanktioniert, weil es in die hiesige Feierkultur passt: völlige Hingabe an den Spaß, zeitbegrenzter Hedonismus, alles mitnehmen und alles egal. Jedes Wochenende. Das ist in Ordnung – solange wir am Montagmorgen wieder funktionierende Akademiker sind.

Denn das muss der Student heutzutage sein: Einer, der funktioniert. Samstagabend Caipi, Montagmorgen Credit Points. Die Diagnose Alkoholsucht gehört nicht zu so einem Leben. Studierende besuchen Vorlesungen, sie hängen in der Bibliothek rum – sie erwartet ein akademischer Abschluss und damit eine aussichtsreiche Zukunft. Wie viel Alkohol sie in ihrer Freizeit konsumieren, das stört erst mal niemanden. Denn der Student sitzt nicht an den Hebeln, die unsere Gesellschaft steuern. In der Studienzeit gelten nämlich eigene Regeln: Vorlesungen können geschwänzt werden, in der Bibliothek lässt sich gut ein Nickerchen einlegen – freie Zeiteinteilung und dehnbare Fristen lassen die Grenzen zwischen Freizeit und Arbeit verschwimmen. Ob die Freizeit Überhand nimmt, merkt eigentlich keiner. Mit Restalkohol in die Vorlesung zu stolpern, geht klar. Im Arbeitsleben wäre das anders. Wer da am Montagmorgen mit einer Fahne aufkreuzt, handelt sich schnell einen schlechten Ruf ein. Ein Meeting schwänzen, weil der Vorabend doch feuchtfröhlicher wurde als ursprünglich geplant, geht gar nicht. Sollte es uns nicht stutzig machen, dass unser Feierverhalten nicht mit einem Berufsalltag kompatibel ist? Natürlich hat Alkohol seinen festen Platz in der Gesellschaft: Berufliche Erfolge wer-

den begossen, auf Geburtstagskinder wird angestoßen und wen man sympathisch findet, den lernt man gern bei einem Drink besser kennen. Wer bei diesen Ritualen nicht mitmacht, eckt an. Wer gar nicht trinkt, der wird als prüder Spaßverderber abgestempelt. Oder noch schlimmer: Man hält ihn für einen trockenen Alkoholiker. In jedem Fall sehen sich die Trinkenden am Tisch unter einem Rechtfertigungszwang. Vom Abstinenzler fühlen sie sich beobachtet. Der nüchterne Aufseher stört den geplanten Kontrollverlust. Er stört, weil wir ahnen, dass unser Verhalten nicht harmlos ist. Dass die Narrenfreiheit des Studiums nicht ewig währt. Und dass exzessives Trinken auch im Studium zum Problem werden kann. Glaubt man Bundesbehörden, ist schon eine kleine Flasche Bier pro Tag gefährlich. Was sagt das also über jene aus, die sich vier mal pro Woche völlig die Kante geben? Wie können wir sicherstellen, dass das alles nur eine Phase bis zum Bachelorabschluss bleibt? Wir können es nicht. Bei den meisten wird sich der Alkoholkonsum von alleine an das Berufsleben anpassen. Viele laufen Gefahr, die Gewohnheit Alkohol auch nach dem Studium nicht mehr loszuwerden. Viele Studierende, die alkoholkrank werden, legten die Grundsteine dafür schon in


Titel

der Studienzeit.Warum geben wir dem Problem also nicht jetzt schon einen Namen? Man muss es nicht gleich Alkoholsucht nennen. Aber warum fragen wir nicht: »Warum trinkst du?« statt »Warum trinkst du nicht?« Weil wir unsere alkoholischen Exzesse nicht hinterfragen, lassen wir jenen, denen sie ein Problem geworden sind, keinen Raum, um Bedenken zu äußern. Wer abstürzt wie Thomas, muss das Trinken nicht gleich sein lassen. Doch wer abstürzt wie Thomas, vertraut anderen seine Alkoholsorgen vielleicht gar nicht an. Wahrscheinlich würde ihm ohnehin nur Unverständnis begegnen.Wer nicht mit Vorurteilen behaftet sein will, hält die Klappe. Unterstützung bekommen nur die, die gar nicht mehr funktionieren. Die nicht mehr

nur eine Vorlesung im Semester verpassen, sondern alle. So weit muss es nicht immer kommen. Könnten wir ehrlich über unser Trinkverhalten sprechen, würden wir verstehen, dass nicht erst die Sucht ein Problem ist. Könnten wir ehrlich über unser Trinkverhalten reden, würden wir Gefährdungen frühzeitig erkennen; würden wir merken, dass sich hinter so mancher Coolness Scham und Sorge verstecken. Manche Archäologen behaupten, der Mensch sei überhaupt nur sesshaft geworden, um durch den Getreide-Anbau Alkohol brauen zu können. In all den Jahrtausenden seither hat sich aber kein gesundes Verhältnis zwischen Mensch und Fusel eingependelt. Wir Studenten sind da keine Ausnahme.

15

Zwischen uns und dem Alkohol läuft etwas falsch. Fangen wir an, darüber zu reden. Und geben dem Problem einen Namen.

Gefüttert wurde dieses Essay mit Ideen von gleich mehreren FURIOS-Autoren. Auch sie könnten ihr Trinkverhalten mal hinterfragen. Anzeige

Jetzt abonnieren und Geschenk sichern!

Psychologie Heute Studentenabo + Buch als Begrüßungsgeschenk

Notizbuch Leuchtturm 1917 A5, 249 Seiten

+ 12 Hefte jährlich + Kostenfreier Archivzugang und App-Nutzung + Nur € 66,90 (statt € 82,80) DAS BEWEGT MICH!

PSYCHOLOGIE HEUTE

20%

Damit kein Gedanke verloren geht: Das Notizbuch von Leuchtturm1917 in A5 mit 249 durchnummerierten Seiten, leerem Inhaltsverzeichnis, Aufklebern, Lasche und perforierten Seiten – wenn man seine Gedanken weitergeben will.

GÜNSTIGER

WWW.ABO-PSYCHOLOGIE-HEUTE.DE


16

Titel

Anne Stiller, 21, studiert im vierten Semester Englische Philologie sowie Publizistik- und Kommunikationswissenschaft.

4 aus 40.000 An der FU tummeln sich täglich vierzigtausend Menschen. Vier davon verrieten uns, was ihnen schmeckt und wie sie am liebsten essen. Text und Fotos (3): Marie Halbich

»Die Mensa ist schuld, dass ich Soja nicht mehr esse«

I

ch bin ein richtiger Salz-Junkie. Wenn Essen fad schmeckt, fi nde ich das furchtbar. Daher mache ich an alle Gerichte zusätzlich etwas Salz ran – sogar vor dem Probieren. Dabei ist es egal, ob ich in der Uni oder zu Hause esse. Wenn ich für andere koche, verwende ich nur wenig Salz – ich muss ja nicht jedem meinen Geschmack aufdrängen. Meine eigene Portion salze ich dafür nochmal kräftig nach. Früher habe ich mir ein Gericht aus Versehen auch schon mal versalzen, aber ich habe daraus gelernt und dosiere heute vorsichtiger. Doch gerade beim faden Mensaessen kann es nie genug Salz sein. Leider wird dadurch aber auch nicht jedes Essen besser: Ich erinnere mich an eine Portion Sojastreifen mit Glasnudeln – das Soja hatte eine widerliche, knorpelartige Konsistenz. Es war, als würde man auf einer Schuhsohle herumkauen. Um wenigstens den Geschmack zu retten, habe ich – wie immer – ordentlich Salz rangemacht. Die Sojastreifen waren trotzdem ungenießbar. Seitdem mache ich einen großen Bogen um alles, was mit Soja auch nur entfernt zu tun hat. Dabei dachte ich davor, Sojaprodukte könnten ganz lecker sein, aber die Mensa hat mir tatsächlich den Appetit darauf verdorben.


Jürgen Spethmann, 65, ist ehemaliger Mensakoch der FU und begeisterter Hobbyimker.

Dr. Elisabeth Meyer-Renschhausen, 50+, ist Privatdozentin an der FU. Als Kultursoziologin beschäftigt sie sich hauptsächlich mit Ernährung.

ass ich Koch geworden bin, war eine Notlösung. Eigentlich wollte ich Matrose werden. Doch da ich seit meiner frühen Kindheit nur auf einem Ohr hören kann, kam das leider nicht in Frage. Also dachte ich mir, auf einem Schiff kann ich immer noch arbeiten – dann eben als Koch. So begann ich mit 15 Jahren gegen den Willen meiner Eltern eine Kochlehre in einem Berliner Restaurant – danach wollte ich auf einem Schiff anheuern.Von zu Hause kannte ich nur eine einfache, bodenständige Küche – es wurde gegessen, was auf den Tisch kam.Während meiner Ausbildung wurde ich mit Sachen konfrontiert, die mir fremd waren oder von denen mir sogar übel wurde. Ich kannte weder Tomatensoße noch Nudeln und von Rotkohl, Linsen oder Schnecken bekam ich Brechreiz.Aber als Koch muss man auch Dinge probieren, die man eklig findet. Den Traum von der Seefahrt habe ich schließlich der Liebe wegen aufgegeben. Das bereue ich nicht. Zu Hause kocht jetzt meine Frau – sehr gefühlvoll und mit großer Begeisterung. Ich koche nur noch, wenn es um größere Mengen geht. Jetzt, als Rentner, fühle ich mich in meine Kindheit zurückversetzt: Auch heute wird wieder gegessen, was auf den Tisch kommt.

»Süßigkeiten sind mein Verhängnis«

»Es ist eigentlich peinlich, alleine zu essen«

»Als Koch muss man auch Dinge probieren, die man eklig findet«

D

Marcus Unger, 30, studiert Deutsche und Französische Philologie auf Lehramt.

F

rüher war es aus pragmatischen Gründen selbstverständlich, gemeinsam zu essen: Eine Mahlzeit war ein Verbindungen stiftendes Ereignis. Heute wird dieses soziale Institut unterbewertet. Doch genau genommen gibt es keine individuellen Mahlzeiten: Der Begriff impliziert einen verabredeten Zeitpunkt und damit die Tischgenossenschaft. Sie gehört zu den Ritualen des Alltags, die uns sozial verorten. Eigentlich sollte man daher zumindest eine Mahlzeit am Tag mit anderen teilen. Doch wenn wir im Stress sind, bleibt dafür oft keine Zeit. Auch der Diäten-Wahn unterminiert den sozialen Aspekt einer gemeinsamen Mahlzeit: Viele junge Frauen verzichten auf bestimmte Lebensmittel, um abzunehmen. Aufgrund der ihnen so auferlegten Einschränkungen können sie kaum mit anderen speisen. Sie katapultieren sich so aus ihrem sozialen Kontext heraus. Bekanntlich ist es eigentlich peinlich, in der Öffentlichkeit alleine zu essen. Deshalb verköstigen sich manche in der Bahn lieber isoliert am Platz, statt gepflegt im Speisewagen zu speisen. Foto: Wilm Weppelmann

E

igentlich achte ich auf eine gesunde vegetarische Ernährung. Aber es gibt auch Phasen, in denen ich extrem maßlos esse. Dann vor allem Dinge, die überhaupt nicht satt machen und sehr viele Kalorien haben. Am schlimmsten ist es, wenn ich vor lauter Stress keine Zeit zum Kochen habe. Besonders Süßigkeiten werden mir dann regelmäßig zum Verhängnis. Wenn ich die Tafel Schokolade einmal anfange, dann ist sie weg. Manchmal verdrücke ich sogar drei Tafeln an einem Tag. Das macht zwar Spaß, aber auf Dauer wirkt sich das natürlich auf meine Figur aus. Wenn ich merke, dass ich meine Form verliere, versuche ich, mich wieder bewusster zu ernähren. Ich achte einfach wieder mehr auf mich. Gerade wenn man in jungem Alter etwas zulegt, wird man das später nicht so schnell wieder los. Ich versuche also immer wieder, meinen Süßigkeitenkonsum zu reduzieren – auch wenn es mir anfangs schwer fällt. Das geht meist ein paar Monate lang gut. Doch dann kommen sie wieder, die Heißhungerattacken. Und das Ganze geht von vorne los.


18

Politik

Bis zum letzten Versuch An der FU können Prüfungen bald nur noch drei Mal wiederholt werden. Um Studierende zu entlasten, wollte die Uni die Durchfallquoten senken. Das ist so nicht passiert. Studierende sind sauer. Text: Veronika Völlinger | Illustration: David Stach

A

ls die Studentin Melanie Geuter im Januar Vizepräsident Klaus HoffmannHolland im Akademischen Senat (AS) eine Frage stellte, war ein längst vergessenes Politikum wieder da: Was habe das Präsidium unternommen, um wie versprochen besonders schwierige Prüfungen an der FU ausfi ndig zu machen und zu überarbeiten? Diese Frage bezieht sich auf eine wichtige Neuerung: Ab dem kommenden Wintersemester können FU-Studierende ihre Prüfungen nur noch drei Mal wiederholen. Die Regelung ist Teil der Rahmenstudienund Prüfungsordnung, die 2013 nach vielen Monaten studentischen Protests beschlossen wurde. Studierendenvertreter konnten damals aushandeln, dass die Beschränkung der Prüfungswiederholungen erst nach zwei Jahren in Kraft tritt. »In der Zwischenzeit wollte das Präsidium versuchen, Module mit hohen Durchfallquoten zu identifizieren und, auf welche Weise auch immer, diese Quoten auf ein erträgliches Maß zu senken«, erinnert sich Asta-Referent Lasse Thiele. Denn für Studierende in Fächern mit besonders hohen Durchfallquoten, wie etwa in Mathe, könnte die Regelung dazu führen, dass sie nach vier erfolglosen Versuchen exmatrikuliert werden. Doch unter Studierenden herrscht nun der Eindruck, dass in den vergangenen zwei Jahren nicht viel passiert sei. Als der zuständige Vizepräsident Hoffmann-Holland im AS auf Melanie Geuters Frage antwortete, berichtete er von einer unklaren Datenlage bei den Durchfallquoten. Außerdem sei Mathe eben ein schwieriges Fach – das schaffe nicht jeder. »Sehr bezeichnend, dass diese Antwort an der Frage vorbeizielte«, kommentiert Lasse Thiele. Die Studierendenvertreter werfen dem FU-Präsidium vor, eine wirkliche Verbesserung der Situation, etwa durch eine Vereinfachung der Prüfungen,

nie im Sinn gehabt zu haben. Laut HoffmannHolland ein Missverständnis: Wer damals versprochen habe, Prüfungen zu vereinfachen, könne er bis heute nicht nachvollziehen. Doch Belege finden sich: Wie FURIOS zu einem früheren Zeitpunkt berichtete, sagte FU-Präsident Peter-André Alt im Juni 2012 auf einer studentischen Vollversammlung zu, Prüfungsansprüche in einigen Fachbereichen anzupassen. Etwa in den Naturwissenschaften sollten so die hohen Durchfallquoten reduziert werden. Um herauszufinden, ob Studierende ihr Studium wegen zu schwieriger Prüfungen abbrechen, setzte Hoffmann-Holland auf eine Befragung exmatrikulierter Studierender. 0,5 Prozent der Befragten gaben als alleinigen Grund für ihren Studienabbruch an, dass sie eine erforderliche Prüfung nicht bestanden hät ten. Wenn jedoch nicht nur nach einem einzigen Grund für den Abbruch gefragt wurde, stellte sich die Situation schon anders dar. Etwa 17 Prozent der Befragten gaben eine nicht bestandene Prüfung als einen Grund für ihre Exmatrikulation an – bei den Naturwissenschaftlern sogar 25 Prozent. Die Studierendenvertreter sehen die Befragung skeptisch. »Sicher sind die Meinungen von Ehemaligen auch wichtig«, sagt AS-Vertreterin Melanie Geuter. »Aber es sollten diejenigen miteinbezogen wer-

den, die momentan studieren und die entsprechenden Klausuren schreiben.« Doch diejenigen, die diese Klausuren schreiben, haben von den Bemühungen des Vizepräsidenten um die Identifizierung problematischer Prüfungsbedingungen nicht viel mitbekommen. »Da ist überhaupt nichts passiert«, sagt Matthias Krug von der Fachschaftsinitiative Mathe. Auch ein ehemaliges FSI-Mitglied bestätigt, dass das Thema erst zu Beginn des Jahres und nur auf Initiative der Studierenden wieder auf den Plan gerufen worden sei.


Politik

Von »weltfremden Regeln« spricht Krug mit Blick auf die Begrenzung der Prüfungswiederholungen. Bisher lernten viele Studierende einen Stoff so lange, bis sie ihn eben konnten. So lange mussten sie dann auch die Prüfung wiederholen. Das werde nun »sabotiert«. Mathe-Studierende, die man auf den Gängen des Instituts danach fragt, haben sich an die Tatsache gewöhnt, dass ihr Fach schwierig ist und die Durchfallquoten hoch. »Dafür muss der Fleiß umso größer sein«, sagt eine Studentin. Asta- und AS-Vertreter kritisieren, dass die neue Begrenzung der

Wiederholungsprüfungen den Studierenden die Entscheidung abnimmt, wann sie ein Studium besser abbrechen sollten. Am Institut selbst stimmen aber viele Studierende der Ansicht zu, dass Mathe für diejenigen, die dreimal durch eine Prüfung fallen, vielleicht nicht das Richtige sei. Einen Niveau-Verlust will hier niemand. »Es ist keine Lösung, den Schwierigkeitsgrad zu senken«, sagt FSI-Mitglied Krug. Das sieht auch Vizepräsident Hoffmann-Holland so. Lieber wolle er grundsätzlich für die Studierenden nachvollziehbar machen, welche Prüfungsanforderungen wann auf sie zukämen. So habe er etwa durchgesetzt, dass nur noch eine einzige Prüfung zum Abschluss eines Moduls erbracht werden müsse. Auch ein einjähriges Orientierungsstudium, eine Art Studium Generale, steht auf seiner Agenda. Weil die Erwartungen der Studierenden an das Studium oft von der Realität abwichen, könnten sie sich so frühzeitig informieren. Auch das würde Abbrüchen vorbeugen. Von mehr Orientierung und Betreuung, etwa in Form der aktuellen Mentoring-Programme, hält FSI-Mitglied Krug jedoch nicht viel. »Das hilft in Mathe für die Klausuren niemandem«, sagt er. Stattdessen machten Studierenden in der Ausbildungskommission des Fachbereichs den Vorschlag, eine Art Leitfaden für Dozenten zu entwickeln. Er soll ihnen Ideen an die Hand geben, wie sie bei Prüfungen vorgehen könnten, um zu verhindern, dass zu viele Studierende diese nicht bestehen. »Bei der Ausarbeitung einer Klausur sollte es Regel

19

sein, dass mehrere Leute beteiligt sind, unter anderem die Tutoren«, nennt Krug als ein Beispiel. »Wir haben hier ein sehr kooperatives Verhältnis zu den Professoren, es gibt aber auch Fachbereiche, wo es leider ganz anders läuft«, betont er. Auch die Mathe-Dozenten wollten ihre Studierenden nicht durchrasseln lassen. Es sind nur noch wenige Monate, bis die Beschränkung der Prüfungswiederholung in Kraft tritt. Die Studierenden am Mathe-Institut arbeiten weiter an ihrem Leitfaden – sehen das aber nur als »behelfsmäßiges Herumdoktorn«. Vizepräsident Hoffmann-Holland wartet dagegen noch auf die Ergebnisse einer weiteren Exmatrikulierten-Befragung. Doch bei aller Evaluation werde sich erst mit Inkrafttreten der neuen Regelung zeigen, ob es tatsächlich zu Exmatrikulationen komme. Den Studierendenvertretern in AS und Asta ist diese fragwürdige Trial-and-Error-Mentalität nicht genug. »Ich hoffe, dass da vorher noch etwas geschieht«, appeliert AS-Vertreterin Melanie Geuter.

Veronika Völlinger (23) studiert Politikwissenschaft und ist beeindruckt vom Durchhaltevermögen der Mathe-Studierenden.


20

Politik

Alles beim Alten Die FU muss ihre Struktur für die kommenden zehn Jahre planen und dem Berliner Senat vorlegen. Präsident Alt will den eingeschlagenen Kurs halten. Kritikern zufolge hat das keine Zukunft. Text: Alexandra Brzozowski | Illustration: Julia Fabricius

W

ohin will die FU in den nächsten zehn Jahren? Präsident Peter-André Alt findet: So wie bisher könne es doch weitergehen. Die Uni sei in den vergangenen Jahren erfolgreich gewesen, immerhin sei sie zweimal zur Exzellenz-Uni gekürt worden. Der neue Strukturplan der FU, der den Weg in die Zukunft vorgeben soll, sei deshalb »im besten Sinn konservativ«. Studierendenvertreter sehen das kritisch: »Mit dem neuen alten Strukturplan beglückwünscht sich erneut eine kleine Elite zu ihrem persönlichen Erfolg und ignoriert die Situation der Mehrheit der Universitätsmitglieder«, sagt Lasse Thiele, Referent des Allgemeinen Studierendenausschusses (Asta). Doch warum sorgt Alts Kurs für solchen Unmut? Alle zehn Jahre muss die FU dem Berliner Senat einen Strukturplan vorlegen. In diesem Jahr ist es wieder soweit – bis Juni müssen die Mitglieder des Akademischen Senats (AS) den neuen Plan verabschieden. Dieser regelt die grundsätzliche Ausgestaltung von Forschung und Lehre an der FU und gibt vor, welche

und wie viele Professuren es in Zukunft geben soll. Zudem legt er die finanzielle Ausstattung der Fächer und die Anzahl der Studienplätze fest. Keine leichte Aufgabe bei der notorisch knappen Kassenlage der Berliner Unis. Stoff für Diskussionen wäre also genügend vorhanden. Doch die gab es nicht. Der jetzt veröffentlichte Entwurf wurde in den vergangenen zwei Jahren unter Ausschluss der Öffentlichkeit entwickelt. Das habe der AS entschieden, ließ das Präsidium auf Anfrage mitteilen. Die Studierendenvertretung findet dafür keine schmeichelhaften Worte: »Das Strukturplanungsverfahren zeigt erneut, dass demokratische Selbstverwaltung an der FU wenig ernst genommen wird«, so Asta-Referentin Isa Schaller. Das Präsidium sieht indes keinen Grund für Nörgelei. Konkret sehe der aktuelle Strukturplanentwurf keine Stellenkürzungen vor – zum ersten Mal seit 20 Jahren, betont Präsident Alt. Auch Streichungen von Fächern seien nicht vorgesehen. Für den Asta setzt der Plan aber die falschen Prioritäten: »Die problematische Unterfinanzierung der Lehre oder die prekären Arbeits-

verhältnisse des akademischen Mittelbaus spielen hier anscheinend keine Rolle«, sagt Lasse Thiele. Außerdem sind die überfüllten Studiengänge den Studierenden ein Dorn im Auge. Doch Kritik kommt nicht nur von Studierenden. Auch andere Uni-Mitglieder sind verärgert über die Einfallslosigkeit der Zukunftsplanung. »Der Strukturplan hat keine Vision«, moniert Gerald Haese, AS-Mitglied und Leiter des FU-Centers für digitale Systeme (CeDiS). »Da muss die Forderung nach mehr rein«, fordert Rainer Haag, Professor für Organische Chemie.Auch Mechthild Koreuber, die Frauenbeauftragte der FU, sparte auf einer AS-Sitzung nicht mit Kritik. Sie fürchtet, dass die Geschlechterforschung zunehmend aus den Ausrichtungen der Professuren verschwinde. Obwohl Präsident Alt im Zusammenhang mit der aktuellen Strukturplanung vor allem auf vergangene Erfolge hinweist, stößt die Kritik nicht grundsätzlich auf taube Ohren. Dass bei einer Sicherung des Status Quo keine visionäre Zukunftsplanung möglich sei, erkennt auch er an. Auch gebe es Unklarheiten über eine Lücke in der Finanzierung der Uni, die zurzeit von Bundesmitteln gefüllt wird. Wenn die Berliner Universitäten mit dem Land 2018 neue Hochschulverträge aushandeln, müsse das Land seine Pflicht erfüllen und diese Lücke schließen. Für Alt ist der Strukturplan auch ein Signal an den Senat:Wenn ihn die Uni im Juni vorlege, werde ein Appell beiliegen, dafür eine Lösung zu finden.

Nach diesem Artikel hat Alexandra Brzozowski erst einmal genug von Zahlen. Sie hat‘s eh mehr mit Buchstaben.


Politik

21

Zwischen Asta und Apathie Revoluzzer im Hörsaal – das war einmal. Die Mehrheit der deutschen Studenten interessiert sich laut einer Umfrage nicht mehr für Politik. Doch waren frühere FUGenerationen wirklich politischer? Text: Anke Schlieker | Fotos: Privat Studentenleben in Berlin: Damit verbinden viele die 1968er-Jahre, besetzte Hörsäle und Rudi Dutschke. Doch dieses Bild bekommt Risse: Studenten werden immer unpolitischer. Zu diesem Ergebnis kam Ende 2014 ein »Studierenden-Survey« der in regelmäßigem Abstand im Auftrag des Bildungsministeriums durchgeführt wird. Nicht einmal ein Drittel der Studenten gibt darin an, sich »sehr stark« für Politik zu interessieren. Stattdessen gewinnen pragmatische Ziele wie der Wunsch nach

Stefan Mix studierte von 1977 bis 1984 Psychologie

Zu meiner Zeit konkurrierten das eher konservative »Institut für Psychologie« und das linksorientierte »Psychologische Institut« um die »wahre« Psychologie. Meine Kommilitonen und ich waren aber nicht dogmatisch, sondern offen für verschiedene Ansätze. Wir besuchten Veranstaltungen beider Institute. Ansonsten gab es jedes Jahr einen mehrwöchigen Streik für bessere Studienbedingungen. Der brachte nie große Veränderungen, dafür gab es aber viele ausgefallene Lehrveranstaltungen.

Katrin Schmidt studierte von 1980 bis 1987 Pharmazie

Politisch waren wir Pharmaziestudenten alle nicht, speziell nicht die Studenten aus Westdeutschland. Als Westberlinerin war ich schon eher politisch informiert. Ich

einem sicheren Arbeitsplatz an Bedeutung. Rund 67 Prozent der Befragten sahen darin eine Priorität – ein neuer Höchstwert. Zum Vergleich: Im Jahr 2001 war ein sicherer Arbeitsplatz nur etwa der Hälfte der Studenten »sehr wichtig«, das politische Geschehen immerhin noch 45 Prozent der Befragten. Viele Studierende scheinen heute karriereorientierte Pragmatiker zu sein. Aber war früher wirklich alles anders – waren alle Studierenden früher politische Aktivisten?

kann mich nur an eine bestreikte Vorlesung erinnern, wo eine Horde Asta-Studenten mit Plakaten die Veranstaltung spreng te. Der Professor verließ den Hörsaal und wir waren sauer, dass unsere Vorlesung nicht stattfand. Chronische Unterfinanzierung und Lehrkräftemangel be schäftigten uns eher weniger. Dazu waren wir in der Königin-Luise-Straße zu weit ab vom Schuss.

Martin Wiegmann studierte von 1963 bis zum Examen 1968 Volkswirtschaft

Ich habe meine Studienzeit als sehr politisiert in Erinnerung. Ich denke zurück an Versammlungen, in denen Rudi Dutschke zum Widerstand aufrief oder an Boykottversuche gegenüber der Springerpresse. Auch die Ermordung von Benno Ohnesorg ist mir noch im Gedächtnis. Bei seiner Beerdigung in Hannover habe ich an einem Geleitzug teilgenommen. Uneinigkeit herrschte darüber, inwieweit zur Durchsetzung politischer Ziele Gewalt zulässig oder gar erforderlich war. Leider kam es immer wieder zu Ausschreitungen, weshalb sich viele Studenten enttäuscht von der Studentenrevolte abwandten. Auch ich ging auf Distanz, obwohl ich die Ziele der Bewegung teilte.

Annette Krause-Thiel studierte von 1982 bis 1987 Jura in Berlin und München

Zu meiner Zeit sah man weniger bei den Juristen, wohl aber an der Rost- und Silberlaube verhalten politische Plakate. Die 1968er-Jahre kenne ich zwar auch nur aus Erzählungen. Ihr Nachhall war in Berlin aber auch 14 Jahre später noch zu spüren. Unsere Professoren waren entweder alt und man sagte ihnen eine linke Einstellung nach, oder sie kamen frisch habilitiert nach Berlin, weil niemand sonst hierher wollte. Das lag sicherlich auch an der Linkslastigkeit der FU. Alles in allem war es aber ruhig.

Anke Schlieker hat zwar schon vorher Politik studiert. Seit der Recherche für diesen Artikel findet sie aber: Jetzt erst recht!


22

Politik

Filmabend oder doch lieber Revolution? Fachschaftsarbeit ist ein Spagat zwischen Service für Studierende und Hochschulpolitik. Während einige FSIn ihre linken Überzeugungen nach außen tragen, halten sich andere eher zurück. Text: Max Krause | Illustration: Julia Fabricius

I

m ausladenden Foyer des Bio-Hauptgebäudes fällt schon beim Eintreten ein quadratischer Glaskasten ins Auge – fast, als wäre er dafür gemacht, das studentische Café der Fachschaftsinitiative (FSI) Biologie zu beherbergen. »Die ‚Caféte‘ haben wir vor zwei Jahren wiederbelebt«, sagt Ella Middelhoff, die für die FSI im Studierendenparlament sitzt. Ein wenig Stolz liegt dabei in ihrer Stimme. Als Ella vor zwei Jahren in die Fachschaft eintrat, bestand die aus gerade einmal vier Studierenden. Inzwischen zählt sie 20 Mitglieder. Auch die FSI der Wirtschaftswissenschaften (FSI Wiwiss) ist in den letzten zwei Jahren gewachsen. 15 Aktive seien inzwischen dabei, erklärt Laszlo Barrena. Als er

vor zwei Jahren angefangen habe, sei es noch ein Drittel davon gewesen. »Unser neues Café hat sicher dabei geholfen, uns präsenter zu machen.« Das Café »Schwarzer Freitag« liegt in einem Seitenarm des Fachbereichs nahe der Veggie-Mensa. Während bei den Biologen bunte Farben vorherrschen, besteht die Dekoration hier aus politischen Plakaten. Dass die beiden FSIn unterschiedliche Schwerpunkte setzen, machen auch ihre Homepages klar: Während die FSI Wiwiss auf einen Look in revolutionärem SchwarzRot setzt und die Blogeinträge sich vor allem mit hochschulpolitischen Themen auseinandersetzen, gibt sich die Biologie verspielter: Unter dem bunten Bild eines Chamäleons weisen die Fachschaftsmitglieder vor allem auf Filmabende und andere Veranstaltungen für BiologieStudierende hin. Wie politisch soll Fachschaftsarbeit sein? An dieser Frage scheiden sich die Geister.Wer sich nur den Allgemeinen Studierendenausschuss (Asta) anschaut – der vor allem mit den Stimmen der Fachschaffür nur 15 Euro ten gewählt ist – beein Jahr vorne sitzen Konzerte 8 Euro kommt leicht den Oper / Ballet 10 Euro Eindruck, alle FSIn hätten eine extrem > 030-20 35 45 55 linke Grundhaltung. Deutsche Oper Berlin Ein genauerer Blick Deutsches Symphonie-Orchester Berlin zeigt aber, dass dieser Komische Oper Berlin Eindruck oft trügt. Konzerthaus Berlin Neben den BioloRIAS Kammerchor gen gelten auch die Rundfunkchor Berlin Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin FSI Japanologie und Staatsballett Berlin die FSI Jura als eher Staatsoper im Schiller Theater pragmatisch. »Die Leute, die bei uns aktiv sind,

www.ClassicCard.de > für alle unter 30

Anzeige

jung / spontan / gut

sind eher moderat links eingestellt«, erklärt Ella. »Der Asta ist uns oft zu polemisch. Wenn man Leute, die anderer Meinung sind, gleich als Rassisten abstempelt, kann keine produktive Diskussion mehr stattfinden.« Mit Pragmatismus könne man oft mehr für die Studierenden herausholen. Dennoch schätzt sie die Arbeit der Studierendenvertretung: »Der Asta macht einen wichtigen Job. Außer ihnen hat sich im Studierendenparlament niemand zur Wahl gestellt – dann darf man sich auch nicht beschweren.« Die FSI Wiwiss stellt drei Mitglieder im Asta. »Wir sind eine linke FSI«, betont Laszlo. Gremienarbeit ist für ihn eine der wichtigsten Aufgaben der Fachschaft. Als hochschulpolitischer Akteur müsse sie eine politische Linie vertreten. »Sicher gibt es auch FSIn, die das anders sehen«, sagt er. »Aber für uns ist die politische Ausrichtung zentral.« Im Studierendenparlament sind beide Gruppen vertreten. Die FSI Biologie stellt zwei Abgeordnete, die FSI Wiwiss ist mit fünf Sitzen sogar stärkste Kraft. Ella sagt, es sei ihr wichtig, die Anträge einzeln zu prüfen. »Wir sind weder Asta-freundlich noch Asta-feindlich.« Laszlo dagegen betont: »Natürlich sind wir Teil der Asta-Koalition.« Pragmatische Service-FSI oder kritische Gegenstimme – beides scheint Studierende anzuziehen. Doch während die Biologen möglichst viele Studierende einbeziehen wollen, ist der Fsi Wiwiss eine klare ideologische Abgrenzung wichtiger: »Wir hatten auch mal Leute hier, die autoritärere Strukturen wollten. Die haben aber schnell gemerkt, dass sie bei uns nicht richtig sind.«

Max Krause ist selbst in der FSI Mathematik. Wenn er im Winter seine Masterarbeit schreibt, wird es dort Nachwuchsprobleme geben.


Politik

23

Schwarzes Gold und sattes Grün Ecuador ist ein Schlusslicht Südamerikas. Mit seinen Erdöl-Schätzen im Regenwald will das Land den Rückstand aufholen. Während manche Bürger auf Wohlstand hoffen, fürchten andere die Folgen. Text und Fotos: Friederike Oertel

R

iesige Bäume mit ausladendem Blätterdach werfen ihre Schatten über die aufgereihten schlichten Holzhütten. Mitten im Amazonasbecken Ecuadors öffnet sich ein stilles Urwald-Universum: Allein die knapp drei Hektar Regenwald im Nationalpark Yasuní enthalten bereits mehr Baumarten als die USA und Kanada zusammen. So reich die Natur ist, so arm ist das Land selbst: Hinsichtlich Lebensstandard und Infrastruktur bildet Ecuador eines der Schlusslichter Lateinamerikas. Die junge Studentin Maria kennt den täglichen Überlebenskampf. Die 26-Jährige ist selbst in einer mittellosen Familie aufgewachsen. Doch sie hatte die Chance, zu studieren. »Auch meine Kinder sollen diese Möglichkeit haben«, sagt sie. Für die junge Ingenieurin liegt die Zukunft Ecuadors in seiner Natur: »Nur die Nutzung der Ressourcen kann uns wirtschaftlichen Fortschritt sichern.« Tatsächlich lagert im Nationalpark Yasuní unter der Erde schwarzes Gold in großen Mengen. Experten sprechen von schätzungsweise 900 Millionen Barrel Rohöl, das entspricht einem Wert von mehr als sieben Milliarden US-Dollar. Geld, das das Land gut gebrauchen könnte. Das sehen nicht alle so. In der knapp 300 Kilometer entfernten Hauptstadt Quito steht der 22-jährige Umweltak-

tivist David inmitten von Demonstranten. Mit Trommeln und Transparenten protestieren sie gegen staatlich geplante Ölförderungen im Amazonasbecken. »Die Naturschätze des Landes würden zerstört und indigene Völker ihres Lebensraumes beraubt«, begründet David seinen Widerstand. Die Hoffnung vieler, durch Rohstoffabbau die Entwicklungsprobleme des Landes zu überwinden, teilt er nicht. Er ist Verfechter der indigenen Philosophie des »buen vivir«, eines postmaterialistischen Lebens im Einklang mit der Natur. Maria hält Menschen wie David für Romantiker. »Wir können nicht darauf hoffen, dass die unberührten Quellen auf magische Weise unsere Probleme lösen«, sagt sie energisch. Zuletzt hatte sich die Regierung auf eine Initiative von Umweltaktivisten hin einverstanden erklärt, die Ölvorräte unberührt zu lassen. Jedoch nur unter der Bedingung, dass die internationale Staatengemeinschaft das Land für die Hälfte der Verluste entschädigt. Doch Industrienationen wie die USA, Russland und Deutschland weigern sich zu zahlen. Nun hat die Regierung beschlossen, zu roden. »Das ist doch eine Sackgasse«, stöhnt David enttäuscht. Bereits jetzt basiert Ecuadors Wirtschaft hauptsächlich auf dem Export von Erdöl. Und nun, da die Weltmarktpreise für Öl fallen, ist das

Land mehr denn je auf Kredite externer Geldgeber angewiesen. China gewährt mittlerweile dem kleinen Andenstaat Gelder in Milliardenhöhe. »Die Chinesen handeln nicht aus Nächstenliebe«, mahnt David an. »Chinas Staatskonzerne sichern sich so die Rohstofflieferungen, die das Land in den nächsten Jahren für seine eigene Entwicklung braucht«. Er fürchtet, dass sein Land in eine Abhängigkeit schlittern wird. Für David steht außer Frage, dass es Alternativen zur Erdölförderung gibt. Biolandbau, Ökotourismus oder kleinere Wasserkraftwerke könnten den armen Dörfern neue Perspektiven eröffnen. In Regierungskreisen hat jedoch die Marktlogik gesiegt. Maria will nicht länger auf Krankenversicherung, Schulbildung und Fortschritt für ihr Land verzichten, während sich die Industriestaaten als maßgebliche Verursacher des Klimawandels der Verantwortung entziehen: »Ecuador hat einen Vorschlag zur gemeinsamen Rettung der Natur gemacht.« Doch die Welt sei nicht bereit für einen tiefgreifenden Veränderungsprozess. Während ihres Praktikums im kleinen Ecuador entdeckte Friederike Oertel, wie viel Vielfalt sich auf wenig Raum vereinen kann.


24

Campus

Im Bau der Füxinnen Verbindungen gelten als konservative Männerbünde. Doch wie sieht das bei den Frauen aus? Eine bierseelige Momentaufnahme aus der Berliner Studentinnenverbindung Lysistrata. Text: Ann-Kathrin Jeske | Foto: Dorothea Drobbe

S

zu Gast bei der »Verbindung Berliner Studentinnen Lysistrata«, der einzigen Frauenverbindung Berlins. Der Name stammt aus einem Theaterstück des Aristophanes. Er steht für die Auflehnung der Frauen gegen eine männerdominierte Welt: Die weibliche Hauptfigur Lysistrata fordert Frauen auf, ihren Männern den Sex solange zu verweigern, bis wieder Frieden zwischen Athen und Sparta herrscht. Zu dem Verbindungstreffen bin ich gekommen, weil ich neugierig war. Warum haben sich die Studentinnen dazu entschieden, in eine Frauenverbindung einzutreten? Was machen sie anders als die Männerorganisationen? Und wie stehen sie zu den Vorwürfen von Deutschtümelei bis Fremdenfeindlichkeit, die man einigen männlichen Burschenschaften macht? Es ist ein Frühlingsabend im April. Zeit für die »Ankneipe«, den Semesterauftakt bei Lysistrata. Der findet im Keller des Verbindungshauses der Männerverbindung »Landsmannschaft Preußen« statt, denn ein eigenes Verbindungshaus haben die Frauen nicht. Gegründet wurde ihre Verbindung 1985 von einer Gruppe Studentinnen, die in den Männerverbindungen nur als Gäste gern gesehen waren. Kurzerhand gründeten sie ihre eigene Verbindung, die heute insgesamt 40 Mitglieder zählt. Im holzvertäfelten Raum der Frauenverbindung im Untergeschoss herrscht geschäftiges Treiben. Etwa 15 Frauen wirbeln in ihren Verbindungsbändern hektisch umher, Jacken werden abgelegt, das BufERFOLG IN BESTEN HÄNDEN fet wird vorbereitet. Ich sehe Sie haben Fragen? Wir haben die Antworten. einen Querschnitt der Berliner Von der Studienplanung bis hin zur KarriereUni-Landschaft: Doc Martens planung – wir helfen Ihnen stressfrei durch und Lippenpiercings, aber auch den Uni-Alltag zu kommen. Persönlich direkt auf dem Campus oder im Internet. Gesundheit in besten Händen

aok-on.de/nordost

AOK Studenten-Service

Anzeige

tühle werden auseinandergenommen, Gläser fl iegen. Grölende Männer im Delirium zertrümmern das Inventar des Verbindungshauses, in dem sie wohnen. Es sollte ein harmloser Partyabend in der Orientierungswoche meines ersten Semesters Jura sein. Tatsächlich war es meine erste und vorerst letzte Begegnung mit einer Studentenverbindung. Ein Verbindungshaus wollte ich so schnell nicht wieder betreten. Heute Abend mache ich es doch. Ich sitze im Keller eines großen, weißen Herrenhauses in Berlin-Grunewald – mitten in einem Verbindungstreffen. Männer im Vollrausch sind hier allerdings Fehlanzeige. Um mich herum sehe ich pinke Haare, roten Lippenstift und hochhackige Schuhe: Ich bin

das kleine Schwarze mit passendem roten Lippenstift. Die Frauen hier sind angehende Ärztinnen und Ingenieurinnen, studieren Archäologie oder Soziologie.Trotz des allgemeinen Chaos werde ich herzlich begrüßt. Ich gestehe, dass ich mich willkommener fühle als schon auf so mancher WG-Party, wo jeder seine Scheuklappen angelegt hat und nur nach bekannten Gesichtern Ausschau hält. Das Licht wird gedimmt und der »Offiz«, der offizielle Teil des Abends, beginnt. »Silentium«, ruft die Seniora Sophie Möbius, die ranghöchste Verbindungsschwester. Die zierliche Person trägt ein besonders breites Verbindungsband und ein viel zu großes, goldbesticktes Jackett. »Silentium auch hier unten«, erwidert die Fuxmajora am anderen Ende des Tisches. Sie ist für die Betreuung der Mitglieder auf Probe zuständig, der Füxe. Die haben während der nächsten zwei Stunden eine ganz besondere Funktion: Als sogenannte Bierfüxe sind sie die Einzigen, die während des offiziellen Teils aufstehen dürfen. Wer seinen leeren Bierkrug auf den Tisch legt, bekommt von einem Bierfux ein Getränk seiner Wahl serviert. Die strenge Regel scheint aus der gleichen Zeit zu stammen wie die altertümlichen Landschaftsbilder an den dunklen Holzwänden.Vieles machen die Frauen eben doch so wie die Männerorganisationen: Abwechselnd werden heute Abend Reden gehalten, Studentenlieder gesungen und es wird getrunken. »Cantus präpariert?«, fragt die Seniora. »Est«, ruft die Runde und wir fangen an zu singen. »Flamme empor« aus dem »Allgemeinen Deutschen Kommersbuch«, dem traditionellen Gesangbuch der Studentenverbindungen. Mir wird flau im Magen. Die Zeile »Wir singenden Paare, schwören am Flammenaltare, Deutsche zu sein« kommt mir nicht über die Lippen. »Wir singen die Lieder aus alter Tradition heraus, das war damals eine andere Zeit«, erklärt mir die Seniora. So »deutsch« mancher Brauch daherkommt, die Verbindung distanziert sich von


Campus

Die Verbindungsbänder tragen die Mitglieder von Lysistrata nur bei wichtigen Anlässen und bei Veranstaltungen mit anderen Verbindungen. Oben links im Bild, die Vorsitzende Sophie Möbius.

rechtem Gedankengut. »So jemand würde bei uns sofort rausfliegen. Extremismus jeglicher Art tolerieren wir nicht«, stellt Sophie klar. In die Verbindung dürfen deshalb Menschen jeder Herkunft und Religion eintreten. Nur weiblich müssen sie sein. »Frei sein, Frau sein« lautet das Motto der Verbindung. Ob auf der Karriereleiter oder als Hausfrau, das soll jede für sich entscheiden. Tradition hin oder her:Wozu die Bierfüxe, wozu die Vorschriften? »Im Verbindungs-

milieu gibt es klare Regeln«, erklärt mir Sophie. »Es geht in der Fuxenzeit nicht darum, zu schauen, ob die Freundschaft funktioniert, sondern darum, ob die Person sich in die Strukturen einfügen will und kann.« An den eisernen Prinzipien einer Verbindung haben die Frauen nicht gerüttelt. Warum treten sie trotzdem ein? »Die meisten Regeln gehörten für mich schon immer zum Alltag. Zum Beispiel, neue Menschen willkommen zu heißen«, erinnert sich Sophie

25

an ihre Fuxenzeit. Und der Rest? Traditionen zu befolgen finde sie lustig, das gehöre eben dazu, sagt sie. Der offizielle Teil des Abends ist vorbei. Das Bier trinken wir jetzt in lockerer Runde. Ich frage die hohe Dame Ulrike Zeuner, warum sie sich vor über zwanzig Jahren zum Beitritt entschied: »Ich bin bei der Kripo und sehe dort täglich Menschen alleine sterben. Die Verbindung ist für mich ein Rückzugsort.« Tatsächlich wirkt die Atmosphäre zwischen den Frauen ungezwungen, fast familiär. Sie nehmen sich nicht zu ernst, wenn sie in ihrer Verbindungsmontur schunkelnd Studentenlieder trällern und dabei auch mal auf den Tischen tanzen. Mittlerweile ist es ein Uhr nachts. Vorsichtig schaue ich mich um. Noch immer hat niemand einen Stuhl zertrümmert, auch die Gläser sind noch heil. Zerstörungswut scheint nicht in der Tradition der Frauenverbindung zu liegen. Ich verbuche das als Erfolg. Auch als fremdenfeindliche Nationalistinnen haben sich mir die Frauen in der Zeit meines kurzen Einblicks nicht präsentiert. Eine der Bierfüxe möchte nach Hause gehen. Dazu muss sie die Seniora um Erlaubnis bitten. Das habe ich am heutigen Abend dann doch gelernt:Traditionen enden nicht. Auch nicht nach Mitternacht.

Ein Verbindungsmitglied wird aus Ann-Kathrin Jeske nicht mehr. Trällernd auf Tischen tanzen will sie von nun an häufiger.


26

Campus

Das ist die neue Laube Zweieinhalb Jahre Lärm, Staub und Bauzäune gehen zu Ende: Die Holzlaube, der größte FU-Neubau seit den 1970er-Jahren, ist fertig. Wir verraten euch alles, was es über die Neue zu wissen gibt. Text: Enno Eidens | Fotos: Marie Halbich

K

lare Fassaden, große Terrassen – äußerlich wirkt die Erweiterung der Rost- und Silberlaube mächtig. Innendrin ist der Gebäudekomplex eher schlicht gehalten. Kleine gelbe und grüne Farbtupfer in den Pausenräumen sind die einzige Abwechslung. Zu Beginn des Sommersemesters gab es noch einige Baustellen, lose Kabel an der Decke, unfertige Gänge und Türen. Noch ist die Laube ihren Neubaugeruch nicht los. Trotzdem fanden in den hochmodernen Räumen von Anfang an Seminare und Vorlesungen statt. In der Holzlaube haben 14 kleine Fächer des Fachbereichs »Geschichts- und Kulturwissenschaften« ihr neues Zuhause gefunden, unter anderem die Sinologie und die Katholische Theologie. Auch das Dekanat und die Verwaltung des Fachbereichs sind nun nicht länger auf verschiedene Villen in Dahlem verteilt. Das Großprojekt hat sich die FU einiges kosten lassen. Rund 52 Millionen Euro teuer war der Neubau. Davon trug die Uni 33,5 Millionen Euro selbst, der Rest stammt aus Bundesmitteln. Die Uni will ihren Anteil unter anderem durch den Verkauf einiger Villen, die nun leerstehen,

finanzieren. Zentralisierung ist die Devise. Die Dekanin der Geschichtswissenschaften, Karin Gludovatz, verspricht sich von den kürzeren Wegen eine »interdisziplinäre inhaltliche Verflechtung« der kleinen Fächer. Entworfen hat die Holzlaube der Münchner Architekt Florian Nagler. Mit dem Bau sei ein Anknüpfen an die Struktur der alten Lauben gelungen, sagt er. »Die Frage ‚Was kommt nach Rost und Silber?‘ haben wir uns natürlich gleich zu Beginn gestellt«, so Nagler. »Weil bereits bei den ersten beiden Lauben über Holz nachgedacht worden war, lag das sehr nahe.« Dreh- und Angelpunkt der neuen Holzlaube ist für viele Studenten die Campusbibliothek. Diese schließt nahtlos an die frühere Bibliothek der Erziehungswissenschaftler und Psychologen an. Sie vereint jetzt Medien aus 24 Instituten und Fachbereichen unter einem Dach. Knapp eine Million Titel mussten dafür eine neue Signatur bekommen – dem Leiter der Bibliothek, Martin Lee, zufolge »ein organisatorisches Monsterprojekt«. Bei den Studenten stößt die Holzlaube bislang auf geteiltes Echo. »Noch finde ich es schwierig, meine Räume zu finden«, sagt Claudia, die Sinologie studiert. »Das neue Nummernsystem ist verwirrend und ganz anders als das in der Rost- und Silberlaube.« Ihr Kommilitone Benjamin lobt

Bild oben: Mittendrin findet man auch mal eine Oase der Ruhe. Bild unten: Die neue Bibliothek bietet Studierenden und Wissenschaftlern eine Vielzahl an Lese- und Arbeitsplätzen.

dagegen die gute Klimatisierung und die moderne Ausstattung der Räume. Und was kommt nach Rost-, Silberund Holzlaube? Vorerst wohl nichts. Zumindest ist kein weiterer Laubenkomplex in Planung. Trotzdem könnten die Bagger schon bald wieder an der FU anrollen. Diskutiert wird ein neuer Forschungsbau für die Naturwissenschaften, der in der Takustraße entstehen könnte.

Enno Eidens hat sich in den Tiefen der Holzlaube verlaufen. Wer ihn sieht, möge ihn bitte am Infoschalter der Bib abgeben. Die Fassaden der Holzlaube sind hell und modern.


Campus

27

In Gottmutters Namen Mitglieder einer dubiosen Sekte geben sich als Theologiestudenten aus und versuchen, auf den Gängen der Silberlaube neue Anhänger anzuwerben. Diese wollen sie aus der Welt des Satans befreien. Text: Sarah Ashrafian | Illustration: Zoë Schütte

S

ie brauchen Hilfe bei einem Referat, sagen die jungen Koreaner auf einem Gang in der Silberlaube zu den arglos vorbeilaufenden Studenten. Das klingt zunächst unverdächtig. Doch die angeblichen Theologiestudenten flunkern. Die Wahrheit ist: Die beiden missionieren für eine Sekte. Es ist immer diese Masche, mit der Mitglieder der »Gemeinde Gottes des Weltmissionsvereins« an Universtitäten unterwegs sind.Wer der Spur der Gemeinde nachgeht, stößt auf eine mysteriöse Gruppe mit irren Ansichten. Gegründet wurde die Gemeinde 1964 durch den Koreaner Ahn Sahng Hong. Seitdem haben sich nach eigenen Angaben 2500 Zweiggemeinden in 175 Ländern mit rund 1,2 Millionen Mitgliedern zusammengefunden. Ihr Glaube gründet sich auf eine besondere Auslegung der Bibel. Sie sind überzeugt: Neben Gottvater existiert auch eine Gottmutter. Die Gemeinde betont Nächstenliebe und soziales Engagement. Sie wirbt auf ihrer Internetseite mit Besuchsdiensten in Altersoder Behindertenheimen und der Unterstützung der Paralympics. Scheinbar harmlos. Doch bei genauerem Hinsehen fallen einige Kuriositäten auf. Von der Berliner Gemeinde ist im Internet nur die Adresse ihrer Zentrale zu finden. Diese müsste über einem Schnell-Imbiss und einem Gebrauchtwagenhändler liegen. Das Klingelschild aber weist lediglich auf eine Familie Lee hin. Außerdem werden auf der Internetseite zahlreiche lobhudelnde Berichte aus angeblichen Medien aufgeführt. Die Links lassen sich jedoch nicht öffnen. Auf eine schriftliche Interviewanfrage erhält FURIOS keine Antwort. Der Rest des Internets ist auskunftsfreudiger. In verschiedenen Blogeinträgen schildern Studenten ihre Erfahrungen mit den Missionaren. Dabei fällt auf: Vielen von ihnen haben sich die Gemeindemitglieder als Theologiestudenten vorgestellt. »Die Masche der Missionare ist eine arglistige Täuschung«, erklärt Stefan Barthel von

der Leitstelle für Sektenfragen im Land Berlin. Er warnt ausdrücklich vor dieser Gruppierung. Sie entspreche allen Charakteristika einer »Sekte«. Er selbst spricht aber lieber von »Gemeinschaften, die Konfliktsituationen hervorrufen«. Theologiestudenten seien die Missionare auch nicht. Zwar studierten sie die Bibel, seien aber nicht an einer der Berliner Universitäten eingeschrieben, so Barthel. Manchmal werden die Missionare auf den Gängen ein wenig direkter. Sie wollen darüber diskutieren, ob Gott eine Frau sein könnte. Das scheint zunächst einen Gedanken wert. Für die Sekte ist diese Gottmutter jedoch kein jenseitiges Wesen. »Der Heilige Geist«, so die Website, »hält sich höchstpersönlich unter uns auf.« Genauer gesagt in Korea: »Durch Gespräche mit Aussteigern haben wir erfahren, dass die Ehefrau des Sektengründers Ahn Sohng Hong als Gottmutter angebetet wird«, erzählt Barthel. Die Mitglieder trügen häufig ihr Bild mit sich, zum Beispiel als Desktophintergrund. Das teilweise absurde Weltbild der Gemeinde treibe ihre Mitglieder in die Isolation, warnt Barthel. »Für sie ist die Welt da draußen die des Satans und der verlorenen Seelen. Nur innerhalb der Gemeinde sind die guten Menschen.« Zwar könne die Gemeinde orientierungslosen Menschen zunächst Halt geben. Später folge jedoch massiver psychischer und finanzieller Druck. »Jedes Mitglied muss mindestens zehn neue Mitglieder missionieren, um die Gnade Gottes zu erlangen«, so Barthel. In ihrer Verzweiflung greifen die Mitglieder daher zu aggressiven Methoden.

Von besonders wahnwitzigen Fällen berichtet die »taz«: Sie will Missionare beobachtet haben, die mit Wassereimern hinter Studenten herliefen – um sie zwangszutaufen.

Dass Gott auch eine Frau sein könnte, kann sich Sarah Ashrafian vorstellen. Mit Inkarnationen tut sie sich aber schwer.


RAL.DE

NT WWW.KINO-CE

MOV I E M E

ab

VI EM EN TO

.D E

N TO

WW W. MO

Anzeige

CENTRAL

Wo bin ich hier gelandet?

Ich seh Ich sehiemento Mov 2.7. im Central &

eger Die Lügen der Sitral ab 18.6. im Cen

o ame Kin Codenun iten seren Webse

f Tragt Euch au ento.de. www.moviem ral.de. nt ce oin .k www und besucht n ei r ette in den Newsl en Veranstaltung ausgewählte preis. fts ha sc nd zum Freu

sten Schlag Liebe auf den erCentral ab 2.7. im

Men & Chicken to men ab 2.7. im Movie

Victoria Moviemento im t tz je instraße aße

U Weinmeisterstr Soph ienstra ße

Cafe

Cine

ma

Straße Oranienburger

aße r Str Neue Schön hause

Rose nthale rstra ße

;

kt

S Hackescher Mar

IR MITTE L & OPENA KINO CENTRA nthaler Straße 39 | Mitte Rose nmeisterstraße Markt | U Wei S Hackescher o-central.de .kin 73 | www T: 030.28 59 99

Urban straße

Hasenheide

m Dam ser bus Kott

U Schönle

Bopp

straß

e

;

U Hermannplatz

MOVIEMENTO | Kreuzberg m 22 Kottbusser Dam tz U Hermannpla ento.de | www.moviem T: 030.692 47 85

Wohnst du noch oder In den letzten weinst du schon? Zügen Neue Uni, neue Stadt, neue Wohnung. Und dann erstmal zu Ikea – ist schließlich die einfachste Lösung und billig noch dazu. Aber so einfach wie man denkt, ist es tatsächlich überhaupt nicht.

Wer zu später Stunde mit der Berliner U-Bahn fährt, bemerkt schnell: Die badeentengelben Züge sind nicht nur ein ästhetischer Totalausfall, sondern auch ein fahrendes Kuriositätenkabinett.

Text: Sara Ashrafian

Text: Thekla Brockmüller

M

S

eine Odyssee beginnt irgendwo zwischen »Ektorp«, »Jokkmokk« und »Astorp«. Es ist Samstagnachmittag und ich bin in der Tempelhofer Ikea-Filiale. Auf dem Weg zum Traumsofa quetsche ich mich zuerst durch eine fünfköpfige Familie. Sie hat entschieden, mitten im Gang ein Picknick abzuhalten. Ein anderer Kunde betitelt mich daraufhin als »bummelndes Weib«. Schon klar. Zirka zwei Stunden später komme ich im Selbstbedienungslabyrinth an, zwischen 1765 Schränken mit 1333 Regalen. Plötzlich stehe ich vor einem Paketmonster. Ungefähr doppelt so groß wie ich. Irgendwann wird es wohl mal mein Sofa sein. Auf die Bitte, ob mir einer der Mitarbeiter helfen könne, werde ich angeschnauzt: »Hätten Sie vorher anmelden und bezahlen müssen«. Nach zwanzig Minuten habe ich das Riesenpaket irgendwie auf den Einkaufswagen gehievt. Er ist voll – ein zweiter muss her. Ab jetzt heißt es: linken Wagen nach vorne schieben, zurück rennen, rechten Wagen hinterher holen. Linker Wagen, rechter Wagen. Und noch mal, und noch mal. Ich habe Glück: In der anderthalbstündigen Wartepause vor den Kassen kann sich meine Lunge erholen. Bis nach Hause schleppe ich dieses Ungetüm sicher nicht. Ich beauftrage also den vielbeworbenen Lieferdienst. »Wann wird die Ware morgen geliefert?«, frage ich. »Zwischen 10 und 21 Uhr«, antwortet die Mitarbeiterin. Danke, Ikea.

amstagmorgen, fünf Uhr. Gerade noch dröhnte im Club der Techno-Bass, schon sitze ich in der U-Bahn. Eigentlich will ich mich in meine flauschigen Kissen werfen und von rosa Schäfchenwolken träumen, stattdessen hypnotisiert mich das rhythmische Rattern der Bahn. Das Berliner Fortbewegungsmittel im betörenden Badeentengelb ist nicht nur von außen hässlich: Innen schimmert der Boden grün-glitschig und das Muster der getupften Sitze überfordert sowohl meine Augen als auch meinen Sinn für Geschmack. Von der perspektivischen Missgeburt des Brandenburger-Tor-Musters an den Fenstern und dem Geruch nach modrigem Abfall ganz zu schweigen. Meine Mitfahrenden scheint das alles nicht zu stören: Eine Frau mit auftätowierten Augenbrauen kratzt sich dunkellila Nagellack von den Fingern, im Sitz hinter ihr versucht ein Mann krampf haft, den letzten Tropfen aus seiner Spätburgunderflasche zu saugen. Zum Glück klärt uns ein Stalin-Liebhaber noch über den wahren Verlauf des Zweiten Weltkrieges auf. Am Bahnhof Südstern steigt der selbsternannte Geschichtslehrer aus und schreit draußen weiter. Mir bleiben noch fünf Stationen und ein warmer Sitzplatz. Doch auch wenn es nach einer langen Nacht verlockend ist, in dieser U-Bahn gilt: Bloß nicht einschlafen!


Ewige Ehemalige: Die Unbeirrbare Sie hat Gerhard Schröder einen Korb gegeben und Europas Holocaust-Opfern in Berlin ein Denkmal gebaut. Die 78 Jahre alte FU-Alumna Lea Rosh ist vor allem für ihr Durchsetzungsvermögen bekannt. Text: Christopher Hirsch und David Rouhani | Foto: Christopher Hirsch

E

in schwäbisches Dorf Anfang der 1960er-Jahre: Lea Rosh steht vor der Druckerei des »Kocherboten«, der Regionalzeitung in Gaildorf. Sechs Monate lang wird sie hier wohnen, während sie erste Praxiserfahrungen als Journalistin sammelt. Es folgen kurze Nächte: Denn jeden Morgen um drei Uhr wird die Praktikantin von den Druckmaschinen geweckt. Trotzdem bringt sie hier ihre ersten Artikel auf ’s Papier. Glanzvoll sind diese Aufträge nicht: Ihre Debüt-Reportage handelt vom Fällen einer Pappel im örtlichen Schlosshof. Heute kann die 78-Jährige auf eine eindrucksvolle Karriere zurückblicken. Ihre ersten Fernsehauftritte hatte sie beim NDR. Von 1979 bis 1982 moderierte sie im ZDF das Politmagazin »Kennzeichen D«. »Ich war die erste Frau, die in Deutschland eine politische Sendung moderiert hat. Das war vorher undenkbar.« Rosh wusste sich durchzusetzen. Auch, als der neue Studioleiter beim ZDF ihre Kompetenz in Frage stellte: »Da hab ich gesagt‚ tickst du noch richtig? Ich mache hier seit vier Jahren Sendung.« Trotzdem kündigte Rosh nach diesem Zwischenfall und nahm ein Angebot von Radio Bremen an. 1991 erreichte ihre Karriere einen vorläufigen Höhepunkt, als sie Intendantin des NDRFunkhauses in Hannover wurde – ebenfalls als erste Frau. Angefangen hat alles an der FU. Dort studierte Rosh Ende der 1950er-Jahre Publizistik, Geschichte und Soziologie.Viel sei aus dem Studium aber nicht hängen geblieben. »Mitschreiben und auswendig lernen fand ich öde und langweilig«, erzählt sie. Relevant seien für ihre spätere Laufbahn vor allem Praktika gewesen. Ein Thema aus ihrer Studienzeit sollte Rosh allerdings nicht wieder loslassen: die Aufarbeitung der NS-Zeit. Wobei Aufarbeitung ihrer Meinung nach nicht das richtige Wort sei. »Das kann man gar nicht aufarbeiten, man muss sich immer wieder damit

Keine unumstrittene Person: Lea Rosh.

beschäftigen. Wir hatten Dozenten, die das wunderbar gemacht haben«, sagt sie. Gerade ihre Kommilitonen im Fach Geschichte seien politisch interessiert gewesen und hätten sich aktiv mit der jüngeren Vergangenheit auseinandergesetzt. Das tat Rosh ebenfalls – und tut es bis heute. Ihr prominentestes Projekt steht in Berlin zwischen Brandenburger Tor und Potsdamer Platz: das Denkmal für die ermordeten Juden Europas. Bereits 1988 gab sie den Anstoß zur Errichtung einer Gedenkstätte. Ihre Entstehung wurde von heftigen Kontroversen begleitet. Kritik erntete Rosh beispielsweise für eine Plakataktion, durch die Gelder für das Denkmal gesammelt werden sollten. Manche der Plakate zeigten missverständliche Botschaften über den Holocaust. Nach 17 Jahren wurde die Gedenkstätte dennoch fertig. Rosh hat sich wieder einmal durchgesetzt. Dieses Durchsetzungsvermögen hat ihr auch in der Politik Türen geöffnet. Seit 1968 ist sie Mitglied der SPD. Der damalige niedersächsische Ministerpräsident Ger-

hard Schröder bot ihr mehrmals einen Ministerposten in seinem Landeskabinett an. Doch Rosh lehnte ab. Der Journalismus und ihr gesellschaftliches Engagement hatten Priorität. Das ist noch heute so. Als stellvertretende Vorsitzende des zuständigen Kuratoriums der Gedenkstätte gibt sie dort Führungen und veranstaltet selbst Diskussionsabende. »Ich arbeite acht Tage die Woche«, sagt sie und lächelt. Ob sie jemals daran gedacht habe, sich zur Ruhe zu setzen? »Was soll ich denn dann machen? Soll ich etwa in den Himmel gucken?«

Christopher Hirsch und David Rouhani bewerben sich hiermit bei allen schwäbischen Dorfzeitungen für ein Praktikum.


Kultur

30

Schreiben ist für sie mehr als nur ein Hobby: Ramona Raabe.

Lies mich! Schriftsteller sitzen mit einem Glas Rotwein vorm Kamin und schreiben einen Bestseller. Von wegen! Der Weg in die Verlagswelt ist lang und steinig. Ramona Raabe geht ihn trotzdem. Text: Friederike Werner | Foto: Marie Halbich

A

ls ihre erste Geschichte über zwei kleine Igel im Kölner Stadt-Anzeiger abgedruckt wurde, war sich Ramona Raabe sicher: Sie will Schriftstellerin werden. Damals war sie gerade sieben Jahre alt. »Viele Kinder denken sich gerne Geschichten aus«, sagt die heutige FU-Studentin. »Aber die meisten hören damit auf, wenn sie älter werden. Ich habe nie aufgehört.« Ramona will mit ihren Geschichten möglichst viele Menschen erreichen. Doch dazu muss sie sich in der Literaturbranche beweisen. Wer diesen Weg erfolgreich gehen will, darf sein Ziel nicht aus den Augen verlieren. Und wer der Literaturstudentin zuhört, merkt: Dieser Weg ist steinig. Dabei ist Ramona schon einige Schritte gegangen. Immer wieder nimmt sie an Literaturwettbewerben und Lesungen teil. 2012 erhielt sie den Martha-Saalfeld-Förderpreis für das Manuskript ihres Liebesromans »Perlmutt-Asche«, der im zeitgenössischen Berlin spielt. Plötzlich betitelten Zeitungen sie als »Schriftstellerin«. Für Ramona fühlte sich das sonderbar an. Doch sie freute sich über die mediale Aufmerksamkeit: »Es war schön, dass einem vermittelt wurde, Talent zu haben.Vor allem in einer Branche, in der man von Selbstzweifeln getrieben wird.« Aktuell arbeitet sie an einem neuen Roman. Das erste Kapitel hat sie bereits auf der Leipziger Buchmesse vorgestellt.

Veranstaltungen dieser Art sind für junge Autoren wie Ramona eine Möglichkeit, um auf sich aufmerksam zu machen. Denn Literatur ist Kunst, aber sie ist auch ein Produkt, das verkauft werden muss. Und das erfordert Eigeninitiative. Autoren würden nur selten zufällig entdeckt, sagt Ramona. »Glücksmomente muss man sich selbst schaffen. Wenn jemand talentiert ist, dranbleibt und sich zeigt, dann wird das irgendwann auch wahrgenommen.« Ohne auf Events Beziehungen zu knüpfen, kommt man kaum in den konventionellen Literaturbetrieb. In Zeiten von Internet und Self-Publishing verzichten aber immer mehr Autoren auf Verlage und publizieren ihre Bücher selbst. Jeder Laie kann sein Werk mittlerweile als E-Book anbieten. Im Jahr 2014 wurden laut Schätzungen des »Selfpublisher-Verbandes« in Deutschland 50.000 literarische Werke selbstverlegt, 80.000 wurden durch Verlage veröffentlicht. »Deutsche Verleger sind wenig risikobereit«, glaubt Ramona. Es werde lange abgewogen, ob sich ein Projekt lohne. Insider behaupten, dass ein Verlag mindestens 10.000 Euro in einen neuen Autoren investieren müsse.Viele deutsche Verlage tendieren deshalb mittlerweile dazu, populäre Titel aus dem Ausland einzukaufen und auf große Namen zu setzen, statt Nachwuchs-

autoren zu fördern. Das entspreche auch der Nachfrage der Konsumenten. Obwohl der Einstieg in die Verlagsbranche mit jedem Jahr schwieriger wird, möchte Ramona trotzdem diesen klassischen Weg gehen. Ein Verlag ist für sie mehr als ein Mittel zum Veröffentlichungszweck: »Jeder einzelne steht für ein anderes Konzept. Ausgewählt zu werden, ist eine Ehrung. Ich wäre gerne Teil einer Verlagsfamilie.« Um dieses Ziel zu erreichen, sucht Ramona momentan nach einer passenden Agentur. Unaufgefordert eingesendete Manuskripte gehen in Verlagen nur selten über Praktikantenhände hinaus. Ein Agent hilft, weiter zu kommen. Mit der Aufnahme in eine Agentur wäre Ramonas Weg aber noch lange nicht zu Ende. Sie weiß: Es warten viele Rückschläge auf sie. »Der amerikanische Autor Andrew Sean Greer hat mal zu mir gesagt, man müsse mit ungefähr 250 Absagen rechnen, bevor eine Einsendung Früchte trägt. Aber ich bin bereit, das hinzunehmen.«

Auch Friederike Werner wäre gern Schriftstellerin, aber ihre aufgeschobenen Hausarbeiten nehmen zu viel Zeit in Anspruch.


Kultur

31

Kuratoren auf Probe Über Kunst schwadronieren ist einfach, sie erfolgreich ausstellen nicht. Selbst Kunsthistoriker lernen das nicht im Studium. Der studentische Kunstverein »Art van Demon« will das ändern. Text: Carlotta Voß | Illustration: Robin Kowalewsky

E

s ist dunkel im Foyer des ehemaligen Stummfilmkinos Delphi in Weißensee. Schwere rote Gardinen sperren das Sonnenlicht aus. Putz blättert von den Wänden, es riecht ein wenig muffig – nach altem Holz und dem Geist der goldenen 1920er-Jahre. Nun soll die nostalgische Atmosphäre den Rahmen für Neues bieten. Unter der Leitung von Studenten des Vereins »Art van Demon« wird hier moderne Kunst entstehen. Ursprünglich wurde der Verein, der regelmäßig Kunstausstellungen organisiert, von Studenten der Kunstgeschichte in Heidelberg gegründet. Victoria Eversmann war dort Mitglied und nahm die Idee mit, als sie für ihren Master in Kunstgeschichte nach Berlin zog. 2013 rief die FU-Studentin den Berliner Ableger der Heidelberger Initiative ins Leben. Mittlerweile besteht der Verein aus 15 Studenten der drei großen Berliner Universitäten. Sie sammeln hier praktische kuratorische Erfahrungen, die im Studium zu kurz kommen. Wie im freien Kunstmarkt reicht die Arbeit von der Entwicklung eines Ausstellungkonzepts über die Inszenierung einzelner Werke bis hin zur Organisation der Vernissage. Zusammen haben die Vereinsmitglieder bereits drei Ausstellungen organisiert. Derzeit laufen die Planungen für die nächste, die im September zu sehen sein wird. Ihr Thema: die Räumlichkeiten des Delphi. Das Stummfilmkino wurde 1929 als Teil der Filmstadt Weißensee gegründet. Seit seiner Schließung in den 1950er-Jahren war es schon Gemüselager, Poststelle und Orgelpräsentationsraum. »Obwohl das Delphi als Ort so interessant ist, ist es in Berlin fast in Vergessenheit geraten«, erklärt Victoria. »Die Künstler sollen sich mit dem Raum des alten Kinos auseinandersetzen, architektonisch, funktional oder historisch.« Am Beginn ihrer künstlerischen Arbeit steht die Ortsbegehung. Rund ein Dutzend Künstler sind dem Ruf von »Art van De-

mon« an diesem Vormittag in die dämmrigen Gewölbe des Delphi gefolgt. Sie schreiten die Zuschauerränge ab, zücken Kameras, inspizieren Kristallleuchter und den Orchestergraben. Rasch kommen erste Fragen auf: Kann der Vorführraum genutzt werden? Wie lassen sich die Lichtverhältnisse regulieren? Und vor allem: Welche Vorgaben macht der Denkmalschutz? Tatsächlich sind die Auflagen sehr streng. Selbst großen Regisseuren wie Quentin Tarantino wurde untersagt, die Abschlussszene von »Inglorious Basterds« im Kinosaal des Delphi zu drehen. »Wir dürfen nicht einen Nagel in die Wände schlagen. Wir können nur mit dem arbeiten, was bereits vorhanden ist. Das ist eine Herausforderung«, erklärt ein Vereinsmitglied. Langsam entsteht aus dem Wechselspiel von Fragen und Antworten ein Raumkonzept. Die Zuschauerränge können zur Ausstellungsfläche werden, die Bühne eignet sich für Videoinstallationen – und vielleicht kann dahinter eine Skultpur aufgestellt werden. Sind alle Projektideen eingereicht, steht den Studenten von »Art van Demon« eine harte Auswahlarbeit bevor: Je nach Beschaffenheit der Werke bietet das Delphi etwa zehn Künstlern Platz, doch bisher sind schon mehr als doppelt so viele Bewerbungen eingegangen. Wenn das Team sich auf die besten Arbeiten geeinigt hat, beginnt der eigentliche kuratorische Prozess: Die Inszenierung der Werke, in engem Zusammenspiel mit den Künstlern. Es ist dieser persönliche Kontakt, der die meisten der Studenten von »Art van Demon« antreibt. So auch Victoria: »Die Menschen hinter der Kunst kennenzulernen, schafft eine ganz besondere Beziehung zu den Werken. Die Künst-

ler nähern sich ihr von der praktischen, wir von der theoretischen Seite. Beides kommt am Ende in einem großen Ganzen zusammen.«

Carlotta Voß studierte Geschichte und Politik. Sie will am Liebsten nur noch in Kinos mit Orchestergraben gehen.


Anzeige

»Ein Mondschwein steht für Lebensträume« Sie füllten ein ganzes Theater: Anita Brokmeier (21) und Isabelle Schulz (24) haben ein Stück geschrieben, inszeniert und aufgeführt. Im Interview erklären sie, warum wir alle »Mondschweine« sein sollten. Interview: Margarita Dreiling und Lisa Ahrens | Foto: Margarita Dreiling FURIOS: Anita und Isabelle, euer Stück »Mondschweine« war ein Riesenerfolg im Theaterhaus Mitte. Wie entstand die Idee dazu? Anita: Eine Schauspielschule, bei der wir uns beide beworben hatten, verlangte für das Vorsprechen einen selbstgeschriebenen Monolog. Meinen nannte ich »Mondschweine« und spielte ihn Isabelle bei unseren Proben vor. Ich kann mich noch ganz genau erinnern, wie sie im Schneidersitz vor mir saß und sagte: ‚Anita, ich kann mir das Stück richtig gut auf einer Bühne vorstellen.‘ Das war im Frühling 2014. Isabelle: Bis zur Uraufführung war es dann noch ein langer Weg. Unsere Kommilitonen aus den Theaterwissenschaften und eine Sprecherzieherin haben uns beraten. Neun Monate Arbeit und viele intensive Proben später stand die Inszenierung: eine Collage aus Videoinstallation, Choreographie, Gesang und Musikstücken. Worum geht es in eurem Stück? Und vor allem: Was ist ein Mondschwein? Isabelle: Es geht um Lebensträume. Im Mittelpunkt der Handlung steht ein Schweinchen, das geschlachtet werden soll, aber nicht weiß, was ein Schlachter ist. Es denkt, dass der Schlachter es zum Mond bringen wird. Weil es dort unbedingt hin will, tut es genau das, was die anderen Schweine im Stall auch tun: sich vollfressen, um schön dick zu werden. Was wolltet ihr damit zum Ausdruck bringen? Isabelle: Das Schwein ist eine Metapher dafür, dass viele Menschen ihren Lebenstraum – für das Schweinchen der Mond – nur auf konventionellem Weg zu erreichen versuchen, ohne auch mal nach links und rechts zu schauen. Anita: Das Mondschweinchen macht sich am Ende des Stücks von allen Zweifeln frei und begreift, dass es bereit ist, seinen eigenen Weg zu gehen. Mit der Geschichte wollen wir den Zuschauern den Mut zum Träumen zurückgeben. Auch wollen wir zum Nachdenken anregen – über Lebensziele und die Vielfalt der Möglichkeiten, die dorthin führen können.

Anita (links) und Isabelle haben ein Stück über Lebensträume auf die Beine gestellt.

Die Botschaft scheint angekommen zu sein: Ihr habt das Stück nach zwei Aufführungen im November 2014 vergangenen März wieder aufgenommen. Isabelle: Die Resonanz der Zuschauer war großartig. Die zweite Aufführung war sogar ausverkauft. Also haben wir uns entschieden, zwei weitere Vorstellungen zu geben. Zum Glück! Bei der dritten saß ein Regisseur aus Cottbus im Publikum. Ihm hat unsere Vorstellung so gut gefallen, dass er uns gefragt hat, ob wir sein Theaterfestival »Die lange Nacht der Theater« im kommenden Juli mit dem Stück eröffnen wollen. Anita: Wir haben natürlich zugesagt! Der Weg des Mondschweins geht also weiter. Habt ihr schon Pläne für die Zukunft? Anita: Wir wollen unter dem Namen »Die Mond schweine« weiter als Duo zusammenzuarbeiten. Ein neues Projekt ist schon in Planung. Isabelle: Wir können schon verraten, dass außer uns noch ein paar andere Leute mit spielen werden. Es kommt also viel Arbeit auf uns zu, aber wir können es kaum erwarten!

Lisa Ahrens und Margarita Dreiling wissen noch nicht, wie sie zu ihrem Mond kommen. Sie fahren aber auf keinen Fall mit der DB dorthin.


Kultur

33

Die geklaute Rubrik: Wir sind großartig. Aber andere machen auch schöne Sachen. An dieser Stelle pflücken wir die besten Rubriken im Blätterwald und füllen sie mit unseren Inhalten. Folge VII: »Sagen Sie jetzt nichts« aus dem »SZ-Magazin«. Name: Benny Lau Geboren: 28.04.1982 in Berlin Beruf: Koch in der Mensa FU II

Wie finden Sie das Essen in der Mensa?

Was machen Sie wenn jemand mehrmals nicht bezahlt?

Wie reagieren Sie auf die Salatkonstruktionen in den kleinen Schüsseln mancher Studenten?

Wie sieht Ihr Feierabendgesicht aus?

Wie ist es in der Mensa wenn gerade Ferien sind?

Wie finden Sie es wenn Studenten mit dem Geschirr aus der Mensa durch die ganze Uni laufen?


34

Wissenschaft

Leben auf großem Fuß Jeder will irgendwie öko sein. Auch unsere Autorin hielt sich für umweltbewusst. Dann maß sie ihren ökologischen Fußabdruck und musste feststellen: Ein Detail verhagelt ihr die Bilanz. Text: Lior Shechori | Illustrationen: Luise Schricker

W

ie die meisten Studenten halte ich mich für umweltbewusst. Aber wie nach haltig lebe ich wirklich? Das berechnet der sogenannte ökologische Fußabdruck. Er gibt an, wie viele Ressourcen ein Mensch verbraucht. Sein Wert wird in biologisch produktiver Fläche gemessen – dargestellt in der Maßeinheit »globale Hektar« (gha). Denn egal ob Energiegewinnung, Bauland oder Viehzucht: Jedes Wirtschaften beansprucht Fläche. Der ökologische Fußabdruck wird für Länder, Regionen und Städte berechnet, kann aber auch für Privatpersonen ermittelt werden. Wie groß mein persönlicher Fußabdruck ist, kann ich bei einem Online-

test herausfinden. Vier Lebensbereiche werden bemessen: Ernährung, Wohnung, Konsum und Mobilität. Ich ge be meine Daten für einen durchschnittlichen Tag an. Miranda Schreurs, Leiterin des Forschungszentrums für Umweltpolitik der FU, gab mir dabei Tipps, wie ich mein Leben ökologisch nachhaltiger gestalten kann.

»Brauchen wir wirklich die Kiwi aus Neuseeland oder sind wir auch mit einem Apfel aus Polen zufrieden?«, fragt sie mich. Am besten sei es, bei lokalen Händlern und kleineren Märkten einzukaufen.

Ernährung

Anzeige

Zum Frühstück schneide ich mir einen Apfel oder eine Birne klein, streue Bio-Müsli drauf und gieße Hafer milch dazu. Ich versuche, so wenige tierische Produkte wie möglich zu essen. Das ist gut für meinen ökologischen Fußabdruck: Besonders Fleischverzehr kann ihn in die Höhe treiben. Laut einer Studie der Umweltschutzorganisation WWF sind tierische Lebensmittel für etwa 70 Prozent der durch die Ernährungsindustrie verursachten Treibhausgase verantwortlich. Insgesamt ist mein Fußabdruck im Bereich Ernährung relativ klein – 0,8 gha, weniger als die Hälfte des deutschen Durchschnitts. Um ihn noch zu verkleinern, könnte ich aber noch mehr Tel. (030) 4073-0 · E-Mail: studierende@gesobau.de auf die Herkunft meiner Lebensmittel achten. Denn die Tatsache, dass Ob alleine oder als WG: Unsere Wohnungen für Stuman regionale oder importierdenten sind bezahlbar, verkehrsgünstig gelegen und te Lebensmittel kauft, beeingut geschnitten. Am besten gleich unsere Wohnungsflusst klar die Größe des Fußangebote studieren! www.gesobau.de abdrucks. Das bestätigt mir FU-Professorin Schreurs:

Heute schon wie morgen wohnen.

Wohnen Bevor ich meine Wohnung verlasse, mache ich die Heizung aus, schaue nach, ob der Drucker aus ist und ob keine Ladegeräte in der Steckdose stecken. Das verbraucht unnötig Strom. Dass ich in einer WG mit zwei Mitbewohnern lebe, wirkt sich sehr positiv auf meinen Fußabdruck aus – mit 0,8 gha fällt er auch hier sehr niedrig aus. Dadurch, dass wir uns Strom und Heizung teilen und einige Einrichtungsgegenstände gemeinsam benutzen, verbrauchen wir weniger Ressourcen. Laut Schreurs gibt es beim Wohnen zwei wichtige Faktoren, die unseren Fußabdruck vergrößern. Der erste ist unser Kühlschrank. Dieses Gerät verbraucht sehr viel Strom – besonders ältere Modelle. Es lohnt sich also, in ein energieeffizientes Modell zu investieren. Der zweite Faktor sind Geräte im Stand-by Modus, wie zum Beispiel der angeschlossene Drucker.

Mobilität Zur Uni fahre ich mit der Bahn. Ich würde gerne mit dem Fahrrad fahren, aber leider wohne ich zu weit weg. Würde ich


Wissenschaft

auf Bus und Bahn verzichten, könnte ich meinen Fußabdruck nochmal um 0,3 gha senken. Doch mein ökologischer Fußabdruck vergrößert sich vor allem durch ein entscheidendes Detail: das Fliegen. Ungefähr 20.000 km lege ich pro Jahr mit dem Flugzeug zurück. Ich studiere gern in Deutschland, aber möchte auf meine Heimatbesuchte in Israel nicht verzichten. Daher steigt der Wert meines ökologischen Fußabdrucks im Bereich Mobilität. Er liegt bei 2,5 gha, das ist mehr als das dreifache des Durchschnitts. »Fliegen ist das Schlimmste, was wir der Umwelt antun können«, betont Schreurs. Kaum etwas emittiere mehr CO2. Wer nur einmal im Jahr fliegt, liegt schon über dem deutschen Durchschnitt im Bereich Mobilität. Es gibt aber Wege, die durch das Fliegen erzeugten CO2-Emissionen zu kompensieren,

erklärt Schreurs. Man könne einen Baum pflanzen oder an eine Umweltorganisation spenden, die sich für den Abbau von CO2-Emissionen einsetzt.

Konsum Der Sommer kommt bald und ich möchte mir etwas Neues gönnen. Ich entdecke prompt die perfekte Bluse. Ich nehme sie vom Kleiderbügel und gucke auf das Etikett. Enttäuscht lege ich die Bluse wieder zur Seite. Nicht der Preis hat meine Meinung geändert, sondern die Stoffhinweise: Die Bluse ist aus Polyester. Für Schreurs ist das die richtige Entscheidung: Die Pro-

duktion von Waren aus Kunststoffen erzeugt viel mehr CO2-Emissionen als die von Naturstoffen. Nicht nur der Verbrauch an sich sondern auch der aus dem Konsum resultierende Müll wirken sich negativ auf den Fußabdruck aus. Da ich Studentin bin und keinen großen Überschuss auf meinem Bankkonto habe, halten sich

wir uns für nachhaltige Energiegewinnung einsetzen, sagt sie. Auf der persönlichen Ebene können kleine Änderungen im Lebensstil große Wirkungen haben, wie der Verzicht auf Fleisch oder Flugreisen. Die Auseinandersetzung mit meinem ökologischen Fußabdruck hat mir einiges klar gemacht. Umweltbewusste Ernährung und energieeffiziente Elektrogeräte sind zwar wichtig. Aber wenn ich meine Heimatflüge nicht kompensiere, wird mein Fußabdruck wohl groß bleiben. Das Ziel des ökologischen Fußabdrucks ist es, zum Nachdenken anzuregen; über unsere kulturelle Normen, unser Konsumverhalten und unser Verständnis von dem, was wir brauchen. Doch große Änderungen auf gesellschaftlicher Ebene werden nicht möglich sein, solange sich nichts Wesentliches in der Politik bewegt. Dafür braucht es Zeit und vor allem auch öffentlichen Druck, erzeugt von Menschen, denen die Zukunft unserer Erde wichtig ist.

meine Einkaufstouren in Grenzen – mein Fußabdruck liegt hier bei 0,5 gha. »Wir müssen uns fragen, was wir wirklich brauchen und worauf wir verzichten können, um gerechter mit unserer Erde umzugehen«, sagt Schreurs.

Fazit Mein Ergebnis liegt am Schluss bei 5,7 gha. Das ist wesentlich mehr als die 1,8 gha, die der WWF als nachhaltigen Fußabdruck angibt. Der Durchschnitt in Deutschland liegt bei 4,6 gha. In allen Bereichen lag ich unter diesem Durchschnitt, aber das Fliegen vergrößert meinen Fußabdruck enorm. Ist es überhaupt möglich, den Wert von 1,8 zu erreichen? Ja, sagt Schreurs. »Aber nur, wenn man auf mehreren Ebenen aktiv wird«. Auf der politischen Ebene müssten

35

Nach dem Schreiben dieses Artikels sieht Lior Shechori nur noch Fußabdrücke, wenn sie die Augen zu macht.


36

Wissenschaft

»Der IS spielt auf der Klaviatur der Massenmedien« Terror, Tod und Integrationsverweigerung – Medien zeichnen ein einseitiges Bild vom Islam und von Muslimen. Im Interview spricht FU-Juniorprofessorin Carola Richter über die Gründe dafür. Text: Simon Purk | Foto: Anke Schlieker fühl der Bedrohung erzeugt. Der Kontakt mit muslimischen Ländern oder Muslimen läuft in Deutschland immer noch oft über die Medien und nicht im realen Leben. Die Medien haben dazu beigetragen, dass sich ein teilweise rassistisches Klima in der Bevölkerung etabliert hat. Das entsteht über den Prozess des sogenannten »Otherings«.

Carola Richter kritisiert deutsche Medien für ihre Berichterstattung zum Islam.

FURIOS: »Der Islam ist eine Religion der Gewalt«, »der Islam unterdrückt Frauen« oder »die dunkle Seite des Islam«. Das sind Zitate aus deutschen Medien. Frau Richter, haben Sie nicht das Gefühl, dass hier etwas faul ist? Carola Richter: Es ist nicht nur ein Gefühl. Eine meiner Studien bestätigt, dass der Islam in deutschen Medien selten gut weg kommt. Wir haben mehr als anderthalb Jahre lang die Magazin- und Talksendungen von ARD und ZDF angeschaut. Das Ergebnis ist bezeichnend: In 80 Prozent der Fälle wurde der Begriff Islam mit problembeladenen Themen in Verbindung gebracht – insbesondere mit Terrorismus und Extremismus. Auch wenn es um Frauen, Integrationskonflikte oder internationale Krisen ging, wurde voreilig eine kausale Verbindung zum Islam gezogen. Immerhin empfinden fast 60 Prozent der Deutschen den Islam tatsächlich als Bedrohung. Das zeigt eine aktuelle Bertelsmann-Studie. Inwiefern hängt das mit der Berichterstattung zusammen? Durch die problemfokussierte Berichterstattung wird bei der Bevölkerung ein Ge-

Was genau soll das sein? Durch »Othering« schreibt man vermeintlich anderen Menschen bestimmte Attribute zu. Dieser Minderheit gegenüber grenzt sich die Mehrheitsgesellschaft dann ab. Zudem finden wir in Europa zum Beispiel eine Berichterstattung über und nicht von Muslimen. Das bedeutet, dass Journalisten immer wieder mit einem vorgefertigten Bild im Kopf von außen über Muslime berichten. Eine Innenperspektive können sie dabei nicht einnehmen. Inwiefern hat das Auftreten der Terrormiliz »Islamischer Staat« (IS) dieses Phänomen verstärkt? Der »Islamische Staat« trägt dazu bei, dass sich die Berichterstattung noch stärker auf die Punkte Konflikt und Abgrenzung fokussiert. Der IS selbst spielt dabei wunderbar auf der Klaviatur der Massenmedien. Diese orientieren sich bei ihrer Auswahl an Nachrichtenfaktoren wie zum Beispiel »Kon flikt«, »Kriminalität« oder »Schaden«. Terroristische Gruppen machen die Massenmedien zu ihren Komplizen, indem sie

Ereignisse kreieren, die diese Nachrichtenschwelle überschreiten. Wie schafft das der »Islamische Staat«? Der IS benutzt Symbole, auf die jeder anspringt. Beispielsweise nutzen seine Kämpfer in den Enthauptungsvideos ganz bewusst Messer und bedienen so das historisch gewachsene Bild des gefährlichen Muslims mit dem Dolch. Wie lässt sich die Berichterstattung Ihrer Meinung nach verbessern? Journalisten reagieren dünnhäutig auf dieses Thema. Sie fragen, ob sie nun nur noch beschönigend berichten sollen. Aber darum geht es nicht. Vielmehr wird der Islam vorschnell als Erklärung für ein Problem herangezogen. Komplexere Ursachen werden dabei oft ausgeblendet. Journalisten sollten sich von den vermeintlichen Nachrichtenfaktoren lösen. Wichtiger sind fundierte Reportagen, die auch die Betroffenen selbst zu Wort kommen lassen.

Simon Purk kennt das Innere einer Moschee nur aus dem Fernsehen – da, wo er seine Bildung her hat. Höchste Zeit, das zu ändern.

Prof. Dr. Carola Richter Fachbereich: Publizistik- und Kommunikationswissenschaft, Arbeitsstelle für Internationale Kommunikation An der FU seit: 2011

Schwerpunkte: Mediensysteme und Kommunikationskulturen im Nahen Osten, Asien und Afrika, Medien und Migration, Islam in den Medien, Medien und Religion, Auslandsberichterstattung


Wissenschaft

37

Was Forscher fühlen Gefühl und Objektivität – gehört das zusammen? Ein FU-Team aus Psychologen, Ethnologen und Literaturwissenschaftlern untersucht die Emotionen, die Forscher während ihrer Arbeit erleben. Text: Petya Zyumbileva | Illustration: Faustina Kork

B

egeisterung. Enttäuschung. Zufriedenheit. Stress. Die Palette an Emotionen, die zu unserem Alltag gehören, ist breit. Unser Handeln wird oft von ihnen bestimmt. Doch was bedeuten diese Emotionen – auch Affekte genannt – für die Forschung, die den Anspruch hat, objektiv und empirisch zu sein? Das Projekt »Die Affekte der Forscher« will dieser Frage auf den Grund gehen. Da-

und Arbeitsweisen von Primatologen, die im Orangutan Care Center auf der Insel Borneo arbeiten. Dort werden eigentlich verletzte und kranke Orang-Utans behandelt. Die Forscher gehen davon aus, dass die Arbeit mit den Tieren ihre Kollegen auch emotional berührt und dadurch womöglich auch ihre Forschung beeinflusst. Auch in anderen Disziplinen führen teilnehmende Forscher für das Projekt Emoti-

für haben sich Sozial und Kulturanthropologen, Primatologen und Literaturwissenschaftler zusammengefunden. Seit 2013 untersucht das Forscherteam die Emotionen, die bei Wissenschaftlern unterschiedlicher Disziplinen während der Feldforschung entstehen. Um Vergleichbarkeit herzustellen, werden nur Forschungsprojekte in Indonesien untersucht. Dafür beobachten die Forscher unter anderem die Forschungsbedingungen

onstagebücher. In diesen notieren sie ihre Affekte während der Arbeit. Projektleiter und Ethnologe Dr.Thomas Stodulka wertet diese aus und führt zusätzlich Interviews mit den Forschern. Feldforschung beruht oft vollkommen auf Begegnungen mit Menschen, auf interaktivem Austausch. Und der ruft Emotionen hervor. Doch viele Wissenschaftler blenden ihre eigenen Affekte aus. »Emotionen kann man aber nicht wegleugnen«, so

Stodulka. Auch seine eigene Arbeit ist oft von emotionalen Begegnungen geprägt: Er beschäftigt sich mit Kindern und Jugendlichen, die auf der Straße leben. Dass dabei auch persönliche Bindungen entstehen, liegt auf der Hand. Zahlreiche Schicksale berührten ihn: »Viele neu gewonnene Freunde habe ich im Laufe der Zeit sterben sehen.« Doch das Forscherteam will den Einfluss von Emotionen auf die Forschung nicht nur beschreiben, sondern auch empirisch messen und theoretisch konzeptualisieren. Stress, der durch die Begegnung mit Neuem entsteht, stellt sich als der zentrale Affekt heraus. Diesem begegnen Forscher in ihrer Feldarbeit weltweit. »Forscher befinden sich oft in extremen Stresssituationen. Permanent müssen sie in unterschiedliche Rollen schlüpfen und sich an eine fremde Umwelt anpassen«, erklärt Stodulka. Aber auch positive Emotionen gehören zum Forschungsalltag – etwa wenn man im Gespräch Zugang zu seinem Forschungsobjekt findet. Die neuesten Ergebnisse des Projekts deuten darauf hin, dass es in der Feldforschung einen Zyklus aus positiven und negativen Affekten gibt. Aber Stodulka warnt auch davor, diese als störenden Faktor abzutun: »Emotionales Wissen ist wertvoll.Wir wollen verhindern, dass es verloren geht.« Stattdessen müssen sie reflektiert und in den Forschungsprozess einbezogen werden. Petya Zyumbileva studiert Medien und Politische Kommunikation. Das Verfassen dieses Autorenkastentextes hat sie emotional aufgewühlt.


38

Campus

Der empörte Student Ruhestätte Mensa II: Hier verspeisen Studierende die traurigen Überreste anderer Lebewesen. Unsere Autorin hat Mitleid mit sich und den Tieren. Text: Cecilia T. Fernandez | Illustration: Zoë Schütte

Liebstes Schwein,

FURIOS 14 IMPRESSUM

verzeih mir, bitte. Gewiss hattest du große Träume, als du noch auf kleinen Klauen durch einen Stall in Brandenburg stolziertest. Bestimmt wolltest du gekrönter Anführer deiner Schweineherde werden und die fetteste Sau ehelichen. Nun aber liegst du hier vor mir, im Flutlicht der großen Mensa bis auf die Knochen entblößt und in mundgerechte Stücke gehackt. Liebstes Schwein, hier zu enden ist unwürdig. Ist es dir zumindest ein Trost, dass nicht du allein im kulinarischen Fegefeuer gelandet bist? Immerhin sind die Brokkoliröschen und Bandnudeln an deiner Seite so konsequent durchgekocht, dass sie dem Gebiss weniger Widerstand leisten als Großmutters Busen der Gravitation. Ich gebe zu, das Mensa-Essen zu monieren ist müßig. Immerhin bist du, arme Sau, billig zu haben! Und habe ich erst einmal die Schlange an der Kasse überstanden, ist mein bitteres Hungergefühl schon so angeschwollen, dass ich auch dankbar Kieselsteine lutschen würde. Doch nicht einmal jetzt kann ich dich verspeisen, mein liebes Schwein. Denn einen Sitzplatz sehe ich hier weit und breit nicht. Erst einmal muss ich aufpassen, dass ich mir nicht den Hals breche: Vorsichtig umgehe ich die feuchten Essensreste, die

die Gourmets hier schon um die Tische verteilt haben. Gar nicht so leicht, mich hier zurechtzufinden, während der Lärm meine Trommelfelle auf die Zerreißprobe stellt. Dazu diese Mischung aus den Düften von Mahlzeiten, Körperflüssigkeiten und schelmisch abgesonderten Flatulenzen – meine Nase verweigert den Dienst. Ich beneide dich ein wenig um deine Gleichgültigkeit, Schweinchen. Aber siehe da, ich erspähe ihn trotz meiner Sinneseinschränkungen: den Kommilitonen, der alleine mit seiner Tasche und seinem Laptop den Tisch besetzt, an dem eigentlich sechs Personen zu Mittag essen könnten. Nicht nur muss ich meinen Albtraum wahr machen, mit einem Wildfremden am Tisch zu essen, ich muss ihn auch noch höflich bitten, mir Platz zu machen. Dass wir uns alle um die Mittagsstunde wie

Herausgeber: Freundeskreis Furios e.V.

Redaktionelle Mitarbeit an dieser Ausgabe:

Chefredaktion: Melanie Böff, Cecilia T. Fernandez (V.i.S.d.P, Freie Universität Berlin, JK 26/222a, Habelschwerdter Allee 45, 14195 Berlin)

Lisa Ahrens, Sarah Ashrafian, Melanie Böff, Thekla Brockmüller, Alexandra Brzozowski, Monica Camposeo, Julian Daum, Friederike Deichsler, Margarita Dreiling, Mareike Edler, Enno Eidens, Marie Halbich, Christopher Hirsch, Ann-Kathrin Jeske, Max Krause, Nina Michaelis, Friederike Oertel, Simon Purk, David Rouhani, Anke Schlieker, Florian Schmidt, Hanna Seilheim, Lior Shechori, Cecilia T. Fernandez, Veronika Völlinger, Carlotta Voß, Friederike Werner, Petya Zyumbileva

Ressortleitung Politik: Max Krause, Francis Laugstien, Veronika Völlinger

Ressortleitung Campus: Alexandra Brzozowski, Mareike Edler

Ressortleitung Kultur: Julian Daum, Carlotta Voß

Ressortleitung Wissenschaft: Sophie Krause, Simon Purk

Layout: Jana Hößler Chefin vom Dienst: Dorothea Drobbe

Illustrationen: Julia Fabricius, Cora-Mae Gegorschewski, Die greta, Faustina Kork, Robin Kowalewsky, Luise Schricker, Zoë Schütte, David Stach

Fotografien: Milena Andrée, Margarita Dreiling, Dorothea Drobbe, Marie Halbich, Christopher Hirsch, Daniel Krause, Friederike Oertel, Anke Schlieker

ein Rudel übergeschnappter Gefängnisinsassen am Fressloch versammeln müssen, liegt vor allem daran, dass ab 14.30 Uhr die Speisekarte dramatisch gekürzt wird. Nun könntest du vielleicht denken, das sei wenigstens gut für die Linie, mein Schwein. In Wahrheit bedeutet es jedoch, dass gegen Abend nur noch die grell beleuchtete Fast-Food-Theke lockt. Den Hungrigen kommen dann höchstens Würste und Pommes auf den Teller, an denen das Fett abperlt wie der Morgentau am Grashalm. Dabei kommt mir ein Gedanke, liebstes Schwein: Dein Ende ist wahrlich kein glorreiches – doch immerhin wurdest du nicht zu Wurst verarbeitet! Als Mensafleischgericht des Tages erlangst du zwar keinen Ruhm. Doch zumindest endest du so in meinem Darm, und nicht in deinem eigenen. Herzlichst, Cecilia

Titelgestaltung: Milena Andrée (Foto), Jana Hößler Lektorat: Matthias Bolsinger, Sophie Krause, Simon Purk, Florian Schmidt, Valerie Schönian, Friederike Werner ISSN: 2191-6047 www.furios-campus.de redaktion@furios-campus.de Jeder Autor ist im Sinne des Pressegesetzes für den Inhalt seines Artikels selbst verantwortlich. Die in den Artikeln vertretenen Meinungen spiegeln nicht zwangsläufig die Ansicht der Redaktion wider. Gemäß dem Urheberrecht liegen die Rechte an den einzelnen Werken bei den jeweiligen Autoren.



LEBENSMITTEL? LIEFERN WIR! NEU:

LIEFERSERVICE

IM STADTGEBIET

BERLIN.

• alles für eine gute Party, die Klausurphase oder den täglichen Bedarf • bis zu 5.000 Produkte • Wocheneinkauf in unter 5 Minuten – auch während der Vorlesung • rund um die Uhr auf real-drive.de bestellen • lass´ Dir Deinen Einkauf einfach nach Hause liefern oder hol´ ihn zum Wunschtermin bei uns ab

real,- Drive Berlin-Wedding Ungarnstr. 24 – 25 13349 Berlin-Wedding (neben der Einfahrt zum Parkhaus „Schiller Park Center“)

Weitere Infos zum neuen Lieferservice


Turn static files into dynamic content formats.

Create a flipbook
Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.