WINTER 2016/17 AUSGABE 17
In der Blase - sind wir tatsächlich gefangen?
Editorial
Liebe Kommilitoninnen, liebe Kommilitonen die Universität erscheint uns oft wie ein in sich abgeschlossener Raum. Hier gelten andere Regeln als im Rest der Welt. Hier sind wir andere Menschen als im Rest der Welt. So kommt uns die Universität - und vor allem die FU - manchmal vor. Haben wir den Kontakt zur Außenwelt verloren? Manche Forschungsprojekte scheinen auf den ersten Blick nichts mehr mit der Praxis zu tun zu haben. Was soll es schon bringen, sich mit «Identitäten im späten akeramischen Neolithikum der Südlevante” auszukennen? Auf Seite 15 erfahrt ihr, wie realitätsfern solche Forschungsprojekte wirklich sind. Nicht nur die Inhalte, sondern auch die Art zu sprechen, grenzen die Universität vom Rest der Welt ab. Wir setzen unsere Sprache bewusst ein, um eine politische Position zu vertreten oder möglichst inklusiv zu sein. Was für uns selbstverständlich ist, muss außerhalb von akademischen Kontexten aber nicht zwangsläufig gelten. Wir haben mit einem Sprachwissenschaftler und der Leiterin des Margheritha-von-Brentano-Zentrums über den Sprachgebrauch innerhalb und außerhalb der Universität gesprochen. Denn um ehrlich zu sein, reden wir in der Uni ganz anders als in der Kneipe. Das Interview lest ihr auf Seite 10. Aber natürlich hat dies auch etwas Gutes. Gewisse Dinge sind zurecht - an der Uni nicht sagbar. Während der Rechtspopulismus in ganz Deutschland lauter wird, scheint es solche Meinungen hier gar nicht zu geben. Doch sind sie wirklich an der Uni abwesend? Oder trauen sich Menschen, die solche Meinungen vertreten, einfach nicht, diese öffentlich auszusprechen? Auf
Seite 6 sind wir diesen Fragen nachgegangen. Die Uni scheint jedoch in mehr als einem Aspekt ein sicherer Ort für uns zu sein. Wie sehr wiegen wir uns in Sicherheit, wenn wir unsere Wertsachen kurzerhand an unserem Arbeitsplatz in der Bibliothek liegen lassen. Doch können wir unseren Kommilitonen wirklich vertrauen? Wir haben den Selbstversuch gewagt und unseren Autoren auf einen Diebeszug geschickt. Wie einfach es wirklich ist, fremdes Eigentum einzustecken, lest ihr auf Seite 14. Auch unsere Ressorts bieten euch viele spannende Themen. Wir berichten von einem Studiengang, der eigens für Frauen ausgeschrieben ist und bemerken: Ein erster Schritt auf dem Weg zu gleicher Teilhabe, aber noch lange nicht genug. Wir zeigen euch, dass die Uni - obwohl sie imme so tolerant erscheint - einigen ihrer Studierenden das Leben sehr schwer macht. Auf Seite 34 erfahrt ihr, wie man es vom Literaturwissenschaftler zum Literaten schafft. Falls ihr einen Grund sucht, euch vor dem Lernen zu drücken: Wissenschaftler wollen herausgefunden haben, dass Menschen mit Studienabschluss häufiger an Gehirntumoren erkranken. Was dahinter steckt, lest ihr auf Seite 38. Wir wünschen euch viel Freude bei der Lektüre der siebzehnten Ausgabe von FURIOS. Anke Schlieker und Sarah Ashrafian
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INHALT – Ausgabe 17 4
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CAMPUS 26 Dahlem Utopia
TITELTHEMA: IN DER BLASE
Wie schön könnte das Leben an der Uni sein, gäbe es diese Utopien tatsächlich.
06 Alternativlos an der FU
28 Die Rolle, die ich spiele
Unsere Autorin erscheint das Studium manchmal wie ein Schauspiel. Eine Theaterkritik.
Studierende sind alle der gleichen, linken Meinung. Doch gibt es an Universitäten wirklich nur diese eine Haltung?
08 Eine Uni für sich
29 Mehr als Null und Eins
Ein Frauenstudiengang der HTW soll mehr Weiblichkeit in die IT-Branche bringen. Ausreichend ist das nicht.
Acht Eigenheiten der FU, die man anderswo vergeblich suchen würde.
10 »In der Kneipe rede ich anders«
30 Wo bin ich hier gelandet?
Zwei Wissenschaftler im Gespräch über Sprache innerund außerhalb der Universität.
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Auf dem unendlichen Weg nach Bad Saarow und verloren auf YouTube.
12 Not my president
31 Ewige Ehemalige: Rebellion bis ganz nach oben
Zwischen Rebellion und Konformität: Ska Keller war einst Punk - jetzt sitzt sie im Europaparlament.
Gefangen in der liberalen Blase. Unser Autor berichtet nach der Wahl Trumps von der liberalsten Universität der USA.
14 Criminal Mind Im Selbstversuch testet unser Autor, wie einfach es ist,
42 Die empörte Studentin
Manche Forschungsprojekte sind ziemlich weltfremd? Ganz genau!
KULTUR 32 Sie leben unter uns Die studentische Kultur ist vielfältiger als man denkt. Auf der Suche nach Subkulturen auf dem Campus.
16 Filterblasen sind für Faule
Manche Forschungsprojekte sind ziemlich weltfremd? Ganz genau!
33 Klappe, die Erste! Eine Masterstudentin bringt Kreativität in die Filmwissenschaften.
18 4 aus 40.000
Eine Hassliebe zwischen Studentin und Semesterticket. Ein Liebesbrief?
fremde Laptops einzustecken.
15 »Was uns das nützt? Wenig!«
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Vier Angehörige der FU verraten, welche Blase sie gerne platzen lassen würden.
POLITIK 20 Unfreie Universität Unisextoiletten können doch nicht so schwer sein. Wie die Uni Trans*Studierenden wie Felicia Steine in den Weg legt.
34 Der Autor lebt
Es ist doch bloß Papier. Über einen Literaturwissenschaft- ler, der selbst zum Literaten wurde.
36 Die Geklaute Rubrik Wie erkläre ich nur, dass ich heute zu Hause bleibe? Das Bilderrätsel - geklaut aus der »NEON«.
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22 Die reformierte Reform
Das Bachelorsystem steht nahezu dauerhaft in der Kritik. Jetzt soll eine Reform den Druck für Studierende senken.
23 »Wir sind keine politischen Akteure«
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Kann wissenschaftliche Unabhängigkeit bei der Zusammenarbeit mit dem Auswärtigen Amt gewahrt bleiben?
24 Machen die Schotten dicht? Nach der Brexit-Entscheidung könnte Schottland bald unabhängig werden. Die Konsequenzen kennt keiner.
WISSENSCHAFT 37 Ausgeschlafen? Von Nachteulen und Weckern - Wieso uns chronische Müdigkeit stresst.
38 Nebenwirkung - Gehirntumor Macht uns Studieren krank? Wissenschaftler meinen eine Antwort gefunden zu haben und sagen: Ja.
40 Gemeinsam einsam Über das Alleinsein - ein Thema, das selten angesprochen wird.
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Inhaltsverzeichnis
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Titel
Titel
»»
Alternativlos an der FU Diversität und Toleranz werden an der Uni großgeschrieben. Dafür sind politische Diskurse aber sehr einseitig. Sind also alle einer Meinung? Oder bleiben andere Ansichten bloß unausgesprochen? Text: Friederike Werner Illustration: Robin Kowalewsky
Alle Studierenden sind links, weltoffen und tolerant. So etwas wie die AfD gibt es an der Uni nicht - Bildung schützt schließlich vor Populismus. Oder? Der Schock war groß, als in Kassel vor einem Jahr der erste Kandidat der »Jungen Alternativen Hochschulgruppe« ins Studierendenparlament einzog. Muss das Klischee des links-orientierten Studierenden nun überdacht werden? Dr. Carsten Koschmieder forscht an der FU zu Rechtsextremismus, Rechtspopulismus und dem Zusammenhang zwischen Ungleichheit und Partizipation. Er sieht einen Unterschied im Lebensstil von gebildeten und ungebildeten Leuten. Als Studierender absolviere man Auslandssemester, beschäftige sich mit anderen Ländern und mache Projekte im Ausland. »Bildung ist eine Zwischenvariable. Sie befähigt uns, gewisse Erfahrungen zu sammeln, die uns toleranter und offener machen. Und sie sorgt – in der Regel – auch dafür, dass wir uns weniger materielle Sorgen machen müssen.« Statistiken bestätigen, dass Menschen mit formal niedrigerer Bildung anfälliger für rechtsextreme Einstellungen sind. »Wenn ich bestimmte Menschen nie treffe, kann ich auch meine Vorurteile über sie schwieriger abbauen«, erklärt Koschmieder. Man wisse außerdem, dass Leute, die beispielsweise die AfD wählen, mit ihrer wirtschaftlichen und sozialen Situation unzufrieden sind. 90 Prozent von ihnen geben an, sie hätten das Gefühl, dass das Leben schlechter und unsicherer wird. »Wer formal hochgebildet und deswegen mobil ist, kann viel schneller auf seine Unzufriedenheit reagieren und sich neu orientieren«, erklärt Koschmieder. Trotzdem ist es ihm wichtig zu betonen, dass rechtsextreme Einstellungen in allen gesellschaftlichen Schichten auftauchen: »Es ist nicht so, dass es diese Leute an der Uni nicht gibt.« Aber im Diskurs werden sie nicht sichtbar. Wo sind sie? Und was bringt jemanden, der weder abgehängt noch ungebildet ist, zur AfD? »Ich bin der Meinung, dass das, was Deutschland kulturell ausmacht, schützenswert ist«, antwortet Ambros Tazreiter auf diese
Frage. Der FU-Student ist Pressesprecher der Jungen Alternative Berlin. »Und ich glaube, dass eine Welle an illegalen Migranten uns nicht voranbringen wird.« So weit, so diskussionswürdig. Dass immer wieder darauf herumgeritten werde, dass nur ungebildete Menschen die AfD wählen, sei ein Versuch, die Partei zu diffamieren, sagt Tazreiter. Er geht davon aus, dass viele Studenten mit der AfD sympathisieren, dies aber nicht zugeben. Auch wenn es sich dabei möglicherweise nur um eine handvoll Menschen handelt: Sie weisen auf einen blinden Fleck vieler Studierende hin, die davon ausgehen, dass ihre Kommilitonen genau so links sind wie sie. Dabei gehen Wahrnehmung und Realität des Meinungsspektrums an der Uni auseinander. Nicht alle Studierende sind sich einig, vielmehr bevorzugt der Diskurs eine bestimmte Meinung - und das beginnt schon bei Positionen, die im Gegensatz zu denen der AfD vollkommen legitim sind. Sie sind nur eben nicht links genug. Im Studierendenparlament beteiligen sich meist nur die kritischen Linken – die anderen bleiben stumm. »Der Asta ist nicht das realistische Abbild der gesamten Studentenschaft«, sagt auch Koschmieder. Ronald Gläser hat Mitte der 90er Jahre BWL und Amerikanistik an der FU studiert, heute ist er Pressesprecher der AfD Berlin und Redakteur der rechten Wochenzeitung «Junge Freiheit”. Er sagt, er habe sich damals noch nicht zu seinen politischen Ansichten bekannt. Als Problem habe er das jedoch nicht empfunden: »Ich habe meine politischen Anschauungen nie an der Universität ausleben müssen. Da gab es für mich nichts zu gewinnen, ich war dort, um zu studieren und empfand es als Zeitverschwendung, mich hochschulpolitisch zu engagieren.« Stattdessen habe er sich lieber der Politik außerhalb der Uni zugewandt. Dass die AfD bei Studierenden wenig Unterstützung erfährt, hat für ihn weniger mit Bildung zu tun, als vielmehr mit dem Lebensabschnitt, in dem sie sich befinden: »Die wachen erst auf, wenn sie ihre erste Lohnabrechnung bekommen und sehen, dass 50 Prozent ihres Gehalts an den Staat gehen – um damit
Leute zu finanzieren, die keine Lust haben zu arbeiten oder ihre Bank gegen die Wand gefahren haben.« Er glaubt, dass ein anderes Denken einsetze, sobald Leute älter werden und Kinder haben. »Dann beschäftigen sie sich mit ihrer Nachbarschaft, fangen an, eine Lokalzeitung zu abonnieren und interessieren sich mehr für die Politik ihres Kindergartens als für Trump und Obama.« Mein Haus, mein Kind, meine Nation? Was für eine traurige Zukunftsvision. Die AfD-Sympathisanten, die sich hochschulpolitisch engagieren, kämen erst mal bei anderen Gruppen unter, glaubt Gläser: »Die würden sich nicht den AfD-Namen geben, um nicht gleich alle Ressentiments zu mobilisieren.«
das nicht in den Diskurs einbringen dürfen. Ich glaube auch nicht, dass sich jemand abreagiert, wenn er seine Gedanken mal rauslässt. Diese Einstellungen verstärken sich durch den Diskurs erst.« Die Phrase »Man wird ja wohl noch sagen dürfen« bedeute in Wirklichkeit nicht, dass jemand etwas einfach mal sagen möchte, sondern dass er es unwidersprochen sagen möchte. »Dass dieser Widerspruch nicht ausbleibt, ist für mich eine große Errungenschaft und kein Problem.«
Es klingt wie ein Vorwurf, die AfD sieht sich gern in der Opferrolle. Hat sie ein Recht darauf? Sind die Vorbehalte gegen die Partei berechtigt oder schränken sie die Meinungsfreiheit ein? Meinungsvielfalt sollte auch an der Uni gewährleistet sein – aber nur, solange sie sich im demokratischen Rahmen bewegt. Dass die AfD hier Grenzen überschreitet, findet Gläser nicht. Auch rassistisch sei in seiner Partei niemand. Aussagen von Beatrix von Storch oder Frauke Petry zum Thema Flüchtlinge und Grenzschutz seien durch die Medien falsch interpretiert. Die Verfassungskonformität der AfD ist in vielen Aspekten Anzeige fragwürdig. Es verwundert nicht, dass für rassistische Diskussionen an der Uni kein Platz ist. Aber oft werden im universitären Diskurs bereits konservative Meinungen nicht akzeptiert. Alicia Lohmann, Vorsitzende der Liberalen Hochschulgruppe an der Freien Universität (LHG FU), kritisiert das. Die Einseitigkeit der hochschulpolitischen Landschaft werde schon bei den Einführungsveranstaltungen sichtbar, wenn sich nur linke Gruppen vorstellen, sagt sie. Die LHG FU ist die einzige liberale Gruppe der Uni und Lohmann erzählt, dass sie großen Zulauf habe: «Es gibt viele Leute, die sich an der Uni nicht repräsentiert fühlen.« Dass einige Mitglieder eigentlich am liebsten einer AfD-Hochschulgruppe beitreten würden, glaubt sie aber nicht. «Wir grenzen uns scharf von der AfD und jeglicher Hetze gegen Flüchtlinge ab.” Gruppen wie die LHG FU oder der konservative Ring Christlich Demokratischer Studenten (RCDS) gehen im linken Tenor der Hochschulpolitik beinahe unter. Welche Gefahr birgt es, wenn Studierende das Gefühl haben, dass an der Uni kein Raum für ihre Meinung ist? Die Tabuisierung bestimmter Positionen in der Hochschulpolitik sei absurd und wenig sinnvoll, sagt Koschmieder. «Nähe zur CDU oder FDP gilt in manchen Bereichen beispielsweise nicht mehr als legitime politische Einstellung, sondern als inakzeptabel. Studierende sollten sich auch mit Positionen auseinandersetzen, die sie nicht teilen.” Dabei müsse aber natürlich auf einen demokratischen Konsens geachtet werden, an dem nicht gerüttelt werden kann. Bestimmte Dinge sollten jedoch nicht mehr diskutiert werden findet Koschmieder: »Wenn jemand der Meinung ist, dass Ausländer minderwertig sind, sollte er
Vor ihrem Interview bei der AfD wurdeFriedrikeWernergefragt, obsiezumVorstellungsgesprächda sei. Zum Glück nicht.
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Eine Uni für sich Titel
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Acht Eigenheiten der FU, die ihresgleichen suchen Von außen betrachtet wirkt die FU wie ein abgeschlossener Kosmos. Von innen vergisst man manchmal wie einzigartig sie ist. Wir erinnern euch an acht Charakterschwächen, die die FU zu einem Liebhabermodell machen. Text: Theodor Wilde Illustrationen: Katharina Chowanski
An der Freien Universität hat man erkannt, woran es Deutschland lange Zeit gemangelt hat. Selbstverständlich geht es um das Pferdezentrum der FU in Bad Saarow, an dem man im Bachelor Pferdewissenschaften studieren kann. Das klingt anfangs ein bisschen nach Bibi und Tina. Daran ändert sich angesichts solcher Module wie »Mensch-Pferd-Beziehung« später nicht besonders viel, allerdings wird die universitäts- eigene Reiterhofidylle am Scharmützelsee noch durch eine weitere Komponente ergänzt. Das Vertiefungsmodul »Reproduktion« bereitet die Studierende nämlich auf ihren potentiellen Arbeitsplatz in einer Besamungsstation für Pferde vor.
Überall auf dem Campus finden sich die Villen der Berliner Reichen. Das sorgt dafür, dass der geneigte Klassenkämpfer nie weiter als einen Pflastersteinwurf von der verhassten Bourgeoisie entfernt ist. Während Revolutionäre anderswo weite Reisen auf sich nehmen müssen, um in Kontakt mit dem Klassenfeind zu kommen, lässt sich an der Freien Universität bequem auf dem Weg vom Marxismus-Seminar zum studentischen Kolloquium für Globalisierungskritik ein wenig Spucke in den Vorgärten der kapitalistischen Ausbeuter hinterlassen.
Die Silber-, Holz- und Rostlaube bilden zusammen einen labyrinthartigen Komplex, in dem man sich nur ungern alleine auf die Suche nach einem Raum machen möchte – zu real scheint die Gefahr, verloren zu gehen und erst Jahre später als Skelett wieder aufzutauchen. Um diesem Gräuel vorzubeugen, gibt es seit einiger Zeit die Terminals des Elektronischen Wegeleitsystems an Eingängen und wichtigen Wegkreuzungen, an denen man sich den schnellsten Weg zu seinem Raum anzeigen lassen kann. Eine notwendige, aber keinesfalls hinreichende Hilfestellung - für alle ohne abgeschlossenes Kartographiestudium.
Bei der BVG hat man sich wohl gedacht, dass der Name des U-Bahnhofs »Dahlem-Dorf« so unsexy ist, dass man etwas unternehmen muss, um dem entgegenzuwirken. Und so wurden Sitzgelegenheiten installiert, die in ihrer Form nackten menschlichen Körpern nachempfunden sind. Das lässt den erschöpften Studierenden die Wahl, ob sie ihre Köpfe lieber an einen Busen aus Holz anlehnen möchten oder sich optional auf einem halb in die Sitzfläche eingelassenen Phallus niederlassen möchten. Und für alle, die sich nach dem Kampf mit den gleichsam hölzernen wie unbequemen Geschlechtsmerkmalen nach richtigem Körperkontakt sehnen, lässt die BVG sicherlich gerne einen komplett überfüllten Kurzzug halten, in dem man alle anderen Fahrgäste hautnah erleben kann.
Die korrekte Terminologie wird an der FU mitunter zwar nicht immer richtig, dafür aber großgeschrieben. Das macht sich gerne auch in den Seminaren bemerkbar, wo die ganz großen Debatten geführt werden, über die man Raum und Zeit vergisst: Durch die beharrlich fehlende Kompromissbereitschaft einiger Studenten verstreicht allein die Hälfte der Lehrveranstaltung damit, eine ausgiebige Diskussion darüber zu führen, ob man das Wort »Flüchtlingshilfe« aus seinem Sprachgebrauch entfernen sollte. Letztendlich kommt es doch zu keiner Lösung – dafür aber zu einigen persönlich verletzenden Kommentaren. Die von Sir Norman Foster entworfene Philologische Bibliothek ist ein architektonischer Leckerbissen. Wirklich einzigartig wird sie aber durch die Tatsache, dass es seit ihrer Eröffnung im Jahr 2005 nicht gelungen ist, das lecke Dach zu reparieren. Bis heute müssen bei jedem kräftigen Regenguss Eimer im Innern aufgestellt werden, um die Tropfen aufzufangen. Immerhin eröffnet sich Studierenden, die mit einem defekten Laptop, etwas Geschick und nicht zuletzt ausreichend krimineller Energie ausgestattet sind, die Möglichkeit, ihren vorgeschädigten Laptop einfach so zu platzieren, dass er zusätzlich noch einen Wasserschaden bekommt. Denn in der Vergangenheit wurden Reparaturkosten tatsächlich schon von der Bibliothek beglichen.
Es ist ein Fluch. Egal wie progressiv man sich an der FU fühlt und geriert, es gibt immer noch Gruppierungen, die einen links überholen. Das mussten dieses Semester auch die Initiatoren der kritischen Orientierungswochen feststellen. Weil die Freie Universität nun einmal die Freie Universität ist, tauchte prompt und unausweichlich ein Flyer auf: Die ach so kritische Orientierungswoche spiele Alt und dem System in die Karten, indem sie die Subversion der Jugend kanalisiere. Ähnlich wie bei den Volksfronten in Judäa, gibt es aber mit Sicherheit auch eine weitere linke Gruppe an der FU, die diese Kritik der Kritik für kritisierbar genug hält, um ihren eigenen Senf dazuzugeben.
Winterzeit ist Glühweinzeit. Und wenn es mal kein Alkohol sein soll, gibt es auch verschiedene Alternativen ohne Umdrehungen, mit deren Hilfe man sich warmhalten kann. Warum sollte man aber auf so etwas Konventionelles wie heiße Schokolade zurückgreifen, wenn die Lösung doch so nahe liegt: Glühmate. Überall anders würde man für so eine Idee vom Pöbel mit Fackeln und Mistgabeln aus dem Dorf gejagt werden. Nicht so an der FU. Ob die Brühe schmeckt, ist dabei nur zweitrangig. Hauptsache innovativ.
Für Pferde wird sich Theo Wilde nie erwärmen. Höchstens umgekehrt. Wenige Minuten in der Mikrowelle und die Lasagne ist fertig.
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»In der Kneipe rede ich anders« Die studentische Blase offenbart sich nicht zuletzt durch die Sprache, die wir gebrauchen. Doch ist das hinderlich oder sogar notwendig? Und müssen Sprachrevolutionen von der Uni ausgehen? Prof. Dr. Margreth Lünenborg ist wissenschaftliche Leiterin des Margarita-von-Brentano-Zentrums und Prof. Dr. Horst Simon Professor für historische Sprachwissenschaft. Ein Gespräch über das Gendern und vorschreibende Pädagogik. Text nnd Fotos: Anke Schlieker, Sarah Ashrafian
Frau Lünenborg, Herr Simon, im universitären Kontext wird eine andere Sprache gesprochen als im Rest der Gesellschaft. Wird somit ein neuer Sprachraum geschaffen? Lünenborg: Ich sehe die Universität und die nicht-akademische Welt nicht als abgeschlossene Glocken, die sich nicht berühren. Das wäre ja furchtbar. Es gibt auf jeden Fall Wechselwirkungen. Aber Sprache ist immer sozial und kulturell verortet. Wie wir hier sprechen, unterscheidet sich natürlich davon, wie ich mit Freunden in der Kneipe spreche. Simon: Im akademischen Diskurs, gerade an der FU, halten wir das Genderthema für zentral. In der Öffentlichkeit gibt es aber oft massiven Gegenwind. Ganz deskriptiv: Der Unterstrich und das Gendersternchen sind außerhalb von Universitäten und gewissen gesellschaftlichen Gruppen nicht weit verbreitet. Es ist daher natürlich ein Beispiel für eine Blase, dass wir so reden und aus gutem Grunde so reden. Viele andere erachten das aber als irrelevant, wenn nicht sogar als vollkommen hirnrissig. Lünenborg: Deswegen wünsche ich mir, dass eine Auseinandersetzung mit Sprache, die wir hauptsächlich in Seminaren führen, auch Wirkungen außerhalb der Universität erzeugt. Natürlich gibt es auch außerhalb des akademischen Betriebs Menschen, für die es wichtig und selbstverständlich ist, kreativ mit der deutschen Sprache umzugehen, sodass sie möglichst inklusiv ist, möglichst Viele adressiert und idealerweise auch immer mindestens zwei Geschlechter sichtbar macht. Ob eine Person gendert oder nicht, sagt sehr viel über sie aus. Kann es nicht dadurch soweit kommen, dass plötzlich direkt über die Sprache der Bildungshintergrund einer Person erkannt
wird? Simon: Wir können nicht vermeiden, dass Sprache etwas über die Person aussagt, die sie verwendet. Das geht los mit der Hypothese, die Sie über meine Geschlechtsidentität haben, allein schon durch meine Stimmlage. Aus der Art, wie meine Vokale ausgesprochen werden, haben Sie eine grobe Idee, aus welcher Region ich komme. Auch soziale Milieus sind eines der Parameter, die eine Rolle spielen. Gehört eine Person zu den Linken aus Kreuzberg oder kommt sie aus einem Nobelvorort von München? Das macht sich zum Beispiel daran fest, wie viele Fremdwörter sie verwendet. Das Benutzen von verkomplizierter Sprache kann auch zu Unverständnis oder Kommunikationsschwierigkeiten führen. Simon: Natürlich, aber das ist mit allen Fremd- und Fachwörtern so. Fachwörter muss man kennen, um sie zu verstehen. Aber die benutze ich hauptsächlich im akademischen Diskurs. Mit der Öffentlichkeit muss ich ja nicht genauso reden, das würde man auch von keinem Physiker erwarten. Sie sollen untereinander so reden, wie es wichtig ist, um zu ihrer Erkenntnis zu gelangen. Und dann möchte ich, dass sie mir die Essenz ihrer Forschung mit einfachen Worten erklären. Lünenborg: Manchmal brauchen wir einfach Begriffe, die nicht alltäglich sind, um deutlich zu machen, was wir damit erklären wollen. Manchmal brauchen wir um der Präzision Willen auch schwierigere Wörter, die uns etwas quer im Mund liegen. Besonders Kinder, die nicht aus akademischen Familien kom-
men, sind aber oft abgeschreckt von der Art der Sprache an Universitäten.
Ist es Aufgabe der Universität, neue sprachliche Impulse zu setzen, die dann vom Rest der Gesellschaft übernommen werden?
Lünenborg: Ja das stimmt. Personen, die aus einem nichtakademischen Umfeld an Universitäten kommen, haben oft das Gefühl: »Oh Gott, wovon reden die überhaupt?« Es kann nicht darum gehen, die Studierenden in einer Erstsemesterveranstaltung mit einer Flut an Fremdwörtern zu konfrontieren. Dadurch wird rhetorisch ein Gefühl von Fremdheit erzeugt. Für mich als Hochschullehrerin bedeutet das, neu bei uns ankommendeStudierendebehutsam in dieses Feld einzuführen.
Simon: Ja, denn beispielsweise hinter dem Gendern steht zunächst eine empirische Erkenntnis: Wir denken unterschiedlich über Menschen, je nachdem welche Sprache verwendet wird. Es gibt ein Problem mit Sprache und Geschlecht. Das zu beweisen ist die Aufgabe der Universitäten. Wer der Meinung ist, dass Frauen gewisse Rechte haben sollten, muss irgendwie mit dem Thema umgehen. Die Universität kann verschiedene Möglichkeiten vorschlagen, die die Gesellschaft annehmen kann oder auch nicht.
Wie wahrscheinlich ist es aus linguistischer Perspektive, dass bewusste Einflussnahme auf Sprache im Alltag übernommen wird?
Lünenborg: Ich würde nicht sagen, dass der Impuls für das Gendern aus der Universität hervorgegangen ist. Gerade mit Blick auf Geschlechterverhältnisse gibt es eine lange Tradition von sozialen Bewegungen: Von Frauenbewegungen, von Queer-Communities, die in die Universitäten hineinwirken und in den Universitäten dann wiederum weiter wirken. Ich sehe nicht zwangsläufig Universitäten als Nukleus der Innovation, sondern auch als ein Feld, das auf andere gesellschaftliche Formationen reagiert. Nichtsdestotrotz sind wir uns im wissenschaftlichen Betrieb in besonderer Weise über Wirkung und Deutungsmächtigkeit von Sprache bewusst. Damit haben wir auch eine bestimmte Verpflichtung, dies in unserem Sprachgebrauch umzusetzen. Ich halte es für selbstverständlich, sich zumindest Gedanken zu machen, welche Inklusion oder Exklusion ich durch Sprache vornehme.
Simon: Ich glaube, sie wurde schon übernommen. Aber vielleicht denke ich auch so, weil sich mein ganzes Leben in dieser Blase abspielt. Im Englischen sieht man das manchmal besser als im Deutschen. In den 70er Jahren schrieb man etwa noch: »When the student …, he will...«. Und heute heißt es »they will ...«. Das widerspricht allen Regeln der englischen Grammatik, aber es hat sich durchgesetzt. Dass man Frauen sprachlich mitdenkt, ist auch in Deutschland mittlerweile viel weiter verbreitet. Teilweise ist es sogar gesetzlich vorgeschrieben, zum Beispiel bei Stellenanzeigen. Sind solche Prozesse natürliche oder unnatürliche Formen des Sprachwandels? Simon: Sprachwandel funktioniert normalerweise unbewusst. Wer Texte schreibt, weiß, dass Gendern nervig ist. Und die Tatsache, dass wir dauernd darüber nachdenken müssen, ist ein Beweis dafür, dass es ein unnatürlicher Sprachwandel ist. Aus einer solchen Perspektive ist es natürlich zum Scheitern verurteilt, Sprache verändern zu wollen, indem man Leuten vorschreibt, was sie zu tun haben, um gendermäßig brav zu sein.
Anke und Sarah haben keine Verständigungsprobleme. Sie verstehensichauchohneWorte.
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Not my President NachderWahlDonaldTrumpszumUS-PräsidentenprotestiertenlandesweittausendeStudierende.BesondersinderliberalenEnklave Kalifornien hatte niemand mit dem Ergebnis gerechnet. Trotzdem müssen die Studierenden nun mit den Folgen umgehen. Ein Bericht von einer der liberalsten Universitäten des Landes. Text und Foto: David Rouhani
Es geht ruhig zu in Isla Vista am 8. November. Freiwillige versuchen, die letzten Wahlberechtigten an die Urne zu locken. Lokale Abgeordnete gehen noch einmal auf Stimmenfang. Ansonsten ist wenig zu spüren von der Aufregung, die seit Monaten die Medien beherrscht. Isla Vista, das ist ein Ort mit 20.000 Einwohnern an der kalifornischen Küste, der zu knapp 80 Prozent von Studierenden der University of California Santa Barbara (UCSB) bevölkert wird. Die Universität gilt als eine der liberalsten im ganzen Land. Ähnlich wie die FU stellt der Ort in Sachen politische Orientierung eine große Ausnahme dar. Hier können die meisten nichts anfangen mit Trumps Hass, mit der Wut und Angst der Weißen anderswo. Die Gruppe der Campus Republicans und Trump-Sympathisanten machen hier bloß einen kleinen Teil der Studierendenschaft aus. Stattdessen wird in Vorlesungen darüber debattiert, wieso es überhaupt wichtig ist zu wählen. Eigentlich warten die meisten nur noch darauf, dass Hillary Clinton den erwarteten Sieg einfährt.
Einen Tag später ist die Realität in diese unbeschwerte, liberale Blase eingeschlagen. Bedürfte es noch einer Bestätigung, dass an dieser Wahl nichts normal war, dann gibt es sie am Morgen in der Vorlesung zum amerikanischen Regierungssystem. Der Hörsaal ist so gut gefüllt wie zuletzt bei Semesterbeginn. Während der Professor Ausschnitte der Reden von Trump und Clinton zeigt, herrscht absolute Stille. In den Reihen sitzen verheulte Gesichter. Einige schütteln den Kopf, andere starren apathisch ins Leere. Als der Professor nach Eindrücken zu Trumps Siegesrede fragt, meldet sich eine afroamerikanische Kommilitonin: »Donald Trump is full of trash.« Mit immer wieder brechender Stimme erinnert sie lautstark an dessen von Rassismus, Sexismus und Xenophobie geprägte Kampagne, nennt ihn »a piece of shit« – und erntet tosenden Applaus. Ein anderer bezeichnet Trump als »Textbook-Mussolini«. Immer wieder fällt nostaligisch der Name von Bernie Sanders.
Mit Sanders gab es noch Begeisterung für die Wahl, die mit der Nominierung Hillary Clintons als demokratische Kandidatin verschwand. Das Herz der meisten schlägt für Bernie, wie ihn hier alle nennen. »Er war auf einer Wellenlänge mit den Studierenden, weil er ihre progressiven Überzeugungen teilte«, erklärt Michael Stohl, Professor für Politische Kommunikation an der UCSB. Einige T-Shirts und Sticker auf Laptops erinnern an die Zeit, in der er hier Hoffnung auf Wandel verbreitete. Nun hat der Wunsch nach Wandel am Ende die Wahl entschieden - allerdings zu Gunsten von Trump. «Die Enttäuschung der Jugend sollte nun in Engagement umgemünzt werden, sodass sich ihre zahlenmäßige Stärke auch im politischen Prozess ausdrückt”, hofft Stohl. Als erste Reaktion erfolgte ein starker Protest gegen Trump und dessen von Erfolg gekrönte hasserfüllte Kampagne. Weit über tausend Studierende zogen noch in der Wahlnacht durch die Straßen und machten Ihrer Wut Luft – viele von ihnen im Schlafanzug. Sporadisch skandierte die Menge »Fuck Donald Trump« oder »Not my president«. Welche Auswirkungen kann Trumps Präsidentschaft überhaupt auf den Alltag haben in einer liberalen Strand-Enklave wie Isla Vista? »Der Ort hat sich bereits verändert« meint Victor Garcia. Der 20-Jährige ist Mitglied des Student Activist Network, einer Gruppe, die andere Hochschulgruppen bei Ihren Aktionen unterstützt und zentral koordiniert. Victor berichtet: »Wir erleben seit der Wahl ein höheres Ausmaß sexueller Belästigung als je zuvor.« Denn Trumps wenige Anhänger fühlen sich durch seine Wahl gestärkt und trauen sich nun, ihre Anfeindungen offener auszutragen als zuvor – sogar an Orten wie diesem. Victor sorgt sich vor allem um diejenigen, die Minderheiten angehören. Die Campus Republicans suchen nun zum Beispiel gezielt nach Kommilitonen ohne Papiere, die an der UCSB studieren, um sie den Behörden zu melden. »Das ist zwar nicht ganz neu, geschah jedoch nie so offen«, sagt Victor. Unter Liberalen prägen Wut und Ratlosigkeit die ersten Wochen nach der Wahl. Bei Kundgebungen und Diskussionsver-
anstaltungen ergreifen viele das Wort, um von ihrer eigenen Betroffenheit zu erzählen, oft unter Tränen. Sie rufen andere Betroffene dazu auf, in sogenannten »Healing Spaces« zusammenzukommen. Der Blick richtet sich von der nationalen Ebene auf die Gemeinschaft vor Ort. Auch Victor und seine Mitstreiter setzen vor allem auf freiwilliges Engagement für Betroffene, weniger auf Protest gegen den neuen Präsidenten. Die Demonstrierenden sollen gezielt Unterstützung erhalten, indem man ihnen beibringt, wie sie sich bei Konfrontationen mit der Polizei verhalten oder durch das Sammeln von Spenden für einen Fonds, um die Kaution für verhaftete Demonstranten zu bezahlen. Das Engagement für Minderheiten ist derweil auch auf höheren Ebenen angelangt. Der Vize-Gouverneur von Kalifornien hat nach Treffen mit Studierenden angekündigt, die öffentlichen Universitäten im Staat zu »Sanctuary Campuses« erklären zu wollen. Sanctuaries sind Gemeinden, deren Behörden nicht mit den nationalen Behörden kooperieren, was den Aufenthaltsstatus von Migranten anbelangt. Der Vorstoß trifft auch unter Offiziellen der Universitäten auf Zuspruch. Solche Entwicklungen stimmen Victor Garcia optimistisch. Er nimmt wahr, dass mehr Leute an der Uni ihren Beitrag leisten wollen. Eine solche Reaktion fordern auch viele prominente Stimmen, wie der unter Liberalen beliebte Satiriker John Oliver. In seiner ersten Sendung nach der Wahl erklärte er in einem emotionalen Appell, dass es nicht ausreiche, seine Meinung lautstark im Internet kund zu tun. Vielmehr müsse mit aktivem Einsatz und mit Spenden für die Rechte von Minderheiten, für das Recht auf Abtreibung und für den Klimaschutz gekämpft werden. Die Zuschauerrolle ist nun keine Option mehr.
David Rouhani hofft, dass jetzt auch die letzten kapiert haben, wofür so ein Kreuzchen alle paar Jahre gut sein kann
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«Was uns das nützt? Wenig!”
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Forschung kann manchmal ganz schön abgefahren sein. Nicht selten kommt die Frage auf: Was hat das noch mit der Realität zu tun? Wir haben uns die Forschungsprojekte mit den kuriosesten Titeln herausgesucht und uns ihren Zweck erklären lassen. Text: Eva Famulla Illustrationen: Marion Scharstein
Criminal Mind Nirgends wiegen wir uns so sehr in Sicherheit, wie in der Bibliothek. Unbekümmert lassen wir unsere Wertsachen am Arbeitsplatz liegen. Aber wie einfach ist es wirklich, den Laptop des Nachbarn mitgehen zu lassen? Wir haben den Selbstversuch gewagt. Text: Lucian Bumeder Illustration: David Stach
Bedächtige Stille, geistige Höhenflüge, tiefste Konzentration: In der philologischen Bibliothek sind die Bedingungen für die hohe Kunst des Lernens perfekt. Leider sind diese nahezu deckungsgleich mit denen für die effektive Ausübung einer anderen ungleich düstereren Kunst: der des Stehlens. Kaum jemand ist weniger wachsam als erschöpfte Studierende. Und nahezu jeder von ihnen hat einen Laptop, den er - sich in Sicherheit wiegend - zurücklässt, um den dringend benötigten Gang auf die Toilette oder ins nächste Café zu unternehmen. Doch laut der Leitung der philologischen Bibliothek passieren Privatdiebstähle in den letzten Jahren kaum noch. Das Lob dafür gelte den Studierenden: Persönliche Vorsicht, Ehrlichkeit gegenüber anderen und soziale Kontrolle ergänzen sich anscheinend gut genug, um potenziellen Dieben Einhalt zu gebieten. Aber ist das nicht ein bisschen weltfremd? Was passiert wirklich, wenn am Platz nebenan der Laptop in der Tasche eines Fremden verschwindet? Wäre wirklich ein wachsamer Kommilitone zur Stelle? Die einfache und ernüchternde Antwort lautet: Nein. Woher ich das weiß? Weil ich es ausprobiert habe, in der Bib. Meine Kommilitonin ließ ihren Laptop an ihrem Arbeitsplatz zurück. So konnte ich mich unauffällig neben ihren Platz setzen und nach ein paar Minuten samt ihrem Laptop wieder verschwinden. Unbehelligt, unbemerkt und erfolgreich. «Das ärgert mich jetzt aber sehr! Normalerweise passe ich immer auf”, versicherte zwar beim ersten Versuch eine Nachbarin, die kaum 30 Zentimeter neben dem Tatort saß. Aber sie habe schlicht nicht bemerkt, dass sich jemand Fremdes an den Platz gesetzt hatte. Das erscheint unverständlich, aber mit dieser Erfahrung war sie keineswegs allein. Zu hoch ist die Konzentration, zu eng der Tunnelblick der vertieften Studierenden. So eng, dass weder sie noch andere Zeugen der Besitzerin des Laptops bei ihrer Rückkehr den Täter beschreiben konnten.
Selbst die Bitte »Kannst du mal kurz aufpassen?« half nur bedingt weiter. Immerhin konnten die Nachbarn nun den Täter beschreiben. Misstrauisch musterten sie jeden, der in die Nähe kam. Schließlich hatten sie Verantwortung übernommen. Aber nach ein paar Minuten vertieften sie sich wieder in ihren Lektüren und schon stand mir als Bösewicht nichts mehr im Weg. Einfach zu spät habe sie bemerkt, dass samt dem neuen Nachbarn auch der Laptop verschwunden war, erklärt die Studentin nach meinem Diebstahl und bleibt mit einem aufgeregten »Oh mein Gott! Ich fühle mich schrecklich!« auf den Lippen zurück. Aber ist die einzige Lösung jetzt in Panik zu verfallen? Ist Vertrauen ein veraltetes Konzept? Zum Glück nicht. Trotz all den Erfolgen, die ich in meiner Diebeskarriere hatte - die Niederlagen waren lehrreicher. Schließlich weiß ich jetzt genau, worauf ich achten muss, um sorgenfrei auf Büchersuche zu gehen. Denn Studierende sind hilfsbereit. Und ich würde ihnen meinen Laptop für eine kurze Dauer anvertrauen. Allerdings am besten so, dass es mehr als nur ein einziger bemerkt. Schließlich waren genau das die Situationen, bei denen ich dann doch scheiterte. Vollkommen frei von weltlichen Sorgen sind Studierende selbst in ihrer Bibliothek nicht. Aber wenn sie ein bisschen zusammenhalten, bilden sie eine zuverlässige Schutzblase. Und das ist doch etwas Schönes. Auch wenn sie undicht ist.
LucianBumederentschuldigtsich nochmalsbeiseinenunfreiwilligen Helfern. Aber Spaß hat ihm die Recherche schon gemacht
Name: Die Ringelschwanzgesundheit beim Schwein als tiergesundheitlicher Indikator Erste Eingebung: Kopfkino: Ringelschwanz mit drei Ringeln – das Schwein ist gesund, Ringelschwanz mit einem Ringel – das Schwein hat Magenschmerzen, Ringelschwanz ohne Ringel – das Schwein hat die Klauenseuche. Was es wirklich ist: Jürgen Zentek vom Institut für Tierernährung erklärt: »Schweine neigen stark dazu sich gegenseitig anzufressen. Der Ringelschwanz ist für dieses kannibalistische Verhalten sehr reizvoll und wird deshalb häufig gestutzt. Ziel unserer Studie war es, zu schauen, ob möglicherweise vorliegende Verdauungsstörungen im Zusammenhang mit dem Auftreten dieses Verhaltens stehen könnten.« Was es bringt: »Um das Kürzen der Schwänze zu vermeiden, versucht die Forschung eine bessere Ernährung und Haltung für Schweine zu finden”, erklärt Zentek.
Name: In der Kambrischen Explosion gefangen: Die Probleme der frühen Evolution der Pterobranchia (Hemichordata, incl. Graptolithina) und ihrer evolutiven Neuerungen Erste Eingebung: Kambrische Explosion – uh,das klingt spannend! Heißer Tipp: Vulkanologie. Allerdings wäre es eher unlustig im Vulkan gefangen zu sein…Andererseits: Je schlimmer die Umstände, desto grauenvoller die Pterobranchia: Eine Insektenart mit Riesententakeln und roten Augen. Was es wirklich ist: Jörg Maletz vom Institut für Geologische Wissenschaften erläutert: »Zu Beginn des Kambriums, also vor etwa 500 Millionen Jahren, kam es zu einer verstärkten Diversitfikation – und es tauchten plötzlich neue Organismen auf, wo vorher fast nichts vorhanden war. Diese Vervielfältigung bezeichnet man als Kambrische Explosion. Pterobranchia sind eine kleine Gruppe von ziemlich einfachen Organismen, die vor Millionen Jahren gelebt haben.« Was es bringt: »Letztendlich geht es darum, wie diese Vielfalt, die wir heute sehen, entstanden ist”, sagt Maletz. »Einen direkten praktischen Nutzen gibt es ehrlicherweise nicht. Es handelt sich um eine wissenschaftliche Fragestellung. Aber die Pterobranchia («Graptolithen”) sind eine der wichtigsten Gruppen zum Datieren von Gesteinsabfolgen und somit für die Geologie von Großem Nutzen.«
Name: Haushalt und Tod. Machbarkeitsstudie für die holistische Fallstudie Baja zu sozialen Inwertsetzungsprozessen und Identitäten im späten akeramischen Neolithikum der Südlevante Erste Eingebung: Haushalt und Tod! Wie dramatisch. Wie viele arme Hausfrauen sind beim Putzen gestorben? Wie viele Männer beim Reparieren diverser elektronischer Geräte? Ach Mist, Neolithikum. Es geht um die Jungsteinzeit... Was es wirklich ist: Hans Gebel vom Institut für Vorderasiatische Archäologie erläutert: »Im Neolithikum entstehen erstmals Eigentumsvorstellungen von Land, Wohnraum oder Ideenräumen. Der Mensch ist gerade sesshaft geworden und wohnt oft über den Toten in seinen Häusern. Wir versuchen herauszufinden, was diese Sozialbindung an die Toten bedeutet. Wahrscheinlich sind die Gräber der Ahnen Eigentumsnachweise.« Was es bringt: »Wir beschäftigen uns mit den Ursprüngen unseres gesellschaftlichen Lebens, es geht um unsere Geschichte und unser soziales Denken”, sagt Gebel. »Was uns das heute nützt?Wenig! Es hat sich immer wieder erwiesen, dass der Mensch nicht aus der Vergangenheit lernt.«
Eva Famulla hat nun endlich einenMasterarbeitstitel:Präsident und Wodka. Soziale Bindung politischer Persönlichkeiten
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Filterblasen sind für Faule
Illustration: Auch als Schalke-Fan sollte man vielleicht mal eine Facebook-Seite von Dortmund liken.
Ich les mir die Welt, wie sie mir gefällt. Dank Algorithmen erhalten wir nur die Nachrichten, die in unser Weltbild passen. Das ist bequem, aber gefährlich.
Text: Hannah Lichtenthäler, Kim Mensing Illustration: Jannis Fahrenkamp
Das Morgenritual der Studierenden: Die Facebook-Timeline überfliegen. Abonnierte Nachrichtenkanäle servieren Informationen in angenehm kleinen Appetithäppchen, Freunde und Freundinnen teilen das, worüber man nach der Vorlesung gemeinsam redet. Facebook ist ein bedeutender Nachrichtenkanal geworden – jede fünfte Person informiert sich einer Oxford-Studie aus 2015 zufolge über das soziale Netzwerk. Im Gegensatz dazu ist die Zahl derer, die sich gedruckte Tageszeitungen kaufen, innerhalb der letzten 25 Jahre um knapp die Hälfte gesunken. Auf den ersten Blick scheint es ja auch, als könne man sich auf Facebook umfassend informieren. Doch der Schein der vielfältigen, da großen Informationsflut, trügt: Denn Algorithmen, Berechnungsverfahren, die nach einem logischen Schema immer dieselben Ergebnisse liefern, mischen sich mit ein und filtern unsere Timeline. Und über der Hälfte der Facebooknutzenden ist dies – zumindest, wenn man sich auf eine US-amerikanische Studie aus dem Jahr 2015 beruft – gar nicht bewusst.
Nicht nur Facebook, sondern auch Google sammelt massenhaft Daten und spuckt Suchergebnisse nach unserem Nutzungsverhalten aus. Googles angepasste Ergebnisse sind zwar oft praktisch und präzise, doch immer häufiger auch problematisch. Eine Studie der Cornell Universität kam zu dem Ergebnis, dass als weiblich identifizierte Nutzerinnen erheblich weniger Ergebnisse von gut bezahlten Stellen angezeigt bekommt als ein Mann. Fragwürdig sind auch die Vorschläge von Google wenn man in der Suchleiste »Frauen sollten nicht…« eingibt – der erste Vorschlag der Auto-Vervollständigung lautet »… arbeiten«.
Lutz Prechelt, Professor für technische Informatik, kennt die Problematik der Filterblasen. In seiner Vergangenheit hat er sich viel mit selbstlernenden Algorithmen beschäftigt. Mit diesen kann Facebook anhand des Nutzungsverhaltens kontinuierlich Profile erstellen, vor allem für Werbezwecke. »Je häufiger ich klicke und like, umso transparenter wird meine Persönlichkeit«, erklärt Prechelt. Facebook nutzt diese Informationen und zeigt uns nur die Inhalte an, die zu unserem Profil passen - andere Informationen werden herausgefiltert: Wir bewegen uns nur noch in unserer eigenen Informationsblase. Das ist vielleicht angenehm für die meisten User, doch mit einer ausgewogenen Nachrichten-Umgebung hat das nichts zu tun. Im Gegenteil: »Es kann zu einer verzerrten Wahrnehmung der Wirklichkeit kommen, wenn man nur noch von Ähnlichdenkenden umgeben ist. So kann das Gefühl entstehen, die ganze Welt sei der eigenen Meinung.” Algorithmen können dadurch im Netz kursierende Meinungen verstärken - und polarisieren.
Er erklärt auch, dass Algorithmen zwar auf Stereotypen basieren. »Anders als Menschen haben sie aber überhaupt kein Problem damit, sich von Vorurteilen zu lösen - wenn sie entsprechend programmiert sind und man ihnen die Zusatzinformation zur Verfügung stellt.” Denn Verzerrungen entstehen oft, weil die Informationen einseitig sind. So basiert der Suchalgorithmus für Stellenanzeigen wahrscheinlich auf Daten, die Frauen ein geringeres Gehalt zuschreiben. Man könnte dem Algorithmus nun beibringen, dass es diesen Aspekt ignorieren soll. Wir können nicht die Programmierung der Algorithmen bestimmen, was wir jedoch in der Hand haben, ist der Umgang mit der Filterblase - und welchen Einfluss wir ihr zusprechen wollen. Denn durch sie kann sich die Wirklichkeitswahrnehmung durchaus verzerren. Martin Emmer, Professor für Publizistik und Kommunikationswissenschaft, hat bereits zu Filterblasen geforscht. Emmer möchte nicht alleine Algorithmen dafür verantwortlich machen, dass extremistische Inhalte und Diskriminierung im Netz gefühlt zunehmen. Man habe schließlich
Eine häufige Annahme ist, dass die Programmierenden Schuld daran seien, dass es zu diskriminierenden Suchergebnissen kommt, schließlich mangelt es in der Männerdomäne IT oft an Diversität. Prechelt erklärt, dass die Programmierung zwar parteiisch sein könne, jedoch könnten Begriffe wie Sexismus und Rassismus als soziale Konstrukte nicht für Maschinen selbst gelten.
auch schon vor der Existenz des Internets selektiert: »Wer zum Beispiel politisch links ausgerichtet war, las die taz und nicht die FAZ.« Außerdem entstehe unsere Weltsicht heute auch nicht ausschließlich aus Online-Quellen. Man gehe ja immer noch auf die Straße und unterhalte sich mit Menschen. Trotzdem ist die Diskussion um politische und gesellschaftliche Auswirkungen von Algorithmen nicht zu unterschätzen, meint Emmer. »Natürlich gibt es Verstärkungseffekte: Wenn Menschen, die nur diffuse Ausländerängste haben, online in Verschwörungstheorien hineingezogen werden, können sich schnell verfestigte Stereotypen entwickeln.” Einseitige Meinungen im Web zu diskutieren, sei Aufgabe einer demokratischen Gesellschaft, findet Emmer: »Da steckt auch immer eine Chance drin. Jetzt sind wir gefordert, klar Position einzunehmen.” Prechelt dagegen sieht ein Dilemma: »Facebook in dieser Hinsicht zu regulieren, halte ich für sehr kompliziert. Erwünscht wäre es auch nicht unbedingt.” Die Leute fühlten sich wohl in ihrer Filterblase. »Ganz viele wollen das - sie wollen jeden Tag Katzenbilder sehen. Das ist ja auch eine Form von Freiheit.« Bei aller Freiheit sei es allerdings wichtig, die Gesellschaft über die Algorithmen und ihre Wirkungen aufzuklären.” Trotzdem sind wir nicht ganz machtlos. Prechelt und Emmer sind sich darin einig: Wenn wir uns gezielt über verschiedene Medienkanäle informieren, kommen wir aus der Filterblase heraus. Wer sich dennoch über Facebook informieren möchte, kann durch seine Likes das eigene Profil beeinflussen, so Prechelt: »Ich kann einfach Seiten und Beiträge liken, die ich eigentlich ganz und gar nicht gut finde.« Das mag unbequem sein. Aber nur so können wir beeinflussen, dass uns auch kontroverse Beiträge und Links im Facebook-Feed angezeigt werden. Auch wenn die heutige Situation dystopisch aussehen mag, liegt es doch auch noch ein Stück weit an uns, ob und wie wir uns wehren.
Hannah und Kim fühlen sich zu mehrgeborenalsinSeifenopern zu spielen. Mission: Sexistische Algorithmen wegpusten.
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4 aus 40.000 An der FU tummeln sich täglich 40.000 Menschen. Vier von ihnen verrieten uns, welche Blase sie am liebsten Platzen lassen würden.
Christian Steinmann ist 22 Jahre alt und studiert Deutsch und Geschichte auf Lehramt.
Text:Ben Gutberlet Fotos: Marius Mesterman
Jan Steger studiert seit 13 Jahren. Er ist im 5. Mastersemester der Grundschulpädagogik und Spanische Philologie mit Lateinamerikanistik.
Esther Kron ist 24 Jahre alt und Gasthörerin für Psychologie.
Ya-han Wang ist 25 Jahre alt und studiert im 3. Mastersemester China-Studien.
«Jeder sollte sich in eine fremde Vorlesung setzen.”
«Vielleicht ist die Zeit für radikale Lösungen gekommen.”
«Man könnte mit Kunst die zwischenmenschliche Bubble platzen lassen.”
«Das Tandemsystem sollte offener sein!”
Man sollte in der Uni mehr mit anderen Menschen und Gruppen kommunizieren, neue Kontakte knüpfen und versuchen, aus seiner eigenen Blase auszubrechen.
Ich würde die Finanzblase platzen lassen. Die entfesselten Marktkräfte tragen dafür Verantwortung, dass es enorme Reichtums-Unterschiede gibt und dass wir den Planeten immer weiter zerstören.
Ich würde gerne die ‚zwischenmenschliche Bubble‘ platzen lassen.
Ich habe letztes Semester über das FU-Sprachzentrum einen Tandem-Partner gesucht. Leider ist das System hier meiner Meinung nach ein bisschen zu geschlossen und intransparent, da du vom Sprachzentrum einem Tandem zugeordnet wirst. Das würde ich offener gestalten!
Jeder sollte sich in eine fremde Vorlesung setzen, um zu sehen, was andere machen. Oder man spricht einfach Menschen an und fragt, was sie studieren und ob man mit in ihre Vorlesung kommen kann. Ich habe mir auch schon andere Vorlesungen angeschaut, allerdings glaube ich, dass ich immer noch nicht ganz aus meiner eigenen Blase ausgebrochen bin. Ich sollte noch mehr schauen, was andere machen, um meinen Horizont zu erweitern.
Wir brauchen einen Paradigmenwechsel. Ich bin zu wenig Wirtschaftswissenschaftler um zu sagen, wie man das in geordneten Bahnen lösen kann. Vielleicht ist mittlerweile die Zeit für radikale Lösungen gekommen. Wir wollen ja nicht in Kauf nehmen, dass es zum Beispiel aufgrund von Platz- und Nahrungsmittelmangel zu Konflikten kommt und viele Menschen sterben. Die Sache ist: Blasen müssen immer platzen, weil sie ein Zeichen für unreguliertes Geschäftsgebaren sind, für Spekulationen, für das ‚Aufblasen‘. Deshalb nennt man sie ja auch Blase, da ist eben nichts drin.
Wenn wir zum Beispiel in die U-Bahn schauen, dann ist dort meistens jeder mit sich selbst beschäftigt: Macht etwas am Handy, liest ein Buch oder ist in Gedanken woanders. Es wäre mal schön, diese Blase platzen zu lassen, um sich bewusst zu werden, dass man ja eigentlich gerade mit ganz vielen Menschen in einem Raum ist. Ich denke, es gibt viele Arten, mit denen man so etwas machen könnte, zum Beispiel mit Kunst oder etwas Irritierendem. Man könnte die Menschen aber auch einfach ansprechen. Da gibt es sicherlich welche, die erstmal sehr überrascht und abweisend sind, aber bestimmt auch Menschen, die das cool finden und sich freuen.
An anderen Universitäten, wie zum Beispiel der TU, gibt es eine Plattform, auf der man direkt nach der Anmeldung eine Liste mit möglichen Tandem-Partnern bekommt. Man kann sie dann direkt per Mail kontaktieren. Die FU hat bestimmt ihre Gründe für das ausgewählte Verfahren, allerdings habe ich damals leider weder einen Tandem-Partner, noch eine Antwort auf meine Anfrage bekommen.
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Politik
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Unfreie Universität Die FU gibt sich nach außen sehr tolerant. Aber wenn es um Trans*Studierenden geht, stellt sie sich quer. So auch bei Felicia.WährendihreKommilitonensiealsStudentinakzeptieren,schränktdieVerwaltungihrenUnialltagimmerwiederein. Text: Evelyn Toma Foto: Karolin Tockhorn Als Felicia vor zwei Jahren ihr Psychologiestudium begann, stellte sie sich noch als Felix vor. Eine Person, die nach außen hin zu allen freundlich war, aber selber unglücklich schien. Heute tritt an seiner Stelle eine strahlende junge Frau in die Seminarräume der FU. Die 22-Jährige begann schließlich im dritten Semester mit der Transition, dem geschlechtsangleichenden Prozess. Während es für die Studierenden keine allzu große Umstellung war, Felicia als Frau anzunehmen, fällt es der Uni noch deutlich schwerer. Fast ein Jahr nach Beginn der Transition muss Felicia noch immer zu Semesterbeginn eine Mail an ihre Dozierenden schreiben, in der sie ihre Situation erklärt. Ein dauerhafter Vermerk in ihren Unterlagen oder in ihrem Campus Management Account ließe sich nicht bewerkstelligen, wurde ihr schon oft erklärt. Denn dazu müsste ihr Geschlecht schon in den persönlichen Dokumenten, also dem Personalausweis geändert worden sein. Beantragt hat sie dies natürlich schon, doch der Prozess kann insgesamt bis zu zwei Jahre dauern. Felicia geht das Ganze zu langsam, denn obwohl sie sehr offen über ihre Transition spricht, will sie im Alltag vollkommen als Frau wahrgenommen werden. Dafür müsste sie ihre alte Rolle hinter sich lassen können. Leider funktioniert das nur gemeinsam mit ihren Mitmenschen. Also schickt sie Mails, erklärt den Dozierenden diese Umstände und bittet sie, ihren neuen Namen zu verwenden. »Manche streichen einfach den alten Namen von der Seminarliste und schreiben den neuen daneben.« Jeder Mensch kann dann aber beim ersten Blick auf die Liste erkennen kann, dass Felicia transgender ist. Dabei würde sie gerne einfach nur als Felicia wahrgenommen werden. Nicht als Felicia, die früher einmal anders hieß. Besser sei es, wenn die Dozierenden die Liste einfach neu ausdruckten, aber das sei schon das Best-Case-Szenario. Schlimmer sei es dagegen in der Verwaltung, die ihre Mails zum Teil trotz ausführlicher Erklärung und Signatur von Felicia, an einen männlichen Leser beantwortet. »Man merkt, dass manchen Leuten einfach die Sensibilität für das Thema fehlt.« »Trans*personen haben es an der FU auf jeden Fall schwieriger, als cis-Personen.« Die Probleme, denen Trans*personen begegnen, seien aber generell eher struktureller Natur und nicht von einzelnen Menschen an der Uni verschuldet. Diese strukturellen Probleme müssten angegangen werden. »Nach meiner Schätzung sind zwischen 90 und 300 Menschen an der FU trans*. Diese Zahl ist nicht irrelevant und sollte nicht länger ignoriert werden«, sagt Felicia. Deshalb sieht sie großen Han-
dlungsbedarf auf Seiten der Universität. Eine Trans*beratung, Allgender-Toiletten und eine Schulung der Dozierenden auf dem Gebiet sähe sie als großen Fortschritt. Felicia selbst versucht ihren Teil zu einer Verbesserung der Situation beizutragen und auf das Thema aufmerksam zu machen. In Kooperation mit den Fachschaftsinitiativen bietet sie regelmäßig Workshops an verschiedenen Instituten der FU und HU an. Alle Teilnehmenden können hier ihre Fragen in einem
offenen Rahmen stellen. Einige Fragen kommen immer wieder, Felicia ist mittlerweile gut auf diese vorbereitet. Sehr ehrlich erzählt sie von ihrer Kindheit, wie sie gemerkt hat, dass sie eine Frau ist und wie der geschlechtsangleichende Prozess Schritt für Schritt abläuft. Erst wenn alle Fragen beantwortet sind, hat Felicia ihr Ziel erreicht: Einen Raum zu schaffen, in dem jeder Mensch sich über das Thema informieren kann. Hoffentlich, so Felicia, werden die Menschen ihre Beklommenheit im Umgang mit Trans* verlieren. »Man muss wissen, dass es so etwas gibt und lernen damit umzugehen!«
ohne aufzufallen auf die Frauentoilette gehen zu können? Fühlt sie sich im Zweifelsfall sicherer, wenn keine Männer anwesend sind? Oder treffen sie Anfeindungen von Seiten der Frauen umso härter? Der Gang zur Toilette wird so zur Stresssituation. Häufig wählt sie deshalb sehr versteckte Klos in abgelegenen Gängen, in denen die Wahrscheinlichkeit, jemanden zu treffen sowieso gering ist – und verspätet sich deshalb zu den Veranstaltungen. »Viele betroffene Menschen trinken tagsüber zu wenig, um nicht auf öffentliche Toiletten gehen zu müssen. Das kann im Sommer sehr gefährlich werden,« erzählt Felicia.
Deshalb schreibt Felicia weiterhin Mails an die Verwaltung. Denn zusammen mit anderen Studierenden und der Frauenbeauftragten der FU versucht sie durchzusetzen, dass mindestens ein paar der Toiletten auf dem Campus zu Unisextoiletten gemacht werden. Diese sind wichtig, denn für viele trans*-Personen ist der Gang auf die öffentliche Toilette mit Ängsten verbunden. Felicia selbst hat damit auch ihre Probleme. Wenn sie vor der Toilette steht, schießen ihr lauter Fragen durch den Kopf: Ist ihr Äußeres schon »weiblich« genug, um
«An der Freien Universität sind keine ausgewiesenen Unisex-Toiletten eingerichtet. Dies ist bisher auch nicht beabsichtigt. Eine Umsetzung entsprechender Unisex-Sanitäranlagen wäre sehr kostenintensiv”, heißt es dazu aus dem Präsidium. Außerdem seien auch kulturelle Hintergründe der Studierenden ein Grund, weshalb geschlechtergetrennte Toiletten notwendig seien. Doch für Betroffene ist das keine zufriedenstellende Erklärung. Was die Verwaltung nur das Auswechseln der Schilder kosten würde, könnte Trans*studierenden viel Leid ersparen. Denn nicht einmal an einem vermeintlich so offenen und toleranten Ort wie der FU sind Trans*personen vor Anfeindungen geschützt. In solchen Fällen kann Felicia sich an die Frauenbeauftragte der FU wenden. Wäre sie ein Trans*mann, hätte sie da allerdings ihre Hemmungen, meint sie. Denn explizit für Trans*personen fehlt an der FU noch immer eine offizielle Anlaufstelle. Die Universität sieht sich in Sachen Vielfalt fortschrittlich genug. Trans*personen könnten die psychologische Beratung der FU nutzen, wie die anderen Studierenden auch. Diese Form von Integration, die sich die FU da auf die Kappe schreibt, verfehlt aber die spezifischen Bedürfnisse einer nicht unerheblichen Zahl von Studierenden. Suchen Trans*menschen Hilfe und Beratung, können sie sich lediglich an das LesBiTransInterA-Referat des Asta wenden. Dort kann man sich Hilfe holen, sich mit anderen Trans*personen austauschen und beantragen, dass ein Anliegen hochschulpolitisch angegangen wird. Wäre diese Beratungsstelle Teil der Institution FU, könnte man die Verwaltung und die Probleme, die von ihr ausgehen, viel direkter erreichen, und die strukturellen Probleme der Uni schneller anpacken. «Schließlich ist es auch im Interesse der Universität, all ihren Studierenden einen sicheren Raum zu bieten”, so Felicia. Das Sternchen macht den Begriff Trans* zum Umbrella Term, der nicht nur transgender Menschen umfasst, sondern alle Personen, die sich nicht mit ihrem bei der Geburt zugewiesenen Geschlecht identifizieren. Cis wiederum meint alle, die nicht in diese Kategorie fallen.
EvelynTomawürdeUnisextoilettenauchbegrüßen.Undseiesnur, umdenlangenSchlangenbeiden Damen auszuweichen.
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Politik
Die reformierte Reform
»Wir sind keine politischen Akteure« WielässtsichwissenschaftlicheUnabhängigkeitbeiderKooperationmitpolitischenInstitutionenwahren?DerSonderforschungsbereicht 700 (SFB), mitgetragen von der FU, forscht zum Thema «Governance in Räumen begrenzter Staatlichkeit”. Seit zwei Jahren gehört dazu ein direkter Austausch mit dem Auswärtigen Amt. Ein Gespräch mit Dr. Gregor Walter-Drop, Leiter des SFB 700 über politischen Einfluss und wechselseitige Irritation.
Schon seit Jahren steht das Bolognasystem in der Kritik. StudierendeleidenunterNotendruckundvollenStundenpläne.Nunsoll eine Reform den Leistungsdruck senken und den Studierenden mehr Freiraum geben.
Text und Foto: Marius Mestermann
Text: Corinna Schlun Illustration: Tatjana Kulow
Einfaches Studieren im Ausland, bessere Anerkennung des Abschlusses bei internationalen Unternehmen und ein früher Eintritt ins Berufsleben. Das klang bei der Umstellung auf das Bolognasystem im Jahr 1999 gar nicht schlecht. Doch 17 Jahre nach seiner Einführung wird die Unzufriedenheit mit dem Bachelorsystem immer größer: Gerade der vom ersten Semester an beginnende Leistungsdruck, das inhaltlich überfüllte Studium und die dennoch geringen Chancen auf dem Arbeitsmarkt mit einem Bachelorabschluss stehen in der Kritik. Diese Kritik blieb nicht unbemerkt. Im Sommer 2016 stellte die Konferenz der Kultusminister und Hochschulrektoren ihre Vorschläge für eine Bolognareform vor. Im Zentrum stehen zwei Forderungen: Weniger Notendruck und mehr inhaltliche Freiheit. Gerade in den ersten Semestern ist es für Studierende nicht einfach sich im Unisystem und der neuen Lebenssituation zurechtzufinden. Wenn dazu auch noch der Notendruck kommt, kann das zu schweren Belastungen oder gar zu gesundheitlichen Beeinträchtigungen führen. Eine direkten Zusammenhang von psychischen Krankheiten und dem Bolognasystem möchte Hans-Werner Rückert, Leiter der Zentraleinrichtung Studienberatung und Psychologische Beratung, jedoch nicht sehen. »Es gibt viele Belege dafür, dass junge Menschen bereits mit Vorerkrankungen an die Uni kommen. Belegt werden kann aber eine hohe Stressbelastung«, erklärt er. Um dieser entgegenzuwirken soll es Universitäten künftig offen stehen, in den ersten zwei Semestern nur noch auf ein einfaches »Bestanden« oder »Nicht Bestanden« zu prüfen. Erst in den späteren Semestern würde dann ein Notensystem einsetzen, das die Abschlussnote beeinflusst. Zusätzlich soll Vergleichbarkeit geschaffen und der Übergang zum Master transparenter gestaltet werden, indem neben der Abschlussnote auch das Verhältnis zu den restlichen Absolventen der Universität dargestellt wird.
FURIOS: Herr Walter-Drop zunächst zu Ihrer Forschung: Im SFB 700 beschäftigen Sie sich mit Räumen, in denen Staaten ihr Gewaltmonopol verloren oder große Schwierigkeiten bei der Durchsetzung von Regeln haben. Warum ist das wichtig?
Aber nicht nur die Last der Noten wird bekämpft, die Studierenden sollen auch mehr inhaltlichen Freiraum erhalten. Viele Studierende kritisieren, dass die Universitäten den Inhalt der alten Diplomstudiengänge ohne große Anpassung in einen deutlich kürzeren Bachelor gequetscht hätten. Nun sollen die Hochschulen den inhaltlichen Verlauf des Studiums individueller gestalten und so eigene Schwerpunkte in der Lehre setzen können. Die inhaltliche Übersättigung soll so gemildert, die Diversität bundesweit erhalten werden. Deutliche Kritik übt die Konferenz von Kultusministern und Hochschulrektoren allerdings an dem Trend, hochspezifische Bachelorstudiengänge anzubieten, an die nur ein Master an derselben Hochschule anschließen kann. Viele Professoren kritisieren, dass nur Masterabsolventen als voll ausgebildete Akademiker anzusehen seien. Auch seien immer mehr Studierende nach einem Bachelor erst 21 Jahre alt und den Unternehmen damit viel zu jung und unerfahren. Daher soll durch die neue Reform der Bachelorabschluss aufgewertet werden. Zum Beispiel soll der Zugang zum höheren öffentlichen Dienst bereits mit einem Bachelor möglich sein. Wie schnell die Vereinbarung umgesetzt wird, bleibt abzuwarten. Für das kommende Sommersemester sind Veränderungen noch nicht absehbar. Somit heißt es auch für die neuen Erstsemester: volle Lehrpläne und Leistungsdruck vom ersten Tag an.
CorinnaSchlunfreutsich,dasssie balddenMasterhatundsichnicht mehr mit der Bolognareform befassen muss.
Gregor Walter-Drop: So verstandene Räume begrenzter Staatlichkeit gibt es immer und überall. Nicht nur im vom Bürgerkrieg zerstörten Somalia, sondern auch innerhalb von etablierten und starken Staaten. Der indische Staat zum Beispiel schafft es nicht, Gesetze gegen Kinderarbeit durchzusetzen. China hat das Problem mit seiner Umweltpolitik. Begrenzte Staatlichkeit ist der Normalfall. Die Wissenschaft hat aber oft einen unheimlich staatszentrierten Fokus, weil das unserer westlichen Erfahrung entspricht. Wir konzentrieren uns auf Regierungsformen, die unter, über oder neben dem Staat existieren. Unser Forschungsansatz ist also ein Perspektivwechsel. Seit zwei Jahren gibt es eine Kooperation zwischen dem SFB und dem Auswärtigen Amt. Inwiefern sind Ihre Erkenntnisse für das Ministerium relevant? Wenn Deutschland beispielsweise in der Demokratischen Republik Kongo beim Aufbau des Rechtsstaates helfen will, können nicht einfach unsere eigenen, westlichen Modelle und Institutionen exportiert werden. Man muss sich über die sehr hohe Komplexität der Governance-Landschaft vor Ort im Klaren sein. Erst wenn man weiß, dass im Kongo überwiegend durch traditionelle oder religiöse Gerichte Recht gesprochen wird, kann man sinnvolle Maßnahmen zu ihrer Förderung ergreifen und die richtigen Akteure ansprechen. Das sagen wir den Kollegen im Auswärtigen Amt. Einige Ihrer Mitarbeiter arbeiten zeitweise direkt im Auswärti-
gen Amt. Welchen Einfluss hat der SFB auf die dortigen Strategien? Mit der Bezeichnung »Einfluss« wäre ich vorsichtig. Wir sind keine politischen Akteure. Wir sind Wissenschaftler, die bestimmtes Wissen zur Verfügung stellen und Optionen eröffnen, wie man über bestimmte Dinge nachdenken kann. Politische Entscheidungen müssen auf einer politischen Ebene getroffen werden. Das machen wir nicht. Auch um unsere Unabhängigkeit zu wahren. Wir organisieren nur Veranstaltungen für Mitarbeiter des Auswärtigen Amtes sowie Fachkollegen von der Uni und schreiben kleine Papiere. Wie sich dadurch die Strategien des Auswärtigen Amtes ändern, ist nicht messbar.. Aber wir sind auch keine Politikberater, sondern betreiben einen wechselseitigen Austausch: Wir haben eine bestimmte Art von Expertise, das Auswärtige Amt auch. Wie wahren Sie bei dieser engen Zusammenarbeit Ihre wissenschaftliche Unabhängigkeit? Unsere Mitarbeiter stehen nicht auf der Gehaltsliste des Auswärtigen Amtes. Das darf auch niemals passieren. Die Funktion des Projektes ist vielmehr die wechselseitige Irritation. Wenn wir das Auswärtige Amt nicht mehr irritieren, sondern sich das Amt an uns klammert, dann haben wir etwas falsch gemacht.
MariusMestermannsiehtmitdem Zweiten zwar auch nicht besser, freut sich aber über jeden Perspektivenwechsel.
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Politik
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Machen die Schotten dicht? Schottland steht nach der Entscheidung für den Brexit wieder einmal kurz vor dem Absprung in die Unabhängigkeit. Doch welche Konsequenzen das nach sich ziehen wird, weiß keiner so genau. Unsere Autorin berichtet, wie die Studierenden in der schottischen Hauptstadt damit umgehen. Text und Foto: Hanna Sellheim
Aus der Mitte eines monströsen Monuments schaut Sir Walter Scott, Poet und stolzer Schotte, auf die Princes Street in Edinburgh herab. Unter ihm erzeugt ein Dudelsackspieler im Schottenrock Töne in einer quälenden Tonlage, während Touristen emsig von Laden zu Laden laufen, um sich mit Whisky, Shortbread und Haggis-Rezepten einzudecken. Nein, diese Beschreibung ist keine stümperhafte Ekphrasis einer schäbigen Postkarte, die ich letzte Woche einem mittelmäßig geliebten Familienmitglied nach Hause geschickt habe, sondern nur allzu real. Hier, im Osten Schottlands, in der Hauptstadt des Landes der Lochs und Quilts, ist tatsächlich alles ganz genau so schottisch, wie man es sich vorstellt. Mit nationaler Identität wird hier nicht gespaßt. Wem hier aus Versehen »England« statt »Schottland« herausrutscht, der wird mit bösen Blicken bestraft und auch finanziell macht sich der Bruch zwischen den Landesteilen an der University of Edinburgh bemerkbar: Studierende aus Schottland und der EU bekommen ihre Studiengebühren von der schottischen Regierung bezahlt. Studienanwärter aus England hingegen werden zur Kasse gebeten, und das nicht zu knapp: Um die 9000 Pfund zahlen sie für ein Jahr Studium in der schottischen Hauptstadt. Die anderen renommierten Universitäten von Aberdeen, St. Andrews und Glasgow halten es ähnlich. Bei den Studierenden wird dieser, auf Abgrenzung beruhende, Patriotismus nicht geteilt. Der Anteil der internationalen Studierenden an der Edinburgh University ist hoch, und jene, die tatsächlich aus Schottland stammen, freuen sich über die Aussicht auf Studium und Arbeit im Ausland. Das Ergebnis der Brexitabstimmung hat sie daher schwer getroffen - die Nachwehen sind immer noch überall zu spüren. Ein kleines Schildchen an der Bar eines Pubs bittet um Spenden für Brexit-Überlebende und auch viele Studierende sind sich nicht zu schade für einen kleinen Witz auf Kosten ihrer misslichen Lage. Allerdings schwingt immer auch ein wenig Wehmut in der Stimme mit. Nicht einmal die Dozierenden lassen sich davon abhalten, in Seminaren und Vorlesungen deutlich ihren Unmut über die Entscheidung zu äußern. Kein Wunder: Schottland ist wohl die Region mit den meisten Enttäuschten über das tragische Ergebnis im gesamten
Vereinigten Königreich. 62 Prozent der Menschen stimmten für einen Verbleib in der EU, bloß 38 Prozent für den Ausstieg. Dennoch hatten sie damit keine Chance gegen den englischen Süden, in dem die Leave-Kampagne der Brexit-Boyband um Nigel Farage und Boris Johnson ungehemmt Stimmen einheimsen konnte. Die schottische Bevölkerung leidet unter einer Entscheidung, die sie nicht gefällt hat. Ein neues Referendum ist nun der letzte Strohhalm für die Hoffnung der Schottinnen und Schotten. Sollte Theresa May einen harten Brexit anstreben und auch den Binnenmarkt mit der EU aufkündigen, so hat es Nicola Sturgeon, Erste Ministerin Schottlands, versprochen, soll es eine neue Abstimmung über die Unabhängigkeit von London, Queen und Downing Street geben. Danach soll über den Verbleib Schottlands in der EU verhandelt werden. May hat sich bisher über diesen Vorschlag keineswegs amused gezeigt. Schon vor zwei Jahren gab es einen ähnlichen Versuch, der jedoch knapp scheiterte. Die Ironie: Die Kampagne für eine schottische Unabhängigkeit wurde damals von genau jenen geführt, die jetzt für einen Verbleib im Vereinigten Königreich werben. Bestimmte damals ein nationalistischer Unterton die Debatte, ist es jetzt der Wunsch nach dem Gemeinschaftssinn, der internationalen Vernetzung, den Vorteilen einer Mitgliedschaft in der EU. Damals stimmten die meisten jungen Leute mit »Nein«. Nun ziehen sie ein »Ja« in Erwägung. Doch ob die Unabhängigkeit und der Verbleib in der EU überhaupt möglich wären, weiß so genau keiner. Besonders die Wirtschaft ist ein unsicherer Faktor. Denn obwohl diese in Schottland im letzten Quartal wieder einen leichten Aufschwung erlebt hat, bleibt ihr Wachstum dennoch schwächer als das des gesamten Königreichs. Und wie es um die Stabilität des BIP steht, wenn Edinburgh sich von London lossagt, ist schwer vorherzusagen. Die schottische Wirtschaft kann sich auf Lebensmittelexporte und einen lebhaften Tourismus verlassen, schließlich lassen sich teurer Whisky und ein Aufenthalt zwischen Kühen und Moorwiesen blendend an den Rest der gestressten Weltbevölkerung verkaufen. Außerdem ist das Land im Besitz von nicht unbedeutenden Mengen Öl, die vor der Küste von Aberdeen aus dem Meeresboden gesaugt werden.
Doch auch diese Ressourcen halten nicht ewig. Worauf kann sich das Land danach verlassen, wenn es ohne die Unterstützung des restlichen Königreichs dasteht? Würde Schottland sich nach beschlossener Unabhängigkeit neu für eine Mitgliedschaft in der EU bewerben, ist es unsicher, ob das gut fünf Millionen Einwohner zählende Land die nötigen Kriterien für einen Wiedereintritt erfüllen könnte. Sollte das Referendum für eine schottische Unabhängigkeit erneut scheitern, will Sturgeon mit Brüssel andere Möglichkeiten einer flexiblen Mitgliedschaft Schottlands in der EU diskutieren. Doch ob die anderen EU-Mitgliedsstaaten sich mit einem halbherzigen Brexit arrangiere würden, ist fraglich. Ein trotziger Ausschluss des Vereinigten Königreichs von allen Privilegien der EU bleibt zu befürchten. Nicht zuletzt gilt dies für die Stud ierenden. Ob das Erasmus-Programm unter diesen Bedingungen bestehen bleiben kann, müsste neu verhandelt werden. Ebenso in Gefahr wären Praktika, sowohl für britische Studierende im EU-Ausland als auch für europäische Studierende in Großbritannien. Sicher ist: Das Brexit-Vo tum hat den Graben zwischen Schottland und England noch
weiter vertieft. Sowohl Nationalismus als auch Weltoffenheit könnten nun ungewollterweise in dieselbe Richtung arbeiten und das Land gemeinsam in die Unabhängigkeit treiben. Doch wie Schottland sich autonom im Haifischbecken der internationalen Politik behaupten soll, ist ungewiss. Sir Walter Scott, der alte Poet, wird in den nächsten Monaten von seinem Thron so einiges zu beobachten haben.
Auch wenn es Hanna Sellheim vor Haggis gruselt, kann sie sich mitdemLebeninEdinburghgut anfreunden.SiemagalteHäuser und Nebel.
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Rutsche in Dahlem-Dorf
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Leicht erschöpft auf dem Weg zur U-Bahn, ein langer Tag in der Bibliothek in den Knochen. Noch auf der Brücke zum U-Bahnhof Dahlem Dorf tauchen am Horizont schon die gelben Wägelchen auf. Gleich sind sie da, vielleicht noch eine Minute. Keine Panik - es gibt ja eine Rutsche. Schwungvoll und mit jugendlichem Elan, aber auch verblüffend effizient, geht es hinunter. Ehe der schwächelnde Aufzug damit fertig ist, seine Türen zu schließen, ist der Bahnsteig auch schon erreicht. Selbst den frustriertesten Professoren zaubert das noch ein diebisches Lächeln ins Gesicht. Man ist eben nie zu alt, eine Rutsche zu benutzen!
Dahlem Utopia Wir haben zwar keine Wunderlampe, aber trotzdem ein paar Wünsche. Nur für den Fall, dass sich ein unbeschäftigter Flaschengeist findet: Vier Ideen, von denen mindestens drei in Erfüllung gehen sollten. Texte: Lucian Bumeder Illustrationen: Eugenia Lopez
Abgehoben auf dem Campus Hörsaal am Strand
Nächste Station Mensa II, Otto v. Simson-Straße. Ausstieg in Fahrtrichtung links«. Während an einem selbstfahrenden Auto noch intensiv geforscht wird, gibt es die automatische Schwebebahn schon lange. Warum nicht auch an der FU? Ihrer räumlichen und geistigen Größe wäre sie durchaus angemessen. Den langen Wanderungen über den Campus hat das letzte Stündlein geschlagen. Nie mehr an Büchern sparen müssen, weil die Arme den Weg zum Hörsaal nicht mehr überstehen würden. Und da sich der lange Fußweg zur U-Bahn nun von selbst erledigt, bleibt am Morgen locker eine Viertelstunde extra. Dadurch verlieren selbst Veranstaltungen um acht immerhin einen Teil ihres Schreckens.
Eine radikale Umgestaltung der Hörsäle statt Anwesenheitslisten. Das ist gefordert, um Studierende in die Vorlesungen zu locken. Raus mit den langen Reihen von Holzsitzen, die nur zu Beginn des Semesters gefüllt sind. Schluss mit grau in grau. Begabte Künstler gibt es genug und das Strandpanorama ist schnell gemalt. Brechende Wellen, wogende Palmen, eine strahlende Sonne. Für die freigewordene Sitzfläche werden Großlaster mit Sand bestellt. Noch ein paar Liegestühle hier, ein paar Strandkörbe da, garniert mit ein paar Sonnenschirmen, wenn auch nur für optische Zwecke. Schon wird jede Vorlesung ein Kurzurlaub. Anwesenheitslisten haben dann endlich ausgedient. Das Feedback der Dozierenden über die Aufmerksamkeit und Aufnahmefähigkeit im neuen Hörsaal steht allerdings noch aus.
Lucian Bumeder ist ein Träumer. Träume sind toll, verbinden sie doch Schlaf und Kreativität wie nichts anderes.
Arbeitsplätze draußen Die Freie Universität verspricht etwas, das sie nicht halten kann - studieren im Freien. Das dürfte doch nicht so schwer sein. Im Grünen gelegen, bieten sich sowieso zahlreiche Gelegenheiten. Und es könnte so schön sein: Mächtige Kastanien spannen ihre Äste, spenden ihren Schatten. Saftige Weintrauben dienen als Erfrischung. Im Herz dieser Idylle stillt eine kleine Sitzgruppe ihren Wissensdurst im Schutz der Natur. Doch etwas Überlebenswichtiges fehlt: Steckdosen und WLAN. Wasserfeste Steckdosen sollten im Jahr 2017 keine unüberwindbare Hürde darstellen und niemand sollte gezwungen sein, sich zwischen Sonnenbaden und WLAN entscheiden zu müssen.
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Die Rolle, die ich spiele Universitäten sind skurrile Orte: elitär und verwinkelt. Angehende Studierende sind erst einmal von diesem Schauspiel geschockt, entfernen sich aber selbst schnell vom Rest der Welt. Über den Prozess der Assimilation. Texte: Karolin Tockhorn Illustration: die Greta Unbeholfen irre ich durch die Flure der Rost- und Silberlaube, auf der Suche nach Raum JK 27/106. Mir schwirren tausend Gedanken durch den Kopf und ich weiß nicht so recht, worauf ich mich mit der Immatrikulation an der FU eigentlich eingelassen habe. Bald merke ich, dass das Finden der Räume nicht das einzig Fremde an der Uni ist. Während der ersten Woche in meiner neuen Rolle als Studentin wurde mir bewusst, dass an der Uni irgendwie alles ganz anders läuft. Ich fühlte mich wie ein Fremdkörper. Als erstes fiel mir auf, dass alle versuchten, besonders intellektuell zu klingen. Während der Diskussionsrunden in den Seminaren schwangen Studierende große Reden und nahmen Wörter in den Mund, die mir in meinem Leben noch nie begegnet waren. In welchem Kontext hätte ich auch von »Subalternität« oder »Eudaimonie« hören sollen? Ich habe das Gefühl, dass es unter meinen Kommilitonen einen Wettbewerb gab: Wer kann seinen Beitrag verbal am stärksten ausschmücken und dabei so unverständlich wie möglich klingen. Es glich eher einem Schauspiel als einem Seminar. Der Raum schien auf einmal als Bühne zu fungieren, auf der alle versuchten, ihr Wissen oder eher Halbwissen zur Schau zu stellen. Schnell kristallisierte sich heraus, wer die führenden Rollen in diesem Bühnenspiel übernehmen würden. Es waren von Sitzung zu Sitzung immer dieselben, die ihre Texte gut auswendig gelernt hatten. Nicht selten gab es zwei oder mehrere Opponenten, die die Spannungskurve stets nach oben trieben. Es dauerte nicht lang, bis die Neuankömmlinge ihre passende Rolle gefunden hatten und fortan bei jeder Vorstellung dieselbe Maske aufsetzten. In den meisten Fällen gab ich mich mit einer Statistenrolle zufrieden. Für mich klappte das Lernen auch, ohne dabei im Rampenlicht zu stehen. In meiner Schulzeit wäre ich allerdings sogar dafür zu einer Antagonistin erklärt worden. Damals galt es stets als uncool, sich für die Inhalte zu begeistern, die die Lehrer verzweifelt zu vermitteln versuchten. Cool waren immer diejenigen, die sich nicht interessierten und rebellierten. Gespräche über gesellschaftliche und politische Themen verließen selten das heimische Wohnzimmer. Ich kann mich nur an wenige Momente während meiner Schulzeit erinnern, in denen ich Diskussionen dieser Art mit meinen Freunden geführt hätte. Auch wenn es anfangs an der Uni für mich schwierig war, gewöhnte ich mich an den akademischen Rhythmus. - und entfernte mich dafür noch mehr von meiner alten Welt. Inzwischen ist es normal,
dass mein Mittagessen in der Mensa von Debatten über den Syrien-Konflikt, Präsidentschaftswahlen in Frankreich oder Fragen über das Wesen des Bösen begleitet wird. . . Anders sieht das aus, wenn ich mich in mein ehemaliges Umfeld zurück wage. Mit meinen Freunden von daheim, die nicht studieren, ist es oft schwer auf einen gemeinsamen Nenner zu kommen. Wir stoßen auf gegenseitiges Unverständnis. Ich erinnere mich gut, wie eine Freundin völlig entgeistert über mein Abonnement des »Spiegel« war und mir dann erzählte, sie selbst lese nur die »Glamour«. In solchen Situationen stempeln wir in unserer akademischen Arroganz andere Leute oft als simpel gestrickt ab. Dabei fühlte ich mich vor einem Jahr doch noch selbst wie ein Fremdkörper auf dem Campus. Deshalb rufe ich mir heute oft in Erinnerung, dass es da draußen noch eine andere Welt gibt. Wir dürfen nicht vergessen, dass nicht alle Menschen sich um eine Rolle in unserem - vielleicht manchmal skurrilen - Theaterstück beworben haben.
KarolinTockhornhatdasGefühl, dass ihr Masken-Repertoire von Jahr zu Jahr wächst.
Mehr als Null und Eins Mit einem Studiengang nur für Frauen versuchen Hochschulen mehr Diversität in die IT-Branche zu bringen. Dies ist aber nur ein erster Schritt. Denn Codes sind binär - Menschen vielfältig. Text: Hannah Lichtenthäler Illustration: die Greta
Programmieren ist Männersache? Von wegen. Die erste Programmiererin war eine Frau: Die Britin Ada Lovelace schrieb bereits im Jahr 1843 den allerersten computerrelevanten Algorithmus. Trotzdem ist die IT-Branche heute eine ziemliche Männerdomäne. In Deutschland sind laut Digitalverband Bitkom gerade mal 15 Prozent aller Fachkräfte in IT-Unternehmen weiblich. Geschlechterstereotype stehen der Wirtschaft im Weg, die mehr Arbeitskräfte im IT-Bereich braucht. »Die Homogenität der Branche ist ein Problem, das Frauen oft abschreckt«, erklärt Susanne Diehr, Referentin des Gunda-Werner-Instituts (GWI) für Feminismus und Geschlechterdemokratie. Um das zu ändern, gibt es Förderprogramme, wie zum Beispiel IT-nahe Studiengänge speziell für Frauen. An der Berliner Hochschule für Technik und Wirtschaft (HTW) können Frauen seit 2009 ganz unter sich studieren. »Informatik und Wirtschaft« heißt der Bachelorstudiengang, der 40 Frauen pro Jahr einen Studienplatz bietet. Der Informatikanteil beträgt etwa 70 Prozent und unterscheidet sich inhaltlich nicht von den gemischten Studiengängen. »Bei dem ganzen technischen Fachjargon ist es wichtig, dass Fragen gestellt werden. Wir wollen das Vorurteil abbauen, dass man Vorkenntnisse braucht, um IT zu studieren «, erklärt Juliane Siegeris, Professorin für Softwaretechnik an der HTW. Denn die haben auch männliche Studierende nur in den seltensten Fällen. Das ist auch der Studentin Mara besonders wichtig. «Fast alle fangen bei null an. Niemand hat Hemmungen, Fragen auch drei Mal zu stellen.” So wie Mara, die bereits einen Bachelor in Politikwissenschaft erworben hat, haben auch viele ihrer Kommilitoninnen bereits ein Studium oder eine Ausbildung abgeschlossen. Da so Frauen unterschiedlichen Alters vertreten sind, würden auch
ganz bewusst Mütter zum Studium ermutigt. Deshalb finden die Lehrveranstaltungen nur zwischen 9 und 16 Uhr statt. Die Diversität im Studiengang sei sehr hoch, meint Siegeris. Eine Tatsache, an der auch Unternehmen Interesse gefunden haben. Große Firmen wollen Kooperationsverträge und Netzwerke mit dem Frauenstudiengang aufbauen. Diehr erklärt: «Die Wirtschaft hat verstanden, dass sie kein Talent vergeuden darf.” Sie verweist aber auf das starke ökonomische Interesse und betont, dass der Studiengang nicht nur ein emanzipatorisches Projekt sei. Inwieweit durch solche Verträge die wissenschaftliche Unabhängigkeit beeinträchtigt wird, bleibt jedoch fraglich. Susanne Diehr findet den Ansatz von Frauenstudiengängen prinzipiell gut, bemängelt aber, dass er nicht weit genug führe. Um grundsätzlich mehr Diversität in die Branche zu bringen, müsse der Mainstream verändert werden, der immer noch männlich und weiß ist. Sie plädiert: »IT for Unicorns - statt nur für Frauen.« Damit bezieht sie sich auf das Karriere-Netzwerk »Unicorns in Tech« aus Berlin, eine IT-Netzwerk-Community für LGBTI und heterosexuelle Verbündete. So sei der Studiengang zwar ein Wegbereiter, aber nur ein kleiner Schritt, betont Diehr. »Stattdessen brauchen wir insgesamt mehr Empowerment und Vielfalt.«
Wenn sie groß ist, will Hannah Lichtenthäler lieber Einhorn werden.SiehatMännerdomänen satt. Es ist Zeit für Vielfalt.
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Campus
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Wo bin ich hier gelandet? Illustration: Nikola Tietze
Pferdammt weit weg
Danach geh ich schlafen
Alle Wege führen nach Bad Saarow. Eher nicht! Der Campus der Pferdewissenschaftler liegt unerreichbar im Berliner Umland. Der Versuch eines Besuches.
Wer sich einmal in den Kaninchenbau Youtube gewagt hat, findet aus eigener Kraft nicht mehr hinaus. Protokoll eines verlorenen Abends.
Text: Paul Lütge
Text: die Furios-Redaktion
I»Wann kommt endlich der Bus, ich friere mich hier tot!«, schreit ein kleiner Junge. Es ist 11 Uhr morgens, irgendwo weit außerhalb Berlins in der brandenburgischen Pampa. Und tatsächlich, es ist schweinekalt. Der Junge wartet gemeinsam mit seinen Großeltern auf den gleichen Bus wie ich - auf den Bus, der angeblich auch nach Bad Saarow fährt, zum Pferdezentrum der FU.
Nachts halb vier auf Youtube. Ich weiß nicht wie ich herkam und ich habe Angst vor dem, was vor mir liegt: Nicht schon wieder Katzen. Ursprünglich wollte ich mir das neue John Oliver Video anschauen. Da war es noch hell. Jetzt sitze ich im Dunklen – zwischen den Überresten von Schokoladentafeln und unangetasteten Uni-Texten. Nur der PC leuchtet noch und mein Zeigefinger holt im drei-MinutenTakt zum Klicken aus: Nur noch ein Video, dann gehe ich schlafen. Versprochen.
Ich bin noch nicht einmal dort angekommen und mir reicht es schon wieder. Neben mir tippelt eine ältere Dame hin und her und schüttelt nur noch den Kopf. Besser kann man es nicht ausdrücken. Wer meint, dass Dahlem weit ab vom Schuss ist, der hat sich noch nie auf den Weg nach Bad Saarow gemacht! Über eine Stunde Zugfahrt habe ich bereits hinter mir, um an diese Bushaltestelle zu gelangen, doch das Ziel ist noch lange nicht in Sicht. Irgendwann kommt der Bus. Die Fahrt dauert eine halbe Ewigkeit. Der Busfahrer kutschiert uns durch Orte, die gerade mal aus einer Straße bestehen. Man glaubt es kaum, doch irgendwann komme ich in Bad Saarow an, wo mich eine Idylle erwartet: Vögel zwitschern, Pferde traben auf der Weide – doch keine Menschenseele weit und breit. Und es ist immer noch verdammt kalt. Hier gibt es nichts. Und schon gar nichts Sehenswertes. Ich stehe vor den Eingangstoren des Pferdezentrums und klingele. Keiner macht mir auf. »Wir können Sie nicht reinlassen. Heute sind hier auch keine Studenten«, erfahre ich von einer Tierärztin am Telefon. Naja macht nichts, ich beginne ohnehin, die Zivilisation und den Kontakt zu anderen Menschen zu vermissen. Berlin, du kannst so hässlich sein. Aber auch warm und voller Leben. Und tatsächlich freue ich mich, nach Berlin zurückzukehren. Nur vor dem Heimweg graut es mir schon.
Ich bin nicht stolz darauf, was Youtube aus mir macht. Auf der Frontpage geht es los: Vor zehn Jahren hielt ich es für eine gute Idee, mich «Barbiegirl93” zu nennen. Die Buße dafür leiste ich noch heute: Mir werden vor allem Videos empfohlen, die mir fünf Minuten lang erklären, wie ich mir einen Pferdeschwanz binden kann, oder welche Schmink-Produkte ich verwenden muss, um auszusehen, als wäre ich ungeschminkt. Aus Protest schaue ich mir an, wie man eine Krawatte mit einem doppelten Windsor bindet. Das heißt für die allwissende Suchmaschine anscheinend, dass ich Interesse an der Bundeswehr habe – plötzlich wird mir Werbung für «Die Rekruten” angezeigt. Netter Versuch, aber ich bin Studentin am OSI. Dann schaue ich mir doch lieber zum fünften mal an, wie Donald Trump das Wort «China” wiederholt. Doch schon lenken mich alte «Upps, die Pannenshow”-Gewinnspiele wieder ab. Mein Favorit: «Ist das eine Klobürste oder eine Zahnbürste?”. Wenigstens gibt’s «Sharknado 3” nicht auf Youtube – so muss ich nur die ersten zwei anschauen. Bis ich damit durch bin, hat John Oliver auch endlich sein neues Video hochgeladen. Und so lange heißt es: China, China, China, China...
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Ewige Ehemalige: Rebellion bis nach ganz oben Ska Keller war mal Punk. Jetzt sitzt sie im Europaparlament. Eine Gratwanderung zwischen AufmüpfigkeitundKonformität,zwischenRevolutionundMarschdurchdieInstitutionen.DiesenWegschlug sie schon während ihrer Zeit an der FU ein. Text: Julian Jestadt
Ska war mal Punk – volles Programm: provokant, mal mit Glatze, mal mit grünen, mal mit blauen Haaren. »Ich habe damals alles ausprobiert. Wollte meine Individualität zur Schau stellen «, sagt sie. Inzwischen sieht sie etwas seriöser aus, etwas unscheinbarer, vielleicht sogar angepasst. Seit 2009 sitzt Ska, die mit vollem Namen Franziska Keller heißt, für die Grünen im Europäischen Parlament. Bei Redaktionsschluss ist sie ist handels- und migrationspolitische Sprecherin und Vizechefin der Europäischen Grünen. Im Dezember 2016 wird sie zur Fraktionsvorsitzenden gewählt. Die 35-Jährige sitzt neben dem Eingang eines Cafés an der Spree, den Rücken zum Fenster, das Smartphone vor sich. Gestern erst kam sie aus Brüssel nach Berlin, heute hat sie schon mit Scharen von Journalisten gesprochen. Sie ist freundlich, aber bestimmt, vielleicht etwas genervt. Gleich muss sie zu einer Parteiveranstaltung in der Nähe. Ob sie Lust hat? »Total«, sagt sie, »wird bestimmt super!« Und man weiß nicht, ob sie das ernst meint oder nicht. Ska wurde 1981 in Guben, Brandenburg, geboren, wo sie auch ihre Schulzeit verbrachte. Insgesamt 15 Jahre, zwei Mal ist sie sitzen geblieben. Irgendwann in dieser Zeit begann sie, über Politik nachzudenken, wurde Punk und Vegetarierin. Sie engagierte sich im antirassistischen Ortsverein und mit 20 Jahren trat sie der Grünen Jugend bei. Dort legte sie einen rasanten Aufstieg hin: 2009 – ihre Masterarbeit war noch nicht geschrieben – wurde sie ins Europäische Parlament gewählt. Ska hat Islamwissenschaften, Judaistik und Turkologie an der FU Berlin studiert. Ihr Studium bestand eigentlich nur aus Sprachkursen. Sie lernte Arabisch, Türkisch, Hebräisch. Doch die Politik stand für sie im Vordergrund: In den Pausen ging Ska in den Computerraum, um ihre Parteimails zu beantworten. Am Wochenende fuhr sie zu Politikveranstaltungen. Als sie dann ins Europäische Parlament gewählt wurde, war das alles etwas viel – und ihre Masterarbeit litt darunter. Heute kämpft Ska für Flüchtlinge und gegen eine undemokratische EU. »Ich streite für ein gerechtes, faires Europa, das Flüchtlinge schützt, Menschen hereinlässt und fair behandelt; das Menschenrechte und soziale Gerechtigkeit nicht nur im Inneren beachtet, sondern auch bei den Außenbeziehungen.« Damit gehört sie zum linken Flügel der Grünen. Seit langem fordert Ska eine gerechte Verteilung von Flüchtlingen in Europa, bei der die Präferenzen der Geflüchteten berücksichtigt werden. Sie will ein Ende des EU-Türkei-Deals, der Menschen-
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rechte mit Füßen trete, und kritisiert die undemokratischen Verhandlungen um TTIP. Doch sie glaubt, dass den Europäischen Grünen eine Vision fehlt: »Wir brauchen die große Idee, wo es hingehen muss.« Die meisten Abgeordneten würden in erster Linie ihren Wahlkreis vertreten, nicht Europa. Ska fühlt sich - trotz harscher Europakritik - als Europäerin und fordert eine grüne, europäische Vision. Die will sie den Grünen geben, wenn sie im Dezember die langjährige Fraktionsvorsitzende Rebecca Harms abgelöst hat. Bis dahin überlegt sie, ob sie sich ihre Haare wieder abrasieren soll. Sie will provokant sein. Ska ist eben noch immer Punk im Europaparlament.
Julian Jestadt hält sich auch für Punk.
Kultur
Kultur
Zu Beginn eines Studiums beeinflusst wohl besonders der eigene Studiengang, mit welcher Subkultur man sich identifizieren kann. Laut Ambrasat können diese sogenannten »Fachkulturen« großen Einfluss auf politische Einstellungen und den Lebensstil der Studierenden haben, sodass sich diese nur noch in bestimmten Räumen untereinander aufhalten: »So bilden sich in den Fächern meistens eigene studentische Kulturen heraus.« Der Grund für solche Fachkulturen liegt also darin, dass die Studierenden innerhalb eines Studienganges meist für sich bleiben. Das treffe vor allem auf Monobachelor zu. Interdisziplinäre Studiengänge böten mehr Austausch zwischen den Fächergruppen, wodurch viele Studierende mehr aus ihrer Fachkultur ausbrechen können und offener für andere Einflüsse sind.
Sie leben unter uns Die Gesellschaft glaubt an den deutschen Universitäten floriere eine große studentische Kultur voller Freigeister und Kreativen. Es gibt aber mehr als diesen Einheitsbrei. Welche Subkulturen lassen sich auf dem Campus entdecken sind und wie sind sie zu erklären
Text: Corinna Cerruti Illustration: Manon Scharstein An einem normalen Unitag begegnen einem die unterschiedlichsten Menschen. Morgens treffen sich einige Studierende im Café Kauderwelsch, um noch eine vegane Bio-Latte im eigens dafür mitgebrachten Becher zu schlürfen. Äußere Kennzeichen wie Kleidungsstil oder Symbole lassen die Person schon als Veganer, Hippie oder Öko erkennen. Spätestens im Gespräch werden diese Personen entlarvt. Sie unterscheiden sich auf der einen Seite vom Mainstream des Campus. Auf der anderen Seite aber hat man das Gefühl, sie schon öfter getroffen zu haben. In den Fluren trifft man häufig den Mate-trinkenden Hipster mit Rauschebart und zusammen geknoteten Haaren. Oder die BWL-Studentin mit Perlenohrringen, deren teure Markenbluse unter dem Pullover hervorblitzt und die ihre schweren Wirtschaftsbücher mühselig zur nächsten Vorlesung schleppt. Bei diesen Charakterisierungen handelt es sich natürlich um Stereotype. Trotzdem laufen sie einem regelmäßig über den Weg, und wenn man darüber nachdenkt, gibt es bestimmte Orte am Campus, wo augenscheinlich Anhänger derselben
Kultur auftauchen. Wie lässt sich das erklären? Jens Ambrasat, Doktorand der Soziologie an der Freien Universität, beschreibt diese Gruppierungen als Subkulturen, die sich von einer ganzheitlich wahrgenommenen, universitären Kultur abgrenzen. Sie zeichnen sich durch ein eigenes Erscheinungsbild aus, zum Beispiel durch Kleidung oder Symbole, durch eine gemeinsame Musikpräferenz oder bestimmte Freizeitaktivitäten. »Es muss Praktiken und gemeinsame Räume geben, wo man sich trifft, um die gemeinsame Kultur auszuleben, wo man sich aneinander orientiert und die eigene Identität in Bezug zu dieser Subkultur setzt«, erklärt er. Dabei entwickele sich ein Wir-Gefühl, das den eigenen Lebensstil zu anderen Subkulturen abgrenze und eine gemeinsame Identität schaffe. Eine Subkultur sei jedoch nicht mit einer Clique zu verwechseln: Eine Clique sei eine informelle Gruppe und gründet vor allem auf freundschaftlicher Basis. Sie brauche keine gemeinsamen kulturellen Merkmale, auch wenn sie sich oft durch gemeinsame Interessen und Einstellungen bilde.
Aber entstehen diese Subkulturen überhaupt an der Universität? Oder sind sie schon in der Gesellschaft existent und werden in den universitären Raum getragen? Ambrasat hält beides für möglich. Innerhalb des eigenen Studiengangs grenze sich die Fachkultur gegenüber einer allgemeinen universitären Kultur und den Kulturen anderer Fächer ab. »Aber gerade in Bezug auf Lebensstilfragen halte ich es für viel wahrscheinlicher, dass die von außen hineingetragen werden, vielleicht leichte Abänderungen erfahren, aber nicht wirklich in der Universität entwickelt werden.« Vielmehr würden Trends aus der Gesellschaft in der studentischen Kultur verstärkt. Studierende - als eine Avantgarde der Gesellschaft - hätten meist die wirtschaftlichen Ressourcen, um experimentelles Verhalten zu zeigen. «Dadurch, dass sie sich in einem sozialen Raum begegnen, können sich diese Einstellungen wiederum verstärken«, sagt Ambrasat. So sähe es für die Gesellschaft von außen aus, als würden Studierende durch ihre Extravaganz neue Trends schaffen. Weiterhin sei anzunehmen, dass viele Studierende schon vor der Universität einen bestimmten Lebensstil pflegen oder gewissen Einstellungen folgen und nach diesen auch ihren Studiengang wählen. Eine Studierende, der Wohlstand sehr wichtig sei, würde vielleicht eher Jura oder BWL studieren als Kunstgeschichte oder Pädagogik. Jemand, der vor allem technikversiert sei, fühle sich eher zu Informatik oder Ingenieurwesen hingezogen, als zu Politikwissenschaft oder Soziologie.
AlsSoziologiestudentinbeobachtet CorinnaCerrutigerneMenschen. In Berlin gibt es dafür einiges an Futter.
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Klappe, die Erste! Filmwissenschaftler lernen, wie Filme gedreht werden? Falsch gedacht. Um ein wenig Kreativität in das theoretische Studium zu bringen, haben Masterstudentinnen die Freie Filmwerkstatt gegründet. Ein Ort, an dem sich Filmschaffende ausprobieren können. Text und Fotos: Camares Amonat
Einen eigenen Film drehen - das war Fabienne Butts großer Wunsch, als sie anfing an der Freien Universität Berlin zu studieren. Die angehende Filmwissenschaftlerin wollte sich neben dem Studium auch mit dem Filmemachen beschäftigen. «Ich habe dann aber schnell gemerkt, dass es keine Initiativen oder Angebote gibt, um kreativ tätig zu werden und Projekte zu starten. Deswegen habe ich das Ganze selbst in die Hand genommen.”Gemeinsam mit ihrer Kommilitonin Nausika Lenz gründete die Masterstudentin im Frühjahr 2016 die Freie Filmwerkstatt. Eine Gemeinschaft, in der Filmschaffende zusammenfinden können. Dabei ist die Initiative vor allem eine Ergänzung zum Studium der Filmwissenschaft. «Das Studium ist nahezu komplett theoretisch. Filmwissenschaftler werden nicht dazu ausgebildet, Filme zu machen, sondern sich mit ihnen auseinanderzusetzen”, erklärt Fabienne. Dabei sollte das Wissen um die Entstehung eines Filmes ihrer Meinung nach ein fester Bestandteil der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit Filmen sein. «In der Filmwerkstatt vereinen wir beides: Den theoretischen und den praktischen Blick.” Eine solche Initiative zu gründen brachte jedoch einige Hürden mit sich. Vor allem versuchten Fabienne und Nausika, möglichst viele angehende Filmschaffende zu erreichen. Dr. Christian Pischel, Professor der Filmwissenschaft, stand den zweien aber zur Seite und machte Werbung in seinen Seminaren. Nach ein
paar Tagen hatte sich eine Gruppe von 25 Teilnehmern gefunden. In der freien Filmwerkstatt sind die Rollen nicht fest verteilt. Keiner muss sich festlegen, ob er Kamera, Regie, Drehbuch, Schnitt, Ton oder Produktion machen möchte. Die Mitglieder haben alle sehr unterschiedliche Erfahrungen im Filmbereich. Einige haben schon oft am Set gearbeitet, andere dagegen noch nie. Dementsprechend ist auch die Ausstattung noch ein bisschen provisorisch. Oft müssen die Teilnehmer auf ihr privates Equipment zurückgreifen oder es aus Seminaren ausleihen. Bisher finanzieren sie sich abgesehen von einer kleinen Unterstützung durch den Asta selbst. Ihren ersten Film drehte die Freie Filmwerkstatt innerhalb nur einer Woche. Das 18-minütige Werk feierte im Winter Premiere und ist seitdem auf Youtube zu sehen. Als nächstes Projekt ist vor allem eine mehrteilige Webserie im Gespräch.
CamaresAmonatwarnachihren Recherchen so von der Freie Filmwerkstattbegeistert,dasssie jetzt selber Mitglied ist.
Der Autor lebt Foto: Martina Kirchof (Pressefoto)
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Lässt sich lernen, wie Literatur funktioniert? Wer die Theorie beherrscht,dürftemitderPraxiswenigerProblemehaben.DerAutor Volker Kaminski hat den Sprung vom Literaturwisschenschaftler zum Literaten geschafft. Jedoch weiß er selbst: Eine verkopfte Herangehensweise kann der Kunst schaden. Text: Lukas Burger
Gottfried Benn und Alfred Döblin waren ihr Leben lang Ärzte, Franz Kafka arbeitete für Versicherungen und Johann Wolfgang von Goethe war nicht nur Anwalt, sondern auch in verschiedenen Ministerämtern tätig. Viele Schriftsteller beschäftigten sich beruflich mit Dingen, die mit ihrer Leidenschaft nichts zu tun hatten. Der Autor Volker Kaminski, der diese Beispiele natürlich kennt, wollte seine Energie aber nur auf das Schreiben verwenden. Von 1983 bis 1990 studierte er deshalb an der FU Germanistik und Philosophie. Heute schreibt Kaminski nicht nur literarisch. Er produziert auch Glossen und Kritiken für die Berliner Zeitung, unterrichtet kreatives Schreiben und muss sich, wie jeder heutzutage, auch noch selbst vermarkten.
tiger Texte studieren und so eine eigene Technik entwickeln.” Doch ein Germanistikstudium kann für einen werdenden Autor auch gefährlich sein: Sich ständig mit den Größen der Weltliteratur zu vergleichen, kann sich sich stark auf den Glauben an das eigene Schreibtalent auswirken. »Ich wusste nicht, was ich noch schreiben sollte. Die Unbefangenheit des Erzählens war weg.” Volker Kaminski hatte eine handfeste Schreibkrise, die nicht nur durch die Literatur selbst, sondern auch durch die Auseinandersetzung mit Literatur als Wissenschaft ausgelöst wurde. »Es gab während meines Studiums eine Zeit, in der sich alles so theoretisch angefühlt hat, dass ich Schwierigkeiten hatte, einfach naiv loszuschreiben.”
Wann er sich das erste Mal als Autor vorgestellt hat, weiß Kaminski nicht mehr. Als im Jahr 1988 seine erste Erzählung im Radio gelesen wurde, jedenfalls noch nicht. Doch das änderte sich bald darauf. »Wenn man sein Manuskript an Verlage sendet und sich bei Lektoren vorstellt, ist man kein Hobbyautor mehr«, konstatiert Kaminski heute. 1994 veröffentlichte er seine erste Novelle »Die letzte Prüfung« im Wagenbach Verlag. Wenn er von seinen bisherigen Erfolgen erzählt, wirkt das nicht wie Angeberei, sondern vielmehr wie der Wunsch, seine berufliche Laufbahn und den damit verbunden Aufwand zu rechtfertigen. Aufwand, den er betreibt, um von seiner Leidenschaft leben zu können.
Das Studium selbst bot Kaminski aber auch den Ausweg aus dieser Krise. Ein Seminar über Heinrich von Kleist, über den er später auch seine Magisterarbeit schrieb, gab ihm die Lust am Schreiben wieder. »Mein Dozent hat über Kleists Dramen gesagt, es ist ja nur Papier. Man hat die völlige Freiheit alles zu erzählen und es kommt nur auf die Worte an, mit denen man erzählt. Das hat mir meine Leichtigkeit wiedergegeben.« Eine Zeit lang versuchte Kaminski dann erfolglos, Kleists Stil zu kopieren - bis er seinen eigenen fand. »Dafür war es wichtig, mit meinem Schreiben an die Öffentlichkeit zu gehen. Wenn man immer nur im stillen Kämmerlein werkelt, läuft man Gefahr betriebsblind zu werden. Kritik zu erhalten und sich zu überlegen, wo sie zutrifft und wo nicht, ist unglaublich wichtig für den eigenen Stil.”
Parallelen zu Kaminskis Laufbahn finden sich auch in seinem Buch »Söhne Niemands«, das er 2000 veröffentlichte. Es verhandelt die Selbstzweifel eines Germanistikstudenten im fortgeschrittenen Semester. Auf die Frage, was ihn selbst zu diesem Studium bewogen hat, weiß der Autor sofort eine Antwort: »Ich habe Germanistik vor allem aus Leidenschaft studiert, nicht mit einem festen Berufswunsch.” Diese Entscheidung habe er nie bereut. Sich nur mit Literatur beschäftigen zu können, habe ihm für sein eigenes Schreiben wahnsinnig geholfen. »Durch mein Studium konnte ich die Methoden und Verfahren vieler wich-
LukasBurgerhattewährendder Heftproduktion auch mit Schreibkrisen zu kämpfen. Zum Beispiel beim Autorenkasten.
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Ausgeschlafen?
Die geklaute Rubrik Wir sind großartig. Aber andere machen auch schöne Sachen. An dieser Stelle pflücken wir die besten Rubriken im Blätterwald und füllen sie mit unseren Inhalten. Folge IX: «Bilderrätsel” aus der NEON. Text und Fotos: Sarah Ashrafian und Anke Schlieker
Keine Lust mehr auf Uni? Dann rätsel los, welche Ausdrücke wir für das Thema «Nicht in die Uni gehen” fotografiert haben. Die Buchstaben in den gelben Feldern ergeben das Lösungswort. Schick uns dein Ergebnis an redaktion@furios-campus.de und gewinne ein furioses Überraschungspaket zum Thema «In der Blase”. Vor 11 Uhr morgens geht gar nichts? Bestimmte Gene sind für unseren Schlafrhythmus verantwortlich. Widersetzen wir uns diesem, sind wir deutlich gestresster. Eine Studie der Charité warnt vor Depressionen und Burnout. Text: Katharina Chowanski und Jan Heydebreck Illustration: die Greta
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Um acht Uhr morgens in die Uni zu gehen, ist kein Zuckerschlecken. Besonders schwer ist die Überwindung aus dem Bett aufzustehen, wenn das ereignisreiche Wochenende noch in den Knochen steckt. Wenn dann aus Zeitmangel auch noch der Kaffee ausfallen muss, bändigt nichts mehr den Morgenmuffel im Studierenden. Die biologische Uhr stellt sich gegen seinen Alltag. In einer laufenden Studie der Charité beschäftigt sich der Stressforscher und Psychiater Mazda Adli mit den Folgen, die ein Arbeitsrhythmus entgegen der biologischen Uhr haben kann. Um dem Thema nachzugehen, bestimmen Adli und seine Forschergruppe zunächst den Chronotypen ihrer Probanden. Das heißt, sie müssen herausfinden, wie deren innere Uhr tickt: Frühaufsteher oder eher Nachteule? Nach der Auswertung von über 1600 Datensätzen stellte sich heraus, dass die Mehrheit der Probanden rein biologisch lieber später aufsteht und länger aufbleiben würde. Die Studie beschäftigt sich vor allem mit den Kandidaten, die extrem gegen ihre innere Uhr arbeiten. »Ein gutes Beispiel ist vielleicht ein Bäckermeister, dessen Körper am liebsten von zwei Uhr bis elf Uhr morgens schlafen würde, der aufgrund der Arbeitszeiten aber schon um halb drei Uhr morgens aufstehen muss«, schildert Adli. Da der dabei auftretende Stress den Folgen einer Zeitverschiebung durch einen Langstreckenflug ähnelt, nennen die Forscher diese Störung sozialen Jetlag.
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Der soziale Jetlag führt wie sein Namensvetter zu einem erhöhten Stressrisiko, verschwindet allerdings nicht nach ein paar Tagen wieder. Adli sieht darin eine große Gefahr, an affektiven Störungen wie Depressionen oder Burnout zu erkranken. Er untersucht deshalb, ob die Kandidaten mit sozialem Jetlag auf Stresssituationen besonders heftig reagieren. Im MRT werden ihnen dafür Konzentrations- und Denkaufgaben gestellt, die
sie unter Druck setzen sollen. Die Konzentration des körpereigenen Hormons Cortisol wirkt dabei als Stressindikator. Adli geht davon aus, dass die Probanden mit sozialem Jetlag deutlich leichter unter Druck geraten. Der soziale Jetlag führe nämlich zu sogenanntem Chronostress, also einem dauerhaft hohen Stresslevel. Kann die Studie diese Verbindung beweisen, wäre das ein eindeutiges Zeichen dafür, dass der Chronotyp, also die innere Uhr, Auswirkungen auf unseren gesamten Alltag hat. Frauen und Männer sind gleich von Chronostress betroffen, wie zu Beginn der Studie gezeigt wurde. Für bessere und vergleichbare Ergebnisse wird die Studie aber momentan nur noch mit berufstätigen Männern durchgeführt. Eine einfache Lösung gegen den Chronostress gibt es leider nicht. Der Chronotyp ist genetisch festgelegt, also kann er selbst nicht beeinflusst werden. Man sollte aber mehr auf seine innere Uhr hören und sich so seinem Chronotypen anpassen. Auf der Webseite der Charité kann man sich über über den eigenen Chronotypen informieren. Bei der Berufswahl, könnten diese Faktoren mit einbezogen werden. Das ist natürlich nicht immer möglich. Flexible Arbeitszeiten oder arbeiten im Homeoffice können das Leben aber deutlich stressfreier machen. Da die Vorlesungen aber in den nächsten Jahren vermutlich nicht flexibel oder von zu Hause aus besucht werden können, müssen Studenten wohl noch eine Weile mit dem Chronostress klarkommen.
Katharinaweißgenau,wasfürein Morgenmuffel Jan sein kann. Zum Glück hat er jetzt eine medizinische Ausrede: Chronostress
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Nebenwirkung: Gehirntumor Wissen ist nicht nur Macht, sondern auch Risiko? Studierte Menschen erkranken wesentlich öfter an Gehirntumoren als Nicht-Studierte.Daswollenzumindestbritisch-schwedischeWissenschaftler herausgefunden haben. Wir sind der Studie auf den Grund gegangen und haben versucht herauszufinden, ob studieren tödlich sein kann.
tet Misch. Der Neurochirurg erklärt, dass im Schlaf Reparaturprozesse stattfinden, die die Tumorzellen zerstören. Unter Stress könne das Immunsystem Tumorzellen eventuell weniger gut erkennen – so seine Hypothese. Der Hauptautor der Studie, Amal Khanolkar, sagte hingegen in einem Interview, dass Personen mit niedriger sozioökonomischer Position vermutlich gestresster seien und sich die Befunde somit nicht durch das Stresslevel erklären ließen. Die Studie vermutet stattdessen, dass Menschen mit höherer Bildung und Einkommen früher ärztliche Hilfe aufsuchen würden und der Gehirntumor dadurch häufiger erkannt wird.
Text: Rebecca Stegmann Illustration: Robin Kowalesky
Klappt die Bücher zu, rennt aus der Bibliothek und brecht schleunigst das Studium ab – euer Gehirn wird es euch danken. Die Ergebnisse einer im Juni 2016 veröffentlichten britisch-schwedischen Studie hören sich beunruhigend an: Frauen, die drei Jahre oder länger zur Uni gegangen sind, hatten ein um 23 Prozent höheres Risiko an dem häufigsten bösartigen Hirntumor, einem Gliom, zu erkranken, als Frauen mit geringer Schulbildung. Bei Männern waren es 19 Prozent. Auch höheres Einkommen und das Innehaben einer leitenden Position wurden mit einem erhöhten Hirntumorrisiko in Zusammenhang gebracht. Die Größe der Untersuchung ist beeindruckend: Es handelt sich um eine sogenannte Kohortenstudie, bei der fast alle Schweden, die von 1911 bis 1961 geboren wurden, berücksichtigt wurden. Aus dem nationalen Krebsregister konnten die Wissenschaftler entnehmen, welche von diesen etwa vier Millionen Menschen zwischen 1993 und 2011 an einem Hirntumor erkrankten. Die Daten zu Bildung, Familienstand, Einkommen und Beruf der Personen zum Zeitpunkt der Diagnose sammelten die Forscher aus verschiedenen schwedischen Nationalregistern. Wie beurteilt ein Experte die Befunde? Martin Misch ist Oberarzt der Neurochirurgie an der Charité und forscht zu Hirntumoren. Die Studie sei in den Fachkreisen viel diskutiert wourden. Methodisch sei sie gut gemacht. »Skandinavische Länder sind für solche Studien geeignet, weil die Bevölkerungszahl überschaubar ist und es ein allgemein zugängliches, gutes Gesundheitssystem gibt.« Einen Grund, das Studium abzubrechen, sieht Misch trotzdem nicht. Der Neurochirurg muss beim Lesen der Hirntumorstudie an Störche denken. Er erzählt von einer Studie, die gezeigt hat, dass in Regionen mit mehr Störchen auch mehr Kinder geboren werden. »Eine Korrelation muss nicht notwendigerweise auch eine Kausalität bedeuten«, verdeutlicht Misch. Bei den Störchen handelt es sich um eine
Bislang nachgewiesene Ursachen von Hirntumoren sind vorherige Strahlentherapien, Schädelhirntraumata und bestimmte Erbkrankheiten. Handynutzung wird von einigen Wissenschaftlern ebenfalls als Ursache für Tumorgenese vermutet – allerdings widersprechen sich die Studien. Misch ist davon nicht überzeugt. »Theoretisch müsste sich eine Seitenbetonung feststellen lassen, an der Seite, an der man normalerweise telefoniert. Das konnten wir hier an der Charité aber nicht nachweisen.«
Scheinkorrelation. Das heißt, der festgestellte Zusammenhang zwischen Datenwerten ist entweder reiner Zufall oder lässt sich über weitere Faktoren erklären. Für die Störche könnte das der Industrialisierungsgrad sein. In industrialisierten Gebieten gibt es weniger Störche und auch eine niedrigere Geburtenrate. Misch kann sich nicht vorstellen, dass Bildung, also der Verknüpfungsgrad der Synapsen, zu Hirntumoren führt. Die Ursache für die Korrelation sieht er in unterschiedlichen Lebensstandards, die mit der sozioökonomischen Position eines Menschen einhergehen. »Aber welcher von diesen tausenden Aspekten des Lebensstils das ist, weiß ich nicht.« Stress und Schlafmangel könnten eine Rolle spielen, vermu-
Die Ernährung zählt zu den tausenden Faktoren, die den Lebensstil ausmachen und die potenziell tumorfördernd sind. Während die einen Forscher nachgewiesen haben wollen, dass Tomaten, Schokolade und Kaffee das Krebsrisiko senken, bescheinigen die anderen ihnen eine krebserregende Wirkung. Auch dazu, dass fast jedes Nahrungsmittel schon einmal in Anzeige
einer Studie auf sein Krebsrisiko untersucht wurde, gibt es eine Studie. »Die Publikationsflut hat auf jeden Fall sehr stark zugenommen”, sagt Misch. Die Störche bringen also nicht die Babys und Bildung verursacht wohl keine Hirntumore, sondern der Auslöser liegt bei einem oder mehreren der Faktoren, die bei der Studie nicht untersucht wurden. Das heißt: zurück in die Bibliothek, Bücher aufklappen, um hoffentlich irgendwann herauszufinden, ob Stress oder doch das Essen von Tomaten den Zusammenhang zwischen dem Abschluss und den Hirntumoren erklärt.
Rebecca Stegmann versucht stressfreieOptimistinzuseinund hatdenletztenBissenSchokolade gerademiteinemSchluckKaffee runtergespült.
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Wissenschaft
Gemeinsam einsam Zusammen ist man weniger allein? Von wegen! Vielen StudierendenfehltamAnfangdesStudiumsderAnschluss.Anonymitätund Einsamkeit an der Uni sind ernstzunehmende Probleme. Denn sie beeinflussen nicht nur das Wohlbefinden, sondern auch die Lernleistung und die Gesundheit. Text: Kristin Böschen Illustration: Julia Fabricius 4 Millionen Einwohner in Berlin, 40.000 Studierende an der FU, 40 Kommilitonen im Seminar: Zahlreiche potentielle neue Bekannte, Freunde, Partner, Lern- und Leidensgenossen. Und trotzdem beginnt mit dem Studium nicht für jeden die so oft beschworene beste Zeit des Lebens. Für Tobias*, der mittlerweile schon seinen Master macht, war zumindest das Bachelorstudium eine Zeit der Einsamkeit. Ihm fiel es schwer, Kontakte zu Kommilitonen zu knüpfen. »Am Anfang hatte ich noch Freunde außerhalb der Uni, Leute aus der Schulzeit, die auch nach Berlin gegangen waren. Nach und nach verlor sich dieser Kreis aber und im Studium kamen keine neuen Leute hinzu.” Das anfängliche Gefühl der Anonymität wurde mit jedem alleine verzehrten Mensaessen, mit jedem Tag, an dem er wieder mit niemandem außer dem Supermarktkassierer gesprochen hatte, stärker: «Nach einiger Zeit bemerkte ich, dass da etwas nicht in Ordnung war, dass ich nicht nur alleine war, sondern mich einsam fühlte.” Mit dieser Einsamkeit an der Uni ist Tobias nicht alleine. Eine Statistik aus dem Jahr 2013 zeigt: Kontaktprobleme an der Uni gehören zu den regelmäßig genannten Gründen unter Stud-
ierenden, die die Psychologische Beratung der FU aufsuchen. Dass Anonymität an der Uni ein Problem darstellt, kann Brigitte Reysen, Diplom-Psychologin und Mitarbeiterin in der Beratungsstelle, ebenfalls bestätigen. Zwar würden die meisten Studierenden zunächst aufgrund von Lernproblemen zu ihr kommen. »Im Laufe des Gesprächs stellt sich jedoch oft heraus, dass dahinter eigentlich ein anderes Problem steht – das fehlende soziale Umfeld an der Uni.” Auch Tobias hatte mit Lernproblemen zu kämpfen: In überfüllten Lehrveranstaltungen bleiben lebendige Diskussionen aus, Gruppenarbeiten sind meistens rein zweckorientiert und neben Notendruck findet das Gespräch mit dem Sitznachbarn keinen Platz. Reysen sieht im fehlenden Kontakt unter Studierenden eine Ursache von Lernproblemen: »Lernprobleme können sich auch daraus entwickeln, dass man keine Unterstützung erfährt. Wer stattdessen mit jemandem zusammen lernt, hat oft automatisch beides: Lernerfolg und Lebensqualität durch den sozialen Umgang.« Einsamkeit zeigt sich aber nicht nur als Lernstörung. Der US-amerikanische Neurowissenschaftler John Cacioppo und seine Kollegen haben in diversen Studien nachgewiesen, dass sie zum Beispiel ein häufiger Auslöser für Depressionen ist. Den Betroffenen ist dies aber oft nicht bewusst, so Reysen. Das müsse nicht der einzige Grund sein, warum Einsamkeit in der Sprechstunde seltener angegeben wird als Lernprobleme oder Depressionen: »Vielen ist es auch unangenehm, über dieses Thema zu reden und so werden Studienprobleme gewissermaßen vorgeschoben.« Oft liege es daran, dass die Großstadt vor allem Zugezogenen aus ländlichen Regionen zu schaffen mache, so Reysen. Gerade am Anfang eines Studiums sei es in einer anonymen Metropole wie Berlin schwieriger, neue Freunde kennenzulernen, als in einer kleinen Studentenstadt, in der sich viele Erstsemester in einer ähnlichen Situation befinden und derselben Kneipe tummeln. Tobias hatte mit dem gleichen Problemen zu kämpfen, auch er ist vom Land in die Stadt gezogen. Mit ein bisschen Geduld und dem Mut, die eigene Komfortzone zu verlassen, konnte er aber aus seiner Situation herauskommen. Ein Bekannter nahm ihn mit zu einer Sitzung der Fachschaft, wo er Anschluss gefunden hat und bis heute aktiv ist. Auch Reysen empfiehlt Studierenden sich abseits der Lehrveranstaltungen zu engagieren. Darüber hinaus bietet die Psychologische Beratung jedes Semester eigene Workshops an, die Studierenden gegen die Vereinsamung helfen sollen. Ob man es nun aber in diesem Workshop, in der Badmintongruppe oder doch an der Bar versucht, wichtig ist vor allem: Misserfolge nicht persönlich nehmen und Geduld mit sich selbst und anderen haben. *Name geändert
KristinBöschenfremdeltzwarmit Autorenkästen, möchte in AnbetrachtderThemasaberauch nicht anonym bleiben. Tja
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Der empörte Student
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MehrZweckehealsLiebesheirat.UnsereAutorinhateingespaltenesVerhältniszuihremSemesterticket. Text und Illustration: Cecilia T. Fernandez
wie reizend von dir, dass du immer dann in den tiefsten Falten meines Portemonnaies verschwindest, wenn der Kontrolleur schon mit genervter Miene auf mich hinab starrt. Mit glühenden Wangen krame ich dann panisch in meiner Tasche und finde dich irgendwann zwischen meiner Mensakarte und einem angelutschten Bonbon wieder. Wie ein zerknüllter Lappen liegst du dann vor mir und badest in deinen eigenen Schnipseln. Ich weiß: Dass du so aussiehst, habe ich mir selbst zu schulden kommen lassen. Dafür entschuldige ich mich. Immerhin soll ich stets der Zeiten auf dem Dorf gedenken, als es dich nicht gab. Dort fuhr der Bus nur jede halbe Stunde und U-Bahnen gab es nicht. Jetzt habe ich dich und du gewährst mir für nur fast 400 Euro im Jahr Zugang zu Berlin und Umland. Na gut, nicht wirklich zum Umland... Wer in Brandenburg unterwegs ist, den bringst du nicht weit. Aber seien wir ehrlich, wer will schon auf’s Land fahren, wenn man auch in den Berliner Unterwelten verweilen kann, zwischen unverständlichen Bahnhofsansagen und vorbeihuschenden Nagetieren? Zu deinem Kauf bin ich verpflichtet. Und weil der Preis jedes anderen Tickets mit deinen Leistungen irgendwo zwischen 100 Euro monatlich und einem Erstgeborenen rangiert, schulde ich dir sogar Dankbarkeit. Deshalb an dieser Stelle ein großes »Dankeschön«! Danke dafür, dass ich ein Verkehrsnetz nutzen darf, das riecht, als wäre es nicht mit Champagner, sondern Urin getauft worden. Danke dafür, dass der Fahrplan der Linie M11 ähnlich zuverlässig ist, wie dieser eine Freund, der einem schon vor Monaten die einst
Herausgeber: Freundeskreis Furios e.V. Chefredaktion: Sarah Ashrafian, Anke Schlieker (V.i.S.d.P.,FreieUniversitätBerlin,JK26/222a,HabelschwerdterAllee 45, 14195 Berlin) Ressortleitung Politik: Lucian Bumeder, Julian Jestadt Ressortleitung Campus: Hannah Lichtenthäler, Theodor Wilde Ressortleitung Kultur: Lukas Burger, Evelyn Toma Ressortleitung Wissenschaft: Eva Famulla, Kim Mensing Layout: Corinna Schlun Chefin vom Dienst: Corinna Schlun RedaktionelleMitarbeitandieserAusgabe:CamaresAmonat,Sarah Ashrafian, Kristin Böschen, Lucian Bumeder, Lukas Burger, Corinna Cerruti, Katharina Chowanski, Eva Famulla, Cecilia T. Fernandez, BenGutberlet,JanHeydebreck,JulianJestadt,HannahLichtenthäler, PaulLuetge,KimMensing,MariusMestermann,DavidRouhani,Jonas Saggerer, Anke Schlieker, Corinna Schlun, Hanna Sellheim, RebeccaSteegmann,KarolinTockhorn,EvelynToma,FriederikeWerner, Theodor Wilde
ausgeliehene DVD zurückbringen wollte. Und natürlich auch Danke dafür, dass ich in Zügen fahren darf, in denen mir fast täglich selbsternannte Barden der Bahnen »Hit the Road, Jack« ins Ohr kreischen, während ich schon verzweifelt versuche, mir die Kopfhörer in die Hirnrinde zu bohren. Das darf man alles nicht so negativ sehen. Schließlich sind die morgendlichen Fahrten in der U3, in denen man sich mit scheinbar allen anderen 39.999 FU-Angehörigen einen Kurzzug teilt, nicht bloß Zumutungen – das sind Herausforderungen für Nase, Lungen und das physikalische Konzept von Raum! Und an Herausforderungen wächst man. Doch für all das kannst du ja wirklich nichts, liebes Semesterticket. Und weil ich dich und deinen günstigen Tarif nicht verlieren will – weil ich es mir gar nicht leisten kann – schlucke ich meine Vorwürfe lieber runter und halte mir einfach die Nase zu. Nicht, dass ich am Ende zurück ins Dorf verbannt werde. Beste Grüße Ein genervter, liebender Fahrgast
FÜR DIE OPTIK IM HEFT SORGTEN:
Illustrationen:KatharinaChowanski,JuliaFabricius,JannisFahrenkamp, Cecilia T. Fernandez, Robin Kowalewsky,Tatjana Kulow, EugeniaLopezDúran,ManonScharstein,GretaSedlmayr,DavidStach, Nikola Tietze Fotografien:CamaresAmonat,MariusMestermann,AnkeSchlieker, Hanna Sellheim, Karolin Tockhorn, David Rouhani Titelgestaltung: Marius Mestermann Lektorat: Felix, Lindner, Hannah Reiners, Friederike Werner, ISSN: 2191-6047 www.furios-campus.de redaktion@furios-campus.de JederAutoristimSinnedesPressegesetzesfürdenInhaltseinesArtikelsselbstverantwortlich.DieindenArtikelnvertretenenMeinungen spiegelnnichtzwangsläufigdieAnsichtderRedaktionwider.Gemäß demUrheberrechtliegendieRechteandeneinzelnenWerkenbeiden jeweiligen Autoren.
JannisFahrenkamphatsichgerade 25 kg Comictrash aus den 80ern gekauftundamüsiertsichdamit prächtig.
Tatjana Kulow studiert was sie will,solangesiewill.Bolognahin oder her.
Robin Kowalewsky fragt, kann manhierwirklichreinschreiben, was man will?
Die 3 schlimmsten Dinge, die David Stach je geklaut wurden, sind: ein Fahrrad, ein Fußballtrikot und ein Teppich.
Julia Fabricius möchte lieber undercover bleiben.
Nikola Tietze ist allzeit bereit für den Sprung ins Meer der Möglichkeiten,unserewunderbare,bunte Welt zu erkunden.
Foto: chrisjtse
Liebes Semesterticket,
Eugènia López Duran würde in einem Hörsaal mit Strandfläche sogar schneller einschlafen
Manon Scharstein studiert Filmwissenschaft,kannaberdas Zeichnennichtlassenundsucht daher rücksichtslos nach Möglichkeiten,sichkünstlerisch auszutoben.
DiegretastudiertIllustrationund Comic in Kassel.