GELD-Magazin April 2021

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BRENNPUNKT . Inflation

Geldpolitischer Balanceakt Die Märkte erwarten Inflation! Zentralbanken stehen nun vor der Herausforderung, die langfristigen Zinsen zu zähmen, um ein Abwürgen des Aufschwungs zu verhindern, ohne die Gefahr einer Inflation aus den Augen zu verlieren. MORITZ SCHUH

„Ich mache mir viel mehr Sorgen, dass wir entweder eine Inflation oder eine ziemlich dramatische fiskalisch-monetäre Kollision haben werden.“ Larry Summers, ehemaliger US-Finanzminister

B

esorgnis über zu große Konjunktur-

Entscheidende Erwartungen

pakete und ausufernde Geldpolitik

Prinzipiell kann ein einmaliger Nachfrage-

schürten in den vergangenen Mo-

schub auch ohne dauerhafte Auswirkungen

naten weltweit Ängste, dass uns ein unkon-

auf die Preise bewältigt werden, da jeder er-

trollierter Anstieg der Inflation ins Haus ste-

kennt, dass es sich um ein außergewöhn-

hen könnte. Entsprechende Signale der Mär-

liches Ereignis handelt. Wenn es jedoch zu

kte treiben die Renditen langlaufender

wiederholten Zyklen von Schüben und poli-

Staatsanleihen vor allem in den USA seit ge-

tischen Reaktionen kommt, entsteht ein Mu-

raumer Zeit nach oben (siehe Grafik auf Sei-

ster, das die Sicht der Menschen auf die Zu-

te 10) – im Zehn-Jahresbereich zuletzt im

kunft verändert. In der Sprache der Zentral-

März auf rund 1,72 Prozent und damit um

banken werden die Erwartungen verankert.

mehr als 0,8 Prozentpunkte gegenüber ih-

Derzeit besteht kein Zweifel, dass große fis-

rem Jahresstart-Niveau. Auch ihre europäischen Pendants verzeichnen seit Februar

kalische Stimuli erforderlich waren, um die unmittelbaren wirtschaftlichen Auswirkun­

zunehmend höhere Renditen. Vorangegan-

gen der Pandemie zu mildern. Die Zentral-

gen waren dieser Entwicklung besorgte

banken wandern mit ihrer Politik jedoch auf

Stimmen darüber, dass das jüngst beschlos-

einem schmalen Grat. Straffen sie die Maß-

sene 1,9 Billionen Konjunkturpaket der

nahmen zu stark, dann drohen eine Finanz-

Biden-Regierung nun endgültig zu viel des

krise und Rezession, lassen sie die Inflation

Wirtschaftsstimulus sein könnte.

zu sehr laufen, dann riskiert man eine Verankerung der Inflationserwartungen.

INFLATION STEIGT NUR LANGSAM 2,5%

USA  Eurozone

2,0%

1,5%

1,0%

0,5%

2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018 2019 2020

Noch befinden sich die Inflationsraten in der Eurozone und den USA weit unter den Zielen ihrer Zentralbanken. Doch warnende Stimmen verweisen auf eine unkontrollierbare Dynamik nach der Öffnung der Wirtschaften.

8 . GELD-MAGAZIN – April 2021

Angeführt von Olivier Blanchard, dem lang-

„Over time, but not on a dime“

jährigen Chefvolkswirt des Internationalen

Sowohl die Federal Reserve (Fed) als auch

Währungsfonds (IWF), und dem ehema-

die Europäische Zentralbank (EZB) sehen

ligen US-Finanzminister Lawrence Sum-

die Lage noch entspannt. Beide Noten-

mers, äußerten sich viele Ökonomen besorgt

banken haben nach der Finanzkrise den

über eine zu starke Nachfrageseite, sobald

Fehler gemacht, ihre Politik zu schnell zu

die Wirtschaften wieder hochgefahren wer-

verschärfen, was sie später zu einer Strate-

den. „Ich stimme zu, dass zu viel besser ist,

gieumkehr auf Kosten ihrer Glaubwürdig-

als zu wenig, und wir eine Überhitzung an-

keit zwang. Um nicht wieder in dieselbe Fal-

streben sollten. Die Frage ist aber: wie viel?

le zu tappen, wird selbst in ihrer Kommuni-

Ich denke, dieses Paket ist zu viel“, schrieb

kation momentan kein Risiko eingegangen.

Blanchard im Februar auf Twitter. Der Har-

Hinsichtlich der aufgestauten Nachfrage

vard-Ökonom Summers schlug gegenüber

und Engpässen in den Lieferketten kalmierte

Bloomberg noch schärfere Töne an: „Es be-

der Vorsitzende der US-Notenbank Jerome

steht die reale Möglichkeit, dass wir uns in-

Powell: „Wir gehen davon aus, dass die In-

nerhalb des Jahres mit dem schwerwie-

flation im Laufe dieses Jahres steigen wird,

gendsten, beginnenden Inflationsproblem

doch wir denken, dass die Auswirkungen

befassen werden, mit dem wir in den letzten

weder besonders groß noch anhaltend sein

40 Jahren konfrontiert waren.“

werden.“

Credits: beigestellt; wikipedia.com; Leigh Prather/stock.adobe.com

Warnende Worte


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