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Spillover

Überschwappende US-Hilfen

Das 1,9 Billionen Dollar-Konjunkturprogramm der Biden-Regierung sickert langsam in die Märkte und dürfte damit nicht nur in den USA den wirtschaftlichen Turbo zünden. Welche Länder profitieren davon und was sind die Gefahren?

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MORITZ SCHUH

Die zusätzlichen Billionen Dollar bleiben nicht aussschließlich in den USA. Über Importe kommen sie auch anderen Ländern zugute.

Wer bereits einen starken Export in die USA aufweist, wird von den neuen Hilfspaketen der Biden-Regierung am stärksten profitieren.

EXPORT-STEIGERUNGEN IN DIE USA

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10

0 Durch Biden-Stimulus 2021/2022 in Mrd. USD

China Mexiko Kanada Deutschland Japan UK Irland Südkorea U m die durch die Coronakrise verursachten Störungen der Weltwirtschaft zu minimieren, wurden rund um den Globus fiskalische und monetäre Maßnahmen ungekannten Ausmaßes ergriffen. Aufeinanderfolgenden Wellen der Pandemie folgten wiederholte Runden riesiger Hilfspakete, die weltweit Billionen in öffentliche Projekte, in Unternehmen und sogar direkt in private Haushalte pumpten. Am oberen Ende des Stimulus-Spektrums befinden sich dabei die USA, die nach einigen politischen Verzögerungen in der zweiten Hälfte des Jahres 2020 begannen, ihre Wirtschaft mit unglaublichen Ressourcen zu stützen. Insbesondere das letzte, von Präsident Biden verabschiedete 1,9 Billionen Dollar Stimuluspaket, weckte in den letzten Wochen Hoffnungen, auch über die Grenzen Amerikas hinaus den Turbo zu zünden.

Globale Wertschöpfungsketten

Die jüngste Ära der Globalisierung führte nicht nur zu einer stärkeren Integration des grenzüberschreitenden Handels sondern auch dazu, dass sich Produktionsketten über den gesamten Globus verteilen. Ein wichtiger Aspekt dieses Produktionsnetzwerkes ist die Übertragung von nationalstaatlichen Maßnahmen über die Landesgrenzen hinaus – sogenannte Spillover-Effekte. Sie führen durch internationale Produktionsprozesse und unterschiedliche Kunden-LieferantenBeziehungen dazu, dass öffentliche Unterstützungen für ein bestimmtes Unternehmen, einen bestimmten Sektor oder ein bestimmtes Land auch Konsequenzen für die einzelnen Volkswirtschaften in der Lieferkette haben.

Spillover-Effekte

Schätzungen der OECD zufolge, dürfte das aktuelle Hilfspaket der USA einen bedeutenden Motor für die Weltwirtschaft darstellen. Laut den jüngsten Wirtschaftsaussichten der in Paris ansässigen Organisation, dürfte das Paket zusammen mit der raschen Einführung von Impfungen das globale Wachstum noch in diesem Jahr um ein Prozent steigern. Eine boomende US-Wirtschaft bedeutet nämlich, dass die dortige wirtschaftliche Nachfrage auf den Rest der Welt übergreifen wird. Insbesondere Nachbarländer und die wichtigsten Handelspartner, wie Mexiko und Kanada, aber auch exportorientierte Volkswirtschaften in Ostasien und Europa werden laut OECD davon profitieren. Die Organisation schätzt, dass die Effekte eines schnelleren Wachstums in den USA für entwickelte Volkswirtschaften, die Kredite in ihren eigenen Währungen aufnehmen, fast ausschließlich positiv sein werden. Sowohl potenzielle Exporte als auch ein allgemein positiveres Wirtschaftsklima dürften die Investitionen ankurbeln und so zu einer schnelleren Erholung beitragen.

„Es wird positive Auswirkungen aus den USA geben, die das globale BIP und die Exporte aus dem Euroraum ankurbeln.“

Philip Lane, EZB Chefvolkswirt „Das Paket wird nicht nur die USWirtschaft, sondern auch das globale Wachstum ankurbeln.“

Laurence Boone, OECD Chefökonomin

Europa und China als Gewinner

Da auch in den USA viele Aktivitäten der inländischen Wertschöpfung, wie etwa Restaurantbesuche, nach wie vor eingeschränkt sind, wird erwartet, dass ein Großteil des zusätzlich verfügbaren Geldes der US-Haushalte in Konsumgüter fließen wird, die außerhalb der USA hergestellt werden. Der Versicherer Allianz schätzt, dass rund 360 Milliarden der privaten Haushaltshilfen für importierte Waren ausgegeben werden. China dürfte mit etwa 60 Milliarden davon der größte Einzelempfänger sein. Auch UBS hat ihre Prognose für Chinas Exportwachstum im Jahr 2021 unter Berücksichtigung des Biden-Konjunkturpakets deshalb kürzlich von 10 auf 16 Prozent angehoben. Da auch im Euroraum ein großer Teil der Wirtschaftsleistung durch Exporte getrieben wird, dürften sich die US-Hilfen auch in der europäischen Realwirtschaft bemerkbar machen. Der EZB-Chefökonom Philip Lane kommentierte die US-Stimuli mit den Worten: „Natürlich waren die ersten Auswirkungen stärker auf dem Finanzmarkt sichtbar, aber im Laufe der Zeit, wenn die Hilfen zu wirken beginnen, werden sie ein bedeutender Motor für die Weltwirtschaft sein.“

Risiko von höheren Zinsen

Anders sieht die Lage für Schwellen- und Entwicklungsländer aus, die aufgrund ihrer geringen Bonität Schwierigkeiten haben, Kredite in ihrer eigenen Währung aufzunehmen, über große Handelsdefizite verfügen und schwache Handelsbeziehungen zu den USA aufweisen. Sollte die größere Nachfrage nach Waren und Dienstleistungen nämlich zu Kapazitätsengpässen führen und höhere Inflation verursachen, dann könnte dies einen weltweiten Anstieg der Zinssätze und höhere Finanzierungskosten bedeuten. Die ohnehin hohen Schuldenlasten vieler ärmerer Länder könnten durch steigende Zinsen und höhere Leistungsbilanzdefizite damit immer schwieriger zu bedienen werden. Der Internationale Währungsfonds (IWF) warnte die Zentralbanken bereits davor, wachsam gegenüber einem plötzlichen Zinsanstieg zu sein, der auf die Schwellenländer übergreifen könnte. Für die Federal Reserve und andere Zentralbanken in entwickelten Volkswirtschaften bedeute dies, weiterhin klar zu kommunizieren, um eine ungerechtfertigte Straffung der finanziellen Marktbedingungen zu vermeiden.

Warnende Worte

Die Welt sollte auf eine Schuldenkrise in den Schwellenländern und ihre Auswirkungen vorbereitet sein, betonte IWF-Chefin Kristalina Georgieva und wies auf den damit einhergehenden politischen Wendepunkt hin. „Wir stehen heute vor einem neuen Bretton Woods-Moment!“, so Georgieva. Aus diesem Grund haben der IWF und andere internationale Organisationen eine Kampagne gestartet, die darauf abzielt, nichts weniger als die Reform der internationalen Schuldenarchitektur, insbesondere der Staatsschuldenverträge, zu erreichen. Dies solle in Form einer „geordneten Umschuldung“ geschehen, die im Wesentlichen ein großzügiges Programm zum Schuldenerlass für Staatsanleihen relativ verarmter Nationen bedeutet. Georgieva wies darauf hin, dass die Bekämpfung dieser Divergenz die größte Herausforderung für die Weltwirtschaft und internationale Organisationen in diesem Jahr sein könnte und warnte: „Was wir jetzt tun, wird die Welt nach der Krise prägen. Also müssen wir das Richtige tun.“

Spillover-Effekte auch für die EU von Bedeutung!

Oliver Picek, Senior-Ökonom des Wiener Momentum Institut, hob in einer Analyse hervor, dass SpilloverEffekte auch bei der Verhandlung des europäischen Hilfspakets „Next Generation EU“ gerne außer Acht gelassen werden. Zähe Diskussionen um möglichst geringe Nettozahlungen übersehen nämlich die zusätzlich induzierten Wachstumseffekte, die durch das Paket sowohl im In- als auch im Ausland ausgelöst werden. Piceks Analyse der wirtschaftlichen Auswirkungen des Wiederaufbauplans zeigt vor allem die Bedeutung von koordinierten fiskalpolitischen Reaktionen. Wenn nur ein Land Maßnahmen zur Ankurbelung der Wirtschaft ergreift, geht ein Teil des Effekts aus innerstaatlicher Sicht „verloren“, da dieser Teil der Außenwirtschaft hilft. Wenn jedoch alle EUMitgliedstaaten gleichzeitig Maßnahmen zur Ankurbelung der Wirtschaft ergreifen, geht nur ein sehr kleiner Teil für andere europäische Länder außerhalb der Europäischen Union verloren, während der Rest anderen Mitgliedstaaten im Binnenmarkt zugute kommt. Trotz ihrer relativ geringen Inlandszuschüsse können somit auch die nord- und westeuropäischen Länder in erheblichem Umfang vom „Next Generation EU“-Paket profitieren.

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