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Mit zwei Kleinkindern über die Donau

Von Franz Pankratz

Es ist schon viele Jahre her, seit wir aus Rumänien geflohen sind, aber dieses Erlebnis können und wollen wir nicht vergessen. Gott sei Dank, hat alles ein gutes Ende genommen, umso mehr denkt man im nachhinein darüber nach, was alles hätte passieren können. Im April 1981 flüchtete Wilhelm Sittner, mein späterer Schwiegervater, zusammen mit anderen Landsleuten aus Rumänien. Noch im selben Jahr beantragte seine Frau Emilia mit den drei Kindern die Ausreise nach Deutschland. Ihre erwachsene Tochter Burgi und ich, wir waren verliebt bis über beide Ohren, im Dezember 1981 ließen wir uns im stillen trauen. Als meine Schwiegermutter nach einem Jahr die Ausreisegenehmigung für die Familie in der Hand hatte, verzichtete Burgi auf die Möglichkeit, davon Gebrauch zu machen. Die Mutter reiste im September 1982 mit den zwei noch minderjährigen Söhnen nach Deutschland aus.

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Wir blieben in Sadowa, und zwei Wochen später kam unsere Tochter zur Welt. Wir stellten gemeinsam einen Ausreiseantrag. Aber wir bekamen von den rumänischen Behörden nur Absagen. Vergeblich waren alle Fahrten zum Passamt in Reschitza. In unserer Verzweiflung wollten wir nun durch Bestechung der Behörden unser Ziel erreichen. In Temeswar gab es einen Zwischenhändler des rumänischen Geheimdienstes als Anlaufstelle für Ausreisewillige, die sich mit harter Währung freikaufen wollten. Im Banat wurde er allgemein „Gärtner“ genannt, weil er nebenbei eine Gärtnerei betrieb. Zu ihm machten wir uns also auf, um uns mit 14.000 Mark loszukaufen. Wir fuhren ein halbes Dutzend Mal nach Temeswar, übernachteten in der Nähe seines Hauses im Auto, um am nächsten Tag vorgelassen zu werden. Aber der „große Herr“ wollte unser Geld nicht annehmen. Der Besitz von Valuta war in Rumänien verboten, wir mussten fürchten, angezeigt zu werden.

Wir waren der Verzweiflung nahe, es gab jetzt nur noch den dritten Weg. Wir beschlossen zu flüchten, und zwar mit Kind und Kegel. Entweder die ganze Familie oder keiner. Inzwischen hatten wir zwei Kinder, Kerstin war fünf und Artur war drei Jahre alt. Es musste also ein sicherer Weg gefunden werden. Ich bin Tischler von Beruf und lernte über meine Arbeit einen Zigeuner aus dem Nachbarort Buchin kennen. Es war ein zwielichtiger Bursche, der schon allerhand krumme Dinge gedreht haben muss, denn er hatte große Angst vor der Polizei. Er kannte sich gut aus im Dreiländereck Jugoslawien/Bulgarien/ Rumänien und versprach, einen sicheren Fluchtplan für uns zu entwerfen.

Wir sollten in einem Militärschlauchboot die Donau überqueren. Für das Boot zahlten wir ihm 7.000 Lei. Bei unseren Erkundungsfahrten ins zukünftige Fluchtgebiet lernten wir einen Verbindungsmann unseres Fluchthelfers kennen,

der uns dringend vor einer Flucht mit dem Schlauchboot abriet. Er sagte, es sei zu gefährlich mit den zwei Kindern. Das leuchtete uns ein. Wir hätten gerne das Geld zurück gehabt, das wir für das Boot gezahlt hatten. Der Zigeuner versprach uns, das Schlauchboot an eine andere Flüchtlingsgruppe zu verkaufen, ich sollte ihm aber dabei helfen, es zu verstecken. So machten wir uns auf in die Kleine Walachei; das Boot war, in einen Rollladen gewickelt, unter den Rücksitzen unseres Trabant versteckt.

Wir deponierten das Boot unter einer Brücke in Grenznähe. Weil wir uns verfahren hatten, kamen wir auf Umwegen zum vereinbarten Treffpunkt, und der Verbindungsmann war stinksauer und schimpfte, wir hatten den Zeitpunkt für die Flucht der Gruppe verpasst. So blieb das Boot unter der Brücke; es wieder zu holen wäre viel zu gefährlich gewesen. Wir waren unser Geld los.

Der Verbindungsmann des Zigeuners besuchte uns danach öfter in Sadowa. Er wollte sich überzeugen, ob wir seriös sind. Er versprach uns, einen sicheren Weg zu finden. Seine Forderung lautete: 200.000 Lei, aber der Zigeuner dürfe nichts davon erfahren, weil er zu ihm kein Vertrauen habe. Aber es war nicht so einfach, den alten Bekannten loszuwerden. Der kam immer wieder, brauchte ständig etwas und machte uns immer wieder neue Angebote. Wir sagten ihm, wir hätten es uns überlegt, wir wollten legal ausreisen.

Mit unserem neuen Fluchthelfer machten wir für den 23. April 1988 einen Termin aus. Treffpunkt war ein Parkplatz an der Landstraße in der Nähe von Turnu Severin.

Zweistündige Fahrt mit dem Motorboot

Mein Schwiegervater kam aus Deutschland und brachte uns mit seinem Auto zu dem vereinbarten Parkplatz. Von dort fuhr er weiter nach Jugoslawien, um am anderen Donauufer auf uns zu warten. Mit 200.000 Lei in der Tasche sind wir zu dem Fluchthelfer in einen alten Geländewagen umgestiegen. Unsere aufregendste Reise hatte begonnen. Es war gegen Abend, als wir an einem kleinen Fischersteg an der Donau hielten. Am anderen Ufer war Bulgarien, aber es war in der Nähe des Dreiländerecks Rumänien/Jugoslawien/Bulgarien. Nach der Geldübergabe mussten wir uns im Unterdeck eines Motorbootes verstecken. Die Fahrt donauaufwärts konnte beginnen. Als wir Stimmen von einem vorbeifahrenden Boot hörten, wurde es uns unheimlich. Doch das war rasch vorbei; ich durfte an Deck. Burgi musste mit den Kindern weiter versteckt bleiben. Nach etwa zwei Stunden Bootsfahrt wurden wir am jugoslawischen Ufer abgesetzt; wir mussten einen riesigen Schotterhaufen hinaufklettern. Oben angekommen, sahen wir zwar eine Straße, aber mein Schwiegervater, der diesen Weg auf- und abfahren sollte, kam nicht. Wir legten Steine auf die Straße, das war das ausgemachte Zeichen, damit er uns findet. Wie wir erst später erfahren sollten, wurde

er von serbischen Polizisten festgehalten und verhört. Sie suchten schon nach uns. Unser Vater fuhr in Begleitung der Polizei an uns vorbei, er hatte auch unsere Steine längst entdeckt. Er verriet uns nicht, in der Hoffnung, dass wir es allein weiterschaffen werden. Wir saßen auf der Wiese daneben, sahen Autos vorbeifahren, aber keines hielt an. Es war eine stockfinstere Nacht, in meinem ganzen Leben habe ich noch nie so eine Finsternis erlebt. Wir waren in einem fremden Land, mit zwei kleinen Kindern, ohne Essen, ohne Geld, alles hatte unser Vater im Wagen. Zum Glück hatten wir Skihosen dabei, so übernachteten wir auf der Wiese. Jeder von uns hielt ein Kind auf dem Schoß und versuchte zu schlafen.

Am Morgen gingen wir zu Fuß etwa zwei bis drei Kilometer bis nach Radujevac. Plötzlich hörten wir aus einem Haus rumänische Volksmusik, wir wollten die Leute um Auskunft bitten. Der Mann, den wir ansprachen, sagte: „Gerade mich habt ihr erwischt? Ich bin nämlich selbst Grenzer“. Er gab uns den Rat, uns zu stellen, wir würden nicht nach Rumänien zurückgeschickt, da wir ja Deutsche sind. Wir trauten der Sache aber nicht, und so stiegen wir in den erstbesten Zug. Der Schaffner ließ uns ohne Fahrkarte weiterfahren. Endstation war Negotin. Irgendwie mussten wir nun von dort weiterkommen. Wir gingen zum Busbahnhof und baten die Frau an der Kasse um Hilfe. Sie sagte uns, sie habe um 13 Uhr Dienstschluss, dann werde sie uns helfen. Wir kamen an einem Kiosk vorbei, da gab es frischgebackene Langosch (Hefekuchen). Die Kinder waren sehr hungrig und wollten unbedingt etwas essen, wir konnten sie nur mit Mühe von dort wegbringen und ihnen erklären, dass wir kein Geld haben. Nach kurzer Zeit kam ein Mann, der brachte zwei Langosch für die Kinder. Er sprach uns auf Rumänisch an und fragte, ob er den Kindern die Langosch schenken dürfe und ob er uns helfen könne.

Kurz danach nahm serbische Polizei uns fest. Einer der Männer, die Burgi begleiteten, flüsterte ihr zu: „Nema problema, voi germani – kein Problem, ihr seid Deutsche“ . Burgi wurde nicht verhört, sie kam mit den Kindern in ein Hotel. Von mir wollten sie wissen, wie wir geflüchtet sind. Ich wollte meinen Fluchthelfer nicht verraten und gab an, wir seien mit dem Schlauchboot geflüchtet. Die Polizei glaubte uns zwar nicht, aber sie ließ uns in Ruhe. Auch mein Schwiegervater übernachtete in demselben Hotel wie Burgi mit den Kindern, er musste aber am nächsten Tag das Land verlassen. Ich kam wegen illegaler Grenzüberschreitung ins Gefängnis. Burgi wurde am nächsten Abend mit den Kindern nach Belgrad in ein UNO-Flüchtlingslager gebracht.

Im Gefängnis hatte ich die Wahl, mich zur Arbeit zu melden oder die Zeit einfach abzusitzen. Ich meldete mich zur Arbeit, ich musste im Hafen Schiffe mit Kunstdünger beladen. Die Zeit der Trennung war für uns fast unerträglich, weil wir nichts voneinander wussten. Burgi wurde im Lager ganz gut behandelt. Die Zimmer waren zwar klein und einfach eingerichtet, aber es gab Duschmög-

lichkeit, und für Essen war auch gesorgt. Tagsüber durfte sie sich sogar mit ihrem UNO-Ausweis in Belgrad frei bewegen und konnte bei den Eltern in Deutschland anrufen oder zur deutschen Botschaft fahren. Dort sagte man ihr, sie brauche sich keine Sorgen zu machen. Trotzdem war es nicht einfach für sie, die Zeit abzuwarten, sie lebte mit der Angst, etwas könnte doch noch schiefgehen. Endlich wurde ich aus dem Gefängnis in das UNO-Lager gebracht, wo meine Familie auf mich wartete. Es dauerte nur noch ein paar Tage, und wir hatten unsere Ausreisepapiere in der Hand. Am 11. Mai sind wir in Deutschland eingetroffen.

Franz Pankratz war vor der Flucht selbstständiger Schreiner in seinem Heimatort Altsadowa im Banat. Heute ist er in der Nähe von Nürnberg zu Hause und arbeitet als Küchenfachverkäufer.

Die Fluchtgeschichte ist der Monographie „Altsadowa“ entnommen mit Marianne Wolfs freundlicher Genehmigung.

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