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Lagerfeuer im Grenzerstützpunkt

Alfred Umberath:

Alfred Umberath aus Henndorf (Br Harbachtal wollte unbedingt Rumänien verlassen. Seine Freundin lebte schon seit fast zwei Jahren in Deutschland und hatte ihm inzwischen ein Töchterchen geschenkt. Erfahrungsgemäß hätte er noch Jahre lang auf eine Heiratserlaubnis der rumänischen Behörden und die Ausreisegenehmigung warten müssen. Eine lange Zeit, Umberath wollte nicht, dass seine Tochter ihn erst als Dreijährige kennenlernt. Weil er in Rumänien eingesperrt war und es keinen anderen Ausweg gab, entschloss er sich zur Flucht. Dabei kam ihm der Zufall zu Hilfe. Zusammen mit seinem Freund Georg Alfred Umberath Grommes aus Jakobsdorf (Iacobeni) kam der Siebenbürger Sachse über einen Freund mit zwei Zigeunern aus Mergeln (Merghindeal) in einer Kneipe ins Gespräch. Die beiden waren nach einem Fluchtversuch, den sie zusammen mit zwei Siebenbürger Sachsen unternommen hatten, von den jugoslawischen Behörden nach Rumänien zurückgeschickt worden und mussten sich entsprechend einem Urteil regelmäßig bei der Polizei melden. Sie hatten sich inzwischen für einen neuen Fluchtversuch entschieden und wollten das Land vor dem nächsten Meldetermin verlassen haben. Sie hatten schon den nächsten Montag als Fluchttag festgelegt. Das taten sie Umberath und Grommes kund und luden sie gleich ein, mitzukommen. Die beiden Sachsen waren einverstanden und schlossen sich den beiden an.

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Die beiden Zigeuner gaben sich als erfahrene Führer aus und versicherten den beiden, die Flucht werde gelingen. Schließlich hätten sie keine Lust, nach einer zweiten Auslieferung erneut verprügelt zu werden.

Umberath verabschiedete sich von seiner Familie in Henndorf mit der Notlüge, er fahre mit seinem Freund eine Woche lang nach Hermannstadt in Skiurlaub. Falls der Schnee hoch genug sei, wollten sie eventuell länger bleiben. Selbst die vorsorgliche Frage der Großmutter, ob sie denn auch wüssten, wo sie unterkommen könnten, brachte Umberath nicht in Verlegenheit. Sein Freund hätte einen Bekannten, der würde ihnen ein Hotelzimmer zur Verfügung stellen.

Mit Benzingutscheinen - 1989 herrschte in Rumänien Treibstoffmangel ,

einem Kassettenrekorder und einigen Kleidungsstücken im Gepäck, machte sich Umberath auf zum Treffpunkt, dem Busbahnhof in Agnetheln (Agnita). Mit dem Auto ging es nach Hermannstadt, wo die Zigeuner noch mit festen Schuhen ausgestattet wurden, dann haben sie sich gemeinsam auf den Weg zur jugoslawischer Grenze begeben, und zwar mit einem Wagen, den Grommes seinem Vater „gestohlen“ hatte. In Reschitza nahmen sie einen Bekannten der beiden Zigeuner mit, halb Deutscher, halb Rumäne. Vor der Grenzzone stellten sie den Wagen auf einem Bauernhof ab, teilten Grommes Vater per Post die Adresse mit, wo das Auto abgeholt werden kann, und machten sich zu Fuß auf zur grünen Grenze.

Sie hatten Glück, ein Lastwagenfahrer nahm sie bis in einen Kurort mit, von dort ging es zu Fuß weiter. Die fünf orientierten sich nach der Sonne. Es war ein sonniger, warmer Tag, die Sicht war gut. Nach einem Abstieg machten sie auf einem Berg vor ihnen eine Grenzerstreife aus. Nun waren sie gefangen in dem Tal, wo sie übernachten mussten. Vor ihnen lag eine lange, kalte Nacht, an deren Ende sie den Weg über einen holprigen Acker fortsetzen wollten. Nachdem sie unter einer Brücke auf die andere Seite einer vielbefahrenen Straße gewechselt waren, hatten sie nur noch flaches Land und die beleuchteten Ortschaften in Jugoslawien vor sich. In Rumänien waren Ende der 1980er Jahre keine Straßenlaternen mehr in Betrieb.

Jetzt blieben die fünf Flüchtige beim geringsten Geräusch stehen und hielten die Augen offen. Der Mann aus Reschitza habe ihnen viel geholfen, denn er hatte Augen wie ein Adler, erinnert sich Umberath. Beim Überqueren einer stillgelegten Bahnstrecke kugelte sich der Mann aus Reschitza das Fußgelenk aus; er wollte aufgeben, doch die anderen waren dagegen und schleppten ihn mit. Inzwischen waren die fünf der Grenze so nahe, dass sie jeden Papierschnitzel aufhoben, um zu sehen, ob sie schon Serbien erreicht hatten. Als mehrere Telegraphenmasten auftauchten, war sich einer der beiden Führer sicher, dass sie in Serbien waren. Es war etwa 3 Uhr, und es regnete sehr stark. Sie versteckten sich im Gebüsch und machten ein Feuerchen, um sich aufzuwärmen und zu trocknen. Gegen 5 Uhr, als sich der Nebel zu lichten begonnen hat, sahen sie Türme etwa 100 Meter zu beiden Seiten des Gebüschs. Erst beim richtigen Hinsehen gaben sie sich Rechenschaft, dass sie in einer Falle saßen. Sie waren auf das Gelände eines Grenzerstützpunktes geraten, seitlich von ihnen standen Beobachtungstürme. Sie hatten riesiges Glück gehabt, dass ihr Feuerchen nicht entdeckt worden war. Nun gab es nur noch eins: Sie mussten geradewegs über die Grenze rennen und versuchen, auf jugoslawisches Gebiet zu gelangen. Über den geharkten Streifen erreichten sie einen Bach, den alle über einen umgekippten Baum überquerten bis auf Umberath, unter dessen Gewicht der morsche Stamm entzwei brach, so dass er ins Wasser fiel. Ein Stück weiter hatten sie ein weiteres Hindernis vor sich: einen betonierten Kanal. Weil Umberath als einziger

nass war, trug er den kleinen Zigeuner auf den Schultern durch den mit Wasser gefüllten Kanal. Danach mussten sie noch einen Damm erklimmen, worauf ein Rohr mit aufgemalter jugoslawischer Flagge stand. Noch immer bewegten sie sich vorwärts mit der Angst im Nacken, die rumänischen Grenzer könnten ihnen hinterherschießen. Doch die beiden Wachtürme waren noch immer nicht besetzt. Bis dahin hatten die fünf Glück. Doch kaum waren sie vom Damm hinabgestiegen, tauchte schon der erste Bauer auf. Den serbischen Gruß der fünf erwiderte der Bauer auf Rumänisch mit „Bun

Die fünf verkrochen sich schleunigst in einem Schafstall. Einer der beiden Führer hatte den unglücklichen Einfall, in das Büro der vor ihnen liegenden Farm zu gehen, um Erkundungen einzuholen. Ein fataler Fehler. Fünf Minuten, nachdem er das Büro verlassen hatte, war die Polizei da und brachte sie nach Weißkirchen (Bela Crkva), wo Grommes’ Schwager im Wagen vergebens auf sie wartete.

In Weißkirchen wurden sie in Einzelhaft genommen. Vor einem gut Deutsch sprechenden Polizeibeamten mussten sie eine Erklärung abgeben. Er wollte wissen, wann und wo sie die Grenze überschritten haben, ob geschossen wurde, ob eine Wache dort gewesen war, welche Verwandte sie in Deutschland hätten. Er versicherte Umberath, dass lediglich die Deutschen ihrer Gruppe gute Chancen hätten, in den Westen zu gelangen. Von Weißkirchen wurden die fünf Flüchtlinge nach Padinska Skela verlegt. In der Untersuchungshaft wurden die beiden Sachsen und der Mann aus Reschitza von den beiden Zigeunern getrennt. Umberath und seine noch bei ihm gebliebenen Mitstreiter wurden wegen Grenzverletzung zu je 20 Tagen Gefängnis verurteilt. Umberath berichtet, sie seien kahl geschoren worden, das Essen sei nicht schlecht gewesen, es habe ein Bad gegeben, und in der Großraumzelle habe es sogar eine Gitarre gegeben.

Ein Hof voller Sachsen und Schwaben

Als sie zum ersten Mal den Innenhof betreten haben, war dieser ausschließlich mit Siebenbürger Sachsen und Banater Schwaben gefüllt gewesen. Unter ihnen war auch ein Kinderarzt aus Reschitza. Nach zwei Wochen, in denen Umberath und Grommes in einer Fabrik Medikamente für Krankenhäuser verpacken mussten, andere Mitstreiter hingegen in einer Bierfabrik beschäftigt waren, haben sie zum ersten und letzten Mal ihre beiden Führer gesehen. Sie wurden erneut nach Rumänien abgeschoben. Aus der Haft in Padinska Skela wurden die drei Übriggebliebenen vor Ostern ins UNO-Lager nach Belgrad verlegt. Dort waren sie Freigänger.

Nach Ostern konnten sie ihre Ersatzpässe in der deutschen Botschaft in Belgrad abholen. Zusammen mit weiteren 25 Mann - Siebenbürger Sachsen und Banater Schwaben - sind die drei in Belgrad in den Zug gestiegen mit dem Ziel

Nürnberg. Nach einer Woche ist Umberath in Neunkirchen im Bergischen Land, etwa 40 Kilometer östlich von Köln, eingetroffen, wo seine Freundin mit Tochter zu Hause war. Es war der 15. April 1989. Die Flucht hatte er genau an dem Tag angetreten, an dem seine Tochter getauft worden ist: am 28. Februar. In der Zeit, als Umberath in jugoslawischer Haft war, hat seine Freundin telefonisch nach ihm geforscht, zuerst vergebens in der bundesdeutschen Botschaft in Budapest und dann mit Erfolg in der Botschaft in Belgrad. Als die Flucht der fünf in Rumänien bekannt geworden war, hat es beim Vater seines Kumpels in Jakobsdorf (Iacobeni) eine Hausdurchsuchung gegeben. Die Polizei suchte vergebens im Hause Grommes eine Kassette, auf der die Anleitungen zur Flucht zu finden sein sollten. Georg Grommes Im Juni 1990 ist Umberath mit seinem Onkel aus Hannover und seiner Schwester nach Siebenbürgen gefahren. Mit drei Autos haben sie die gesamte Familie nach Deutschland gebracht.

Alfred Umberath, am 5. August 1965 in Schäßburg (Sighi geboren, legt am Josef-Haltrich-Gymnasium in Schäßburg das Abitur ab und arbeitet anschließend als Fräser im siebenbürgischen Agnetheln. Heute ist er Schichtleiter bei einem Pumpenhersteller in Lohmar östlich von Köln.

Georg Grommes, geboren am 20. September 1964 in Jakobsdorf im Harbachtal, ergreift nach dem Abitur und anschließendem Militärdienst in Agnetheln den Schlosserberuf.

Nach der Flucht lässt er sich im oberschwäbischen Weingarten nieder, wo er nach einer Schulung seit mehr als 20 Jahren als CNC-Dreher arbeitet.

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