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Von Grenzübergang zu Grenzübergang

Von Hans Füger

Mut muss man haben, um seine geliebte Heimat zu verlassen; oder um es mit Machiavelli zu sagen: „Der Mensch darf vor nichts zurückbeben, er muss alles versuchen, alles wagen. Gott ist immer mit dem Mutigen, er erteilt stets dem, der etwas hat, noch mehr, und nimmt dem, der wenig hat“. Für mich war es wegen meiner Heimatverbundenheit wesentlich schwerer, den Entschluss zu fassen, aus Siebenbürgen nach Deutschland auszuwandern, als ihn dann umzusetzen. Als dieser Entschluss dann doch gereift war - auch weil er durch die Umstände immer unausweichlicher wurde - war meine Strategie Hans Füger die, es zunächst allein zu versuchen, irgendwie in die Bundesrepublik Deutschland zu gelangen, um dann Frau und Söhne nachzuholen.

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Eines wollten wir auf keinen Fall: Kopf und Kragen riskieren. Das war der Versuch, auszuwandern, jedenfalls nicht wert. Dafür ist das Leben doch zu kostbar. Unsere Söhne, Hans-Georg und Waldemar, die Anfang der 1980er Jahre noch Schüler waren (und später Studenten), teilten die Auffassung, dass es praktisch unmöglich sei, gemeinsam eine Ausreisegenehmigung zu bekommen. Gerade wegen der Kinder durften wir unsere Arbeitsplätze und die Studienplätze der Söhne nicht verlieren, was bei einem offiziellen Ausreiseantrag durchaus der Fall gewesen wäre. Denn trotz der bedrückenden Lage im damaligen Rumänien: Meine Frau und ich fühlten uns an unseren Arbeitsplätzen - meine Frau war Lehrerin, ich Ingenieur - im Grunde recht wohl. Materiell ging es uns relativ gut, trotz der zunehmenden Notlage, die im ganzen Land herrschte.

Meine Frau und ich waren in früheren Jahren viermal im sozialistischen Ausland. Nun hofften wir auf eine Genehmigung für eine Reise ins westliche Ausland; wir stellten erstmals 1973 einen Antrag, der aber abgelehnt wurde. In den Jahren danach wurde auch jedem von uns einzeln ein Besuch in der Bundesrepublik Deutschland verweigert. Von 1973 bis 1985 erhielten wird etwa zehn Absagen. In die Ostblockländer ließen uns die Behörden allerdings weiterhin reisen.

Eine solche Reise versuchte ich 1983 erstmals zu nutzen, um meinen Auswanderungsplan endlich umzusetzen, nämlich halb legal und halb illegal, ohne mich großen Gefahren auszusetzen. In die sozialistischen „Bruderländer“ durf-

ten rumänische Staatsbürger lediglich jedes zweite Jahr fahren. Weil ich seit Kriegsende eine Tante in Weimar hatte, war es für mich kein Problem, eine Einladung in die DDR zu bekommen.

Im November 1983 fuhr ich also zum zweiten Mal nach 1970 in die DDR, diesmal ohne Frau und ohne Auto. Mit dem Zug war es bequemer und auch wesentlich billiger, da man mit einer mit rumänischem Geld bezahlten Fahrkarte hin und zurück sowie kreuz und quer durch die DDR fahren konnte. Dies war ein erheblicher Vorteil, da man offiziell nur eine begrenzte Summe in DDRMark umtauschen durfte. Auch hatte ich neben meiner Verwandtschaft noch gute Bekannte in Ost-Berlin und Dresden, bei denen ich einige Tage wohnen konnte. Für alle, die ich auf dieser Reise besuchte, galt ich als Tourist und Liebhaber von Sehenswürdigkeiten, was zum Teil auch richtig war. Was ich aber darüber hinaus noch vorhatte, wusste niemand, außer meiner Frau.

Insgeheim hoffte ich, dass die Grenzer beim Lesen meines Namens und der grünen Farbe meines Reisepasses (ähnlich dem bundesdeutschen) nicht merken oder übersehen würden, dass ich kein Westdeutscher bin und „durchschlüpfen“ könnte. Ich spielte also den unschuldigen und ahnungslosen Touristen, gemäß dem rumänischen Sprichwort: „Spiel den Blöden, und du kommst voran“.

Auf diese zunächst naiv scheinende Idee hatte mich in Wirklichkeit ein bulgarischer Grenzer gebracht, der uns 1973 bei der Rückkehr aus Bulgarien nach Rumänien in gebrochenem Rumänisch sagte: „Hans Füger, tu vestgerman, tu mult bronz“, was heißt: „Du Hans Füger, Westdeutscher, du bist schön gebräunt“.

Von Weimar aus, wo ich zwei Tage bei meiner Tante weilte, fuhr ich ohne viel Gepäck mit dem Zug nach Schleiz, ein Städtchen nahe dem Grenzübergang Hirschberg zu Bayern. Wie komisch muss ich wohl für den Mann vom Schalter am Bahnhof ausgesehen haben, als ich eine Fahrkarte nach Nürnberg verlangte, und er mir sagte, ich sollte es lieber per Anhalter auf der A9 versuchen. Aber schon etwa 15 Kilometer vor dem Grenzübergang waren Schilder aufgestellt, wo es hieß: „Weiterfahren verboten“. Diese Schilder jagten mir ziemliche Angst ein, und da auch nach drei Stunden kein Auto anhielt, um mich mitzunehmen, gab ich vorläufig diesen Plan auf, fuhr nach Weimar zurück und von dort weiter nach Leipzig zu meiner Cousine Anneliese.

Inzwischen hatte ich aber wieder Mut geschöpft und wollte es erneut in OstBerlin versuchen, wo ich ebenfalls Bekannte besuchte. Ich kaufte mir eine Fahrkarte für die S-Bahn, mit dem Ziel, den Grenzübergang Friedrichstadt zu passieren. Durch die erste Kontrolle kam ich durch, und im Raum, wo es nun in die S-Bahn ging, wurde mein Pass geprüft. Die Antwort kam schnell und entschlossen: Der Pass sei ohne Visum für West-Berlin nicht gültig. Ich machte eine verwunderte Mine, und damit war die Sache erledigt.

Weitere Versuche unternahm ich auf der Reise 1983 nicht. Der touristische Teil des Urlaubs war trotzdem schön für mich, und so ging nach meiner Rück-

kehr der Alltag wie gehabt weiter. Diese negative Erfahrung sollte mich aber nicht entmutigen; im Gegenteil, 1985 startete ich einen neuen Versuch, nach Westdeutschland zu gelangen, ebenfalls auf einer DDR-Reise. Dieses Mal sollte es aber viel abenteuerlicher werden. Die Auswanderungswelle meiner Landsleute hatte inzwischen einen Höhepunkt erreicht, und jedem Sachsen aus Siebenbürgen war klar, dass dies kein Ende nehmen würde, bis alle weg waren.

Mit Zug und Fahrrad unterwegs

Auch dieses Mal sahen meine Pläne nicht viel anders aus als 1983, denn es galt weiter, kein Risiko einzugehen. Als Reisezeit hatte ich wieder vier Wochen eingeplant, von Oktober bis November. Allerdings hatte ich zwei Jahre davor festgestellt, dass es in gewissen Situationen ungünstig sein kann, wenn man nur mit dem Zug reist. So etwa, wie schon geschildert, in Schleiz, wo ich die Strecke vom Bahnhof zur A9 und dann wieder zurück als Anhalter fahren musste, was mehr Zeit in Anspruch nahm als gedacht. Deshalb entschloss ich mich diesmal, mit Zug und Fahrrad in die DDR zu reisen. Sollte es mir nicht gelingen, den Westen zu erreichen, so konnte ich mir wenigstens ein neues Fahrrad in der DDR kaufen und es zollfrei nach Hause mitbringen, zumal mein eigenes schon klapprig war.

Ich nahm also mein altes Rad im Gepäckwagen mit auf die Reise. Dafür es dort einen Tag vor der Abreise zu verfrachten, damit es im selben Zug transportiert werde. Der Bahnhof in Klein- einstieg, war für solch einen Service nicht eingerichtet.

Mein erster Versuch, in den Westen zu gelangen, sah auf dieser Reise wie folgt aus: In Pressburg (Bratislava) wollte ich mit Gepäck und Rad aus dem Zug steigen, die zwei Koffer im Gepäckraum abgeben und dann mit dem Fahrrad und Rucksack zum Grenzübergang nach Österreich radeln. Denn vom Bahnhof bis zum Grenzübergang sind es nur sechs Kilometer.

Bevor ich aber mit dem Rad in Richtung Grenze fuhr, versuchte ich, mir eine Fahrkarte bis Wien für den Zug zu kaufen. Am Schalter meinte der Beamte jedoch, ich müsste in meinem Pass zuerst ein Visum von der rumänischen Botschaft in Prag eintragen lassen, erst dann könnte er mir die gewünschte Fahrkarte verkaufen. Natürlich wusste ich das auch. Auf die schnelle und bequemere Art ging es also leider nicht.

Nach diesem Gespräch radelte ich zur Grenze, die teilweise von der Donau gebildet wird. Bis nach Wien sind es gut 60 Kilometer, die man auch leicht mit dem Fahrrad bewältigen kann – ja, wenn man erst einmal über die Donaubrücke kommt. Der eigentliche Grenzübergang folgt dann nach etwa zwei Kilometern. Es war schon Abend, als ich aus dem Zug in Pressburg stieg. Als ich an der

ersten Grenzkontrolle vor der Brücke ankam, ging die Straßenbeleuchtung an. Zwei junge Grenzer kontrollierten meinen Pass, musterten mich und mein altes Fahrrad und wussten nicht so recht, was sie von mir halten sollten. Als ich ihnen auf Deutsch sagte, dass ich nach Wien wollte, um den Stephansdom zu besichtigen und dann wieder zurückkommen würde, um weiter mit dem Zug in die DDR zu fahren, schüttelten sie nur mit dem Kopf und meinten, sie müssten dies ihrem Vorgesetzten melden. Bis dieser kam, versuchte ich vergeblich, sie zu überzeugen, mich nach Wien radeln zu lassen. Zwar waren die beiden Grenzer jung und scheinbar unerfahren, aber eben nicht dumm. Auch mein Bestechungsversuch brachte nichts: Sie nahmen zwar die Zigaretten und andere Kleinigkeiten höflich an, ließen mich aber dennoch nicht weiterfahren.

Als ihr Chef dann endlich kam, wurde es ernster, denn er meinte, ich müsste zur Grenzwache, zu einer gründlicheren Kontrolle mitgehen. Dort besannen sie sich, dass sie einen Mitarbeiter hatten, der Rumänisch sprach, um sich so mit mir besser zu verständigen. Der wurde von zu Hause geholt, es war schon etwa 22 Uhr. Tatsächlich sprach dieser gut Rumänisch, und ich konnte ihm sagen, dass ich nicht die Absicht hätte, in den Westen zu flüchten, sondern nur wünschte, einen Abstecher nach Wien zu machen, weil diese Stadt so viele Sehenswürdigkeiten habe. Der Dolmetscher stoppte mich immer wieder in meinem Erklärungseifer, indem er mir sagte, ich solle ihm keine Märchen erzählen. Ich aber zeigte als Beweis für meine Aufrichtigkeit die Belege für die zwei Koffer, die ich im Bahnhof zum Aufbewahren abgegeben hatte. Ruckzuck fuhren sie mit ihrem Jeep zum Bahnhof, holten meine Koffer, und untersuchten sie gründlich. Auch ich wurde untersucht und musste mich dabei nackt ausziehen. Da sie nichts Gefährliches oder Verbotenes fanden, protokollierten sie dieses schriftlich, währenddessen ich in einen Raum der Wache nackt eingesperrt wurde. In dieser Zelle war es zum Glück nicht kalt. Die Tür war aus Flacheisenteilen gefertigt, so dass ich alle, die sich inzwischen wegen mir versammelt hatten, gut im Auge behalten konnte, aber sie mich auch.

Nachdem das Protokoll erstellt worden war, sperrten sie die Tür auf, ich durfte mich anziehen, folgender Beschluss wurde mir mitgeteilt: Ich musste auf der Stelle zurück nach Rumänien fahren, und durfte zwei Jahre lang nicht mehr in die Tschechoslowakei einreisen. Meine Einwilligung dazu sollte ich bekunden, indem ich das erstellte Protokoll unterschreibe. Andernfalls, sagten sie, würden sie meinen Fall an die zuständigen Behörden in Rumänien weiterleiten. Wenn ich aber unterschreiben würde, sei die Sache mit meiner Rückreise für sie erledigt.

Natürlich unterschrieb ich sofort. Dass auch sie Wort gehalten hatten, sollte ich erst Wochen später feststellen. Entscheidend war aber auch: Im Reisepass machten sie keinen Vermerk.

Nun verfrachteten sie mich mit Fahrrad, Rucksack und den beiden Koffern in ihren Jeep, und los ging es in der Obhut eines mit einer Pistole bewaffneten

Grenzers zum nur acht Kilometer entfernten ungarischen Grenzübergang. Dort angekommen, es war inzwischen nach Mitternacht, wurde ich noch die wenigen Meter bis zum ungarischen Grenzhaus begleitet. Damit war ich vorerst aus der Tschechoslowakei ausgewiesen.

Die ungarischen Grenzer sagten kein Wort und zeigten nur die Richtung an, in welche ich weiter gehen sollte. Es war dunkle Nacht, aber zum Glück nicht kalt, als ich mich zum nächsten Dorf, Raika, zwischen Raab (Györ) und Pressburg, aufmachte.

Wie aber soll man nachts mit Rucksack, Rad und zwei schweren Koffern die vier Kilometer bis Raika hinter sich kriegen? Ich habe es folgendermaßen gemacht: Rad und Rucksack 200 Meter vorgefahren und sie am Straßenrand abgelegt; dann zu Fuß zurück, um die Koffer zu holen, und diese wiederum 200 Meter weiter abgestellt; zu Fuß zurück zum Fahrrad und Rucksack, um dann diese wieder nach vorne zu bringen. Nach diesem vielen Hin- und Herlaufen war es 4 Uhr geworden. Ich war sehr müde, habe mich neben einen Heuhaufen gesetzt und bin eingeschlafen, bis es leicht zu Tröpfeln anfing. Ich hatte etwa eine Stunde geschlafen, es graute schon der Morgen, und ich sah auch die Lichter am Rande von Raika. Die ersten Menschen gingen auf der Straße zum Bahnhof, um mit dem Zug zur Arbeit zu fahren. Einer nahm sich meiner an, half mir mit dem Gepäck, so dass ich schneller vorwärts kam und den Morgenzug nach Budapest erreichte.

War ich froh, als ich endlich im Zug saß. Das Fahrrad war diesmal auf dem Gang des Wagens, in dem auch ich fuhr. Doch wohin ging nun meine Reise? Diese Frage stellte ich mir, und im nächsten Augenblick war mir klar, dass ich auf keinen Fall zurück nach Hause fahren wollte, da dies für mich sehr blamabel gewesen wäre, zumal alle Arbeitskollegen und Bekannten wussten, dass ich zu Besuch zu meinen Verwandten in die DDR gefahren war. Also musste ich mir wieder etwas einfallen lassen und kam auf die Idee, zuerst das Fahrrad und das schwere Gepäck loszuwerden.

Der Inhalt dieses Gepäcks bestand zu 80 Prozent aus Geschenken für die Gastgeber, die ich besuchen wollte. Die Geschenke waren meist KristallServices für Likör und Wein, hergestellt in der Glasfabrik in Mediasch, aber auch etliche Flaschen Schnaps. Schon auf der Fahrt nach Budapest bot ich diese den Mitreisenden an, und siehe da, in kurzer Zeit hatte ich vieles davon verkauft und eine ansehnliche Summe ungarischer Forint bekommen. Erleichtert vom schweren Gepäck, stieg ich gegen Mittag im Budapester Bahnhof Nyugaty-Pu aus dem Zug, gab meine nun leichten Koffer im Gepäckraum ab, das Fahrrad an einer anderen Stelle mit meiner Heimadresse in Frauendorf (Axente Sever). Danach suchte ich mir eine Ecke im Aufenthaltsraum des Bahnhofs, wo ich ungestört schlafen konnte. Beim Erwachen fühlte ich mich erstaunlich wohl. Ich erkundigte mich nach der Adresse der österreichischen Botschaft in Budapest,

in der Hoffnung, dort ein Visum zu bekommen und dann nach Wien zu fahren, diesmal mit dem Zug.

Am nächsten Morgen, kurz nach 9 Uhr, war ich in der Botschaft, wo mir ein Beamter freundlich sagte, dass nicht er zuständig für dieses Visum sei, und ich es doch bei der rumänischen Botschaft beantragen sollte. Natürlich war mir von vornherein klar, dass ich auch dort nichts erreichen würde, aber einen Versuch war mir die Sache schon wert, und ich machte mich gleich auf den Weg. Die Antwort war dann wie erwartet, dass das Visum nur von den Behörden in Rumänien erteilt werden könne, die auch den Reisepass ausgestellt hätten, also in Hermannstadt. Nach diesen Absagen musste ich mir also etwas Neues überlegen.

Noch am selben Tag fragte ich einen Bahnbeamten, ob ich mit meinem Reisepass und meiner Fahrkarte nach der Unterbrechung in Ungarn weiter durch die Tschechoslowakei reisen durfte, ohne eine Gefahr einzugehen. Der sah sich den Pass und die Fahrkarten an, und meinte, warum denn nicht, alles sei korrekt und legal. Um ganz sicher zu gehen, fragte ich noch einen zweiten und dritten Beamten, und als auch diese nichts anders sagten, stand mein Entschluss fest: Ich fahre zurück durch die Tschechoslowakei in die DDR und warte nicht zwei Jahre, wie ich das vor zwei Tagen in Pressburg zu Protokoll gegeben hatte.

Nach einer Stadtrundfahrt durch Budapest und einem Bummel am Donauufer kaufte ich am nächsten Vormittag neue Geschenke für meine Gastgeber und fuhr mit dem ersten Zug ab.

Ohne jede Kontrolle passierte ich die Tschechoslowakei und erreichte am Morgen Dresden. Meine Bekannten wunderten sich zwar über die um drei Tage verspätete Ankunft, wie auch über die Geschenke, die fast alle aus Ungarn und nicht wie gewohnt aus Rumänien waren. Irgendwie erfand ich eine passable Ausrede und führte dann mein touristisches Programm durch.

Allerdings fuhr ich nicht mehr zum Grenzübergang Hirschberg (wie 1983), sondern versuchte wieder, am S-Bahn-Übergang Friedrichstadt nach WestBerlin zu gelangen, leider wie vor zwei Jahren ohne Erfolg. Ansonsten machte ich normalen Urlaub.

Zu dieser Reise sei noch eine kleine Episode am Rande vermerkt. Vor meiner Heimfahrt kaufte ich mir ein neues Rad, nicht ohne mich zuvor zu erkundigen, welche Zollgebühr dafür eventuell in Rumänien fällig werden könnte. Zu diesem Zweck legte ich mir die Summe von 230 DDR-Mark beiseite. Leider ist diese Sache dann ganz anders als erhofft ausgegangen, so dass ich mich noch heute in gewisser Weise ärgere, wenn ich daran denke.

In Klein-Kopisch angekommen, stellte ich mein sonstiges Gepäck auf den Bahnsteig und auch mein neues Fahrrad aus dem Gepäckwagen. Ein Bahnbeamter wollte mich allerdings das Fahrrad nicht mitnehmen lassen und behauptete, es müsse weiter zum Zollamt nach Hermannstadt, um dort verzollt zu werden. Für mich war dies unverständlich, da die Frachtpapiere nach wie vor

bei der Bahn waren, und ich die Zollgebühr entweder im Nachhinein oder auch an Ort und Stelle bezahlen konnte - die 230 Ost-Mark hatte ich ja extra dafür parat. Er meinte aber, diese Gebühr könne nur vom Zollamt festgesetzt werden, und weigerte sich, mir das Rad auszuhändigen.

Nach einigen Tagen wurde mir dann schriftlich mitgeteilt, wie viel die Zollgebühr beträgt: 360 West-Mark. Für mich war dies ein schlechter Witz, da ich ja keine Westwährung besaß und auch die zu verzollende Ware mit Ost-Mark in einem sozialistischen „Bruderland“ gekauft hatte. Aber es blieb dabei: Mein legal gekauftes Fahrrad wurde mir nicht ausgehändigt, da ich die 360 West-Mark nicht zahlen konnte. Kommt noch hinzu, dass das neue Fahrrad bloß 460 Ost-Mark teuer war, also zum offiziellen Wechselkurs etwa 200 Deutsche Mark.

Zur Erläuterung sei noch angemerkt, dass man nach einer Auslandsreise über das nationale Reisebüro bei der Rückkehr ins Land die eventuell nicht ausgegebenen Devisen wieder beim Reisebüro in rumänische Lei umtauschen musste. Ich meldete dem Büro, dass ich das Geld für den Zoll noch behalten würde, bis sich die Sache mit dem Rad klären würde. Diese Information wurde aber auch an den für meine Firma zuständigen Geheimdienstoffizier weitergeleitet, der eines Tages von mir die Ost-Mark verlangte. Ich trug zwar das Geld stets bei mir, erklärte aber dem Securitate-Offizier, warum ich es nicht gleich bei meiner Rückkehr umgetauscht hätte. Er aber sagte, dass ginge ihn nichts an, ich müsste ihm das Geld übergeben. Um kein weiteres Aufsehen zu machen, gab ich ihm auf der Stelle aus meiner Brieftasche 80 Ost-Mark, ohne dafür einen Beleg zu bekommen. Zum Glück hatte ich die exakte Summe im Reisebüro nicht genannt, so konnte ich die restlichen 150 Ost-Mark weiter für mich behalten. So einfach konnte man damals sein schwer verdientes Geld verlieren. Möge dies verstehen, wer will, ich konnte es nicht.

Doch damit nicht genug: Nach mehr als vier Monaten wurde ich vom Zollamt in Hermannstadt nochmals vorgeladen, um die Sache zu klären. Da ich weiter keine Westmark hatte, musste ich das Fahrrad in die DDR zurückschicken. Aber wohin nur? Was, wenn ich niemanden dort gekannt hätte? Ich gab schließlich die Adresse meiner Cousine in Leipzig an, auf die dann auch die nötigen Dokumente erstellt wurden. Nach diesen Formalitäten sagte mir der Zollbeamte, ich müsste das Fahrrad einer Versand-Dienststelle übergeben, die sich 500 Meter vom Zollamt befand. Also bekam ich das Rad samt den Papieren ausgehändigt und fuhr zu der angegebenen Dienststelle. Dort gab ich Fahrrad und Akten ab – was ich nachträglich als einen Fehler oder gar Dummheit sehe – und fuhr, für den Moment erleichtert, nach Hause.

Mein Fahrrad ist natürlich nie in Leipzig angekommen, sondern vermutlich irgendwo in Hermannstadt verschwunden. Ich denke: Hätte ich es nicht abgegeben, sondern behalten, wäre ich vielleicht besser dran gewesen, wer weiß es schon? Im nachhinein ist man immer schlauer. Diese Episode zeigt exempla-

risch die Absurdität der Vorschriften im sozialistischen Rumänien, aber auch die Ohnmacht des einfachen Bürgers, etwas dagegen zu unternehmen. Beide gehörten zu den großen Problemen in allen sozialistischen Staaten. Heute sehe ich dies alles gelassen und kann darüber schmunzeln. So auch über den Epilog dieser Geschichte: Im Sommer 1986 – also nach fast einem Jahr – bekam ich Post vom Budapester Bahnhof Nyugaty-Pu. Es wurde mir mitgeteilt, ich solle mein dort abgegebenes Fahrrad abholen. Ich aber hatte es längst vergessen und habe natürlich nichts unternommen, es zurückzubekommen. Aber amüsant war das Schreiben schon. 1987 sollten meine Pläne endlich ein glücklicheres Ende finden. Im Leben ist Gesundheit zwar das wichtigste, aber Glück gehört nun einmal auch dazu. Wohl ist wahr, dass dem Tüchtigen das Glück oft zur Seite steht, aber erzwingen kann man es dennoch nicht, es muss sich von selbst einstellen.

Anfang 1987 bekam unser Sohn Hans-Georg die Genehmigung, ein bundesdeutsches Mädchen zu heiraten; er konnte im August Rumänien verlassen. Also war für mich klar, einen dritten Fluchtversuch alleine im Urlaub zu wagen.

Ich stellte erneut einen Antrag auf eine Reise in die DDR, diesmal aber mit dem Auto. Auch dieser Antrag wurde genehmigt. Am 24. Oktober 1987 startete ich in Frauendorf. Außer meiner Frau ließ ich meinen Sohn Waldemar (er war Student in Klausenburg) und meine 74-jährige Mutter in der Heimat zurück. Meine Schwester Annemarie lebte mit ihrer Familie in Mediasch und besuchte die Mutter in Frauendorf wöchentlich.

Natürlich war die Entscheidung, meine Mutter allein der Obhut meiner Schwester zu überlassen, nicht einfach, da sie für mich besonders in den schweren Nachkriegsjahren – als unser Vater fünf Jahre zur Zwangsarbeit nach Sibirien deportiert war – sehr, sehr viel getan hat, ebenso auch später, während meiner Schulzeit und des Studiums.

Über Klausenburg und Großwardein ging es nach Budapest und dann nach Raab. Mein Auto war bei der Abfahrt randvoll, außer dem Beifahrersitz, den ich für eventuelle Anhalter freihielt, vor allem aber für meinen Sohn Hans-Georg, den ich am nächsten Tag in Raab am Hauptbahnhof treffen wollte. Er kam mit dem Zug aus Nürnberg, wo er seit gut zwei Monaten wohnte.

Um die Mittagszeit des 25. Oktober 1987 kam ich am Bahnhof in Raab an. Hans-Georg war noch nicht da, traf aber kurze Zeit später mit dem Zug ein. Wir waren froh, uns zweieinhalb Monate nach seiner Ausreise aus Rumänien wieder zu sehen.

Am Morgen verließen wir Raab in Richtung Wien. Etwa sechs Kilometer vor dem Grenzübergang Nickelsdorf haben uns Grenzsoldaten angehalten. Weil mein Pass kein Visum für Österreich hatte, behielten sie ihn ein, telefonierten mit ihren Vorgesetzten, und nach wenigen Minuten tauchte ein Militärauto mit zwölf Mann auf. Wir mussten aussteigen, ihr Anführer sah sich meine Papiere

an und nahm mir auch den Führerschein ab. Wir mussten in mein Auto steigen, und sie deuteten mir an, den Weg zurück nach Mosonmagyaróvár zu fahren. Ich fuhr voraus, die Soldaten folgten uns im Militärfahrzeug. An der ersten Kreuzung musste ich halten, sie gaben mir Pass und Führerschein zurück und zeigten in Richtung Pressburg, wohin ich zu fahren hätte. Damit scheiterte mein einziger Versuch, den Westen über Ungarn zu erreichen.

Enttäuscht, aber auch erleichtert über den glimpflichen Ausgang, fuhren wir nach Prag. Nach einer Stadtbesichtigung ging es weiter zum DDRGrenzübergang Zinnwald. Wir hatten die Absicht, nach Dresden zu unserem Bekannten Holger K. und seiner Familie zu fahren. Am Grenzübergang folgte die zweite böse Überraschung an diesem Tag: Mein Sohn hatte in seinem Pass kein Visum für die DDR. Alle Überzeugungskunst fruchtete bei den Grenzbehörden nicht, er durfte nicht einmal einen Meter die Grenze überschreiten. Es blieb uns nichts übrig, als uns zu trennen. Ich musste meinen Sohn zum nächsten tschechischen Bahnhof fahren, von wo er mit dem Zug nach Nürnberg reisen konnte.

Der nächste Bahnhof, von dem man mit dem Zug direkt in die Bundesrepublik fahren konnte, war das 50 Kilometer entfernte Aussig (Ústí nad Labem). Als wir dort ankamen, war der Bahnhof schon geschlossen und fast menschenleer. Erst am nächsten Morgen hätte er die Möglichkeit gehabt, eine Fahrkarte zu kaufen, und auch die wäre nur bis Prag gültig gewesen, da es in Aussig keine Verkaufsstelle für den internationalen Bahnverkehr gab.

Zurück nach Prag

Wir überlegten nicht lange und machten uns auf den Weg zurück nach Prag. Die lange Reise der vergangenen drei Tage hatte mich aber so geschlaucht, dass ich nicht mehr weiter konnte. So hielten wir mitten in der Nacht an einem geschützten Ort und schliefen im Auto sofort ein. Am nächsten Morgen fuhren wir bis Prag und parkten in der Nähe des Hauptbahnhofes. Wir machten einen Spaziergang zum Wenzelsplatz, und dort kam mir der Gedanke, zur bundesdeutschen Botschaft zu gehen, um ein Einreisevisum zu beantragen. Leider sagte man mir auch dort, wie zwei Jahre zuvor in Budapest, dass dafür die rumänische Botschaft zuständig sei. Das Haus der bundesdeutschen Botschaft war natürlich dasselbe, von dessen Balkon aus Außenminister Hans Dietrich Genscher im Herbst 1989 den dorthin geflüchteten Tausenden DDR-Bürgern mitgeteilt hat, dass ihre Ausreise in die Bundesrepublik genehmigt worden sei. Meine Einreise - rund zwei Jahre früher - wurde leider nicht genehmigt. Den Weg zur rumänischen Botschaft ersparte ich mir, da ich seit 1985 wusste, wie die Antwort lautete. Nach diesem Versuch war klar, dass wir uns nun trennen mussten. Wir gingen zum Bahnhof, wo sich Hans-Georg eine Fahrkarte nach Nürnberg kaufte. Nach der Abfahrt des Zuges fuhr ich mit dem Auto zurück mit dem Ziel

Dresden. Zuvor gab es aber beim Fahrkartenkauf die erste positive Überraschung: Aus reiner Neugierde verlangte auch ich eine Fahrkarte nach Nürnberg, indem ich meinen Pass neben den meines Sohnes legte. Und siehe da, der Mann am Schalter war bereit, auch mir eine zu verkaufen. Doch ich wollte nicht einfach mein voll gepacktes Auto in Prag zurücklassen, zumal es ja höchst ungewiss war, was passiert wäre, wenn sich die Tschechen an der Grenze meinen Pass genauer angesehen hätten. So dankte ich bloß für die Auskunft, lehnte es aber ab, eine Fahrkarte zu kaufen. Wie glücklich wäre ich zwei Jahre vorher in Pressburg gewesen, hätte mir damals der Mann am Schalter eine Fahrkarte nach Wien verkauft.

Über den Grenzübergang Zinnwald erreichte ich noch am selben Abend Dresden. Bei der Einreise in die DDR hatte ich zuvor noch eine Information erhalten, die später von Bedeutung sein sollte. Ich fragte nämlich, ob ich bei meiner Rückreise wieder zum Grenzübergang Zinnwald kommen müsste? Die klare Antwort lautete: „Nein, Sie können an jedem Grenzübergang zu einem sozialistischen Land die DDR verlassen.“ Diese Nachricht war für meine Pläne sehr vorteilhaft.

In der DDR reiste ich nach drei Tagen mit dem Zug von Dresden nach Leipzig und dann nach Berlin. Dort versuchte ich es abermals, mit der S-Bahn am Übergang Friedrichstadt nach West-Berlin zu gelangen. Bei der Passkontrolle sagte mir der Kontrolleur folgendes: Weil ich mit dem Auto in die DDR eingereist sei, könnte ich auch nur mit dem Auto das Land wieder verlassen. Das bedeute aber, dass dies nur bei einem Grenzübergang für Straßenverkehr möglich sei. Als Beispiel nannte er mir den „Checkpoint Charlie“ und noch einige andere. Für mich war dies eine ermutigende Antwort, hatte er doch nichts über mein fehlendes Visum gesagt. Leider war mein Auto in Dresden, so dass ich nicht versuchen konnte, „hinüber“ zu gelangen. Nach einigen Tagen war ich wieder in Dresden. Als Tag der Abreise aus der DDR hatte ich den 10. November vorgesehen. Weil es damals in Rumänien an allem mangelte, in erster Linie an Nahrungsmitteln, kaufte ich so viel ein, wie in den Wagen passte; die DDRLäden waren im Vergleich zu rumänischen geradezu gut ausgestattet.

Um 12 Uhr nahm ich von meinen Gastgebern in Dresden Abschied, fuhr aber nicht auf dem kürzesten Weg zur tschechischen Grenze, sondern nach Westen, geradezu auf die A4, um am Hermsdorfer Kreuz auf die A9 nach Nürnberg abzubiegen. Etwa zehn Kilometer vor dem Grenzübergang Hirschberg hielten Grenzbeamte mich an. Ich gab ihnen sehr selbstbewusst meinen Pass, und nach kurzem Einblick wurde er mir auch schon durch das offene Fenster meines Wagens zurückgereicht – ich durfte tatsächlich weiterfahren.

In Hirschberg wurden die Autos auf zwei Fahrspuren gelotst: Die linke war für ausländische, die rechte für DDR-Fahrzeuge gedacht. Links standen mehr Autos als rechts, trotzdem ging es zügiger voran, weil es bei den westlichen Fahrzeugen anscheinend weniger zu kontrollieren gab, als bei denen aus der

DDR. Ich reihte mich als Ausländer links ein, gab meinen Pass und die Autopapiere zur Kontrolle und durfte erneut weiterfahren - ich konnte es gar nicht fassen. Es folgte die Zollkontrolle, vor der ich mir keine Sorgen machte, da ich ja nichts zu verheimlichen hatte, im Auto waren nur die am Vormittag gekauften Nahrungsmittel, etwas Kaffee und Süßigkeiten. Ob sie die beiden Kanister mit Benzin überhaupt bemerkt haben, weiß ich nicht, es gab jedenfalls keine Beanstandungen, und ich durfte nach kurzer Zeit wieder einige Meter vorfahren.

Nun war ich unmittelbar vor dem letzten Schlagbaum, dahinter war Bayern. Ich musste erneut Pass und Autopapiere vorzeigen. Wenig später wurde mir mitgeteilt, dass ich hier bei Hirschberg nicht ausreisen dürfe, sondern nur an dem Grenzübergang, an dem ich in die DDR eingereist sei. Meine Einwendung, es sei doch egal, wo ich ausreisen würde, ließen sie leider nicht gelten. Diskutieren half nichts, sie blieben dabei: Ich müsse zurück zum Grenzübergang Zinnwald.

Meine Freude war nur kurz. Ich fuhr zurück auf die A9, wollte aber auf keinen Fall zurück nach Zinnwald. Nach gut zehn Kilometern bog ich nach Schleiz ab und fuhr bis Plauen. Ich sammelte meine Gedanken und fasste nun folgenden Plan: Ich fahre am nächsten Grenzübergang in die Tschechoslowakei und klappere dort alle Straßenübergänge nach Bayern ab. Mit dem Straßenatlas auf dem Beifahrersitz fuhr ich zum Grenzübergang Schönberg im Elstergebirge. Gegen 22 Uhr passierte ich die Grenze. Über Eger (Cheb) wollte ich den bayerischtschechischen Grenzübergang Schirnding ansteuern. Schon weit vor dem Übergang hielten mich die ersten Patrouillen an, besahen sich meine Papiere, und ich durfte weiterfahren. Am Grenzübergang teilte man mir mit, ich könne die Grenze nur passieren mit einem Visum von der rumänischen Botschaft in Prag. Inzwischen war es schon nach Mitternacht, ich war sehr müde, deshalb fuhr ich zurück auf einen gut beleuchteten Parkplatz am Rande von Eger.

Am Morgen weckte mich die Sonne. Ein schöner Herbsttag kündigte sich an. Gut gelaunt fuhr ich südwärts entlang der bayerischen Grenze zum Grenzübergang Waidhaus. Eine erste Grenzpatrouille ließ mich passieren. Es war kurz vor 10 Uhr, ich hatte noch 500 Meter bis zum Grenzübergang, zu dem zwei Fahrspuren führten, die letzten 150 Meter ging es etwas bergab. Da aber die rechte Fahrspur vor dem Schlagbaum in Reparatur war, wurde nur auf der linken abgefertigt. Ich hatte dies zu spät gemerkt, und war auf der rechten bis zur unpassierbaren Stelle gefahren. Aber ein Grenzer wies mich per Handzeichen an, doch links zu fahren, und so musste ich etwa 80 Meter zurücksetzen – diesmal leicht bergauf – um mich auf der linken Fahrspur einzuordnen. Ich fuhr also im Rückwärtsgang wieder hoch und reihte mich richtig ein. Es war an einem Mittwoch, der Verkehr war nicht übermäßig dicht. Vor mir ging alles sehr flott, ohne aufwändige Zollkontrolle. Am Grenzhaus angekommen, hielt ich an, reichte dem Grenzbeamten Pass und Führerschein und hielt den Atem an. Er sagte kein Wort, ich auch nicht. Nach einigen Sekunden gab er mir die Dokumente zurück

und den Wink, ich solle weiterfahren. Am liebsten wäre ich sofort losgefahren vor lauter Angst, es könnte ihm doch noch einfallen, dass mit meinem Pass etwas nicht in Ordnung sei.

Aber dann das: Vor mir stand ein dicker, dunkelblaue ösischem Kennzeichen, der von anderen Grenzern gründlicher kontrolliert wurde. Da es dabei augenscheinlich Probleme gab, konnte ich nicht weiterfahren. Ein anderer Grenzer am Schlagbaum hatte aber die Szene beobachtet und gab mir Zeichen, ich solle doch rechts überholen und auf ihn zufahren. Er hob die Schranke, der Weg war frei, und in Sekunden passierte ich die Grenzlinie.

Benommenheit gemischt mit Euphorie

Im Augenblick der Ankunft auf westdeutschem Boden fiel alle Spannung schlagartig von mir ab, mein Ausdruck war vermutlich ein Gemisch von Benommenheit und Euphorie. Heute kann ich mich nicht mehr daran erinnern, was ich den deutschen Grenzbeamten gesagt habe. Ich weiß nur noch, wie einer zu seinem Kollegen sagte: „Dieser Mann ist außer sich, dass ihm die Flucht gelungen ist“.

An diesem Mittwoch, dem 11. November 1987, um 10.30 Uhr hatte mein achter Versuch, den Eisernen Vorhang dank der Unachtsamkeit von Grenzbeamten zu passieren, also endlich Erfolg.

Was an diesem Tag noch folgte, war für mich fast schon nebensächlich, ich wusste, dass es keine großen Probleme mehr geben würde. Nach einigen Minuten der Besinnung wurden mir die erwarteten Fragen für das Protokoll gestellt, die für die bayerischen Grenzleute Standard waren: meine Herkunft, meine ethnische Zugehörigkeit und ähnliches. Weil ich für die Bundesrepublik keine Versicherungskarte besaß, musste ich mir eine für 97 Mark kaufen. Danach fuhr ein Grenzbeamter höheren Ranges zum 300 Meter entfernten Grenzerhaus, wo ich bei Kaffee und Kuchen allerlei Fragen beantworten musste. Der Beamte gab mir die Adresse der Aufnahmestelle für Aussiedler im 130 Kilometer entfernten Nürnberg.

Während der Fahrt fiel mir der gute Straßenzustand auf, dann die gepflegten Äcker, die Dörfer mit ihren schmucken Häusern und schönen Gärten. Ich war in einer anderen Welt. Aber es kamen mir auch ernste Fragen in den Sinn: Was willst du denn hier machen, mit deinen gut 51 Jahren, womit willst du dein Geld verdienen?

Mit diesen Gedanken erreichte ich Nürnberg und fand nach drei Auskünften die Aufnahmestelle für Spätaussiedler. Meine Frau und mein Sohn Waldemar sind 1990 nachgekommen. Ich hatte inzwischen eine relativ gute Arbeitsstelle als Sicherheitsingenieur gefunden. Schließlich holte ich 1993 auch meine 80jährige Mutter nach Deutschland, die noch knapp ein Jahr in unserer Nähe lebte.

Die politische Wende von 1989, die so erfreulich für Rumänien war, war gleichbedeutend mit dem Ende der 850-jährigen Geschichte der Siebenbürger

Sachsen: Die meisten von ihnen haben ihre Heimat in den beiden folgenden Jahren verlassen.

Fürth, 22. April 2009

Hans Füger wurde am 10. Juni 1936 im siebenbürgischen Frauendorf geboren, wo er auch bis zur Flucht zu Hause war.

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