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Prügelnde Aufseher im Werschetzer Gefängnis
Von Paul Muck
Unser Antrag auf eine Besuchserlaubnis für Deutschland wurde Ende der 1970er Jahre zweimal abschlägig beantwortet. Seit 1980 haben wir dann bei den rumänischen Behörden um eine Ausreisegenehmigung angesucht. Unsere regelmäßigen Nachfragen bei den zuständigen Kreisstellen brachten nichts. Zweimal wurden wir vor „Ausreisekommissionen“ zitiert, jedes Mal ohne Erfolg. Erst 1985 wurden Kathi und ich eines Tages nach der Arbeit beim Verlassen des Holzverarbeitungskombinates Karansebesch von einem SecuritateMann in ein Büro gerufen. Er teilte uns mit, dass wir uns die Wege nach Reschitza sparen könnten, wir dürften nicht ausreisen. Ich arbeitete damals im Kombinat mit Vertretern der Firma Siemens zusammen, und wer mit Ausländern zu tun hatte, durfte nicht ausreisen. Somit sahen wir uns jeder Hoffnung beraubt, unsere Verzweiflung war groß.
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Da es keinen legalen Weg geben sollte, nach Deutschland zu gelangen, haben wir uns nach einer Fluchtmöglichkeit umzuhören begonnen. 1985 war mein Bruder Lothar mit zwei Freunden über die Donau geflüchtet. Im selben Jahr machte uns sein Fluchthelfer, ein gewisser Ion, auch ein Angebot. Dafür wollte er von uns 80.000 Lei haben. Das war sehr viel Geld, und wir hatten es nicht. efan, boten sich an, uns die Summe zu leihen und verkauften dafür ihren Goldschmuck. Unser selbsternannter Fluchthelfer kam uns aber zunehmend unseriös vor, wir vermuteten sogar, er könnte ein Spitzel der Securitate sein. Er erzählte uns nämlich gar nichts von dem geplanten Fluchtweg – im Gegenteil – er wollte von uns wissen, wie wir nach Deutschland kommen wollten und was wir weiter vorhätten.
Schließlich wandten wir uns von ihm ab. Tatsächlich stellte sich später heraus, dass dieser Mann ein Betrüger und Spitzel war, er hatte von mehreren Fluchtwilligen Geld kassiert und diese der Polizei ausgeliefert.
Nach diesem ersten gescheiterten Fluchtplan vergingen Jahre, erst 1989 bot sich uns die Möglichkeit, zusammen mit drei anderen uns fremden Männern einen neuen Versuch zu starten. Der eine von ihnen, Florin, kannte einen Weg, er hatte schon einen gelungenen Fluchtversuch hinter sich, war aber von Jugoslawien nach Rumänien abgeschoben worden. Er bot sich als Führer an, unter der Bedingung, dass wir ihm mit unseren Deutschkenntnissen in Jugoslawien und nachher in Deutschland helfen sollten. Mein Bruder sollte uns im jugoslawischen Grenzstädtchen Weißkirchen (Bela Crkva) abholen und mit dem Auto nach Deutschland schaffen. Wir versprachen, die drei im Auto mitzunehmen. Florin wollte 50.000 Lei haben, um seine Mutter nicht unversorgt zurücklassen
dafür nach unserer Flucht das Auto übernehmen. Am 17. Juli um 19 Uhr verließen wir Karansebesch mit dem Geländewagen eines Unternehmens, das Staudämme baute und eben archäologische Grabungen in der Nähe der Donau entlang der jugoslawischen Grenze durchführte. Unser Fahrer hatte für uns so etwas wie „Ausweise“ dabei, eigentlich waren es von Hand geschriebene Zettel mit dem Stempel der Baufirma, die uns das Betreten der streng bewachten Grenzzone ermöglichen sollten. Die Hauptstraße meidend, fuhren wir über Waldwege auf die rumänisch-jugoslawische Grenze zu, bis in die Nähe des Or dwesten von Neumoldowa. Es war ein Uhr und eine helle Vollmondnacht. Weil im Wald überall Wachposten verteilt waren, durfte der Wagen nicht bremsen oder stehen bleiben. Wir sprangen einer nach dem anderen aus dem langsam fahrenden Geländewagen und verschwanden im Gebüsch. Florin war schon bei der Abfahrt betrunken, so dass sein Freund Ion die Führung übernehmen musste. Der kannte aber den Weg nur vom Hörensagen, deshalb sprangen wir eine Wegbiegung zu früh aus dem Wagen und landeten in einer dichten Brombeerhecke, die uns Gesicht und Hände zerkratzte. Wir rutschten die Uferböschung hinab und durchwateten den Fluss Nera. Das Wasser ging uns bis an die Brust. Am anderen Ufer stand in einer Kiesgrube eine Baracke für Bauarbeiter; dort schlug ein Hund an. Gott sei Dank, wurde er von einem Arbeiter beruhigt, und wir konnten unbemerkt den Hang hinaufklettern. Oben angekommen, zerrissen wir unsere Zettel mit dem Firmenstempel, um im Falle einer Verhaftung unseren Fahrer nicht verraten zu müssen. Auf der anderen Seite des Hügels ging es einen steilen Schotterhang hinunter. Mehr rutschend als gehend kamen wir in dem dichten Weißdorngestrüpp vorwärts, dabei wurden unsere Hände vom Bremsen ganz aufgerissen.
Auf dem nächsten Hang war ein Maisfeld, dessen Reihen direkt auf die Grenze zuliefen. Weil unser Führer den Weg nicht mehr fand, gingen wir auf der hell erleuchteten Seite des Maisfeldes und standen plötzlich angestrahlt vom Licht des Vollmondes direkt unter dem Beobachtungsturm der Grenzposten. Wir hörten sie reden und wussten, dass wir keinen Schritt weiter konnten. So schlichen wir denselben Weg zurück, um dann auf der Talseite des Maisfeldes wieder auf die Grenze zuzugehen. Wir kamen auf einen Weg und glaubten nun, diesem folgen zu können, aber nach 10 bis 15 Metern stellte sich heraus, dass es der geackerte Grenzstreifen war und wir in die falsche Richtung gingen. Zu unserer rechten Seite wehte die Landesflagge von Jugoslawien. Durch unwegsames Gelände liefen wir so weit wie möglich von der rumänischen Grenze weg, denn wir wussten, dass rumänische Grenzsoldaten Flüchtlingen nachschossen, selbst wenn diese schon in Jugoslawien waren. Später lernten wir im Gefängnis einen Mann kennen, dessen Frau auf der Flucht auf diese Weise ums Leben gekommen war. Nun hatten wir einen Weg von 20 Kilometern bis Weißkirchen vor uns, der bis Tagesanbruch geschafft sein musste. Kathi war völlig erschöpft,
und es war ihr egal, ob sie gefangen wird oder nicht. Wir zeigten ihr immer einen Baum und versprachen, dort eine Rast zu machen. Wenn wir da waren, zeigten wir ihr das nächste Ziel. Auf diese Weise gelangten wir in einen Weingarten. Dort trat Kathi in ein Loch, in dem ihr Schuh stecken blieb, und ganz plötzlich heulte eine Sirene. Auf diese Weise konnten die jugoslawischen Soldaten die Grenzgänger bei Tagesanbruch leicht orten und einfangen. Wir waren durchnässt, an unseren Kleidern klebte eine feste Lehmschicht. Gegen 6 Uhr waren wir etwa 500 Meter vor Weißkirchen, wo wir uns mit Lothar treffen wollten. Hinter uns lagen etwa 30 Kilometer Fußmarsch unter unheimlich stressigen Bedingungen. In einem Sonnenblumenfeld ließen wir uns fallen, trotz Schüttelfrosts schliefen wir sofort ein. Als die Sonne herauskam, zogen wir die Kleider aus und breiteten sie zum Trocknen aus. Um die Mittagszeit, als wir aufwachten, versuchten wir, die Kleider von Lehm zu reinigen. Um unseren Durst zu löschen, kauten wir Sonnenblumenblätter und tranken aus einer Pfütze, die mit einer Schicht Grünalgen überzogen war. Ich robbte mich vor bis auf eine Anhöhe neben dem Feld, von wo aus man den Weg beobachten konnte, in der Hoffnung, Lothars Auto zu erspähen. Dabei trank ich von dem Regenwasser, das sich in einem hohlen Baumstumpf gesammelt hatte. Wir mussten uns versteckt halten, denn ein plötzlich auftauchender Jugoslawe hätte uns verraten können. Jeder, der Flüchtlinge auslieferte, hatte finanzielle Vorteile zu erwarten. Gegen Abend konnten wir es nicht mehr aushalten vor Hunger und Durst. Ion hatte 10 Mark dabei. Die gab er uns, da wir als Deutsche am wenigsten gefährdet waren, und schickte uns in die Stadt. Als wir in das erste Schaufenster von Weißkirchen schauten, kamen wir uns vor wie Außerirdische. Unsere Gesichter waren ganz zerkratzt und von der Sonne gerötet. Wir fühlten die verwunderten Blicke der Leute. Vor einer Gaststätte stand ein Pkw mit Wiener Kennzeichen, und voller Hoffnung hielten wir uns etwa eine halbe Stunde in der Nähe auf, bis eine Frau und ein Mann auf den Wagen zugingen. Wir sprachen die Frau deutsch an. Der Mann bat uns, schnell einzusteigen und fuhr in eine Seitenstraße. Dort hörte er sich unsere Geschichte an und versprach uns Hilfe. Sie hatten Mitleid mit uns. Er war Jugoslawe, seine Frau Wienerin, und sie wollten sich in seiner Heimatstadt ein Haus kaufen. Ich bat ihn, meinen Bruder in Deutschland anzurufen, denn ich dachte, Lothar sei nicht gekommen. Unser Helfer erzählte uns aber, dass in der Stadt eine große Veranstaltung im Gange sei, die Grenzsoldaten mehrerer Einheiten legten den Eid ab, sämtliche Durchfahrtsstraßen seien gesperrt. Deshalb könne er auch nicht in Deutschland anrufen, die öffentlichen Fernsprecher seien von anrufenden Soldaten in Anspruch genommen. Er wollte uns zu sich nach Hause mitnehmen. Als wir erzählten, dass im Sonnenblumenfeld unsere drei Gefährten auf uns warteten, bot er sich an, auch diese mitzunehmen. Wir sollten uns jedoch im Versteck still verhalten, denn in seinem Hause werde abends eine Party stattfinden. Da wir aber wussten, dass Flo-
rin gerne trank und randalierte, hatten wir Angst und wollten lieber mit den dreien zusammen im Feld übernachten. Der Mann kaufte uns etwas zu essen und zu trinken und brachte uns mit dem Auto vor die Stadt. Am Rande des Sonnenblumenfeldes war ein älterer Mann, der seine Kuh weiden ließ. Er sah ganz neugierig zu uns herüber. Als wir annehmen konnten, dass wir aus seinem Blickfeld waren, verschwanden wir im Sonnenblumenfeld. Von meinem Bruder erfuhr ich später, dass er am anderen Ende der Stadt von den Einheimischen schon misstrauisch gefragt worden ist, ob denn seine Flüchtlinge noch nicht angekommen seien.
Verraten
In der Hoffnung, dass Lothar doch noch kommt, verbrachte ich die meiste Zeit vor dem Feld mit dem Blick auf die vorbeifahrenden Autos. So bemerkte ich auch als erster das Polizeiauto, das auf uns zukam. Der Kuhhirt muss eine exakte Lagebeschreibung abgegeben haben, denn die Polizisten blieben genau vor unserem Versteck stehen und riefen nach uns. Die anderen drei liefen weiter ins Feld hinein, was nicht klug war, denn an der Bewegung der mannshohen Sonnenblumenpflanzen konnte man ihren Fluchtweg erkennen. Ich zog Kathi auf den Boden, und wir blieben geduckt sitzen. Wir wären auch davongekommen, wenn die anderen drei uns nicht verraten hätten. Die Polizisten forderten Verstärkung an, dann kamen sie ins Feld, um uns zu holen. Kathi hatte einen Schock und konnte nicht aufstehen, als der Polizist ihr den Revolver an die Schläfe hielt. Es war ein älterer Herr, er sagte später zu Kathi, die immer noch weinte: „Deutsche – nema problema – nicht mehr weinen – Deutsche nach Deutschland“.
Nach einem ersten Verhör in Weißkirchen wurden wir nach Werschetz (Vršac) gebracht, wo man uns erneut verhörte. Wir wurden getrennt und durften nicht mehr miteinander sprechen. Ohne weitere Erklärung wurden wir von einem Schnellgericht wegen illegalen Grenzübertritts zu 20 Tagen Haft verurteilt. Im Gefängnis von Werschetz waren etwa 150 Menschen, darunter sehr viele politische Gefangene aus dem Kosovo. Am ersten Tag mussten alle 21 am Vortag gefangenen Häftlinge, weil sie noch keinen Arbeitsplatz hatten, bei einem Polizisten das Haus aufräumen und putzen. Danach musste Kathi zusammen mit anderen Frauen in einem Zuckerrübenfeld mit einer rostigen und schartigen Sichel Gras schneiden. Ich musste in einem Baustofflager Kalk und Beton abladen, täglich etwa 16 Tonnen.
Die ganze Zeit über schliefen und arbeiteten wir in unseren zerfetzten Kleidern. Abends versuchte ich, meine Unterhose - natürlich ohne Seife - zu waschen und unter dem Bettlaken zu trocknen, sie war noch nass, wenn ich sie anzog. Nach 20 Tagen schwerer Arbeit war ich froh, dass ich überhaupt noch
eine Oberhose hatte. Kathi musste ihr Unterhemd in Streifen reißen, um die entzündeten Schwielen an den Händen zu verbinden. Wer sich nicht den Befehlen fügte, wurde verprügelt. Eines Tages versuchte ich, durch das Zellenfenster Kathi eine Zwetschge zuzuwerfen. Ein Bewacher kam in die Zelle und prügelte auf den Mann ein, der gerade am Fenster stand, in der Annahme, der hätte die Zwetschge geworfen. Ein Landsmann aus unserem Dorf, der einige Tage vor uns geflohen war, hatte starke Zahnschmerzen und wagte es, Medikamente zu verlangen. Daraufhin wurde er brutal zusammengeschlagen. Selbst als er schon auf dem Boden lag, hat man auf ihn eingetreten, so dass er wie tot liegenblieb. Die Frauen konnten die Prügelszene gut beobachten. Danach packten die Wachsoldaten ihr Opfer und warfen es in den Gefängnishof, wo wir Männer waren. Wir machten dem jungen Mann kalte Umschläge und versuchten so gut es ging, ihm zu helfen. Der Arme war kurz davor, freizukommen, und wer am Tag der Freilassung nicht fit war, wurde zu weiteren 20 Tagen verurteilt. Während dieser Zeit bekamen wir jeden Tag die gleiche „Suppe“, eine Brühe mit Speckwürfeln und ein paar Pfefferkörnern.
Nach 20 Tagen Haft plagte uns die Frage, ob uns ein Polizeiauto mit oder eines ohne Fenster erwarten werde. Es war bekannt, dass jene mit Fenster ins UNO-Lager bei Belgrad fuhren, jene ohne Fenster die Flüchtlinge zurück in ihr Herkunftsland bringen sollten. Die Angst war jedem anzusehen, als wir in zwei Autos ohne Fenster einsteigen mussten. Später hörten wir, dass das organisatorische Gründe hatte, es gab zu wenig Autos mit Fenstern. An jenem Tag hatte es nämlich sehr viele Entlassungen gegeben. Sechs von den Flüchtlingen dieses einen Tages wurden nach Rumänien abgeschoben. Unterwegs gab es plötzlich eine Vollbremsung. Wir wurden aus zwei Gefangenenwagen in ein Auto zusammengepfercht. Es waren nämlich vier Flüchtlinge hinzugekommen: die Loch-Kinder aus Lowrin. Die 18jährige Schwester war mit ihren drei kleineren Geschwistern in der Nacht von zu Hause geflohen. Die vier wurden sofort nach Belgrad gebracht. Im UNO-Lager hat man Kontakt mit der Verwandtschaft in Deutschland aufgenommen, und die Kinder wurden schon am nächsten Tag in die Freiheit ausgeflogen. Ich kam in einen Raum mit zehn Betten, aber 30 Leuten. Dort war es noch viel schlimmer als im Gefängnis in Werschetz. Im Lager hielten sich Flüchtlinge auf, die seit sechs Monaten voller Verzweiflung darauf warteten, von einem Land aufgenommen zu werden. Mir wurde sofort die Toilette als Schlafplatz zugewiesen mit den W - la WC“ (Du Deutscher - ins Klo).
Am nächsten Tag - wir kamen gerade vom Verhör - wurden Kathi und ich von einem elegant gekleideten Herrn namentlich angesprochen. Er war belgischer Diplomat und teilte uns mit, dass sich unsere Verwandten in Deutschland schon nach unserem Schicksal erkundigt hätten und dass wir sehr bald ausreisen dürften, wenn alles mit den Papieren klappt, noch am selben Tag mit den Loch-
Kindern. Am nächsten Tag, am Donnerstagmittag, wurden wir entlassen. Vom UNO-Lager, das 20 Kilometer weit außerhalb von Belgrad lag, mussten wir zur UNO-Vertretung in die Stadt. Dort kümmerte sich eine Angestellte rührend um uns, obwohl wir kurz vor der Sperrstunde ankamen. Wir wurden ins Hotel Avala geschickt, das lag am anderen Ende der Stadt. Doch welche Rolle spielt solch eine Entfernung, wenn es in die Freiheit geht? Die warme Dusche und den Kartoffelsalat mit Schnitzel empfanden wir als wahren Luxus. Weniger begeistert von ihrem Schicksal waren die Rumänen, die wir hier trafen; sie warteten seit einem Jahr oder länger auf ein Aufnahmevisum. Am nächsten Tag begaben wir uns zur Botschaft der Bundesrepublik Deutschland. Das Visum war für uns glücklicherweise nur noch eine Formalität. Weil wir uns schon in Rumänien um die Ausreise nach Deutschland bemüht hatten, lag seitens der deutschen Behörden eine Übernahmegenehmigung vor. Die sogenannte Ru-Nummer (Abkürzung nach Liste Rumänien) machte uns den Weg frei. Wir bekamen einen deutschen Fremdenpass ausgehändigt, etwas Geld und konnten zwei Tage nach der Entlassung aus dem UNO-Lager weiter nach Deutschland fahren. Noch ein Sprung zur österreichischen Botschaft um ein Transitvisum und ein letzter Gang zum UNO-Lager, um zu bestätigen, An der ungarisch-rumänischen Grenze: Kathi und Paul Muck holen ihre in Rumänien zurückgelas- dass wir Jugoslawien legal verlassenen Kinder Rocki und Christian auf einem sen. Wir taten es, mit dem ersten ungarischen Bahnhof ab. Zug, mit dem Istanbul-Express. Am 16. Dezember haben wir die Kinder an der ungarisch-rumänischen Grenze abgeholt. Wir waren mit dem Auto meines Bruders Lothar unterwegs; etwa 50 Kilometer hinter Budapest ist uns um 2 Uhr ein Reh vors Auto gesprungen. Wir hatten nur Glück, dass es nicht den Kühler erwischt hat. Wir waren bis in der Früh damit beschäftigt, die Formalitäten zu erledigen; wir mussten einen Jäger suchen, der Polizei mit Händen und Füßen erklären, was geschehen war. Es war sehr knapp, wir haben es nur in aller Hetze geschafft, bis 7 Uhr an die Grenze zu gelangen. Die ungarischen Grenzer wollten uns hinüberschicken. Bis dann eine Dame kam, die Deutsch verstand, der
haben wir erklärt, dass wir als Flüchtlinge zwei Jahre Rumänien-Verbot haben. Lothar hat die Kinder dann von den rumänischen Grenzern abgeholt. Die Kin der waren sehr komisch angezogen, aus ihren Kleidern waren sie längst herausgewachsen, Rocki hatte einen zu kleinen Skianzug und eine Mütze mit Bommel unter dem Gesicht zusammengebunden. Christian hat geweint, weil die Grenzer ihm das Kissen weggenommen hatten. Er war noch klein und hat dieses Kissen überall mitgenommen. Wir sind im Juni in Deutschland angekommen, und im Dezember ist der Eiserne Vorhang auch für rumänische Staatsbürger gefallen. Ich bereue es trotzdem nicht, die Strapazen der Flucht auf mich genommen zu haben. Ich bin mit ganz anderem Mumm hierher gekommen und habe mein Leben ganz anders angepackt, Familie Muck heute als die, die mit dem Koffer gekommen sind und bis heute unzufrieden sind, weil ihnen alles in den Schoß gefallen ist. Kathi bereut es ab und zu, denn die Sehnsucht nach den Kindern war kaum zu ertragen.
Paul Muck, geboren am 25. Januar 1957 in Altsadowa, ist Lothar RujiskaHafers Bruder; er hat den Namen seiner Frau angenommen. In Rumänien war er Schlosser, in Deutschland hat er sich in Ergolding bei Landshut niedergelassen und arbeitet als CNC-Maschinenführer.
Die Fluchtgeschichte ist der Monographie „Altsadowa“ mit Marianne Wolfs freundlicher Genehmigung entnommen.