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Strategien für den Restart

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Impressum/Vorschau

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Links: Auch ein Picknickkorb (hier von Broich Catering) kann Teil des gastronomischen Angebots sein

Rechts: Gastronomen könnten zukünftig auch automatisierte Supermärkte beliefern – Beispiel Typy in Düsseldorf

„Gas geben und trommeln“

Was sollten Gastronomen nach dem Restart tun, welche Strategien greifen am besten? Antworten von Karin Tischer, Food- und Trendforscherin bei food & more. Die Fragen stellte Peter Erik Hillenbach

Karin Tischer, Geschäftsführerin von food & more in Kaarst, ist europaweit als Food- und Trendforscherin gefragt Frau Tischer, wie schaffen es die Betriebe, am Ball zu bleiben, finanziell und konzeptuell? Die Situation ist dramatisch, viele in der Branche kämpfen ums Überleben. Sie müssen nun alle Register ziehen. Delivery und Take-Away wurden als Chancen ergriffen oder verstärkt und haben sich unterdessen als neues Standbein etabliert. Sie bieten ein Zusatzgeschäft für die Zukunft. Nun müssen die Prozesse noch weiter professionalisiert und die Mitarbeiter entsprechend eingebunden werden. L’Osteria, zum Beispiel, hat diese Aufgabe gut umgesetzt.

Was steht außerdem an? Ich beobachte ein Spannungsfeld, in dem sich die Gastronomie befindet. Einerseits ist die deutsche Mentalität bekannt für: pünktlich sein, fleißig sein, Regeln einhalten. Gleichzeitig ist für die Gastronomen empfehlenswert, Kreativität und Offenheit zu verstärken. Beides ist wichtig: sich an Hygienerichtlinien halten – und Visionen entwickeln, sich weiterentwickeln oder sogar neu erfinden. Haben Sie ein konkretes Beispiel? Eins ist klar: Der Konkurrenzkampf um die Gäste ist härter geworden. Normalerweise ist der Gast beim Restaurantbesuch zwei Stunden in Kontakt mit Service und Küche, hat also eine intensive Wahrnehmung. Dieses entgangene Erlebnis muss der Gastronom ausgleichen, indem er sich beim Take-Away oder beim Liefern Überraschungen und Giveaways einfallen lässt. Zum Beispiel eine Kostprobe von kreativen, neuen Speisen oder kleine Präsente mitgibt, um sich damit wieder in den Köpfen zu verankern.

Ob dieses Jahr nun konkret Saucen oder Bowls, Rum oder Alkoholfreies angesagt sind, wird beim Restart vermutlich eine eher untergeordnete Rolle spielen. Oder identifizieren Sie zwei, drei kulinarische bzw. gastronomische Megatrends, die alles andere überstrahlen? Einerseits haben Homeoffice und Homeschooling vielen Menschen eine Doppel- und Dreifachbelastung beschert und den Wunsch nach Entlastung in der Küche verstärkt. Andererseits hat in dieser Zeit so mancher das Kochen und Backen neu oder wiederentdeckt. „Casual“ und „Comfort“ stehen hoch im Kurs. Themen

Beispiel HomeofficeCatering: Hier die ReadyMeals Hähnchencurry und Lasagne von „à la Chef“, einer Kooperation von Spitzenköchen wie Heiko Antoniewicz, Johann Lafer und Sascha Stemberg mit Broich Catering

ÜBER FOOD & MORE

Die europaweit gefragte Trendforscherin Karin Tischer ist rund um den Globus unterwegs, um Trends aufzuspüren, wo sie entstehen. In ihrem Forschungs- und Entwicklungsinstitut food & more in Kaarst entwickelt sie mit ihrem Team systemtaugliche Konzepte, Innovationen und Rezepturen. In Zeiten der Corona-Krise bietet das Institut tatkräftige Hilfe online und persönlich an: • Risikomanagement, pragmatische Arbeitsworkshops • Strategie- und Innovations-Workshops • Individuelle Beratungen und Webinare • Krisenspezifisches Coaching von Führungskräften und Teams food & more sind Spezialisten für Trendvorträge, Kreativ- und Arbeitsworkshops sowie Führungs- und Team-Coachings. Das unabhängige Food-Innovation-Center ist national und international in den Bereichen Industrie, Außer-Haus-Markt (z.B. Gastronomie), B2B und Handel aufgestellt und arbeitet querbeet für große Systemer (Bäckerei-, Coffeebar- und Restaurantketten), mittelständische Betriebe und Start-ups.

www.food-and-more.de

wie Nachhaltigkeit, „zurück zur Natur“, gesunde Ernährung und Plantarismus sind beschleunigt, pflanzenbasierte Lebensmittel etwa auf Erbsen- oder Hanfbasis gehören dazu.

Was schließen Sie daraus? Weil der Trend zum Snacking nach unserer Beobachtung sogar noch stärker geworden ist, sollte der Gastronom mehr Snacks anbieten oder etwas liefern, was der Mensch zuhause nicht so gut kann oder nicht vorrätig hat. Beispielsweise könnten raffinierte Spreads und Toppings auf Baguettes, Sandwiches oder Bagels eine neue Aufgabe bekommen. Ferner ist Nervennahrung gefragt: Süßes, Kuchen und Desserts. Und das Frühstück findet wieder zuhause statt – Granola, Porridge, Smoothies, Bowls und Eierspeisen sollten Gastronomen nicht den Bäckern überlassen, sondern selbst in ihr Take-Away- oder Liefergeschäft aufnehmen.

Stichwort Delivery: Macht das eigentlich irgendjemandem Spaß, Essen aus Kisten und Kartons zu klauben? Womöglich aus Aluschalen zu essen? Und wohin mit dem Verpackungsmüll? Kurz gefragt: Können Sie sich geliefertes Essen auch attraktiv vorstellen? Ja! Meine Prognose im Rahmen der Pandemie bei Lockerungen oder Restart ist eine Wellenbewegung: Erst einen Run auf die Gastronomie und dann eine Neuordnung. Zuhause ist es nämlich auch ganz nett, also spielen bei Delivery Bequemlichkeit und schöne To-goVerpackungen eine wichtige Rolle. Verpackungsmüll ist allerdings ein Problem! Attraktives Mehrweggeschirr ist deshalb im Kommen – das kann durchaus von der Streetfood-Szene inspiriert sein. Und: Deutschland als Destination wird gerade wiederentdeckt. Camping und Caravaning boomen, Kurzurlaube in deutsche Regionen werden ein Thema. Warum als Gastronom nicht Picknickkörbe anbieten oder Trinkflaschen mit Branding entwickeln?

Nicht nur haben die Gäste im Dauer-Lockdown selbst frisch kochen gelernt, auch die Mitarbeiter sind dem Gastronom abhanden gekommen. Manche räumen nun lieber Regale beim Discounter ein. Was schlagen Sie ihm vor, um Gäste und Personal zurückzuholen? Personal ist ein Riesenproblem, das kann man nicht schönreden. Der Gastronom muss Gas geben und trommeln, maximaler Einsatz ist gefordert. Er muss bessere Bedingungen bieten und noch emotionaler werden, hier sind schließlich Menschen im Austausch. Im Restaurant sind Rituale wieder zu fördern, man muss innerhalb des Teams viel mehr gemeinsam gestalten. – Was den Gast angeht: Essen ist emotional und persönlich, beim Ausgehen spielen soziale Aspekte eine große Rolle. Der Gastronom muss also seine Gastgeberrolle und seine Rolle als Koch besser und zeitgemäßer ausfüllen.

Unterdessen haben andere Player auf Kosten der Gastronomie profitiert: Durchaus punktet nun auch der Supermarkt mit gastronomischen Angeboten. Wie können Restaurants darauf reagieren? Die Supermärkte sind die Gewinner der Krise. Sie haben ihr gastronomisches Angebot ausgebaut. Die Antwort der Gastronomen kann sein: unique, eigenständige Konzepte mit viel Atmosphäre und Persönlichkeit, welches Supermärkten in der Umsetzung schwerer fällt. Im Delivery und Take-Away mehr margenstarke Produkte wie Getränke verkaufen und stärker auf die Mischkalkulation achten. Gastronomie heute bedeutet auch viel Marketing via Instagram und andere soziale Kanäle. Das kann nicht jeder; man muss sich dann auch von außen helfen lassen. Außerdem kann der Gastronom sich als Lieferant für Supermärkte einbringen, schauen Sie sich nur das neue, innovative Beispiel Typy an. Das ist ein vollautomatisierter Supermarkt mit erstem Store in Düsseldorf, den der Caterer Broich mit frischen Sandwiches, Bowls, Salaten und Smoothies beliefert.

Bestimmte Dinge, die vor einem Jahr neu waren, werden offenbar bleiben, namentlich Homeoffice und Delivery. Was macht das eigentlich in letzter Konsequenz mit unseren Städten? Werden Innenstädte noch gebraucht – oder können die weg? Innenstädte sind wichtig und werden sich verändern. Dafür braucht es Innovationen, Visionen und Engagement. Vorortkieze werden als Treffpunkte künftig stärker punkten, Stichwort „dritter Ort“. Der Mensch sucht Kontakt und hat eine Sehnsucht nach menschlicher Nähe. Durchaus auch eine Sehnsucht nach dem Lieblingsitaliener, von dem er mit Namen begrüßt wird. Konkret können sich Gastronomen mit anderen aus der Straße oder aus dem Kiez zusammenschließen, etwa der Blumenladen, die Boutique, die Apotheke und die Kneipe, und gemeinsam ein Bonus- oder Gutscheinsystem einführen, besondere Aktionen und neue Ideen entwickeln.

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