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Die
Missions-Taube.
nannt hat, und die Gärten, wo ſi<h einſt Könige und Königinnen aufhielten. Mir wollte es aber nicht genügen, nur die glänzende Außenſeite der untergegangenen Herrlichkeit zu ſehen, ſondern mich verlangte vor allem, einmal einen
Vlick zu tun in die unterirdiſchen Kerker, wo die in Ungnade gefallenen Frauen auf Befehl ihres kaiſerlichen Gatten eingeſperrt und gehängt wurden. Der Führer leugnete erſt das Vorhandenſein ſolcher Burgverließe, aber nachdem wir ihm ein größeres Trinkgeld verſprochen hatten, ließ er ſich dazu herbei, ſie uns zu zeigen. Er öffnete auf einer Seite des Palaſtes
cine Falltür und
führte uns in eine Menge unterirdiſcher Zimmer, wo die Königinnen, die in Ungnade gefallen waren, eingeſchloſſen, gefoltert und den Qualen des Hungers preisgegeben wurden, bis ſie wieder von der geſtrengen Majeſlät freigelaſſen “ wurden. Danach zündete er cine Fackel an und führte uns an das
äußerſte Ende
des Kerkers
in ein Gewölbe,
das
gerade unter dem „Jasminturm“ fic) befand. Yn dieſer finſteren, ahte>igen Zelle befand ſich in der Mitte ein tiefer, finſterer Schacht, und gerade quer über dieſem Schacht war
ein dider Balken in den Wänden eingemauert, der dazu diente, die unglüdclichen Frauen zu hängen, welche einſt als Königinnen auf dem Throne geſeſſen hatten, aber nun von ihrem grauſamen Gatten oft unr einer ihnen unbekannten Urſache willen zu dieſem fcimpfliden Tode verurteilt
worden waren. Jhre Leichname wurden dann in den finſteren Schacht hinabgeworfen und unten von dem Waſſer
eines Kanals in die Dſchamna geſhwemmt, wo ſie von den
Krokodilen gefreſſen wurden. Könnten die Wände erzählen, was für Geſchichten unmenſchlicher Grauſamkeit und unſäglichen Jammers fönn-
ten
ſie mitteilen!
Droben
in
dem
Königszimmer
des
Jasminturmes ſhwelgten die grauſamen Herren mit ihren Frauen, fie ſangen ihre Lieder in ausgelaſſener Fröhlichkeit, und drunten im Gewölbe unter dieſem Zimmer erſchollen die Wehklagen der gefolterten und dem Tode preisgegebenen Frauen. Da3 war die Herrlichkeit der indiſchen Kaiſerinnen !
führt wurden, ſo ſehr ſah man ihnen die Willigkeit an, aus Liebe zu ihrem Vaterlande zu ſterben. Die Prozeſverhandlung war kurz, denn beide geſtanden alles bereitwillig ein. Der ältere der beiden gab beim Verhör ſeinen Namen und Rang als Oberſt Jokoka, 44 Jahre alt, an. Der jüngere gab den Namen Fokki, Hauptmann, 31 Fahre alt, an und ſette hinzu: „Buddhiſt.“ Er war alſo cin Heide. Dies bewog den Vorſißer des Kriegsgerichts, den älteren der beiden zu fragen : „Sie, Oberſt, ſind Sie der-
ſelben Religion?“ „Nein“, erwiderte dieſer, „ih bin ein Chriſt!“ Auf das hierdurch hervorgerufene Erſtaunen fuhr der Oberſt fort: „Jch bin zwar echter Japaner, aber ich bin durch die herrlihen Worte von Chriſto zum Chriſtentum
bekehrt worden.“ Nach kurzer Verhandlung beantragte der Staatsanwalt den Tod durch den Strang, und nachdem tags darauf die Beſtätigung des Urteils durch den General Kuropatkin ein-
getroffen war, nur mit der Änderung, daß der Tod des Erſchießens gewährt werde, wurde das Urteil den beiden Offizieren verkündet. Der Oberſt bat um die Erlaubnis, ſeiner Familie ſchreiben zu dürfen. Dann umarmte er den Hauptmann. Da ſprach dieſer zum Oberſten: ,,Sch ſterbe ruhi-
ger als Sie.
Sch habe meine Pflicht gegenüber meinem
Vaterlande und meiner Gottheit erfüllt, aber Sie ſind nur
mit dem Vaterlande in Ordnung.“ Auf die Frage des Oberſten, wie er das meine, ſagte der Hauptmann: „Sie, Oberſt, haben mir immer von der Vortrefflichkeit des Chriſtentums über andere Religionen geſagt, aber ob Sie wohl ganz im reinen ſind mit den Vorſchriften, ‘die Jhr Chriſtus in der Bergpredigt gibt?“ Da antwortete der Oberſt:
„Jch wollte Sie eben bitten um Jhre Einwilligung
zu einer Tat, wie ſie Chriſtus gern will.
bleiben mir etwa tauſend Rubel Geld übrig.
Chriſteurace. Ein junger ruſſiſher Marineſoldat, der bei der erſten Beſchießung von Port Arthur ernſtlich verwundet und dann beurlaubt zur Wiederherſtellung ſeiner Geſundheit fic) in Stalien aufhielt, erzählte einem franzöſiſchen Berichterſtatter über den Tod von zwei japaniſchen Offizieren, welde beim Verſuch, eine Cijenbahnbriide zu ſprengen, gefangen wor-
den waren, folgendes:
;
i
So ſehr id) Patriot bin und den Japanern Unterliegen wünſchte, fo konnte ih dod) nicht anders, als ihre Hinrichtung grauſam finden. Die beiden Tapferen erregten auch “allgemeine Bewunderung, als fie vor das Kriegsgericht ge-
Mein Wunſch
wäre, es dem ruſſiſchen Kommandanten zu übergeben, damit es dem ruſſiſchen Roten Kreuz für unſere verwundeten Feinde zukomme.“ „O“, meinte der Hauptmann, „wenn es Jhnen, Oberſt, eine Freude ijt, den Feinden das Geld zu geben, ſo bin id) einverſtanden.“ Der ruſſiſhe Kommandant
(Gin Vild aus dem ruſſiſh-japaniſchen Kriege.)
Wie Sie wiſſen,
war ſehr verwundert,
als
ihm der Oberſt die Bitte um Zuwendung des Geldes für ruſſiſche Verwundete ausſprach ; aber er verſprach, den Wile [en au3zuführen. Während dann dicht vor der Hinrichtung der Hauptmann noch ein Bad nahm, ließ der Oberſt fich die Bergpredigt vorleſen und verfolgte die Vorleſung in ſeinem japaniſchen Neuen Teſtament, und als die Stelle Matth. 5, 44. und 46. geleſen war, tat er ſein Buch zu und bewegte mit geſchloſſenen Augen betend ſeine Lippen. Zu dem Gefährten aber ſprach er: „Hauptmann, ih bin gewiß, daß JEſus mir Sünder gnädig iſt.“ Gleich darauf wurden ſie hinausgeführt zur Todesſtätte, wo fic) jedem von ihnen gegenüber zwölf ruſſiſhe Soldaten aufitellten. Die Schüſſe krachten. Die beiden Tapferen ſanken um. Sie waren ſofort tot. (Nach Red). Weſtph. Luth. Wochenbl.)