Neue Schulen braucht das Land - Die Architektur der Reformpädagogik im 20. und 21. Jahrhundert

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TH N체rnberg

07.07.2014

Fak. Architektur Modul: Anleitung zu projektorientiertem wissenschaftlichen Arbeiten Leitung: Dr.-Ing. Mark Kammerbauer (M.Sc. Dipl.-Ing.) SoSe 2014

Neue Schulen braucht das Land Die Architektur der Reformp채dagogik im 20. und 21. Jahrhundert

Bearbeiter: Geitner, Lena M3 Speck, Sabrina M2


Inhalt

1. Einleitung

S.2

2. Neue Schulen braucht das Land – 2.1

Walddorfschulen und ihre Architektur

S.3

2.2

Landerziehungsheime und ihre Architektur

S.4

3. Was bleibt von der Reformpädagogik? Welche Gültigkeit haben räumliche Modelle und inhaltliche Leitbilder heute in Deutschland? 3.1

Freie Waldorfschule Uhlandshöhe, Stuttgart

S.5

3.2

Odenwaldschule, Ober-Hambach

S.7

4. Exkurs: Westparkschule, Augsburg

S.9

Moderne Architektur von Regelschulen mit inhaltlichen Parallelen zur Reformpädagogik?

5. Resümee

S.10

6. Quellen

S.11

7. Anhang: Abbildungsverzeichnis

S.13

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1. Einleitung Als negatives Beispiel machte die Odenwaldschule in den vergangenen Jahren Schlagzeilen. Ein Internat auf dem Land, abgeschottet von der Außenwelt – ein Ort an dem Kinder sich ohne störende Einflüsse auf Entwicklung und Bildung konzentrieren sollen. Lehranstalten, die oft nur wohlhabenden oder schwererziehbaren Kindern vorbehalten sind. Zusammen mit Waldorf- und Montessorischulen gelten diese Schulen noch immer als Ausnahmen im heutigen Bildungssystem. Sie sind Überbleibsel der Reformpädagogik, welche zu Beginn des 20. Jahrhunderts ihre Blütezeit erlebte. Der Begriff „Reformpädagogik“, zu jener Zeit als „Neue Erziehung“ oder „Progressiv Education“ betitelt, beschreibt eine pädagogische Bewegung in der die bis dato rationalen „Lehranstalten“ kritisiert und revolutioniert wurden. Der Unterricht in Gymnasien, Real- oder Elementarschulen beschränkte sich auf die reine Wissensvermittlung und eine distanzierten Strenge zwischen Lehrern und Schülern, die es nun zu durchbrechen galt. Erste Kritiker dieses Systems, wie Comenius, Rousseau oder Pestalozzi, äußerten sich bereits Ende des 19. Jahrhunderts kritisch gegenüber dieser Erziehung und betonten eine kindgerechte Erziehung mit dem Gedanken Spiel und Selbstständigkeit in den Mittelpunkt zu rücken. Ein Hochpunkt der Reformpädagogik, welche auch in den USA Anklang fand, entstand zur Zeit der Industrialisierung, genauer gesagt in den 20er Jahren. Besonders wohlhabende Familien suchten nach einer ländlichen Lehranstalt, in der ihre Kinder in ungestörtem Raum ihr Wissen erlangen konnten und brachten die Landschulreformbewegung voran. Aktiver Protagonist dieser Bewegung war Hermann Lietz. Parallel dazu entwickelten sich die anthroposophischen Lehrformen wie Montessori, begründet von Maria Montessori, und das Waldorfprinzip unter Rudolf Steiner. Im Zusammenhang dieser Arbeit soll es jedoch weniger um den pädagogischen Ansatz, sondern um die architektonische Betrachtung der alternativen Bildungssysteme gehen. Zu diesem Zwecke werden das Landerziehungsheim und die Walddorfschule ins Zentrum der Forschung treten. Im Vergleich zu standardisierten Bildungseinrichtungen haben diese Prinzipien zwei eigenständige, architektonische Ansätze. Die Landerziehungsheime bzw. heutigen Internate können als architektonischer Mikrokosmos verstanden werden, wohingegen das Konzept der Waldorfschule eine eigens angefertigte Architekturfibel entwickelte. Zunächst wird nun die Entstehung beider pädagogischer Entwicklungen genauer betrachtet, um dann die architektonischen Gesichtspunkte zu untersuchen. Mit Hilfe eines Exkurses werden wir der Frage nachgehen, inwiefern Konzept und Architektur heute noch ihrem einstigen Ansprüchen gerecht werden und aktuelle Beispiele dafür heranziehen.

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2. Neue Schulen braucht das Land – 2.1 Walddorfschulen und ihre Architektur Begründer der Waldorfschulen ist der Anthroposoph Rudolf Steiner. Bereits in den Jahren 1906-1911 hatte er Vorträge über Erziehung und Bildung von Kindern in der Öffentlichkeit gehalten und eine bedeutende Schrift im Jahre 1907 unter dem Titel „Die Erziehung des Kindes vom Gesichtspunkte der Geisteswissenschaft“ veröffentlicht. Diese Schrift legte den Grundstein für die erste Waldorfschule, welche 1919 in Stuttgart gegründet wurde. Steiner ging es in seiner Auseinandersetzung mit dem 1

aktuellen Bildungssystem um die „verborgene Natur des Menschen.“ Seiner Meinung nach widmeten sich die bisherigen Lehranstalten nur einer oberflächlichen Behandlung des Kindes und nicht deren eigentlichem Wesen. Das Erforschen des Menschenlebens mit dem Gedanken, das Kind unter dem Aspekt zu betrachten, was das Wesen sein kann und nicht der grauen Theorie zu folgen, was es seine soll, war das Zentrum seiner anthroposophischen Herangehensweise. „Will man dieses Wesen des werdenden Menschen erkennen, so muß [sic] man ausgehen von einer 2

Betrachtung der verborgenen Natur des Menschen überhaupt.“ Als Fundament für eine geisteswissenschaftliche und fruchtbare Vertiefung in das Wesen sollten praktische Mittel bei der 3

„Lösung der wichtigsten Lebensfragen der Gegenwart dienen.“ Auch der starke Bezug zur Natur und Züge von Spiritualität sollten die Entwicklung der Kinder im Sinne der Anthroposophie fördern. „Anthroposophie antwortet auf das Bedürfnis des Menschen, einen Bewusstheit gestaltetes Verhältnis zur übersinnlichen, d.h. zur nicht durch die menschlichen Sinne erfahrbaren Welt zu gewinnen.“

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Ein weiter Gesichtspunkt des Waldorfprinzipes ist neben der Selbstfindung, die soziale Gerechtigkeit. Die erste Schule in Stuttgart, gegründet in der Astoria Zigarettenfabrik, war die erste Gesamtschule Deutschlands. Waren bis zu diesem Zeitpunkt die Schulen in Gymnasien, Real- und Elementarschulen gegliedert und gerade das Gymnasium nur für die obere Schicht zugänglich, so konnten hier Schüler unabhängig von ihrer sozialen Herkunft und Begabung zusammen lernen. Neben der Lehre hat auch die Architektur einen besonderen Stellenwert im Konzept der Waldorfschulen. „Schon beim Bau der ersten Waldorfschule in Stuttgart war klar, dass die Architektur mit der Pädagogik korrespondieren und sie unterstützen soll. Die Architektur ist ja immerhin die dritte 5

Hülle des Menschen (Haut, Kleidung, Haus).“ Man kann die anthroposophische Architektur unter dem Begriff der organischen Architektur einordnen. Der Baukörper soll als lebendige Hülle, als Organismus wahrgenommen werden. Es geht hierbei nicht um Funktionalität, sondern um den Bezug zum Nutzer. „Bereits das äußere, architektonische Erscheinungsbild der Waldorfschulen hebt sich wohltuend von den meisten anderen Schulen ab: Keine kasernenartigen Klinkerbauten, keine pädagopolis’schen

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Steiner, Rudolf 1907:1 ebd. 3 ebd. 4 Waldorfschulverein Würzburg e.V. 2010-2014:1 5 Freie Waldorfschule Karlsruhe:1 2

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Glas- und Beton-Silos, sondern: Rundbauten, Holzwände, geschwungene Formen.“ Schönheit, Zweckdienlichkeit und Umwelteinbildung sollen aufgelöst werden, um eine Übereinstimmung mit dem Wesen des Menschen zu suchen, „das Wiederum im Einklang mit geistigen und natürlichen Zusammenhängen steht.“

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So würde vermutlich jeder verstehen, dass eine Ecke mit 45° sich als ideale Raumbegrenzung eignet, da Möbelstücke passgenau hier verortet werden können. Solche Entwurfsmuster sind in den frühen Waldorfschulen jedoch nicht zu finden. Wände und Ecken müssen mit dem Nutzer kommunizieren, sei es durch ihre Form, ihr Material oder ihre Farbgebung. Gezielt werden stumpfe oder runde Ecken gewählt, um dem Raum eine eigene Haltung zu geben, welche die Sinne des Kindes anregt. Auch Farben spielen besonders im Innenraum eine wichtige Rolle und unterstützen die Architektur in ihrer Wirkung. „[…]Farben sind alles andere als trist, einheitlich und bedeutungslos. Da Steinauer im Abschluß [sic] an Goethe natürlich auch eine eigene Farblehre entwickelt hat, eine „Kosmologie der Farben“, in deren Zentrum das „Pfirsichblüt“ steht, hat jeder Anstrich seine „übersinnlichen“, „moralische“ und „spirituelle“ Bedeutung.“

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Zu diesem Gedanken reiht sich auch ein ökologischer Gesichtspunkt der Planung ein. Passend zu dem starken Naturbezug wird auch die Umwelt in den Entwurf integriert. Sowohl großzügige Gartenanlagen, als auch die Verwendung von naturverträglichen Materialien sollen beachtet werden.

2.2 Landerziehungsheime und ihre Architektur

Landerziehungsheime, auch als Landschulheime bezeichnet, sind ebenfalls ein naturverbundenes Konzept, welches bereits Ende des 19.Jahrhunderts entstand. Jedoch ohne einen anthroposophischen Bezug ging es hier dem Begründer Hermann Lietz um einen ländlichen Ruckzugsort, an dem sich die Kinder frei von schädlichen Einflüssen ihrer Bildung widmen können. Entstanden zur Zeit der Industrialisierung wünschte sich besonders die wohlhabende Schicht in Deutschland eine alternative Bildungsstätte, fern von der damals als schädlicher Faktor betrachteten Stadt. Hermann Lietz äußerte sich in seinen Schriften über fehlende Sorgsamkeit, körperliche 9

Tauglichkeit, Erbarmen und eine zunehmende Selbstsucht der Kinder. Die nun entstanden Landerziehungsheime sollten jedoch nicht nur die Bildung der Kinder und Jugendlichen revolutionieren, sondern auch als ganzheitliches Heim dienen. „Das Landerziehungsheim entsprach einer Lebensgemeinschaft, in der die Schüler neben den schulischen Aufgaben auch ihr Zusammenleben organisieren mussten.“

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Winkel, Rainer 1993:110 Engel, Dahlmann 2001:60 8 Winkel, Rainer 1993:110 9 Goldschmidt, Zimmak 2004:1 10 ebd. 7

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Die im Vordergrund stehende Natur und den Bezug zum Lande sah Lietz als die reinste und wertvollste Kraft, die es nun zu entdecken galt. Meist am Nachmittag widmeten sich die Kinder der Arbeit im Freien, erlernten handwerkliche und landwirtschaftliche Tätigkeiten, während sie am Vormittag ihren geistigen Fähigkeiten nachgegangen waren. Frei von staatlicher, kirchlicher und familiärer Beeinflussung

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wurde ein Raum geschaffen, der die persönliche Entwicklung der Kinder

fördern sollte. Im Gegensatz zur anthroposophischen Sichtweise herrschte im Landerziehungsheim jedoch ein strikter Tagesablauf, der den Kindern wenig Freiraum ermöglichte. Zudem ließ der stetige Kontakt zu Lehrern die Grenzen zwischen Freundschaft und Autorität verschwimmen, denn Schüler und Lehrer lebten in sog. „Familien“ zusammen. Lietz forderte „wie Pestalozzi und Fröbel, daß [sic] gemeinsames Leben, Arbeiten und Feiern die wirksamsten Formen für Erziehung seinen.“

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Als erstes Landerziehungsheim gilt die 1898 gegründete Pulvermühle bei Ilsenburg im Harz. Weitere Landerziehungsheime entstanden in Haubinda, ein ehemaliges Rittergut, und auf Schloss Bieberstein. Im Gegensatz zu bestehenden Schulen jener Zeit breiteten sich die Landerziehungsheime wie ein kleiner Mikrokosmos auf dem Land aus. Oft waren es großzügige Bestandsgebäude am Rande eines kleinen Ortes, die als Schulen umgebaut wurden. Sie sollten das einfache Leben auf dem Land verkörpern. Die Schüler waren nicht nur während der Unterrichtszeiten vor Ort, sondern verbrachten den ganzen Tag auf dem Schulgelände. Neben den Lehrräumen waren Werkstätten, Ateliers, sowie Schlafsäle von Nöten. Für die Arbeiten am Nachmittag wurden außerdem großzügige Gärten und Felder angelegt. Lehrer und Schulleiter bekamen oft ein eigenes kleines Anwesen auf dem Gelände.

3. Was bleibt von der Reformpädagogik? Welche Gültigkeit haben räumliche Modelle und inhaltliche Leitbilder heute in Deutschland? 3.1. Freie Waldorfschule Uhlandshöhe, Stuttgart Die Freie Waldorfschule Uhlandshöhe Stuttgart hat seit der Gründung 1919 bis heute eine enorme 13

Entwicklung in ihrer baulichen Gestalt erfahren .

Emil Molt und Rudolf Steiner erwarben damals ein leerstehendes Gasthaus, auf dessen 12.000m² 14

großem Grundstück sie die Chance zur Erweiterung ihrer neu gegründeten Schule gegeben sahen . Aus mangelnden finanziellen Mitteln musste sich die junge Waldorfschule in einem Bestandsgebäude einrichten, ohne räumliche Ideen umsetzen zu können. In den kommenden Jahrzehnten wurden auf dem Gelände weitere Gebäude errichtet, die nun bestimmte inhaltliche Leitbilder verkörperten.

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Goldschmidt, Zimmak 2004:1 Winkel, Rainer 1993:77 13 Siehe Abb. 1: Übersichtsplan der Gebäude, 1982 14 Siehe Abb. 2: Restaurant Uhlandshöhe, 1919 12

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Der Hauptbau wurde 1953 von den Stuttgarter Architekten Schöpfer und Kresse realisiert. Er sollte nicht nur Utilitätsbau sein, sondern identifizierbarer Ort für Schüler und Lehrer. „Harmonisch gruppierte, charaktervolle Fensteröffnungen der Klassenräume“

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geben dem Gebäude sein

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besonderes Erscheinungsbild . 1962 wurde der neue Kindergarten Uhlandshöhe von den Architekten Maththiessen und Murko, beides ehemaligen Schüler, entworfen. An diesem Bau wird deutlich, dass eine intensive Auseinandersetzung mit der Natur einen elementaren Bestandteil der Waldorf-Philosophie darstellt. Sowohl in der Konzeption des Baus selbst, der sich mit seiner geschwungenen Form in das schwierige Gelände einbettet, als auch in der großzügigen Anlage des Spielhofes, der einen direkten Bezug von den Räumen ins Freien herstellt, ist die Philosophie erkennbar. Angrenzend an den zentral gelegenen, kreisförmigen Eurythmiesaal befinden sich die polygonal zugeschnittenen Gruppenräume. Die übrigen Räume schmiegen sich in geschwungenen, dynamischen Formen um den zentralen 17

Bereich .

Ein weiterer Bau, der die Schule auf der Uhlandshöhe ergänzte, ist das Festsaalgebäude mit musischem Bereich und Werkstätten, 1977, von den Architekten Billing, Peters und Ruff. Der kompakte, monolithische Bau gewann den Betonpreis 1977. Die Außenfassade des Gebäudes lebt vom Zusammenspiel der grauen, rohgeschalten und plastisch facettierten Betonoberfläche und den Holztönen der Fensterelemente, während die Betonwände im Inneren in warme Rottöne eingefärbt 18

wurden . Der Baukörper wurde an die „Rote Wand“, eine etwa 20 Meter hohe Geländekante unmittelbar angefügt. So arbeitet der Entwurf mit verschiedenen Höhenniveaus, die auch ins Freie erweitert werden. Der Hauptzugang erfolgt auf der niedrigsten Ebene, auf mittlerer Höhe gibt es den Anschluss 19

zum Sportplatz und im obersten Geschoss erfolgt der Zugang zum Schulgarten . Auch einzelne Räume, wie die Werkstätten im Erdgeschoss, verfügen über direkten Zugang ins Freie, hier sogar mit 20

überdachter Vorzone, um den Unterricht nach draußen verlegen zu können . Auffällig im Erdgeschoss-Grundriss sind die sich immer wieder aufweitenden Flure. So entstehen kleine Nischen oder größere Bereiche, die nicht nur Erschließungsfläche darstellen, sondern auch zu Aufenthalts- und Begegnungsräumen werden. Der große Saal kann multifunktional genutzt und entsprechend möbliert werden. Er nimmt eine wichtige Rolle im schulischen Leben ein, da hier sowohl Aufführungen, Versammlungen und Feste der Schulfamilie stattfinden. Die Klassenzimmer im obersten Geschoss werden durch die Pultdachform von zwei Seiten natürlich belichtet. Das unterstützt die Multifunktionalität dieser Räume, die nicht nur zum Arbeiten ausgerichtet sind, sondern verschiedenen Aktivitäten Raum geben sollen. Interessanterweise ist der Eurythmiesaal in diesem Gebäude rechteckig zugeschnitten. Ursprung dieser Idee ist eine verbesserte Orientierung im Raum. Die zwei klaren Raumkanten geben der Bewegung der Kinder architektonischen Halt. 15

Raab, Rex 1982: 63 Siehe Abb. 3: Der Hauptbau, 1953 17 Siehe Abb. 4: Kindergarten Uhlandshöhe, 1962 18 Siehe Abb. 6 und Abb. 7: Saalgebäude, 1977 19 Siehe Abb. 8: Saalgebäude, 1977 20 Siehe Abb. 9: Saalgebäude, 1977 16

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Der neuste Bau auf der Uhlandshöhe, das Hort- und Mensagebäude, wurde 2007 von Aldinger Architekten fertiggestellt. Ein zeitgenössischer Bau, geprägt durch seine geknickten Formen und großflächigen asymmetrischen Verglasungen. Große Transparenz und vielfältige Sichtbeziehungen stellen den Bezug zwischen Innen und Außen her. Naturbelassene Lärchenholzlamellen harmonieren 21

mit farbig lasiertem Sichtbeton . Im Erdgeschoss können durch flexible Wandelemente Mensabereich und Mehrzweckraum miteinander verbunden werden und bieten so einen vielfach nutzbaren Bereich. Durch naturbelassene Beton- und Holzoberflächen und die natürliche Belichtung im Innern entsteht 22

eine angenehme, zurückhaltende Raumatmosphäre .

Am Beispiel der Freien Waldorfschule Uhlandshöhe Stuttgart ist die Entwicklung der Waldorfschulen in Deutschland sehr anschaulich nachzuvollziehen. Anfänglich in Bestandsgebäuden eingerichtet, bildete sich eine „bauende Schulbewegung“

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heraus. Man wollte ein „Schulmilieu im Sinne der

Integration der Künste, das der pädagogischen Arbeit entspricht, sie begleitet und unterstützt“

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schaffen. Jeder Baukörper auf der Uhlandshöhe ist Vertreter eines bestimmten Jahrzehnts und verkörpert inhaltliche Leitbilder der Waldorf-Pädagogik. Doch die Architektur lässt sich nicht auf bloßen Formalismus, der rechte Winkel und gerade Wände ablehnt, reduzieren. Die gewählte Formensprache war immer das Mittel, eine bestimmte Haltung zu transportieren und dem Nutzer Freiheiten und Möglichkeiten zu geben. Gerade das neuste Gebäude zeigt, dass die WaldorfArchitektur den Sprung in die Gegenwart geschafft hat und auch in geradlinigen zurückhaltenden Räumen ihre Philosophie zum Ausdruck bringen kann. Sie verschließt sich nicht gegenüber Neuem und ist offen für Veränderungen. „Denn Schule im hier verstandenen Sinne ist etwas Lebendiges und daher bis zu einem gewissen 25

Grade etwas sich ständig Änderndes“ .

3.2. Odenwaldschule, Ober-Hambach

Als Landerziehungsheim gründeten Edith und Paul Geheb 1910 die Odenwaldschule Ober-Hambach, bei Heppenheim. 1934 musste Geheb mit Schülern und Lehrern in die Schweiz emigrieren, da die 26

Schule dem „Sinn der nationalsozialistischen Erziehungsgemeinschaft widerspricht“ . Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die Odenwaldschule in Ober-Hambach wieder eröffnet und 1963 zur Unesco-Modellschule ernannt. Seit 1964 besteht sie als Integrierte Gesamtschule mit Internat.

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Siehe Abb. 10: Hort- und Mensagebäude, 2007 Siehe Abb. 11: Hort- und Mensagebäude, 2007 23 Raab, Rex 1982: 22 24 Ebd. 25 Raab, Rex 1982: 23 26 Wikipedia 2014:1 22

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Aus finanziellen Gründen war es Geheb nicht möglich, zur Eröffnung der Schule ein eigenes Gebäude bauen zu lassen. So erwarb er eine leerstehende Kurpension, die zum ersten Haus der 27

Odenwaldschule, zum Goethe-Haus wurde . Eingebettet in eine unberührte Landschaft, von sanften Hügeln, Weinbergen und dichten Wäldern umgeben entstand die Odenwaldschule im malerischen Hambachtal. In Gehebs Philosophie schien es weniger um den Ausdruck von Inhalten in baulicher Gestalt, oder der Unterstützung seiner Pädagogik durch die Architektur zu gehen, als vielmehr darum, sich ganz und gar in die umgebende Natur einzufügen.

Zusammen mit dem Architekten Heinrich Metzendorf realisierte Geheb 1911 den Bau von fünf weiteren Häusern auf dem Schulgelände: Das Wasch-Haus, das Herder-, Fichte-, Humboldt- und Schillerhaus. In den nächsten Jahren kamen noch das Bach-Haus (1915), das Pestalozzi-Haus (1918), das Platon-Haus (1923) und das Werkstättenhaus (1925) hinzu. Diese zehn Häuser stellen 28

den Kern der Odenwaldschule dar . Das äußere Erscheinungsbild der Odenwaldschule lässt kaum auf die Nutzung als Schule schließen, eher vermutet man in den kleinen, einfachen Gebäuden die Wohnhäuser eines ländlichen Dorfes. Die Satteldächer der Häuser sind mit roten Ziegeln gedeckt, dunkle Holzvertäfelungen und Bruchsteine zieren die Wände, in Kombination mit sehr kleinen Fensteröffnungen, roten Fensterläden und 29

Blumenkästen . Geheb und der Architekt legten Wert darauf, dass die einzelnen Häuser auf dem Grundstück frei zueinander angeordnet stehen, keine klaren Abgrenzungen von Pausenhöfen oder Freiflächen sind zu erkennen. Sie wollten eine freie Schule bauen, die mehr Zuhause als Schule ist. Es gibt Wohnhäuser, in denen die Schüler in ihrem Verband der Schulfamilie leben. Klassenzimmer gibt es nicht, eher Themen-Häuser mit freien Fachräumen, Bibliotheken, Laboren und Werkstätten. Großzügige Außenanlagen, Gärten und ein Stück Wald gehören auch zum Schulgelände. Die Gestalt der Odenwaldschule fand enormen Anklang bei Schülern und vor allem Eltern, die ihre Kinder im idyllischen Natur-Paradies wähnten.

Bis heute wurden einige neuere Bauten, wie die Sporthalle, das Laborgebäude oder das Geheb-Haus 30

ergänzt. Sie scheinen jedoch weder ein architektonisches, noch inhaltliches Konzept zu verfolgen . Zur Gründung der Schule suchte man den Rückzugsort, das einfache, ganzheitliche Leben und Lernen auf dem Land. Die Odenwaldschule stellte eine Insel der Abgeschiedenheit dar, ruhig und idyllisch. Doch gerade das Leben im eigenen Mikrokosmos, diese Introvertiertheit wird heute von der übrigen Welt sehr kritisch gesehen. Ausgerechnet die bauliche Gestalt der Odenwaldschule, die so sehr versucht „nicht-schulisch“ zu sein und früher als Paradebeispiel für Landschulheime galt, ist heute ins beunruhigende Gegenteil gekehrt und wirft die Frage auf, inwiefern die Schüler hier eine ungestörte Entwicklung erfahren können.

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Siehe Abb. 12: Goethe-Haus Odenwaldschule, Ober-Hambach Siehe Abb. 13: Lageplan der Odenwaldschule 29 Siehe Abb. 14: Die Gebäude der Odenwaldschule 30 Siehe Abb. 15: Neues Laborgebäude 28

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4. Exkurs: Westparkschule, Augsburg Neue Entwicklungen im Regelschulbereich mit inhaltlichen Parallelen zur Reformpädagogik?

Unabhängig von der Reformpädagogik werden aktuell Schulen in Deutschland gebaut, die für neue Entwicklungen und ein neues Verständnis von Inhalten und Lernräumen stehen. Ein Beispiel dafür ist die Westparkschule Augsburg von Hausmann Architekten. Auf der Grundlage einer Forschungsarbeit „Das offene Klassenzimmer“ der Pädagogischen Fakultät FH Aachen wurde das neue Schulgebäude 2011 konzipiert. Es beherbergt die Grundschule, eine Kinderkrippe und Hort. Der Eingangsbereich mündet in die große, multifunktionale Pausenhalle, die mittels flexibler Wandelemente mit einem angrenzenden Mehrzweckraum zusammengeschaltet werden kann. Erschließungsflächen können dank ihrer großzügigen Auslegung mehrfach genutzt 31

werden, hierdurch entstehen freie Aufenthaltsbereiche . Die Klassenzimmer sind in Lernclustern 32

organisiert: sie gruppieren sich um eine gemeinsame, flexible Lerninsel . Dieses zusätzliche Raumangebot ermöglicht neue, auch klassenübergreifende Lernformen, individuelles und selbstständiges Lernen, „ohne den klassischen Weg des raumbezogenen Unterrichts 33

auszuschließen“ . In solchen Konzepten klingen Ideen an, die die klassische Reformpädagogik schon seit Jahren vertritt: Offener Raum für freies, individuelles Lernen, neue Lernformen - Schule als Lebensraum.

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Siehe Abb. 16: Westparkschule Augsburg Siehe Abb. 17: Westparkschule Augsburg 33 Hausmann Architekten 2011: 1 32

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5. Resümee

Die pädagogischen Strömungen zu Beginn des 20. Jahrhundert bieten eine Vielzahl an unterschiedlichen Ideen. Im Fokus sollten das Kind und seine natürliche Erziehung stehen. Selbstbestimmtes Lernen oder eine stadtferne Bildung standen in dieser Untersuchung, in Form der Walddorfschule und des Landerziehungsheimes im Vordergrund. Während der Entstehungszeit dieser Konzepte konnte die Architektur nur in mangelhafter Art und Weise den Ansprüchen der Leitideen genügen. Erst im Laufe der Zeit entwickelte die Architektur direkten Bezug auf inhaltliche Ansprüche.

Betrachtet man die beiden Konzepte der Waldorfschule und des Landschulheimes in einer abschließenden Untersuchung, lässt sich eine gemeinsame Grundidee - nämlich der Einfluss der Architektur auf den Schüler und das Lernen feststellen, ausgeprägt in unterschiedlicher Art und Weise. Diese Idee, eine spezielle Architektur des Lernens zu schaffen, nimmt auch in der heutigen Gesellschaft an Stellenwert zu. Im Exkurs verdeutlicht sich der Eindruck, dass aktuelle Entwurfsideen die pädagogischen Vorbilder integrieren.

Während reformpädagogische Einrichtungen sich auch architektonisch immer mehr an Regelschulformen anpassen, gewinnt man zunehmend den Eindruck, dass ein umgekehrter Effekt die Regelschulen erreicht. Das Bewusstsein für neuartige Lernräume öffnet neue Ideen für Architektur im Sinne von Waldorf oder des Landschulheims. Dieses Entgegenkommen bereichert beide Seiten des Schulwesens, ohne die eigenen Strömungen des jeweiligen Konzeptes einzuschränken. Die positive Entwicklung zeigt, dass die Architektur, sowohl in der Reformpädagogik, als auch im Regelschulbereich, nicht ihrem Selbstzweck dient, sondern die Natur des Kindes und seinen Wissensdrang in Einklang mit Pädagogik, Raum und Natur bringt.

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6. Quellen

Internetquellen o

Aldinger Architekten (Hg.): Waldorfschule Uhlandshöhe Hort- und Mensagebäude. Stuttgart [http://www.aldingerarchitekten.de/index.php?article_id=56] (Stand: 06.07.14)

o

Bunde der Freien Waldorfschulen (Hg.): Was ist Waldorfpädagogik. Stuttgart [http://www.waldorfschule.de/waldorfpaedagogik/was-ist-waldorfpaedagogik/] (Stand: 05.07.14)

o

Bunde der Freien Waldorfschulen (Hg.): Was ist Waldorfpädagogik. Stuttgart [http://www.waldorfschule.de/waldorfpaedagogik/was-ist-waldorfpaedagogik/] (Stand: 05.07.14)

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Dahlmann, Yasha/ Engel, Oliver: Pädagogische Architektur. Wege zu einer meschenwürdigen Schulgestaltung. (Schriftliche Hausarbeit) Bonn: Universität zu Köln : Fachbereich Heilpädagogik, 2001 [http://sonderpaedagoge.de/alt/down/engel.pdf] (Stand: 05.07.14)

o

Dzialach, Barbara/Seidel, Carloline: Reformpädagogik. Projekt: Erlebnispädagogik und Schulsport (Handout). Bergische Universität Wuppertal: Fachbereich Sportwissenschaften, 2007 [http://user.phil-fak.uni-duesseldorf.de/~wastl/Wastl/Erlebnispaedagogik/Handout-02.pdf] (Stand: 05.07.14)

o

Freie Waldorfschule Karlsruhe (Hg.): Unsere Schule/Architektur [http://www.waldorfschulekarlsruhe.de/index.php/unsere-schule/schulgebaeude/architektur] (Stand: 05.07.14)

o

Goldschmidt, Esther/ Zimmak, Fred: Das Konzept der Landerziehungsheime. Grundlagen des neuen Schultypus. 2004 [http://hem.bredband.net/reform/Html/Authors/LietzHermann/LietzHermannDasKonzeptderLan derziehungsheime.html] (Stand: 05.07.14)

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Göndör, Jürgen: Landerziehungsheime. Neukirchen-Vluyn. [http://paed.com/reformpaedagogik/index.php?action=rs-de-leh ] (Stand: 05.07.14)

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Hausmann Architekten (Hg.): Projekt Westparkschule Augsburg. Aachen [http://www.hausmannarchitekten.de/projekte-2/augsburg/] (Stand: 06.07.14)

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Steiner, Rudolf: Die Erziehung des Kindes. Vom Gesichtspunkte der Geisteswissenschaft. Lucifer-Gnosis: 1907 [http://www.anthroposophie.net/steiner/lucifer/bib_steiner_erziehung.htm] (Stand: 05.07.14)

o

Waldorfschulverein Würzburg e.V. (Hg.): Pädagogik/Anthroposophie 2010-2014 [ www.waldorf-wuerzburg.de/waldorfpaedagogik/anthroposophie/] (Stand: 05.07.14)

o

Waldorfschulverein e.V (Hg.):Unsere Schule: Gelände und Gebäude. Stuttgart [http://www.waldorfschule-uhlandshoehe.de/schule/gelaende-und-gebaeude/] (Stand: 06.07.14)

o

Wikipedia (Hg.):Odenwaldschule. [http://de.wikipedia.org/wiki/Odenwaldschule] (Stand: 06.07.14)

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Literaturangaben o

Henke, Hartwig/ Winkel, Rainer (Hg.): Hermann Lietz und die nach ihm benannten Schulen sowie Landerziehungsheime. In: Reformpädagogik konkret. Hamburg: Bergmann+Helbig Verlag GmbH, 1993

o

Institut für internationale Architektur-Dokumentation (Hg.):Bildungshaus am Westpark in Augsburg. In: Detail 03/2013, S. 210-212 München

o

Raab, Rex: Die Waldorfschule baut. Sechzig Jahre Architektur der Waldorfschulen; Schule als Entwicklungsraum menschengemäßer Baugestaltung.Stuttgart: Verlag Freies Geistesleben, 1982

o

Stark, Christl: Idee und Gestalt einer Schule im Urteil des Elternhauses. Eine Dokumentation über die Odenwaldschule zur Zeit ihres Gründers und Leiters Paul Geheeb (1910 – 1934). Pädagogische Hochschule Heidelberg. Dissertation zur Erlangung des Grades eines Doktors der Erziehungswissenschaft. Heidelberg 1998

o

Winkel, Rainer (Hg.): Rudolf Steiner und die nach ihm benannten Schulen. In: Reformpädagogik konkret. Hamburg: Bergmann+Helbig Verlag GmbH, 1993

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7. Anhang: Abbildungsverzeichnis

Abb. 1: Ăœbersichtsplan der Gebäude, 1982 Raab, 1982, S.62

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Abb. 2: Restaurant Uhlandshรถhe, 1919 http://www.waldorfschule-uhlandshoehe.de/schule/bildergalerien/jubilaeumsbilder/ <05.07.2014>

Abb. 3: Der Hauptbau, 1953 Raab, 1982, S.63

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Abb. 4: Kindergarten Uhlandshรถhe, 1962, Grundriss Raab, 1982, S.64

Abb. 5: Kindergarten Uhlandshรถhe, 1962 Raab, 1982, S.64

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Abb. 6: Haupteingang Saalgeb채ude, 1977 http://www.gablenberger-klaus.de/2009/09/15/90-jaehriges-bestehen-der-waldorfpaedagogik-an-deruhlandshoehe-23-oktober-2009/ <06.07.2014>

Abb. 7: Saal, 1977 http://peters-schmitter.de/de/index.php?pos=9&rubric=projekte <06.07.2014>

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Abb. 8: Saalgeb채ude, 1977, Querschnitt und Saalgrundrisse Raab, 1982, S.71

Abb. 9: Saalgeb채ude, 1977, Grundriss Erdgeschoss Raab, 1982, S.96

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Abb. 10: Hort- und Mensageb채ude, 2007 http://www.aldingerarchitekten.de/files/rh1664-23_1.jpg <06.07.2014>

Abb. 11: Hort- und Mensageb채ude, 2007 http://www.aldingerarchitekten.de/files/rh1664-23_1.jpg <06.07.2014>

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Abb. 12: Goethe-Haus Odenwaldschule, Ober-Hambach http://www.faz.net/aktuell/politik/odenwaldschule-lehrerin-setzte-schuelerin-unter-druck-12944404.html <06.7.2014>

Abb. 13: Lageplan der Odenwaldschule heute. Rot dargestellt die ersten H채user, grau dargestellt, die neueren Bauten. http://www.odenwaldschule.de/internat/wohnen/lageplan.html <06.7.2014>

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Abb. 14: Die Geb채ude der Odenwaldschule http://www.berliner-zeitung.de/image/view/25482160,23265503,highRes,7162417630%253A+Jahrzehntelang+%252801.12.2013_17%253A42%253A06%253A165%2529.jpg <06.7.2014>

Abb. 15: Neues Laborgeb채ude http://commons.wikimedia.org/wiki/Category:Odenwaldschule?uselang=de#mediaviewer/File:Odenwal dschule_08.jpg<06.7.2014>

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Abb. 16: Westparkschule Augsburg, multifunktionale ErschlieĂ&#x;ungsflächen http://www.competitionline.com/upload/images/f/6/c/d/f/5/0/2/f6cdf50263174fe68982b61287cfb6bc_1.j pg <06.7.2014>

Abb. 17: Westparkschule Augsburg, Grundriss 1. OG Lerncluster http://www.hausmannarchitekten.de/wp-content/gallery/westparkschule-augsburg/2_grundrissog_1.jpg <06.7.2014>

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