Peter Zumthor im architektonischen Prozess

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Technische Hochschule N체rnberg

12.04.2014

Fakult채t Architektur MA TKW Entwurfsmethodik Dozent: Prof. M.Sc. Florian Fischer WS 2013/14

Peter Zumthor im architektonischen Prozess zwischen Entwurf, Ausf체hrung, r채umlichem Wissen und Reflexion

Bearb. Sabrina Speck 1.MA Architektur Ma.-Nr. 2479682 e-Mail: specksa58332@th-nuernberg.de


„Leider können sich ja 80 Prozent der Architekten die Dinge nicht räumlich vorstellen, für diese ist Architektur nur eine Grafik auf Papier, und sie übersetzen diese nicht in eine Vorstellung von dem, was einmal sein wird[...].“1 Doch Peter Zumthor selbst kann sich genau diese Dinge vorstellen und einen Ort mit seinen Werken bereichern. Der Schweizer Architekt gehört zu den Stararchitekten unsere Zeit. Ausgezeichnet mit dem renommierten Pritzker-Preis, überzeugen seine Bauten mit spiritueller Atmosphäre und klarer Eleganz. Wie entsteht dieses räumliches Denken, diese Fähigkeit, den Raum vor dem geistigen Auge zu entwerfen und danach in ein reales Konstrukt zu übertragen? Peter Zumthor, Sohn eines Schreinermeisters, begann seine Karriere zunächst in der heimischen Werkstatt. „Ich musste, als ältester Sohn, das war keine Frage.“2, sagte er in einem Interview und verdeutlichte damit zugleich die Strenge des Elternhauses. Trotzdem waren diese Lehrjahre eine Erfahrung, die zu seinem räumlichen Wissen beitrugen. Die Arbeit als Tischler lehrt direkt den Umgang mit dem Material. Es benötigt die Fähigkeit, sich das fertige Produkt vorzustellen und so Schritt für Schritt auf das Ergebnis hinzuarbeiten. Im Gegensatz zu gröberen Handwerkslehren erfordert die Arbeit des Tischlers eine präzise Ausführung, sodass sich am Ende alle Teile harmonisch fügen lassen. Zumthor, der selbst sagte, während dieser Jahre viel gelernt zu haben, wollte jedoch über diese Lehre hinausgehen. Er begann ein Studium an der Kunstgewerbeschule in Basel, an der er Innenarchitektur und Design studierte. Kurze Zeit später zog es ihn nach Amerika. Auch diese Zeit spielt in seinen Erfahrungen eine wichtige Rolle; erweiterte sie doch seinen Blick, raus aus der kleinstädtischen, schweizerischen Heimat. Als Zumthor wiederkehrte, ging er zurück an die ETH in Zürich und lernte dort unter anderem von Alvar Aalto. Nach dem Studium entschied er sich jedoch zunächst als Denkmalpfleger zu arbeiten, da der Beruf des Gestalters Ende der 60er Jahre in Verruf gekommen war. 1979 gründete er sein eigenes Büro mit nur wenigen Mitarbeitern. Bereits für sein erstes Bauwerk erhielt er eine Auszeichnung, wurde auch international bekannt und viele weitere Anerkennungen folgten. Er bekam einen Lehrstuhl in Santa Monica, wodurch er weitere internationale Erfahrungen gewinnen konnte. Trotzdem blieb er sich und seinem Stil bisher immer treu; lebt seither eher zurückgezogen. Er schätzt seine Heimat und pflegt alte Traditionen, was sicherlich in Verbindung mit seiner denkmalpflegerischen Arbeitet steht. „Er sah es stets als wichtige Aufgabe an, seine Heimat und deren kulturelles Erbe zu schützen und setzte sich unter anderem für die Erhaltung der historischen Bausubstanz der alpinen Seitentäler, etwa der Val Lumnezia, im Kanton Graubünden, ein.“ 3 Durch die Arbeit als Denkmalpfleger erlangte Zumthor weiteres, differenziertes Wissen, das auch heute noch in seinem Entwurfsprozess Anwendung findet. Die Denkmalpflege ist eine sehr behutsame Lehre, deren Methoden stark auf den Raum fixiert sind. Die Frage, wie man mit alter Substanz umgehen soll, zwingt den Betrachter zum einen, in die bestehenden Strukturen einzutauschen – sprich, ihren Habitus, ihre Geschichte, ihren Geist aufzunehmen –, zum anderen, den Blick auf die Zukunft zu richten: Wie gehe ich damit um und was kann ich wie verändern? Diese Arbeit, welche ihren Ausdruck am besten in Definition der Charta von Venedig4 findet, kann man sehr gut auf den Entwurfsprozess von Peter Zumthor übertragen. Genauer werde ich dies im späteren Abschnitt über das Diözesanmuseum Kolumba in Köln erläutern. Oftmals wird er von den Medien als Mystiker der Architektur bezeichnet; da seine Bauten einen gewissen Grad der Spiritualität zulassen, was Zumthor selbst nicht bestreitet. Betrachten wir hierfür zunächst den Entwurfsprozess Zumthors, wie man ihn aus seinen Schriften und wenigen Interviews entnehmen kann: „Ich gehe an den Ort, höre mich um, studiere die Vorgaben, fühle mich ein. Irgendwann kommt dann die Idee, ist ein Bild da. .“5 Die Atmosphäre des Raumes zu erfassen und zu verstehen, was an diesem Ort passiert, ist und was an diesem Ort fehlt, könnte man als Beginn der Endwurfmethodik Zumthor sehen. Es beginnt eine intensive, fast schon philosophische Arbeit, in der der Architekt seine Feinfühligkeit als Denkmalpfleger auslebt und Teil der Lebensgeschichte des Raumes wird. Allein diese Herangehensweise klingt spirituell und zeigt, wie behutsam Zumthor mit seiner Verantwortung als Architekt gegenüber dem Raum umgeht. Es gilt für ihn Altes mit Neuem zu verbinden, was nicht unbedingt auf vorhandene bauliche Strukturen bezogen ist, sondern auch auf räumliche Strukturen angewandt werden kann. Zumthor vergleicht die Architektur mit einem Instrument: „Jeder Raum funktioniert wie ein großes Instrument, 1 2 3 4 5

Rauterberg 2008 Hess, Spörri 2009: 2 Schlüter: 1 Vgl. Charta von Venedig 1964 Hess, Spörri 2009: 1


er sammelt die Klänge, verstärkt sie, leitet sie weiter.“ 6 Welche Form und welche Oberflächen hat der Raum? Auf welche Art und Weise sind sie wie verarbeitet um einen wohlwollenden Klang zu erzeugen? Interessanter Weise findet man diesen Ansatz auch bei seinem ehemaligen Lehrer Alvar Aalto, der Zumthor an der ETH Zürich unterrichtete: «Ein Bauwerk ist wie ein Instrument. Es muss alle positiven Einflüsse aufnehmen und alle negativen Einflüsse, die die Menschen beeinträchtigen könnten, abwehren. Dieses Ziel kann es nur dann erreichen, wenn es genauso fein nuanciert ist wie die Umgebung, in der es errichtet wird.»7 Auch Alvar Aalto war ein Bewunderer des Bauhauses und verfolgte den neuen, modernen Stil. Er war überzeugt davon, dass die Architektur nur eine technische Erweiterung der Natur ist und somit im Einklang mit ihr stehen muss.8 Nach diesem analytischen Teil, beginnt Zumthor neue, passende Strukturen für den Ort zu finden. Bereits hier scheint es, als ob er nun vor seinem inneren Auge ein Bild hat, welches wie ein Film mit der Entwicklung des Entwurfes beginnt. Er spricht von einem Entwerfen, bei dem viele Prozesse über vielleicht „normale“ Ideen in seinem Kopf hinausgeht. So verschiebt er Wände in seinem Kopf und kann zugleich abwägen, wie sich das Licht in seinem gedachten Raum verändert. Die nun sehr perfektionistische Arbeit findet bei Zumthor wohl ihren Höhepunkt in genau jener Auswahl der Lichtes, aber auch in der Materialität. „Die eine Lieblingsidee ist die: Das Gebäude zunächst als Schattenmassen zu denken und dann nachher, wie in einem Aushöhlungsprozess, Lichter zu setzen, Licht einsickern zu lassen. […] Die zweite Lieblingsidee ist, die Materialien und Oberflächen bewußt in Licht zu setzen“ 9 Dieser Teil des Prozesses spiegelt auch seine handwerklichen Erfahrungen wider. Durch die bis zur Perfektion herausgearbeiteten Details kann man an jedem seiner Gebäude ein hohes Maß an handwerklichem Geschick erkennen. Diesen Ablauf, den gedanklichen Rundgang durch ein virtuoses Gebäude, spiegelt die Herangehensweise Zumthors wider. Alle Klänge, alle Oberflächen werden bis zur Temperatur, ja wahrscheinlich bis zur detailliertesten Fuge, durchgespielt. Um diese Gedankengänge nun noch einmal zu verdeutlichen, möchte ich zwei seine Bauten näher betrachten. Wenn es speziell um die Verbundenheit oder auch den Kontrast von Neu und Alt geht, dann ist das Diözesanmuseum Kolumba in Köln das wohl passendste Beispiel. Hier erwartete Zumthor eine ganz besondere Bauaufgabe. Auf dem Grundstück nahe der Kölner Innenstadt befanden sich zum einen Fundamente der romanischen St. Kolumba Kirche, welche im zweiten Weltkrieg zerstört wurde, und zum anderen die Kapelle „Madonna in den Trümmern, erbaut vom Kölner Architekten Gottfried Böhm. Welche Leitgedanken Zumthor bei der Planung des Museums verfolgte, kann man mit den Leitgedanken der Denkmalpflege, in Form der „Internationale[n] Charta über die Konservierung und Restaurierung von Denkmälern und Ensembles“ – kurz: Charta von Athen – vergleichen. „Ziel der Konservierung und Restaurierung von Denkmälern ist ebenso die Erhaltung des Kunstwerks wie die Bewahrung des geschichtlichen Zeugnisses. [...] Die Elemente, welche fehlende Teile ersetzen sollen, müssen sich dem Ganzen harmonisch einfügen und vom Originalbestand unterscheidbar sein, damit die Restaurierung den Wert des Denkmals als Kunst und Geschichtsdokument nicht verfälscht. “ 10 Es ist demnach unbestreitbar, dass Zumthor hier seine Erfahrungen und sein Wissen aus der Denkmalpflege eins zu eins übernimmt. Er beließ die Kapelle an Ort und Stelle und stockte die alte Bausubstanz mit dem neuen Museum auf. Die kubischen und großzügigen Formen heben sich deutlich in ihrem Erscheinungsbild von den romanischen Überresten ab. Um sein Werk dennoch harmonisch in das Gesamtbild einzufügen, entwickelte Zumthor einen besonderen Ziegelstein, der sehr schmal aber dafür antiproportional lang ist. Dieser ermöglicht, es den Konturen der restlichen Bauteile genau anzupassen. Man sieht jedoch, dass er sich sein Werk durch das eigenwillige Format vom Gesamtwerk abhebt; auch wenn der Ziegel dem Farbton des Basalt und Tuffgesteins ähnelt. Grund für diese Farbgestaltung ist womöglich seine Ambition, das Gebäude wirken zu lassen, als hätte es nie ein anderes gegeben. Greift man diesen Gedanken weiter auf, so gibt es einen weiteren Teil der Entwurfsmethodik, welcher im Prozess eine Rolle spielt: Architektur als Umgebung sehen. Das Gebäude soll etwas sein, an das man sich erinnert; auch noch in der nächsten Generation. Man kann mit dem Gebäude eine bestimmte Emotion oder ein gewisses Erlebnis verbinden. Dabei ist die Intention des Architekten nicht mehr wichtig, aber es ist eine Ebene, auf der sich Zumthor sein Gebäude in 35 Jahren vorstellt; eine emotionale Ebene, die seinen Entwurf beeinflusst; sozusagen eine vorzeitige Reflexion.

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Zumthor 2004: 28|29 Aalto: 1 Lahti 2009: 11 Zumthor 2004: 60|61 Charta von Venedig 1964: 1|12


Im Inneren des Kolumba führt Zumthor den Besucher zunächst durch das Geschehen der alten Gemäuer. Ein spielerisch, geschwungener Weg hebt sich vom Boden ab und schlängelt sich quer durch den Raum. Die alte Architektur wird somit Teil der Ausstellung. Ein eher düsterer Raum, typisch für die romanische Architektur, der mit künstlichem Licht inszeniert wird. Lediglich kleine Öffnungen im Mauerwerk lassen das Tageslicht in den Raum. Ganz im Gegensatz dazu steht das Innenleben des neuen Museums: Hier lässt Zumthor gezielt Tageslicht in die Räume und spielt bewusst mit großen Öffnungen. Die bodentiefen Fenster gewähren dem Besucher besondere Ausblicke und lassen den Raum mit der Außenwelt verschmelzen. Zwei konträre Atmosphären in einem Gebäude. Beide Räume sind von einer eigenständigen Sinnlichkeit geprägt, die vor allem den Materialien geschuldet ist. Jede Oberfläche, jede Wand und jede Fuge scheint im neuen Museum bis ins Detail durchdacht zu sein. Alle Linien laufen perfekt aufeinander zu und harmonisieren in jeglicher Art und Weise. Hier merkt man, wie konsequent Zumthor arbeitet und sich dabei kaum auf Kompromisse einlässt. Hat er eine Idee in seinem Kopf kreiert, so wird diese auch umgesetzt. Dabei muss er jeden Schritt des Entwurfes selbst mitverfolgen, um der Ganzheit des Entwurfes gerecht zu werden. Vielleicht ist auch das der Grund, warum er kaum mehr als 20 Mitarbeiter beschäftigt. 11 „Ich bin nicht wie der Behnisch, der mir vor zehn Jahren gesagt hat, dass er bei der Ausführung seiner Entwürfe nur noch das Dach und die Fassade anschaut und der Rest von seinen talentierten jungen Architekten erledigt wird. Das ist eine Haltung, die respektiere ich, so arbeiten ja die meisten meiner Kollegen. Ich aber nicht. „12 Der Innenraum spielt für Zumthor eine ganz besondere Rolle, was sicherlich auch mit seinem ursprünglichen Wunsch zusammenhängt, als Innenarchitekt zu arbeiten. Es gilt für ihn als das größte Geheimnis der Architektur, etwas, dem man sich mit viel Gefühl widmen muss.13 Während das Diözesanmuseum in Köln also ein ausgewähltes Beispiel seiner denkmalpflegerischen Fähigkeiten ist – natürlich in Kombination mit seinem besonderen räumlichen Wissen für Ort, Licht und Materialität – ist die Bruder-Klaus-Kapelle am Rande der Eifel ein weiteres gutes Beispiel für seine Entwurfsmethodik. Dieser ebenfalls besondere Ort liegt mitten auf einer Wiese und nah an einem kleinen Waldstück. Zwischen den beiden Ortschaften Wachendorf und Rissdorf steht die kleine Kapelle aus Stampfbeton. „Eine Tür aus Stahl, ein Innenraum wie eine Höhle, eine Sitzbank nur, und statt eines Daches erstreckt sich der Himmel.“ 14 Hier haben Ort und Atmosphäre eine bedeutende Rolle, derer sich Zumthor annahm. Hier, wo alles Leben entschleunigt wirkt, soll man sich zurückziehen können. Ein Ort zum Nachdenken, zum Meditieren, wo Natur, Architektur und Mensch im Einklang sind. Wie bei allen seinen Projekten, beschäftigt sich Zumthor zunächst mit der Gegebenheit. Er reflektiert, was es gibt und was fehlt. Noch tiefer ging seine Recherche diesmal auch in die spirituelle Ebene. Gewidmet ist die Kapelle dem heiligen Nikolaus von Flüe – Bruder Klaus, einem Einsiedler in der Natur. Wie lange man bei dieser Suche nach dem Geist und der Stimmung des Ortes braucht, um eine passende Form zu finden, zeigt sich hier anhand eines über Jahre laufenden Entwurfes, zu einem kleinen, recht unscheinbaren Objekt. Es zeigt nicht nur, dass Zumthor seinen Bauten keine Wertigkeit zuteilt, es zeigt auch, dass er den Auftraggebern jedes Mal seine vollste Aufmerksamkeit schenkt. Egal, ob es sich hierbei um einen ikonenhaften Neubau in der Kölner Innenstadt handelt oder einer wenige Quadratmeter großen Kapelle mitten im Nirgendwo. Ist der Architekt nicht vollends zufrieden, so wird der Prozess wiederholt, bis es stimmig ist. Von außen wirkt die Kapelle klar und unscheinbar. Die gerade Form, die wie ein Streichholz aus den Hügeln und Bergen der Eifel sticht15, trägt das Besondere im Inneren. Gerade diese Spannung ist es, die Zumthor reizt. Beide Aufgaben, sowohl innen als auch außen, sind Teil der Architektur, wobei sich an manchen Stellen der Verdacht einschleicht, die wahre Leidenschaft Zumthors liegt im Herzen des Gebäudes, dort wo das Licht einfällt und die Spiritualität sich entfaltet. Erst beides zusammen kann zu einem atmosphärischen Gesamtwerk werden, ein Haus, das als atmosphärischer Reichtum des Ortes gilt. 16 Wie schafft man es nun, einen Raum zu entwickeln, in dem man sich einfach fallen lassen kann? In dem die Architektur eine Hülle ist, die weder erdrückend noch leer wirkt? In der Bruder-Klaus-Kapelle sollten sich alle vier Elemente der Natur vereinen, als direkte Verbindung zum ausgewählten Schutzpatron. Die Besonderheiten im Innenraum sind nicht nur der Form, sondern auch der Auswahl der Materialien geschuldet. Wie auch bei seinen anderen Werken stand eine feinfühlige Auswahl der Materialien bevor. Hier 11 12 13 14 15 16

Thimm 2010: 1 Rauterberg 2008 Zumthor 2009 Thimm 2010: 1 Ebd. Zumthor 2004: 7


war es jedoch ein eher pragmatischerer Ansatz, der zu einem beeindruckenden Ergebnis führte. Die Bauherren, eine Landwirtsfamilie, hatten die Kapelle als Privatkapelle, aus Dank für eine glückliches Leben, gestiftet und von Zumthor zwischen 2005 und 2007 errichten lassen. 17 „Die Bauernfamilie und ihre Helfer haben mitangepackt, um die Kosten niedrig zu halten. Deshalb haben wir die Fichtenstämme auch aus dem Wald des Bauern besorgt. Das Zelt aus diesen Stämmen bildete dann die Schalung für den Beton, und die haben wir einem Schwelfeuer ausgesetzt. Die Stämme trockneten, kohlten an, wir konnten sie von den Stampfbetonwänden ablösen, und zurück blieb die Erinnerung an das Feuer. „18 Wie auch hier, in der Eifel, sucht Zumthor immer wieder nach alternativen Ideen, um jedem Raum gerecht zu werden oder, wie in diesem Fall, den Bauherren gerecht zu werden ohne an Stimmigkeit einbüßen zu müssen. Besonders was die Materialität angeht, befindet er sich in einer stetigen Forschung. Dieser Prozess bedingt eine oftmals individuelle Lösung, aber auch Wissen, wie sich die Materialien schneller und spielerischer einsetzten lassen.19 Der Innenraum der Kapelle ist recht dunkel, nach Regen feucht. Ein Blick nach oben zeigt eine Öffnung gen Himmel. Hier fällt Licht ein und inszeniert die Mitte des Raumes. Mundgeblasene Glaskugeln verschließen die Bundöffnungen, die sich bei der Arbeit mit Stampfbeton zwangsläufig ergeben 20. Sie funkeln in den Wänden und tauchen die Kapelle in eine einzigartige Stimmung. „Sie ist rätselhaft und klar, archaisch und modern. Darin gleicht sie ihrem Erbauer, dem Schweizer Baumeister Peter Zumthor. „ 21 So positiv seine spezifischen Parameter sich auf seine gebauten Werke ausgewirkt haben, so negativ können sie auch für den ein oder anderen Bauherren erscheinen. Der sehr bedachte, vorsichtige und gründliche Weg, den Zumthor zu Beginn seines Entwurfes einschlägt, kostet ihn viel Zeit und führt bei manchen Projekten zu teuren Detailarbeiten oder Spezialanfertigungen. Gerne lässt er hierbei auch den Entwurf nochmals liegen, um anschließend mit einem weniger naiven Blick weiterzumachen. Nur bei einem Projekt, der „Topographie des Terrors“ fanden Bauherr und Architekt keinen gemeinsamen Weg. Welche Gründe schlussendlich hier ein Scheitern bedingen, lässt sich schwer sagen und spielt auch kaum ein Rolle, denn Zumthor hat Erfolg – nach wie vor. Er setzt sich selbst Grenzen und sucht sich Orte an denen er die Spiritualität fühlt – ein Ort an dem der Mensch sich wohl fühlt und er sich mit dem Gebäude identifizieren kann. Bei einem Wolkenkratzer, Bauten des Modegiganten Armani oder des US-Hotelmagnaten Ian Schrager22 kann und will Zumthor diesen Prozess nicht durchlaufen. Sobald die Architektur von ihrer Leidenschaft abkommt und nur noch Teil eines finanziellen Konzeptes ist, hört der Reiz für den Architekten auf. „Es gibt nur zwei Dinge in der Architektur: Menschlichkeit oder keine.“ 23 Was sind nun die wechselseitigen Parameter des architektonischen Schaffensprozesses? Es gibt drei Elemente, derer sich Zumthor bei jedem Entwurf bedient; Elemente, die sich an jedem Ort anwenden lassen und eine tiefgründige, sowie einfühlsame Forschung zulassen: Die Stimmung des Raumes, mit seiner Geschichte, seinen Gegebenheiten und seinen Anforderungen; die individuellen, zum Teil sehr besonderen und einzigartigen Materialien; sowie das Licht, welches mit den Materialien spielt und den ganzen Raum inszeniert. Aus diesen drei Faktoren, entsteht nun eine Stimmigkeit, die Zumthor als eine Art Gefühl beschreibt24. Es ist die Atmosphäre, welche den Raum unauffällig unterstützt, die Spiritualität, die aus dem Licht entsteht und sicherlich auch die schöne Gestalt, die dann als Gesamtergebnis resultiert.

17 18 19 20 21 22 23 24

Schlüter: 3 Thimm 2010: 1 Zumthor 2009 Schlüter: 4 Thimm 2010: 1 Hess, Spörri 2009: 1 Aalto: 1 Zumthor 2004: 67


Quellenangaben Literatur: Zumthor, Peter: Atmosphären – Wege zur Architektur. Brakel: FSB, 2004. Internet: Aalto, Alvar: Zitat aus „Von der Funktion zum Symbol.“ http://www.wikiartis.com/alvar-aalto/zitate/ <Stand:11.04.2014> Bacher, Deiters, Petzet, Wyss: Charta von Venedig. 1964. Internationale Charta über die Konservierung und Restaurierung von Denkmälern und Ensembles (Denkmalbereiche). Deutsche Übersetzung 1989 auf Grundlage des französischen und englichen Originaltextes und vorhandener deutscher Fassung. http://oehl_br_j2.beepworld.de/charta.htm <Stand:11.04.2014> Hess, Ewa; Spörri, Balz: Stararchitekt Zumthor: „Wir Schweizer sind nicht so anfällig für Moden“. Spiegel Online: 2009. http://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/stararchitekt-zumthor-wir-schweizer-sind-nicht-soanfaellig-fuer-moden-a-627167-2.html <Stand:11.04.2014> Lahti, Louna: Alvar Aalto 1898–1976. Paradies für kleine Leute. Köln: Taschen 2009. http://de.wikipedia.org/wiki/Alvar_Aalto <Stand:11.04.2014> Rauterberg, Hanno: Peter Zumthor im Interview. Worauf wir bauen; Begegnungen mit Architekten. Prestel: 2008. https://www.tu-braunschweig.de/ibb/service/zitate <Stand:11.04.2014> Schlüter, Frauke: Peter Zumthor - Ein kompromissloser Architekt, den die Komposition von Materialien begeistert. Pausanio Kulturmagazin. http://www.pausanio.de/kulturmagazin/10/peter-zumthor-einkompromissloser-architekt-den-die-komposition-von-materialien-begeistert#top <Stand:11.04.2014> Thimm, Katja: Seht ihr, ich habe recht gehabt. Spiegel-Gespräch. Der Spiegel: 05/2010 http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-75638363.html <Stand:11.04.2014> Film: Kunstspektrum: Peter Zumthor im Gespräch. [31:22min]. Youtube: SF 2011. https://www.youtube.com/watch?v=OZLI0G9OtDE <Stand:11.04.2014> 4757755: Peter Zumthor Presence in Architecture. [57:04min]. Youtube: Tel Aviv University 2013 https://www.youtube.com/watch?v=MBKcmspiVsY <Stand:11.04.2014>



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