amatom 34: ein Magazin von und für kritische, junge Mediziner*innen

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Der Journal Club Antirassismus im Gesundheitswesen: Warum die Medizin diesen blinden Fleck bekämpfen muss

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ast 2000 Ergebnisse zeigt die Medline-Datenbank für die Suchbegriffe „Racism in Medicine“. Und wie viele dieser Studien werden in der universitären Lehre vermittelt? In unserem Fall sind es genau: Null.

Einige Probleme in unserer Ausbildung sind so offensichtlich, dass man dafür keine Studien benötigt. Zum Beispiel illustrieren dermatologische Lehrbücher und Vorlesungsfolien Hauterkrankungen ausschließlich mit Bildern weißer Haut, obwohl eine Datenbank mit Beispielen auf schwarzer und brauner Haut im Internet frei zugänglich ist.1 Tödliche Verläufe bei BIPoC Patient*innen werden dementsprechend häufiger übersehen.2

Diese Lücke hat die Schaffung eines Raums dringend notwendig gemacht, in dem sich angehende Ärzt*innen mit Rassismus in der Medizin auseinandersetzen können. Unser Journal Club kann und soll nicht das Versagen medizinischer Institutionen kompensieren, sondern ein Beginn sein die Inkongruenzen zu thematisieren, die wir im Medizinstudium wahrnehmen: Zwischen dem vorhandenen und gelehrten Wissen zu Diskriminierung und Rassismus, und zwischen den in der Lehre vertretenen Personengruppen und der tatsächlichen soziokulturellen Diversität unserer zukünftigen Patient*innen.

Rassistische Muster sind aber nicht immer auf den ersten Blick zu erkennen, sondern oft versteckt. Etwa ist die Reproduktion medizinischer Algorithmen, die auf veralteten und rassistisch verzerrten Daten basieren, bis heute gang und gäbe.3 Beispielsweise wird der eGFR-Wert für die Abschätzung von Nierenwerten weiterhin bei Schwarzen Menschen mit einem Faktor von 1,16 oder 1,2 multipliziert. Dadurch scheint es, als habe ein*e Schwarze*r Patient*in besser funktionierende Nieren als ein*e weiße*r Patient*in. So kommt es dazu, dass Schwarze Patient*innen später behandelt werden. Das ist offener Rassismus, der auf Studien aus der Zeit zurückgeht, in der Leute behauptet haben, Schwarze Menschen seien besser für harte Sklavenarbeit geeignet, weil sie mehr Muskelmasse hätten.4

Wir sind als angehende Ärzt*innen zentraler Teil einer Gesellschaft, die rassistisch diskriminiert. Für viele der Patient*innen, denen wir in der medizinischen Praxis begegnen, ist das Teil ihrer Lebensrealität. Dies wahrzunehmen, bedeutet nicht nur die weiße Normierung unseres Wissens aufzugeben, sondern auch einem wirklich universalen Anspruch der Medizin zu entsprechen. Rassismuskritik sollte deshalb - angelehnt an die Forderungen des Bildungswissenschaftlers Karim Fereidooni als Professionskompetenz des ärztlichen Personals angesehen werden.6 Diese Haltung muss jedoch nicht als Bruch mit ärztlicher Tradition verstanden werden. Das Genfer Gelöbnis verurteilt seit seiner ersten Version aus dem Jahr 1948 rassistische Diskriminierung in der Berufsausübung – und tut dies als Prolog der (Muster-)Berufsordnung für die in Deutschland tätigen Ärzt*innen noch heute.7

Es gibt Studien, die solche Probleme untersuchen und offenlegen. Trotzdem gelangt dieses Wissen meist nicht in unseren Unterricht. Als angehende Ärzt*innen wollen wir Leben retten, benötigen aber dafür das richtige Wissen. Die Informationen sind greifbar, die aktuelle wissenschaftliche Lage im angloamerikanischen Raum zeigt Fortschritte.5 Doch wie lassen sich diese Beobachtungen und mögliche Lösungsansätze auf Deutschland übertragen? Dieser Wissenstransfer fehlt an den deutschen Universitäten.

Jedoch belegen die enge historische Verknüpfung von Rassismus und Medizin, erkennbar beispielsweise an der Beteiligung von Medizinern wie Rudolf Virchow oder Robert Koch an kolonialen Verbrechen, die rassistischen Kontinuitäten in klinischen Algorithmen und die aktuellen Befunde gesundheitlicher Ungleichheit in der Pandemie, dass es mehr braucht als ein Gelöbnis. Eine grundsätzliche Auseinandersetzung und aktive Reflexion müssen stärker in den Fokus rücken. Woher kommt mein Wissen?

Last, but not least… 19


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