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Gewalt gegen Einsatzkräfte

Die Gewaltspirale dreht sich immer schneller – mit unabsehbaren Folgen

Beschimpfungen, Drohungen und Gewalt gegen Einsatzkräfte sind nichts Neues – und ihre Häufigkeit und Intensität nehmen Jahr für Jahr zu. Die Gesellschaft zuckt die Schultern, die Politik schaut weg, die Justiz hätschelt die Täter. Für die Folgen dieser Ignoranz der Realitäten bezahlen wir alle – je länger, desto teurer.

Bereits vor fünf Jahren, in Ausgabe 4/2019, widmeten wir dem Thema «Gewalt gegen Einsatzkräfte» reichlich Zeit für intensive Recherchen, Fragen an die wichtigen Stakeholder, das Zusammentragen belastbarer Zahlen und die Analyse der zehn zentralen Fakten rund um die Problematik steigender Gewalt gegen Blaulichtkräfte.

Wir legten offen, dass Beschöniger und Beschwichtiger abtreten sollten. Wir wiesen auf die hohe Dunkelzifferrate hin. Wir nannten die wichtigsten Ursachen beim Namen. Wir zeigten auf, in welchen Städten und Kantonen die Probleme am grössten sind. Wir erhellten, wer in den meisten Fällen die Täter sind. Wir zeigten auf, wie im benachbarten Ausland agiert wird – und forderten den Bundesrat, die Politik und die Justiz auf, endlich aufzuwachen und zu handeln.

Heute, fünf Jahre später, ist das Problem noch grösser geworden.

Foto © shuttestock.com

Gewalt und Drohungen gegen Beamte nehmen stetig zu – seit Jahren!

Sie, liebe Leserschaft, wissen es – und auch die Entscheidungsträger und die Politik wissen es. Diejenigen, die es noch nicht mitbekommen haben, und alle, die die Problematik bis heute sogar in Abrede stellen, können es jederzeit in der vom Bundesamt für Statistik BFS publizierten Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) nachlesen. Schwarz auf weiss!

Wurden 2009 – vor 15 Jahren – noch 7’490 Gewaltdelikte gegen die öffentliche Gewalt gezählt, waren es vergangenes Jahr (2023) deren 13’410. Das entspricht einer Steigerung von nahezu 80 Prozent! Allein in der Zeit zwischen unserem ersten Bericht zum Thema und heute nahmen die Fallzahlen um mehr als 25 Prozent zu. Tendenz? Stetig steigend.

Die Zahl der Fälle von Gewalt und Drohung gegen Beamte kletterte von 2009 bis 2023 von 2’350 auf 3’055 pro Jahr. Eine Steigerung um unrühmliche 30 Prozent. Wobei 2023 noch nicht einmal ein neues Rekordjahr war. Die bisher höchsten Stände – und damit auch absolute Tiefpunkte zwischenmenschlicher Werte und respektablen Verhaltens – wurden zu Zeiten der Corona-Krise (2020 und 2021) mit 3’514 respektive 3’557 Fällen verzeichnet.

Die vom Bundesamt für Statistik BFS publizierte Polizeiliche Kriminalstatistik zeigt: Die Fallzahlen von Gewalt und Drohungen gegen Beamte kennen nur eine Richtung: immer weiter nach oben.
©BFS

Die Ursachen sind bekannt, die Hemmschwellen sinken

Weshalb Menschen Blaulichtkräfte verbal oder sogar physisch attackieren, hat – zumindest im juristischen Kontext – sehr vielfältige Ursachen. Die grundlegenden Quellen des Übels indes sind stets dieselben: eine allgemeine Verrohung der Sitten, zunehmender Egoismus und damit einhergehend ein Mangel an Respekt, Alkohol- oder Drogenkonsum, die vermeintliche Stärke in der Gruppe (Gruppendynamik), radikale politische Ansichten und Ziele (Stichwort: vernetzte linksextreme Gruppierung), Hass und Abneigung sowie Enttäuschung und Frustration gegenüber dem Staat und dessen (Innen-)Politik – wobei dann die Polizei, als Vollstreckerin politischer Entscheide, zum Blitzableiter wird (der einfacher zugänglich ist als die Politiker, welche die Entscheide gefällt haben).

Fatal dabei: Die Hemmschwelle der Täter sinkt ebenso wie deren Alter! Immer häufiger kommen nicht mehr nur die Stimme, die Hände oder die Fäuste ins Spiel, sondern gefährliche Gegenstände wie (Pflaster-)Steine, Eisenstangen, Stühle, Knüppel und sogar Messer bis hin zu Schusswaffen. Und waren die Täter einst noch meist eher gestandene Mannsbilder (weibliche Täterschaften sind bis heute in der Minderheit), pöbeln, provozieren und schlägern heutzutage immer öfter bereits junge Erwachsene und sogar Minderjährige. So waren beispielsweise alle Mitglieder der knapp 20-köpfigen Horde, die in der Nacht auf den 4. Februar 2024 am Bahnhof von Stäfa ZH zuerst in einem Bus randalierte und danach die herbeigerufenen Polizisten verbal sowie mit Steinen angriff, samt und sonders gerade einmal zwischen 15 und 17 Jahre alt.

Wie brutal sich Gewalt gegen Blaulichtkräfte entladen kann, zeigte sich während der Osterkrawalle 2021 in St.Gallen. Damals schlugen die Wut und der Frust über die CoronaMassnahmen in blanken Hass um – und entluden sich gegenüber der Polizei, die gezwungen war, die vielfach unbeliebten Corona-Regelungen durchzusetzen. Die Dimension der damaligen Angriffe auf die Polizei übertraf alles bisher in der Schweiz Dagewesene.

Seither indes gab es immer wieder und in kontinuierlich kürzerer Kadenz vergleichbare Gewaltexzesse zu beklagen. Es sei an dieser Stelle beispielhaft an die Gewaltexzesse bei der «revolutionären Klimademo» im Februar 2023 in Basel sowie an die Attacken linksextremer Chaoten im Rahmen der «Wohnungsnot-Demo» im April 2023 in Zürich erinnert.

Die Lust am Polizeiberuf befindet sich im Sturzflug

Die Folgen für die betroffenen Polizeikräfte wiegen schwer –doch sie werden von der Politik, der Justiz oder den Verbänden noch immer viel zu zaghaft öffentlich angeprangert. Vermutlich wissen die Herrschaften in Bern und auf den Richterstühlen unseres Landes gar nicht, was im Kopf und in der Seele eines Menschen vorgeht, der in seiner alltäglichen Berufsausübung Opfer von blankem Hass und rücksichtsloser Gewalt wird. Ihnen sei gesagt: Es hinterlässt tiefe Spuren, wenn ein Mensch bereits einmal um seine körperliche Unversehrtheit oder gar sein Leben bangen musste – und nie weiss, ob und wann ihn das gleiche Schicksal eventuell erneut ereilen wird.

Gewalttätige Angriffe sind ein traumatisches Erlebnis. Sie hinterlassen Verunsicherung, provozieren Frust und eigene Aggressionen. Zudem wirken sie sich stark und nachhaltig negativ auf die Motivation aus. Gedanken Betroffener darüber, ob es für die eigene Gesundheit (und die langfristige finanzielle Sicherheit der Familie) nicht besser wäre, den Job an den Nagel zu hängen, ehe etwas Schlimmes, möglicherweise Irreparables geschieht, sind die logische Folge.

Personalmangel und Nachwuchssorgen als Folgen

So darf es denn auch nicht verwundern, dass landauf, landab den Polizeikorps die Mitarbeitenden abhandenkommen –und die Suche nach geeignetem Nachwuchs zunehmend schwerfällt.

Zwar sind für den Fachkräftemangel bei den Schweizer Polizeikorps natürlich auch andere Gründe ursächlich – allen voran die generell steigende Arbeitsbelastung durch vom Bund und den Kantonen angeordnete Zusatztätigkeiten, ohne dass parallel dazu der Personalbestand aufgestockt wird. Hinzu kommen Schichtarbeit, Sondereinsätze, ungeregelte Arbeitszeiten und eine eher unterdurchschnittliche Entlöhnung.

Werden diese Probleme noch ergänzt durch mangelnde Wertschätzung und Rückendeckung vonseiten des Dienstherrn, täterfreundliche Gerichte, Anfeindungen sowie das Risiko, im Dienst physische oder psychische Verletzungen zu erleiden, beginnt jeder, darüber nachzudenken, ob das Geld zum Leben in einem anderen Metier nicht stressfreier und mit einer markant besseren Work-Life-Balance verdient werden kann.

Hinweise darauf, dass diese These nicht aus der Luft gegriffen ist, erhält, wer nachschaut, wo der Fachkräftemangel bei den Polizeikorps am grössten ist – und in welchen Städten respektive Kantonen die Fallzahlen von Gewalt und Drohung gegen Beamte seit Jahren auffallend hoch sind. Bestes Beispiel: der Kanton Basel-Stadt. Seit Jahren hat die Stadt das grösste Problem mit Gewaltangriffen auf Polizisten im ganzen Land – und da darf sich die Politik nicht wundern, wenn just in Basel-Stadt auch der grösste Fachkräftemangel herrscht.

Ähnlich sieht es in Luzern, wo die Fallzahlen ebenfalls seit Jahren hoch sind, aus. Obwohl dort bereits die «Altersguillotine» nach oben korrigiert wurde, sinkt das Interesse am Polizeiberuf kontinuierlich. In Bern, Zürich, St.Gallen und weiteren Metropolen ist die Problematik ebenfalls omnipräsent.

Sinkendes Sicherheitsbewusstsein in der Bevölkerung

Der provozierte Mangel an Fachpersonal wirkt sich zwangsläufig auf die Qualität und die Präsenz der Polizei im öffentlichen Raum aus. Luzern schloss im Sommer vor zwei Jahren zeitweise 22 Polizeiposten – wegen zu vieler teils ausserkantonaler Tagungen und Anlässe, die es zu bewältigen galt. Im August 2023 waren sogar alle Posten im Kanton während drei Tagen geschlossen – wegen Fussballspielen des FC Luzern.

Auch andernorts in der Schweiz sinkt die Polizeipräsenz. Wachen werden geschlossen, fusioniert oder ihre Öffnungszeiten reduziert. Die Patrouillentätigkeit wird auf ein Mindestmass reduziert und nicht wenige Polizeikorps lagern niederschwellige Tätigkeiten an private Sicherheitsfirmen aus, weil sie selbst diese nicht mehr bewältigen können.

Die Bevölkerung nimmt derlei mit Unmut zur Kenntnis, kann aber meist nicht mehr tun, als ihre Bedenken anzumelden –und die Faust im Sack zu machen.

Umfragen zufolge sinkt das Sicherheitsgefühl der Menschen in der Schweiz parallel zur Abnahme der polizeilichen Präsenz im Alltagsleben. Zwar fühlen sich die meisten Schweizerinnen und Schweizer gesamthaft immer noch sicher. Nicht aber rund um urbane Hotspots wie Bahnhöfe, Parks oder Ausgangszonen. Dies vor allem, auch das wird durch repräsentative Erhebungen deutlich, wenn die Polizei ihre eminent wichtige Präventionsarbeit vernachlässigen muss und nicht die nötige Präsenz an den Tag legt.

Im ländlichen Raum indes, dort, wo die Polizei in direkterem Kontakt zur Bevölkerung steht und ein entsprechend höheres Ansehen geniesst, ist das Sicherheitsgefühl markant besser –und die Zahl der Fälle von Drohungen, Beleidigungen, Pöbeleien und gar tätlichen Angriffen wesentlich geringer.

Geschätzte 30 Millionen Franken Schaden –pro Jahr!

Zusätzlich zum persönlichen Leid jener Polizeikräfte, die Opfer von Gewaltexzessen geworden sind, den negativen Auswirkungen auf den Personalbestand und die Nachwuchsrekrutierung sowie die Fähigkeit der Korps, mit immer weniger Personal die heutzutage teils komplexen alltäglichen Herausforderungen meistern zu müssen, verursacht Gewalt gegen BORS einen hohen gesamtgesellschaftlichen Schaden. Von welchen Summen dabei geredet werden muss, hat das Brandenburgische Institut für Gesellschaft und Sicherheit (BIGS) anno 2019 im Auftrag der Axon Public Safety Germany untersucht. Für die Studie wurde – ohne Betrachtung der Angemessenheit oder Rechtmässigkeit gewaltsamer Handlungen – einzig auf die monetäre Quantifizierung der vielfältigen Folgen von Gewaltausübung fokussiert. Neben dem Verlust von Menschenleben wurden erhöhte Personalkosten (Dienstausfall, Krankschreibung, Vertretung, zeitweise oder dauerhafte Verwendungseinschränkungen, Produktivitätsverluste), die Heilungs- und eventuellen Opferkosten für bleibende Schäden sowie die Kosten für polizeiliche Ermittlungen, Rechtsbeistand, Justizvollzug und Prävention berücksichtigt.

Dabei zeigte sich: Die im Jahr 2018 in Deutschland registrierten Fälle erzeugten Kosten von rund 760 Millionen Euro. Legt man die Zahl der Fälle und die Kosten 1:1 auf die Schweiz um, verursacht Gewalt gegen Beamte hierzulande einen gesamtgesellschaftlichen Schaden von geschätzten 30 Millionen Franken – und das jedes Jahr.

Bund, Kantone und Justiz «beobachten mit Sorge». Zu handeln wäre besser!

Klar ist – seit Jahren: So wie in der Vergangenheit kann es nicht weitergehen. Zwar wird immer wieder betont, man «beobachte die Entwicklungen mit Sorge». Doch es passiert noch immer einfach viel zu wenig.

Es müssen endlich griffige, wirkungsvolle und verhältnismässige Instrumente entwickelt und etabliert werden, um der Lage Herr zu werden.

Die Rahmenbedingungen im Polizeiberuf (Entlöhnung, Arbeitsbelastung, Vereinbarkeit von Beruf und Familie und mehr) müssen verbessert werden. Sonst wandern immer mehr gute Fachkräfte in die Privatwirtschaft ab.

Die Personalbestände der Korps müssen aufgestockt werden. Wer immer mehr Tätigkeiten ausüben soll, braucht auch das dafür nötige Personal.

Das Bild der Polizei in der Öffentlichkeit muss gestärkt werden. Dazu gehört auch, dass Medienhäuser, die ihre journalistische Sorgfaltspflicht vernachlässigen (siehe Box), dazu verpflichtet werden, Richtigstellungen zu publizieren – und zwar prominent.

Der Staat und die Justiz müssen gegenüber Gewalttätern klare Kante zeigen. Im Fall von Drohungen oder Gewalt gegen Einsatzkräfte müssen Urteile schnell gefällt werden – und zugunsten bestmöglicher Abschreckungswirkung hart ausfallen. Das Strafmass ist bestmöglich auszuschöpfen.

Die Wertschätzung für die Arbeit der Blaulichtkräfte muss höher werden. Zudem benötigen diese angemessenen Rückhalt sowie Rückendeckung durch die Verantwortlichen.

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