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8c. Fußbodenmosaik
8c. Fußbodenmosaik
Abb.171. Fußbodenmosaik. Detail: Mahldarstellung der ›Kleinen Jagd‹. Mit einem Umfang von mehr als dreitausend Quadratmetern sind die farbigen Fußbodenmosaiken einer Villa bei Piazza Armerina auf der Insel Sizilien der größte Fund solcher Ausstattung, der erhalten blieb. Nach anfänglicher Vermutung eines Bezugs zum Kaiser geht man heute davon aus, dass die Besitzer zur wohlhabenden römischen Aristokratie des 4. Jhs. gehörten, deren Interesse an Spielen im Amphitheater und Circus und an traditioneller Mythologie durch die Mosaiken bezeugt wird. Deutliche Ähnlichkeiten thematischer und stilistischer Art zu nordafrikanischen Mosaiken in und um Karthago lassen eine Tätigkeit von dort beheimateten Mosaikwerkstätten in dieser Villa und an anderen Orten Siziliens erkennen. Die »Große Jagd« schmückt den Fußboden eines Ganges von fast 60m Länge und 5m Breite (Abb.169). Hier werden unter offizieller Aufsicht wilde und exotische Tiere für die Tierkämpfe im Amphitheater (S.) gejagt, auf einer Seite der Schiffe verladen und auf der anderen Seite wieder ausgeladen.
Das Wagenrennen findet im römischen Circus maximus statt, wie der dargestellte Obelisk verdeutlicht, den Augustus hier aufstellen ließ (Abb.170). Das Mosaik befindet sich in einem langgestreckten Raum von 21,70 m Länge und 5,39 Breite, der durch zwei Apsiden der Form eines Circus angenähert war. Bei solcher Größe konnte man für jede der vier Circusparteien nicht nur, wie meist üblich, eine, sondern zwei Quadrigen darstellen. Dem siegreichen Wagenlenker wird ein Palmzweig überreicht, der Unfall eines Wagens ist durch den Sturz des Lenkers angedeutet. Auf der Spina (der mittleren Mauer im Cirkus) stehen außer dem Obelisken das Bild der Großen Mutter Kybele und eine Vorrichtung mit sieben Eiern,
mit denen die Runden des Wagenrennens angezeigt wurden sie sind in dem gezeigten Ausschnitt leider nicht zu sehen.
Das Mosaik der »Kleinen Jagd« gibt mit 7,05 m Höhe und 5,90 m Breite Ereignisse wieder, die zu den privaten Vergnügungen der Großgrundbesitzer gehörten (Abb.171). Besonders groß und nahe des Eingangs sind die Jagden auf Hirsche und Wildschweine dargestellt. Außerdem bietet das Mosaik Bilder des Auszugs zur Jagd und der Rückkehr, eines Opfers für die Göttin Diana und des abschließenden Mahls im Typus des Sigmamahls (S.), einschließlich der Speisezubereitung.
Abb.173. Detail: Christusmosaik.
➤ Abb.172. London, British Museum, Inv. Inv. 33346001. 1. Mosaik aus einer Villa in Hinton St. Mary, Dorset, England, Länge 8,10 cm, Breite 5,20 m, Übersichtsbild über die Mosaiken beider Räume. Im römischen Britannien ließen in frühchristlicher Zeit wohlhabende Villenbesitzer Fußbodenmosaiken legen, deren Inhalt uns heute widersprüchlich erscheint. Aus einem Haus in Hinton St. Mary blieben die zusammenhängenden Mosaiken zweier Räume erhalten, die durch einen breiten Durchgang verbunden waren (Abb.172). Im kleineren Raum enthält das von Ranken gerahmte Mittelmedaillon eine Darstellung Bellerophons auf dem geflügelten Pferd Pegasus, der die Chimaera ersticht, ein mythisches dreiköpfiges Monster. In zwei seitlichen Rechteckfeldern werden Hirsche von Hunden verfolgt. Ähnliche Bilder von Tieren und Bäumen rahmen in Halbkreisen auch das Mittelmotiv des größeren Raums. Dieses enthält in einem Medaillon zwischen zwei Granatäpfeln die Büste eines unbärtigen Mannes, hinter dessen Kopf ein Christogramm so angebracht ist, als handle es sich um einen Christogrammnimbus (Abb.173). Zwar konnte diesen auch ein Kaiser besitzen, doch fehlen in Hinton St. Mary kaiserliche Insignien, so dass die in Tunika und Pallium gekleidete Gestalt trotz des benachbarten Bellerophon meist als Christus angesehen wird. In den Eckzwickeln des Mosaiks sieht man zwischen Blüten, Granatäpfeln oder Zweigen vier Windgötter mit aufgewehten langen Haaren. Die Begegnung der beiden Kulturen in Hinton St. Mary war nicht singulär: Ein Villenbesitzer in Frampton (Dorset) ließ etwa gleichzeitig im Fußboden neben Bellerophon mit der Chimaera, Dionysos mit dem Panther und weiteren mythischen Szenen ein Medaillon mit einem Christusmonogramm anbringen.
Unter den zahlreichen Fußbodenmosaiken aus nordafrikanischen Landgütern und Villen gibt es eine Gruppe mit ländlichen Szenen und Villendarstellungen. Hierzu gehört ein ungewöhnlich großes Exemplar aus Karthago, das nach der Aufschrift IV(lio) DOM(ino) – »Unserem Herrn Julius« auf einer dem Gutsbesitzer überreichten Buchrolle be-
nannt und in das späte 4. oder frühe 5. Jh. datiert wird (Abb.174). Da es aus einem städtischen Haus in Karthago stammt, hat Dominus Julius hier wohl das Landgut darstellen lassen, aus dessen Erträgen sein Wohlstand stammte. Die Darstellungen der Domäne des Julius werden von diagonal angeordneten Jahreszeiten gerahmt, die durch typische Tätigkeiten, Produkte und Tiere verbildlicht sind. Hier ernten Untergebene die Blumen und Früchte der Jahreszeiten und präsentieren sie, zugleich mit den entsprechenden Haus- und Jagdtieren, dem Dominus und der Domina als ihren Besitz. Der Mittelstreifen des Mosaiks ist dem großen Landhaus gewidmet. Seine kastellartige Anlage ist kein künstlerisches Schmuckmotiv; sondern entspricht der Unsicherheit der Entstehungszeit mit ihren Wanderungen nichtrömischer Völker. Links reitet der Dominus mit einem Begleiter auf sein prächtiges Haus zu, von dem aus rechts Jäger zur Jagd aufbrechen. Der obere Streifen des Mosaiks zeigt zwischen den Bildern des Winters und des Sommers die sitzende Hausherrin. Sie hält einen Fächer in der Rechten, in Entsprechung zur Darstellung des Sommers rechts neben ihr. Im unteren Bildstreifen sind Dominus und Domina zwischen Frühling und Herbst gemeinsam dargestellt. Dominus Julius bekommt eine Buchrolle überreicht, die Domina weist auf ihre Bildung und kulturellen Interessen durch eine Anlehnung an die typische Haltung der Muse Polyhymnia hin. Sie hat sich von ihrem Sessel mit hoher Rückenlehne erhoben, um wie die Muse an einer kurzen Säule zu stehen, auf die sie den linken Ellbogen stützt. Zusätzlich hält sie in der linken Hand einen Spiegel und greift mit der rechten nach einer Halskette, die eine Dienerin
Abb.174. Tunis, Nationalmuseum Bardo, Inv. 1. Mosaik des Dominus Julius, Breite 5,65 m, Höhe 4,50 m, Fundort Karthago.
Abb.175. Paris, Musée du Louvre, Inv. Ma 3442. Fußbodenmosaik aus Antiochia-Daphne (Antakya/Türkei. Ursprüngliche Höhe 12,35 m, Breite 10,30 m; jetzt 6,00 x 4,20, Detail: Phönix in Rosenteppich.
aus einem Schmuckkasten entnommen hat (vgl. Abb.).
Aus den spätantiken Fußbodenmosaiken der Residenzstadt Antiochia am Orontes wird das Zentrum eines Mosaiks abgebildet, das sich in einem großen Hof befand (Abb.175). Die Tesserae des nicht vollständig erhaltenen Mosaiks bestehen aus Marmor und farbigen Steinen. Auf übereinander getürmten Felsen steht ein Phönix von 87cm Höhe, von dessen nimbiertem Kopf fünf Strahlen ausgehen. Das Symbol für Wiedergeburt und Ewigkeit (S.) wirkt besonders monumental, weil es von einem gleichmäßigen weißen Mosaikteppich umgeben ist. Dessen Tesserae sind schuppenartig verlegt, und jede Schuppe enthält eine Rosenblüte (insgesamt ca 7.500 Blüten). Diese Fläche war von einem Rahmen umgeben, in dem sich ein dekoratives Motiv 24 mal wiederholt, wenn auch mit kleinen Unterschieden in den Farbnuancen. Hier tragen zwei flachliegende Vogelflügel zwei Vorderteile von Steinböcken, die einander zugewandt sind und ein Halsband tragen. Zwischen ihnen steht ein Rosenzweig.
Nachdem bereits für die Kirchen in Madaba auf die Ausstattung mit Fußbodenmosaiken hingewiesen wurde (S.), wird noch ein Beispiel aus dem Profanbereich abgebildet (Abb.176). Die Zweckbestimmung des Raumes, der unter dem Narthex der Marienkirche entdeckt wurde, ist nicht bekannt, doch kann man aus dem mythologischen Inhalt der Fußbodenmosaiken erschließen, dass dieser Raum nicht kirchlichen Zwecken diente. Das in drei Felder geteilte Mosaik wird von einer Akanthusranke eingefasst, in deren Feldern Tiere, Hirten und Jagdszenen dargestellt sind. An den Ecken befinden sich die als Büsten dargestellten Personifikationen der vier Jahreszeiten. Das erste Mosaikfeld innerhalb dieses Rahmens ist in Quadrate eingeteilt, die verschiedenartige Pflanzen und Tiere enthalten. Das mittlere Bildfeld ist durch eine spätere Mauer stark beschädigt, doch lassen die Namensbeischriften erkennen, dass hier die Haupt-
Abb.176. Madaba, Jordanien. ›Hippolytos‹-Saal unter der Marienkirche, Fußbodenmosaiken, Übersichtsphoto.
szene des tragischen Hippolytosmythos nach Euripides dargestellt war, in der die verliebte Königin Phaedra ihrem Stiefsohn durch die Amme einen Liebesbrief überbringen lässt. Die oberste Szene steht hierzu in fröhlichem Kontrast: Die reich geschmückte Göttin Aphrodite, die mit ihrem Geliebten Adonis am rechten Bildrand thront, bestraft mit ihrem Schuh einen nackten geflügelten Eros, der von einer der drei Chariten (Grazien) gehalten wird. Die zweite Grazie will einen Eros aus einem Baum ziehen, die dritte einen Eros fangen. Von den weiteren Eroten liebkost einer bittend Aphrodites Fuß, ein anderer leert einen Blütenkorb oder sucht Honig. Abgerundet ist die Darstellung an der linken Seite durch eine Frau vom Lande mit Früchtefüllhorn in der linken Hand und einem Vogel in der rechten. Wegen der unregelmäßigen Form des Raumes wurden in den entstehenden Zwickeln noch Mosaiken mit Tieren und den sitzenden Stadtpersonifikationen von Rom, Gregoria und Madaba zugefügt. Alle drei halten einen langen, mit einem Kreuz geschmückten Stab. Rom trägt den üblichen Helm und ein Füllhorn mit Früchten, die ganz unbekannte Gregoria und Madaba haben Stadtmauerkronen und tragen Blüten in einem Korb oder Füllhorn. Die Mosaiken des »Hippolytos«-Saals können durch stilistische Vergleiche in die Mitte des 6. Jhs. datiert werden. Zu dieser Zeit scheint es auch in einer mit vielen christlichen Kirchen ausgestatteten Stadt wie Madaba Hausbesitzer gegeben zu haben, die ihr hohes Bildungsniveau durch Interesse an der klassischen Mythologie zu dokumentieren suchten.