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Im emotionalen Wellenbad: Ein Resümé des Leiters
Im emotionalen Wellenbad
Als Leiter des Notfallzentrums und der Intensivstation hat Chefarzt Markus Schwendinger bei der Covid-Bekämpfung eine Schlüsselrolle gespielt. Hier erzählt er, welches Patientenschicksal ihn besonders berührt hat und welche Auswirkungen die Corona-Krise auf sein Privatleben hatte.
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TEXT Omar Gisler
FOTO Charlie Hug
Erschreckend am Coronavirus ist, wie rasch sich der Gesundheitszustand der Patienten verschlechtern kann. Als Arzt ist man deshalb laufend mit der Frage konfrontiert, welche Therapien man einleiten soll, um den Patienten adäquat zu behandeln. Zum Glück verfügten 95 Prozent der Covid-Patienten, die im KSB hospitalisiert waren, über eine Patientenverfügung. Das hat unsere Arbeit sehr erleichtert. Denn so konnten wir uns nach dem Willen der Patienten richten.
Es gab viele ältere Covid-Patienten mit Zusatzerkrankungen, die explizit den Wunsch äusserten, nicht auf die Intensivpflegestation (IPS) verlegt zu werden. Das ist verständlich. Denn ein IPS-Aufenthalt, das muss man klar und deutlich festhalten, ist nichts Angenehmes – egal, wie gut die medizinische Betreuung dort ist. Vierzehn der siebzehn Covid-Opfer, die das « PatientenverKSB verzeichnete, starben auf der für Corona-Fälle gefügungen haben schaffenen Bettenstation. Ihr Durchschnittsalter lag bei 87 uns die Arbeit Jahren. Einer dieser Patienten betonte, dass er nicht künsterleichtert.» lich beatmet werden wolle; er überlasse den Platz in der IPS einem jüngeren Patienten. Wir entgegneten ihm, dass diese Geste nicht nötig sei, da wir über ausreichend Beatmungsplätze verfügen würden. Er blieb jedoch bei seiner Meinung mit dem Hinweis, dass er sein Leben gelebt habe und zu alt und zu schwer erkrankt sei, um noch Aussichten auf eine Zukunft mit ausreichend Lebensqualität zu haben. Der Zeitpunkt zum Sterben sei für ihn nun gekommen. Eine solche Willensäusserung gilt es zu respektieren.
Schwerer fällt dies, wenn man es mit Patienten zu tun hat, die jünger sind und statistisch gesehen noch viele Lebensjahre vor sich haben. Einen solchen Fall hatten wir Ende April, als eine 45-jährige Frau, Mutter von sieben Kindern, ins Notfallzentrum des KSB gebracht wurde. Sie hatte einen Herz-Kreislaufstillstand, als sie bei uns eintraf. Wir gaben alles, um sie zu reanimieren. Es war eine eindrückliche Teamleistung. Wir holten die Frau zurück ins Leben und waren stolz auf unsere Leistung. Die Freude währte jedoch nur kurz: Die Frau litt an amyotropher Lateralsklerose (ALS), einer nicht heilbaren degenerativen Erkrankung des motorischen Nervensystems. In ihrer Patientenverfügung hielt sie fest, dass sie nur eine beschränkte Therapie wolle. Für uns stellte sich sofort die Frage: Haben wir das Richtige getan? Erschwerend kamen zwei Aspekte hinzu: Zum einen fiel der Corona-Test bei der Frau positiv aus, zum anderen befand sich ihr Ehemann als intubierter Covid-Patient ebenfalls auf der IPS. Im Gegensatz zu seiner Frau, die schliesslich zu einem der drei Covid-Opfer wurde, die auf unserer IPS starben, überlebte er. Als sich abzeichnete, dass die Frau sterben würde, versuchten wir, zumindest der ältesten Tochter den Abschied zu ermöglichen. Das tönt einfach, war aber schwierig, weil die Tochter ebenfalls mit dem Coronavirus inAn der Front hat « fiziert war. Mit dem ÖV konnte die 18-Jährige sich fast niemand daher nicht anreisen, und die Verwandten zeigten angesteckt.» keine Lust, sie ins KSB zu transportieren. Es schien daher unmöglich, dass sie von ihrer Mutter noch Abschied nehmen könnte. Sehr beeindruckt hat mich, dass in dieser Situation eine Pflegefachfrau sich spontan anerbot, die Tochter mit ihrem Privatauto ins KSB zu chauffieren. Sie wollte dies in ihrer Freizeit tun, im Wissen, dass sie Gefahr läuft, sich dabei anzustecken. Da sich dann doch noch ein Verwandter fand, der den Transport übernahm, musste sie nicht einspringen. Trotzdem: Dieses selbstlose Engagement verdient höchste Wertschätzung und Respekt.
Das Schicksal der 45-jährigen Mutter mit ihren sieben Kindern hat mich noch lange beschäftigt. Diese Gedanken lässt man nicht einfach zurück, wenn man das Spital verlässt. Sport, insbesondere Joggen, hilft mir bei der Verarbeitung solcher Erlebnisse ebenso so sehr wie Gespräche mit meiner Frau. Womit wir beim Privatleben wären, das unter der Coronakrise ebenfalls gelitten hat. Mir erging es ähnlich wie vielen Mitarbeitenden des Notfalls und auf der IPS: Von etlichen Verwandten und Bekannten wurden wir gemieden, aus Angst, wir würden das Virus verbreiten. Vor diesem Hintergrund ist es besonders erfreulich, dass sich von meinem Team – bis auf eine Ausnahme – niemand angesteckt hat, obwohl wir besonders exponiert waren. Die professionelle Sorgfalt und die Hygienemassnahmen zeigten ihre Wirkung.
Die grosse Angst und Verunsicherung in der Bevölkerung sowie das Schicksal der 45-jährigen Frau und ihren sieben Kindern bilden wahrscheinlich diejenigen Facetten der Coronakrise, die ich am längsten in Erinnerung behalten werde.»
Darüber habe ich mich gefreut – Die hohe Flexibilität, mit der die Teams auf der IPS und im INZ auf die ständig wechselnden Anforderungen reagiert haben. – Das gute Krisenmanagement des KSB respektive die Gewissheit, dass wir auch ein höheres Patientenaufkommen hätten bewältigen können. – Das schöne Wetter. Unbeständiges April-Wetter hätte während des Lockdowns wohl zusätzlich auf die Moral geschlagen.
Darüber habe ich mich geärgert – Viele Mitarbeitende waren mit sehr viel Engagement im Einsatz, ein paar wenige hingegen drückten sich aus Angst vor einer
Ansteckung. – Selbstdarsteller in der Öffentlichkeit – Doppelspurigkeiten bei der statistischen Datenerhebung