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Stellenwert der Vorräte

Michael Dessulemoustier-Bovekercke (Moore Stephens)

Auch Vorräte stellen eine Art Rechnungsabgrenzung dar. Es handelt sich um kurzfristig (d. h. binnen einem Jahr) zum Verbrauch bestimmte Gegenstände, Güter und Waren, die vor dem Rechnungsabschlussstichtag erworben wurden, jedoch erst danach zum Einsatz kommen. Vorräte und selbsterstellte Vorräte sind zu Anschaffungs- oder Herstellungskosten zu erfassen, wenn deren Wert pro Vorratsposition 5.000 Euro übersteigt (vgl. § 22 Abs 1 erster Satz VRV 2015). Zum Rechnungsabschlussstichtag sind Vorräte mit dem niedrigeren Wert aus den beiden folgenden Werten zu bewerten:

• Ursprüngliche Anschaffungs- oder Herstellungskosten • Wiederbeschaffungswert (vgl. § 22 Abs 1 zweiter Satz VRV 2015)

Um die Logik hinter der Erfassung der Vorräte zu verstehen, muss der Kontenplan analysiert werden. Grundsätzlich bestehen zwei denkbare Buchungstechniken:

• Erfassung sämtlicher Zukäufe im Vorratsvermögen • Erfassung sämtlicher Zukäufe sofort im

Aufwand

Während die Vorratskonten keine Verknüpfung zur Finanzierungsrechnung mittels MVAG-Code aufweisen, sind die Materialaufwandskonten mit der Finanzierungsrechnung verbunden. Es ist daher notwendig, in einem ersten Schritt sämtliche Zukäufe aufwandswirksam zu erfassen. Die Korrektur von Aufwands- und Bestandskonten erfolgt jeweils am Jahresende im Rahmen der Abschlusserstellung.

Mit diesem Wissen bzw. mit dieser These im Kopf muss der erste Satz des § 22 Abs 1 VRV 2015 (nochmals) gelesen werden. Wenn eine Vorratsposition einen Wert von 5.000 Euro übersteigt, ist sie zu erfassen. Das bedeutet zunächst, dass die einzelnen Vorratspositionen mengenmäßig zu erheben sind und diese Mengen mit den ursprünglichen Anschaffungs- oder Herstellungskosten zu bewerten sind. Sobald bei diesem Prüfschritt ein Wert größer 5.000 Euro ermittelt wird, erfolgt eine grundsätzliche Erfassung als Vorrat in der Vermögensrechnung und somit eine Korrektur der bisher erfassten Aufwendungen.

Der Begriff „erfasst“ ist etwas irreführend, da die angeschafften Vermögenswerte in den Büchern bereits erfasst sind bzw. zumindest erfasst sein sollten. Allerdings sind sie nicht als Vorräte, sondern als Aufwand erfasst. Insofern verlangt § 22 VRV 2015 eine Aktivierung (Erfassung im oder als Vorratsvermögen) des Bestandes zum 31.12. sobald der Wert der einzelnen Vorratsposition 5.000 Euro übersteigt.

Wertgrenze 5.000 Euro

Fraglich ist, ob unter einer Vorratsposition der einzelne Vermögenswert oder eine Gruppe von Vermögenswerten gemeint ist. Folgende Sachverhalte sprechen dafür, dass es sich um eine Sammelbetrachtung handelt:

• In § 22 Abs 2 VRV 2015 werden die einzelnen Posten der Vermögensrechnung, die als Vorräte in Betracht kommen, aufgezählt. Der Begriff „Vorratsposition“ des Abs 1 bezieht sich offensichtlich auf die Aufzählung der „Positionen“ in Abs 2.

• Im Bereich der Rückstellungen ist ebenfalls eine Wertgrenze normiert. Dort wird jedoch ausgeführt, dass etwa Rückstellungen für ausstehende Rechnungen dann zu bilden sind, wenn deren Wert jeweils zumindest 5.000 Euro beträgt. Durch die Wendung „jeweils zumindest“ kommt eine Eins-zu-EinsBeziehung zur Verpflichtung zum Ausdruck. Hätte der Gesetzgeber gewollt, dass Rechnungen nur dann rückgestellt werden müssen, wenn sie in Summe 5.000 Euro übersteigen, so hätte er dies entsprechend formulieren müssen.

• Bei den langfristigen, unverzinslichen

Forderungen wird ebenfalls nicht auf die „Position“ abgestellt. Hier wird (offenbar) ebenfalls auf die einzelne Forderung abgestellt. Diese sind dann mit ihrem Barwert zu erfassen, wenn deren

Wert 10.000 Euro übersteigt.

Aus dieser Analyse ist erkennbar, dass der Gesetzgeber ausschließlich bei der Festlegung der Bagatellgrenze bei den Vorräten auf „Positionen“ abstellt. Er bezieht sich auf die einzelnen Posten an dieser Stelle (vgl. § 22 Abs 2 VRV 2015), welche er auch anführt, während er bei den Rückstellungen jedenfalls und bei den Forderungen aufgrund des Wortlautes des Verordnungstextes eine Einzelbetrachtung fordert bzw. normiert.

Sobald daher festgestellt wurde, dass sämtliche Vorräte (außer reines Verwaltungsmaterial wie etwa Reinigungsmittel, Druckerpapier, Büromaterialien etc.) einer Position die Wertgrenze von 5.000 Euro überschritten haben, sind diese im Vorratsvermögen zu erfassen und zu bewerten und verändert dadurch auch den Ergebnisvoranschlag.

Bei der nachfolgenden Auflistung der unterschiedlichen Vorratsposten orientieren wir uns am Aufbau des Kontierungsleitfadens1 .

1 Detailbeschreibungen finden sich neben dem KDZ-Kontierungsleitfaden 2018 auch in der Loseblattsammlung „Rechnungsabschluss der Gemeinden“ von Michael Dessulemoustier-Bovekercke, herausgegeben im WEKA-Verlag.

Vorratsposten der VRV

Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffe – Kontengruppen 120 bis 159

Roh- und Hilfsstoffe grenzen sich von den Betriebsstoffen dadurch ab, dass erste direkt in das Produkt einfließen. Letztere hingegen werden im Produktionsprozess verbraucht (etwa das Schmieröl einer Maschine, der Diesel, der ein Aggregat betreibt etc.). Rohstoffe können von den Hilfsstoffen derart unterschieden werden, dass erstere einen wesentlichen Bestandteil des Endprodukts darstellen (Holz in der Tischlerei). Hilfsstoffe hingegen sind die unwesentlichen Materialien, die bei der Produktion anfallen (Leim oder Schrauben in der Tischlerei). Zu dieser Gruppe zählt z. B. auch das Streugut der Bau- und Wirtschaftshöfe oder Lebensmittel im Bereich der Kindergärten oder eines Hortes.

Unfertige Erzeugnisse – Kontengruppe 175

Unter den unfertigen Erzeugnissen (Halbfertigerzeugnisse) sind angearbeitete, aber noch nicht fertiggestellte Produkte zu verstehen. Werden in mehreren Produktionsschritten Einzelteile gefertigt, die in weiterer Folge zu einem gesamten Produkt zusammengesetzt werden, stellen auch die schon fertigen Einzelteile unfertige Erzeugnisse dar, obwohl mit der Produktion des Endproduktes möglicherweise noch gar nicht begonnen wurde. Ein Anwendungsbereich für die Gemeinden ergibt sich nur im Bereich von Produktionsbetrieben.

Fertige Erzeugnisse und Waren – Kontengruppen 100, 113, 170

Fertige Erzeugnisse wurden von der Gebietskörperschaft selbst gefertigt. Dabei ist der Produktionsprozess bereits abgeschlossen. Es liegen somit verkaufsfertige Produkte auf Lager. Waren wurden von außen zugekauft. Eine wesentliche Weiterverarbeitung hat nicht stattgefunden. Zu den Waren zählen z. B. auch alle Ersatzteile im Bereich der Wasser- und Abwasserbewirtschaftung

Noch nicht abrechenbare Leistungen

Die noch nicht abrechenbaren Leistungen sind für Dienstleistungen das, was unfertige Erzeugnisse für die Produktion von Gütern sind. Mit den noch nicht abrechenbaren Leistungen werden somit Aufwendungen neutralisiert, die für einen Kundenauftrag angefallen sind, welcher im aktuellen Finanzjahr noch nicht abgeschlossen werden konnte. Auch hier ist ein Anwendungsfall nur bei Dienstleistungsbetrieben der Gemeinde vorstellbar.

Geleistete Anzahlungen auf Vorräte

Unter den geleisteten Anzahlungen auf Vorräte sind nur tatsächlich geleistete Anzahlungen auszuweisen. Das bedeutet, dass tatsächlich ein Geldfluss zum 31.12.2019 stattgefunden haben muss.

Bedeutung der Vorräte für den Voranschlag

Da kein zwingender Vermögensvoranschlag zu erstellen ist, ergibt sich auch eine eingeschränkte Bedeutung der Vorräte für den Voranschlag. Die Frage des Auseinanderfalles des Rechnungseingangs und der Zahlungen für Vorräte ist bereits ein Thema der allgemeinen Abgrenzungen und daher nicht gesondert zu behandeln – siehe dazu den gesonderten Artikel zu den Abgrenzungen.

Hinsichtlich der Erfassung der Veränderung von Vorräten im Ergebnisvoranschlag ist diese nur von Bedeutung, wenn realistisch und verlässlich erwartet werden kann, dass sich der Bestand der einzelnen Vorratsposten zwischen dem 01.01.2020 und dem 31.12.2020 deutlich verändern wird. Nur in diesem Fällen kommt es zu einer wesentlichen Auswirkung auf die Ergebnisrechnung.

Sofern vom 01.01.2020 auf den 31.12.2020 eine deutliche Erhöhung der einzelnen Vorratsbestände geplant wird, ist im Ausmaß der Erhöhung zwar ein Eintrag in der Finanzierungsrechnung im jeweiligen Aufwandsposten erforderlich, der Eintrag in der Ergebnisrechnung ist hingegen um den Unterschiedsbetrag der Vorräte zwischen den Stichtag geringer. Bei einer deutlichen Reduktion des Vorratsbestandes durch mehr Entnahmen als Zukäufen verhält es sich exakt anders herum.

DIE VERANSCHLAGUNG VON VORRÄTEN IST NUR BEI GEPLANTEN WESENTLICHEN ÄNDERUNGEN VON BEDEUTUNG.

Beispiel: Zum 31.12.2019 sind Vorratsbestände im Straßenbau (Schilder, Baumaterial etc.) im Ausmaß von 250.000 Euro vorhanden. Dieser Bestand wird deutlich abgebaut. Im Jahr 2020 wird geplant, dass Materialen im Wert von 500.000 Euro gekauft werden, jedoch aus dem Bestand weitere 150.000 Euro entnommen werden, sodass der Bestand zum 31.12.2020 geplant nur mehr 100.000 Euro betragen soll.

Der wirtschaftliche Wertverzehr und Ressourceneinsatz im Jahr 2020 beträgt daher 500.000 Euro (Ankauf) plus 150.000 Euro (Verbrauch des Bestandes), somit insgesamt 650.000 Euro. Im Finanzierungsvoranschlag sind daher „nur“ 500.000 Euro aus den Zukäufen/Anschaffungen als Ausgaben für Material zu erfassen. Dieser Wert ist auch im Ergebnisvoranschlag als Materialaufwand darzustellen.

Der Verbrauch des bestehenden Vorrats im Ausmaß von 150.000 Euro ist aber zusätzlich nur im Ergebnisvoranschlag als Materialaufwand zu erfassen. Der Ergebnisvoranschlag mit 650.000 Euro weicht daher deutlich vom Finanzierungsvoranschlag mit 500.000 Euro ab. Die Differenz steckt in der Veränderung des Vorratsvermögens, die aber mangels Vermögensvoranschlagsverpflichtung auch nicht darzustellen ist.

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