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Hausbesuch: Streuengelche van de Rues privat

Hausbesuch

Streuengelche van de Rues privat

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Lockenwickler im Haar, das goldene Krönchen bereitgelegt – das Streuengelche bereitet sich nach zwei Jahren endlich wieder auf seinen großen Auftritt bei der Roskirmes vor. Birgit Franchy hat Renate Watteler vom Verein Streuengelche van de Rues besucht, wo die Engelchenpuppe für ihren großen Auftritt chic gemacht wird.

Endlich kann es wieder fein gemacht werden. Die rund 200 Jahre alte StreuengelchePuppe hat ihr Verlies verlassen und wird nun von Renate Watteler für ihren großen Auftritt bei der Roskirmes herausgeputzt. Die alten Lockenwickler stammen vom Friseur, die Kleidchen – das Engelche hat fünf zur Auswahl – hat Renate Watteler schneidern lassen. Teils entstammen sie glamourösen Blusen, teils sind sie nicht ganz so glamourösen Ursprungs: Das Regencape wurde aus einer alten Tischdecke gefertigt, man sieht es ihm nicht an. Unter dem Kleidchen endet die Puppe am Rumpf. Dieser ist auf einer Platte montiert, die später bei der Roskirmes auf ein paar Seile gesetzt wird, die quer über die Rosstraße gespannt werden. Dort wird es drei Tage verweilen, notfalls im Regencape Wind und Wetter trotzen und die Kinder der Besucherinnen und Besucher mit einem Bonbonregen erfreuen.

Den Brauch gibt es seit Jahrhunderten in Aachen, genaue Dokumente existieren zum Leidwesen von Schriftführerin Renate Watteler nicht mehr. Die Vereinsgründung datiert auf 1705. Die Legende erzählt, ein Knecht namens Johann habe in grauer Vorzeit um 1460 herum an einem Marienbild in der Straße des Öfteren haltgemacht und den armen Kindern Süßigkeiten geschenkt. Als er ein größeres Erbe hinterließ, habe man den Brauch fortführen wollen. Von nun an verteilte das Streuengelche einmal im Jahr die Süßigkeiten. Renate Watteler wurde bereits als kleines Mädchen in den Bann des Brauchtums gezogen. Die Urgroßmutter lebte in der Straße, in bester Lage, um aus dem Fenster das ganze bunte Treiben des großen Volksfests zu verfolgen. In dem armen Arbeiterviertel (Toilette im Treppenhaus, Monatsmiete damals

Für die Roskirmes kamen die Menschen aus dem Umland. Die Kinder drängelten sich unter dem Streuengelche, um Bonbons zu erhaschen.

Die Streuengelche im Einsatz | aus dem KingKalli-Archiv von 2018 Die Roskapelle | aus dem KingKalli-Archiv von 2018

16 Mark) freute man sich alljährlich auf das Fest. Die Roskirmes war in etwa das, was heute der Bend ist. Ein Riesenrad und Karussells wurden auf Trümmergrundstücken aufgebaut, der Bäcker servierte Buttercremetorte in Form eines Baumstamms. Es war das Highlight des Jahres, die Menschen kamen aus dem Umland. Und nicht nur eine Puppe verteilte die Süßigkeiten, alljährlich wurde ein kleines Mädchen auserkoren, das die Engelchenpuppe unterstützen durfte. Damals war der Andrang so groß, dass nur Mädchen zwischen vier und sechs Jahren mitmachen durften, die in der Rosstraße wohnten. Zu gerne hätte die Uroma sonst ihre Urenkelinnen auf diesem Posten gesehen. Doch Renate Watteler und ihrer Schwester wurde eine andere Ehre zuteil: 1958 durften sie im Engelchengefolge an der Prozession teilnehmen. Noch heute denkt Watteler gerne daran zurück, ist dem Verein seit 30 Jahren treu und kommt ins Schwärmen, wenn sie in alten Alben blättert.

In den siebziger Jahren beobachtete sie, wie sich das Viertel und damit auch die Kirmes veränderten. Die Trümmergrundstücke wurden bebaut, die Häuser saniert und teurer vermietet. Damit war die Blütezeit der Roskirmes vorbei. Doch der Brauch wird weiter aufrechterhalten, und so begibt sich der Verein Streuengelche van de Rues ab April auf die Suche nach einem Mädchen, das die Engelchenpuppe unterstützen möchte. Der Suchradius hat sich erweitert, die Kinder können vom Steppenberg oder aus dem Preuswald kommen. Stehen die Bewerberinnen fest, werden Pralinenschachteln in der Anzahl der Bewerberinnen angeschafft. In einer befindet sich eine kleine Engelfigur und das Mädchen, das die Schachtel mit dem Engel zieht, ist das neue Streuengelche. Dieses Jahr traf das Losglück die sechsjährige Pia Erkens (siehe rechts). Ihre Aufgabe wird es sein, bei der Kirmes im Fenster zu sitzen und zusammen mit dem Engelspüppchen Süßigkeiten zu werfen. Zudem wird sie Termine im Kindergarten und in Seniorenheimen absolvieren. An den Kosten beteiligen muss sich die Familie des Engelchens – anders als der Karnevalsprinz in Aachen – nicht. Lediglich ein hübsches Kleid muss die Familie stellen. Renate Watteler ist in froher Erwartung auf die Kirmes. Auch wenn die Organisation immer schwieriger wird, weil die Sicherheitsauflagen steigen und neue Fahrradbügel das Aufstellen von Fahrgeschäften erschweren, wird es auf jeden Fall ein klassisches Kinderkarussell geben, eine Orgel spielt das Streuengelche-Lied und ein Süßigkeitenwagen ist vor Ort – für Familien sollte es auf jeden Fall attraktiv werden wird.

Foto: Marcel Vergöls

Streuengelche-Wahl 2022

Nach zwei Jahren Corona-Pause hatte der Verein Streuengelche van de Rues wieder zur Wahl eines Streuengelchen aufgerufen. Es bewarben sich Pia Erkens und Isabella Jaeger-Kirchmeier. Grund zum Jubeln hatte schließlich die sechsjährige Pia. Sie wählte die Pralinenschachtel, in der sich das Engelchen befand. Sie wird am 2. Juli 2022 um 17:00 Uhr im Parterre des Sozialwerks Aachener Christen, Rosstraße, offiziell die Krone von ihrer Vorgängerin aus dem Jahr 2019, Leonie Bosnjak, übernehmen. Oberbürgermeisterin Sibylle Keupen gratulierte Pia herzlich und wünschte ihr eine schöne Zeit als Mittelpunkt der Roskirmes. Pia lässt am 3. und 4. Juli jeweils um 15:00 Uhr auf der Rosstraße vor dem Kapellchen zusammen mit der fein gemachten Puppe Bonbons regnen und freut sich über viele Besucherinnen und Besucher.

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