Leseprobe

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BERLIN – GESCHICHTE IN GESCHICHTEN


STOLPER STEINE IM SCHEUNEN VIERTEL

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as Scheunenviertel ist Teil der Spandauer Vorstadt. Das Viertel lag bis zum Anfang des 19. Jahrhunderts außerhalb der Stadt. Es hat keine Verwaltungsgrenzen, erzeugt aber mit seinen Gebäuden und seiner melancholischen Geschichte ein eigenes Gefühl mitten in der Mitte von Berlin. Seine Fläche ist eher ein Dreieck, Vom Hackeschen Markt aus gesehen liegt es zwischen der Oranienburger Straße, der Linienstraße und der Rosenthaler Straße. Durch das Viertel schlendern täglich tausende Menschen, viele Berliner, noch mehr Touristen. Liebevoll nennen sie es Altberlin, was natürlich historisch nicht stimmt. Aber in der Tat erscheint hier die Stadt älter, nicht so hoch gewachsen wie in den benachbarten Vierteln der Stadt. Im Zuge der Industrialisierung wurde dieses Wohngebiet dicht bebaut und rückte mit der Zeit immer mehr in die Mitte der Stadt. Einwanderungen aus dem Osten Europas und die nahen Fabriken machten es zum Armenviertel, auch zum zwielichtigen Hinterhof der aufstrebenden Metropole und Reichshauptstadt. Hier lebte Franz Biberkopf im Roman „Berlin Alexanderplatz“, den Alfred Döblin 1927 geschrieben hatte. Im Scheunenviertel lebten vor allem sehr viele Juden. Einige wohnten schon früh in seinen Straßen, waren bürgerliche Preußen, manchmal wohlhabend, auf alle Fälle bodenständig. Seit 1866 beherrschte die prachtvolle Kuppel der riesigen Neuen Synagoge an der Oranienburger Straße die nahen und weiten Sichtachsen, Stolz der jüdischen Gemeinde in Berlin und eine architektonische Zierde der Stadt. Die Synagoge war mehr als ein Gotteshaus. Sie war auch ein großes Bildungszentrum, umgeben von kulturellen Einrichtungen, die deutlich machten, welchen Anteil Juden an dem rasanten Aufblühen der Stadt bis 1933 hatten. Das Scheunenviertel wurde zu Beginn des 20. Jahrhunderts zum sozialen Brennpunkt. In der Folge der antisemitischen 29


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Pogrome in Russland und Polen strömten Tausende verarmte Flüchtlinge nach Berlin. Abschätzig wurden sie die Ostjuden genannt. Um die Neue Synagoge herum war das Wohnen billiger als in der übrigen Stadt, und die Brüder und Schwestern im Glauben waren nah. Man lebte dicht gedrängt in den Häusern, auch illegal. Man war arm wie eine Kirchenmaus und weitgehend sich selbst überlassen mit den geretteten und oft so traurigen Traditionen des Ghettolebens in den osteuropäischen Ländern. Viele nach Berlin gewanderte Juden mussten sich völlig verlassen in der großen weiten Welt fühlen. Auch unter den ansässigen Juden fanden sie wenig Unterstützung und über die Zugezogenen gab es viel Streit. Die große Gemeinde zerfiel in Fraktionen. Wer heute durch die August-, Tucholsky-, Krausnick-, Sophienstraße oder die sie verbindenden Höfe schlendert, ahnt nicht, wie es hier früher ausgesehen hat. Auch ist kaum mehr zu erkennen, wie völlig herunter gekommen dieses Viertel zu DDR-Zeiten gewesen ist. In den Großplanungen für eine sozialistische Stadt waren auch hier Plattenbauhochhäuser vorgesehen, ähnlich den Klötzen rund um den nahen Alexanderplatz. Gründlich saniert und herausgeputzt sind jetzt die Häuser und Höfe, gemütlich und eine Weide für die Augen, fast wie in einer in sich ruhenden Kleinstadt. Viele Galerien und Ateliers gibt es entlang den Straßen. In den hinteren Höfen, oft so groß wie kleine Dörfer, gibt es kleine Läden und Werkstätten, immer wieder Gastronomie. Ein witziges altes Ballhaus ist wieder eine Attraktion im Viertel. Koschere Lebensmittelläden und koschere Restaurants machen deutlich, dass erneut viele Juden hierher gezogen sind. Fast jedes Haus birgt Geschichte und Geschichten. Manche werden auf Tafeln angedeutet, die neben den Hauseingängen angebracht sind. Auf einer Tafel ist zu lesen: „Die erste Rabbi30

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nerin der Welt, Regina Jonas 1902 Berlin – 1944 Auschwitz.... Fähigkeiten und Berufungen hat Gott in unsere Brust gesenkt und nicht nach dem Geschlecht gefragt. So hat ein jeder die Pflicht, ob Mann oder Frau, nach den Gaben, die Gott ihm schenkte, zu wirken und zu schaffen.“ Die meisten Hinweise aber sind in die Bürgersteige als 10 mal 10 cm große Messingplatten eingelassen, Stolpersteine, die Namen enthalten und vom Verschwinden in der Deportation und in den Gasöfen der Konzentrationslager künden. Glaubt man einer Umfrage, dann haben 80 Prozent der befragten Besucher des Scheunenviertels diese so dicht gepflasterten Stolpersteine nicht wahrgenommen oder wissen nicht, warum die glänzenden Plättchen in die grauen Bodensteine eingefügt sind. Der 1947 in Berlin geborene Künstler Günter Demning hatte das Projekt Stolpersteine in den 1990er Jahren ins Leben gerufen. Erste Stolpersteine verlegte er ohne Genehmigung der Behörden 1997 in Kreuzberg. Daraus wurde eine breite Bürgerbewegung, und auch die Behörden spielten schließlich mit. Inzwischen gibt es in Deutschland rund 35.000 solcher Steine, alleine in Berlin über 5.000, viele von ihnen im Scheunenviertel. Die Steine nennen Namen. Sie erinnern an die Vertreibung und Vernichtung der Juden, der Sinti und Roma, der politisch Verfolgten, der Homosexuellen, der Zeugen Jehovas, der Euthanasieopfer in den 12 Jahren Nazizeit. Einen Stolperstein herzustellen und zu verlegen kostet 120 Euro. Von Hand angefertigt werden die Steine in Demnings Werkstatt in Berlin-Buch. Besonders angenehm und wohltuend schmeichelt es den Sinnen, läuft man gemächlich durch den engeren Kiez des Scheunenviertels. Da gibt es die Auguststraße und die Große Hamburger Straße, die Gipsstraße, Sophienstraße und die Krausnickstraße. Bewundernd erblickt man die beiden dominanten Gebäudekomplexe an der Großen Hamburger, 31


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das katholische St. Hedwigs-Krankenhaus und die evangelische Sophienkirche. Wie durch ein Wunder wurden beide Bauten durch die verheerenden Bombardierungen der Mitte von Berlin weitgehend verschont. Die Kirche in der damaligen Spandauer Vorstadt wurde 1713 geweiht. Der markante barocke Kirchturm stammt aus dem Jahr 1734. Ihr gegenüber liegt das Krankenhaus, mit seinen Backsteinfassaden und einem weitläufigen Innenhof, 1850 wie ein Märchenschloss errichtet. Läuft man die Große Hamburger noch ein paar Schritte weiter in Richtung Oranienburger, findet man den alten jüdischen Friedhof von Berlin. Mordechai Model kaufte 1675 das Gelände, das damals noch vor den Toren der Stadt lag, um es als Begräbnisstätte für die wachsende jüdische Gemeinde zur Verfügung zu stellen. Bis zur Schließung des Friedhofs 1827 sollen dort mindestens 7.000 Juden begraben worden sein, auch Moses Mendelssohn, der große Philosoph der Aufklärung und Vorbild für den weisen Nathan in Lessings berühmt gewordenen Drama. Sein Grabstein schmückt noch den Friedhof, und immer liegen kleine Steine auf ihm. Nach der Schließung des Friedhofs wurde 1829 am Ausgang zur Oranienburger Straße das erste Altersheim der jüdischen Gemeinde eingerichtet. Es wurde dann erweitert, und der Eingang lag ab 1844 an der Großen Hamburger Straße neben dem Friedhof. 1942 beschlagnahmte die Gestapo das Gebäude. In ihm errichtete sie ein Sammellager, aus dem 55.000 Berliner Juden in die Konzentrationslager Auschwitz und Theresienstadt verschleppt wurden. Nach getaner Arbeit wurden Haus und Friedhof von der Gestapo gründlich verwüstet und zerstört. Auf dem Boden des ehemaligen Altersheims steht jetzt die Skulptur von Willi Lammert „Jüdische Opfer des Faschismus“, noch zu DDR-Zeiten geschaffen.

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Kaum waren die großen Deportationen in der Großen Hamburger abgeschlossen, gab es für die Gestapo noch das Problem der Mischehenjuden zu erledigen. Dafür hatte sie in der nahe gelegenen Rosenstraße das jüdische Wohlfahrtsgebäude besetzt und in dem Haus über 2000 Personen für den Abtransport „eingesammelt“. Offensichtlich gab es in der Gestapo-Verwaltung Definitionsunklarheiten über den Begriff Mischehe. Wichtiger aber wurde, dass es Ende Februar und Anfang März 1943 vor dem Gebäude die größten Protestdemonstrationen gegeben hatte, die je im Nazireich zu registrieren waren. Mehrere hundert Frauen mit wechselnden Teilnehmerinnen protestierten gegen die Deportationen, blockierten die Straßen und forderten lautstark die Freilassung ihrer inhaftierten Männer. Die Gestapo musste alle Männer aus der Rosenstraße an ihre Frauen zurück geben. Einen ähnlich lautstarken und beharrlichen Straßenprotest hatte es im Nazireich nie gegeben. Margarethe von Trotta hat das Drama 2003 verfilmt. Während auf der Rosenstraße die Frauen protestierten, wurden gleichzeitig 6000 Männer, überwiegend aus dem Bayrischen Viertel in anderen Sammellagern der Stadt inhaftiert und zur sofortigen Ermordung nach Birkenau verschleppt. Es gibt zu den Vorgängen in der Rosenstraße eine bemerkenswerte Eintragung des Propagandaministers Joseph Goebbels vom 6. März 1943, die er unmittelbar nach schweren Bombenangriffen auf Berlin in sein Tagebuch geschrieben hatte: „Gerade in diesem Augenblick hält der Sicherheitsdienst es für günstig, in der Judenevakuierung fortzufahren. Es haben sich da leider etwas unliebsame Szenen vor einem jüdischen Altersheim abgespielt, wo die Bevölkerung sich in größerer Menge ansammelte und zum Teil sogar für die Juden Partei ergriff. Ich gebe dem SD Auftrag, die Judenevakuierung nicht ausgerechnet in einer so kritischen Zeit fortzusetzen. Wir wol33


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Bild oben

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→ Stolpersteine vor der Sophienkirche

Bild rechte Seite oben → Die Synagoge –

ein Wahrzeichen für die Stadt auch heute Bild rechte Seite unten → Moses-Mendelssohn-Gymnasium

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len uns das lieber noch einige Wochen aufsparen; dann können wir es umso gründlicher durchführen.“ Und dann weiter: „Die Evakuierung der Juden aus Berlin hat doch zu manchen Misshelligkeiten geführt. Leider sind dabei auch die Juden und Jüdinnen aus privilegierten Ehen zuerst mit verhaftet worden, was zu großer Angst und Verwirrung geführt hat.“ Bekannt geworden ist erst sehr spät und mit wenig öffentlicher Anteilnahme, dass es im Scheunenviertel großen Mut Einzelner gegeben hat, Nachbarn und Freunden jüdischen Glaubens zu helfen. Anne Franks Schicksal gab es auch in Berlin, aber es gab auch einige Anne Franks, die am Ende des Krieges weiter leben konnten. Manchen gelang es auf diese Weise, in Kellern dem Naziinferno zu entkommen. Auch im nahen St. Hedwigs-Krankenhaus wurden Juden versteckt. Von 1942 bis 1945 halfen besonders der Arzt Erhard Lux und die Ordensschwester Marianne Habig vielen Menschen, den Häschern zu entkommen. Auf der anderen Straßenseite der Großen Hamburger steht dem Krankenhaus schräg gegenüber das Jüdische Gymnasium, ebenfalls ein Gebäude mit Stadtgeschichte. 1862 wurde es von Moses Mendelssohn neben der Sophienkirche als jüdische Oberschule gestiftet. Die Mendelssohns waren nicht nur eine sehr große Familie mit vielen Wissenschaftlern und Künstlern. Joseph Mendelssohn hatte 1795 ein Bankhaus aufgebaut, das binnen kurzer Zeit eines der mächtigsten Finanzinstitute in Preußen wurde. Das 1815 bezogene Stammhaus in der Jägerstraße steht noch und wurde das Zentrum des späteren Bankenviertels. Reich wurde die Privatbank vor allem durch ihre Staatsanleihen an die russischen Zaren. Ohne Entschädigung wurde die Bank 1938 liquidiert. Liquidator war der spätere Chefberater von Bundeskanzler Konrad Adenauer. Hermann Josef Abs verleibte die Mendelssohn-Bank der Deutschen 36

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Bank ein. Adenauer und Abs behielten Zeit ihres Lebens ihre Aversionen gegen Preußen. Die Nazis machten auch aus der jüdischen Schule eine Deportationssammelstelle und beseitigten alle Spuren von den mit vielen Symbolen jüdischer Traditionen ausgestatten Wänden. Man kann es kaum glauben, aber eine Inschrift hatten sie übersehen, die noch heute im alten Stein über dem früheren Eingangsportal eingraviert ist: „Knabenschule der jüdischen Gemeinde“. Neben der Schule umrahmen prächtige hoch gebaute alte Wohnhäuser den Hof der Sophienkirche. Auf dem Bürgersteig vor diesen Häusern sind die vielen Stolpersteine nun nicht mehr zu übersehen. Die kleinen goldglänzenden Messingplatten funkeln, wenn die Sonne auf sie scheint. 55.000 Juden wurden aus diesen Straßen deportiert. Nur ganz wenige behalten hier ihre Namen: Flora und Leo Aronbach James Deutsch Regina und Emanuel Fink Johanna Klum Astra, Meta und Max Raesener Alice und Gertrud Rosenberg Elis und Rosa Schneller Wolf Segal Melanie und Max Sittner Charlotte Wolff Durch die sanierte, so ruhige Sophienstraße geht man entlang von Cafés, Restaurants, Galerien und schmucken Läden in einer hellen Gegenwart rüber in die laute und geschäftige Rosenthaler Straße. Auch dort gibt es die Spuren aus der 37


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fürchterlichen Nazizeit. Dort hatte Otto Weidt in der Nummer 39 seine Werkstatt für die Herstellung von Bürsten und Besen. Bei ihm arbeiteten vornehmlich jüdische Mitbürger, viele von ihnen sehbehindert oder taubstumm. Um sie in der Verfolgungszeit und während der Deportationen materiell am Leben zu erhalten, machte Otto Weidt Schwarzmarktgeschäfte, bestach Gestapo-Mitarbeiter, besorgte gefälschte Papiere und organisierte Verstecke. Man weiß das von der Schriftstellerin Inge Deutschkron, die als Jüdin unter falschem Namen in seinem Büro gearbeitet hatte und überleben konnte. Sie wusste auch zu erzählen, wie eng diese Art des Widerstands mit dem „Miljöh“ verbunden war, das Döblin in seinem Roman Alexanderplatz beschrieben hatte. 1940 hatte sich Otto Weidt, der Bürstenfabrikant, mit Hedwig Porschnik zusammen getan. Hedwig wohnte damals mit ihrem Mann Walter in einer winzigen Mansarde in der Alexanderstraße direkt gegenüber dem berüchtigten Polizeipräsidium, das ebenfalls genauestens in Döblins Roman portraitiert ist. Die 1900 in Schöneberg geborene Hedwig Völker galt als Prostituierte, die 1926 den jüngeren Walter Porschütz geheiratet hatte, einen Kellner, der arbeitslos geworden war. Ihre Methoden in ihrem Gewerbe entsprachen nicht dem Bürgerlichen Gesetzbuch. 1934 wurde sie wegen Erpressung mit zehn Monaten Gefängnis bestraft. Als sie Otto Weidt kennen lernte, nutzte sie ein weit gespanntes Netzwerk an Helferinnen und Helfern, um Freundinnen und Freunde vor den 1941 bis 1943 voll entbrannten Verschleppungen und Vernichtungen zu retten. Sie war es vor allem, die sich in den Schwarzmarktgeschäften auskannte und diese undurchschaubaren Transaktionen für die gefährliche Untergrundarbeit der Werkstatt von Otto Weidt zu nutzen verstand.

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Im Mai 1944 flog sie durch gefälscht Lebensmittelkarten für Speck auf, die sie einem Bekannten zugesteckt hatte, der verfolgt wurde. Sie kam vor Gericht, wurde verurteilt und inhaftiert und erlebte das Kriegsende im Gefängnis. Nach dem Krieg verarmte sie mit ihrem Mann völlig und lebte wieder in Schöneberg. Ihr Antrag auf Entschädigung als politisch Verfolgte wurde 1956 von Joachim Wendt, eben dem Richter abgelehnt, der schon 1944 über sie zu Gericht gesessen hatte. Nun stellte er 1956 fest, dass der Einsatz von Frau Porschütz ungeeignet gewesen sei, das nationalsozialistische Regime politisch zu unterhöhlen. Die Verurteilung 1944 wegen Kriegswirtschaftsverbrechen lasse „auf ein derartig niedrigeres sittliches und moralisches Niveau schließen, dass auch bei einer in diesem Falle sowieso aus sachlichen Gründen nicht erfüllten Voraussetzung für eine Anerkennung diese nicht gegeben wäre. Der Antrag auf eine Beihilfe als politisch oder rassisch Verfolgte stellt ein Ehrendokument dar und kann nur für entsprechende Persönlichkeiten ausgestellt werden.“ Nach weiteren zwei Jahren meinte der Berliner Innensenator, Grund des Bescheides sei ausschließlich das „unsittliche Verhalten“ der Hedwig Porschütz gewesen. „Die Antragstellerin ist in früheren Jahren gewerbsmäßig der Unzucht nachgegangen und hat auch bis zu ihrer Verurteilung 1944 trotz ihrer Ehe Umgang mit fremden Männern unterhalten.“ Hedwig Porschütz starb 1977 in einem Altersheim. Ihr Grab auf dem Dorfkirchfriedhof in Schöneberg wurde 2000 aufgelassen. Von ihr existiert kein Bild, kein Foto. 2001 wurde das Urteil des Richters Wendt posthum aufgehoben und Hedwig Porschütz – wie auch vorher schon Otto Weidt – in das Verzeichnis der Berliner Gedenktafeln aufgenommen.

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Wenige Schritte die Rosenthaler Straße runter kommt man wieder auf den Hackeschen Markt, an dessen Nordseite die mächtigen Fassaden der Hackeschen Höfe aufragen. Sie wurden 1906 eröffnet. Das riesige Arsenal erstreckt sich zwischen der Rosenthaler und der Sophienstraße und ist um acht Höfe gebaut mit viel Raum für Wohnungen, kulturelle Einrichtungen, kleinen Läden und Restaurants. Auch hier findet man sie, die Stolpersteine, so für Paula Davidson und ihren erst 1943 geborenen Sohn Uri, die beide in Auschwitz ermordet wurden. Doch in den Höfen ist die Vergangenheit vollständig Renaissance für das ganz gegenwärtige Leben voller Schaulust und Unterhaltung geworden.

→ Kriegsbahnhof – Deportation der Juden aus Berlin. Radierung von Gisa Hausmann

Bild rechte Seite

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